Ihr werdet glücklich sein - Bessora - E-Book

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Bessora

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Beschreibung

Ein Passagierschiff wirft Anker vor einem Berg, der aussieht wie ein Tisch. Kinder gehen zu zweit von Bord. An ihre Brust ist ein Schild geheftet. Wir sind unter ihnen. Wir sind acht Jahre und fast zwei Monate alt. Wir sind blitzsauber und verpackt wie beschriftete Geschenke. "Barbara Schultz, geboren am 18. Juli 1940." "Wolfgang Schultz, geboren am 18. Juli 1940." Seit wann heißen wir Schultz? Bessoras Roman erzählt die Geschichte zweier Waisenkinder in Südafrika und erweckt damit ein fast unbekanntes Kapitel deutscher Nachkriegsgeschichte auf fesselnde Weise zum Leben.

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BESSORA

Ihr werdet glücklich sein

Roman

Aus dem Französischen von Gudrun und Otto Honke

Peter Hammer Verlag

Ich widme diesen Roman Peter Ammermann und Rabia Ismail.

MIT ZERZAUSTEN HAAREN, die Füße in unseren alten Tretern, sitzen wir mit Arno vor Frau Pfefferlis Schreibtisch. Drei Gerippe gegenüber einem Skelett. Nicht umsonst nennt man sie die Elster! Sie steckt in ihrer schwarz-weißen Uniform. Hinter ihr eine Frau in einem weißen Kittel, die mit den Fingern in ihren Taschen wühlt. Ein paar Stifte fallen heraus. Sie heißt Anna, ist fünfunddreißig Jahre alt und Ärztin. Die drei Gerippe, die vor Frau Pfefferli sitzen, sehen Anna zum ersten Mal. Sie haben ganz schön Schiss, vor allem du und ich, die beiden Großen.

Frau Pfefferli schiebt ihre mit Draht geflickte Brille hoch. Sie rutscht ihr trotzdem wieder auf die Nase. Neben ihr stapelt sich ein Aktenberg bis zur Decke. Auf der anderen Seite liegen drei Akten. Auf der ersten steht mein Vorname, gefolgt von einem S.

»Wolfgang, Arno, Barbara …«, singt die Elster. »Ihr seid ausgewählt worden.«

Ich verstehe nicht. Genauso verwirrt wie ich, starrst du auf eine Tafel an der Wand. Frau Pfefferli hat dort ihre Sammlung Ansichtskarten aus der Schweiz aufgehängt, über einem Regal mit Märchenbüchern. Frau Pfefferli bemerkt deinen träumerischen Gesichtsausdruck: »Barbie?« Sie wendet sich an dich, damit du dich auf das konzentrierst, was sie uns erzählt.

Arno hingegen baumelt unter dem Tisch mit den Beinen und lacht. Er darf unaufmerksam sein, er ist erst drei Jahre alt. Wir zwei, wir sind älter. Ich drehe das Gesicht zum Fenster. Draußen, wo sich das Bauernhaus abzeichnet, in dem Heidi wohnt, regnet es.

Heidi. Ich habe sie neulich gefragt, ob sie mich heiratet, aber wenn man acht Jahre alt ist, geht das anscheinend nicht. Die Hände in den Taschen voller Stifte vergraben, sagt Anna: »Eure Testergebnisse sind ausgezeichnet.« Sie hat einen komischen Akzent. »Aus diesem Grund«, fährt sie fort, »seid ihr vom Dietse Kinderfonds ausgewählt worden.« Es ist einfach unbegreiflich, was sie sagt. Dietse Kinderfonds, das bedeutet Deutscher Kinderfonds. Völliger Blödsinn.

In meinem Rücken, hinter der geschlossenen Tür, ertönt Applaus. Anna hört es mit Entzücken. Frau Pfefferli streicht sich über ihr weißes Haar und wartet darauf, dass wieder Ruhe einkehrt, aber Arno fängt auch an zu klatschen. Wir beide, wir rühren uns nicht. Der Lärm verstummt, und die Bürotür öffnet sich halb. Ein brauner Kopf wagt sich vor. Es ist Thomas. Mein Ehrenwort … Er hustet, ein schleimiger Husten: »Bin ich auch ausgewählt worden, Frau Pfefferli?«

Er sagt den Namen der Elster, indem er wie ein Vogel pfeift und das R rollt. Die Elster erhebt sich langsam von ihrem Stuhl und, nachdem sie sich den Schnabel freigeräuspert hat: »Würdest du bitte die Tür schließen, Thomas?«

»Bin ich ausgewählt worden?«

»Du bist zu alt für eine Adoption … Schließ die Tür. Sofort. Bitte.«

Er ist dreizehn, wir acht, Arno ist drei. Mit dreizehn Jahren sind Waisen, von Ausnahmen abgesehen, altes Eisen. Thomas ist traurig darüber, dass er altes Eisen ist. Er rührt sich nicht vom Fleck. Die Elster krümmt den Schnabel. »Es tut mir leid, Thomas. Wenn ich könnte … aber wir haben die Anweisung, nur arische Kinder zu berücksichtigen.«

Anna nimmt die drei Akten auf dem Schreibtisch der Elster an sich, während Frau Pfefferli eine Augenbraue hochzieht und dreimal wiederholt: »Es tut mir leid, es tut mir leid, es tut mir leid.«

Der Regen wird stärker, und Frau Pfefferli bedeutet uns, ihr Büro zu verlassen. Anna verabschiedet uns mit einer liebevollen Geste. Wir halten uns an den Händen und gehen zur Tür. Arno ist vergnügt, ich beiße mir auf die Lippen, ich glaube, vor Angst oder weil ich meinen Namen verloren habe. Du machst dir in die Hose. Für uns beide machst du dir in die Hose.

Zwei winzige Koffer stehen zu unseren Füßen auf dem Bürgersteig vor dem Waisenhaus. Nicht stolz. Es tut mir weh, dass wir dort sind. Du trägst ein zu kurzes Kleid und ich zu enge Schuhe. Heidi kommt angerannt, das macht mich glücklich. Sie ist von ihrem Bauernhof herbeigestürmt, mit ihren lockigen Haaren, ihrer braunen Haut, ihren nackten Füßen und ihrem schmutzigen Kindergesicht.

»Geht ihr auf den Ball?«

»Wir fahren nach Afrika«, sage ich.

Ich verziehe das Gesicht zu einer fürchterlichen Grimasse, als ob Löwen mich fressen wollten. Heidi nimmt meine Hände. Ihre schmutzigen Fingernägel haben mich nie davon abgehalten, dass ich in sie verknallt bin. Dich widert das an. Ich bekomme eine Gänsehaut, und sie schaudert es: »Kann man mit dem Fuhrwerk nach Afrika fahren?«

Du presst die Lippen zusammen, die Zähne, die Fäuste.

»Mit dem Fuhrwerk? Das ist zu weit … Wir fahren mit dem Auto.«

»Mit einem Auto?«, ruft Heidi aus.

Außer dem Trecker ihres Papas sieht man nicht viele Fahrzeuge in der Gegend.

