Charly - Sigrid Wagner - E-Book

Charly E-Book

Sigrid Wagner

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Beschreibung

Wenn sich der Igel unter ihrer Haut meldet, treibt es die 12 jährige Charlotte, genannt Charly aus der Stube, manchmal zum Leidwesen ihrer Mutter und den drei älteren Schwestern, in deren Mitte sie wohlbehütet aufwächst. Voller Abenteuerlust und Neugierde ist nichts vor ihr sicher. Mit guter Beobachtungsgabe, Hilfsbereitschaft, aber vor allem einem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn, hilft sie wo sie kann, macht sich immer für die Schwächeren stark und tritt den Erwachsenen auch schon mal auf die Füße.

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Inhalt

Vorwort

Lässe

Johannes

Das große Fest

Verwirrende Gefühle

Epilog

Vorwort

In dem verträumten, sächsischen Dorf Beeshain, 1200 Seelen, lebt die 12 - jährige Charlotte, genannt Charly. Wohlbehütet von ihrer Mutter und den älteren Schwestern wächst sie unbeschwert auf. Sie ist immer gut gelaunt und sehr hilfsbereit, aber ab und zu auch sehr nachdenklich.

Ihren Vater hatte sie nie kennengelernt, da er bei einem Arbeitsunfall ums Leben kam, da war sie gerade ein halbes Jahr alt. Ihre Mutter hatte es nicht leicht, aber das wurde ihr eigentlich erst Jahre später richtig bewusst.

Mit guter Beobachtungsgabe, großer Wissbegier und einer Portion Misstrauen ist sie stets auf der Suche nach Gerechtigkeit und tritt dabei schon mal den Erwachsenen auf die Füße.

Orte und Personen sind frei erfunden, doch die Handlung selbst wird getragen von unzähligen Erinnerungen aus der eigenen Kinder- und Jugendzeit.

Lässe

Er saß einfach da - einfach so, als wäre er nie weg gewesen. Ich war etwas überrascht und schaute zu ihm rüber. Doch das bemerkte er wohl gar nicht. Er saß teilnahmslos in seinem Stammsitz, einer uralten, ausgehöhlten knorrigen Wurzel, geformt wie ein Sessel mit Lehne und Armstützen. Die langen Beine baumelten herunter und die abgewetzten Schuhspitzen strichen im Sekundentakt über den groben Sand, der überall herumlag. Das knirschte und ratschte bis zu mir, war nervig. Doch er schien sich nicht daran zu stören.

Mit gesenktem Kopf stierte er auf den Boden, dabei fiel ihm eine lange braune Haarsträhne ins Gesicht, so dass ich es nicht erkennen konnte. Nur hinten waren seine dichten Haare hoch geschoren, sehr ungewöhnlich, aber es stand ihm.

Ich gab mir einen Ruck und pirschte mich näher heran. Dann werde ich ihn eben einfach anquatschen, im Dorf redete jeder mit jedem, na ja, Ausnahmen gab es schon. Manche waren sich auch nicht grün, wechselten lieber die Straßenseite, damit sie sich nicht grüßen brauchten.

Doch ehe ich dazu kam, federte er gekonnt ab und trottete in Richtung Dorfausgang. Dann eben nicht, warum sollte er mich beachten, schließlich war er vier Jahre älter, kaum zuhause, ein richtiger Einzelgänger. Aber unterhalten hatten wir uns schon, bevor er wieder für längere Zeit weg war. Niemand wusste so genau, warum er mal da, mal weg war. Im Dorf munkelte man, seine Mutter würde wohl nicht fertig mit ihm, er baue nur Mist. Vielleicht weckte gerade das mein Interesse. Denn eins stand für mich fest, die Erwachsene waren manchmal auch ganz schön komisch. Von den Kindern verlangten sie, dass die immer ehrlich sein sollten. Aber selbst redeten sie über bestimmte Sachen und machten es dann doch ganz anders.

Der Bäckermeister Berthold zum Beispiel schimpfte immer mit den Kindern, wenn sie auf dem Weg zur Schule im Laden lautstark nach Kuchenrändern fragten. „Geht das nicht leiser, ich muss jetzt schlafen“, rief er jedes Mal brummig aus der Backstube. Aber kurz danach lief er zur Hintertür raus, und verschwand im Nachbarhaus der schönen Witwe Meyer und die Bäckersfrau stand allein im Laden. Und wenn ich nachdachte, fielen mir noch einige kuriose Dinge ein, die ich bei den Erwachsenen ständig feststellte.

