Im Herbst angekommen - Sigrid Wagner - E-Book

Im Herbst angekommen E-Book

Sigrid Wagner

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Beschreibung

Sibylle Liebling steuert auf die siebzig zu und schaut auf ihr gar nicht langweiliges Leben zurück. Mit Humor aber auch großer Ernsthaftigkeit beleuchtet sie einigen wichtige Etappen ihres irdischen Daseins auf dieser Welt. Dabei geht es nicht um Vollständigkeit von Geburt an bis heute, sondern vor allem darum, die eigenen Schwächen und Unzulänglichkeiten mit Ehrlichkeit und schonungsloser Selbstkritik unter die Lupe zu nehmen. Erst dann kann sie sich auf den Weg zu ihrer "inneren Mitte" machen, sie hoffentlich auch erreichen, um mit Gelassenheit den Herbst ihres Lebens zu genießen. Am Ziel angekommen, drängte sich schon mal die Frage auf, wie wäre alles verlaufen, wenn das Schicksal sie wirklich hart angefasst hätte.

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Inhalt

Vorwort

Erster Teil – Wie das Leben so spielt

Ein Stolperstein

Ausflug in die Vergangenheit

Licht und Schatten

Aufbruch ins zweite Leben

Heller Schein am Horizont

Talfahrt

Zweiter Teil – So war das nicht gedacht

Epilog

Vorwort

Sybille Liebling, die Hauptperson dieses Romans, steuert auf die 70 zu und schaut auf ihr gar nicht langweiliges Leben zurück. Mit Humor aber auch großer Ernsthaftigkeit beleuchtet sie einige wichtige Etappen ihres irdischen Daseins auf dieser Welt; angefangen von der Jugendzeit, über Erwachsenwerden, dem Auseinanderfall ihres sozialistischen Staates, in dem sie gelebt hatte, bis hin zu einem Neuanfang in der Selbstständigkeit und der Suche nach innerem Frieden im Alter.

Dabei geht es nicht um Vollständigkeit von Geburt an bis heute, sondern vor allem darum, die eigenen Schwächen und Unzulänglichkeiten mit Ehrlichkeit und schonungsloser Selbstkritik unter die Lupe zu nehmen. Erst dann kann sie sich auf den Weg zu ihrer „inneren Mitte“ begeben, sie hoffentlich auch erreichen, um mit Gelassenheit den Herbst des Lebens zu genießen. Doch als sie am Ziel angekommen war, drängte sich immer mal die Frage auf, wie wäre ihr Leben wohl verlaufen, wenn das Schicksal sie so richtig aus der Bahn geworfen hätte.

Erster Teil

Wie das Leben so spielt

„Es spielt mit uns, wirbelt uns hin und her wie Blätter im Wind, trägt uns hoch und runter, wie ein kleines Boot auf den Wellen des Ozeans, bis es einen sicheren Hafen zum Ankern findet, oder die schäumende Gicht es verschlingt.“

Regungslos verfolgte Sybille das Geschehen vor ihrem Fenster, saugte die letzte Helligkeit des Herbsttages auf und angenehme Wärme breitete sich in ihr aus beim Anblick der farbenfrohen Blätter, die ununterbrochen zu Boden segelten und beim wilden Spiel zweier Eichhörnchen, die sich gegenseitig in Windeseile durch die Äste jagten. Sie liebte diese Stunden, doch zurzeit kreisten schwerwiegende Gedanken durch ihren Kopf und bereiteten ihr sogar schlaflose Nächte.

Wieder einmal musste sie ihr Leben überdenken. Ihre finanziellen Zuwendungen von staatlicher Seite waren ausgeschöpft und der Anspruch auf gesetzliche Altersversorgung trat erst in 14 Monate ein. Spontan nahm sie einen Nebenjob an, der ihr richtig Spaß machte und sie die Zeit bis zur gesetzlichen Rente überbrücken konnte. Das funktionierte auch reibungslos, bis… ja, bis zu dem verhängnisvollen Sonntagmorgen, der sie vollends aus der Bahn schmiss. Das Leben war eben kein Wunschkonzert und von heute auf morgen war sie auf die Hilfe ihrer Kinder und ihrer Freunde angewiesen. Die hatten kein Problem damit, sie aber schon.

Eigentlich bewunderte sie alle Menschen, die an ein Leben danach glaubten und somit schon auf Erden ihren Frieden fanden. Ihr wollte das nicht so wirklich gelingen. Aber das mit dem Glauben war eine Geschichte für sich und die lag schon sehr lange zurück.

Sie suchte beharrlich nach Wege, um trotz des Rückschlages, ihren Zielen „Gelassenheit und inneren Frieden“ näher zu kommen. Keine leichte Aufgabe, wenn sie bedachte, wie unbesonnen und verschwenderisch sie in den letzten 30 Jahren mit ihrer Gesundheit umgegangen war und nie wirklich auf den Rat der Älteren gehört hatte. Der Zahn der Zeit nagte gnadenlos und die Kraft der Jugend war im fortgeschrittenen Alter weg.

