Illustrierte Offenbarung - Heike Stöcklein - E-Book

Illustrierte Offenbarung E-Book

Heike Stöcklein

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Beschreibung

Mitte des 15. Jahrhunderts kommt es im Zuge des Buchdrucks zu Herstellung und Vertrieb der ersten Bibeln in deutscher Sprache. 1522 erscheint dann Martin Luthers Übersetzung des Neuen Testaments und findet große Verbreitung. Die spätmittelalterlichen und die reformatorischen Bibeln eint, dass sie im Neuen Testament ausschließlich Illustrationen für die Offenbarung des Johannes aufweisen. Diese Holzschnitte zu untersuchen, sie nach ihren Bildinhalten, -aussagen und ihrem historischen Kontext zu fragen, ist Aufgabe und Ziel des vorliegenden Werkes. Illustrated Revelation. Woodcut Illustrations of the Apocalypse of John in German Bibles. In the middle of the 15th century, in the course of the development of letterpress printing, the first bibles were produced and distributed in German language. 1522 Martin Luther's translation of the New Testament is published and widely distributed. The late medieval and reformatory Bibles have in common that in the New Testament they contain only illustrations of the Revelation of John. It is the aim of the present work to examine these woodcuts and to explore their pictorial content and statements within their historical context.

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ARBEITENZUR KIRCHEN- UND THEOLOGIEGESCHICHTE (AKTHG)

Begründet von

Helmar Junghans, Kurt Nowak und Günther Wartenberg

Herausgegeben von

Klaus Fitschen, Wolfram Kinzig, Armin Kohnle und Volker Leppin

Band 52

Heike Stöcklein

ILLUSTRIERTE OFFENBARUNG

HOLZSCHNITTILLUSTRATIONEN DER JOHANNES-APOKALYPSE IN DEUTSCHEN BIBELN

Heike Stöcklein, Dr. theol., Jahrgang 1988, studierte evangelische Theologie und Kunstgeschichte. Die Autorin wurde 2018 mit der vorliegenden Arbeit promoviert. Sie ist Vikarin der Evangelischen Kirche von Westfalen.

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der

Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

© 2019 by Evangelische Verlagsanstalt GmbH · Leipzig

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Cover: Zacharias Bähring, Leipzig

Satz: Steffi Glauche, Leipzig

E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH 2019

ISBN 978-3-374-06032-0

www.eva-leipzig.de

Meinen lieben Eltern

his amplius fili mi ne requiras faciendi plures libros nullus est finis frequensque meditatio carnis adflictio est

(Koh 12,12)

VORWORT

Das vorliegende Buch ist eine leicht überarbeitete Version meiner Dissertationsschrift, die 2018 an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster eingereicht und angenommen wurde.

Mein herzlicher Dank gilt Professor Dr. Albrecht Beutel, der meine Arbeit mit offenen Ohren, anhaltender Hilfestellung und präzisen Anmerkungen begleitet und das Erstgutachten erstellt hat. Sowohl sein Interesse als auch seine wohlwollende Unterstützung gaben mir neue Anregungen sowie Sicherheit und Zuversicht, den eingeschlagenen Weg frohgemut weiter zu beschreiten. Dankbar bin ich auch dem Zweitgutachter Professor Dr.Konrad Hammann. Sein Blick für Details hat für den Endschliff der Arbeit gesorgt.

Ich danke Professor Dr.Volker Leppin und den Herausgebern für die Aufnahme in die Reihe »Arbeiten zur Kirchen- und Theologiegeschichte«.

Finanzielle Unterstützung erfuhr die Publikation durch einen namhaften Druckkostenzuschuss der Wilhelm-Julius-Bobbert-Stiftung Münster sowie der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Evangelischen Kirche von Westfalen.

Herzlich gedankt sei auch Jürgen Israel, der den Weg zur Drucklegung wesentlich erleichterte.

Ein Dank geht auch an Stefan Selbmann von der Evangelischen Verlagsanstalt Leipzig, der als zuverlässiger Ansprechpartner stets den Überblick behielt.

Die Dozenten und Teilnehmer des 40. Internationalen Wolfenbütteler Sommerkurses »Art, Reformation, and the Cult of Martin Luther« haben durch einen lebendigen, ermutigenden und hilfreichen Austausch zwischen Kirchen- und Kunstgeschichte für kostbare Impulse und Denkanstöße gesorgt.

Für unterschiedliche Hilfeleistungen, fachliche und nichtfachliche Diskussionen sowie Korrekturlesen danke ich sehr herzlich Dr. Anneliese Bieber-Wallmann und Dr. Susanne Barth.

Keine Namensauflistung kann den Anspruch auf Vollständigkeit erheben, denn zahlreiche Begegnungen, Diskussionen, Gespräche dies- und jenseits der wissenschaftlichen Welt haben Eindrücke und Spuren hinterlassen, die mich in den vergangenen Jahren begleitet und bereichert haben.

Besonders verbunden fühle ich mich Martin Cyprian Lenz und Malte Columbanus Taurat – Worte reichen nicht aus, um zu beschreiben, wie dankbar ich bin für Freundschaft, Verständnis, gemeinsames Lachen, Geborgenheit und Heimat.

Bielefeld, im Januar 2019

INHALT

Cover

Titel

Über die Autorin

Impressum

Vorwort

Einleitung

1Die begründete Quellenauswahl

2Das methodische Vorgehen

3Der Blick in die Forschung

IDIE OFFENBARUNGSILLUSTRATIONEN DER DEUTSCHEN BIBELN VON 1478 BIS 1522

1Vorstellung der ausgewählten Bibeln

1.1Der Druck der Bibel im Rahmen des Buchdrucks

1.2Die deutschen Bibeln

2Bildanalyse nach Motiven

2.1Der Tag des Zorns

2.1.1Die sieben Siegel

aDie vier Reiter

bDas fünfte und sechste Siegel

2.1.2Die sieben Posaunen

2.1.3Zwischenbilanz: Der sichtbare Zorn Gottes

2.2Die Widersacher Gottes

2.2.1Der vielköpfige Drache

2.2.2Die Hure Babylon

2.2.3Zwischenbilanz: Die altbekannten Widersacher in zeitloser Gegenwart

2.3Siehe, ich mache alles neu!

2.3.1Die Auserwählten

2.3.2Zwischenbilanz: Moralische Vorbilder allgemeiner Art

IIDEUTSCHE BIBELN 1522–1530

1Vorstellung der ausgewählten Bibeln

1.1Das sogenannte Septembertestament 1522

1.2Nachdrucke der Lutherbibel

1.3Altgläubige Bibeldrucke

1.4Offenbarungsillustrationen zwischen Schrift- und Kunstverständnis Luthers

2Bildanalyse nach Motiven

2.1Der Tag des Zorns im Septembertestament

2.1.1Die sieben Siegel

aDie vier Reiter

bDas sechste Siegel

2.1.2Die sieben Posaunen

aDie ersten vier Posaunen

bDie fünfte Posaune

cDie sechste Posaune

2.1.3Die gefallene Stadt Babylon

2.1.4Die Schalen des Zorns

2.2Der Tag des Zorns in den Nachdrucken

2.2.1Die sieben Siegel bei Burgkmair

aDie vier Reiter

bDas sechste Siegel

2.2.2Die sieben Posaunen bei Burgkmair

aDie ersten vier Posaunen

bDie fünfte Posaune

cDie sechste Posaune

2.2.3Die gefallene Stadt Babylon bei Burgkmair

2.2.4Die Schalen des Zorns bei Burgkmair

2.2.5Die Holzschnitte von Petri

aDie vier Reiter

bDie sechste Posaune

2.2.6Zwischenbilanz: Der Tag des Zorns als erwartetes Ereignis

2.3Die Widersacher Gottes im Septembertestament

2.3.1Der Drache und die zwei Zeugen

2.3.2Der Drache und die gebärende Frau

2.3.3Der Drache und der falsche Prophet

2.3.4Der Drache und die Hure Babylon

2.3.5Der Sturz des Drachen

2.3.6Die Bindung des Widersachers

2.4Die Widersacher Gottes im Nachdruck Burgkmairs

2.4.1Der Drache und die zwei Zeugen

2.4.2Der Drache und die gebärende Frau

2.4.3Der Drache und der falsche Prophet

2.4.4Der Drache und die Hure Babylon

2.4.5Der Sturz des Drachen

2.4.6Die Bindung des Widersachers

2.4.7Zwischenbilanz: Die Widersacher Gottes offenbart in der eigenen Gegenwart

2.5Siehe, ich mache alles neu! – Heilsaussichten in den Illustrationen des Septembertestaments

2.5.1Die Auserwählten

aDas fünfte Siegel

bDie Versiegelten

2.5.2Das Neue Jerusalem

2.6Siehe, ich mache alles neu! – Heilsaussichten in den Illustrationen Burgkmairs

2.6.1Die Auserwählten

aDas fünfte Siegel

bDie Versiegelten

2.6.2Das Neue Jerusalem

2.6.3Zwischenbilanz: Die Auserwählten als Ideal des Daseins als Christ

Ertrag

1Illustrationen als Mittel zur Kontingenzbewältigung

2Die Illustrationen der Offenbarung: Ein Medium zur Auseinandersetzung mit der Gegenwart

3Die Illustrationen der Offenbarung: Ein theologischer Kommentar

Abbildungsteil

Quellen- und Literaturverzeichnis

Weitere Bücher

Endnoten

EINLEITUNG

1DIE BEGRÜNDETE QUELLENAUSWAHL

Kunst1 entsteht nicht im luftleeren Raum. Kulturelle, politische, soziale und religiöse Zusammenhänge werden von Künstlern und Kunsthandwerkern in ihren Werken aufgegriffen und verarbeitet. Kulturhistorische Ereignisse wirken sich auf die Entstehung von Werken und Strömungen aus, ebenso wie auch kleinere, im Vergleich zu großen Veränderungen alltäglich erscheinende Stimmungen, Anschauungen und Weltdeutungen auf die Entstehung und Gestalt künstlerischer Werke Einfluss haben können. Kunstwerke verarbeiten mit verschiedenen Strategien eine Vielzahl von Kontexten und Beziehungsgeflechten. So geben sie eine besondere Deutung der Welt wieder.