Gedankenversunken trabte ich über den kreisrunden Platz, wirklich kreisrund – Treffpunkt für Groß und Klein und wenn sich jemand hier verabreden wollte, hieß es immer: bis dann und dann am –Kreißl -, das sagten sogar die Alten. Babsi, Leni und Eule rempelten mich an. Ich hatte sie gar nicht kommen gehört, bis sie laut schnatternd neben mir standen. Aufgeregt plusterten sie um mich herum und Babsi piepste hinter vorgehaltener Hand. „Eh, Charly, war das nicht Lässe?“ Ich wand mich wie ein Wurm. „Was meinst du?“, murmelte ich undeutlich und wurde etwas rot dabei. Ich wusste es genau; er war es! Leni trampelte ungeduldig.

„Was ist nun mit Morgen, um drei, gehen wir zu unserem Treff?“

„Klar, um drei hier am Kreißl“, bestätigte ich, und war froh, dass Babsi abgelenkt war und mich nicht weiter löchern konnte. „Und bei euch ist doch alles klar, oder?“ Babsi und Leni nickten.

„Klaro!, gab Eule seinen Kommentar noch dazu. „Aber jetzt muss ich nach Hause. Heute ist wieder großer Stammtisch und da helfe ich immer mit, na ihr wisst schon“, er grinste verschmitzt und rieb die Fingerspitzen zusammen. „Vielleicht kriege ich auch mit, was im Dorf so los ist.“, setzte er noch einen drauf und lief rüber zum „Eulenwirt“ unserer Dorfkneipe, die gehörte seinen Eltern.

Die Mädels hakten sich ein und hopsten kichernd um mich herum, zwitscherten „Tschüss Charly, bis morgen“, und weg waren sie - Mädchen eben!

Doch in meinem Kopf wirbelten schon wieder andere Gedanken und nicht gerade rosige. Ungutes schlich sich ein, ich definierte es immer als Igel unter der Haut, wenn es mir überall kribbelte, komisches Gefühl. Und da hörte ich es schon, laute knatternde Geräusche. Ich starrte angestrengt in die Richtung, bis mir die Augen wehtaten. Umsonst, ich konnte nichts erkennen und musste unbedingt näher heran. Hinter den wenigen Büschen schlich ich mich leise wie eine Katze an und beobachtete etwas; was mir gar nicht gefiel. Zwei Typen in derben Stiefeln, Jeans und abgewetzten alten Lederjacken stiegen von einer alten Java ab und machten sich an unserem Wahrzeichen breit. Die langen Haare hingen verstrubbelt unter speckigen Kappen hervor. Sie schauten umher und fuchtelten wild mit den Armen herum.

Da löste sich ein Schatten unter der uralten mächtigen Kastanie und gesellte sich dazu. Lässe - ich hatte es geahnt, was hatte Lässe mit diesen Typen zu tun? Die hatte ich noch nie im Dorf gesehen. Shit, Shit!

Leider konnte ich nicht näher heran, ohne meine Deckung zu verlassen, Lässe redete nicht, versuchte Abstand zu halten und winkte immer wieder ab. Aber die beiden nahmen ihn richtig in die Mangel, schubsten und rangelten, rückten ihm nah auf den Leib. Einer stach Lässe mit dem Finger vor die Brust, da senkte er den Kopf. Es knatterte und stank, der Spuk war vorbei „Charlotte, was ist los mit dir, du wälzt dich hin und her, redest komisches Zeug und ich kann nicht schlafen!“ Von weit her drang die Stimme in mein Ohr und ich saß vor Schreck kerzengerade in meinem Bett, Evi, meine drittälteste Schwester, auch. Wir teilten uns ein Zimmer, genau wie Ursel und Christel, mehr Platz war eben nicht.

„Tut mir leid, liebe Schwester“, flötete ich zerknirscht zu ihr rüber, ließ mich dann mit einem lauten Plumps zurückfallen und zog mir die Bettdecke bis an die Nasenspitze. Aber einschlafen konnte ich nicht mehr.

