Im Zeichen des Regenbogens - Hans Bentzien - E-Book

Im Zeichen des Regenbogens E-Book

Hans Bentzien

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Beschreibung

Am 13.Juli 1524 sitzen der sächsische Herzog Johann und sein Sohn in der Kapelle des Allstedter Schlosses. Sie wollen Thomas Müntzer predigen hören, um herauszufinden, wie gefährlich er ist für sie. Thomas weiß, dass von dieser Predigt sein weiteres Schicksal abhängt. Um den Fürsten seine Gedanken klarzumachen, hat er für die Predigt einen Abschnitt aus der Bibel, aus dem Buch Daniel gewählt. Er erzählt von König Nebukadnezar, den einmal ein schwerer Traum gequält hatte. Die besten Denker seines Landes sollten den Traum deuten. Doch der König konnte ihnen nicht sagen, was ihm im Schlaf erschienen war. Nur Daniel besaß soviel Weisheit, den Wunsch des Königs zu erfüllen. Er sprach zu Nebukadnezar: »Du König, hattest einen Traum, und siehe, ein großes und hohes und hell glänzendes Bild stand vor dir, das war schrecklich anzusehen.« Plötzlich wäre ein Stein vom Himmel gefallen, erzählte Daniel weiter, und er hätte die tönernen Füße des Standbildes zerschlagen. Dieser Stein von großer Kraft wuchs und wuchs und bedeckte bald die ganze Erde. »Da wurden miteinander zermalmt Eisen, Ton, Kupfer, Silber und Gold und wurden wie Spreu auf der Sommertenne, und der Wind verwehte sie, dass man sie nirgends mehr finden konnte.« Werden die Fürsten verstehen, dass mit dem Koloss auf tönernen Füßen ihr eigenes Reich gemeint war? Das Gold bezeichnet den Adel, das Silber die reichen Patrizier und Bankiers, das Kupfer die Handwerker, das Eisen die Lohnarbeiter und der Ton die Bauern. Werden sie erkennen, wie alles kommen wird in der Zukunft? Thomas sagt es ihnen, sollen sie ihr Handeln darauf einrichten: Ergreift den Hammer und zerschlagt den Koloss, diese ungerechte Welt, in der alles auf den Schultern der Bauern ruht! Wenn ihr jedoch die euch gegebene Macht missbraucht, dann wird auch euer Reich zerschlagen. Dann wird euch das Schwert genommen und dem Volk gegeben. Als Thomas seine Predigt beendet hat, verlassen die Herren ohne ein Wort die Kapelle. Ihr Urteil steht fest. Ein knappes Jahr später, nach der Schlacht bei Frankenhausen, wird Thomas Müntzer, der Feldprediger des geschlagenen Bauernheeres, enthauptet. Sein Kopf wird aufgespießt und als Mahnung zur Schau gestellt. Hans Bentzien erzählt in dem erstmals 1990 im Kinderbuchverlag Berlin erschienenen Buch vom Leben und Sterben Thomas Müntzers, der in den armen Leuten aus Stadt und Land die Hoffnung auf ein besseres Leben erweckte und ihr Führer wurde im Großen Deutschen Bauernkrieg.

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Impressum

Hans Bentzien

Im Zeichen des Regenbogens

Aus dem Leben Thomas Müntzers

ISBN 978-3-95655-473-5 (E-Book)

Die Druckausgabe erschien erstmals 1989 in Der Kinderbuchverlag Berlin.

Gestaltung des Titelbildes: Ernst Franta unter Verwendung eines Kupferstichs von Christoph van Sichem

© 2015 EDITION digital®Pekrul & Sohn GbR Godern Alte Dorfstraße 2 b 19065 Pinnow Tel.: 03860 505788 E-Mail: [email protected] Internet: http://www.ddrautoren.de

Das Pfeiferhänslein

Unsere Geschichte beginnt im Jahre 1476, mit einem jungen Hirten, der schön auf der Flöte blies, um sich die Zeit zu vertreiben, wenn er auf das Vieh aufpassen musste. Niemand beachtete ihn besonders, denn junge Hirten gab es damals genug, und auf der Flöte konnten sie alle blasen. Aber eines Tages begann er vor der Kirche von Niklashausen, einem kleinen Dorf im Taubertal, zu predigen. Er wandte sich mit seiner Rede an alle Kirchenbesucher. Sie liefen zusammen. Wer war denn das? Hans Böheim? Der Name war den meisten unbekannt. Seine Verwandten und Freunde nannten ihn nur das Pfeiferhänslein.