Na was, mit fast 70 musste man das so sehen und wohl oder übel wurde man auch ständig daran erinnert schon beim Blick in den Spiegel, ganz zu schweigen von der nackten Ganzkörperanalyse vor dem Ankleidespiegel in ihrem Schlafzimmer:

„Zwei Minisandsäcke hingen geschmeidig über der Bauchfalte und das hartnäckige Hüftgold zierte die, einmal schmaler gewesene, Taille. Durch die einst festen Oberschenkel schlängelten sich blaue Adern oder Äderchen, die ungeliebte Orangenhaut versuchte den Rest zu erobern und fein verzweigte Krähenfüße schoben sich vorwitzig dazwischen. An den Armen hingen die Unterseiten der Oberarme wie Chicken Wing’s herunter, oder besser noch, luden wie Fledermausflügel zu Abheben ein.“

Und trotzdem liebte sie ihren Körper, sah den Tatsachen ins Auge und hielt ihrem Spiegelbild entgegen: „Mein Gott, du hast ja nun das Alter, bist keine 17 mehr. Aber mal Butter bei de Fische, hatte man genug getan, um den ganz normalen Altersprozess entgegenzuwirken. Fazit: zu wenig, viel zu wenig, im Gegenteil, mit Achtsamkeit für sich selbst befasste sie sich erst so 3 vielleicht 4 Jahre, gerade noch rechtzeitig, um das Schlimmste zu verhindern. Ein Grinsen huschte über ihr Gesicht, als ihr eine ihrer Lebensweisheiten einfiel, die sie ab und zu niederschrieb:

„Das Leben kann man nicht geradebiegen, man muss nur die Kurven kriegen.“

Genau, man musste sich selbst lieben, mochte man den Körper nicht, litt auch die Seele. Wer redete da von Claudia Schifferoder George Clooney - Verschnitt, geschenkt! Das „Selbst“ tat es auch, stand ja jeden frei etwas zu ändern. Na ja, nicht immer; denn, schlug das Schicksal zu und Unfälle oder schwere Krankheiten drehten den Körper durch die Mangel, hoben Leib und Leben aus dem Gleichgewicht, war es oft Schwerstarbeit, einigermaßen wieder ins Lot zu kommen und Lebensfreude zurückzuerobern.

Die Dämmerung umarmte Bäume und Sträucher vor ihrem Balkon und ein letzter Sonnenstrahl zauberte bizarre Bilder in die Zimmerecke neben der Wohnzimmertür. Sybille hatte völlig die Zeit vergessen, richtete viel zu schnell mit einem Ruck den Rücken gerade und ein stechender Schmerz schoss durch ihren Körper. Langsam wanderte sie durch ihr kleines Wohnzimmer und verfluchte insgeheim den verhängnisvollen Sonntagmorgen, dem sie verdankte, dass ihre Emotionen über die derzeitige Lebenssituation wieder einmal Karussell fuhren und ihren Weg zum eigentlichen Ziel mit unwillkommenen Steinen pflasterte.

Ein Stolperstein

Nicht genug, dass sie sich seit zig Jahren mit Arthrose in allen Gelenken herumplagen musste, von Orthopäden zu Orthopäden und zu Schmerztherapeuten wanderte, gefühlte hundert Mal die Diagnose: „vorzeitiger Verschleiß der Knorpelmasse und diverse Kalkablagerung“, zur Kenntnis nehmen musste, haute sie der besagte Sonntagmorgen ganz aus der Bahn – Verdacht auf Bandscheibenvorfall!

Wer schon einmal davon betroffen war, kann es sicher nachvollziehen: unerträgliche Schmerzen, hoch dosierte Mittelchen, um die Schmerzen zu ertragen und den Körper samt Geist irgendwann in einen kurzen Betäubungsschlaf zu wiegen. Zeitnah waren nervige Arztbesuche unumgänglich, um diesen ungeplanten Quälgeist zu lokalisieren und zu eliminieren. Tagelang stürmten gute Ratschläge auf sie ein, wie: „da gibt es Spritzen, lass dich ja nicht operieren, das geht oft schief,“ „Ich habe von einem Experten gehört, der praktiziert in …“Ich kann dir gute Tabletten empfehlen“, und so weiter und so fort.

Schon nach wenigen Tagen rebellierte das rechte Bein, wurde träg und schwerfällig, fühlte sich nach ein paar Meter Fußmarsch an, als schleppe man einen Kartoffelsack hinter sich her und im Ruhezustand fingen die Zehen an zu kribbeln. Alarmzeichen rot! Nach genauer Durchleuchtung war der Übeltäter enttarnt. Ungefragt quetschte sich ein Stück Bandscheibe zwischen dem 2. und 3. Lendenwirbel durch und belästigte schamlos die Nervenwurzeln, die das rechte Bein steuerten. Damit war die Bedenkzeit abgelaufen und der OP- Termin in die Tüte gepackt. Und nach der OP war sie wochenlang auf Eis gelegt, kein Autofahren, keine Ehrenamtsarbeit im Pflegeheim, der Nebenjob war weg. Das war anstrengend und brachte ihr geordnetes Rentnerleben völlig durcheinander.

