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Die vier Freunde Mimi, Ricki, Frank und Lisa sind sehr unterschiedlich, bilden so aber ein sehr gutes Team. In den Sommerferien fahren sie zu Mimis Tante Anne, in deren Heimatort die Ruine der Burg Drachenfels ihr tausendjähriges Jubiläum hat. Auf der Burgruine treffen sie eine mysteriöse alte Frau, die den vier Freunden rät mit Begriffen wie Gut und Böse vorsichtig zu sein und von ihren streitenden Töchtern erzählt. Diese alte Frau schenkt den vier Freunden Drachenfiguren. Mimi, Ricki, Frank und Lisa stellen diese Figuren nachts an ihre Betten und träumen daraufhin alle vier von einer weißen Stadt und sind überraschenderweise alle vier in diesem Traum zusammen. Die vier Freunde lernen in ihren Träumen die Stadt und die Königin kennen und in der realen Weld einiges über Burgen und das Mittelalter. Von Traum zu Traum kommt den vier Freunden die weiße Königin in der weißen Stadt immer weniger gut vor und sie entscheiden sich über eine baufällige Brücke zu fliehen. Die Brücke stürzt unter ihnen zusammen, Mimi, Ricki, Frank und Lisa fallen in den Fluss und werden einen Wasserfall heruntergespült. und von Drachen in eine Siedlung im Wald gebracht, in der eine schwarze Königin, die andere Tochter der mysteriösen alten Frau von der Burg, regiert. Mimi, Ricki, Frank und Lisa schmieden einen Plan, um die schwarze Königin wieder in die weiße Stadt zu bringen, ohne dass es dabei zu einem Kampf kommt, den die schwarze Königin um jeden Preis vermeiden will. In diesem Plan bringen die vier Freunde ihre Stärken ein. Der Plan ist erfolgreich und als die Schwestern einander gegenüberstehen, machen die vier Freunde sie darauf aufmerksam, dass jede von ihnen da ihre Stärken hat, wo die andere ihre Schwächen hat, und die ungleichen Schwestern sich sehr gut ergänzen könnten. Darauf beschließen die Schwestern Stadt und Land gemeinsam zu regieren und jede von ihnen soll ihre Zuständigkeiten dort haben, wo ihre jeweiligen Stärken sind.
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Seitenzahl: 312
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Im Land der Drachen
Von Olaf Girke
Im Land der Drachen
Die zwei Schwestern
Von Olaf Girke
2. überarbeitete Auflage, 2025
Texte: ©Copyright by Olaf Girke
Umschlaggestaltung: ©Copyright by Olaf Girke
Verlag:
Olaf Girke
Nassauer Straße 15
66280 Sulzbach/Saar
Druck: epubli – ein Service der neopubli GmbH, Berlin
Vier Freunde
Mimi, Ricki, Frank und Lisa waren die allerbesten Freunde. Sie verbrachten fast ihre ganze Freizeit zusammen. In ihrem Wohnort gab es einen schönen Park, zwei Abenteuerspielplätze, einen Bach und um den Ort herum viele schöne Wiesen mit Obstbäumen und Kletterhecken und einen Wald. Mimi, Ricki, Frank und Lisa wurde nie langweilig. Im Winter konnten sie auf den Wiesen toll Schlitten fahren, Schneeballschlachten schlagen oder Schneeburgen bauen. Im Frühling konnten sie den Vögeln und den Eichhörnchen beim Nestbauen zuschauen oder sich ganz früh morgens auf die Lauer legen, vielleicht konnten sie dann ein paar junge Füchse beim Spielen beobachten. Im Sommer konnten sie auf den Wiesen herumtollen oder am Bach spielen und Staudämme bauen. Und im Herbst konnten sie herrlich mit dem bunten Laub spielen und Kastanien sammeln, um aus ihnen Figuren oder Schmuck herzustellen. Kurzum, es gab das ganze Jahr, jeden Tag, allerhand zu entdecken.
Mimi, Ricki, Frank und Lisa verstanden sich prima, und das, obwohl sie sehr unterschiedlich waren. Vielleicht verstanden sie sich auch prima, gerade weil sie so unterschiedlich waren. Jeder konnte etwas anderes, das für alle interessant war, und jeder hatte eine andere Vorliebe, so dass sie sich nur ganz selten um etwas stritten.
Mimis Vater war Förster und redete gerne über die Tiere im Wald. Er erzählte wie sie miteinander und voneinander lebten und dami den Bäumen beim Wachsen halfen. Das war sehr interessant. Manchmal lauschten die vier stundenlang seinen Erzählungen. Einmal sind sie auch auf einer Jagd dabei gewesen. Da mussten sie ganz still sein, was vor allem für Ricki, den jüngsten von ihnen, nicht so einfach gewesen war, aber sie haben dabei viele tolle Tiere gesehen. Mimis Vater hatte auch einen großen Garten gepachtet, in dem einige Pfirsichbäume und ein paar Bienenstöcke standen, darum gab es bei Mimi auch immer wunderbare Pfirsichmarmelade und leckeren Honig. Mimi liebte Tiere aller Art und wusste fast alles über die Tiere, wie sie lebten, was sie fraßen und wie sie mit ihren Jungen umgingen. Sie hatte das alles von ihrem Vater gelernt. Die Tiere reagierten mit sehr wenig Scheu auf sie, darum sagten auch viele, dass Mimi mit Tieren sprechen könne.
Ricki hatte fast vor allem Angst und oft machten sich alle über ihn lustig und nannten ihn einen kleinen Angsthasen. Aber das meinten sie nicht so, das wusste auch Ricki. Weil Ricki so große Angst hatte, war er sehr vorsichtig. Schon oft hatte seine Vorsicht verhindert, dass sich einer der anderen im Übermut schlimm wehgetan hatte! Zum Beispiel hatten sie im letzten Winter ein Iglu gebaut. Ricki hatte Angst gehabt, dass der Iglu über ihnen zusammenfallen würde und so lange gequängelt, bis sie den Schnee für den Iglu so fest stampften, wie sie nur konnten und den Iglu noch mit Wasser besprühten, damit sich eine Eisschicht bildete. Drei Tage hatte es gedauert, bis der Iglu endlich fertig war. Da haben alle ganz schön gemurrt über Ricki. Aber als der Iglu dann auch noch stand, als der Schnee auf der Wiese schon geschmolzen war, waren sie sehr stolz auf ihren Iglu und haben Ricki zu ihrem Chefbaumeister ernannt. Immer wenn sie etwas bauen wollten, dann fragten sie ihn. Er baute die stabilsten Stockhütten und die höchsten Staudämme. Sie waren alle sehr froh, dass sie ihn hatten.
