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Ein Kunstwerk von einmaliger Schönheit fristet unbekannt sein Dasein im Schatten der Sphinx. Fälscher machen sich mit größter Raffinesse ans Werk, um dieses kostbare Relief mit der Darstellung des Pharaos Amenophis IV. und seiner Gemahlin Nofretete zu kopieren. Denn ein schwerreicher Privatsammler ist bereit, vielen hunderttausend Dollar für die Kopie zu bezahlen, weil namhafte Experten bestätigen, dass sie echt sei. Der großangelegte Betrug gelingt - aber einer der Beteiligten verlangt plötzlich einen unerwartet hohen Anteil am Gewinn und hat Mittel in der Hand, seine Forderungen durchzusetzen.
So kommt es, dass ein New Yorker Hoteldirektor Oberinspektor Brewer zu Rate zieht, weil ihm der Tod eines seiner Gäste nicht ganz geheuer vorkommt. Und Brewer von der Mordkommission Manhattan findet eine winzige Spur, die er zäh verfolgt...
Frank Arnau, geborener Heinrich Karl Schmitt, auch Harry Charles Schmitt (* 9. März 1894 bei Wien, Österreich-Ungarn; † 11. Februar 1976 in München), war ein schweizerisch-deutscher Schriftsteller.
Der Roman Im Schatten der Sphinx erschien erstmals im Jahr 1962.
Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.
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Veröffentlichungsjahr: 2021
FRANK ARNAU
Im Schatten der Sphinx
Roman
Apex Crime, Band 212
Apex-Verlag
Inhaltsverzeichnis
Das Buch
IM SCHATTEN DER SPHINX
Erster Teil: UNTERWEGS
Zweiter Teil: NEW YORK
Ein Kunstwerk von einmaliger Schönheit fristet unbekannt sein Dasein im Schatten der Sphinx. Fälscher machen sich mit größter Raffinesse ans Werk, um dieses kostbare Relief mit der Darstellung des Pharaos Amenophis IV. und seiner Gemahlin Nofretete zu kopieren. Denn ein schwerreicher Privatsammler ist bereit, vielen hunderttausend Dollar für die Kopie zu bezahlen, weil namhafte Experten bestätigen, dass sie echt sei. Der großangelegte Betrug gelingt - aber einer der Beteiligten verlangt plötzlich einen unerwartet hohen Anteil am Gewinn und hat Mittel in der Hand, seine Forderungen durchzusetzen.
So kommt es, dass ein New Yorker Hoteldirektor Oberinspektor Brewer zu Rate zieht, weil ihm der Tod eines seiner Gäste nicht ganz geheuer vorkommt. Und Brewer von der Mordkommission Manhattan findet eine winzige Spur, die er zäh verfolgt...
Frank Arnau, geborener Heinrich Karl Schmitt, auch Harry Charles Schmitt (* 9. März 1894 bei Wien, Österreich-Ungarn; † 11. Februar 1976 in München), war ein schweizerisch-deutscher Schriftsteller.
Der Roman Im Schatten der Sphinx erschien erstmals im Jahr 1962.
Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.
Erstes Kapitel
Zanide Ayala schlenderte langsam an den Schaufenstern der Luxusläden in der Halle des Hilton-Hotels in Kairo vorbei. Ägyptische Handwerkskunst, Textilien mit stilisierten Ornamenten nach Mustern der Grabfunde aus dem Tal der Könige und Arbeiten der Goldschmiedekunst wechselten in vielfältigsten Variationen. Schemenhaft wirkten in den Spiegelscheiben die Silhouetten der durch das Vestibül flutenden Touristen, untere Mittelklasse und kleines Bürgertum, scharf von diesen abstechend die snobistischen Dollar- und Pfundbesitzer, die Brieftaschen gespickt mit Traveller-Schecks hoher Nennwerte.
Zanide Ayala blickte nicht der Gäste und Passanten wegen in die Spiegelscheiben der Vitrinen. Sie wartete auf eine bestimmte Gestalt.
Plötzlich belebte ein merkwürdiges Lächeln ihr braunes ovales Gesicht, in dem zwei große mandelförmige Augen unter prächtig geschwungenen Brauen und langen Wimpern stets etwas fragend leuchteten. Ihre ebenmäßigen Zähne schimmerten zwischen den sich kaum merklich öffnenden vollen Lippen.
Sie sah auf ein mit rotem Samt bezogenes Silbertablett, auf dem Skarabäen in Ringen, Halsketten, Manschettenknöpfen und Armreifen verarbeitet lagen. Davor versicherte die goldene Inschrift auf einem kleinen Schild: Genuine Antique – echt alt.
Aus den Königsgräbern! Wunderkräftige, den Toten vor Jahrtausenden als Beschützer und Helfer mitgegebene Amulette, nachgebildet dem Skarabäus, dem Pillendreher, dem sagenhaften Käfer dunkler Vorzeit.
Zanide Ayala suchte mit ihren Blicken die Halle ab. Der Mann, den sie erwartete, war nicht zu sehen. Sie blickte nach ihrer Uhr. Griechen waren nicht pünktlich. Tüchtig – ja. Genau – nein. Es sei denn beim Errechnen der Gewinnmargen.
Sie sah wieder zu den altägyptischen Schmuckstücken. Sie kannte den Handel. Das Material war tatsächlich alt. Alter Granit, alter Lapislazuli, alte? Eisenstein, alter Karneol – alles, alles war alt. Nur die Arbeit war neu. Aus uraltem Gestein machten die späten Erben längst im Wüstensand verstaubter Künstler vergangener Jahrtausende vollendete Nachahmungen der wahren und seit dem Ende des Kalifats nicht mehr im Handel erhältlichen Kostbarkeiten. Gewiss – dann und wann ließ sich noch ein ablieferungspflichtiger, aber nicht abgelieferter Skarabäus aus einem Königsgrab in Privathand finden.
Doch was an unbegrenzten Mengen garantiert echt alt feilgeboten wurde, kam aus den spezialisierten Werkstätten in Luxor. Die dort arbeitenden wirklichen Künstler ihres Fachs stellten auch die wunderbaren kleinen Gottesstatuetten aus Bronze her, genaue und getreue Kopien der Kunstwerke aus dem Ägyptischen Museum. Und da viele uralte Bronzemünzen, die in großen Mengen geprägt worden waren, für ganz geringe Preise feilgeboten wurden, schmolzen die Handwerker von Luxor dieses alte Metall ein und bildeten daraus ihre Plastiken, sodass selbst sorgsamste chemische Untersuchungen des Materials die Echtheit bestätigen, die alten, die uralten Legierungen. Nur das Kunstwerk selbst blieb neu. Aus Luxor. Wenn man Glück hatte. Sonst... aus Pforzheim.