Wenige Minuten später hörte ich Evis tiefe Atemzüge und schälte mich ganz leise aus meiner warmen Hülle. In der Dunkelheit tastete ich mich zur Tür und die kleine Treppe zum Boden hinauf.

Ich zog an einem dünnen Strick und eine erbärmliche Funzel ging an. Der herumstehende Krempel warf gespenstige Schatten umher und in den Ecken raschelte es. Ziemlich unheimlich, aber hier war mein geheimer Rückzugsort und ich hatte keine Angst, war oft hier oben. Durch eine kleine Luke im Giebel behielt ich den alten Bunker im Auge. Eigentlich waren es nur Mauerreste, dicht bewachsen mit Gras und Moos, die von einem Bunker aus dem zweiten Weltkrieg übergeblieben waren. Geheimnisvolle Geschichten wurden im Dorf darüber erzählt. Eine davon beeindruckte mich ganz besonders, und ich malte mir immer wieder aus, was ich getan hätte, wenn ich damals schon in diesem Dorf gelebt hätte. Der damalige Bürgermeister, ein durch und durchgetreuer Hitler Anhänger, hatte sich ein großes Depot mit allerlei Hamsterware im Bunker angelegt. Bei einem seiner Kontrollgänge entdeckte er eines Nachts drei junge Männer, die sollten als Soldaten eingezogen werden. Sie wollten aber nicht und versteckten sich im Bunker. Zwei Tage später waren sie weg und kehrten nie in ihr Dorf zurück. Und von der Kräuter – Ruth wusste ich, dass der Bürgermeister ein Jahr später, nach Ende des Krieges, bei einem Jagdunfall ums Leben gekommen war, die Umstände wurden nie ganz aufgeklärt, keiner redete davon und die Dorfbewohner wussten von nichts. Das erzählte sie mir hinter vorgehaltener Hand, werde ich mal meine Mutter fragen.

Mein Igel meldete sich schon wieder und ich starrte hinüber zum Wäldchen. Es lag friedlich, eingehüllt im fahlen Mondlicht, auf der kleinen Anhöhe. Alles ruhig, keine Bewegung, keine blinkenden Lichter – Gott sei Dank. Das war wohl diesmal falscher Alarm in mir drin. Die alte Kirchturmglocke läutete Mitternacht, und ich kuschelte mich unter die Bettdecke, konnte endlich einschlafen

Am Morgen war ich allein im Haus. Frau Hummel, unsere Zeichenlehrerin, war erkrankt und wir hatten die erste Stunde frei. Gemütlich schlenderte ich mit einer Marmeladenstulle von einem Raum in den anderen. Das aufregendste Zimmer war natürlich verschlossen, das Zimmer der beiden Ältesten, obwohl die dritte auch nur ein Jahr jünger war, aber die schlief ja bei mir.

Zu gern hätte ich etwas herumgeschnüffelt. „Blums!“, ein breiiger roter Fleck klatschte vor meine Füße. „Mist!“ Mit einem feuchten Lappen wischte ich über den blanken Holzboden, aber beim nächsten Rundgang klebte es immer noch.

„Hallo, ist jemand da?“, krähte eine hohe Stimme, und es klopfte laut an der Tür. Ich riss sie auf und prallte um ein Haar mit dem mächtigen Busen der Frau Ewers unserer Nachbarin zusammen. „Post für euch, meine Liebe. Ach nein, nur für Christel, deiner Schwester! “korrigierte sie und wedelte wichtig mit einem dicken Kuvert vor meiner Nase herum.

„Danke, Frau Ewers!“

Wie angewachsen blieb die stehen. Aber ich drückte die Tür vor ihrer Nase zu. Bei der Ewers musste man sich jedes Wort überlegen. Sie war krankhaft neugierig und wenn sie etwas mitbekam, machte das sofort die Runde durchs ganze Dorf. Ich beguckte mir den Brief und am Absender konnte ich erkennen, er kam aus der Kreisstadt, und zwar von einem Friseurgeschäft.

„Lass es eine Zusage sein!“, betete ich laut. Christel wollte unbedingt Friseuse werden, und nur Friseuse. Sie hatte schon einige Bewerbungen weggeschickt, ohne Erfolg. Hoffentlich klappte es diesmal, Im Moment war sie unausstehlich.