Eine Auseinandersetzung mit Werken der bildenden Kunst, die gezielt nach theologischen Inhalten und Themen fragt, kann für die kirchenhistorische Arbeit fruchtbare Ergebnisse bringen.2Wie eine schriftliche Quelle kann auch eine Bildquelle3 ein Medium sein, um Überzeugungen, Sorgen, Ängste, Meinungen und Hoffnungen auszudrücken, um Positionen darzustellen, auf- oder abzuwerten, um zu polemisieren, zu informieren, um gesellschaftliche Stimmungen aufzunehmen und zu kanalisieren.4 »Das, was wir ›ein Kunstwerk‹ nennen, ist offensichtlich nicht das Ergebnis einer mysteriösen Tätigkeit, sondern ein Gegenstand, den ein lebendiger Mensch für andere lebendige Menschen gemacht hat.«5 Bild und Text vermitteln auf unterschiedliche Art gleiche Motive, sie sind aufgrund ihrer jeweiligen Eigenarten anderen formalen Kriterien und gestalterischen Möglichkeiten unterworfen.6 Strömungen, Traditionen und aktuelle Themen fließen ein in die Kunst; allein aus ihnen jedoch umfassende Zustände einer Gesellschaft erkennen und ableiten zu wollen,7 ergibt ebenso einen verengten Blick auf die Vergangenheit wie die ausschließliche Fokussierung auf schriftliche Quellen. Aus der umfassenden Bearbeitung und Interpretation von Schrift- und Bildquellen können verschiedene Facetten der vergangenen Lebenswelten einander ergänzend und weiterführend betrachtet werden.8

Die in der vorliegenden Arbeit zu untersuchenden Quellen sind allesamt Illustrationen zur Offenbarung des Johannes in deutschsprachigen Bibeln von 1478/79 bis 1530, die als Holzschnitte dem Text beigegeben sind.9 Mit ihnen liegt ein gleichbleibendes Medium vor, das in den unterschiedlichen Zeiten je eigenständige Kommentare zur Offenbarung des Johannes und der jeweiligen Entstehungszeit vorlegt.10 Die zeitliche Abgrenzung ergibt sich teils aus dem Quellenbestand selbst, denn 1478/79 erschien die erste Bibel, die mit dem Druck beweglicher Lettern hergestellt wurde und zugleich eine Bebilderung der Johannesoffenbarung aufweist. Das Jahr 1530 markiert in vielerlei Hinsicht einen geeigneten Abschluss des Untersuchungszeitraums. Von der ersten Ausgabe des sogenannten Septembertestaments11 1522 bis 1530 erschienen diverse Nachdrucke, einige autorisiert durch Luther selbst, andere nicht. Viele Ausgaben enthalten Illustrationen, die Kopien der Wittenberger Holzschnitte darstellen, diese waren demnach zahlreich in unterschiedlichsten Bibeln im Umlauf. Vereinzelt kam es jedoch auch dazu, dass zu Nachdrucken des lutherischen Textes neue, eigenständige Illustrationen angefertigt wurden. 1530 erschien dann eine von Luther neu revidierte Auflage des Neuen Testaments, in der sowohl die Vorreden12 als auch die Illustrationen überarbeitet waren, sodass letztere hier eine neue Illustrationstradition eröffnen. Mit der 1534 erschienenen Gesamtausgabe der Luther-Bibel, die wiederum neu illustriert wurde, wurde diese junge gestalterische Tradition fortgeführt. Sie fundamentiert sowohl den inhaltlich-theologischen als auch den künstlerisch-stilistischen Paradigmenwechsel. Dieser ergibt sich zum einen aus der nachweislichen Mitarbeit und Einflussnahme Luthers bei der Gestaltung der Illustrationen.13 Zum anderen wurden neue Holzschneider mit der Ausgestaltung der Buchillustrationen beauftragt,14 deren handwerklicher sowie künstlerischer Stil dazu beitrug, dass die neuen Holzschnitte ein eigenes Gepräge erhielten und von denen der Cranach-Werkstatt weitestgehend unabhängig waren.15

Auch die jenseits des Bibeldrucks liegenden Ereignisse und Phasen der Reformationszeit legen es nahe, die Untersuchung mit dem Jahr 1530 abzuschließen. Der Konflikt mit Rom, Bann und Reichsacht, Luthers theologische Positionierung und die beginnende politische Frontenbildung sind der Auftakt der zwanziger Jahre des 16. Jahrhunderts und legen die Grundlage für die Ereignisse des Jahrzehnts.16 Der theologische Streit zwischen dem Papsttum und Luther führte zwischen reformatorischem und altgläubigem Lager zum Bruch, der auch auf reichspolitischer Ebene Auswirkungen fand.17 Auseinandersetzungen mit Extrempositionen in theologischer Hinsicht schlossen sich einerseits in Gestalt der innerreformatorischen Phänomene wie der sogenannten Schwärmer in ihren unterschiedlichen Ausprägungen und Wirkorten an, andererseits prägten theologische Weichenstellungen in den Diskussionen mit den Oberdeutschen Reformatoren ebenso diese Zeit.18 Umbrüche, Veränderungen,19 erste vage Versuche, Stabilität20 und Ruhe in eine in Glaubensfragen unruhige Situation zu bringen, waren Herausforderungen und Themen der Jahre von 1520 bis 1530.21

Auf reichspolitischer Ebene kam es zu Bundesschlüssen, die durch sowohl religiöse als auch machtpolitische Gründe motiviert waren.22 Im Bauernkrieg23 zeigt sich exemplarisch, wie eng religiöse und gesellschaftlich-politische Themen miteinander verknüpft sind und sich Ausdruck verschaffen.24 Die dichten Beziehungsgeflechte gesellschaftlicher, politischer und religiöser Art bedingen einander. Dennoch kam es nach den stürmischen Jahren ab 1530 zu einer Zeit der Konsolidierung, in der die reformatorische Bewegung sich etablierte, weiter Ausbreitung fand und durch institutionelle Gestaltung und Organisation innere und äußere Festigkeit erhielt. So konnte weiteren Religionskriegen, Bündnissen und Irrlehren mit einem reformatorisch stabilen Selbstbewusstsein begegnet werden. Greifbar wird der Beginn dieser Phase durch den Augsburger Reichstag 1530 und die dort vorgelegte Confessio Augustana. Außenpolitisch stellte die Bedrohung durch die Wien belagernden Türken ebenfalls einen Einschnitt dar, der Auswirkungen auf innenpolitische Entscheidungen hatte und eine neue Phase der Reformationszeit eröffnete.

Die Bibelillustrationen von 1478/79 bis 1530 eint somit, dass sie in Zeiten der Neuerungen und Aufbrüche entstanden sind – für die Inkunabeln ist es der Beginn des Buchdrucks, der rasche Verbreitung fand und durchaus mit unterschiedlichen, teils ablehnenden Haltungen konfrontiert wurde. Die Illustrationen der frühen Reformationszeit entstanden in einer religiös und politisch unruhigen Zeit, in der sich allerdings der Buchdruck als handwerkliche Methode etabliert hatte. Zugleich stehen alle Illustrationen der Offenbarung mit ihrer Entstehungszeit in einer Übergangszeit, zwischen dem, was als Mittelalter und beginnende Neuzeit bezeichnet wird. Vor dem Hintergrund der technischen und gesellschaftlichen Neuerungen, der geographischen Veränderungen, die sich ankündigen und neue Horizonte eröffnen, wird zu fragen sein, ob und wie derartige Strömungen in die Bibelillustrationen eingeflossen sind und die Offenbarung zum Ausdruck von Weltdeutung und Kontingenzbewältigung dient.

2DAS METHODISCHE VORGEHEN

Bilder lassen sich wie Texte lesen – diese Grundvoraussetzung gilt nicht allein für die vorliegende Untersuchung, sondern ist auch die Prämisse der gewählten Methode nach ERWIN PANOFSKY (1892–1968).25 Sein Modell der ikonographisch-ikonologischen Interpretation hat er in den Dreißigerjahren des 20. Jahrhunderts vorgelegt und 1955 leicht überarbeitet. Bis in die heutige Gegenwart ist es ein populäres Analyseschema der wissenschaftlichen Kunstgeschichte.26 Da stilkritische Arbeiten zu den Illustrationen der Offenbarung bereits existieren, kann auf diese Erkenntnisse dankbar zurückgegriffen werden. Daher kann sich diese Arbeit ganz der Auseinandersetzung mit den Illustrationen, ihren Inhalten und theologischen Implikationen widmen.

Der Lesbarkeit von Bildern liegt die Annahme zugrunde, dass ein Betrachter sie lesen kann. Wie sie gelesen werden, unterscheidet sich dadurch, welche Vorbedingungen der Betrachter mitbringt, also seinen sozialen Status, Bildung, Kenntnisse oder Wissen.27 Die Unterschiede zwischen den medialen Bedingungen und Verfügbarkeiten von Mittelalter und beginnender Neuzeit hin zur Moderne sind enorm und legen die Vermutung nahe, dass auch die Betrachtung und Wahrnehmung von Bildern und Bildinhalten in den verschiedenen Epochen unterschiedlich waren und somit Bilder eine andere Wirkung im Rahmen der Lebenswirklichkeit haben konnten. Unabhängig von jeder Epoche und ihren Besonderheiten gilt aber, dass sich in Begegnung von Bild und Betrachter mannigfache Perzeptions- und Rezeptionsvorgänge vollziehen.28

Die Untersuchung der Bibelillustration orientiert sich methodisch an PANOFSKYS29 Modell der ikonographisch-ikonologischen Interpretation. Zunächst erfolgt eine Beschreibung der Holzschnitte, die bemüht ist, das Dargestellte mit möglichst objektiver Erfassung zu benennen.30 Sodann schließen sich die ikonographische Beschreibung und die ikonologische Interpretation an. Die Interpretation verbindet ikonographische Motive, Symbole und Bildbestandteile mit dem Text der Offenbarung und fragt, welche Inhalte ausgewählt und umgesetzt wurden und was das für die Illustration und ihre Textauslegung bedeutet. Darüber hinaus soll versucht werden, zu erklären, wie theologische, kirchenhistorisch relevante und gesellschaftliche sowie politische Tendenzen und Themen in den Illustrationen bewusst oder unbewusst ausgedrückt werden.31 So soll, im Sinne PANOFSKYS, die geistesgeschichtliche Stellung und Bedeutung der Offenbarungsillustrationen in der Einbeziehung der vielfältigen Beziehungen herausgearbeitet werden. Grundlegend ist freilich, die Illustrationen und die in ihnen verarbeiteten Strömungen in ihrem unmittelbaren Entstehungszeitraum zu verstehen und auch danach zu fragen, welche Anknüpfungspunkte sich für den damaligen Rezipienten ergeben haben. Der Bearbeitung und Interpretation der Illustrationen werden auch ausgewählte schriftliche Quellen zur Seite gestellt, die thematische Aspekte aufgreifen und jenseits der graphischen Umsetzung erläutern.