Jemand streifte Ayala, als sie eben eine garantiert echte alte ungebrannte Porzellanbrosche der XIV. bis XVI. Dynastie – 1700 bis 1555 v. Chr. betrachtete.
Sie wandte sich langsam zur Seite, sah den neben ihr beim Schaufenster stehenden Herrn mit einem nichtssagenden Blick an und schritt dem Ausgang des Hotels zu.
Sie schlenderte über den weiten Vorplatz, blickte verloren zum altmodischen Bau des Ägyptischen Museums und ging hinauf in Richtung des Suliman- Pascha-Platzes zur Avenue Nasr el Nil.
Sie betrat eine kleine Konditorei, deren Hintertür in einen Garten führte. Kurz nachdem sie sich an einem runden Tisch gesetzt hatte, erhielt sie Gesellschaft.
»Sind Sie nicht übervorsichtig?«, fragte Achilles Carapoulos. Es klang nicht neugierig, eher ängstlich. Er wollte gern beruhigt sein.
»Wenn wir das erst einmal festgestellt haben werden, ist es zu spät. Ich trage meine Haut nicht gern zu Markt.«
»Vielleicht haben Sie recht.« Er bestellte bei dem Kellner zweimal gemischtes Eis, sah dem Mann im weißen Mantel und Fez nach. »Aber Sie machen mich mit Ihrem Verhalten nervös. Jetzt ist mir schon der Kellner verdächtig.«
»Besser sich vor zu viel als zu wenig Leuten hüten.«
Achilles schwieg, bis der Kellner gegangen war.
»Simon Bernard hat seine Firma in New York, aber er ist doch Engländer?«
»Naturalisiert. Zweifellos enorm tüchtig. Ich bin überzeugt, er hat bereits einen sicheren Abnehmer für das Relief, sonst ginge er nicht so bereitwillig auf die Sache ein. Allerdings weiß ich nicht, wie hoch er im Preis gehen wird. Aber ich vertraue meiner Kunst, die Karten zu mischen.«
»Sie sprechen immer von sich, Ayala. Es gefällt mir nicht. Schließlich ist meine Rolle entscheidend.«
Sie sah ihn kritisch an. »Die ganze Idee ist von mir. Ich habe Simon Bernard in der Auberge des Pyramides eingefangen. Wäre er mir nicht ins Garn gegangen, so würde Aziz Talal Fuads kostbares Kunstwerk weiter ein verborgener Schatz bleiben und Ihre Steinmetze hätten keine andere Beschäftigung als echte Skarabäen zu fabrizieren, die Sie den Touristen als Fund aus den Königsgräbern anhängen.«
»Und was täten Sie ohne mich und meine Künstler?« Achilles warf sich selbstbewusst in die Brust. »Wer übernähme es, eine Plastik von der Größe des Reliefs, das Fuad besitzt, originalgetreu nachzumachen? Was wären Sie und Ihr ganzer Plan ohne mich? Wer hat Beziehungen zu Papapoulos in Saloniki? Wer fand eine Werkstatt im entlegenen Prodo? Wer kennt die Wege, um die Kopie aus Italien auszuführen? Und wer hat das Geld? Simon Bernard!«
Sie blickte ihn spöttisch an. »Drohungen vor dem Coup sind selten nützlich, Achilles. Ich warne Sie. Für die Gegenwart und für die Zukunft. Ich bin zwar nur ein schwaches Weib«, sie ließ ihre erregend weißen Zähne zwischen den blutrotgefärbten Lippen sehen, »aber unterschätzen Sie mich nicht.«
Er lenkte ein. »Weshalb ein Streit? Ich wollte nur bemerken, dass mein Beitrag zu dem Geschäft so viel wert ist wie Ihrer. Hauptsache für uns alle, dass es ein gutes Geschäft wird. Wie soll ich mich also heute Abend bei Fuad verhalten?«
»Ich fahre mit Simon Bernard« – sie sah auf ihre Armbanduhr – »in einer Stunde in Fuads Haus in El Zamalik. Der Chauffeur ist angewiesen, den Weg die Anlagen entlang quer durch das Diplomatenviertel zu nehmen – das beeindruckt jeden Ausländer. Sie kommen eine ganz kurze Weile später, damit der Engländer nicht allzu deutlich die enge Zusammenarbeit spürt. Er muss den Eindruck haben, dass Sie genauso ein Klient von mir sind wie er selbst und Aziz Talal Fuad. Er darf nicht wittern, dass wir zusammenarbeiten.«
»Ich verstehe.« Achilles Carapoulos nickte anerkennend. »Gut arrangiert. Ich bin zehn Minuten nach Ihnen dort?«
»Gut. Deuten Sie die großen Schwierigkeiten der Kopierarbeit an, aber tragen Sie nicht zu dick auf. Simon Bernard ist kein kleiner Kaufmann, sondern einer der größten Antiquitätenhändler. Ein feiner Psychologe. Sagen Sie also nicht zu viel!«
»Verlassen Sie sich auf mich. Aber meine beiden besten Leute wurden schon bei der Andeutung der geplanten Arbeit recht hellhörig. Sie wissen ja, wie es mit den Arabern ist. Eine ständige Gefahr, wenn man auf sie angewiesen bleibt. Man muss jedem mehr zahlen als die höchste Belohnung, die er für seinen Verrat erwarten kann. Meine Vorarbeiter sind Künstler; sie verstehen nicht nur ihr Fach, sondern weit mehr. Sie spüren Dinge, ohne sie verstandesgemäß zu erfassen. Wenn sie das gigantische Relief zu sehen bekommen, dürfte es für sie keine Zweifel geben, dass es eine Kostbarkeit ersten Ranges ist.«
»Aber die Erklärung, die wir ausgedacht haben, ist doch prima. Der Besitzer will für sich eine Kopie machen lassen, ehe er das Original der Regierung zur Verfügung stellt.«
»Gut und schön, Ayala.« Achilles wiegte den Kopf hin und her. »Aber die Leute werden zumindest sich, wenn nicht uns, fragen, weshalb diese Nachahmung irgendwo in Griechenland oder Italien angefertigt werden soll.«
»Weil der Besitzer besorgt ist, dass man ihm sogar die Kopie wegnehmen würde. Sobald jedoch Ihre Steinmetze im Ausland das Relief aufgrund der abgenommenen Gussformen nachgemacht haben, sind sie ebenso in die Sache verwickelt wie wir alle.«