Frank konnte gut organisieren und war immer sehr gerecht. Wenn er ein Spiel leitete, dann konnte jeder mitmachen. Bisher hat er auch jeden Streit geschlichtet. Frank war ein Meister mit der Steinschleuder und mit Pfeil und Bogen. Auch Steine und Kastanien, die er warf, trafen fast immer ihr Ziel. Einmal kamen ein paar Jungs aus dem Nachbarort und stritten sich mit den vier Freunden um eine Kletterhecke und erklärten ihnen den Krieg. Frank schlug vor diesen Krieg auf dem Schachbrett auszutragen, damit niemand verletzt wird. Das machen diese Jungs sicher nicht wieder, denn im Schach hat schon lange niemand mehr gegen Frank gewonnen!
Lisas Großmutter hatte einen großen Kräutergarten, in dem sie viele Heilkräuter und Gewürze anbaute. Lisa half ihr oft beim Gärtnern. Von ihrer Großmutter hatte Lisa alles über Pflanzen gelernt. Sie wusste, welche Pflanzen in die Sonnen gepflanzt werden mussten und welche ruhig im Schatten stehen konnten. Sie wusste auch, welche Pflanzen zusammen gepflanzt werden sollten, um Schnecken und Drahtwürmer fernzuhalten. Lisa konnte mit dem, was sie über Pflanzen wusste, herrliche Düfte zusammenrühren und sogar bunte Farben! Die vier sagten oft, dass Lisa ihre kleine Kräuterhexe war.
Am Mittwoch war der letzte Schultag und am Donnerstag würden Mimi, Ricki, Frank und Lisa zu Mimis Tante Anne fahren. Tante Anne wohnte in einem kleinen Ort, aus dem schon viele Leute weggezogen waren, darum gab es da leerstehende Häuser und aufgegebene Gärten. Es war dort immer spannend. Aber dieses Jahr gab es da etwas ganz Besonderes: Ein großes Burgfest! In Tante Annes Ort gab es eine Burg, die vor genau tausend Jahren gebaut worden war. Anfangs ist sie noch ein kleiner Wachposten gewesen, wurde dann aber mit der Zeit immer weiter vergrößert, bis sie schließlich im ersten napoleonischen Krieg gesprengt worden ist. Jetzt war sie eine wunderschöne Burgruine, auf der jedes Jahr Ritterspiele veranstaltet wurden. Aber dieses Jahr würde es anders werden. Weil die Burg tausend Jahre alt wurde, gab es den ganzen Sommer über Festspiele. Mimi, Ricki, Frank und Lisa freuten sich da schon sehr drauf. Darüber sprachen sie auf der ganzen Fahrt, solange bis Mimis Mutter schon genervt war.
Endlich kamen sie bei Tante Anne an. „Können wir zur Burg gehen?“, fragte Mimi, nachdem sie Tante Anne begrüßt hatten.
„Ja, meinetwegen“, sagte Mimis Mutter. „Aber vorher bringt ihr eure Sachen auf euer Zimmer. Und zum Abendessen seid ihr wieder da.“
„Okay, super!“, freute sich Mimi. Mimi, Ricki, Frank und Lisa beeilten sich, ihre Rucksäcke auf ihr Zimmer zu bringen. „Na, ihr habt es aber eilig“, sagte Tante Anne, als die vier Freunde an ihr vorbeirannten.
„Ja, wir wollen doch zur Ritterburg, Tante Anne“, antwortete Ricki.
„Na dann mal los“, sagte Tante Anne lachend. „Vielleicht seht ihr ja sogar einen Drachen.“
Mimi, Ricki, Frank und Lisa rannten die Straße hinunter, am großen Parkplatz vorbei und in den Park. Im Park waren sie dann völlig außer Puste und entschieden sich den Rest langsamer zu gehen. Sie kannten den Weg zur Burg sehr gut, sie waren ihn schon oft gegangen. Außerdem fuhren immer wieder Autos, große und kleine, mit und ohne Anhänger zur Burg oder wieder zurück. Bald sahen Mimi, Ricki, Frank und Lisa auch schon das große Tor in der Steinmauer vor sich. An der Mauer, rechts und links vom Tor, standen Männer auf hohen Leitern und brachten gerade ein großes Banner über dem Tor an, auf dem stand:
1000 Jahre Burg Drachenfels
Hinter dem Tor waren viele Leute damit beschäftigt Stände aufzubauen. Neben einem der Stände stand ein großer Aufsteller, auf dem ein Buch angepriesen wurde. Das Buch hieß Drachenfels – vom Römerlager zur Burgruine. Der Mann, der den Stand aufbaute, zwinkerte den vier Freunden zu und grüßte freundlich.
Weiter hinten in der Burg wurden noch mehr Stände aufgebaut. Darunter waren Händler mit mittelalterlichen Kleidern, Westen und Hüten, es gab auch Grillfeuer mit Bänken davor, Stände mit Halsketten, Armreifen und Ringen und es gab sogar einen Stand mit echten Schwertern! Mimi, Ricki, Frank und Lisa kamen aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. Alle Stände wurden noch aufgebaut und sie mussten einigen Erwachsenen, die schwere Sachen trugen, aus dem Weg gehen. In einem Gewölbe, das sonst immer leer gewesen war, standen jetzt Pferde und fraßen Heu.
„Das sind aber schöne Pferde!“, sagte Mimi. „Was machen die denn hier?“
„Die sind für das Ritterturnier am Samstag“, hörten sie eine Stimme hinter ihnen. Es war ein freundlich aussehender Mann, der das gesagt hatte.