Aber sie hatte auch ein Quäntchen Glück dabei, sie konnte ihren Heilungsprozess im Ort ihrer Wahl und einer schönen REHA - Einrichtung in Angriff nehmen. Also kurz zusammengefasst: das Haus gefiel ihr sehr, Zimmer einfach und zweckmäßig zum Ruhen, Anwendungen ausreichend, Zeitkoordinierung manchmal etwas eng, ausgewogene Mahlzeiten, sie war es zufrieden. Im Gegensatz zu einigen anderen Leidensgenossen, die über alles nörgelten und meckerten und wenn es eine kleine Spinne an der Wand war. Am meisten amüsierten sie Aussagen der übergewichtigen Hüft-, oder Knie- Operierten, die sich darüber empörten, dass Ernährungsberatung auf dem Therapieplan stand. Und sie war sehr angetan von dem Kurort selbst mit seiner kleinen belebten Innenstadt und dem wunderschönen großen Kurpark. Viele Kilometer legte sie in den drei Wochen Kuraufenthalt zurück, um alle Sehenswürdigkeiten, wie zum Beispiel: zahlreiche Skulpturen, den traumhaften Rosengarten, kleine Teiche mit Enten, schwarzen Schwänen und neugierigen Nutrias, in sich aufzunehmen. Gern hätte sie damals um eine Woche die REHA verlängern lassen; abgelehnt! Warum auch, meine Güte, Rentner brauchten das doch nicht, lag doch keine Erhaltung der Arbeitskraft mehr zu Grunde!

Jetzt nur nicht sarkastisch werden, es konnte ja keiner dafür, dass sie vielleicht in ihrem Leben einiges verkehrt gemacht hatte und jetzt vor dem Nichts stand. Mit „Nichts“ ging es nur um das Finanzielle, ansonsten Sonne im Herzen, und auf dem Weg zur inneren Mitte und Freude an der Erkenntnis, dass man zum Leben nicht allzu viel brauchte. Der passende Spruch dazu:

„Was zählt schon Reichtum, Macht und Glück, wenn man langsam darin erstickt.

Hallo, gab es da vielleicht Einspruch? So nach dem Motto, Glück könnte man doch nicht genug haben? Mag sein, aber Glück war relativ und jeder empfand es wohl auf seine Art, oder anders ausgedrückt:

„Glück hat viele Gesichter, die immer lächeln – man muss sie nur entdecken.“

Und ein mancher der vom Glück überrascht wurde mit einem Sechser im Lotto oder einer fetten unerwarteten Erbschaft zum Beispiel, ruinierte sich sein Leben damit, fühlte sich plötzlich als Krösus und alles rann ihm durch die Finger. Vielleicht standen auch ständig hilfsbedürftige Freunde vor der Tür und man konnte nicht nein sagen. Oder es tauchte eine arme Verwandtschaft auf, von der man selbst noch gar nichts wusste. Man könnte auch auf einen unseriösen Finanzberater reingefallen sein und alles wäre futsch. Nur mal erwähnt, könnte passieren. Also ihr mit Sicherheit nicht. Aber trotzdem warteten noch viele Träume darauf verwirklicht zu werden, doch wie hieß es so schön; ohne Moos nichts los.

Unglaublich wie schnell doch ein Jahr an einem vorbeizog. So lange lag Sybilles Rücken OP schon zurück, doch den herben Nachgeschmack und die leidigen Nebenwirkungen spürte sie immer noch. Trotzdem ließ sie die Zeit nicht einfach so vorbeiziehen. Sie musste ihre wertvolle Freizeit sinnvoll verbringen, damit sie den Tag zufrieden beenden konnte, um mit Freude und Dankbarkeit den nächsten Morgen beginnen zu können.

Natürlich pflegte sie mit großer Hingabe ihr Hobby „Schreiben“ und ihr war auch bewusst, dass sie dieses wunderbare Handwerk noch lange nicht beherrschte. Aber ganz deutlich merkte sie, dass Eingebungen und Fantasie im kleinen Kämmerlein schnell verwelken konnten, wie ein Blümchen ohne Wasser und Sonne.

Sie musste raus, unter Menschen, den Puls des Lebens spüren und die Einzigartigkeit der Natur erleben, dort lag für sie der Quell zur Inspiration.

Sie überlegte nicht lange und schloss sich einem evangelischen Frauenkreis an. Mit Ende 60 war sie das Küken in der Runde, lernte wunderbare Menschen kennen und sie konnte ein wenig ihr Defizit in Richtung Glauben abbauen, genoss die schönen lehrreichen Ausflüge und gemeinsamen Nachmittage.

An einem Themennachmittag bekam sie die Gelegenheit über das Leben in der ehemaligen DDR, ihrer alten Heimat, zu sprechen. Schon bei ihrer Vorbereitung holten sie zahlreiche Erinnerungen ein und wie von einer Filmrolle herunter gespult, durchlebte sie noch einmal ihre Kindheit und ihre Jugend. Zu gut erinnerte sie sich an die Teenager Zeit, oh Pardon, den Ausdruck gab es ja noch gar nicht vor gefühlten hundert Jahren.