Es war schon mehrfach vorgekommen, dass jemand während der frommen Pilgerfahrten plötzlich zu predigen anfing und, anders als die Priester, seine eigenen Gedanken und Träume ohne Hemmungen vor den Leuten ausbreitete, manchmal wartete man geradezu auf so einen. Hans Böheim sprach im Zorn gegen die verkommene Priesterschaft, er leugnete den Anspruch des Papstes auf Gehorsam und dehnte die Verweigerung des Gehorsams auf alle Fürsten, geistliche wie weltliche, aus. Sie alle sollten zukünftig arbeiten und nichts weiter als einen Tagelohn dafür bekommen. Das zusammengeraubte Gut müsse ihnen weggenommen und an jedermann verteilt, alle Abgaben, die Steuern und die Zinsen, die Frondienste müssten abgeschafft werden. Besonders verbittert war er über den Raub der Allmende durch die Oberen. Die Allmende, „was allen gemeinsam ist“, war ein altes Recht, das noch aus dem 10. Jahrhundert stammte. Alle Dorfgenossen durften die Gemeindeflur nutzen, die Weiden, Wälder und Gewässer. Sie holten Futter und Holz, Wildbret und Fisch daraus, und das wurde ihnen jetzt verboten, und sie wurden für die Ausübung ihres alten Rechtes grausam bestraft.

Die Predigten des Pfeiferhänsleins trafen die empörte Stimmung der Bauern, aber auch in den Städten vernahm man seine Botschaft und stimmte ihr freudig zu. Aus allen Gegenden liefen die Leute zusammen, und seine flammenden Aufrufe gingen von Mund zu Mund. Die immer zahlreicher werdende Zuhörerschaft beflügelte den Redner, und er forderte schließlich, dass man alle Pfaffen erschlagen solle, wobei die Massen diesen Ruf in ihre frommen Gesänge aufnahmen:

Wir wollen es Gott im Himmel klagen,

Kyrie eleison,

Dass wir die Pfaffen nicht zu Tod sollen schlagen,

Kyrie eleison,

so klang es den Pfaffen in die Ohren, und die Kundschafter des Bischofs von Würzburg berichteten von ihrer Angst: „In kurzem wird es dazu kommen, dass der Priester möchte die Platte bedecken mit der Hand, das tät er gern, damit man ihn nicht kenne.“ Und die Kuriere berichteten weiter, Hans Böheim hätte gefordert, „dass die Fürsten, geistliche und weltliche, auch Grafen und Ritter, soviel haben: hätte das die Gemeinde, so hätten wir gleich alle genug, was auch geschehen muss.“ Es werde dazu kommen, „dass die Fürsten und Herrn noch um einen Tagelohn müssen arbeiten.“

Die Fürsten verboten die Wallfahrten nach Niklashausen und befahlen die Verhaftung des Redners. Er wurde auf das Schloss von Würzburg gebracht, und Tausende Menschen folgten ihm dorthin, zum Sitz des Bischofs, auf die Marienfeste oberhalb der Stadt. Dort forderten sie die Freilassung ihres Propheten. Aber vergeblich.

Das Pfeiferhänslein wurde auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Hans Böheim musste noch mit ansehen, wie zwei seiner Getreuen enthauptet wurden. Das Volk erzählte, seine Seele sei als Taube in den Himmel gestiegen, Gott habe sie gerettet.

Die Forderungen des Pfeiferhänsleins blieben lebendig. In den kommenden Jahrzehnten flammen immer wieder Unruhen auf. Im Jahre 1493 beginnt die große Bundschuhverschwörung, 1514 die Erhebung des Armen Konrad. Aber nicht nur die Bauern empören sich gegen die immer maßloser werdenden Forderungen ihrer weltlichen und geistlichen Obrigkeiten. Auch die Bürger in den Städten müssen sich ihrer Bedrücker erwehren. Manchmal stehen sie alle, die reichen Patrizierfamilien, die Zunftmeister und ihre Gesellen und die besitzlosen Armen der Stadt gemeinsam gegen die Beschneidung ihrer Rechte und die Ausplünderung durch die Landesfürsten. Oft aber geht es gegen den Rat der Stadt, der im Interesse der reichen Familien regiert. Handwerksmeister, Gesellen, kleine Kaufleute wehren sich gegen immer neue Steuern, Münzverschlechterungen und Teuerungen. Und sie fordern die Mitbestimmung im Rat, die Demokratisierung des Stadtregiments.