„Aber Samstag ist doch erst übermorgen“, sagte Lisa. „Warum sind die Pferde denn jetzt schon hier?“
„Damit sie sich an dieses Gewölbe und an die vielen Menschen gewöhnen“, sagte der Mann. „Bei dem Turnier werden viele Leute sein und es gibt laute Stimmen und Musik, wehende Fahnen und sogar Feuer. Das wird ganz schön aufregend für die Pferde.“
„Das glaube ich gerne“, sagte Frank. Dieses Ritterturnier musste er sich unbedingt ansehen.
„Kommt, wir schauen, was da hinten ist“, sagte Ricki und zeigte auf einen Durchgang zwischen den Mauern. Sie verabschiedeten sich von dem Mann und den Pferden und gingen weiter. Auf dem großen Platz hinter dem Durchgang wurden auch Stände aufgebaut. Hier gab es einen Stand, hinter dem ein langer Spieß über einer Feuerstelle lag. Gerade brachten zwei Männer ein Schild über dem Stand an, auf dem der Name Wildmetzgerei Weidenreich stand. Es gab eine Schmiede und einen Stand mit Holzschwertern, -äxten und -schilden. Weiter in der Mitte war ein Stand mit bunten Tüchern und goldenen Schnüren und dem Namen Gülçan – Spezialitäten aus dem Morgenland und am Rand ein langes, halb offenes Zelt, in dem auf jeder Seite eine Apparatur mit vier Haken stand. Dieses Zelt hieß Die Seilerbahn. Was es hier alles gab! Mimi, Ricki, Frank und Lisa kamen aus dem Staunen gar nicht mehr heraus.
„Hey, was ist denn das?“, fragte Lisa und ging in eine kleine Nische neben einem weiteren Durchgang. Da stand ein kleines Zelt, das aussah, als sei es aus Teppichen gebaut. Eine Frau in seltsamen Kleidern und langen, grauen Haaren breitete Halsketten, Ringe und Steine auf einem Tisch vor dem Zelt aus. Hinter ihr am Zelt hingen der Flügel eines Vogels, ein paar Hasenpfoten und ein großer Kreis mit einem Fünfeck darin.
„Ist das nicht das Zeichen des Teufels?“, fragte der kleine Ricki leise.
Die Frau hatte ihn wohl gehört, denn sie lächelte freundlich und sagte: „Ihr seid aber früh dran. Das Fest beginnt doch erst morgen.“
„Wir wollten uns aber schon mal alles ansehen“, sagte Frank.
„Bist du eine Hexe?“, fragte Ricki besorgt.
Die alte Frau lachte. „Ja, vor tausend Jahren hätten mich die Leute sicher eine Hexe genannt“, sagte sie.
„Bist du böse?“, fragte Ricki weiter.
Die Frau lachte wieder. „Nein, ich bin nicht böse. Jedenfalls versuche ich nicht böse zu sein. Wie kommst du auf die Idee?“
„Naja, du bist doch eine Hexe und Hexen sind doch immer böse“, sagte Ricki. „Und außerdem hast du da das Zeichen des Teufels hängen.“
Die Frau sah Ricki an. In ihrem Blick lag wirklich gar nichts Böses.
„In vielen Märchen wird von bösen Hexen erzählt, das ist richtig“, sagte sie. „Aber es gibt ja auch gute Hexen. Und das da ist nicht das Zeichen des Teufels, das ist ein Pentagramm. Das Pentagramm ist das Zeichen für die Magie.“
„Und Magie ist gut und Hexerei ist böse?“, fragte Mimi.
Die Frau lachte. „Es gibt ja auch böse Magier und gute Hexen. Die Welt ist grau. Und außerdem habe ich da zwar ein Pentagramm hängen, aber meine Hexerei hat nichts mit Magie zu tun.“
„Was hext du denn?“, sagte Ricki.
„Riech mal“, sagte die Frau und hielt Ricki eins der Fläschchen auf ihrem Tisch hin.
Ricki roch daran und sagte sofort: „Igitt, das riecht ja wie Hustensaft!“
„Das ist es auch“, sagte die Frau.
Lisa roch auch an dem Fläschchen. „Salbei, Thymian …“, sagte sie. Sie sah nachdenklich aus. „Und ich glaube da drin ist noch ... Ich glaube Spitzwegerich und Brennnessel sind noch drin.“
„Das stimmt“, sagte die Frau. „Du scheinst dich damit auszukennen.“
„Meine Oma hat einen Kräutergarten“, sagte Lisa. „Darin baut sie auch Kräuter an, die helfen, wenn wir krank sind. Oma hat mir viel darüber erklärt.“
„Dann bist du und deine Oma also Kolleginnen von mir“, sagte die Frau und zwinkerte.
„Ja, vielleicht kann man das so sagen“, sagte Lisa amüsiert.
„Kinder, entschuldigt bitte wenn ich unhöflich erscheine, aber ich habe noch einiges zu tun“, sagte die alte Frau. „Ich muss noch all die Kisten da drüben ausräumen und auch die Tische hier auf dem Stand aufbauen.“
„Da können wir doch helfen!“, sagte Frank.
„Das würdet ihr tun?“, fragte die Frau. „Das wäre aber wirklich sehr lieb von euch.“
„Aber gerne doch“, sagten die vier Freunde.
Von da an ging alles wie geschmiert. Ricki baute die Tische auf, die Frank und Lisa holten, und Mimi legte Deckchen darauf. Dann halfen sie die Waren auf die Tische zu legen. Währenddessen unterhielten sich die vier Freunde mit der alten Frau über Gut, Böse, Gerechtigkeit, Heilkräuter, Tiere und alles, was ihnen sonst so einfiel. Dann musste ein zweites, kleineres Zelt aufgebaut werden, das einfach nicht stehenbleiben wollte. Jedenfalls solange nicht bis Ricki sich das Gestänge genauer angesehen hatte – dann hatte er das Zelt im Nu stabil. Danach räumten sie alles in das kleine Zelt, was nicht auf den Tischen gebraucht wurde und nicht nass werden durfte, falls es in der Nacht regnen würde. Das alles machte ihnen riesig Spaß und die alte Frau war sehr nett. Erst als die Kirchturmglocken läuteten, merkten sie, wie viel Zeit vergangen war.