Ausflug in die Vergangenheit

Also, schon als Halbwüchsige, Entwicklungsstufe zwischen Kind und noch nicht erwachsen sein, blühten Fantasien und Träume in ihr und um sie herum. Sie konnte es nur nicht so zeigen. Als Letztgeborene, sie hatte schon drei ältere Schwestern, sollte sie eigentlich ein Junge werden und so wuchs sie auch auf.

Gleichaltrige des männlichen Geschlechts waren ihr Clique, die Mädels viel zu zickig. Natürlich hatte sie das Sagen, ihr gehörte doch der Bauernhof, der für jeden Blödsinn oder für jedes Abendteuer nach der Schule und in den Ferien wie geschaffen war. Das wiederum führte dazu, dass sie die ersten zarten Annäherungsversuche zwischen Männlein und Weiblein, wie Händchenhalten, erstes heimliches Knutschen hinter dem dicken Baum oder in einer versteckten Ecke im Freibad, verpasste, es traute sich ja keiner an sie ran. Dafür schlich sie, da war sie vielleicht 13, ab und zu ihrer Schwester hinterher, um sie beim tete a tete mit ihrem Freund hinter der Scheune heimlich zu ertappen. Meistens wurde sie dabei entdeckt und nachhause gescheucht. Aber immerhin bekam sie zwei, drei Kaugummis für ihr Stillschweigen.

Natürlich machte der Reifeprozess; „Vom Mädchen zur Frau“, auch bei ihr keinen Halt, wenn auch mit etwas Verspätung. Niemals würde sie den dämlichen Ausspruch vergessen, den ein Freund ihrer älteren Schwestern zum Besten gab. Unsere Mutter hatte den beliebten Apfelkuchen mit Decke gebacken, und sie selbst putzte sich etwas heraus, was sehr selten vorkam. Plötzlich schmunzelte einer der Freunde, den mochte sie eigentlich gut leiden, und sagte:‚‘ei was habe ich da entdeckt, zwei Zwecken auf ein Brett gezweckt. Sie war so sauer; ließ sich natürlich nichts anmerken und frotzelte zurück. Schlagfertig war sie schon immer, aber der Freund, der war für sie eine ganze Weile gestorben

In der 8. Klasse saß zum Beispiel ihr großer Schwarm ein paar Bänke hinter ihr, ziemlich schlau und etwas reifer als die anderen Hansels in der Klasse. Doch alle ihre Flirtversuche und ausgesendeten Signale blieben unbemerkt. Er schielte nur ihrer besten Freundin hinterher, kein Wunder, sie war hübsch und man konnte schon sehr weibliche Kurven an ihr erkennen. Und die Beste in der Klasse war sie obendrein.

25 Jahre später, beim ersten Klassentreffen, kam sie mit ihrem „kleinen Liebeskummer“ von damals um die Ecke. Ihr ehemaliger Mitschüler starrte sie sprachlos an und meinte „Warum hast du nie was gesagt?“

Was für eine Frage, in dem Alter konnte man doch nur still leiden, aber nicht darüber reden!

Irgendwann hatte sie es dann doch erwischt in der schwierigen Phase einer pubertierenden Halbwüchsigen.

Sie traf Ihn! ER: 4 Jahre älter, groß, schlank, Haare bis auf die Schultern und spielte Bass-Gitarre in einer Band im Jugendclub. Jede Woche lief sie dahin und war selig in seiner Nähe. Dann kam die eiskalte Dusche und riss sie aus ihren Träumen. Eine Lehrerin tadelte sie unverblümt, wieso sie sich an einen Kerl ran machte, der verlobt war und im Begriff Vater zu werden. Sie hatte es nicht gewusst. Huch, das hatte gesessen. Für jedes klärende Gespräch wie zugenagelt, ließ sie ihn von jetzt auf gleich vor die Wand laufen. Aber es tat so weh, sie hatte sich das erste Mal so richtig verliebt. Später war sie froh darüber, dass es in den Schäferstündchen beim Schmusen und Streicheln geblieben war

So war das damals, tagsüber spielte sie den überlegenen Kumpel, und manche Nacht heulte sie ins Kopfkissen und wartete auf den Märchenprinzen. Doch das hätte sie niemals zugegeben, auch ihren Schwestern gegenüber nicht. Aber insgeheim wusste sie, dass ihre Mutter immer merkte, wenn irgendetwas im Busch war, da bekam sie jedes Mal ein paar Streicheleinheiten mehr.

Ach Mädels, wer kannte das nicht, und das hat sich bis heute wohl kaum geändert, außer die Kommunikation vielleicht.

Früher blitzten sich die Augen an, die Tür wurde vor der Nase zugeschlagen, heute macht es im Handy „blim“ mit der Nachricht: „Es ist aus, hab mich in eine andere verliebt.“

Nach dem „grausamen“ Ende ihrer ersten großen Liebe, wollte sie sich nie wieder verlieben und stürzte sich in jeder freien Minute auf ihr Hobby Motorrad fahren. Sie trat in die GST (Gesellschaft für Sport und Technik) ein und hielt mit 16 stolz die Fahrerlaubnis Klasse 1 in ihren Händen, sehr zum Leidwesen ihrer Mutter, die sich ja ständig Sorgen um das Nesthäkchen machte.