Kindheit und Jugend Thomas Müntzers

In einer Stadt, in Stolberg, wurde im Jahre 1489 Thomas Müntzer geboren, man nimmt das jedenfalls an, denn eine Geburtsurkunde gibt es nicht. Sein Vater soll im Dienste der Grafen von Stolberg gestanden haben, vielleicht sogar als ihr Münzmeister, als der Mann also, der aus Gold und Silber Geld, die Münzen, schlug. So erklärt man den Familiennamen.

Die Grafen von Stolberg waren als besonders grausam und ungerecht bekannt, es kam zu Volkserhebungen. War auch Vater Müntzer daran beteiligt? Hatte er gar tiefere Einsicht in die Betrügereien der Obrigkeit? Wir wissen es nicht. Aber die Familie Müntzer muss in Bedrängnis gewesen sein, denn ohne Not verlässt ein Handwerker seine Werkstatt nicht.

Die Müntzers zogen um. Thomas muss etwa zehn Jahre alt gewesen sein, als er auf dem Leiterwagen saß, der auf ausgefahrenen Straßen von Stolberg nach Quedlinburg rumpelte. Sicher hat Thomas genau zugehört, wenn sich seine Eltern über ihre Sorgen unterhielten, fuhren sie doch ins Ungewisse, und es war nicht klar, wo sie eine Bleibe und ein gutes Auskommen finden würden.

Der Junge muss einiges vom schweren Leben der Bürger in den Städten gewusst haben, und sicher hat er auch das Elend der Bauern gesehen und gehört, wenn sie an den Markttagen in die Stadt kamen. Sicher wusste er einiges von dem, was ein Zeitbericht schildert: „Diese Leute haben nimmer Ruh. Früh und spät sind sie bei der Arbeit. Sie tragen in die nächste Stadt, was sie auf den Feldern geerntet haben, und auch ihr Vieh, und kaufen dafür, wessen sie bedürfen. Denn sie haben keine oder gar wenige Handwerksleute bei sich zu wohnen. Ihren Herren müssen sie oft durch das Jahr dienen, das Feld bebauen, säen, die Frucht abschneiden und in die Scheuer fahren, Holz schlagen und Gräben ziehen. Da ist nichts, was das arme Volk nicht tun muss und ohne Strafe nicht aufschieben darf. Dieses mühselige Volk der Bauern, Köhler und Hirten ist ein sehr arbeitsames Volk, das jedermanns Fußabtreter ist und mit Frondiensten, Arbeitspflichten, Zinszahlungen, Steuern, Zöllen hart belastet und überladen ist.“

In Quedlinburg besuchte Thomas eine Lateinschule. Diese Sprache musste man damals unbedingt lernen, wenn man etwas werden wollte. Latein war die Grundlage für alle Fachrichtungen an den Universitäten. In Latein las man die Schriften der Kirchenväter und die frommen Geschichten über das Leben der Heiligen. Vielleicht gab es hin und wieder auch etwas Rechnen und Gesang, aber davon nur die Grundbegriffe.

Die Methode, wie man etwas erlernte, bestand damals im Nachsagen vorgesagter Texte. Die Lehrsätze wurden immer und immer wiederholt. Man musste sie sich einprägen, sie auswendig lernen, wenn man nicht mit dem Rohrstock verprügelt werden wollte, und Prügeln als Erziehungsmittel war überall verbreitet, in der Familie, in der Schule, im Leben der Bauern. In der Schule hatte es Thomas nicht besser und nicht schlechter als die anderen Kinder. Über diese Jahre wissen wir nicht viel, dürfen wegen seiner späteren Leistungen aber annehmen, dass er leicht lernte und den Stoff ohne besondere Schwierigkeiten bewältigte. Da es damals üblich war, die Kinder auf bessere Schulen nach außerhalb zu geben, wenn sie dort bei Verwandten billig wohnen konnten - auch manche Lehrer nahmen Kinder in ihr Haus auf und verdienten sich damit ein paar Groschen nebenbei -, ist es wohl möglich, dass Thomas auch in anderen Orten gewesen ist. Doch als er sich an die Universität nach Leipzig aufmachte, kam er aus Quedlinburg. In der Eintragungsliste der Universität aus dem Jahre 1506 erfahren wir, dass er sechs Groschen bezahlt hat, um aufgenommen zu werden. Der Rektor, Herr Martin Meyendorn von Hirschberg, trägt ihn danach unter die sächsischen Studenten ein.