»Aber Sie, Ayala, bleiben hübsch im Ausland und Fuad und ich müssen in Ägyptens Sonne braten – die besonders bei Spaziergängen in einem Gefängnishof recht unerfreulich ist.«
»Sie wissen genau, dass Sie kein Risiko eingehen. Kein größeres als bei vielen ihrer anderen – wie soll ich sagen – Transaktionen mit dem Ausland. Die beiden Männer aus Luxor werden schweigen, denn eigentlich haben sie nichts zu gewinnen, wenn sie reden. Und ist es verboten, im Ausland eine ägyptische Reliefarbeit zu kopieren? Gewiss nicht. Überdies werden die Steinmetze nachts in das leere Haus am Nil geführt, genau wie Simon Bernard – auf vielen Umwegen, dass sie niemals beschreiben könnten, wo es wirklich liegt. Das Original lässt Fuad von seinem jetzigen Versteck an ein anderes bringen. Und Labioli verschwindet nach Anfertigung der Formen – die Passage nach Athen habe ich schon gebucht.«
»Was soll ich tun?« Achilles Carapoulos hob und senkte die Schultern. »Sie besitzen die Gabe, Menschen wie feuchte Tabakblätter einzuwickeln.« Er winkte den Kellner herbei, zahlte, erhob sich, küsste Ayala galant die Hand. »Ich gehe, folgen Sie mir erst etwas später – wie sagten Sie doch? Die Wände haben Ohren und die Fenster Augen – vielleicht auch die Straßen.« Er ging gemächlich zum Ausgang, ohne sich umzusehen.
Als Zanide Ayala einige Minuten später die Straße betrat, sah sie gerade noch die schmächtige Gestalt des Griechen an der Ecke der Sabri Abu el Alam Pascha Avenue und des Sulimao-Rondells verschwinden. Sie ging, die Schaufenster lässig im Vorübergehen betrachtend, zurück zum Hilton-Hotel.
Merkwürdig, dachte sie, wie diese Stadt zwischen Orient und Okzident immer wieder ihre Reize ausstrahlte. Da war ein riesengroßer Abschnitt Vergangenheit, eine ungewisse Gegenwart und eine undurchsichtige Zukunft.
Die schwarzuniformierte Polizei vereinte martialische Träger schwerer Maschinenpistolen tschechoslowakischer Herkunft mit sanft dreinblickenden Arabern, die lächelnd auf Posten standen, als wäre ihre einzige Aufgabe goldenes Nichtstun.
Frauen gingen vorbei – mit undurchsichtigem Schleier, gerade nur ein einzelnes Auge der Sicht freigegeben. Andere blickten mit beiden über den Schleier hinweg. Und wieder andere gaben ihr Antlitz bewusst preis. Auch darin offenbarte sich das dreigeteilte Ägypten, ebenso wie in dem bunten Nebeneinander der schweren Bauten aus der Zeit nach der Jahrhundertwende, den nahe dabei liegenden erbärmlichen Häusern, in denen die Masse Mensch hauste, den kaum etwas weiter entfernt sich erhebenden Palästen und Hochhäusern, an die wieder Baracken grenzten, Quartiere des Elends und der Krankheit. Gewiss – der unvorstellbare Gegensatz, wie er unter König Faruk geherrscht hatte, als ein provokatives Schmarotzertum Millionen – gestohlene Millionen – verschwenderisch vergeudete, während Millionen – Menschenmillionen – in unvorstellbarem Elend vegetierten, schien vorbei. Die Nivellierung machte sich bemerkbar. Aber nicht durch die Verbesserung des Schicksals der Ärmsten, sondern durch die Zerstörung des Wohlstands der Reichen. War dies ein erstrebenswertes Ziel der Neuen Epoche, fragte sich Ayala, als sie den Weg zum Haupteingang des Hilton-Hotels betrat.
Sie konnte sich noch ihrer Kindheit erinnern, als sehr wenige sehr viel und sehr viele gar nichts hatten. Heute sah es eher so aus, dass sehr viele sehr wenig, die meisten aber gar nichts besaßen. Nur eine hauchdünne Oberschicht schwamm nach wie vor im Fett. Die Namen waren anders – die meisten zumindest –, einigen Leuten von gestern war es sogar gelungen, Beziehungen zu den neuen Mächtigen zu spinnen und weiter die Karten mitzumischen, doch der Rest stand mit leeren Händen da.
Als Ayala an dem goldbetressten Torhüter vorbeischritt, dessen Uniform aus der Kreuzung eines Feldmarschalls mit einem Admiral entstanden war, schob sie ihre sozialen Anwandlungen beiseite. Wäre den Paschas und Beys nicht alles weggenommen worden, so ließe Aziz Talal Fuad sein phantastisches Relief von keinen profanen Händen anrühren und gewiss niemals kopieren. Also konnte man einer zunächst nur negativen Sozialpolitik auch gute Seiten abgewinnen. Lukrative zumindest für jene, die sie zu nutzen wussten.
Sie durchquerte die Halle, blieb am Pult der Portierloge stehen. »Mister Simon Bernard?«
Der dunkelhäutige Mann mit den gekreuzten Schlüsseln am Revers sah die Fächer entlang, nahm einen Zettel, der an der Nummer 807 hing. »Er ist in der Bar.«
Zanide Ayala nickte kurz, schritt zu dem Zeitungsstand im Querkorridor, las die Schlagzeilen des El Ahram und ging in die Bar. Sie sah Simon Bernard in einer im Dämmerlicht verschwindenden Ecknische und setzte sich neben ihn. »Der Wagen wird gleich vorfahren.«
»Gut. Wollen Sie nicht doch einen Martini?«
»Lieber nicht, Simon. Sie sollten sich auch Mäßigung auferlegen. Sie werden einen klaren Kopf brauchen – nebenbei auch ich selbst. Alkohol nach einem Tag großer Hitze ist kaum empfehlenswert. Aber bestellen Sie mir ein Tonic-Water. Mit einer Scheibe Zitrone.«
Bernard winkte dem Barmann, rief ihm die Bestellung zu.