Du starrst auf die lange, leere Straße. Sie hat dich ebenso im Blick. Sie ist schmal und kommt von weit her. Sie hat viele Kilometer zurückgelegt, um zu uns zu gelangen, und führt noch viel weiter, aber nicht bis nach Afrika.

»Danach fahren wir mit einer Fähre«, sage ich.

Heidi berührt meine Wangen. »Bis nach Afrika?«

»Vorher sind da noch Züge und Schiffe.«

Heidi kneift mich in meine Wangen, das erregt mich, ich erröte. Ich bin so verliebt in sie! Hinter uns, vom Fenster des Waisenhauses aus, beobachtet uns eine Bande kleiner Racker. In der Mitte Thomas, und plötzlich bleibt ihm der Mund offen stehen. Er erblickt, noch in der Ferne, den Schatten eines Autos. Uns ist unheimlich, wie es immer größer wird, je näher es kommt, und wir sehen, wie es anschwillt, als wäre es ein Menschenfresser, nur mit Rädern. Plötzlich ist sein Motor zu hören. Ein anderes Geräusch dringt in meine Ohren. Es ist das Herz, ich spüre sein Hämmern in allen Fasern meines Körpers.

Der Motor erstirbt, als das Auto neben uns anhält. Du atmest schnell, immer schneller, so schnell, dass dir die Luft wegbleibt. Heidi nimmt langsam die Hände von meinem Gesicht, sie ist ganz blass, als Arnos Lachen erschallt. Da kommt er aus dem Waisenhaus, auf dem Arm von Regine.

Tante sollen wir sie nennen, denn sie wird auf der ganzen Reise unsere Pflegemutter sein. Überall gut gepolstert, ist es für Arno sehr behaglich bei ihr. Sie trägt seinen Koffer für ihn, während er über das ganze Gesicht lacht und mit dem Schild spielt, das auf seine Brust geheftet ist.

Arno Rüff, geboren am 24. Juni 1945.

»Los, meine Kleinen«, sagt Tante Regine.

Ihr Akzent ist komisch, es ist derselbe wie der von Anna.

Regine sagt, dass sie aus Afrika kommt. Aber deutscher Abstammung ist. Hat sie vielleicht deswegen rote Haare? Spricht sie deswegen holländisch?

Die Autotür öffnet sich weit und gibt den Blick auf Sitze aus braunem Leder frei. Sie sehen kalt aus. Ehrlich, sie laden dich nicht ein einzusteigen. Ich schließe Heidi in die Arme, sie drückt mich an sich, wir klammern uns aneinander, und dann presst sie ihre Lippen auf meinen Mund. Wenn du die Augen schließt, siehst du besser und fühlst mehr. Stell dir vor, was ich fühle, und multipliziere es mit zweihundert. Ich kneife den Hintern zusammen, um zu verhindern, dass dieser Augenblick vorübergeht. Möge er ewig andauern und nie unterbrochen werden. Doch jemand zerrt mich in die andere Richtung.

»Los, mein Kleiner!«

In Heidis Armen leiste ich Regine Widerstand. Schließlich lässt sie mich los, weil die Elster am Fenster schimpft: »Heidi, willst du wohl Wolf in Ruhe lassen oder muss ich deinen Papa rufen?«

Vor ihrem Papa scheint Heidi große Angst zu haben. Du, du hast schon auf dem eiskalten Sitz Platz genommen, und wortlos flehst du mich an, mich zu dir zu gesellen. Es ist wahr, nie sind wir getrennt gewesen, und wir haben das Glück, dass wir zusammenbleiben können. Heidi steht regungslos da und flüstert: »Ich werde dich nie vergessen, Wolfie …«

Ich bin sehr berührt. Doch ich sehe mich, wie ich zu dir einsteige. Ich sehe, wie das Auto losfährt. Ganz so, als wäre ich nicht anwesend, weißt du?

Rittlings auf den Knien von Tante Regine, winkt Arno aus dem Fenster den Kühen zu. Stocksteif sitzt du da und blickst starr geradeaus. Bei mir ist es umgekehrt. Ich drehe mich nach hinten um.

Heidi ist immer noch da, aber hinten, wo sie Vergangenheit ist. Sie wird klein in der Heckscheibe, ganz klein, immer kleiner.

Als müsste sie verschwinden.

Und dann ist Heidi ein Nichts geworden.

***

Der Wagen hält vor einem Bahnhof, der Hannover heißt. Tante Regine steigt als Erste aus, zusammen mit Arno. Er erbricht sich auf den Bürgersteig, während der Fahrer die hintere Tür öffnet. Auf der anderen Seite, da ist eine neue Welt.

Aber du und ich haben keine Lust auf ein Abenteuer. Tante Regine brüllt: »Kommt schon, meine Kleinen … ihr wollt doch den Zug nicht verpassen!«

Ich glaube, doch.

Auf dem Bahnhofsplatz sind Kinder versammelt: Ich zähle achtzig, aber ich zähle noch einmal. Das Ergebnis stimmt. Achtzig Kinder springen überall herum. Aufgeregt wie Flöhe. Wir beide rühren uns nicht vom Fleck, wir sind apathisch wie Bettwanzen.

»Steigt sofort aus dem Auto aus!«, schimpft Tante Regine.

Erwachsene schwirren wie in einem Bienenstock um die Kinder herum. Der Lärm ermuntert uns nicht dazu auszusteigen. Laut Tante Regine sind diese Menschen, die den Bienen ähneln, harmlos: »Das sind Journalisten.«

»Wozu sind sie hier?«, frage ich misstrauisch.

»Sie schreiben in den Zeitungen. Sie sprechen im Radio. Sie machen Fotos … Sie sind gekommen, weil sie über eure Abreise berichten wollen. Das ist ein nationales Ereignis!«

Ein grelles Licht blendet Tante Regine. Sie schimpft über die Blitzlichter. Sie sind wie die Feuer am Himmel, du erinnerst dich, die Krater rissen, wenn sie auf dem Boden einschlugen.

Vom Blitzlichtgewitter angezogen, drängt sich ein Haufen Passanten um die Reporter. Wir drücken uns in unsere Sitze, wie Wanzen, sage ich dir, auf der Unterseite einer Matratze. Du blickst starr geradeaus, ich suche nach einer Zauberformel, die uns unsichtbar macht. Schweißgebadet fährt Tante Regine uns an: »Kommt endlich, meine Kleinen, ihr wollt doch im Auto kein Moos ansetzen!«

Doch, das wollen wir.

Der Fahrer beugt sich lächelnd über uns, packt uns nacheinander am Kragen und zieht uns aus dem Wagen, wobei er sich entschuldigt: »Tut mir leid, ich muss das Auto zurückbringen!«

So finden wir uns auf dem Pflaster wieder. Wir sind losgefahren, um den verdammten Zug zu erreichen. Aber vielleicht gibt es noch eine Möglichkeit, dass wir ihn verpassen. Ich höre eine Stimme, die aus einem Lautsprecher kommen muss, einem Radio oder etwas Ähnlichem: »Ihr geht in ein neues Land … Vergesst nicht, dass wir Deutschen eine stolze Nation sind. Ihr werdet immer deutsches Blut in euren Adern haben. Seid stolz darauf. Verhaltet euch wie wahre Deutsche.«

»Das ist Minister Käber«, sagt Regine ganz bewegt. »Habt ihr gehört? Der Minister!«

Eine schwarze Kugel heftet sich an deinen Mund. Ein Stiel verbindet sie mit einem Reporter. Fast schreist du vor Schreck auf, und ich schleudere die Kugel weg. Der Reporter lacht. Diese Kugel nennt man ein Mikrofon, wie es scheint, tut es nicht weh, es übermittelt nur die Stimme.