Ein „heißer“ Sommer, Ende der 60 er Jahre. Die Mädels aus dem Dorf und die Jungs, 2,3, Jahre älter, aus dem Nachbardorf, natürlich mit einer Maschine unter dem Hintern, zogen am Wochenende um die Häuser. Oft genug wurde sie von den missbilligenden Blicken der neugierigen Nachbarin beim Abholen verfolgt und beim Nachhausekommen von einer sanften Predigt ihrer Mutter empfangen. Aber wen kümmerte es, sie waren jung und gingen den Erwachsenen wohlweislich aus dem Weg. Das Leben konnte so schön sein und die Anziehungskraft der beiden Geschlechter regelte alles von selbst und es gab auch keinen Zickenkrieg um den gewünschten Sozius. Babyspeck und frühjugendliche Allüren hatten sich still und leise davongeschlichen und Frühlingsgefühle blühten wie zarte Knospen oder schwirrten wie Schmetterlinge umher, bei einem früher, beim anderen später. Es war eine herrliche Zeit

Sicher und geborgen düste sie hinter dem breiten Rücken ihres Freundes überglücklich durch die Gegend, oder bei miesem Wetter hockten alle gemeinsam in einer Gartenlaube und verzogen sich in verschiedene Ecken zum Kuscheln und Knutschen.

Ziemlich naiv, wie sie manchmal noch war, merkte sie sehr spät, dass es bei einem Freundes - Pärchen nicht nur beim Knutschen geblieben war und die aufregende Zweisamkeit schon Früchte trug. Das schockierte natürlich alle, vor allem die Mutter der Freundin, sie war Erzieherin. Aber sie selbst ärgerte nur, dass die zukünftige Oma sie tatsächlich mitverantwortlich machte, dass es zu diesem „Fehltritt“ kam. Sybille fand das unverschämt; oder, was konnte sie denn dafür? Hätte sie vielleicht die Hand dazwischen halten sollen, um es zu verhindern?

Das unbeschwerte Herumziehen hatte sich leider damit erledigt. Die Truppe fiel auseinander. Ihr Freund hing aber sehr an ihr und wollte plötzlich mehr.

Unvorstellbar; mit gerade 17 Jahren schon einen festen Freund. Sie drehte und wand sich wie eine Meerjungfrau, aber alle Argumente, „sie wäre noch nicht so weit, man könnte ja auch Freunde bleiben“, stießen auf taube Ohren und so musste sie mit ziemlich unsanften Mitteln der Beziehung ein Ende setzten, und das noch kurz vor Weihnachten.

Ihr tat alles so leid, vor allem, als ihr der ältere Bruder vorwurfsvoll steckte, dass die Mutter schon ein Geschenk für sie gekauft hatte. Ende vom Lied; - ihr enttäuschter Freund war sehr böse auf sie und schaute lange Zeit einfach über sie hinweg. Übers Jahr lernte er ein Mädchen aus einem anderen Dorf kennen, und wie sie später erfuhr, heirateten sie auch und sind heute noch eine Familie. Aber noch jahrelang kribbelte ihr ganzer Körper, wenn eine 350 er Java mit ihrem einmaligen Sound und Geruch, an ihr vorbei sauste.

Monate vergingen; die Lehre hatte begonnen und die Woche über büffelte sie mit den anderen im Lehrlingswohnheim. Das war in Ordnung, man lernte neue Leute kennen und gemeinsam stellte man auch genug Blödsinn an, schlich sich abends aus dem Haus und ließ ein Erdgeschossfenster offen, um wieder reinzukommen, wenn die Türen verschlossen waren. Das ging eine Weile gut, bis so ein Judas sich Lieb Kind machen wollte und die Abwesenden verpfiff, 3 Wochen Ausgangsverbot und Strafarbeiten waren der Lohn. Aber das schweiße alle noch mehr zusammen.

Eintönig waren aber die Wochenenden zuhause, oh nein, nicht schlimm, im Gegenteil, sie waren wunderbar. Die Mutter verwöhnte sie, kochte und backte, Sonntagabend packte sie einige Leckereien für sie in die Tasche und steckte noch etwas Taschengeld dazu.

Aber jedes Mal, wenn Sybille an diesen Lebensabschnitt zurückdachte, bekam sie eine Gänsehaut und fragte sich noch heute oft, wie hatte diese wunderbare, vom Schicksal hart geprüfte, stille und bescheidene Frau jeden Tag gemeistert und ihren Mädels eine schöne Kindheit ermöglicht hatte, ohne zu klagen. Ihr Vater war ein politisch Verfolgter und wurde für Jahre vom Stasi Regime weggesperrt, anno 52. Sie war gerade ein halbes Jahr alt und lernte ihren Vater mit knapp 5 Jahren erst kennen. Ihre Familie zog um und der Vater bewirtschaftete einen kleinen Bauernhof. Doch Anfang der 60er Jahre fiel er erneut den Querelen im ach so sozialistischen Staat zum Opfer für weitere zwei Jahre.