»Was gibt es Neues, Ayala?«
»Ich glaube, dass alles gut vorankommt. Wir werden ja bei Aziz Talal Fuad mehr erfahren.«
»Sprachen Sie Achilles?«
»Wie kommen Sie auf die Idee?«, fragte sie erstaunt zurück. »Ich halte wenig von dem Griechen und würde gern auf ihn verzichten, wenn er nicht unentbehrlich wäre. Aber keine Vorsicht und kein Misstrauen ihm gegenüber ist groß genug.«
Sie trank das prickelnde Wasser mit dem leicht bitteren Chinin-Geschmack.
»Sie meinen, dass Fuad uns heute das Relief zeigt?«
»Ich hoffe.«
Simon Bernard zahlte, dann verließen sie das Hotel, überquerten die Straße und stiegen in die vor dem Ägyptischen Museum wartende Limousine.
Der Wagen fuhr lautlos an, kreuzte Midan el Tahrir und rollte langsam über die gleichnamige Brücke. Der herrliche Ghezira Sporting Club blieb zur Linken. Die drückende Schwüle des Tages war dem schnell abkühlenden Abend des späten Herbsttages gewichen.
»Embaixada do Brasil«, las Zanide Ayala mechanisch den Text einer blankpolierten Messingplatte. Gleich darauf folgte das beflaggte Haus der Äthiopischen Botschaft, die diplomatische Vertretung des Libanon, Wappen und Fahnen von Uruguay, Jordanien, Portugal, Vatikan.
»Teure Gegend«, sagte Simon Bernard etwas gedehnt.
Ayala antwortete nicht.
Im nördlichen Teil von El Zamalik bog der Fahrer von der Avenue Mazhar Pascha ab. Er kreuzte zwei Straßen und hielt vor einem Herrschaftshaus im maurischen Stil.
Ein Diener, den Kopf mit einem Fez bedeckt, schien auf die Ankunft zu warten. Er öffnete den Wagenschlag, murmelte das unvermeidliche Salam, verneigte sich, wartete, bis die Dame ausgestiegen war, half dann dem Herrn und führte die Gäste über den gewundenen Kiesweg zum Seiteneingang.
Als Ayala und Bernard die Schwelle überschritten und sich umblickten, sahen sie gerade noch, wie der Wagen lautlos wendete.
Der Raum, den sie betraten, lag in wohltuendem Dämmerlicht. Ein Ventilator unwahrscheinlicher Hügelspannweite sog die kühle Luft aus dem Garten und wirbelte sie durch das Zimmer.
Der Diener verschwand hinter einer Tapetentür.
Fast unmittelbar darauf trat Aziz Talal Fuad in einem kostbaren Seidenburnus mit Goldgewebe ein. Der leuchtend rote Fez kontrastierte dagegen malerisch.
»Sie müssen die Misere meines Hauses verzeihen«, wandte er sich an Ayala, küsste ihr galant die Hand und verbeugte sich vor Simon Bernard, »aber es ist eben nicht mehr mein Eigentum. Alle Kostbarkeiten beschlagnahmte die Regierung und ließ die von Generationen gesammelten Schätze in die Museen bringen.« Er zog beide Mundwinkel spöttisch nach unten. »So sagt man zumindest. Wahrscheinlich wird alles erst katalogisiert, denn bisher fand ich nirgends auch nur ein einziges Stück meiner Kollektionen...« Er sagte hastig: »Ich vergaß, Sie zu bitten, es sich bequem zu machen.« Er deutete auf überdimensionierte Fauteuils, wartete bis seine Gäste sich gesetzt hatten und nahm ihnen gegenüber auf einem Stuhl Platz.
»Sie sind sehr freundlich, Pascha«, begann Bernard. »Ich hoffe nur, dass die neuen Herren Ägyptens Ihnen nicht tatsächlich alles wegnahmen.« Er betonte das Wort alles in unverkennbarer Weise.
»Allah ist groß und Allah ist gütig«, erwiderte der Hausherr. »Vielleicht haben die Leute etwas übersehen. Übrigens, nennen Sie mich nicht Pascha. Auch diese Würde wurde mir genommen – alle Titel der früheren Zeit sind abgeschafft. Monsieur Fuad genügt. Man muss sich der Zeit beugen und Geduld haben, bis es anders wird.«
»Ich wünsche es Ihnen, Monsieur. Allerdings hegt man im Ausland wenig Optimismus in dieser Beziehung.«
Aziz Talal Fuad überhörte die Bemerkung. Er klatschte kurz in die Hände. Zwei Diener erschienen mit großen Tabletts, auf denen winzige Erfrischungstörtchen und Früchte lagen. Ein dritter brachte Getränke herein.
»Deuten Sie Mustafa, Achmet und Ramses an, was sie Ihnen vorlegen und einschenken sollen. Und wundem Sie sich nicht, dass ich bei aller Armut drei Diener habe. Es sind sogar insgesamt sieben. Aber ich muss sie behalten, denn das Gesetz verbietet es, Angestellte zu entlassen. Wovon ich sie bezahlen soll, lehrt mich allerdings die Regierung, die so weise Anordnungen trifft, nicht.«
Er wartete, bis seine Gäste bedient waren und griff selbst zu.
»Monsieur«, begann Simon Bernard nach den ersten Bissen. »Miss Zanide Ayala war so freundlich, mich über gewisse Möglichkeiten zu informieren, um Ihnen dienlich zu sein.«
»Miss Ayala ist eine bemerkenswert liebenswürdige und talentierte junge Dame. Ich würde mich freuen, wenn wir zu einem guten Einvernehmen gelangten.« Er hob lauschend den Kopf. »Ich nehme an, dass unser Freund Carapoulos eben eingetroffen ist.«
Die Tür wurde geöffnet und ein Herr im hellen Tropicalanzug, schimmernd polierten Halbschuhen aus gebleichtem Krokodilleder, die kleine Fliege keck und schmal gebunden, betrat den Raum.