Nach der Schule war am „Kreißl“ noch nichts los und ich viel zu früh dran, wir hatten uns für drei Uhr verabredet. Biene und Co, saßen am Sandkasten und lieferten sich Wortgefechte mit Sprosse. Sprosse war der Sohn des Apothekers Hinrich. Der Apotheker meinte, er wäre nach dem Bürgermeister der zweitwichtigste Mann im Dorf. So benahm sich auch sein Sprössling. Doch der hatte keinen Erfolg damit. Und schon gar nicht bei Biene, die blieb ihm keine Antwort schuldig. Sein Vater war sonst in Ordnung, vielleicht zu freundlich. Nur die Kräuter-Ruth konnte er gar nicht leiden. Und wenn er beim „Eulenwirt“ zum Frühschoppen ein Gläschen zu viel getrunken hatte, polterte er laut herum, „die alte Hexe versaut mir das Geschäft.“ Alle lachten jedes Mal darüber, sie wussten ja, dass es nicht bös gemeint war.

Sprosse hatte mich entdeckt. „He, Charly, guck mal wo ich sitze!“, prahlte er laut und wollte damit die Jüngeren beeindrucken., breitete weit seine Arme aus, „Auf meinem Thron.“

„Aber nicht mehr lange“, konterte ich und lief feixend an ihm vorbei, „Lässe ist wieder da.“

„Lässe, Lässe“, äffte er nach, schaute dabei mit flinken Augen umher und lehnte sich dann in aller Ruhe zurück. „Wo ist er denn, Leute, sieht hier irgendjemand Lässe?“

Ich ersparte mir eine Antwort, ein alter grüner Jeep quälte sich die Straße herauf. Herr Weller, unser Dorfsheriff wollte gerade am „Kreißl“ vorbeifahren. Ich lief in Windeseile über den Platz, stellte mich mitten auf den Weg und zwang ihm zum Anhalten.

„Charly, was soll das?“, rief er barsch und sein mächtiger Schwabbelbauch wackelte dabei hin und her. „Ich habe wenig Zeit, muss hoch zum Bauer Grote. Bei ihm wurde gestern Nacht ein Schaf gerissen. Jetzt erzählt er herum, er hätte einen Wolf gesehen. „Äh, nun ja“, stotterte ich verlegen und versuchte mein Feixen zu unterdrücken, „da will ich sie nicht aufhalten, wollte nur sagen, habe zwei Fremde gesehen, zwei komische Typen auf einem Motorrad. Die gefallen mir gar nicht.“

„Mir auch nicht, Charly, mir auch nicht“, antwortete Herr Weller ernst. „Aber dagegen kann ich nichts tun, nicht jede Nase gefällt uns, nicht wahr. Ich habe sie nur darauf hingewiesen, dass wahrscheinlich der Auspuff defekt ist und sie es in Ordnung bringen sollen. Du kannst aber ruhig die Augen offenhalten und sobald dir etwas Ungewöhnliches auffällt, kommst du damit zu mir, klar! Und jetzt mach Platz“, brummte er grinsend und knatterte davon.

„Charly!“, kreischte Babsi quer über den Platz und ruderte mit den Händen, „wo steckst du denn?“

„Ich bin doch schon da. Und, gehen wir jetzt mal hoch zum GTB?“ Diese Abkürzung für Geheim Treff Bunker hatten wir uns ausgemacht. Die Erwachsenen sahen es gar nicht gern, wenn wir uns tort trafen und herumstöberten. Aber genau das reizte ja, vor allem mich.

Meine Freunde schauten sich komisch an und drucksten herum. „Was ist“, drängelte ich, „wollten wir nicht nach dem Rechten sehen und alles Mögliche bequatschen?“

„Ich weiß nicht“, fing Eule an, „im Dorf wird so dies und das gemunkelt. Gerade erzählte der Bauer Grote in der Wirtschaft, es treiben sich fremde Gestalten herum, auch im Wäldchen. Und die Krönung; gestern Nacht hätte ein Wolf seine Schafe angegriffen und eins davon sogar gerissen. Mein Vater hat es mir verboten, in dieses Wäldchen zu gehen.“

Leni sagte gar nichts dazu, aber Babsi bestärkte ihn noch.