„Jetzt müssen wir leider nachhause, zum Abendessen“, sagte Mimi.
„Oh, was gibt es denn?“, fragte die Frau.
„Ich glaube, dass Tante Anne Königinpasteten gemacht hat“, antwortete Mimi.
„Na dann mal los“, sagte die alte Frau. „Wenn es so etwas leckeres gibt, dann soll man es nicht kalt werden lassen.“
„Okay“, sagte Mimi. „Wir kommen morgen wieder. Und wenn nicht, dann übermorgen, zum Ritterturnier.“
„Halt, Moment wartet noch“, sagte die alte Frau plötzlich. Sie holte eine kleine Tüte mit Süßigkeiten, kleinen Schokoladentafeln, Schokoriegeln und Gummibärchen aus dem Zelt. „Das ist dafür, dass ihr mir so lieb geholfen habt.“ Sie gab Frank die Tüte. „Verteile das bitte. Aber erst zum Nachtisch!“
„Ja, mache ich“, sagte Frank. „Vielen Dank!“
Die anderen bedankten sich auch und Ricki fragte: „Wie heißt du denn?“
„Mein Name ist Sigrun“, antwortete die Frau.
„Das ist aber ein sehr alter Name“, sagte Ricki.
„Ich bin auch eine sehr alte Frau“, sagte die Frau und lachte.
„Wie alt bist du denn?“, fragte Ricki.
„Na so etwas fragt man eine Dame doch nicht!“, sagte die Alte und lachte wieder. „Aber ich bin sehr viel älter, als ihr euch das vorstellen könnt. Nun geht und lasst euch eure Pasteten schmecken.“
Die vier Freunde verabschiedeten sich und gingen zum Ausgang. Von da aus gingen sie durch den Wald und den Park zurück und am Parkplatz vorbei nachhause. Jeder aß eine kleine Schokoladentafel auf dem Weg, aber nicht mehr, denn sie freuten sich ja schon auf das Abendessen. Außerdem sollten sie die Süßigkeiten ja erst zum Nachtisch essen.
Beim Abendessen vergaßen sie aber fast wirklich etwas zu essen, so aufgeregt waren sie. Sie erzählten, was sie alles auf der Burg gesehen hatten und von dem Ritterturnier, das auf der Burg stattfinden würde, und von der alten Frau, der sie geholfen hatten. Sie fragten, ob sie am nächsten Tag wieder zur Burg gehen durften und Mimis Mutter und Tante Anne die alte Frau vorstellen dürften. Mimis Mutter sagte, dass sie und Tante Anne sich mal von Schwester zu Schwester unterhalten müssten, weil Onkel Thorsten vor sechs Wochen weggegangen war. Das fanden die vier Freunde sehr schade, aber das Burgfest war ja noch den ganzen Sommer lang. Morgen wollten sie auf jeden Fall wieder zur Burg. Sogar als sie in ihren Betten lagen, waren sie noch so aufgeregt, dass sie kaum einschlafen konnten. Ritterburgen sind einfach toll!
Am nächsten Tag wollten die vier Freunde gleich nach dem Frühstück zur Burg, aber Mimis Mutter erlaubte es nicht. Sie sollten sich zuerst mit Tante Anne unterhalten, die wollte schließlich wissen, wie es ihnen ging. Darüber waren Mimi, Ricki, Frank und Lisa erst enttäuscht, aber nicht lange. Sie hatten Tante Anne ja auch schon lange nicht mehr gesehen.
Tante Anne war sehr unglücklich, weil Onkel Thorsten weggegangen war, sie weinte sogar deswegen. Aber die vier Freunde waren der Meinung, dass es ihr jetzt besser ging. Tante Anne war auch froh, dass sie wieder mehr Zeit hatte ihre Bilder zu malen, aber sie vermisste Onkel Thorsten trotzdem sehr. Doch es dauerte nicht lange und Tante Anne lachte wieder.
Dann durften die vier Freunde endlich zur Burg gehen, viel früher, als sie gedacht hatten! Sie freuten sich riesig. Aber Tante Anne sagte, dass sie um drei wieder zurückkommen sollten, denn heute Abend wolle sie Pizza backen. Die vier Freunde liebten selbstgebackene Pizza! Diesmal rannten sie nicht los, sondern gingen von Anfang an langsam. Sie hatten schließlich gerade gegessen und wollten nicht, dass sie Schluckauf bekamen oder ihnen schlecht wurde.
Ursprünglich wollten Mimi, Ricki, Frank und Lisa direkt zum Stand der alten Frau gehen, aber es gab so vieles anderes, das sie sich ansehen mussten, und das nicht nur bei den Ständen. Unter den vielen Leuten in der Burg gab es Ritter, Burgfräuleins, Spielleute, Gaukler, Mönche, Hexen, Vampire und sogar Wikinger! Das alles war mächtig aufregend. In einer Ecke spielte eine Frau auf einem Dudelsack, in einer andern Ecke ließ ein Mann ein lustig angezogenes Hündchen Kunststücke machen. Es gab sogar jemanden, der mit Fackeln jonglierte! Mimi, Ricki, Frank und Lisa hatten viel zu staunen.
Irgendwann kamen sie dann auf dem Platz an, auf dem Sigruns Stand war. Eigentlich wollten sie gleich zu ihr, aber ein lautes Ping – Ping – Ping machte sie neugierig. Es kam von der Schmiede. Dort schmiedete ein echter Schmied gerade eine Schaufel! Er hatte noch ein paar andere Gegenstände an dem Stand, die er schon geschmiedet hatte. Mimi, Ricki, Frank und Lisa schauten lange zu. Irgendwann wurde ihnen aber langweilig und sie gingen weiter.
Auf der Seilerbahn wurde gerade ein Seil gedreht. Das war sehr interessant, so etwas hatten sie noch nie gesehen. Auch hier blieben sie stehen und schauten zu, bis sie Hunger bekamen.