»Der Verkehr macht Pünktlichkeit unmöglich.« Er begrüßte Ayala, Bernard und zuletzt Fuad. »Aber ich schaffte es immerhin ohne allzu große Verspätung.« Er setzte sich, griff ungeniert zu, warf glitzernde kleine Eisblöcke in sein Glas und goss sich Whiskey darüber. »Haben Sie schon die Grundfragen besprochen?« Er sah vom Hausherrn zu Bernard.
»Nein. Ich war gerade dabei, es zu versuchen.« Simon Bernard zündete sich eine Zigarette an. »Ich glaube, wir können gleich zum Kern der Sache gelangen. vorher möchte ich aber Monsieur Fuad fragen, ob es denn nicht möglich wäre, dass er uns trotz aller Schwierigkeiten das Originalwerk...«
»Aber wohin denken Sie! Ausgeschlossen! Völlig undenkbar! Erstens lässt es sich nicht außer Landes bringen, denn ein Hochrelief, das über zwei Meter lang, anderthalb Meter hoch und kaum weniger als eine Tonne schwer ist, kann man nicht schmuggeln. So etwas gab es früher einmal, in den guten alten Zeiten, wo Bakschisch alle Türen öffnete. Gewiss, auch heute kann man mit Bakschisch operieren, aber nur ungefährliche Kunststücke machen. Die Leute nehmen Geld – wer nimmt keins –, aber in unserem Fall ist das Risiko zu groß. Und ich möchte nicht in einem unserer nationalen Gefängnisse verfaulen. Die Idee, das Originalwerk über die Grenzen zu bringen, müssen wir vergessen. Aber Miss Ayala hat ja mit Achilles Carapoulos das Problem wunderbar gelöst.«
»Wunderbar ist zu viel gesagt«, warf Bernard ein, »denn eine Nachbildung ist eben kein Original.«
»Aber in diesem Fall ersetzt sie das Original vollkommen. Carapoulos hat den echtesten Kalkstein aller echten alten Kalksteine an Hand. Zumindest wurde mir das feierlich versichert. Die Farben bereiten keine Sorgen, alle Formeln liegen vor bis hinauf zur IV. Dynastie und wir brauchen nur jene der XX! Und die Glasierungsrezepte umfassen die Epoche des Mittleren Reiches – 2100-1700 bis zur Spätzeit, 712-525 v. Chr.«
»Wo ist das Hochrelief?«, fragte Bernard, ohne auf den Redeschwall Fuads einzugehen.
»Sie sind neugierig, mein Freund. Neugierde ist keine gute Eigenschaft. Es ist unwichtig, wo das Kunstwerk steht. Wichtig ist nur, dass ich es Ihnen zeige.«
»Wann?«, war die knappe Reaktion.
»Heute Nacht, so wie ich es Miss Ayala versprach.«
»Ich wusste, dass der Pascha Wort hält«, sagte Zanide Ayala. Ihre tiefe, etwas raue Stimme erinnerte an den Gesang eines Negerspirituals.
»Wann können wir es besichtigen? Am liebsten wäre es mir, wenn keine Zeit verloren würde.« Der Antiquitätenhändler zeigte Anzeichen einer gewissen Ungeduld.
»Auch Eile ist von Übel«, bemerkte Aziz Talal Fuad, »denn sie verleitet zu Unachtsamkeiten. Wir leben unter wenig erfreulichen Begleitumständen, mein Freund, und wenn fast täglich Ausländer die Härten der neuen Gesetze zu spüren bekommen, so können Sie sich ja ausmalen, wie es Ägyptern geht. Auch Ihnen würde die Intervention Ihres Botschafters herzlich wenig nützen, wenn Sie erst einmal in eine wirklich peinliche Lage geraten sind. Immerhin wären Sie besser bedient als wir. Größte Vorsicht ist also gerade ausreichend. Hätte ich nicht einen Freund, der mich informierte, dass die Staatspolizei ihr Abhörmikrophon in mein Empfangszimmer installieren ließ, so könnten wir in diesem Salon hier keinesfalls so ungeniert reden... Ich möchte in dieser Stunde nur die Frage des« – er wischte sich die Lippen trocken und betupfte seine etwas feuchte Stirn mit einem femininen Taschentuch – »Honorars klarstellen. Und der Modalitäten der Bezahlung. Es ist mir peinlich, über Geld zu reden...« Der Pascha machte eine unbeholfene Handbewegung.
»Nichts natürlicher, Monsieur«, erklärte Simon Bernard sachlich, »aber ohne das Kunstwerk gesehen zu haben...?« Eine entschuldigende Geste ergänzte die Antwort.
»Sie sahen doch Abbildungen.«
»Ja. Aber kein Bild vermittelt einen zuverlässigen Eindruck.«
»Stimmt. Weil das Original ungleich großartiger ist. Und einmalig in der ganzen Kunstgeschichte Ägyptens. Amenophis IV, der Sonnenherrscher, der Gründer der Hauptstadt Tell-el-Amarna, der Pharao, der sich Echnaton nannte nach dem Glauben der Verehrung des Sonnengestirns. Und nicht etwa sein Bildnis im Relief, sondern er, der große Herrscher mit seiner erhabenen Gemahlin Nofretete. Es ist ein Kunstwerk, dem nur das majestätische Relief zur Seite gestellt werden kann, das Tutanchamun mit seiner Gemahlin Anchesenamun zeigt. Nur dass dies eine blattgoldüberzogene, mit Fayencen und Einlagen verzierte Schnitzerei aus Holz ist, während meine Plastik aus massivem Kalkstein herausgemeißelt, herrlich bemalt und mit wunderbarsten Glasuren überzogen wurde.«
»Ich kenne die Schilderungen, Monsieur Fuad, doch sie ersetzen nicht den Augenschein«, stellte Simon Bernard nüchtern fest.