Aus dieser ersten Urkunde, die einen Lebensabschnitt von ihm belegt, vermuten wir auch sein Geburtsdatum. Nehmen wir an, dass er achtzehn Jahre alt war, als er nach Leipzig ging, mag er 1488 geboren sein. Es ist aber durchaus möglich, dass er ein oder zwei Jahre später geboren wurde, denn man begann damals früher mit den Universitätsstudien. So heißt es immer in den Angaben über sein Geburtsdatum: vor 1490 geboren.

Thomas studierte sechs Jahre an den Universitäten. Damals lernte man mindestens drei Sprachen, Latein, das kannte er schon aus der Schule, und dazu Griechisch und Hebräisch. So konnte man die Schriften der Römer, Griechen und Juden lesen, die für jede Bildung unerlässlich waren.

In Leipzig herrschte damals die allmächtige Theologie. Ihre Vertreter versuchten, in alle anderen Fächer einzudringen und neue, freie Gedanken zu unterdrücken. Doch auch hier gelang das nicht mehr unbegrenzt. An der Artistenfakultät, an der man die Sieben Freien Künste studieren konnte, regte sich schon ein anderer Geist, der sich von der Theologie nicht mehr alles vorschreiben ließ. Zu den Sieben Freien Künsten gehörten Rhetorik und Dialektik. Die Studenten lernten, ihre Gedanken klar und in schöner Sprache, allen verständlich zu formulieren und ihre Meinungen in Rede und Gegenrede überzeugend zu vertreten. Hier war die Zeit des Auswendiglernens vorbei.

In Leipzig lernte Thomas die Streitigkeiten zwischen Theologen und Humanisten kennen und war, wie viele der heißspornigen Studenten, leidenschaftlich an ihnen beteiligt.

Außer an der theologischen und der Artistenfakultät konnte man noch an der medizinischen und an der juristischen Fakultät studieren, und auch hier gab es viel Neues. Die Mediziner sezierten den menschlichen Leichnam, um Genaueres über die menschlichen Organe zu erfahren, und die Juristen arbeiteten an einem neuen Recht, das sie in den Dienst des Handels und der städtischen Bürger stellten, denn die neuen Verhältnisse in Produktion und Handel schufen große Bankhäuser. Und große Geldsummen, wenn sie bewegt werden, müssen durch Verträge gesichert sein, und diese wurden von den Juristen ausgearbeitet.

So erfuhr Thomas in seiner Leipziger Studentenzeit, in der er sich auf sein Examen vorbereitete, vielerlei Neues, das ihn beschäftigt haben mag. Auch in der Kirche blieb nicht mehr alles still. Während das Pfeiferhänslein noch als unwissender Hirte die Sünden der Kirche angriff, predigten jetzt, ein halbes Jahrhundert danach, studierte Priester über die Verhältnisse des Volkes. Wir wissen nicht, ob Thomas diese Predigt gehört hat, aber so, wie in unserem Beispiel, das damals aufgeschrieben worden ist, haben schon die mutigsten Priester gepredigt: „Ihr braven Leute, die Dinge können nicht gut gehen in unserem Land und werden nicht gut gehen, bis es so weit ist, dass aller Besitz gemeinsam wird und es weder Bauern noch Edelleute gibt und wir alle eins sind. Aus welchem Grund sind die, die wir Herren nennen, größere Meister als wir? Womit haben sie das verdient? Warum halten sie uns in Knechtschaft? Und wenn wir alle von einem Vater und einer Mutter, Adam und Eva, abstammen, inwiefern können sie behaupten und beweisen, dass sie mit besserem Grund als wir Herren sind? Höchstens damit, dass sie uns erbringen und erpflügen lassen, was sie ausgeben.

Sie sind in Samt und Seide gekleidet, mit grauen und dunklen Pelzen, und wir tragen ärmliches Tuch. Sie haben Weine, Gewürze und Weißbrot, und wir haben Roggen, Kleie und Stroh und trinken Wasser. Sie haben Freizeit und schöne Landsitze, und wir haben Mühe und Arbeit, Regen und Wind auf den Feldern, und von uns und unserer Arbeit muss das kommen, womit sie den Aufwand treiben. Wir werden Knechte geheißen und geschlagen, wenn wir ihren Dienst nicht auf der Stelle tun, und haben keinen Oberherrn, bei dem wir uns beklagen könnten und der uns anhören und uns Recht geben wollte. Gehen wir doch einfach zum König und führen wir ihm unsere Knechtschaft vor Augen und sagen wir ihm, dass es anders werden soll, oder wir werden selbst für Abhilfe sorgen. Wenn wir wirklich alle zusammen da hingehen, werden uns alle möglichen Leute, die Knechte geheißen und in Knechtschaft gehalten werden, folgen, damit sie frei werden. Und wenn der König uns sieht und hört, gütlich oder anders, dann wird er für Abhilfe sorgen.“