Auf dem ganzen Platz roch es herrlich nach Gegrilltem, denn beim Stand der Wildmetzgerei Weidenreich wurde gerade ein Wildschwein am Spieß gegrillt. Sie gingen hin und kauften sich einen Wildspieß. Der Metzger war angezogen wie Robin Hood im Film. Als sie den Wildspieß aufgegessen hatten, wollten sie noch einen Nachtisch haben. Nebenan gab es einen Stand mit Crêpes, da wollten sie hingehen, aber vor dem bunten Stand mit den Spezialitäten aus dem Morgenland blieben sie stehen. Hinter der Theke stand ein Mann, der in lustigen Farben angezogen war und einen lustigen Hut – groß und bunt mit einer goldene Spitze – auf dem Kopf hatte.
„Bitte, was kann ich für euch tun, meine jungen Freunde?“ fragte er.
„Du bist ja lustig angezogen“, sagte Ricki.
„In der Türkei lieben wir bunte Farben“, sagte der Mann und lächelte.
„Hast du etwas Süßes für den Nachtisch?“, fragte Ricki.
„Ich habe Baklava“, sagte der Mann aus dem Morgenland und zeigte auf ein richtig lecker aussehendes Gebäck.
„Vier Stück bitte“, sagte Ricki.
Der Mann aus dem Morgenland gab ihm vier Stücke von dem Gebäck und Ricki bezahlte.
„Salam alaikum“, sagte der Verkäufer zum Abschied. „Friede sei auf deinen Wegen, junger Freund.“
„Friede sei auch auf deinen Wegen, bunter Mann aus dem Morgenland“, antwortete Ricki. Ein junger Mann hinter ihm lachte auf und sagte zu seiner Begleiterin: „Der ist ja süß!“
Als sie auch die Baklava verputzt hatten, gingen sie endlich zu Sigruns Stand. Da waren nicht so viele Menschen, Sigrun saß nur da und legte die Halsketten auf einem der Tische ordentlich hin.
„Hallo meine Freunde“, sagte sie freundlich. „Wie geht es euch heute?“
„Uns geht es gut“, sagte Frank, „und Ihnen?“
„Mir geht es auch sehr gut heute“, sagte Sigrun. „Weil ihr mir gestern so toll geholfen habt, konnte ich früh ins Bett gehen und bin nicht so müde, wie ich es befürchtet hatte.“
„Sind Sie traurig?“, fragte Lisa. Sigrun schien mit ihren Gedanken wirklich weit weg zu sein.
„Meine Töchter streiten sich“, sagte Sigrun. „Das tun sie schon lange und ich weiß nicht wie ich sie wieder versöhnen soll.“
„Worum streiten sie sich denn?“, fragte Frank.
„Darum welche die Schönere von den beiden ist“, antwortete Sigrun.
„Hast du schon viel verkauft?“, fragte Ricki.
„Nein, leider noch nicht“, antwortete Sigrun. „Aber es ist ja auch erst der erste Tag.“
„Sie stehen hier aber auch in einer ziemlich versteckten Ecke“, sagte Frank.
„Ich fühle mich nicht wohl im Trubel“, antwortete Sigrun. „Wer mich finden soll, findet mich schon.“
„Was meinen Sie damit?“, fragte Lisa.
„Na ihr habt mich doch gefunden“, sagte Sigrun.
„Meinst du damit, dass wir dich finden sollten?“, frage Ricki.
„Das kann man immer erst hinterher sagen“, sagte Sigrun.
Die vier Freunde sahen einander an. Diese Antwort war seltsam. Irgendwie fanden sie alle, dass mit Sigrun irgendwas seltsam war, darum fanden sie sie ja so interessant.
„Morgen ist ja das Ritterturnier, da kommen hier bestimmt mehr Leute vorbei“, sagte Sigrun dann.
„Ja, und dann kommen die Pferde!“ Mimi war schon ganz aufgeregt deshalb.
„Magst du Pferde?“, wollte Sigrun wissen.
„Ich mag alle Tiere“, antwortete Mimi.
„Mimi ist unsere Tierfreundin“, sagte Lisa. „Sie mag alle Tiere und alle Tiere mögen sie.“
„Also eine Tierflüsterin, ein Baumeister, ein General und eine Heilerin“, sinnierte Sigrun. „Vielleicht seid ihr genau die, auf die ich gewartet habe.“
„Wie meinst du das?“, fragte Ricki.
„Ach, nur so“, sagte Sigrun. „Habt ihr die Pferde denn schon gesehen?“
„Ja“, sagte Mimi. „Die scheinen noch ziemlich aufgeregt zu sein, aber sie werden langsam ruhiger. Anscheinend gewöhnen sie sich langsam an die vielen Leute hier.“
„Dann wird das bestimmt ein tolles Turnier morgen“, sagte Sigrun.
„Sind das die Drachen vom Drachenfels?“, fragte der kleine Ricki plötzlich dazwischen. Alle sahen ihn verwundert an.
„Welche Drachen meinst du?“, wollte die alte Frau wissen.
„Na die Drachen, die da auf deinem Tisch stehen“, sagte Ricki und zeigte auf das Ende des langen Tisches, auf dem Waren ausgestellt waren.
Tatsächlich, da standen vier Drachenfiguren. Seltsam, keiner der vier Freunde konnte sich daran erinnern, dass diese Drachenfiguren da gestern schon gestanden hatten oder dass sie sie gestern aus einer der Kisten geholt hatten. Sie schienen dort einfach plötzlich zu stehen.
„Ja, das sind die Drachen vom Drachenfels“, sagte Sigrun. „Wenn ihr die sehen könnt, dann seid ihr wirklich die, auf die ich gewartet habe.“ Sie ging an das Ende des Tisches und holte die vier Drachenfiguren. Sie nahm die erste Drachenfigur in die Hand und hielt sie hoch. Der Drache sah aus wie eine Eidechse mit Flügeln, genauso wie sich die vier Freunde Drachen immer vorgestellt hatten, und er war hellbraun, wie trockene Erde. Er hatte unterschiedlich große Schuppenplatten wie ein Krokodil.