Um die Illustrationen auf einer inhaltlich vergleichbaren Ebene zu untersuchen, werden sie jeweils einem von drei Motiven zugeordnet, die sich thematisch aus der Offenbarung selbst ergeben: Unter das Motiv des göttlichen Zorns fallen insbesondere die dargestellten Szenen der Zorneszyklen wie die Siegelöffnung, die Posaunen oder die Schalenausgießung. Hier sind vor allem die Fragen danach zentral, wie der göttliche Zorn bildlich umgesetzt und ausgedeutet wird, welche Personen als Betroffene dargestellt sind und wer verantwortlich oder ausführend im Katastrophenszenario ist. Ein anderes Motiv sind die Widersacher Gottes, die je unterschiedlich in den Illustrationszyklen dargestellt werden und daher für die Untersuchung relevant sind. Abgerundet wird die Bearbeitung mit der Betrachtung des eschatologischen Ausblicks auf das Neue Jerusalem und die Auserwählten, die im Verlauf der Offenbarungsereignisse vom göttlichen Zorn ausgenommen waren.

Mit diesen Motiven ist einerseits ein großer Teil der Handlung der Offenbarung in die Untersuchung einbezogen, und andererseits können Bezüge und eingeflossene Tendenzen anhand der thematischen Orientierung und methodischen Schritte in den Illustrationen offengelegt werden.

3DER BLICK IN DIE FORSCHUNG

Bibelillustrationen des späten Mittelalters und der beginnenden Reformation stehen als Quellen im Schnittpunkt verschiedener historischer Forschungsbereiche,32 einzelne Aspekte müssen daher, um sich dem Gesamtbild annähern zu können, zusammengetragen werden.33 Die Bibliothekswissenschaft hat sich um die Erforschung der Drucktechnik und ihrer ersten Erzeugnisse verdient gemacht, der sogenannten Inkunabeln, zu denen auch die deutschen Bibeln vor Luther zählen.34 Im Rahmen kunsthistorischer Fragestellungen wurde da, wo es nicht bekannt war, nach den Künstlern hinter den Holzschnitten gesucht oder Stilkritik betrieben.35 Um die Bildquellen in ihren gesellschaftlichen, sozialen und religiösen Kontext einordnen und verstehen zu können,36 sind Ergebnisse der historischen Forschung grundlegend und sollen herangezogen werden, wo sie in direktem Bezug auf die Illustrationen aussagekräftig sind.37 Theologische Themen38 ergeben sich insbesondere aus den jeweiligen Inhalten der Illustrationen39 und ihren Kontexten, sodass hier lohnend einzelne Stichworte erarbeitet und weiterverfolgt werden konnten.40

Aufgrund dieser Fülle der Forschung, die die Auseinandersetzung mit den Illustrationen der Bibeln bereichert, soll im Folgenden der Schwerpunkt auf jenen Arbeiten liegen, die sich unmittelbar mit den Illustrationen der Offenbarung der deutschen Bibeln befasst haben.41 Die Holzschnitte der deutschen Bibeln vor Luther wurden besonders in der Kölner Bibel von 1478/79 kunsthistorisch untersucht, allerdings ohne den Offenbarungsillustrationen intensive Aufmerksamkeit zuteilwerden zu lassen. HILDEGARD REITZ fragt, auf den Ergebnissen der grundlegenden Arbeit von KAUTZSCH42 aufbauend, nach den Meistern der Holzschnitte und stellt das Bildmaterial Erzeugnissen aus verschiedenen Bildkreisen und stilistischen Gruppen gegenüber, um sich dem Ursprung der Kölner Schnitte zu nähern.43 Sämtliche Holzschnitte der Kölner Bibel wurden in Hinsicht auf Bildinhalt und -komposition betrachtet, sodass hier eine erste grundlegende Darstellung der Offenbarungsillustrationen vorliegt, jedoch wurde keine tiefergehende Analyse angeschlossen. REITZ konnte so aufzeigen, dass die Holzschnitte dem Text gemäß gestaltet sind und ihm ähneln.44 Dort, wo über den Text hinaus illustriert wurde, ist »auch der Ernst des Bibelwortes episodenhaft erweitert, aber nicht verfälscht«.45 Das Verhältnis von Text und Holzschnitten wird von ihr als gleichberechtigt eingeschätzt, die Illustrationen erfüllen demnach keinen marginalen dekorativen Zweck, sondern sollen den Blick des Betrachters anziehen und fordern zur Auseinandersetzung auf.46

Den Lutherbibeln wurde in der Forschung weitaus mehr Aufmerksamkeit zuteil als den vorlutherischen Bibeln. Dieser Umstand hat zur Folge, dass Urteile über die Illustrationen der Offenbarung kritiklos tradiert werden, ohne dass die Holzschnitte selbst herangezogen werden. So fällt auf, dass aus den Illustrationen des Septembertestaments vornehmlich die wenigen, die deutliche papstpolemische Motive enthalten, herangezogen werden, um eine »ausgesprochene Kampfabsicht«47 des gesamten Zyklus zu behaupten. Die Beurteilung der Offenbarungsillustrationen als »Bilderkampfbuch«48 begegnet in der Forschung des vergangenen Jahrhunderts besonders prägnant bei GRISAR/HEEGE und wird seitdem durchaus pauschal als Vorerwartung an die Holzschnitte herangetragen, die eine tiefergehende Auseinandersetzung ersetzt. Problematisch bei GRISAR/HEEGE ist insbesondere das selektive Vorgehen, da nur einzelne Holzschnitte des Zyklus ausgewählt und vorgestellt werden.49 Zudem scheinen die beiden Autoren ohne Prüfung der objektiven Bildbetrachtung zur Deutung der Darstellung zu gelangen und reduzieren so die ausgewählten Illustrationen auf ihre Polemik, um dann ein verallgemeinerndes Urteil in Bezug auf sämtliche Holzschnitte zur Offenbarung zu fällen. Zudem vergleichen auch sie die Illustrationen aus dem Septembertestament qualitativ mit denen Dürers und sprechen ersteren dadurch ihren Eigenwert ab.50

Dass sich dieses einseitige Urteil in der weiteren Forschung fortsetzt, zeigt sich bei PH. SCHMIDT,51 der im Rahmen einer ausführlichen Sammlung der Illustrationen verschiedener Lutherbibeln von 1522 bis 1700 diese jeweils mit ikonographischen Analysen und Deutungen versehen hat. Sein Schwerpunkt liegt nicht auf einer stilkritischen kunsthistorischen Betrachtung, sondern auf theologischen und exegetischen Fragestellungen.52 Aufgrund des weiten Untersuchungszeitraums und des Anspruchs »bibliographische[r] Vollständigkeit«53 fallen Einzeluntersuchungen insbesondere im Falle der Offenbarung im Septembertestament einer Pauschalisierung zum Opfer, die in einer thematischen Engführung der Illustrationen und ihres Aussagegehalts endet. Für das Septembertestament scheint SCHMIDT sich zu bemühen, zeitgenössische Anspielungen zu suchen und mit Persönlichkeiten der Reformationszeit zu füllen, auch um nachzuweisen, dass Lucas Cranach d. Ä. ein Anhänger der radikalen Reformation war und dies in den Illustrationen zum Ausdruck brachte.54 Dass diese Einseitigkeit in der Interpretation der Holzschnitte nicht eindeutig ist und argumentativ schwer haltbar, ist an SCHMIDT in der Folgezeit durchaus zu Recht kritisiert worden.55

SCHMIDT schließt sich in seiner Deutung der papstpolemischen Motive GRISAR/HEEGE an, schränkt allerdings die Einschätzung der Holzschnitte als protestantische Kampfbilder ein und erwähnt am Rande und ohne weitere Argumentation, dass die Holzschnitte der Offenbarung eine tröstende Funktion haben sollen – überschattet wird diese Randnotiz durch die Behauptung, dass politische Zeitgenossen Luthers in den Illustrationen zu finden seien.56 SCHMIDT hat es unterlassen, der Frage nachzugehen, welchen Sinn und welche Wirkung diese Aktualisierungen haben konnten, sodass seine These neben den mangelnden Belegen und Vergleichsmaterialien auch in ihrer Sinnhaftigkeit fraglich bleibt. Auch auf Nachdrucke der Bibel, denen andere Illustrationen beigegeben wurden, geht SCHMIDT ein. Hier fallen allerdings die Untersuchungen wesentlich kürzer aus. Illustrationszyklen wie die von Hans Burgkmair57 werden einem impliziten Vergleich mit denen des Septembertestaments ausgesetzt. Tendenziös und fragwürdig bleibt SCHMIDTS Vorgehen, die Illustrationen, die nicht von Cranach stammen und nicht polemisch oder zeitgeschichtlich aufgeladen sind, als »katholisch«58 zu bezeichnen. SCHMIDT unterlässt es, zu erklären, wie er diese Wertung inhaltlich definiert. Aus dem Kontext wird jedoch deutlich, dass für ihn katholisch mit banal, inhaltslos oder bedeutungslos gleichgesetzt werden kann.59 Diese Abwertung und Beurteilung ist sachlich problematisch und unterstreicht seine subjektive Bevorzugung der lutherischen Illustrationen. Dennoch ist es SCHMIDT zu verdanken, dass die Illustrationen der Lutherbibel in ihrer theologischen Relevanz wahrgenommen wurden. Durch seine Arbeit zeigt er, dass auch Illustrationen eine für kirchenhistorische Fragestellungen ergiebige Quelle darstellen.