„Meine Eltern haben es mir auch verboten“, die haben mit dem Förster gesprochen“, krähte sie laut.

„Eh, Leute, es ist doch noch hell am Tag“, wollte ich sie beruhigen, obwohl mir auch leise Zweifel kamen. Die ließ ich mir aber nicht anmerken. „Nun macht schon, einmal ganz schnell gucken oder seid ihr feige?“, lockte ich sie und lief einfach los, drehte mich um und siehe da, sie trabten zögerlich hinter mir her. Doch am Ende der Wiese stoppten sie plötzlich. „Ne, Charly, wir kehren wieder um“, rief Babsi und packte Leni am Arm, „sei nicht sauer.“

„Ist ja gut, ich bin nicht sauer“, reagierte ich gönnerhaft und schaute Eule fragend an. Der hampelte hin und her, wollte aber kein Weichei sein.

„Nur ganz kurz, Charly! Wenn etwas komisch ist, verschwinden wir, versprochen?“

„Versprochen!“, brummelte ich erleichtert, als er mit mir den Weg zum Bunker fortsetzte. Im Wäldchen war es schon düster und im Bunkereingang sah man im ersten Moment gar nichts mehr. Ich ging voran und tastete mich vor, die Augen gewöhnten sich schnell an die Dunkelheit, Eule zögerte noch und blieb immer wieder stehen.

„Nun komm endlich Eule, und hilf mir. Hier stehen Kartons, eine Menge, habe ich es doch gedacht, hier stimmt irgendetwas nicht“, flüsterte ich halblaut nach hinten, „es sind mindesten 5 Kisten, abgedeckt mit einer Plane. Lass uns eine schnell in unser Geheimversteck schieben und verschwinden, später kucken wir dann nach. Nun mach schon mit!“ Eule schob ein wenig mit, richtete sich aber plötzlich kerzengerade auf und lauschte angestrengt. „Lass uns jetzt verschwinden, Charly, da kommt jemand, los schnell weg hier!“

„Ja, ja, wisperte ich genervt und zerrte den Karton noch ein Stück weiter in eine tiefe Nische, „ich komme ja schon, wo bist du?“ Keine Antwort und da hörte ich es auch, Stimmen und ein schlürfendes Geräusch. Schnell wollte ich aus dem Bunker schlüpfen, aber es war zu spät. Zwei übergroße Schatten machten sich im Eingang breit und ich zog mich in die allerletzte Nische zurück. In meinem Versteck bekam ich jedes Wort mit. Jetzt kroch die Angst in mir hoch und ich traute mich kaum zu atmen. Das mussten die Bekannten von Lässe sein, er hatte uns verraten, dachte ich und spürte nur noch maßlose Wut. Sie hatten die Bunkermitte erreicht, schnieften und rülpsten laut dabei und fummelten an der Plane herum.

„Hast du das Weichei noch mal gesehen?“, grunzte einer.

„Nee, nur gestern Nacht. Ist auch besser so, der macht nicht mehr mit, hat Schiss in der Hose. Vermasselt uns noch die ganze Sache. Er will ordentlich werden, ha, ha, einmal Ganove immer Ganove“. Der andere lachte hässlich und spuckte auf den Boden.

„Ja, ja du hast recht“, pflichtete der erste bei, „der taugt nichts und außerdem brauchen wir nicht teilen, das ist doch gut für uns.“ Plötzlich verdunkelte ein weiterer Schatten den Eingang.

„Still, Schwachköpfe, geht’s noch lauter. Ich kann euch ja bald bis ins Dorf hören. Keine Lust darauf, dass der blöde Forstgehilfe herumschnüffelt. Also haltet die Backe und zeigt mir die Kisten, aber dalli, oder seid ihr angewachsen“, schnaufte der Ankömmling wütend.

Schlagartig verstummten die Fremden und ich hörte es nur noch rascheln. Mir lief es eiskalt über den Rücken, ich kannte diese Stimme. Das war der alte Zieckler, ein furchtbarer Kerl. Er arbeitete zwei Orte weiter am Verladebahnhof, war immer nur auf Streit aus. Genau wie seine Söhne, immer streitsüchtig und brutal. Sie hatten keine Freunde im Dorf, im Gegenteil, die Leute im Dorf gingen den Ziecklers aus dem Weg.