„Das ist ein Feuerdrache“, sagte die Alte. „Feuerdrachen können Feuer spucken, aber das machen sie nur, wenn sie sich bedroht fühlen. Dabei tun sie auch niemandem weh, sie wollen damit den Angreifern nur Angst einjagen. Feuerdrachen sind sehr freundlich und verstehen sich mit allen Tieren gut. Sie kennen die Lebensweise aller Tiere und wissen, was die Tiere zum Leben brauchen. Feuerdrachen wurden oft dabei beobachtet, wie sie hungrige Tiere an Stellen geführt hatten, an denen sie Fressen fanden oder durstige Tiere zum Wasser. Genau das Richtige für unsere Tierflüstererin.“ Damit gab sie Mimi die Drachenfigur.
Die zweite Drachenfigur war grau, etwas heller als ein Elefant, und sah sehr kräftig aus. Sie war etwas kleiner war als die Figur des Feuerdrachens. „Das ist ein Bergdrachen“, erklärte Sigrun. „Bergdrachen leben im Gebirge und in felsigen Gegenden. Sie bauen stabile Höhlen zwischen Felsen und befestigen so die Hänge. Verlassene Bergdrachenhöhlen dienen anderen Tieren, wie Steinböcken, Gämsen und Rindern, aber auch Bergsteigern und Bauern als Unterschlupf. Es kommt auch vor, dass Bergdrachen Tiere und Menschen bei herannahenden Unwettern in ihre eigenen Höhlen führen und ihnen dort Schutz gewähren. Bergdrachen bauen sehr stabile Dächer aus Holz und Steinen über ihre Nester, genau das richtige für unseren Baumeister.“ Sie gab die Drachenfigur dem kleinen Ricki.
Die dritte Drachenfigur war in der Größe zwischen den beiden Ersten. Ihr Körper war schlank und sie hatte einen langen, schlanken Hals und einen langen Schwanz. Ihre Schuppen waren schmal und standen nach hinten vom Drachenkörper ab. Einige Schuppen waren dunkelgrau, fast schwarz, andere dunkelgrün, nur am Hals, gleich hinter dem Kopf, hatten sie unterschiedliche, schillernde Farben.
„Das ist ein Smaragddrachen, ein Männchen“, erklärte Sigrun. „Smaragddrachen leben im dichten Wald. Sie legen ihre Eier in die Kronen uralter Eichen und bewachen sie gut. Smaragddrachen mögen keinen Streit in ihrem Revier, darum schlichten sie jeden Streit unter anderen Tieren. Sie sind schlau und planen immer im Voraus. Es ist fast unmöglich sie zu überlisten. Der richtige Drache für unseren General.“ Sie gab Frank die Drachenfigur.
Dann nahm sie die letzte Drachenfigur. Sie war die kleinste Figur und sehr schlank mit glatten Schuppen, von denen einige silbergrau, andere blaugrau und wieder andere himmelblau waren. Zwischen den Klauen waren Schwimmhäute zu erkennen. „Das ist ein Wasserdrachen“, sage Sigrun. „Wasserdrachen leben an der Küste im flachen Wasser, aber auch in Seen und großen Flüssen. Sie erkennen Krankheiten bei anderen Lebewesen und sind sehr mitfühlend. Es wird berichtet, dass Wasserdrachen kranke oder verletzte Tiere und Menschen entführen, und nach ein paar Tagen gesund zurückbringen. Sie kennen die Heilkräfte aller Pflanzen und Nahrungsmittel, sie kennen Heilquellen und Steine mit besonderen Kräften. Diese Figur ist für unsere Heilerin.“ Die alte Frau gab Lisa die Drachenfigur.
Die vier Freunde sahen die Drachenfiguren sehr genau an. Das waren wirklich schöne Geschenke.
„Gibt es hier denn wirklich Drachen?“, wollte der kleine Ricki wissen.
„Hier am Drachenfels meinst du?“, fragte Sigrun und der kleine Ricki nickte. „Es ist immer wieder passiert, dass Menschen hier am Drachenfels übernachtet und dann am nächsten Morgen davon erzählt haben, dass sie in der Nacht Drachen gesehen hätten.“
„Wirklich?“, fragte der kleine Ricki.
„Ja, darum nennt man die Felsen hier auf dem Berg ja auch die Drachenfelsen. Und diese Drachenfiguren sind aus dem Stein dieser Drachenfelsen gemacht.“
„Also sind das die Drachen aus dem Drachenfels“, witzelte Lisa. „Das ist etwas ganz Besonderes! Danke dafür!“
„Keine Ursache, meine Freunde“, sagte die Alte. „Damit könnt ihr euch immer an die Burg Drachenfels und an mich erinnern.“
„Aber wir kommen doch noch oft hier vorbei“, sagte Frank.
„Ja, natürlich, ihr wollt euch doch nichts entgehen lassen“, sagte Sigrun.
„Nein, wir wollen uns alles genau anschauen“, sagte Mimi.
„Sind das Hexen?“, fragte der kleine Ricki besorgt und sah zwei Leute, einen Mann und eine Frau, an, die vorbeigingen. Die beiden waren ganz schwarz angezogen und sahen wirklich böse aus.
„Nein, keine Angst“, sagte Sigrun. „Diese Leute nennen sich selbst Goths.“ Das „th“ klang lustig, wie ein gelispeltes „s“. „Sie wollen gefährlich aussehen, aber die meisten sind sehr nette Leute. Ich habe euch doch gesagt, nicht alles was schwarz ist, ist auch gleich böse. Allerdings heißt das auch nicht, dass alles, was schwarz ist, gut ist, den ein paar Goths sind wirklich gefährlich.“
„Aber wie kann man denn dann sehen, wer gut und wer böse ist?“, fragte Lisa.
Sigrun nahm eine Halskette von ihrem Tisch, an der ein Amulett hing, das aussah wie ein weißer und ein schwarzer Wassertropfen, die umeinander gewickelt waren, sodass eine Scheibe daraus wurde. Der weiße Tropfen hatte einen kleinen schwarzen Punkt, der wie ein Auge aussah, und der schwarze Tropfen hatte einen kleinen weißen Punkt.
„Dies sind Yin und Yang. Yin ist schwarz, Yang ist weiß. Yin steht für dunkel, weich, kalt, weiblich und Ruhe, Yang steht für hell, hart, heiß, männlich und Aktivität. Beide sind untrennbar miteinander vereint und bilden nur zusammen eine Einheit. Yin enthält etwas von Yang und Yang enthält etwas von Yin. Sie sind grundverschieden und doch eins.“
Die vier Freunde sahen die alte Frau mit großen Augen an.