1983 legte dann PETER MARTIN eine kunsthistorische Arbeit vor, die sich ausschließlich den Offenbarungsillustrationen der Lutherbibel widmen sollte.60 Ziel war es, auch den theologischen Gehalt der Schnitte zu ermitteln.61 MARTIN stellt sämtliche Illustrationen des Septembertestaments vor, jedoch nur im Vergleich mit Dürers Apokalypsezyklus von 1498, und wertet dementsprechend erstere auch da ab, wo er ihre Unabhängigkeit unterstreichen will, weil er es versäumt, ihren eigenen Aussagegehalt genauer zu untersuchen und zu würdigen.62 Methodisch fragwürdig ist zudem das anachronistische Vorgehen, da Aspekte der Illustrationen von 1522 entweder willkürlich mit neu erstellten Illustrationen der Bibelausgaben von 1530 und 1534 verglichen und begründet werden oder ebenso beliebig Aussagen Luthers nach 1530 herangezogen werden, um Beobachtungen bei den Illustrationen der zwanziger Jahre zu begründen.63

MARTIN geht fraglos davon aus, dass der frühe Luther schon gedacht habe, was erst der alte Luther formuliert. Diese Argumentation geschieht, ohne dass der historische Kontext und die sich darin verändernden Ereignisse und Anforderungen beachtet werden. Die Auseinandersetzung damit, dass Luther als Theologe und speziell als Exeget der Offenbarung Verstehensprozesse und Erkenntnisgewinne durchlebt hat, fehlt der Untersuchung. Außerdem verbindet MARTIN die theologischen Schwerpunkte Luthers nicht in der direkten Auseinandersetzung mit den Illustrationen, sondern lässt lediglich auf den Vergleich der Illustrationen mit Dürer einen Abriss lutherischer Theologie folgen, der summarisch insbesondere die Grundlinien von Luthers Ekklesiologie vorstellt – eine Kontextualisierung mit den Inhalten oder der Motivik der Illustrationen erfolgt nicht.64 Es fehlt eine fruchtbare Verbindung von kunsthistorischer und kirchenhistorischer respektive theologischer Arbeit, die vor allem letztgenannter Forschung die Bedeutung der Bildquelle nahelegt und den Umgang mit ihr vorstellt. Bemerkenswert an MARTINS Arbeit ist jedoch, dass er gegen die Pauschalisierungen seit GRISAR/HEEGE ins Feld führt, dass die Reduktion auf die reine Papstpolemik nicht weiter tragbar und ein komplexeres Urteil der Illustrationen notwendig sei65 – er versäumt es jedoch, diese Beobachtung zu stärken, indem er die Gesamtheit der Illustrationen des Septembertestaments in ihrem Aussagegehalt sowohl in theologischer als auch kunsthistorischer Hinsicht umfassend bearbeitet und würdigt.

HEYDENREICH hat den verdienstvollen Nachweis erbracht, dass die Illustrationen des Septembertestaments und seiner Nachdrucke nicht nur auf deutschem Gebiet einflussreich in der Kunst waren, sondern auch Niederschlag in Malereien gefunden haben, die sich auf dem Athos befinden.66 HEYDENREICH stellt grob die Leitlinien der kunsthistorischen Apokalypsen-Illustrationen-Traditionen dar und widmet sich dann einer anschaulichen Auseinandersetzung mit Dürer, dem Septembertestament und den Nachschnitten aus Holbeins Werkstatt.67 Manche Argumente und Informationen, die HEYDENREICH bietet, gelten in der jüngeren Forschung mittlerweile als überholt. Auch sachliche Fehler finden sich teilweise in der Darstellung, darunter die Behauptung, die Lübecker Bibel weise Illustrationen zur Offenbarung auf.68 Auch HEYDENREICHS Beurteilung der lutherischen Schnitte geht nicht über das Urteil hinaus, sie seien rein kampfpolitischer Natur und qualitativ minderwertig im Vergleich zu Dürer.69

Zu den Holzschnitten, die Hans Burgkmair angefertigt hat, liegt lediglich ein Beitrag vor, der die Eigenständigkeit und künstlerische Qualität seiner Illustrationen betont.70 ARNDT stellt die Arbeit Burgkmairs in eine Reihe mit derjenigen Cranachs, Dürers und Holbeins, verzichtet jedoch auf eine qualitative Aussage. Stattdessen lobt er die hohe Texttreue,71 die Burgkmair graphisch umsetzen konnte, um so trotz einer nachweisbaren Orientierung72 an Dürer und Cranach ein eigenständiges Werk zu schaffen. Trotz seiner kunsthistorisch akkuraten Betrachtung der Illustrationen aus Burgkmairs Hand vergleicht auch ARNDT sie mit den Zyklen von Dürer und der Cranach-Werkstatt. So wird einerseits Burgkmair allein auf texttreue Darstellungen und fehlende Polemik, andererseits das Septembertestament auf antipäpstliche Propaganda reduziert.73 ARNDTS Auseinandersetzung mit Burgkmair markiert dennoch einen wichtigen Schritt, die Fülle der Offenbarungsillustrationen wahrzunehmen und mit gezielten Einzeluntersuchungen zu Gestalt und Inhalt zu befragen.

Unerlässlich für die verantwortungsvolle theologische Auseinandersetzung mit Luthers Position und Aussagen zur Offenbarung des Johannes ist das Werk von HOFMANN.74 Er hat akribisch Luthers Werke untersucht und die Erwähnungen der Johannesoffenbarung herausgesucht. Anhand von Luthers Lebensstationen kann er so aufzeigen, welche Zitate genutzt wurden, in welchem inhaltlichen Kontext sie standen und wie sie rhetorisch oder argumentativ eingesetzt wurden. Anhand des umfassenden Quellenmaterials kann HOFMANN so seine These belegen, dass sich bei Luther eine Entwicklung im Verhältnis zum letzten biblischen Buch vollzogen hat.75 HOFMANN weist nach, dass Luther zeit seines Lebens verschiedene Urteile über die Johannesoffenbarung gefällt hat. Auch seine Auslegungsmethoden veränderten sich im Laufe der Jahre. Für ekklesiologische Auseinandersetzungen, besonders mit dem Papst und Rom, diente ihm die Offenbarung als brauchbare Grundlage.76 Aber auch für andere theologische Argumentationen konnte Luther, so HOFMANN, die prophetische Rede heranziehen, wenn auch seltener als andere Stellen des Neuen Testaments.77 Aufgrund von HOFMANNS Quellenauswertung wird deutlich, dass Luthers Auslegung der Offenbarung nicht jenseits ihres historischen Kontextes generalisierend für ihn beansprucht werden kann – eine Aussage aus der Zeit nach 1530 kann also nicht anachronistisch78 als Beleg für Luthers Haltung im Jahr 1522 dienen.79 Die spärlichen Erwähnungen der Offenbarung in der Zeit von 1519 bis 1529 sind die einzigen Quellen aus Luthers Hand, die für die Bearbeitung der Illustrationen herangezogen werden können.

Der Blick in die Forschung verdeutlicht, dass eine Untersuchung der Offenbarungsillustrationen deutscher vorlutherischer und lutherischer Bibeln bis 1530 jenseits des Vergleichs mit Dürer oder der Überbetonung vereinzelter polemischer Motive ein Desiderat darstellt.

IDIE OFFENBARUNGSILLUSTRATIONEN DER DEUTSCHEN BIBELN VON1478BIS1522

1VORSTELLUNG DER AUSGEWÄHLTEN BIBELN

1.1DER DRUCK DER BIBEL IM RAHMEN DES BUCHDRUCKS

Die Illustrationen der Bibeln, die durch die Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern durch Gutenberg entstanden, wurden mit dem Holzschnitt als Hochdruckverfahren in die Produktion integriert. Diese Technik, Bücher zu drucken, ging dem Verfahren von Gutenberg voraus.1 Der Holzschnitt bot die Möglichkeit, Bild und Text per Druck nahezu unbegrenzt zu reproduzieren. Es gibt verschiedene Vorgehensweisen, um einen Holzschnitt herzustellen, jede davon beansprucht ein gewisses Maß an Zeit und Sorgfalt, um zu einem brauchbaren Endprodukt zu gelangen.2 Trotz dieser arbeits- und zeitintensiven Herstellungsverfahren ermöglichte es der Holzdruck, einerseits eine höhere Auflage ein und derselben Schrift herzustellen und andererseits die Holzstöcke zu lagern und zu einem späteren Zeitpunkt erneut zu nutzen.

Ab 1450 veränderten sich durch den von Johannes Gutenberg (um 1400–1468) entwickelten Druck mit Druckerpresse und beweglichen Lettern die Buchherstellung und der gesamte Buchmarkt.3 Im Buchdruck kamen verschiedene technische Neuerungen, Weiterentwicklungen und Verbesserungen zusammen, die Arbeitsabläufe vereinfachen, Produktionen erhöhen und Gewinne steigern sollten.4 Man profitierte vom Zusammenkommen verschiedener handwerklicher Fachkenntnisse, die nicht allein in ihren spezialisierten Gebieten verblieben. Durch die Integration verschiedener Kenntnisse, Arbeitsschritte und technischer Möglichkeiten aus unterschiedlichen Bereichen konnte beispielsweise die Buchdruckkunst erst den technischen Stand erreichen, der es ermöglichte, effektiv und erfolgreich zu drucken. Diese selbstverständlich interdisziplinäre Herangehensweise in der Drucktechnik griff auf das Fachwissen und die Innovationsfreude von Schreibern und Buchmalern ebenso zurück wie auf metallverarbeitende Handwerker wie Zinn- und Bronzegießer oder Goldschmiede.5 Ihre Kenntnisse und Fähigkeiten im Bereich der Metallgravur und Stempel- und Siegelherstellung bildeten wertvolle Grundlagen für die Entwicklung des Letterndrucks, auch wenn dieser neue technische Herausforderungen mit sich brachte. Ohne diese Einsichten in die Metallverarbeitung hätte das wesentliche Element des Buchdrucks mit beweglichen Lettern gefehlt.