»Wie nehmen Sie die Stimme der Leute auf, ohne dass es ihnen wehtut?«, fragst du.

Der Reporter lacht wieder und zeigt uns einen Apparat, der Bilder aufnimmt und Kamera genannt wird. Das soll auch nicht wehtun. Sonst noch was? Er hält uns wirklich für Dummköpfe.

»Lächeln«, sagt er freundlich.

Du lächelst. Es ist mir unmöglich, mich zu entspannen.

»Wie fühlt es sich für euch Zwillinge an, die Heimat zu verlassen?«, fragt der Reporter.

»Ich will zurück nach Hause«, sage ich ohne Umschweife.

Von meiner Antwort überrascht, fragt der Reporter weiter: »Fahrt ihr zum ersten Mal mit einem Zug?«

Ich überlege nicht lange, bevor ich antworte: »Wir werden nie in diesen Zug einsteigen.«

Tante Regine hat alles gehört, und es scheint ihr nicht zu gefallen. Der Reporter richtet seine Kamera auf einen kleinen Jungen, der ihm erzählt, dass wir in einen Zauberwald fahren. Mir nichts, dir nichts schnappt sich der Knirps das Mikrofon und betört mit seinen blauen Augen die Kamera: »In Afrika scheint immer die Sonne«, säuselt er. »Da gibt es tolle Orangen … leckere Bananen.«

Der kleine Junge fährt fort, sein Gedicht aufzusagen, während Regine sich an meine Schulter krallt, um mich am Weglaufen zu hindern.

»In Afrika«, fängt der Junge wieder an, »halte ich die Affen davon ab, dass sie die Ziegen fressen.«

Du unterdrückst dein Lächeln: »Du meinst die Löwen. In Afrika heißen die Wölfe Löwen. Sie fressen die Ziegen.«

Du kehrst zu deinem Lächeln zurück, und der kleine Junge hält seinen Finger vor den Mund, weil er sich nicht mehr erinnern kann, ob es Affen oder Löwen sind.

Ich erinnere mich auch nicht mehr.

Jemand spricht vor der Kamera von Hütten und Schwarzen. Ich sehe mich selbst aufschreien: »Ich will nicht in einer Hütte mit Schwarzen leben, die Holländer sind!«

Ein kleines Mädchen, vielleicht sieben Jahre alt, macht sich über mich lustig: »Du Heulpeter … Du wirst nicht in einer Hütte leben. Du wirst ganz normale Eltern haben. Ihre Sprache kommt aus dem Holländischen, aber sie ähnelt dem Deutschen. Für uns ist sie leicht zu sprechen, weil wir Arier sind. Wir können Sprachen viel schneller lernen als die meisten Menschen.«

Stolz auf die ihr fehlenden Milchzähne lächelt sie in die Kamera, und schon steigen wir ein.

Wir sitzen auf einer Bank. Aber es ist noch nicht zu spät dafür, den Zug zu verlassen, denn er ist noch nicht abgefahren. Ich suche deinen Blick. Du scheinst blind zu sein, deine Augäpfel sind starr, wie bei kleinen Statuen. Ich springe auf und stürze zum heruntergelassenen Fenster. Regines Hand greift nach meinem Gürtel: »Na, du willst doch nicht aus dem Zug fallen!«

Tante Regine reißt mich zurück, sie hat die Kraft von vier Elefanten und ich die eines Insekts. Eine Wolke aus weißen Taschentüchern winkt uns zum Abschied. Ich bin entgeistert. Blitzlicht. Ich bin blind. Eine Kapelle spielt die deutsche Nationalhymne. Ich bin wie betäubt.

Eine Trillerpfeife ertönt, und plötzlich stürzt eine Frau aus der Menge und schreit: »Karin!«

Sie läuft hinter dem Zug her, da merke ich, wir sind abgefahren.

»Gebt mir Karin zurück!«

Sie stolpert, steht auf, hat sich das Knie aufgeschürft und schreit noch lauter: »Karin! Gebt mir meine Tochter zurück!«

Das war’s. Der Zug fährt zu schnell, als dass ich abspringen könnte. Karins Mutter wird klein, ganz klein, eine winzige Figur, wie Heidi, als sie von der Heckscheibe verschwand. Und wie sie ist sie ein Nichts geworden.

Danach ist alles schwarz.

»Barbie?«

»Schläfst du?«

»Ist es normal, dass sich seine Augen so seltsam bewegen?«

»Der Arzt sagt, das liegt an der Kugel, die in seinem Kopf steckt.«

»An Mandelas hundertstem Geburtstag angeschossen zu werden …«

»Selbst Obama ist nach Jo’burg gekommen, um das zu feiern.«

»Anscheinend war es auch der Geburtstag des Alten.«

»Achtundsiebzig Jahre, habe ich gehört. Er hatte ein gutes Leben.«

»Wie kann man mit einer Kugel im Kopf überleben?«

»Warum sollte er nicht überleben, Naledi? Er hat bestimmt etwas getan, um das zu verdienen.«

EIN PASSAGIERSCHIFF WIRFT ANKER vor einem Berg, der aussieht wie ein Tisch. Das Meer ist blaugrün, der Himmel völlig grau. Es wird regnen, und es ist kalt. Kinder gehen zu zweit von Bord. Manche klammern sich an die Hand einer Frau. Sehr viele sind zwischen zwei und acht Jahre alt. Nur ein oder zwei sind größer. An ihre Brust ist ein Schild geheftet. Einige lächeln über das ganze Gesicht, andere pressen traurig die Lippen aufeinander. Wir sind unter ihnen. Wir sind acht Jahre und fast zwei Monate alt.

Deine Lippen zittern, weil du zu viel lächelst. Ich runzele die Stirn. Haben wir Angst?

Du ziehst deinen Rock nach unten, er ist zu kurz. Das Kleid ist nicht deins und das Band, das in deinem Haar flattert, auch nicht, man hat es dir geliehen. Du siehst aus wie eine Puppe, dabei hasst du es, mit Puppen zu spielen! Mir tun die Füße weh in den Schuhen, die man mir hat geben müssen.

Wir sind blitzsauber und verpackt wie beschriftete Geschenke.

Barbara Schultz, geboren am 18. Juli 1940.

Wolfgang Schultz, geboren am 18. Juli 1940.

Seit wann heißen wir Schultz?