Und die Bauern, die das hörten, sagten, dass es wahr sei. In dieser Rede steckte alles, was die Bauern erhofften. Sie leiteten aus der Religion ab, dass alle Menschen gleich geboren seien. Die Herren hätten sich ihren Reichtum nur durch Diebstahl und Unterdrückung der Bauern angeeignet. Schließlich glaubten sie an einen gerechten König, der die Zustände ändern würde. Lehnte er das ab, würden sie selber für Gerechtigkeit sorgen, indem sie sich alle zusammenschlössen.

Mit den Grundbesitzern, den reichen Herren, war auch die Kirche gemeint, der größte aller Grundbesitzer. Die Menschen waren nicht so sehr über ihre Gemeindepfarrer erbost, mit denen hatten sie ja regelmäßigen Kontakt durch Messen und Predigten, durch Taufen, Hochzeiten, Beerdigungen, Wallfahrten und die üblichen Beichten, sondern über die Chorherren, Stiftsherren, Äbte, Prälaten jeder Art, die Bischöfe und ihren Hof, die vielen Mönche, die ihren Unterhalt zu einem Teil nicht mehr aus eigener Wirtschaft, sondern durch Bettelei bezogen. Sie belästigten die Menschen, von denen sie glaubten, sie seien einfältig genug, ihnen ihre Besitztümer zu überlassen, besonders wenn sie schon alt waren und an ihr Seelenheil nach dem Tode dachten. Das wurde ihnen versprochen, wie auch die Vergebung der Sünden durch den Kauf von Ablassbriefen. Der Ablass hatte sich zu einer überall auftretenden Seuche entwickelt, und man konnte jedes begangene Unrecht, auch jedes Verbrechen sühnen, wenn man nur kräftig dafür bezahlte. Diese kritischen Stimmen hat Thomas Müntzer gewiss gehört, und als aufgeschlossener Student wird er sich Gedanken darüber gemacht haben.

Es wird angenommen, dass Thomas in Leipzig fünf Jahre geblieben ist. Das war die erforderliche Zeit, um als Magister der Artistenfakultät sein Examen zu bestehen, aber da er nicht die volle Gebühr bezahlt hatte, wissen wir nicht, ob er es dort ablegen durfte. Manche Forscher nehmen auch an, er hätte nach seiner Studienzeit in Leipzig erst einmal als Hilfslehrer gearbeitet, um seinen Unterhalt zu verdienen.

Sechs Jahre nach dem Studienbeginn finden wir Thomas in Frankfurt an der Oder. Hier hat er die volle Studiengebühr bezahlen können, deshalb wird er auch sein Examen an dieser noch jungen Universität abgelegt haben. Er studierte, um Bakkalaureus der Theologie zu werden, wir würden heute Doktor der Theologie dazu sagen. Was musste er dafür lernen? Sicher hat er das Alte und das Neue Testament studiert, das gehörte sich so für einen zukünftigen Priester. Jedermann, der etwas über die damalige Gegenwart aussagen wollte, berief sich auf die Bibel, doch kaum jemand hatte eine Abschrift davon gesehen. So war es ein besonderes Ereignis für jeden Studenten, wenn er in der Bibliothek ein paar Stunden eines der seltenen Exemplare auf seinem Lesepult hatte. Auch bei Thomas werden die Geschichten, wie die Reichen bestraft, die Wechsler aus dem Tempel gejagt und die Gerechten beim Jüngsten Gericht erhoben und an der Seite Gottes sitzen werden, viele Fragen ausgelöst haben. Wie kommt es, dass diese Botschaft der Heiligen Schrift so wenig mit den Verhältnissen, die er aus den Städten und Dörfern kannte, zu tun hatte? Wann wird sie anbrechen, die neue Zeit?

In den Disputen, so nannte man damals die Diskussionen in den Seminaren, hat er wohl keine Antwort erhalten, die ihn befriedigte. Die meisten Bibellehrer waren Dogmatiker, die niemanden mehr überzeugten. Manchmal wussten sie es auch besser, doch sie befürchteten, ihre Stelle zu verlieren, und schwiegen.