„Hier Chef, hier sind sie“, schleimten die Beiden und zerrten die Plane zur Seite. Für paar Sekunden war es totenstill. Dann zischte der Alte leise, gefährlich wie eine Natter.

„Das sind vier Kisten, ihr Schwachköpfe, vier, versteht ihr das! Wo ist die fünfte?“ Zieckler platzte fast vor Wut. Er stiefelte mit seinen derben Arbeitsschuhen über den Steinboden und schlug mit einem Stock den Takt dazu.

„Wo ist die fünfte Kiste? Habt ihr sie zur Seite geschafft oder der andere, der Weinhold?“

Unheil lag in der Luft. „Ich zerquetsche euch wie Ungeziefer, zertrete euch wie Ameisen. Habt ihr das verstanden? Oder noch viel besser, ich schicke euch meine Jungs auf den Hals! Die machen Hackfleisch aus euch, ihr Würstchen“, tobte er weiter mit gewaltsam unterdrückter Stimme und schlug immer wieder auf die Plane ein, klatsch, klatsch. Dabei bekam wohl einer etwas ab, der schrie vor Schmerz laut auf.

Mir wurde plötzlich schlecht. Zusammengeduckt in meiner Ecke lief mir das Wasser den Rücken runter und Tränen übers Gesicht. ‚Ach du große Kacke‘ dachte ich nur, wenn die mich jetzt hier entdecken würden…

„Ge…gestern Nacht waren sie alle da Chef“, stotterte einer und drückte sich an der Wand entlang, um diesen Stock auszuweichen. „Ehrlich, Chef, wir haben sie hier abgestellt, alle fünf und……eins, zwei, drei und vier, das glaube ich nicht.“

„Genauso war es, Chef, alle fünf“, quakte der andere nach.

„Haltet das Maul, ihr Versager. Morgen früh um fünf hole ich sie ab, alle fünf; Capito! Alle fünf, und wenn ihr das vermasselt, zerquetsche ich euch wie Ameisen, Klaro? Und jetzt sucht! Schiebt eure Karre, bewegt euch unauffällig!“ Er zurrte den Stock noch einmal durch die Luft, so nahe bei mir, dass ich den Windhauch spüren konnte, und verschwand wieder, Gott sei Dank!

„Was machen wir denn jetzt, suchen hat keinen Sinn im Finsteren.“, jammerte einer der Komplizen.

„Doch wir suchen! Aber nicht nach der Kiste, sondern nach dem Weichei. Der war gestern Nacht dabei, muss die blöde Kiste wieder ranschaffen“, schnaufte der größere und weg waren sie.

Endlich! Meine Knochen waren so steif, dass ich sie kaum bewegen konnte. Beim Aufrichten fiel ich noch einmal in die Hocke zurück und spürte plötzlich einen wahnsinnigen Schmerz in der rechten Wade. Den Aufschrei konnte ich gerade so unterdrücken und biss für Sekunden in meinen Jackenärmel. Ich humpelte zum Ausgang, spähte in alle Richtungen und lief so schnell es nur ging am niedrigen Gestrüpp entlang in Richtung Dorf.

Der Waldweg verlief parallel dazu, hatte einige leichte Kurven und ich war schneller. Das Bein schmerzte wie wild, egal nur nach Hause. Kurz vor der freien Wiese endete das Gestrüpp und auch meine Deckung. Ich wurde an der Jacke gepackt, flog einfach so von den Füßen und landete im letzten Gebüsch. Ehe ich einen Muckser von mir geben konnte, hielt mir jemand den Mund zu und zischte mir aufgeregt ins Ohr. „Wo ist die fünfte Kiste?“

Ich drehte ein wenig den Kopf und sah Lässe. Sehr ernst schaute er mich an und fragte noch zwei-, dreimal nach der Kiste. Jetzt wurde ich wütend. „Das fragst du? Ich hasse dich, du bist so mies, hast unseren Treff verraten!“

„Hör jetzt auf damit“, zischte er genervt. „Das ist kein Spiel, du hast doch den Zieckler erlebt. Er macht uns alle fertig. Ich muss die beiden Trottel abfangen und es in Ordnung bringen. Verstehst du das? Wo ist die Kiste?“ Beschwörend, fast bettelnd sah er mich an.