Und plötzlich erstrahlt die Sonne, der Himmel schimmert blau, du lächelst freundlich, ich pfeife unbekümmert vor mich hin und …

»Schalte die verdammte Kamera aus, Lothar!«

Lothar gehorcht der Stimme dieser Frau und hört auf, uns zu filmen. Seine Kamera hinterlässt rings um sein Auge einen Saugabdruck. Er sieht, dass der Himmel schwarz ist und die Sonne sich verbirgt. Das entspricht nicht seinem Film, in dem das Wetter schön und der Himmel blau ist. Er sieht auch uns, wie wir an Tante Regines Rock hängen, als wir die Schiffstreppe herabsteigen, aneinandergeklammert, verloren. Du lächelst nicht. Ich trällere nicht vor mich hin.

Lothar wundert sich über diesen Anblick, der so anders ist als das, was er in seiner Kamera gesehen hat. Er reibt sich die Augen, um sich zu vergewissern, dass er nicht träumt. Er putzt den Sucher seiner Kamera. Aber alles ist in Ordnung, er vergräbt seine Hände in den Taschen seines Kaschmirmantels.

Lothar hat runde, klare Augen, darüber Haarbüschel, die allem ähneln, nur nicht Augenbrauen. Er ist achtunddreißig und hat eine gebeugte Körperhaltung. Seine Frau hat schöne schwarze Augen unter einem schicken Hut, sie ist drei Jahre jünger als Lothar, aber zehn Zentimeter größer. Sie ist so goldbraun, wie er blass ist, und sie hat Locken wie Heidi. Eigentlich ein sympathisches Gesicht. Ihr langer Hals lugt aus einem Seidenschal hervor, sie runzelt die Stirn, während sie uns sucht. Lothar hat uns ausfindig gemacht, aber sie hat uns noch nicht entdeckt. Plötzlich fällt ihr Blick auf Arno. Er ist ein hübscher Junge, pausbäckig schlummert er in Tante Regines Armen. Michèle ist hingerissen und verschlingt Arno mit den Augen. Sie stellt sich schon vor, wie sie ihn verhätschelt, während ihre tatsächlichen Adoptivkinder sich an Tante Regines Rockzipfel hängen.

»Unsere sind größer«, sagt Lothar zu ihr. »Da unten … einen Meter tiefer …«

Er spricht diese komische Sprache, die dem Holländischen ähnelt. Es kommt uns nicht in den Sinn, Tante Regine loszulassen. Meine Zähne klappern, und du, du versuchst, einen guten Eindruck zu machen, dein Lächeln wieder aufzusetzen. Der Kai ist voller Menschen, Eltern, Docker, Neugierige. Unsere Ankunft ist ein Ereignis. Das spricht sich herum.

»Es sind Deutsche. Ja, meine Dame, alle sind Waisen. Protestanten.«

Wie Automaten gehen wir weiter, eins geworden mit Tante Regine, die Mühe hat, sich einen Weg durch die Neugierigen zu bahnen.

»Nicht einen Tropfen jüdischen, polnischen, russischen oder englischen Blutes.«

Du nimmst alles in Augenschein, hältst Ausschau nach Wolfslöwen. Ich sehe mich um nach den Hütten, den Schwarzen, den Holländern.

»Sie sind erschöpft, aber sie sind hübsch! Sie haben sehr schwierige Tests bestanden …«

Die Holländer, das sind sie, glaube ich. Die Löwen, die Hütten und die Schwarzen sind nicht zu sehen. Wir sind verstört. Man hat uns auf Löwen, Schwarze und sengende Sonne vorbereitet. Doch bei unserer Ankunft ist es kalt, keine Sonne, der Himmel ist grau und kein Löwe weit und breit. Was erwartet uns als Nächstes? Wir sind wie gelähmt, und ich verheddere mich mit den Beinen in einem Tau. In diesem wenig glorreichen Augenblick erblickt mich Michèle zum ersten Mal. Vor Enttäuschung zieht sie einen Schmollmund, während ich mithilfe von Tante Regines Hand das Gleichgewicht wiedererlange.

»Sie sind nicht so, wie ich sie mir vorgestellt habe …«, sagt Michèle leise.

»Ja, sie sind sehr groß«, sagt Lothar mit einem Lächeln.

Wir verstecken uns hinter Tante Regines Rock, als sie sich vorstellt, und ich würde uns gern unsichtbar werden lassen. Ich presse die Augenlider zusammen … Arno gurrt in Regines Armen und schenkt Michèle sein schönstes Lächeln. »Mama, Mama?«, zwitschert er. Michèle ist heiser vor Dankbarkeit, sie hat nur Augen für ihn. Habe ich uns unsichtbar gemacht?

Lothar und Tante Regine hüsteln verlegen. Tante Regine dreht sich suchend um, aber wir entwischen ihr, sie bekommt uns nicht zu fassen. Lothar beugt sich vor, um einen Blick auf uns zu erhaschen. Vergebliche Mühe. Tante Regines Hinterteil ist so ausladend, dass wir ihrem Griff noch entkommen können. Michèle und Lothar geben sich, als würden sie gar nicht mehr versuchen, uns kennenzulernen. Vielleicht tun sie nur so?

Für einen kurzen Moment, Arno brabbelt vor sich hin, unterhalten sie sich, als tauschten sie Belanglosigkeiten aus: Auf Lothars Seite hat man viel deutsches Blut; die Sprache hat sich nicht verloren. Auf Michèles Seite sind die Wurzeln eher französisch. Aber man spricht die Sprache nicht mehr. Was den Broederbond, die Bruderschaft, betrifft, so ist man seit den allerersten Tagen Mitglied. Und auch in der Ossewabrandwag, der Ochsenwagenwache.

»Glücklicherweise hat die Nationale Partei die Wahlen gewonnen«, stellt Michèle fest.

Da sie uns immer noch nicht sieht oder vorgibt, uns nicht zu sehen, macht Michèle sich Hoffnungen auf Besseres als uns: »Und der kleine Junge? Wie heißt er?«

Tante Regine errötet: »Arno ist schon vergeben …«

Ein Stoß von Regine, und wie durch Zauberhand kommen wir hinter ihren Röcken hervor. Jetzt sind wir entdeckt. Kläglich senken wir unsere Köpfe, und du setzt wieder dein zittriges Lächeln auf. Ich stülpe meine wächserne Maske über. Der Himmel ist noch dunkler geworden. Er öffnet seine Schleusen. Im Regen verabschiedet sich Tante Regine von uns. Ihr Lebewohl ist herzzerreißend, so wie die Blitze am Himmel. Sie weint. Arno weint. Der Himmel weint. Du lächelst unter Tränen. Ich halte die Tränen unter dem Wachs meiner Maske zurück. Sterben, aber Stückchen für Stückchen, nicht wahr? Das ist es, was ich fühle.

Michèle und Lothar wissen nicht, wo sie sich angesichts dieses Tränenstroms verkriechen sollen.

Der Regen wird doppelt so stark. Er wird viermal so stark. Die Sintflut. Michèle öffnet einen Regenschirm und fordert uns auf, ihnen zum Auto zu folgen.

Sie gehen voraus, unter dem Schirm.

Wir gehen hinterher, im Regen.

***

Michèles Nägel sind rot, abgekaut an den Fingerspitzen, die sich um das Lenkrad krampfen. Das Lenkrad befindet sich auf der rechten Seite des Autos.