»Nennen Sie mir eine beliebige Summe«, beharrte Aziz Talal Fuad, »denn ich muss zuerst wissen, ob wir überhaupt auch nur ähnliche Vorstellungen haben.«
»Sie machten sich bestimmt über den möglichen Preis Gedanken«, meinte Bernard, »und vergaßen nicht, dass es sich nur um das Abnehmen von Gussformen handelt, leider nicht um das Kunstwerk selbst. Die ganzen Vorarbeiten, das Herstellen der positiven Masken nach den negativen Abdrücken, die Beschaffung des echten alten Kalksteins, die entscheidend wichtigen Steinmetzarbeiten, die Bemalung, die Glasierung, der Transport: alles Faktoren, die äußerst hohe Summen verschlingen werden.«
Fuad sagte unerwartet schlicht und ohne jedes Pathos: »Aber Sie werden das Relief ja als echt verkaufen. Sie erzielen also den vollen Preis – sofern ein Kunstwerk dieser Einmaligkeit überhaupt mit Geld aufgewogen werden kann. Ihre Transaktion ist nur möglich, indem mein Original kopiert wird. Ich glaube, dass sich alle Ihre Auslagen auf kaum mehr als zehntausend Dollar belaufen werden.«
»Lassen Sie mich nicht lachen, Pascha!«, rief Simon Bernard. »Ich muss für die erwähnten Auslagen und dazu noch die Kommissionen für Miss Zanide Ayala, Achilles Carapoulos, die Schmiergelder aller Art, um das fertige Relief aus der Werkstatt in Italien in die USA zu bringen und mit allen sonstigen Spesen einen Betrag von mindestens dreißigtausend Dollar in dies Geschäft investieren. Eine hohe Summe für ein doch eigentlich sehr fragwürdiges Unternehmen.«
»Schön«, nickte Fuad, »aber der Verkaufswert ist eine Million Dollar. Also möchte ich ein Viertel davon haben. 250.000.«
Der Antiquitätenhändler erhob sich. »Wir wollen uns weiteren Zeitverlust sparen.«
»Nicht so eilig, mein Freund«, mahnte Fuad und drängte den Gast in den Sessel zurück. »Ich habe eine Forderung angemeldet. Wie lautet Ihr Gegengebot? Oder ist dieser Weg in Ihrer Branche nicht üblich?«
»Wir sind zu weit auseinander! Immerhin – wenn Sie es wollen, so mache ich Ihnen eine Offerte. Ich bin bereit, zehntausend Dollar zu garantieren, gleichviel wie die Sache ausgeht, und weitere fünfzehntausend, wenn die Plastik in den USA landet.«
»Das ist zu wenig. Aber sagen Sie mir zunächst, wie Sie die Zahlungen leisten wollen! Ägyptische Pfunde interessieren mich begreiflicherweise nicht. Ich möchte eine harte Währung im Ausland haben.«
»Die Abwicklung ist relativ einfach. Ich finanziere zunächst alle Vorspesen. Bei einer Schweizer Bank hinterlege ich sodann zehntausend Dollar zu Ihren Gunsten, natürlich nicht auf Ihren Namen, sondern auf eine von Ihnen zu bestimmende Kennziffer, wodurch Sie ganz gesichert sind. Über diesen Betrag können Sie von dem Tag an verfügen, wenn die Steinmetzarbeiten auf Grand der von Labioli abgenommenen Negativformen beendet und die Bemalungen und Glasuren ausgeführt worden sind. Es ist die Sache von Miss Ayala, Achilles Carapoulos und Labioli, die Vorarbeiten untereinander abzustimmen, die Materialien für die absolut naturgetreue Nachahmung bereitzustellen, die beiden Steinmetze aus Luxor in die italienische Werkstatt zu verfrachten – also alles perfekt zu erledigen, was die Herstellung eines Kunstwerks erlaubt, das ich ohne jede Gefahr als ein einmaliges Originalrelief des Echnaton und seiner Gattin Nofretete absetzen kann.«
»Durchaus verständlich.« Fuad nickte und fügte mit einem etwas sarkastischen Lächeln hinzu: »Sie wollen Ihren Kunden zufriedenstellen. Und Sie haben ja bereits das Kunstwerk aufgrund der Farb-Stereoaufnahmen verkauft.« Er blickte lauernd seinen Gast an.
»Dann wissen Sie mehr als ich«, war die Antwort. »Aber die Frage, wie ich das Relief verwerte, steht wohl nicht zur Erörterung. Ich erwarte nur Ihre Antwort auf meine Offerte. Zehntausend Dollar als Depot.«
»Und...?« Die Stimme des Paschas war eindringlich.
»Weitere fünfzehntausend Dollar werde ich bei derselben Schweizer Bank deponieren. Sie stehen zu Ihrer Verfügung, wenn die Sendung in einem Hafen der USA ausgeladen wurde.«
»Mit den Modalitäten bin ich einverstanden. Aber nicht mit der Summe.« Fuad lehnte sich in den Sessel zurück. »Als erste Zahlung fünfundzwanzigtausend und als zweite Zahlung nochmals denselben Betrag.«
Wieder stand Simon Bernard auf, diesmal ungeduldig. »Der Vorschlag ist unannehmbar.«
»Schön, dann lassen wir das ganze Projekt fallen«, erklärte Fuad.
Achilles, der seine Kommission in Gefahr sah, mischte sich eifrig in die Debatte. Zanide Ayala versuchte es auf sanfte weibliche Art.
Simon Bernard lehnte sich an den Tisch. »Sie hören meinen letzten Vorschlag, Pascha. Zwanzigtausend als erste und fünfundzwanzigtausend als zweite Rate. Jede weitere Diskussion ist zwecklos. Fünfundvierzigtausend ist mein Maximum!«
Aziz Talal Fuad erhob sich feierlich, reichte dem Gast seine Hand. »Ich bin einverstanden. Sie machen das beste Geschält Ihres Lebens und ich das schlechteste, aber es sei, wie Sie es wünschen.«
»Wann und wo kann ich das Relief besichtigen?«
»Heute Nacht. Spät nachts. Sie werden in der Auberge des Pvramides vorzüglich essen und ein erregendes Programm bewundern. Madame Ayala hat sicher einen vorzüglichen Tisch reservieren lassen.« Sie nickte. Er setzte fort: »Es beginnt um elf Uhr. Wenn die Show vorbei ist, wird es die richtige Zeit für unseren Ausflug. Der Wagen fährt mit Ihnen von dem Nightclub zum Mena House. An der ersten Kurve steige ich zu. Der Chauffeur kennt den weiteren Weg.«
»Ich möchte Sie noch etwas fragen«, wandte sich Simon an Achilles. »Und im Schatten es ist auch gut, wenn Fuad Pascha die großen Schwierigkeiten kennenlernt, die uns gerade nach Fertigstellung der Nachahmung noch bevorstehen. Ich hörte zwar von Miss Ayala Andeutungen über die Möglichkeiten, die Kopie des Reliefs aus Italien hinauszuschaffen, doch klar bin ich mir nicht geworden.«
Achilles fiel sofort ein: »Der fertige Kalksteinblock wird als Exportgut seefest verpackt. Von außen gesehen ist es die Riesenkiste, in der ein italienisches Personenauto von Genua nach den USA ausgeführt wird. Papiere und Beschriftungen werksgetreu. Frachtdokumente ausnahmslos echt. Bestimmungshafen ist die Freihandelszone Barcelona. Dort wird in einem der Schuppen des Lagerhauses die Kiste demontiert, dem Relief entsprechend verkleinert und als antike Plastik deklariert an Bord eines nach den USA auslaufenden Dampfers verfrachtet. Für Altertümer wird kein Zoll erhoben. Allerdings endet meine Aufgabe mit der Verbringung der Ladung an Bord, dem Umtausch in Barcelona, den ein zuverlässiger Freund von mir vornimmt, und die Abfertigung für die Weiterbeförderung. Den amerikanischen Hafen müssen Sie bestimmen.« Er sah zu Simon. »Und ebenso ist es Ihre Aufgabe, die Sendung vom Schiff zu übernehmen und die Einfuhr zu regeln. Bei Ihren Beziehungen in New York dürfte das kein Problem sein. Ihre Firma ist ein amerikanisches Unternehmen, auch wenn Sie Engländer sind. Alle legalen Hilfsmittel stehen zu Ihrer Verfügung.«
»Wie ich es bereits sagte«, bestätigte Ayala.