„Ich erkläre es einmal einfacher“, sagte Sigrun. „Habt ihr schon einmal von einer Gauß'schen Normalverteilung gehört?“, fragte Sigrun.
„War Gauß nicht ein Mathematiker?“, fragte Frank.
„Ja, genau“, sagte Sigrun. Sie nahm ein Blatt Papier und malte eine hohe Welle wie eine Glocke darauf. „Das hier soll alles sein“, sagte sie dann. „Dieses Ende hier ist das Gute und dieses Ende hier ist das Böse. Das heißt hier sind die bösen Menschen, dann kommen Menschen, die mehr böse als gut sind, dann kommen Menschen, die weder richtig gut noch richtig böse sind, dann kommen die Menschen, die mehr gut als böse sind und dann die guten Menschen. Es sind nur ganz wenige Menschen wirklich böse, aber es sind auch nur ganz wenige Menschen wirklich gut. Die meisten Menschen sind weder richtig gut noch richtig böse. Das heißt, wenn ihr einem Menschen begegnet, ist die Wahrscheinlichkeit, dass dieser Mensch wirklich böse ist, sehr klein. Die Wahrscheinlichkeit, dass dieser Mensch wirklich gut ist, ist aber genauso klein. Und dabei spielt es keine Rolle, wie dieser Mensch aussieht.“
„Ich fände es viel besser, wenn es gar keine bösen Menschen gäbe“, sagte Mimi.
„Wenn es keine bösen Menschen gäbe, woran könntest du dann die guten Menschen erkennen?“, fragte Sigrun.
„Das heißt also gutes kann es nur geben, wenn es böses gibt und böses kann es nur geben, wenn es gutes gibt“, sagte Frank.
„Ja, das ist richtig“, sagte Sigrun. „Gut und Böse kann man nicht trennen.“
„Das ist aber schwierig“, sagte der kleine Ricki.
„Ja, das ist es leider“, seufzte Sigrun. „Aber das ist auch das, was das Leben interessant macht.“
Den vier Freunden schwirrte der Kopf, aber sie hatten verstanden, was Sigrun ihnen sagen wollte. Alles Böse ist für irgendjemanden gut und alles Gute ist für irgendjemanden schlecht. Aber die allermeisten Sachen und die allermeisten Menschen sind weder gut noch böse.
Die Kirchturmglocke riss sie aus ihren Überlegungen. Sie zählten drei Schläge.
„Oh je, schon drei Uhr?“, fragte Mimi. Wir müssen leider gehen, Sigrun.
„Na dann macht euch mal auf den Weg“, sagte Sigrun. „Gibt es heute wieder etwas Leckeres zum Essen?“
„Wir wollen heute Abend Pizza backen“, sagte der kleine Ricki begeistert.
„Wow“, sagte Sigrun, „ihr seid ja im Schlaraffenland! Dann geht mal Pizza backen. Aber vergesst nicht: Nicht jeder, der böse aussieht, will auch Böses tun und nicht jeder, der gut aussieht, will auch Gutes tun. Und passt mir bitte gut auf meine Drachen auf, das sind so wundervolle Tiere.“
Damit gingen die vier Freunde nach Hause. Es war schwierig, nicht an jedem Stand stehenzubleiben, an dem sie vorbeigingen, aber mit dem Gedanken an selbstgebackene Pizza ging es dann doch. Erst als sie am großen Parkplatz vorbeikamen, fiel ihnen auf, dass Sigrun gesagt hatte, die Drachen seien so wundervolle Tiere, dabei hatte sie ihnen doch nur Figuren geschenkt und die waren nicht echt. Seltsam.
„Schau mal, Tante Anne, das haben wir von Sigrun geschenkt bekommen!“, sagten die vier Freunde ganz stolz, als sie in Tante Annes Haus angekommen waren.
„Wow, das sind ja schöne Drachen!“, sagte Tante Anne.
„Ja, das sind die Drachen vom Drachenfels“, sagte Lisa.
„Und die sind sogar aus Drachenfelsen gemacht!“, sagte der kleine Ricki stolz.
Sie erzählten Tante Anne alles, was Sigrun ihnen über die Drachen erzählt hatte. Und sie erzählten auch, dass Sigrun gesagt hatte, dass Mimi, Ricki, Frank und Lisa gut auf die Drachen aufpassen sollten, weil das so wundervolle Tiere seien.
„Dann ist das also nicht nur eine Hexe, sondern auch eine Drachendompteurin“, sagte Mimis Mutter mit einem Augenzwinkern.
„Die Drachendomteurin vom Drachenfels hat euch Felsdrachen aus Drachenfels geschenkt“, sagte Tante Anne lachend. „So etwas hat wirklich nicht jeder.“
Nach dem Essen schlug Tante Anne vor noch einen Film zu schauen, aber Mimi, Ricki, Frank und Lisa waren so müde, dass sie gleich ins Bett wollten. Sie hatten ja letzte Nacht vor Aufregung kaum schlafen können. Sie gingen ins Bad ihre Zähne putzen und dann ins Kinderzimmer. Tante Anne hatte dort extra mehr Betten aufgestellt. Die Drachenfiguren stellten Mimi, Ricki, Frank und Lisa auf ihre Nachttische neben den Betten. Dann wünschten sie einander eine gute Nacht und waren schon bald eingeschlafen. Vielleicht träumten sie ja auch von der Burg und den Drachen.
Die Weiße Stadt
Mimi, Ricki, Frank und Lisa wachten kurz nacheinander auf. Das war doch nicht das Kinderzimmer bei Tante Anne! Es sah so ähnlich aus, aber es war eher das Zimmer in einem Gasthaus. Neben den Betten lagen zusammengelegte Kleider für sie. Diese Kleider waren wunderschön und sahen aus, als kämen sie aus einem Ritterfilm. Mimi, Ricki, Frank und Lisa zogen die Kleider an und gingen erkunden, wo sie waren. Es war tatsächlich ein Gasthaus. Im Erdgeschoss saß ein ziemlich dicker Wirt hinter einem Tresen. Als er Mimi, Ricki, Frank und Lisa sah, bot er ihnen einen Tisch an und brachte ihnen ein leckeres Frühstück.