Ab und zu lässt sie es los, um sich das Haar zu richten, wobei sie gegen die Feuchtigkeit wettert. Auf dem Beifahrersitz summt Lothar vor sich hin, während er aus dem Fenster die Landschaft filmt. Das Fenster ist geschlossen. Und er singt falsch. Das ist komisch. Michèle mustert uns im Rückspiegel: »Ihr seht arg mitgenommen aus!«

Sie lächelt. Ich strenge mich an, ihr Lächeln zu erwidern. »Wir haben ein bisschen Bauchschmerzen, Madame.«

»Sag Mama zu mir, Wolfgang.«

Du nickst und beugst dich folgsam zu ihrer Kopfstütze hin: »Die Spätzle vom Schiff sind uns ein wenig auf den Magen geschlagen, Mama.«

Ohne dich zu beachten, durchbohrt mich Michèle im Rückspiegel mit ihrem Blick. Ich halte den Atem an, um nicht daran denken zu müssen, dass sie mich auf Herz und Nieren prüft. Lothar öffnet das Fenster. »Ist es so besser?«

Du sagst: »Ja, Papa.« Papa? Du übertreibst … Lothar ist nicht unser Vater!

Du lässt dich von der Landschaft gefangen nehmen. Das Auto fährt am Meer entlang. Auf der anderen Seite recken sich die Bergspitzen, die manchmal rund sind, in den Himmel. Verdutzt rufst du: »Ich wusste gar nicht, dass die Berge direkt am Meer wachsen!«

Lothar dreht sich zu dir um und lacht: »Wie Bäume?«

»Nein, Papa. Wie in der Schweiz.«

»Bist du schon einmal in der Schweiz gewesen, Barbara?«

»Nein, Papa. Ich habe sie auf den Ansichtskarten von Frau Pfefferli gesehen.«

Lothar lächelt dich zärtlich an. Er hat dich sehr lieb, glaube ich. Michèle erwartet, dass ich sie Mama nenne. Davon kann sie ewig träumen, darauf kann sie ihr ganzes Leben lang warten.

Die Landschaft wird trockener. Plötzlich wird es hügelig. Es gibt nur wenige Häuser. Es geht bergauf, bergab, um Kurven, über Kreuzungen, die Straßen führen in Windungen über die Hänge. Große Felsbrocken liegen in Graslandschaften. Man könnte sie für im Freien gemeißelte Skulpturen halten. Rosa Büsche suchen in ihrem Schatten Schutz. Das ist so großartig, dass einem schwindelig wird. Du bist hingerissen: »Das ist schön … wie schön das ist … das ist wahnsinnig schön …«

Lothar wirft dir durch den Spiegel verzückte Blicke zu. Das Auto überholt einen Pferdekarren. Er transportiert Weinfässer. Lothar fängt wieder an zu summen und filmt aus dem Fenster, während Michèle ungeduldig mit den Fingern auf das Lenkrad trommelt. Nach einer Weile wird sie wütend: »Schalte endlich die verdammte Kamera aus, Lothar!«

Er gehorcht, fängt aber wieder an zu summen, falsch. Michèle kocht vor Wut. Sie will den Mund aufreißen, Lothar soll den Schnabel halten, aber er kommt ihr zuvor. »Ich muss für den Chor üben.«

Wir fahren immer geradeaus auf Wegen, die nicht gerade verlaufen. Sie unterhalten sich miteinander in ihrer Sprache und glauben wohl, dass wir nichts verstehen. Aber ich verstehe alles. Michèle bedauert die Kinder, die in Deutschland zurückgeblieben sind. Lothar erzählt ihr eine Geschichte von einer Menge Geld, was dieses große Land vielleicht retten wird. Du und ich, wir haben Glück, darüber sind sie sich einig, denn welch elendes Leben hätten wir gehabt, wenn sie uns nicht vor den Engländern, den Juden und den Kommunisten gerettet hätten. Ich weiß nicht, was ein Kommunist ist. Wieder so ein komisches Wort.

Michèle belauert mich im Rückspiegel. »Bei eurer Abreise aus Hannover hättet ihr viel mehr sein müssen!«

Die anderen Waisen sind aber an deutsche Familien vermittelt worden. Drei Jahre nach dem Krieg sind nicht mehr so viele übrig. Vor allem keine Arier. Mit der Bruderschaft hat man sich ein wenig zu spät zusammengetan. Schade. Sonst wären wir jetzt zehntausend.

Michèle schaut mich an, und plötzlich bin ich für mich ganz allein zehntausend arische Waisenkinder. Mit zehntausend hätte ich Großartiges vollbringen können. Ergriffen sagt sie kaum vernehmlich: »Die Zukunft wird mit dem gebaut, was Gott uns heute gibt.«

Lothar kreuzt in der Sonnenblende deinen Blick. Liebevoll sagt er: »Ihr werdet bei uns glücklich sein.«

Ein Hinweisschild zeigt Franschhoek an. Das bedeutet »Franzoseneck«. Wir fahren auf der Avenue der Hugenotten. Wir kreuzen die Bordeaux-Straße.

»Da ist unsere Kirche«, sagt Michèle. »Links von euch.« Sie verspricht, uns dem Pastor vorzustellen. Er und seine Frau warten nur darauf. »Rechts von euch«, fährt sie fort, »seht ihr den Lebensmittelladen.«

»Und auf der anderen Seite den Coffeeshop!«, fügt Lothar hinzu. »Da gibt es leckere Limonaden.«

Jeden Donnerstag, wenn er aus dem Büro kommt, kehrt er dort ein.

»Euer Vater arbeitet die meiste Zeit zu Hause«, sagt Michèle. »Aber seine Familie hat Geschäftsräume in Kapstadt, und ab und zu fährt er dorthin.«

»Was ist dein Beruf, Papa?«, fragst du freundlich.

Sein Urgroßonkel hat in Kapstadt eine Versicherungsgesellschaft gegründet. Das war kurz nach der Schlacht am Blood River, als die Buren, die von Zulus umzingelt waren, von Gott auserwählt worden sind, den Sieg zu erringen. Sie haben dank ihrer Ochsenwagen gesiegt. Seitdem ist der Fluss rot von Blut und die Bruderschaft verehrt die Ochsenwagen. Aber das werden wir in der Schule lernen, die übrigens zwanzig Minuten Fußweg von zu Hause entfernt ist. Keine Sorge, da gehen wir erst hin, wenn wir die Sprache beherrschen.

»Bei euren Fähigkeiten«, sagt Michèle, »beherrscht ihr in zwei Monaten Afrikaans. Und ihr werdet eine ganze Reihe von Sprachen lernen!«

»Wir haben schon ein bisschen auf dem Schiff gelernt, Mama«, verkündest du stolz.

»Ihr habt außergewöhnliche Fähigkeiten«, ist Lothars Meinung.

Michèle zieht erst die eine, dann die andere Augenbraue hoch. »Wenn der Führer es geschafft hätte … in zwei oder drei Generationen …«

Lothar dreht sich zu dir um: »Dein Bruder und du, ihr kommt bald in Michèles Klasse, Barbie.«

Michèle ist Lehrerin. In ihren Mußestunden schreibt sie ein Buch über Pädagogik. Das bedeutet, dass sie etwas von Erziehung versteht. Das Auto passiert eine kleine Brücke, die über einen Fluss führt, bis es zu einem hohen eisernen Tor kommt.