Noch heute verfolgten sie die Bilder im Traum, wie ein knappes Dutzend Staatsdiener mit langen schwarzen Ledermänteln bekleidet, ihren Vater gegen 4 Uhr morgens halb nackt bei eisiger Kälte aus dem Haus zerrten. Und diese Nacht hatte ihr Leben geprägt und den Glauben an Gott für immer verschüttet, da sie es einfach nicht begreifen konnte und wollte, warum er das zuließ, dass ihre Mutter, alleingelassen mit 4 Kindern, viele Jahre leiden musste, obwohl sie gläubig war und jedem Menschen auf Erden das Beste wünschte und niemals jemandem etwas zuleide tun konnte.

Sybille wollte ihre Mutter nicht enttäuschen, konzentrierte sich also vollkommen auf das Lernen. Man lernte ja für das zukünftige Leben, so paukten die Erwachsenen es einem ständig ein. Und sie war fest überzeugt, dass der ganze Gefühlskram sowieso nichts brachte. Aber weit gefehlt, die Wochenenden waren meistens langweilig und trist, da half nicht das Behütetsein durch ihre Familie und auch nicht ihre Leselust auf Abenteuergeschichten, in denen sie natürlich immer eine Hauptrolle spielte und auch nicht, dass sie ihre Fantasien in eigenen Gedichten und Geschichten zu Papier brachte, die dann eh in einer Schublade verschwanden.

Es trieb sie hinaus, hinaus ins Leben. Also brauchte ihre damalige Freundin sie nicht lange betteln und überzeugte sie mit den Worten: „sag mal Bille, willst du zuhause wirklich versauern, oder gehst du heute mit mir mal raus zum Tanzen ins Nachbardorf?“ Einige Male hatte Sybille verweigert, da die Freundin mit ihrem Freund ging und sie wollte nicht das fünfte Rad am Wagen sein. Diesmal ließ sie sich überreden, es sollte noch ein Freund des Freundes mitkommen. Sie konnte es gar nicht fassen, sie verknallte sich total, und wie verliebt sie war!

Einige Wochen schwebte sie im siebten Himmel. Sie redeten viel, gingen zusammen tanzen, hielten Händchen und auch etwas mehr. Liebevoll war er, einfühlsam und hatte viel Verständnis dafür, dass sie mit dem letzten Schritt noch warten wollte. Er war ein paar Jahre älter und passte genau in ihre Träume. Sie hatte den Schlüssel für seine kleine Wohnung, doch irgendwann häuften sich die Wochenenden, an denen sie umsonst auf ihn wartete. Eine Zeitlang glaubte sie seinen Ausreden, doch das Misstrauen wuchs und quälte sie. Ihre Freundin konnte sich das Elend nicht länger mit ansehen und steckte ihr ganz vorsichtig, dass der „Liebste“ wieder an der Tür seiner Verflossenen kratzte und um sie buhlte.

Meine Güte, war sie blauäugig! Schlagartig sah sie die Großmütigkeit und das Verständnis im richtigen Licht und begriff, dass er es doch gar nicht nötig gehabt hatte sie zu bedrängen, und seine männlichen Bedürfnisse jederzeit ausleben konnte.

Irgendwann kam sie auch darüber hinweg. Im Gegenteil, als der „grausame“ Liebeskummer allmählich verschwand, war sie heilfroh darüber. Was wäre wohl daraus geworden, wenn sie sich darauf eingelassen hätte. Eigentlich war sie gerade bereit, ihre gedankliche, völlige Hingabe in die Tat umzusetzen. So ist ihr doch eine sehr schlimme Erfahrung erspart geblieben.

Die Zeit verflog. Sie wohnte inzwischen wieder zuhause und büffelte für das Abitur, um für ein Studium zugelassen zu werden. Das war die tollste Zeit, die sie beim Schulbank - Drücken erlebt hatte. Die Klasse, zusammengewürfelt aus allen Ecken der Republik war ein eingeschworener Haufen, einer für alle, alle für einen.

Die letzten großen Semesterferien verbrachte sie an der Ostsee, erst Zelten mit Freunden, die fuhren wieder nachhause und sie selbst stürzte sich ins Abenteuer und verdiente sich als Aushilfe ihr erstes Geld. Als Springer war sie in einem Betriebsferienheim angestellt unter der Fuchtel einer sehr strengen Chefin, aber sie lernte eine Menge dabei. Und der Mann ihrer Chefin konnte sie sehr gut leiden. Er erlaubte ihr sogar, nach dem Dienst an der Theke zu arbeiten und die Gäste, meist Einheimische, zu bedienen. An ihren freien Tagen bummelte sie durch den Urlaubsort und das blieb nicht ohne Folgen.

Nach sechs Wochen kehrte sie stolz wie Oskar mit 360 Mark in der Tasche, einen großen Zirkelkasten für das Studium und als etwas gereifter Mensch nach Hause zurück. „Gereift?“, nicht wegen den paar selbstverdienten Kröten, sondern, weil sie den letzten Schritt „Mädchen wird zur Frau“ getan hatte.

Mit wem und wo das blieb ihr Geheimnis. Aber sie hatte es aufgeschrieben als kleine Liebesgeschichte, „Erinnerung an einen Sommer“, die seit vielen Jahren in der Schublade lag und vielleicht irgendwann mal das Licht des Tages erblicken würde. Nur ihrer zweitältesten Schwester hatte sie davon erzählt.