Ähnlich wie bei dem Holzschnitt erst die Zeichnung entsteht, bevor der Formschneider das Motiv aus dem Block herausschneidet, musste für den Druck mit beweglichen Lettern jede einzelne Schrifttype als Negativ vorgezeichnet werden, damit der Goldschmied diese dann positiv, aber seitenverkehrt, aus einer Metallstange herausschneiden konnte.6 Als Zwischenstück wurden Matritzen aus den Stempeln hergestellt. Aus den Matritzen wurden dann die Lettern für den Druck gegossen. Diese einzelnen Letter mussten für den Druck gesetzt werden. Der Satz der Typen war, je nachdem wie viel Wert auf geradlinige Zeilenschlüsse gelegt wurde, eine Leistung, die zum einen Kenntnisse der jeweils gedruckten Sprache voraussetzte, sowohl um einen korrekten Text zu setzen, als auch um Ligaturen und Abbreviaturen richtig zu nutzen.7 Zum anderen machten es Abkürzungen und Zeichen möglich, einen einheitlichen Satz je Seite herzustellen. Gedruckt wurde im ein-, zwei- oder mehrspaltigen Satz, feste Regelungen scheint es hier nicht gegeben zu haben.8 Das Bedrucken von Bogen setzte voraus, dass ausreichend Typen vorhanden waren, da je nach Größe der Bogen mehrere Seiten gleichzeitig gedruckt werden konnten.

Vor dem Druck musste das Papier angefeuchtet und dann in die Presse gespannt werden. Mit Druckerschwärze, die auf Ölbasis hergestellt wurde, färbte man den Satz gleichmäßig ein, bevor dieser in die Presse gelegt wurde. Der Drucker betätigte eine Spindel, die die eingespannten Typen als Block auf das Papier presste. Wurde das Oberteil wieder vom Papier gelöst, konnte dieses herausgenommen werden, danach konnte der nächste Bogen gedruckt werden. Etwaiges Einfärben wurde je nach Bedarf erledigt und der gesamte Arbeitsprozess konnte so lange wiederholt werden, bis die erwünschte Auflagenzahl erreicht war.9 Da anders als beim Blockbuch der Druck der Presse gleichmäßig verteilt war, drückten die Typen nicht durch, sodass auch die Rückseite eines bereits bedruckten Bogen Papiers nach dem Trocknen bedruckt werden konnte.10 Anschließend sortierte man die Bögen und legte sie lagenweise zusammen. Eine Bindung oder gar ein Einband waren nicht selbstverständlich und so wurde ein Großteil der Bücher ungebunden oder nur mit einfacher Fadenheftung verkauft.11

Anders als noch beim Blockbuch, dessen Seiten mit einem einmalig hergestellten Holzstock bedruckt wurden, konnte durch den Druck mit beweglichen Lettern jeder mögliche Text je und je neu gesetzt werden. Die Teilung der Arbeitsschritte in Setzen und Druck ermöglichte es, das Druckverfahren zeitlich zügiger und effizienter zu erledigen, und die technische Raffinesse verhalf zur vollständigen Ausnutzung der Ressource Papier.

Etwa zwei Drittel der Inkunabeln weisen ein Impressum auf, so können je nach Vollständigkeit der Angaben teilweise Ort, Drucker und Zeit der Drucklegung und deren Vollendung festgestellt werden. Selten sind die Angaben vollständig, oft weist lediglich eine Jahreszahl auf das Entstehungsdatum hin. Aufgrund der uneinheitlichen Vorgehensweise der Datierungen zu dieser Zeit sind Angaben mit Vorsicht zu genießen und einzeln anhand des historischen Kontextes zu prüfen, auch weil es keine einheitliche Regelung des Jahresanfangs gab.12 Fehlen Angaben gänzlich, kann eine zeitliche Einordnung meist nur aufgrund verschiedener Anhaltspunkte erfolgen: Vorwort oder Begleitschreiben können Hinweise geben, Anmerkungen der Drucker in Auftrag- oder Produktionsbüchern, Briefe oder Bemerkungen in anderen schriftlichen Quellen. Wie schon bei den Blockbüchern machen es auch die Wasserzeichen im Papier möglich, den Entstehungszeitraum begründet einzugrenzen. Auch die Untersuchung der Typen kann Aufschluss über Herkunft und Drucklegung geben.

Der Ursprung des Drucks mit beweglichen Lettern lag in Mainz, er breitete sich aber in schneller zeitlicher Abfolge in Deutschland und Europa aus. Druckereien entstanden in den großen Handels- und Universitätsstädten Oberdeutschlands und eher vereinzelt in Norddeutschland,13 wo sowohl Unternehmer und Arbeiter als auch Kunden versammelt waren. Darüber hinaus konnte leicht auf bestehende logistische Größen zurückgegriffen werden.

In der Frühdruckzeit entwickelte sich erst nach und nach der eigentliche Beruf des Druckers, die Pioniere in diesem Feld sind Seiteneinsteiger aus verschiedenen Bereichen. »Die frühesten und bekanntesten Jünger der Schwarzen Kunst waren aber – soweit über ihren Beruf und ihre Ausbildung etwas bekannt ist – Männer, die die Universität besucht, oft auch einen akademischen Grad erlangt hatten, und Geistliche, häufig wenigstens Kleriker (mit den niederen Weihen und verheiratet: clerici uxorati).«14 Daneben gab es freilich zahlreiche Buchschreiber, Buchmaler und Händler, die bereits in die bestehende Buchherstellung involviert waren und sich der neuen Technik zuwandten.15

Je nach der Größe der jeweiligen Druckerwerkstatt agierten Eigentümer und Drucker in Personalunion. Je größer und kapitalträchtiger ein Unternehmen war, desto mehr konnte die Arbeit verteilt werden und der Unternehmer übernahm verlegerische und kaufmännische Aufgaben, während Setzer, Drucker, Korrektoren, Binder und Buchmaler die pragmatischen Aufgaben übernahmen.16 »Einkommen und wirtschaftliche Verhältnisse der Buchdrucker selbst variierten ungemein. Vom Durchschnitt kann man wohl sagen, daß sie sich schlecht und recht durchschlugen. Nur ganz wenige wurden durch den Buchdruck reich […], [v]iele recht tüchtige Drucker kamen nach anfänglichen Erfolgen und oft bedeutenden Leistungen, sei es durch Fehlspekulationen oder durch schlechtes und liederliches Wirtschaften […] in Not.«17 Denn die Herstellung von Büchern war ein kostenintensives Unterfangen, bei dem ein großer Teil der Finanzierung im Vorfeld getätigt werden musste und nicht abzuschätzen war, ob das Druckergebnis einen Absatzmarkt fand, der nicht nur die Ausgaben deckte, sondern auch einen Gewinn mit sich brachte. Die Vorausinvestitionen umfassten neben der einmaligen Anschaffung der technischen Ausstattung und den laufenden Materialkosten unter anderem auch die Löhne der Mitarbeiter und Mietkosten. Handelte es sich um Auftragsarbeiten, war das Einkommen kalkulierbar und die Produktion weniger risikoreich als wenn ein vom Drucker oder Verleger frei gewähltes Werk für ein größeres Publikum produziert wurde.

Die Drucker bzw. Verleger mussten ein Gespür für das Lesebedürfnis des Publikums haben, um nicht dem eigenen Geschäft wirtschaftlich zu schaden. Wurde nicht der Markt entsprechend bedient oder nicht auf Nachfrage produziert, konnten überschüssige Bücher zwar gelagert werden, was aber wiederum mit Kosten verbunden war und nur dann lohnenswert war, wenn durch andere Titel genug Geld eingenommen werden konnte, damit die Lagerung kein Verlustgeschäft wurde. Hinzu trat der Preisdruck, der durch die wachsende Konkurrenz entstand, die häufig thematisch ähnliche oder sogar gleiche Ausgaben herausbrachte.

Die Druckproduktion zentrierte sich vornehmlich in den großen Städten, aber der Vertrieb der Ware war nicht auf den jeweiligen Druckort beschränkt. Man nutzte bereits bestehende und funktionierende Handelswege und Vertriebsarten, die der Fernhandel bot, um die Ware einem möglichst großen Publikum zu verkaufen. Bücher wurden zu diesem Zwecke ungebunden in Fässern gelagert – je nach Wetterlage und Qualität der Fässer endete manches Druckwerk nach einer Reise auf Handelswegen nicht als lesbares Buch, sondern als mit Druckerschwärze durchzogener Papierklumpen. Nicht nur die rege Nutzung des bereits vorhandenen Transportwesens war naheliegend, auch die des Kredit- und Zahlungswesens entsprach dem damaligen Stand der Dinge, war also ökonomisch und gewinnorientiert ausgerichtet.