»Wir sind da«, sagt Michèle und hält den Wagen an. Lothar steigt aus und öffnet das Tor.

Die Sonne dringt durch die Wolken und wirft einen langen Lichtstrahl auf die Felder. Mais folgt auf Weizen, Weinstöcke, so weit das Auge reicht, bis hin zu den Bergen, die das Tal umgeben. Du seufzt vor Glück: »Das sieht aus wie Wellen in allen Farben!« Über den Wellen erheben sich Obstbäume. Auf den Brachen der Abhänge grasen Kühe, Schafe und Schweine. Mir wird schwindelig. Fast übel.

Das Auto fährt langsam auf einem schmalen Weg aus roter Erde. In der Ferne wird ein großes Farmgebäude sichtbar. Es ist zwei- oder dreiundzwanzigmal größer als Heidis Bauernhof. Es ist aus weißem Stein, hat eine Veranda und blickt über Lagerhäuser und Betriebsstätten. Rings um das zweistöckige Farmgebäude sind Baracken errichtet worden, aus denen Menschen kommen, die nicht größer als Ameisen sind. Langsam fährt das Auto auf das Hauptgebäude zu. Von Weitem dringt Michèles Stimme zu mir. Sie spricht von einer Brennerei und einem Destillierapparat. Ich sehe schwarze Menschen.

»… Weinpresse aus dem 18. Jahrhundert …«, sagt Michèle.

Die Frauen tragen weiße Kopftücher. Mit ihren Geräten gehen sie auf die Felder. Die Männer tragen kurze Hosen mit Hosenträgern und manchmal Hüte. Sie stapeln Getreidesäcke auf einen Anhänger. Hühner laufen frei herum.

»… zwanzig Hektar …«, sagt Michèle.

Wir sind verblüfft. Ein paar Meter weiter oben fährt das Auto an einer kleinen Weide vorbei, wo ein Junge ein Lamm mit der Flasche füttert. Er ist schmächtig, hat einen hellen, sternförmigen Fleck auf der Stirn, und um den Hals trägt er eine Schnur mit einem Anhänger. Es ist ein eher grobes Holzkreuz, in das mit einem Messer etwas eingeritzt wurde, aber ich kann die Inschrift nicht lesen. Er lächelt uns an. Wir erwidern sein Lächeln. Er weckt ein seltsames Gefühl in mir.

Michèle hält vor einer Garage an, neben einem mit Weinfässern beladenen Lastwagen. Beim Aussteigen bemerkst du am Ende eines schmalen, eingezäunten Wegs ein kleines, baufälliges Haus, das abgeschieden auf einer Wiese steht.

»Gibt es darin Gespenster?«, fragst du.

Lothar sagt dir lachend, dass er noch keins gesehen hat. Aber er möchte Noahs alte Behausung eines Tages renovieren, damit wir alle vier dort wohnen können. Von all seinen Träumen ist das der teuerste.

»Träum nicht zu viel«, schneidet Michèle ihm das Wort ab. »Papa hat andere Pläne mit der alten Bude.«

Jemand sagt mit dröhnender Stimme: »Die Terre’Blanche werden auf der Farm geboren, und da wachsen wir auch auf!«

Ein Riese mit einem Zwicker erscheint auf der Freitreppe. Von gewaltiger Statur, Pranken statt Hände. Sein Name ist Jacob Terre’Blanche … Er ist dreiundsiebzig, sein Haar fast ganz weiß. Er trägt blaue Arbeitskleidung und kaut Tabak. Den spuckt er auf den Boden und kommt auf mich zu. Ich weiche drei Schritte zurück, und du lächelst, um dich in Erinnerung zu bringen. Michèles Vater packt mich und hebt mich hoch. »Da ist unser kleiner Boche!«

In seinen Armen bin ich eher eine kleine Feder.

***

Jacob gibt mir einen Kuss auf den Mund und stellt mich nicht wieder hin. Ich schwebe in einem Meter Höhe.

»Wir machen aus dir einen richtigen Afrikaaner!«

Jacob spricht ein katastrophales Deutsch, denn er ist Afrikaaner hugenottischer Abstammung. Michèle begrüßt ihren Vater beinahe ängstlich. Man könnte schwören, dass sie ihr ganzes Leben lang versucht hat, ihm zu gefallen, aber ohne Erfolg. Vielleicht kaut sie deswegen am Daumennagel. Du lächelst ihn an, ohne dass er dich sieht. Er lässt mich noch immer nicht los. Lothar umarmt seine Frau, als ob er sie beschützen will.

Ich hebe den Kopf, um Jacobs schwerem Atem zu entgehen. Er riecht nach Ziegenbock, was zusammen mit dem Tabak eine groteske Mischung ergibt. Ich verziehe das Gesicht zu einer hässlichen Grimasse, worauf Michèle mich schief ansieht: Sie will nicht, dass ich ihren Papa enttäusche. Oben am Bauernhaus sind Buchstaben eingraviert: Théophile TERRE’BLANCHE, Pastor aus Poitou, 1688.

Entzückt streichelst du die alte Weinpresse, die vor der Fassade aufgestellt ist.

»Sie stammt aus dem 18. Jahrhundert«, sagt Michèle leise. Seltsam, wie schüchtern sie in Gegenwart ihres Papas sein kann.

»Aber sie hat schon seit geraumer Zeit keine Trauben mehr gepresst«, fügt sie hinzu und wartet auf Jacobs Zustimmung.

Die gibt er ihr nicht, stattdessen mustert er mich vom Kopf bis zu den Füßen. Ich scheine ihm zu gefallen. Er stellt mich wieder auf den Boden. Du bewunderst die Tiere, die auf den Weiden grasen, und den Traktor, der im Weinberg knattert. Du bist überwältigt. »Das ist wahnsinnig schön, Papa.«

Lothar wuschelt dir lächelnd durchs Haar, doch das scheint Michèle zu missfallen, die ihm einen vernichtenden Blick zuwirft. Dir verschlägt es den Atem angesichts all dieser Schönheit: »Werde ich mich um all das kümmern, wenn ich groß bin?«

Jacob antwortet dir freundlich, aber unmissverständlich: »Liebling, wir werden einen Ehemann für dich finden.«

Michèle ordnet ihr Haar, obwohl es nicht in Unordnung geraten ist. Eine sehr schwarze Frau tritt aus dem Schatten. In einen blauen Kittel gekleidet, bringt sie ein Tablett voller Erfrischungen. Auf ihrer Stirn hat sie einen sternförmigen Fleck. Der Junge von vorhin hatte den gleichen. Ich könnte ihr Alter nicht einschätzen, doch sie ist nicht mehr jung. Noch nie hatte ich einen schwarzen Menschen aus dieser Nähe gesehen. Du auch nicht. Wir starren sie mit offenem Mund an. Sie hat einen Namen, sie heißt Graça. Mit einem Lächeln, das breiter ist als ihr Gesicht, serviert Graça uns eine Limonade und zieht sich ins Dunkel zurück, aus dem sie gekommen ist.