Simon Bernard blickte nach seiner Uhr. »Es ist zehn.«
»Die Zeiteinteilung klappt bestens«, bemerkte Zanide Ayala. »Ich werde Labioli zur Auberge bitten. Er kann dann anschließend mit uns fahren und das Relief gleich soweit prüfen, um für seine Arbeit die notwendigen Vorbereitungen zu treffen.« Sie verließ das Zimmer. Nach wenigen Minuten kehrte sie zurück. »Alles in Ordnung. Aber ich werde Sie Labioli unter anderem Namen vorstellen. Er ist zwar unbedingt zuverlässig, aber auch unbedingt zuverlässige Leute soll man nicht in Versuchung führen.« Sie lächelte.
Fuad begleitete seine Gäste bis in die Vorhalle. Ein Diener führte sie weiter zum Portal. Die Limousine stand etwas seitlich.
Als Simon Bernard mit Zanide Ayala bereits im Fond des Wagens Platz genommen hatte, zündete sich Achilles noch eine Zigarette an.
Gedämpft fragte der Antiquitätenhändler seine Begleiterin: »Haben Sie mit Labioli telefoniert?«
»Gewiss – weshalb?« Sie blickte ihn unsicher an.
»Ich wusste nicht, dass Sie sich in Fuads Haus so gut auskennen, um ohne Führung das Telefon zu finden –«
»Eifersüchtig?« Es sollte in scherzendem Ton klingen, aber es wirkte nicht überzeugend.
»Misstrauisch«, gab er offen zurück. Er wollte noch etwas sagen, doch Achilles nahm neben dem Chauffeur Platz und das Fahrzeug setzte sich in Bewegung.
»Sie haben ein großartiges Geschäft gemacht«, rief der Grieche begeistert.
Ayala und Simon Bernard starrten ihn fassungslos an, wiesen kaum merklich auf den Chauffeur.
»Die Regierung wird Ihnen einen Orden verleihen«, versuchte Achilles den Fehler gutzumachen. »Lieferung von lebenswichtigen Gütern auf langfristigen Kredit ist die beste Empfehlung für einen Ausländer.«
Bernard lenkte das Gespräch auf Fragen des Tourismus.
Die Limousine fuhr über die El-Gala-Brücke, die Avenue Schari el Giza entlang und nahm dann Kurs zur Schari el Haram in Richtung der Straße zu den Pyramiden.
In der Halle des Nightclubs trat ein hochgewachsener junger Mann in tadellosem dunklem Anzug auf Zanide Ayala zu, nahm ihr die leichte Nerzstola ab und beugte sich galant über ihre Hand.
»Ich habe Ihrem Wunsch entsprechend einen Tisch für vier Personen reservieren lassen.« Er blickte mit unverhohlener Neugier Simon Bernard und Achilles Carapoulos an, die ihn etwas verwundert betrachteten.
»Meine Freunde«, machte Ayala die Herren bekannt. »Aristide Labioli – und hier Sir Benkham und Monsieur Stephanos.«
Sie schritten die Treppe zum ersten Stockwerk hinauf. Der Maître dʼHotel, in Frack und weißer Binde, führte sie an einen Tisch in der Mitte gegenüber der Rampe der Bühne. Zwei Kellner in weinroten Uniformen rückten Stühle zurecht, breiteten neben jedem Gedeck eine riesengroße Speisekarte aus und warteten auf die Bestellung. Ein würdiger Greis legte vor Simon die Weinliste hin. Von seiner schweren silbernen Halskette baumelte ein handgetriebener vergoldeter Traubenkranz als Symbol seines Amtes.
Auf dem Podium stimmten die Musikanten ihre Instrumente.
Die Kellner und der Kellermeister entfernten sich mit den Bestellungen.
»Sonderbarer Gegensatz«, meinte Bernard. »Die dienstbaren Geister tragen perfekte Kleidung, aber die Kapelle da unten ist aus einer armseligen Trappe gebildet.«
»Es ist die Folge der neuen Sozialordnung. Die Leute bekamen früher ihre prächtigen Smokings vom Unternehmen gestellt. Da aber die Regierung die Vergnügungsstätten in drei Kategorien mit drei Einheitspreisklassen einteilte, blieb den Inhabern kein ausreichender Überschuss, um für die Eleganz des Orchesters zu sorgen.« Ayala gab dem Kellner ihre Bestellung an und setzte dann die Erklärung fort: »Die Kellner verdienen Trinkgelder, sie können sich selbst ausstaffieren. Die Musiker kommen in ihren schäbigen Straßenanzügen, weil das Gehalt für bessere Kleidung nicht reicht. Aber – ihr Spiel leidet erfreulicherweise nicht darunter. Es sind geborene Musiker.«
Bernard, Achilles und Labioli wählten das Menü zum Einheitspreis. Der aus dem befreundeten Ungarn importierte Champagner kostete etwas mehr als der französische – aber den gab es nicht. Ägypten versorgte sich in den meisten Waren durch einen zwar groß plakatierten, aber ertragsarmen Tauschhandel.