Thematisch wurde der Beginn der Druckzeit von Liturgica, kirchlichen Auftragsarbeiten und religiöser Literatur dominiert. Die inhaltlichen Traditionen der Handschriftenherstellung wurden an dieser Stelle weiter fortgeführt. Auch in den Folgejahren bildeten religiöse und theologische Schriften das Hauptgewicht der Buchproduktion.18 Die Bandbreite umfasste Bibeln, Messbücher, Schriften mittelalterlicher und zeitgenössischer Theologen, Autoren des klassischen Altertums, Kirchenväter; außerdem gezielt für Laien Plenarien, Stundenbücher und Schriften zur religiösen Erbauung. »Schon um 1472 konnte in Deutschland […] dem geistig (sowohl theologisch wie humanistisch) Interessierten ein eindrucksvolles Angebot an gedruckten Werken gemacht werden, und dies zu einem Preis, der schon damals nur etwa ein Fünftel des Preises der entsprechenden Handschriften betrug.«19 Lateinische Schriften haben rund drei Viertel aller Bücher ausgemacht, aber auch unter den deutschsprachigen Büchern lag das Schwergewicht auf religiösen und erbaulichen Themen.20

Ähnlich wie schon bei den Blockbüchern basieren heutige Kenntnisse über Preise für Bücher oft auf wenigen verbindlichen, überlieferten Angaben und einzelnen Nachweisen.21 Definitive Aussagen sowohl über Verkaufspreise als auch über Auflagenhöhen können daher kaum getroffen werden und sind oft hypothetischer Natur.22 Um Bücher an den Mann zu bringen, warb man für sie, unter anderem durch Werbeplakate und -zettel, die die verfügbaren Titel listeten. Preise fanden sich auf den heute bekannten Listen nicht, dementsprechend geht man davon aus, dass Buchpreise im Einzelfall verhandelt wurden.23 »Deshalb sind nur wenige Buchpreise überliefert, und es bleibt im Einzelnen recht zweifelhaft, ob der genannte Preis der Preis war, den der Konsument oder ein Zwischenhändler zahlte.«24 In der Mitte des 15. Jahrhunderts wurden Bücher noch in verhältnismäßig geringer Auflage gedruckt und zu hohen Preisen verkauft, im Laufe des Jahrhunderts setzte jedoch nach und nach eine Preissenkung ein, die unter anderem von den sinkenden Papierpreisen und der steigenden Nachfrage nach Büchern abhängig war.25 Dennoch waren Bücher kein günstiges Gut, das breite Bevölkerungsschichten erwerben konnten. Besonders für den frühen Wiegendruck ist anzunehmen, dass Bürger ab der oberen Mittelschicht (beispielsweise Handwerksmeister, Kaufleute, Gelehrte, Stadtschreiber, Stadtadel) sich Bücher leisten konnten, wohingegen für einfache Handwerker oder Tagelöhner die Anschaffung eines Buches oft dem Jahreslohn entsprach.26

Unabhängig vom Umfang wurden Bücher meist ungebunden verkauft, im Falle von illustrierten Ausgaben waren diese auch nicht immer koloriert, sodass zu den reinen Anschaffungskosten noch die des Buchbinders und Buchmalers hinzukamen.27 Von Handschriften war man es gewohnt, dass ihnen häufig prachtvolle und feine Bilder oder Ornamente am Rand beigegeben waren. War man während der Anfänge des Buchdrucks bestrebt, Handschriften nachzuahmen, so musste man sich auch zum Buchschmuck verhalten. Technisch war es möglich, mehrfarbig zu drucken, aber aufgrund der Handhabung und des Arbeits- und Zeitaufwands hat man oftmals darauf verzichtet und das nachträgliche Einfügen von zierenden Illustrationen den Briefmalern28 überlassen.29 Der Rotdruck war in liturgischen Werken jedoch nicht zu ersetzen und fand daher hier besondere Anwendung. Die Ausstattung des gedruckten Buches überließ man anfangs noch den Rubrikatoren und Buchmalern.30 Dennoch versuchte man, auch diesen manuellen Arbeitsschritt in den technischen zu integrieren.

Seit etwa 1472 wurde vermehrt die Holzschnittmethode genutzt, um Initialen oder Schmuckleisten zu drucken.31 Bücher, die mit Illustrationen versehen waren, wurden zu höheren Preisen verkauft, unabhängig davon, ob sie lateinische oder volkssprachige Ausgaben waren – letztere machten zwar einen kleinen Teil der gesamten Inkunabelherstellung aus, wurden aber teilweise aufwändiger und kostenintensiver produziert und dadurch teurer verkauft.32 Nachdem zuerst der Bamberger Drucker Albrecht Pfister bereits im Zeitraum 1461 bis 1464 Bücher produziert hatte, für deren Herstellung er Typendruck und Holzschnitt zusammen nutzte,33 folgten ab den 1470er Jahren immer mehr Drucker seinem Beispiel. »Es waren vor allem deutschsprachige Texte, die besonders der religiösen Erbauung, der Bildung und Belehrung, aber auch der reinen Unterhaltung dienten, die G. Zainer und zahlreiche weitere Augsburger Drucker […] mit im allgemeinen recht einfachen Holzschnitten ausgestattet, bis zum Ende der Wiegendruckzeit auf den Markt brachten.«34

Offenbar waren Einblattdrucke und Schriften mit geringem Umfang (etwa 20 Seiten) günstiger in der Anschaffung als umfangreiche Bücher, was sich aus den geringeren Produktionskosten bei höherer Auflage ergab, und konnten daher auch bei gesellschaftlichen Gruppen unterhalb der Mittelschicht zu finden sein.35 Abgesehen von den fehlenden monetären Mitteln war der Nutzen eines Buches in einem Haushalt, in dem kein Mitglied lesen konnte, recht gering. Doch zunehmende Lesefähigkeiten, wesentliches Bildungsbedürfnis und Nachfrage nach dem neuen Medium Buch sowie effizientere Produktionsabläufe und Kostenoptimierungen führten dazu, dass Bücher nicht nur in wachsenden Auflagenzahlen und größerer thematischer Bandbreite hergestellt, sondern auch gekauft und genutzt wurden.36

Die zunehmende Herstellung von Blockbüchern und Büchern, die mit dem Druck beweglicher Lettern hergestellt wurden, ist Nachweis dafür, dass es ein Interesse an und ein Bedürfnis nach allgemeiner und religiöser Literatur gab. Die Beachtung diese Entwicklung hilft zudem dabei, die Bedeutung der deutschsprachigen Bibeln im Kontext ihrer Zeit besser zu erfassen und zu verstehen. Bibeln nahmen in der Buchproduktion eine besondere Rolle ein. Bibelausgaben gab es bereits in der Handschriftentradition und dann auch als Druckwerke in lateinischer Sprache. Sie wendeten sich vornehmlich an Gelehrte, den Klerus oder den Adel als Käufer. Bis auf Initialen-Schmuck finden sich im 15. Jahrhundert kaum Illustrationen in lateinischen Bibeln, was in ihrer Funktion als Arbeitsmaterial und Studiengrundlage begründet sein mag. Der Text der achtzehn vorlutherischen deutschen Bibeln (14 oberdeutsch, 4 niederdeutsch)37 stellt eine Übertragung aus der lateinischen Vulgata in Volkssprache dar.38 So konnte der Leserkreis auch für diejenigen geöffnet werden, die des Lateinischen nicht kundig waren.39 Das Wissen, das durch die Lektüre erworben werden konnte, stand nicht mehr allein dem Klerus zur Verfügung, sondern weitete sich zunehmend auch auf andere soziale Schichten aus.40 Für die Bibeln ist daher von einem vielfältigen Publikum auszugehen, das sich aus dem Kleriker, der kaum oder kein Latein sprach ebenso zusammensetzte wie aus dem lesekundigen Laien.41

1.2DIE DEUTSCHEN BIBELN

Die erste der Bibeln erscheint 1466 in Straßburg. Johannes Mentelin (um 1410–1478) galt als erster Drucker Straßburgs und betrieb eine große Werkstatt und weitreichenden Handel mit seinen Druckerzeugnissen.42 Die erste deutsche Bibel43 misst 29 x 39,5 cm, umfasst 406 Blätter und weist einen zweispaltigen Satz mit je 61 Zeilen je Spalte auf. Die Initialen sind von Hand nachträglich hinzugefügt, und es gibt keine Illustrationen.

Die zweite deutsche Bibel44 ist ein verbesserter Nachdruck der Mentelin-Bibel, die Heinrich Eggestein (1415/20–1488) ebenfalls in Straßburg herausbrachte. Eggestein war ein ehemaliger Mitarbeiter Mentelins und eröffnete 1465 seine eigene Druckerei.45 Mit seiner Bibel versuchte er offenbar möglichst genau Mentelins Bibel zu kopieren. Ihr Format beträgt 27 x 38 cm, sie umfasst 404 Blätter und hat einen zweispaltigen Satz mit 60 Zeilen je Spalte. Initialen wurden handschriftlich eingefügt und Illustrationen fehlen gänzlich.

1475 erschienen nahezu zeitgleich zwei weitere deutsche Bibeln in Augsburg, daher ist nicht mit Sicherheit zu sagen, welche die frühere war. Besondere Bedeutung haben sie, weil sie die ersten illustrierten deutschen Bibeln waren. Günther Zainer (gest. 1478) war der erste Drucker Augsburgs und begann seine Tätigkeit um 1468, gelernt hatte er das Handwerk in Straßburg bei Mentelin.46 Seine deutsche Bibel47 war in einem großen Format (32,5 x 47,5 cm) hergestellt, zählt 534 Blätter und hat einen zweispaltigen Satz mit 57–58 Zeilen je Spalte. Illustrationen im eigentlichen Sinne fehlen, es gibt jedoch 73 Holzschnitt-Initialen, die nicht nur Buchstaben zeigen, sondern auch kleine erzählerische Szenen enthalten, darunter einzelne biblische Ereignisse, Autorenbilder oder Briefübergaben, vornehmlich bei den paulinischen Briefen. Da die Initialen etwa zwei Drittel einer Spaltenbreite einnehmen, ist der Text, der sich neben ihnen befindet, sehr schmal gesetzt worden, um die Seite möglichst lückenlos auszunutzen.