Ich tauche meine Lippen in mein Glas, und plötzlich pickt etwas an meinen Haaren. Es muss ein Vogel sein, denn es hat Federn. Aber es steht auf langen Stelzen und hat einen sehr langen Hals: eine Mischung zwischen Huhn und Giraffe. Ich nehme Reißaus. Du lachst, und Jacob fährt Michèle an: »Wie kann er Angst vor Straußen haben?«

Michèle senkt den Blick und stammelt eine Entschuldigung, sie verspricht, dass sie etwas aus mir machen wird.

»Fang damit an, das Auto in die Garage zu stellen«, raunzt Jacob.

Lothar legt den Arm um Michèle, als sie zum Auto gehen, um es in eine riesige, völlig unaufgeräumte Garage mit einer alten Werkbank zu fahren. In einer Ecke ein Strohsack, an seinem Kopfende ein Tischchen mit einer Petroleumlampe darauf.

»Vielleicht sind sie zu alt?«, fragt Michèle, die Stirn in Falten.

»Aber nein«, sagt Lothar.

»Und wenn ich es nicht schaffe, eine gute Mutter zu sein?«

»Das wirst du bestimmt«, sagt Lothar. Er fügt hinzu, dass der Junge, ich, dem Schwiegerpapa schon gefällt. Daraufhin zieht er sich in sein Büro zurück, das er sich zwischen Küche und Garage eingerichtet hat.

Michèle zeigt uns unsere Zimmer im ersten Stock. An manchen Stellen knarrt der Parkettboden. Unsere Zimmer sind durch ein uraltes Badezimmer getrennt und riechen muffig, doch in jedem stehen ein großes Bett, ein beachtlicher Schrank und ein Nachttisch mit einer Bibel, einer Kerze und einer Schachtel Streichhölzer. Wir verfügen über einen kleinen Schreibtisch, an dem wir unsere Hausaufgaben machen können. Du hast zusätzlich eine Frisierkommode. Unsere Fenster sind auf derselben Hausseite, über der alten Weinpresse. Sie gewähren einen einmaligen Blick auf die Berge und das Tal. Auch auf das kleine Haus, Noahs alte Bruchbude, am Ende des eingezäunten Wegs. Jacob, Lothar und Michèle schlafen eine Etage über uns, erzählt uns Michèle. Und unter dem Dach ist für uns verboten.

Deine Augen leuchten vor Dankbarkeit. Ich kann mich nicht freuen. Ich fühle mich eingesperrt, ich möchte fort, mit dem Schiff fortfahren.

»In zehn Minuten wird das Abendessen serviert«, sagt Michèle.

Sie empfiehlt uns, unsere Zimmer zu lüften, und macht kehrt. Ihre Absätze klappern die Treppe hinunter. Die Stufen quietschen, als hätten sie Rheuma und als täten Michèles Absätze ihnen weh. Du setzt dich auf mein Bett. »Wenn du Angst hast, allein zu schlafen, bleibe ich bei dir.«

Nicht, dass ich Angst hätte, allein zu schlafen, ich will gar nicht schlafen. Was dich betrifft, du hast vor nichts Angst und stellst dir keine Fragen. Auf die Idee, mit dem Schiff die Rückreise anzutreten, kommst du nicht. Du stellst dein Gepäck in deinem Zimmer ab.

Ich lehne mich aus dem offenen Fenster, von wo aus ich die schwarzen Ameisen sehe. Sie kehren von den Weinbergen zurück zu ihren Unterkünften. In einem Schuppen dahinter wartet ein Mähdrescher. Ich fühle mich allein. Du bist ganz nah, scheinst aber weit weg zu sein. Ich höre deine Schritte auf der Treppe und dann die Stille. Ich denke an Heidi. An die Versprechen, die wir uns gegeben haben.

Und dann habe ich Kopfweh.

Hand in Hand mit Lothar gehst du unter meinem Fenster herum. Er erzählt dir von einem Lamm, das vor Kurzem seine Mutter verloren hat. Ihr habt gerade noch Zeit, dem Waisenkind vor dem Abendessen Guten Tag zu sagen.

***

»Das ist Straußenfleisch«, verkündet Michèle stolz.

Das Fleisch lappt über große Teller mit Blumenmuster, Stiefmütterchen. Kürbisse, Kartoffeln, Karotten und Mais werden dazu serviert, Schnaps, der vor Ort gebrannt wird, und Wein vom letzten Jahr. Was Gott dir gibt, bist du verpflichtet, zu trinken und zu essen. Aber wir schaffen es nicht, es ist zu viel, wir rühren unser Essen kaum an.

»Schmeckt es nicht?«, sorgt sich Michèle.

»Doch, Mama, es schmeckt sehr gut.«

Du zwingst dich zu essen, um ihr zu beweisen, dass wir sie lieben, aber ich bringe nichts herunter. Ich entschuldige mich: »Im Waisenhaus waren unsere Teller kleiner.«

Michèle legt mitfühlend ihre Stirn in Falten.

»Und es gab meist Haferbrei«, erklärst du.

Darauf bedacht, uns zu trösten, kündigt sie an, dass es zum Nachtisch Milchschnitten gibt: »Graça hat sie mit einem Straußenei zubereitet.«

Lothar scheint sich zu freuen. Am Tischende kaut Jacob seinen Tabak, eine Serviette um den Hals, einen Spucknapf neben seinem Teller. Alle zwei bis drei Minuten macht er von ihm Gebrauch. Während du dir den Magen verdirbst, schaue ich zur Decke, an der ein Kronleuchter hängt. An der Wand hängt in einem Rahmen ein vergilbtes Blatt.

»Mir scheint, Gott hat es gefallen, mich in die Wüsten Afrikas zu senden und mir sehr schwere Prüfungen aufzuerlegen, weil er mich zu diesem Werk befähigen wollte. David und die anderen heiligen Männer Gottes haben die meisten ihrer Lieder in Wüsten und unter großen Heimsuchungen verfasst.«

Théophile Terre’Blanche, 1693

»Théophile hat das nach seiner ersten Weinlese geschrieben!«, ruft Jacob aus, überglücklich, mich lesen zu sehen. »Fünf Jahre hat er dafür gebraucht.« Er beißt mit aller Wucht in ein großes Stück Kürbis und spricht mit vollem Mund weiter: »Kleiner Boche, nach dem Abendessen verschließt du das Tor unten am Weg.«

Dieses Tor, ich weiß nicht, wo es ist, und ich habe keine Ahnung, was es mit dem Weg auf sich hat. Mein Magen krampft sich zusammen, ich esse immer noch nichts. Peinlich berührt, räuspert sich Michèle, zögert aber, etwas zu sagen. Schließlich legt sie ihre Hände flach auf die Tischdecke: »Vorhin beim Gebet hast du deine Augen nicht geschlossen, Wolfgang. Gott sieht alles …«

Wenn sie es gesehen hat, waren auch ihre Augen geöffnet.

»Gott sieht auch Sie, Madame.«

Verlegen macht Michèle sich an ihren Locken zu schaffen, sie sucht den Blick ihres Mannes. Lothar ist in einen Traum versunken, aber es fällt ihm leicht, daraus aufzuwachen. Jacob beobachtet mich mit einem Lächeln. Ich komme mir vor wie ein Kalb. Oder wie eine Karotte, die geschält werden soll.