Im Frühjahr 1514 legte Thomas sein Examen in Frankfurt an der Oder ab, er war nun ein junger Doktor der Theologie. Nun suchte er eine Anstellung an einer Kirche, möglichst in seiner Heimat. Wir wissen nicht genau, wo er seine erste Stelle fand, manche sagen, dass er als Lehrer in Halle gearbeitet hat und in dieser Stadt an den Gemeindeschulen von St. Gertrauden und St. Marien angestellt war.

Wanderjahre

Im Frühjahr 1514 kam Thomas nach Braunschweig und übernahm eine Pfründe an der Michaelskirche, nachdem er zuvor vom Bischof der Diozöse Halberstadt zum Priester geweiht worden war.

Kurz bevor Thomas in Braunschweig eintraf, war dort ein Aufstand zu Ende gegangen.

Die Bürger der Stadt sollten hohe Kriegskosten an den Herzog von Braunschweig zahlen, dazu waren die Steuern verdoppelt worden. Das aber nahmen die Einwohner nicht hin, besonders den Armen wäre mit der Verteuerung aller Waren, die aus höheren Steuern entstand, das Notwendigste zum Leben genommen worden. So kämpften die Tagelöhner und armen Zunftgesellen, Zimmerleute und Dachdecker, Fleischer und Schweinetreiber dagegen an. Gleich zu Beginn des Aufruhrs wurde ein Bürgermeister erschlagen, ein anderer fast umgebracht. Die Ratsherren flohen, als der Sturm auf das Rathaus begann. In der Umgebung suchten sie Zuflucht und versteckten sich in Kirchen und Klöstern. Die empörten Leute suchten und fanden sie dort und holten sie heraus. Als die reichen Ratsherren merkten, dass es ihnen an den Kragen ging, bewilligten sie alle Forderungen und sicherten den aufständischen Männern Straffreiheit zu. Das beruhigte, und im Glauben an diese Zusagen gingen die Aufrührer nach Hause. Wie so häufig hielten sich die Oberen nicht an ihre Versprechungen. Als sich die Wogen etwas geglättet hatten, verhafteten bewaffnete Bürger sechs der Anführer und richteten sie ohne Gerichtsurteil hin. Einige konnten fliehen, wer gefangen wurde, verfiel der grausamen Rache. Die Geschehnisse werden noch in aller Munde gewesen sein, als Thomas seine Tätigkeit an der Michaelskirche begann.

Seine Pfründe wirft nicht viel ab. Er wird davon seinen Unterhalt nicht bestreiten können, so gering sind die Einnahmen, wahrscheinlich auch eine Folge der hohen Steuern. Die Leute haben kein Geld, um ihren Priester gut zu bezahlen. Thomas muss sich nach weiteren Einkünften umsehen, damit er leben kann.

Auf der Suche nach einem zusätzlichen Verdienst kommt er in das Frauenkloster Frose bei Aschersleben, wo man einen Prior, einen Vorsteher, sucht, der auch als Beichtvater der Nonnen fungieren muss, denn die Beichte dürfen nur Priester abnehmen, und weibliche Priester gibt es bis heute in der katholischen Kirche nicht. Die Äbtissin, so sagt man, hängt den neuen Gedanken aus Wittenberg an, die ein Bibellehrer an der dortigen Universität, Martin Luther, vertritt. Müntzers Aufenthalt in dem Frauenkloster mag in die Wochen und Monate fallen, als Martin Luther seine 95 Thesen an die Tür der Schlosskirche schlug, um sie zur Diskussion zu stellen.

Luther, so hört Thomas hier, will das reine Wort der Bibel verkünden, so wie es geschrieben steht, ohne spitzfindige Zusätze und Haarspaltereien, die doch nur die bestehenden ungerechten Verhältnisse rechtfertigen sollen. Die Bibel ist kein Buch, das die Mächtigen unterstützt, das meint Thomas auch. Es verkündet die Wahrheit, meint er, aber nur wenige kennen sie.

Es fällt Thomas schwer, eine einträglichere Stelle zu finden. So fragt er Luther um Rat, und dieser empfiehlt ihn nach Jüterbog. Bestimmte Vorfälle machten es dringlich, die Anhänger der Reformation dort zu verstärken. Die Pfarrstelle an der Nikolaikirche war zu einer umkämpften Position geworden.