Fast zur gleichen Zeit brachte Jodocus Pflanzmann, der nur nebenberuflich als Drucker und Verleger arbeitete, weil er Prokurator und Fürsprecher am geistlichen Gericht zu Augsburg und Notar war, eine weitere deutsche Bibel48 heraus.49 Auf 456 Blättern, die etwa 27 x 39,5 cm messen, wurde ein zweispaltiger Satz mit 54 Zeilen je Spalte gedruckt. Insgesamt gab es 57 Holzschnitte, von denen einige mehrfach in der Ausgabe abgedruckt wurden. Die Initialen sind von Hand eingesetzt worden. Die Holzschnitte, die Pflanzmann verwendete, sind eher allgemeingültiger Natur und nicht eigens für die Bibelausgabe angefertigt worden. Ihr Format ist rechteckig, fast quadratisch. Ihre Breite entspricht etwa einer Spalte, ihre Höhe etwas weniger als zwei Dritteln der Spaltenhöhe. »Gegenüber der gleichzeitigen Zainer-Bibel ist das gestalterische Qualitätsgefälle unverkennbar. Während Zainers Druck von langer Hand geplant wurde, ist Pflanzmanns Bibeldruck sichtbar in Eile hergestellt worden.«50

In dichter zeitlicher Nähe erschienen die nächsten deutschsprachigen Bibelausgaben. Die fünfte Bibel51 druckte Johann Sensenschmidt (gest. 1491) zwischen 1476 und 1478. Seit den späten 1460er Jahren unterhielt er eine Druckerei in Nürnberg, vorher hatte er das Handwerk in Mainz und Bamberg gelernt und ausgeübt.52 Die Bibel wurde in zwei Teilen herausgebracht (256 und 258 Blätter), die beide etwa 27 x 39,5 cm messen. Im zweispaltigen Satz kommen 57 Zeilen auf jede Spalte. Es gibt 73 Bild-Initialen und einen Holzschnitt, der die Schöpfung darstellt und das Buch Genesis eröffnet. Der Holzschnitt entspricht in der Breite etwa dem Blocksatz des Textes und nimmt in der Höhe etwas weniger als die Hälfte der Höhe des gesamten Satzes ein.

1477 erschienen die sechste und siebte deutsche Bibel. Günther Zainer brachte eine zweite Ausgabe der deutschen Bibel53 heraus, die er diesmal datierte, in einem etwas kleineren Format (27,5 x 40 cm) druckte und auf zwei Bände verteilte (321 und 332 Blätter). Der zweispaltige Satz enthält 51 Zeilen je Spalte, darüber hinaus wurden 73 Bild-Initialen, diverse Maiblumen-Initialen und eine Druckermarke aus der ersten Ausgabe wiederverwendet.

Im gleichen Jahr entstand ebenfalls in Augsburg bei Anton Sorg die siebte Bibel.54 Sie ist datiert auf den 20. Juni 1477. Kleiner als Zainers Bibel misst sie 25 x 36 cm, ist aber ebenfalls in zwei Bänden herausgebracht worden (267 und 275 Blätter). Der Satz ist zweispaltig mit 55–56 Zeilen je Spalte. Sorg hatte die Holzstöcke, die Pflanzmann in seiner Ausgabe genutzt hatte, erworben, um sie zusammen mit anderen Holzschnitten zu drucken. Insgesamt sind es 77 Holzschnitte und daneben diverse Holzschnitt-Initialen. Bei der Auswahl der Holzschnitte war es offenbar weniger von Belang, dass sie zum Text passten, denn auch Sorg griff auf Illustrationen zurück, die nicht eigens für die biblischen Geschichten hergestellt wurden, sondern allgemeine Motive darstellten. »An einer eigenen künstlerischen Gestaltung lag ihm wenig, der erhoffte geschäftliche Erfolg in Konkurrenz zu Zainer schien ihm wichtiger gewesen zu sein.«55 Diese Dichte und die große zeitliche Nähe der teilweise sogar zeitgleichen Produktion sprechen dafür, dass die deutschen Bibeln keine Ladenhüter waren, sondern ein kaufkräftiges Publikum vorfanden. Die wachsende Zahl der Holzschnitte, mit denen die Ausgaben ästhetisch ausgestaltet waren, sprach zusätzlich das Publikum an.

Den ersten Höhepunkt der Buchillustration der Inkunabelzeit bilden die zwei Kölner Bibeln, die 1478/79 erschienen.56 Bereits die Benennung nach ihrem Entstehungsort Köln anstelle des herausgebenden Druckers markiert ihre Sonderstellung. Anders als Nürnberg oder Straßburg war Köln keine ausgewiesene Druckerhochburg im 15. Jahrhundert.57 Das Hauptaugenmerk lag in der Stadt am Rhein auf lateinischen Schriften, hier werden der Klerus und die 1388 gegründete Universität mit ihren Dozenten und Studenten das kaufende Publikum ausgemacht haben. Die zwei Kölner Bibeln58 umfassen 542 bzw. 544 Blätter und haben ein Format von etwa 27,5 x 39,5 cm. Die Ausgaben unterscheiden sich durch Sprache und Buchschmuck: die eine, die als die erstere gilt, ist in einem niedersächsischen Dialekt verfasst und weist insgesamt 113 Holzschnitte mit Wiederholungen einzelner Motive auf. Die andere Ausgabe ist auf Niederrheinisch verfasst und enthält 123 Holzschnitte, darunter auch neun Illustrationen zur Offenbarung des Johannes. Die Übersetzungen in die beiden volkssprachlichen Dialekte sind keine wesentlichen Neuübersetzungen, sondern eher als eine Revision bereits vorhandener Texte zu verstehen.59 Neben dem lateinischen Text der Vulgata, der Postilla des Nicolaus de Lyra und der vierten und fünften deutschen Bibel (Pflanzmann um 1475 und Sensenschmidt 1476/78) wurden auch eine handschriftliche niederdeutsche Bibelübersetzung und eine holländische Bibel aus Delft als Vorlagen herangezogen.60 Die Kölner Bibel ist die einzige der Bibelausgaben in Volkssprache vor Luthers Septembertestament, die bewusst in zwei unterschiedlichen Dialekten herausgebracht wurde. Sowohl der niedersächsische als auch der niederrheinische Dialekt gehörten zu denjenigen Sprachen, die in Köln und dem rheinischen Umland verbreitet waren,61 sodass die Entscheidung, den volkssprachlichen Bibeltext in beiden Dialekten zu drucken, aus wirtschaftlichen Gründen getroffen wurde, um ein größeres Publikum anzusprechen.

Der Text ist zweispaltig gedruckt, mit 56 bis 57 Zeilen je Satz, sowohl der Platz am Seitenrand als auch der zwischen den Spalten ist großzügig gewählt, sodass ein ordentliches und übersichtliches Druckbild entsteht. Die Initialen, die zu Beginn eines biblischen Buches und Kapitels stehen, wurden nachträglich von einem Buchmaler hinzugefügt, Seitenzahlen fehlen.

Die Holzschnitte entsprechen in ihrer Breite den zwei Textspalten und schließen am linken und rechten Rand bündig mit dem Blocksatz ab. In ihrer Höhe nehmen sie etwa ein Drittel der gesamten Seite ein. Auf den jeweiligen Seiten sind die Holzschnitte verschieden angeordnet, man findet sie über dem Text, mittig und unter dem Text. Die Illustrationen ziehen den Blick des Betrachters auf sich und beherrschen dadurch die Seite, ohne aber den Text zur Nebensache zu deklarieren. Sie korrespondieren wunderbar mit dem Text, was besonders an dem umsichtigen und herausragenden Seitenlayout liegt. Zahlenmäßig übertrifft das Alte Testament das Neue an Holzschnitten. So finden sich Darstellungen des Schöpfungswerkes, bekannte Szenen aus dem Leben der Erzeltern, der Richter oder der Herrschaft König Davids. Im Neuen Testament gibt es Holzschnitte, die eher allgemeiner Natur sind und zeigen, wie Paulus einem Boten seine Briefe an die christlichen Gemeinden übergibt. Diese Schnitte, die der Größe und Funktion der Initialen entsprechen, leiten oftmals die Epistel ein und wurden ob ihrer Allgemeingültigkeit mehrfach wiederholt abgedruckt. Die Evangelien wiederum haben einmalige großformatige Schnitte zur Einleitung bekommen, die den jeweiligen Evangelisten und eine individuelle Szenerie zeigen: Matthäus befindet sich in mitten der Ahnen Christi, darunter Abraham und König David. Markus blickt von seinem Schreibpult aus auf die Auferstehung Christi. Neben Lukas werden drei Szenen aus der Kindheit Jesu wiedergegeben und bei Johannes erscheint dem Evangelisten eine Vision der Heiligen Dreifaltigkeit.

Details und Bildbeigaben entsprechen der gängigen mittelalterlichen christlichen Ikonographie und konnten daher vom Betrachter entschlüsselt werden. Das einzige Buch des Neuen Testamentes, das Illustrationen enthält, die den Inhalt erzählerisch darstellen, ist die Offenbarung des Johannes. Die neun Holzschnitte, die mit einer Episode aus dem Martyrium des Johannes beginnen, zeigen in szenischen Zusammenstellungen den Ablauf und die prägnanten Ereignisse des Offenbarungsgeschehens.62

Die Frage danach, warum diese Auswahl der zu illustrierenden Texte getroffen wurde, ist im Forschungsdiskurs nicht eindeutig geklärt worden, auch weil es keine Quellen gibt, die erläuternd herangezogen werden können. Hat die Auswahl der illustrierten Bücher ihren Grund darin, dass das Alte Testament und die Offenbarung dem Bibelleser weniger geläufig waren?63 »Unbekannter Stoff breitet sich im Alten Testament und in der Apokalypse aus; er bedarf mehr des anregenden Bildes, das das Geschehen zusammenfassend darzustellen vermag, als die Historien des Neuen Testamentes, die oft gelesen und in Predigten besprochen wurden, weil sie viel mehr Grundlage der Glaubenslehre sind.«64 Diese These ist in ihrem generalisierenden Ansatz so nicht zu halten und kann dementsprechend nicht bedingungslos als Begründung für die selektive Illustrierung angesehen werden. Bereits ein Blick auf die Biblia pauperum zeigt deutlich, dass die Geschichten des Alten Testamentes nicht weniger bekannt waren als die des Neuen.65 Auch in der Kunst sakraler Räume des Mittelalters wurden Geschichten und Episoden des Alten Testamentes und der Offenbarung in verschiedenen Medien dargestellt. Die bloße angenommene Unkenntnis der alttestamentlichen Texte und der Offenbarung ist also keine ausreichende Begründung für die Auswahl der Illustrationen.