Die Show begann mit einem Tänzerpaar, dem ein Chansonnier folgte. Ein Duo zeigte seine Künste, während gegessen und getrunken wurde.
Den sonderbar eindringlichen arabischen Melodien mit ihren immer wiederkehrenden Refrains setzte eine auf einem mechanischen Drehpodium hervorschwingende Jazzkapelle ein Ende. Nach einer Weile verschwanden die Trompeter, Bläser und der Schlagzeugmann wieder im seitlichen Hintergrund und die arabischen Musiker nahmen das Podium wieder ein.
Die Hauptattraktion des Abends kündigte der Conférencier mit überströmenden Versprechungen an.
»Sie ist wirklich großartig«, sagte Labioli begeistert, »Wer sie einmal gesehen hat, wird sie nicht vergessen.« Er hielt inne, als er Ayalas merkwürdigen Blick auffing. Langsam fügte er hinzu: »Ich meine, als künstlerische Leistung. Suleika Hamid Bakouri ist zweifellos die vollkommenste Bauchtänzerin der Metropole.«
Suleika trat zunächst allein auf. Sie tanzte die klassischen Rhythmen der Bauchtänzerinnen, die seit alten Zeiten unverändert beibehalten worden waren – bis auf geringfügige zusätzliche Bewegungen, die dem Geschmack der neuen Zeit entgegenkamen. Aber der wirkliche Kenner zog das Ursprüngliche dem modernisierten Tanz vor.
Jede Bewegung war auf Erotik abgestimmt und das seit dem neuen Regime obligatorische hauchdünne Netz, das den Körper unterhalb der nur durch kleine Medaillons verdeckten Brüste bis zu den Oberschenkeln bedeckte, erhöhte sogar den Reiz. Doch das lag im Auge des Beschauers. Ägypter, wie alle Männer des östlichen Mittelmeergebietes, vermissten die echte Nacktheit.
Suleika Hamid Bakouri war Berufsartistin, doch mit dem fortschreitenden schnelleren Rhythmus verlor sie sich in einen echten Trancezustand. Aus dem Beruf wurde Berufung. Sie tanzte wie einst ihre fernen Vorgängerinnen, weil sie tanzen musste. Ihr vollschlanker Leib war eine einzige sinnliche Herausforderung. Das plötzliche Erstarren des Oberkörpers bei wellenmäßig gleichbleibendem Schwingen des Unterleibs ließ die männlichen Zuschauer nervös auf ihren Stühlen herumrutschen, unruhig zu den Gläsern greifen oder tief den Rauch der Zigarette inhalieren.
Ayala beobachtete den ihr schräg gegenübersitzenden jungen Franzosen. Er ließ keinen Blick von Suleika, die jetzt die letzte Phase der Tanzfiguration in fast konvulsivischen Zuckungen mit geschlossenen Augen darbot. Sie riss ihren Körper in heftigen, abgehackten Bewegungen in die immer schnelleren Takte der Musik, warf sich nach vorne mit ihren schweren Brüsten und beendete die Bewegung mit einem bis zum Erzittern schwingenden Bauchtanz.
Sie verneigte sich nicht. Sie sank, erschöpft und schweißgebadet, wie geknickt in sich zusammen.
In den dröhnenden Applaus und die sich in lauten Rufen entladende Erregung schossen vier halbnackte Schwerttänzer und wirbelten in unhemmbaren, von allen Instrumenten des arabischen Orchesters wild begleiteten Sprüngen über die halbverdunkelte Bühne.
Es war ein gespenstisches Bild.
Simon Bernard wischte sich mit dem weißen Seidentuch seines Dinnerjacketts über die Stirn.
»Es ist unerträglich heiß.« Er trank das volle Champagnerglas leer.
»Sie hätten solche Darbietungen früher sehen müssen.« Zanide Ayala lächelte. »Als noch König Faruk hier das ganze Parterre für sich und seine Freunde belegte und als Selbstherrscher gebot, wie sich Suleika zu kleiden hatte – oder...« Der Satz endete mit einem gurrenden Laut. Sie atmete tief. Mit ihrer rauchigen Stimme setzte sie langsam hinzu: »Das wäre etwas für Monsieur Labioli gewesen. Suleika ohne alles. Und viele, viele Nebensuleikas ebenso als lebende Garnierung. Aber das ist vorbei. Faruk hat solche Genüsse gegen einen Knebelbart eingetauscht – kein beneidenswertes Geschäft. Ich hoffe, dass wir bessere machen werden.« Sie führte ihr Glas so hastig und unbeherrscht an die Lippen, dass ein kleiner dünner Strom perlenden Nasses über ihr Kinn in das Dekolleté rieselte.
Labioli starrte sie erschrocken an, nahm die Serviette, neigte sich zu ihr.
Mit einer harten ablehnenden Bewegung schob sie seine Hand beiseite.
Die letzten Darbietungen des Programms folgten.
Bernard ließ die dritte Flasche Schaumwein servieren.
Doch nach Suleikas Auftreten und der Attraktion der Wüstentänzer mit den blankschimmernden Schwertern wirkten alle anderen Artisten als blasse Unterhaltung.
Die Show ging ihrem Ende zu. Die ersten Gäste erhoben sich. Die Tanzgirls, die einsamen Herzen Trost gespendet hatten, zogen sich an ihren langgestreckten Tisch zurück. Bis auf jene, die der Einladung der flüchtigen Bekanntschaft folgten. Nachdem der Vorhang gefallen war, konnte jedes der für die alleinstehenden Besucher der Auberge des Pyramides verpflichteten Mädchen seine Zeit so nutzen, wie sie es für zweckmäßig hielt. Und über die Zweckmäßigkeit der Freizeitgestaltung gingen die Ansichten in Kairo ebenso stark auseinander wie sonst wo in der Welt.
Ayala stieg zuerst in den Wagen. Zu ihrer Linken nahm Bernard Platz. Achilles und Labioli setzten sich auf die breite Vorderbank neben den Fahrer. Ein genauer Beobachter würde bemerkt haben, dass der Franzose einen Schritt getan hatte, um sich links neben Ayala zu setzen. Aber ihr Blick aus leicht zugekniffenen Augen war stärker als jede gesprochene Ablehnung.