»Du wirst der siebte Terre’Blanche sein.«

»Schultz …«, berichtigt ihn Lothar mit erstickter Stimme.

Ohne seinen Schwiegersohn zu beachten, zählt Jacob an seinen Fingern auf: »Théophile, Simon, Daniel, Petrus, Étienne, ich … und du. Der siebte!« Er fügt hinzu: »Du denkst daran, das Tor zu schließen, nicht wahr, Kleiner Boche?«

Ein Schauer läuft mir den Rücken herunter. »Ja, Mon…«

»Sag Großpapa Jacob zu mir, Kleiner Boche.«

»Ja, Monsieur.«

Ich finde das Tor nicht in meinem Kopf, ich erinnere mich nicht an den Weg. Du, du bist bleich, weil du dich am liebsten übergeben würdest. Zu viel gegessen. Niemand lobt dich dafür. Abgesehen von Lothar, der dich manchmal anlächelt, haben alle am Tisch vergessen, dass du auch da bist. Man fragt sich, warum sie dich adoptiert haben. Vielleicht hatten sie keine andere Wahl. Mit den Eiern ist es dasselbe. Wenn du eins brauchst, musst du ein Dutzend kaufen.

Jacob zieht ein Schlüsselbund aus seiner Tasche, nimmt zwei Schlüssel ab, gibt sie mir und ernennt mich zum Wächter von Noahs kleinem Haus. Meine Aufgabe: das Tor verriegeln. »Und pass auf, dass sich niemand dort herumtreibt!«

Ich wage nicht zu fragen, warum. Du schon: »Warum?«

Jacob grummelt etwas Unverständliches. Seine Stimme wird undeutlich, als hätte er einen Kloß im Hals. »… in diesem … und dann … Haus … Maria … damals gestorben …«

Michèles Lippen beginnen zu beben, die Zeit scheint stillzustehen. Lothar lockert seinen Hemdkragen, weil er zu ersticken droht. Schließlich benutzt Jacob seinen Spucknapf, und du fragst, ob du die Toilette aufsuchen darfst. Michèle lehnt ab.

»Bleib sitzen, Barbara … bis wir mit dem Abendessen fertig sind.«

Es fällt dir nicht ein zu protestieren. Nur Lothar scheint Mitleid mit dir zu haben. Nach einer Weile nimmt er eine Pillendose aus seiner Tasche und schluckt eine Tablette.

»Mein Schwiegersohn hat so ein schwaches Herz!«, sagt Großpapa Jacob lachend. Ein tiefer Seufzer, dann beugt er sich vor zum Fenster. »Wicus hat sich heute Abend beim Essen nicht zu uns gesellt. Das ist nicht seine Art …«

»Dein Hund kommt lieber zum Dessert«, lacht Lothar.

»Er sollte schon da sein«, sorgt sich Jacob. »Ich werde ihn holen.«

»Und deine Versammlung bei der Bruderschaft?«, wirft Michèle ein.

Später ist die Nacht so tiefschwarz und zähflüssig wie Teer. Ich folge dir auf dem Fuß: Im Gegensatz zu mir kennst du den Weg und das Tor. Es führt auf die Wiese, wo das kleine Haus steht, das, wenn Lothars Traum sich erfüllt, unser Nest werden soll.

»Ich bin sicher, dass es hier Geister gibt«, amüsierst du dich.

Mich beunruhigen eher die Löwen. »Schnell! Bevor die Löwen kommen!«

Löwen jagen des Nachts ganz in der Nähe von Farmen. Das weiß jeder. Aber du, unbekümmert, wie du bist, du bleibst zurück und bestaunst die Sterne am Himmel. Ich ergreife deine Hand und ziehe dich fort. Da kommt dir eine komische Idee: »Was, wenn wir nach dem Lämmchen sehen würden?«

»Dein Lämmchen schläft! Verschwinden wir, bevor die Löwen kommen!«

Plötzlich ein Fiepen. Wir machen einen Hechtsprung rückwärts, ich schätze, drei Meter, unsere Herzen schlagen bis zum Hals. Wir ducken uns hinter dem Zaun, am ganzen Körper zitternd, blicken wir uns an.

Die Silhouette eines Löwen, schon ganz nah, bewegt sich auf uns zu und wird immer größer. Wir schreien wie mit einer Stimme. »Löwen! Löwen!«

Unsere Schreie klingen so schrecklich, dass das Tier langsamer wird. Es zögert, uns zu verschlingen: Es hat noch nie zuvor Waisenkinder gefressen und schon gar keine arischen. Eingehüllt in den Mantel der Nacht, sieht es furchterregend aus. Doch wie feige es ist … Man sieht es nicht. Wir können ihn nur erahnen, den Löwen, und seine Feigheit. In unserem Rücken dröhnt eine Stimme: »Kleiner Boche!«

Jacob schwenkt eine Petroleumlampe: »Wie kannst du nur Angst vor Wicus haben!«

Unser Löwe zeigt sich im Licht der Flamme. Es ist ein Hund. Ein alter, löwenfarbener Hund. Ein Ridgeback, wie es scheint. Wieder so ein komisches Wort. Das Tier ist fast so groß wie wir und doppelt so alt. Trotzdem hat es Angst vor unserem Geschrei. Es hat sich zu Jacob geflüchtet und wedelt mit dem Schwanz, als er es streichelt. Es ist ein Männchen. Natürlich ist es ein Männchen. Was würde Jacob mit einem Weibchen anfangen?

***

Allein in einem riesigen Gehege, in dem Strauße leben, erspähe ich einen mit Futter gefüllten Trog. Ich soll diese verdammten Vögel füttern. Stell dir meine Verzweiflung vor, während ich auf meinem großen Stein sitze. Der Junge von neulich mit dem Stern auf der Stirn springt über den Zaun, windet sich an mir vorbei und lächelt. Er ist wirklich nicht groß. Selbst im Sitzen bin ich größer als er. Aber ich muss zugeben, dass ich ein bisschen Angst habe. Er verschwindet in einer Scheune und stöbert darin herum. Ich habe mich noch immer nicht von der Stelle gerührt, als er mit einer Sammlung Harken wieder herauskommt:

»Stimmt was nicht?«, sagt er zu mir.

Er spricht eine afrikanische Sprache gemischt mit Afrikaans. Sein Akzent ist sehr speziell, und ich bin mir nicht sicher, ob ich verstehe, was er sagt. Ich zucke ratlos mit den Schultern. Unentschlossen hantiert er mit seinem kreuzförmigen Anhänger herum, der an einer Kette hängt, einem einfachen Stück Schnur. Darauf sind Buchstaben eingraviert, aber es gelingt mir nicht, sie zu lesen. Schnell begreift er und beugt sich leicht vor, damit ich sie entziffern kann. »Than … do?«

Er nickt begeistert und wiederholt Silbe für Silbe in der richtigen Aussprache: »Than-do.«

Beschämt flüstere ich: »Ich habe keine Ahnung, wie man Vögel versorgt.«