Oh je! Was für schöne, schmerzliche und aufregende Erinnerungen. Wenn sie jetzt weiter darin schwelgen würde, käme sie ja nie wieder in der Gegenwart, oder besser gesagt, „in ihrem Herbst“ an.

Der Weg bis hierher war lang, holprig und nicht immer einfach. Aber was war schon einfach im Leben, wenn man alles unter einen Hut bringen wollte; im Berufsleben weiterkommen, eine Familie gründen, möglichst im harmonischen Einklang mit dem Partner, und unter den Einflüssen des gesamten Umfeldes. Dafür gab es keine Garantie.

Eigentlich lebte sie immer schon nach dem Motto, es zählt „Jetzt und Heute“. Doch wenn das Heute auf sehr wackligen Füßen stand und eine Veränderung dringend hermusste, dann war es an der Zeit auch an später zu denken.

Genau diesen Punkt hatte sie irgendwann kurz vor Eintritt ins Rentenalter und nach über 20 Jahren Selbständigkeit als Wirtin erreicht. Sie musste niederschmetternde Fakten akzeptieren, mit den Optionen: entweder den vorauszusehenden Zerfall von Körper und Seele in Kauf zu nehmen, wenn sie einfach so weitermachte, oder eine radikale Rundum Sanierung mit aller Konsequenz anzugehen. An Baustellen mangelte es wahrlich nicht und oft genug hatte sie auch schon darüber gelesen oder gehört, dass Körper und Seele eine Einheit bilden sollten. In einem kranken Körper kann die Seele nicht gesund sein.

Jetzt ja nicht Gott und die Welt verantwortlich machen, oder gar die Politiker, die, in den Kommunen oder von ganz oben, viele Versprechungen in den Fokus stellten und das Wenigste kam beim Otto-Normalverbraucher an.

Auch das nervenaufreibende Ringen um den Weltfrieden konnte nichts dafür, genauso wenig wie der unaufhaltsame Klimawandel und der zähe Kampf für die Verbesserung unsrer Umwelt.

Dabei fiel ihr doch gleich ein Lied ein, „Ich muss erst mal die Welt retten…“, aber es war eben nur ein Lied.

Wer konnte schon die Welt retten in ihrer Zerrissenheit und den zerstörerischen Elementen mittendrin. Jahr für Jahr war der Fortschritt auf vielen Gebieten des menschlichen Daseins zu spüren, und doch verbarg er immer die Gefahr in sich, dass Errungenschaften und neue Erkenntnisse aus Machtgier missbraucht wurden und damit Schaden anrichteten. Das friedliche Miteinander auf der gesamten Erdkugel stand wohl noch sehr, sehr weit in den Sternen

Doch für sich selbst konnte man immer etwas tun, auch wenn das jetzt etwas egoistisch klang. Also hatte sie sich ein eigenes Lied geschrieben:

„Ich muss mich erst mal selbst retten, wie stell ich das nur an, muss alle meine Macken checken, nur das bringt mich voran.

Dann muss ich meine Wunden lecken, das reicht allein nicht aus, ich muss mir neue Ziele stecken und dann, ziehe ich in den Kampf hinaus.“

Ja, ja, ja, steht auch nur auf dem Papier, könnte man denken, wenn man das so liest. Aber weit gefehlt, sie hatte es sich auf die Fahne geschrieben, für sie - war es ein Versprechen. Und seit sie im wohlverdienten Ruhestand war, arbeitete sie ständig an der Schadensbegrenzung.

Sanfter Nieselregen hüllte schon frühmorgens Sträucher, die Lindenbäume und den mächtigen Kirschbaum vor ihrem Balkon ein. Die frisch glänzenden Blätter an den Zweigen bewegten sich leicht, waren längst noch nicht bereit abzufallen und Sybille atmete tief durch, spürte dabei das Aufatmen der Natur nach einem sehr trockenen Sommer.

Ihren tierischen Freunden war es wohl zu feucht. Kaum ein Vöglein zwitscherte, kein Häschen hoppelte herum und keine Eichhörnchen flitzten durch die Bäume, der Himmel blieb den ganzen Tag grau. Aber das störte sie nicht, verdarb ihr kein bisschen die Laune. Im Gegenteil, sie kramte in ihren Aufzeichnungen und fand genau den passenden Spruch, den sie im vergangenen Jahr zur gleichen Jahreszeit geschrieben hatte.

„Der Himmel ist grau, grau ist der Tag, Zeiten, die niemand wirklich mag, akzeptiere was nicht zu ändern ist und bewahr im Herzen dir ein kleines Licht.“

Mag der eine oder andere darüber schmunzeln, na und, da stand sie schon lange drüber, sie belächelte auch nicht Anderer Macken.