Nach dem Frühstück berieten Mimi, Ricki, Frank und Lisa, was sie machen sollten. Sie einigten sich darauf die Umgebung zu erkunden und verließen das Gasthaus. Draußen staunten sie nicht schlecht: Die Straße hatte eine leichte Biegung und war mit großen Steinen gepflastert. Überall liefen Menschen, die große Packen trugen oder Handwagen zogen, und sogar einige Pferdewagen fuhren auf der Straße. Die Häuser an dieser Straße waren alle in einem strahlend hellen weiß gestrichen. Mimi, Ricki, Frank und Lisa prägten sich den Namen des Gasthauses gut ein; es hieß Alte Schmiede. Sie gingen die Straße herunter, bis zu einer Kreuzung. Diese andere Straße hieß Großer Donnerberg und war etwa doppelt so breit, wie die Straße, in der das Gasthaus war, und schnurgerade. Auf der einen Seite konnten sie vor lauter Menschen nicht sehen, wohin die Straße führte, dabei herrschte gar kein so großes Gedränge. Die Straße war einfach so unglaublich lang. Auf der anderen Seite war eine schöne, weiße und sehr große Burg zu sehen. Diese Burg hatte silbern, golden und grün schimmernde Verzierungen in allen möglichen Formen. Es war die schönste Burg, die sich die vier Freunde überhaupt vorstellen konnten.
Mimi, Ricki, Frank und Lisa überlegten was sie machen sollten. Mimi wollte schauen wo die Straße hinführte, Frank wollte die Burg sehen, Lisa wollte sich die Stadt anschauen und der kleine Ricki hatte Angst, dass sie nie mehr ins Gasthaus fänden. Sie entschieden sich die Straße zu erkunden. Dazu merkten sie sich auf Rickis Drängen hin alles an dieser Kreuzung genau, damit sie wieder zurückkehren konnten.
Dann gingen sie die Straße entlang, von der Burg weg. Nach kurzer Zeit kamen sie an einen kleinen Platz mit einem Brunnen. Auf diesem Platz standen einige Stände, an denen Essen verkauft wurde, Fleisch, Käse, Brot und Obst. Am Brunnen standen Becher und alle, die Durst hatten, konnten das Wasser aus dem Brunnen trinken. Das gefiel den vier Freunden sehr.
Mimi, Ricki, Frank und Lisa gingen die ganze Straße entlang, bis zum Stadtrand. Das dauerte ewig, denn die Straße war sehr lang und immer wieder gab es etwas, das sie sich ansehen wollten. An jeder fünften Kreuzung auf der Straße kam ein Platz, der dem ersten sehr ähnlich war. Mimi, Ricki, Frank und Lisa hatten auch einen Geldbeutel mit ein paar Münzen darin bei ihren Kleidern gefunden, so konnten sie einige der angebotenen Speisen probieren. Sie schmeckten sehr gut.
Vor der Stadt waren einige Gärten angelegt. Gärten hatten sie schon kurz vor dem Stadtrand gesehen und Frank hatte vermutet, dass die Stadt mit der Zeit immer mehr erweitert worden war. Hinter den Gärten gab es Felder, auf denen einige Bauern mit Pferden pflügten oder bereits sähten. In der Ferne, hinter den Feldern, konnten Mimi, Ricki, Frank und Lisa Wälder erkennen, deren Laub zu dieser Jahreszeit noch hellgrün war und hinter den Wäldern, sahen sie einige Berge. Der größte hatte einen Hut aus ziemlich dunklen Wolken. Es war eine wunderschöne Landschaft.
Mimi, Ricki, Frank und Lisa entschieden sich am Stadtrand entlang bis zur nächsten Straße zu gehen und dann zu sehen, ob diese Straße sie wieder zurück zum Gasthaus führen würde. Sie kamen bald an eine große Straße mit dem Namen Weidensumpf, die schnurgerade wieder auf die Burg zu in die Stadt hineinführte. Sie folgten dieser Straße. Auch hier gab es immer wieder kleine Plätze mit Brunnen und Verkaufsständen mit etwas zu essen.
Nachdem Mimi, Ricki, Frank und Lisa wieder ziemlich lange auf die Burg zugegangen waren und sich alles an der Straße genau angesehen hatten, sagte Frank plötzlich: „In dieser Straße ist das Gasthaus.“
Tatsächlich, an der Kreuzung, an der sie waren, kreuzte die Straße Nummer 13 die Straße „Weidensumpf“. Dem Namensschild nach führte die Straße Nummer 13 in der Richtung, in die Frank zeigte, zur Straße „GroßerDonnerberg“.
Die vier Freunde besprachen kurz was sie machen sollten. Sie waren noch nicht allzu müde, also entschieden sie sich weiterzugehen und sich die Burg auch noch anzuschauen.
Mimi fiel auf, dass die Ladengeschäfte und die Häuser sich nun verändert hatten. Im äußeren Teil der Stadt waren die Häuser kleiner gewesen und es hatte hauptsächlich Läden mit Gartenartikeln und landwirtschaftlichen Geräten gegeben. Im mittleren Teil waren die Häuser mittelgroß und es gab fast nur Geschäfte mit Werkzeugen für Handwerker und Handwerksbetriebe. Weiter innen gab es viele Gasthäuser und jetzt, schon dicht an der Burg, waren die Häuser richtig schön groß, Hier gab es viele Juweliere und Geschäfte mit schönen Kleidern. Mimi, Ricki, Frank und Lisa kamen nur langsam voran, denn sie blieben immer öfter an Schaufenstern stehen. Viele der Schmuckstücke hatten bunte Federn und grünblau schimmernde Flügeldecken von Käfern. Die teuersten und auch Schmuckstücke jedoch waren aus bunten Schuppen gefertigt. Frank sagte, dass sie wie die Schuppen der Smaragddrachenfigur aussahen, die ihm Sigrun auf der Ritterburg geschenkt hatte.
Ein Stück weiter, kamen sie an einer Schenke vorbei, aus der ein offenbar angetrunkener Soldat stolperte. Die Schenke hieß Zum Drachentöter