Auffällig ist hingegen, dass solche Texte illustriert sind, die darstellbar sind. Ein Handlungsverlauf, der plastische Elemente, wiederkehrende bekannte Personen oder signifikante Ereignisse enthält, bot mehr und leichtere Möglichkeiten der Illustration als ein argumentativer Brief des Paulus oder ein rhetorisch anspruchsvoller Psalm.66 Warum jedoch Illustrationen der Evangelien nicht erstellt wurden, bleibt der Spekulation überlassen, denn an erzählerischen Motiven mangelt es ihnen freilich nicht. Es mag sein, dass auf sie verzichtet wurde, weil sie tatsächlich als bekannt vorausgesetzt wurden. Innerhalb der christlichen Kunst wurden die christologischen Inhalte der Evangelien oftmals zu eigenständigen Motiven,67 die mannigfache mediale Ausgestaltung und Verwendung fanden. Einzelne Szenen oder Christusbilder erfreuten sich im Sakralraum oder in Form des Andachtsbildes einer wachsenden Verbreitung und Popularisierung.68 Narrative Zyklen des öffentlichen Wirkens Christi sind allerdings thematisch oft auf die Passion beschränkt.69 Es ist anzunehmen, dass es schlechthin kein Interesse daran gab, den erzählerischen Verlauf der vier Evangelien in den deutschen Bibeln darzustellen, da die christliche Kunst insbesondere von christologischen Motivtypen bestimmt wurde, die entweder die Passionsthematik oder die göttliche Herrlichkeit Christi betonten. Ein ausführlicher narrativer Illustrationszyklus war auch in den mittelalterlichen Handschriften kaum vertreten. Oftmals wurden Darstellungen der Evangelisten als Initialen genutzt oder Christustypen, die ihn als Gekreuzigten oder Weltenrichter zeigten.70 Vor diesem Hintergrund scheint der Bildbestand der deutschen Bibeln folglich seine Ursache nicht in mangelnder Kenntnis des Alten Testaments und der Offenbarung zu haben,71 sondern durchaus mit den Gewohnheiten der Illustrationen innerhalb der christlichen Buchkunst übereinzustimmen.

Ein anderes Argument, dass die fehlenden Illustrationen zu erklären versucht, rekurriert auf die Entstehungsgeschichte und handwerklichen Schritte des Druckprozesses der Bibel.72 Demnach lag es am Zeitdruck und der Produktionsabfolge der Herstellung, die es nicht ermöglichten, einzelne Holzschnitte für die Evangelien anzufertigen, sodass man sich daher mit den Initialen begnügte – das Fehlen der Illustrationen der Evangelien wird dadurch aber nur unbefriedigend erklärt. Denn nimmt man an, dass die Offenbarungsillustrationen sich in der Herstellung befunden haben, während die erste, niedersächsische Ausgabe bereits gedruckt wurde,73 so erklärt diese Annahme nicht, warum nicht auch Evangelienholzschnitte angefertigt und nachträglich hinzugefügt wurden.

Anders als es dem heutigen Betrachter vorkommen mag,74 ist das Fehlen etwaiger Holzschnitte zu den Evangelien dem damaligen Betrachter mitunter nicht als bemerkenswerter Mangel aufgefallen. Da ebenfalls in den späteren deutschen Bibeldrucken keine Illustrationen für die Evangelien hinzugefügt wurden, sondern der Bildbestand, der mit der Kölner Bibel vorlag, weiter tradiert wurde, scheint eine Notwendigkeit der Bebilderung der Evangelien nicht unmittelbar aus der Entstehungszeit zu stammen. Da die Gründe für die selektive Illustration der deutschen Bibeln nicht mit Sicherheit festzustellen sind, wird es ungleich ergiebiger sein, sich mit dem Vorhandenen auseinanderzusetzen.

Auch über die Person, die für die Ausführung der Holzschnitte verantwortlich war, liegen keine Quellen vor. Der Holzschneider der Kölner Bibel ist heute nicht mehr bekannt, es gibt keine Signaturen oder Namensnachweise in den Ausgaben, die auf ihn hinweisen. Seine Darstellungen der Landschaften, Kleidung, Flora und Fauna sowie der Gebäude entsprechen der spätmittelalterlichen Umwelt. Die Holzschnitte sind keine vorbildlosen Neuschaffungen, sondern stehen in Verbindung zum niederländischen Stil, der sich auch in niederländischen Blockbüchern finden lässt.75 Einer bestimmten Werkstatt oder Vorlage können sie jedoch nicht zugewiesen werden.76

Die Kölner Bibelausgaben geben weitere Rätsel auf, denn weder Drucker noch Übersetzer, Herausgeber oder sonstige Verantwortliche werden namentlich in den Drucken genannt. Auch der Druckort wird nur in der Vorrede erwähnt: gedruckt in der laeuelicker stat Coelne. Ebenso schwankt die Datierung in der Forschung, da kein Herstellungsdatum genannt ist. Nach dem heutigen Stand, der auf Analysen von Typen-, Stil- und Druckerfragen beruht, nimmt man eine Entstehung vom letzten Quartal des Jahres 1478 bis in das erste Quartal 1479 an.77 Es wurden verschiedene Kölner Drucker als Urheber der Bibeln gehandelt, namentlich Nikolaus Götz von Schlettstadt, Heinrich Quentel und Bartholomäus von Unkel.

In der Forschung hat sich nach umfassender und detaillierter Untersuchung und Vergleichen der verwendeten Typenbestände der Konsens entwickelt, dass von diesen dreien Bartholomäus von Unkel als der anonyme Lohndrucker für die Durchführung des Druckes zuständig war.78 Der reine Umfang beider Bibeln war jedoch ein derart umfassendes Projekt, dass es von einem Drucker allein nicht zu bewältigen war. Deswegen ist anzunehmen, dass auch Heinrich Quentel beim Druck beteiligt war, in welchem Grad jedoch, ist nicht zu ermitteln.79 Da die Kölner Bilderbibeln ein Großprojekt darstellten, das nicht nur technisch, sondern auch als finanzielle Investition herausfordernd war, konnten Bartholomäus von Unkel und Heinrich Quentel als kleinbetriebliche Drucker nicht allein dafür verantwortlich gewesen sein.80

Es ist daher anzunehmen, dass hinter den Kölner Bibeln geschäftliche Urheber standen, die die finanziellen und logistischen Zügel in den Händen hielten. Die Gründung von solchen temporären Handelsgesellschaften, bei denen verschiedene Verleger und Lohndrucker auch aus unterschiedlichen Städten zusammenarbeiteten, um ein umfangreiches Werk herzustellen und zu vertreiben, ist nicht völlig beispiellos. Für die Schedelsche Weltchronik, die 1493 in Nürnberg in einer lateinischen (rund 660 Seiten) und einer deutschen Ausgabe (rund 600 Seiten) gedruckt wurde, fand sich eine eigens gegründete Handelsgesellschaft zusammen, die für Finanzierung und Durchführung die Verantwortung trug.81 Auch andere Beispiele in kleinerem Rahmen sind bekannt, in denen Drucker und Verleger nicht ihre eigene ausgelastete Werkstatt beauftragten, sondern kleineren Lohndruckern Aufträge gaben und so außer Haus Bücher produzieren ließen.82

Auch am Rhein bedurfte es einer Handelsgesellschaft, bei der sich Verleger mit Finanzkapital und Geschäftsbeziehungen einbringen konnten, sowie verschiedener Lohndrucker, die mit der praktischen Ausführung beauftragt wurden. Diese Form der wirtschaftlichen Zusammenarbeit machte es möglich, ein herausforderndes Projekt wie den Druck der zwei Bibeln durchzuführen. Die führende geschäftliche Rolle wird in Köln der Unternehmer, kaiserliche Münzmeister und Notar Johann Helmann innegehabt haben, aber nicht allein, denn auch Geschäftsbeziehungen zum Nürnberger Drucker und Verleger Anton Koberger sind nachweisbar.83 Da nicht davon auszugehen ist, dass die Kölner Bibeln in ihrer Endgestalt bereits von Anfang an so geplant waren, wird mit der Ausweitung des Projekts auch die Zahl der Geldgeber und Lohndrucker ausgeweitet worden sein.84 Nach erfolgreichem Druck und Abschluss wurden Gewinne sowie auch Typen und Stöcke, die zum Druck gebraucht wurden, anteilig verteilt und die Handelsgemeinschaft aufgelöst. Schriftliche Quellen zur Kölner Bibeln fehlen vollständig, sodass dieses Vorgehen, das jedoch für andere Druckwerke der Frühdruckzeit belegt werden kann, für die Bibeln am Rhein die wahrscheinlichste, aber nicht zweifelsfrei belegbare Vorgehensweise bleibt.85 Die Kölner Bibeln steht mit der fehlenden Druckadresse in einer gewissen Tradition mit einigen der ihr vorangehenden und nachfolgenden deutschen Bibelübersetzungen.86 Auch andere Druckwerke lassen Angaben ihrer Urheber vermissen, deswegen ist nicht zwingend ein äußerer Grund, der eine Anonymität verursacht, dafür verantwortlich. Dass bei einem derartigen Großwerk, wie die Kölner Bibeln es schon zu ihrer Entstehungszeit waren, die Verantwortlichen auf eine namentliche Nennung verzichten, hat dazu geführt, sie mit den kirchlichen Zensurregelungen der Frühdruckzeit in Verbindung zu bringen.87 Bereits vor dem Buchdruck gab es für Handschriften eine Bücherzensur, die vornehmlich auf den Lehrbetrieb an den Universitäten ausgerichtet war, aber keine kirchliche Zensur im eigentlichen Sinne war. Die kirchliche Zensur war eine reaktive Zensurgebung,88 die bestrebt war, die Reinheit der Lehre vor Missbrauch und Ketzerei zu bewahren. In deutscher Sprache verfasste Texte waren verdächtig, weil sie eine größere Breitenwirkung erzielen konnten als lateinische Texte. Über den gelehrten Diskurs hinaus fanden sie auch bei Laien Verbreitung. Die deutschen Bibeln seit 1466 waren nicht unmittelbar von einer Zensur betroffen. In Köln wurde im Frühjahr 1479 durch ein Breve von Papst Sixtus IV. verfügt, dass Drucker ihre Manuskripte vor der Drucklegung zur Prüfung dem Rektor der Universität vorlegen sollten.89