Der Markt war überschwemmt mit Sprüchen, Zitaten und Lebensweisheiten, die man in zig Geschenkbüchlein, Kalendern oder ganzen Ausgaben finden konnte. Sie hatte ihre Freude daran, las, was ihr in die Hände fiel, auch wenn sich manches oft wiederholte, wer kannte nicht die klugen Sprüche: „Jeder ist seines Glückes Schmied; Geteiltes Leid ist halbes Leid; Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben; Wie gewonnen so zerronnen; Ohne Fleiß kein Preis; Wer nicht hören will muss fühlen; Durch Schaden wird man klug“, und so weiter und so fort.

In jedem Spruch steckte etwas Wahrheit, gerade der letztere, „durch Schaden wird man klug“, wenn es dann mal so wäre, aber manche Menschen lernten nie dazu, wie man im eigenen Umfeld oft beobachten konnte. Aber nicht nur im Umfeld, wenn man ehrlich zu sich selbst war, hatte man die Erfahrung im eigenen Leben oft gemacht.

Fing sie jetzt tatsächlich an über andere zu urteilen? Pfui! Natürlich nicht, sie hatte ja genug mit sich zu tun und dabei schrieb sie gern ihre eigenen Sprüche, zum Beispiel:

„Urteile nur über andere, wenn du sie verstehst, und prüfe deine Wege, die du selber gehst“ Oder

„Der anderen Fehler zu benennen, das ist leicht. Die eigenen Schwächen zu erkennen, das macht reich.“

Aller guten Dinge sind drei und den fand sie wahrhaft lustig.

„Der mit doppelt Zunge spricht, schlägt sich selber ins Gesicht.“

Jetzt aber Schluss mit der Sprücheklopferei! Da hatte sie nämlich noch an die hundert in der Schublade, genauso wie zahlreiche Gedichte, Geschichten für Kinder und Erwachsene und mehr. Seit über 50 Jahren gehörte das Schreiben, als „Spiegel aller Gedanken“, zu ihr, war Nahrung und Medizin für die Seele zugleich, wenn ein Gefühlschaos ihr Inneres gerade mal aufmischte.

Eigentlich hatte der Wetterfrosch für heute etwas Aufklarung versprochen, also weniger Regen und ab und zu durfte auch mal die Sonne hervor blinzeln. Hoffentlich war das beim Wettergott oben angekommen. In ihrem Knie zum Beispiel nicht, das stach und rumorte, seit sie sich aus den Federn gerollt hatte. Es war aber auch ein Kreuz mit den Knochen, wenn sie nach und nach einrosteten.

„Wusstet ihr schon, dass ein Mensch, der zur Welt kommt, mehr als 300 Knochen und Knorpel besitzt? Unvorstellbar, wie das alles in so ein winziges Wesen passen sollte. Ein erwachsener Mensch hat dann nur noch 206 bis 214, es geht natürlich keiner verloren, aber sie wachsen teilweise zusammen.

Der kleinste Knochen, Steigbügel genannt, befindet sich im Innenohr und sorgt gemeinsam mit Hammer und Amboss für ein gutes Gehör, nicht zu verwechseln mit einer Huf Schmiede, ha, ha. Und der Größte ist der Oberschenkelknochen, der kann bei einer Körpergröße von 1.80 m einen halben Meter lang werden. Da muss es einen doch nicht verwundern, dass ein Oberschenkelhalsbruch eine delikate Angelegenheit ist und je älter man wird, umso schwieriger.

Ja nun, wie werden diese Masse Knochen in Bewegung gesetzt? Dafür haben wir wohl die Gelenke, genauer gesagt, sechs große: Schulter-, Ellenbogen-, Hand-, Hüft-, Knie und Sprunggelenk, dazu kommen jede Menge „unechte“, ergibt die stolze Summe von 212.

Natürlich reichte das noch nicht, sie mussten ja auch bewegt werden, also: 600 Einzelmuskeln arbeiten im Team zusammen. Die Wirbelsäule ist das knöcherne Achsenskelett, das uns in die Lage versetzt, aufrecht zu gehen, im Gegensatz zu unseren haarigen Vorfahren. Es besteht aus 33 bis 34 Wirbelkörpern, Wirbelbogen und Wirbelfortsetzen.

Jedes auch noch so winzigste Teilchen im höchst entwickelten System Mensch ist wichtig, damit es störungsfrei funktionieren kann. Doch wie heißt es so schön: No Body ist perfekt – Gott sei Dank.“

Das sollte keine Anatomiestunde werden. Und trotzdem war es doch mal interessant zu wissen, woher unsere körperlichen Beschwerden kamen, natürlich immer im Zusammenspiel mit allen lebenswichtigen Organen und der ach so komplizierten Seele. Dass der Zahn der Zeit im Laufe der Jahre an allem nagte, war ja kein Geheimnis, meistens kam diese Erkenntnis sehr spät. Und Sybille wusste ganz genau, dass sie den jetzigen Zustand von Körper und Seele zum großen Teil selbst mit verschuldet hatte. Selbst heute, angekommen im Herbst ihres Lebens, war sie immer noch dabei Frieden mit sich zu schließen, und das eigene „Ich“ neu zu entdecken. In der Mitte ihres Lebens, bei einer Lebenserwartung von 80, wäre ihr doch nie in den Sinn gekommen über Dinge wie: Selbstfindung, Achtsamkeit oder Meditation nachzudenken; wie auch, wann auch?

Licht und Schatten