Im Zweifel glauben - Margot Käßmann - E-Book

Im Zweifel glauben E-Book

Margot Käßmann

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Beschreibung

Wie lässt es sich leben, wenn der Glaube unsicher geworden ist? Wenn Zweifel sich einstellen und persönliche oder öffentliche Krisen den vertrauten Kindheitsglauben infrage stellen? Margot Käßmann hat solche persönlichen Krisen selber erlebt und durchgestanden. Die Theologin und Bestsellerautorin hat mit wachem Bewusstsein für gesellschaftliche und politische Entwicklungen auch öffentliche Krisenphänomene wahrgenommen und angesprochen. In diesem Buch gibt sie Antworten aus der christlichen Tradition und der protestantischen Reformation, die aktuell, wohltuend und hilfreich sind, um dem Zweifel zu begegnen. Denn es braucht auch Mut, den Zweifel ernst zu nehmen – und es macht Hoffnung, wenn er nicht das letzte Wort hat.

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Margot Käßmann

Im Zweifel glauben

Worauf wir uns verlassen können

Aktualisierte Neuausgabe 2018

© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2015

Alle Rechte vorbehalten

www.herder.de

Umschlaggestaltung: wunderlichundweigand

Umschlagmotiv: © Julia Baumgart Photographie

E-Book-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

ISBN Print 978-3-451-06955-0

ISBN E-Book 978-3-451-81311-5

Inhalt

Vorwort

Erstes KapitelVom Glauben und Zweifeln

Zweites KapitelZweifel an der Existenz GottesGibt es Gott? Und wie können wir von Gott reden?

Drittes KapitelZweifel am christlichen GlaubenJesus aus Nazareth – Gottes Sohn? Und was ist der Heilige Geist?

Viertes KapitelZweifel an der BibelIst die Bibel Gottes Wort? Welchen Stellenwert hat sie für den Glauben?

Fünftes KapitelVerzweifeln an meinem LebenWenn nicht alles gut wird, macht das Leben überhaupt Sinn?

Sechstes KapitelVerzweifeln an der KircheWas ist Gemeinschaft der Heiligen? Wozu brauche ich sie?

Siebtes KapitelVerzweifeln an der WeltWie kann Gott zulassen, dass es so viel Leid und Unrecht gibt

Achtes KapitelGlauben gegen allen ZweifelWie kann ich in meinem Leben für das einstehen, was ich glaube?

Zum SchlussErmutigung zum Christsein

Kleine Schritte

Anmerkungen

Vorwort

Wir leben in unruhigen Zeiten. Lange wurde erklärt, mit dem wissenschaftlichen Zeitalter sei auch das Ende des Glaubens eingeläutet. Aber Glaube hat auf einmal eine ganz neue Bedeutung erhalten, weil in unserem Land der Islam inzwischen präsent ist. Da nehmen Menschen ihren Glauben sehr ernst und es stellt sich die Frage: Was glaube eigentlich ich? Ist das Christentum für mich ein Orientierungspunkt im Leben?

2017 haben wir das Reformationsjubiläum gefeiert. Gerade in den Orten, in denen die Reformation im 16. Jahrhundert ihren Ursprung hatte, sind Christen heute eine kleine Minderheit. Es wurde deutlich, wie groß die Herausforderung ist, im säkularen Kontext von Gott, von Jesus Christus zu sprechen. Für viele Menschen unserer Zeit erscheinen Redeweisen wie Rechtfertigung aus Gnade, Befreiung von Sünde, Erlösung von Schuld leer, sie sind für sie nicht mehr mit Inhalten gefüllt. Es gibt keine Anknüpfungspunkte zum eigenen Leben, zu persönlicher Erfahrung. Und auch im kirchlichen Kontext wird selten Zweifel ausgesprochen, der offen sagt: »Das kann ich nicht glauben.« Oder: »Mit dieser Aussage habe ich allergrößte Probleme!« Und doch wären gerade solche Gespräche hilfreich, um eine neue Sprache zu finden für den Glauben, die eben nicht in Formeln erstarrt, sondern »dem Volk aufs Maul schaut« wie Martin Luther das tat, ohne Menschen »nach dem Munde« zu reden.

Kreativ und lebendig wird Glaube immer dann, wenn Menschen sich eben nicht zufrieden geben mit Formeln und pauschalen Antworten, sondern wenn sie fragen, sich ausprobieren in einer eigenen Sprache über den Glauben. Wann und wo aber kommen wir dazu, im Gespräch zu sein, uns auszutauschen und zu versuchen, persönlich in Worte zu fassen: »Das glaube ich! Was glaubst du?« Und worin besteht der gemeinsame Glaube von uns Christinnen und Christen? Wie kann heute über den Glauben an Jesus Christus so gesprochen beziehungsweise geschrieben werden, dass einerseits die Tradition aufgenommen wird, andererseits aber auch die Fragen von Heute Raum finden und der ernsthafte Zweifel zu Wort kommt? Wie finden wir Worte für das, worauf wir uns verlassen, im Leben und im Sterben?

Ich denke, wir brauchen einerseits Gespräche über den Glauben, aber eben auch eine Art »Handgepäck des Glaubens«, an dem wir uns festhalten können. Handgepäck – das sind die paar Dinge, die wir mitnehmen als eine Art Grundausstattung, mit der wir ein paar Tage gut überleben können. Es gibt bei Flügen klare Vorgaben, wie viel das sein darf. Und wie ärgerlich ist es, wenn wir auf einer Reise kein Handgepäck dabei hatten, weil wir meinten uns auf den großen Koffer verlassen zu können, der aber nicht angekommen ist. Mir ist das einmal auf einer Reise nach Südafrika passiert, ich musste dann zwei Wochen lang das Nötigste kaufen und Kleidung von Gastgeberinnen und Kolleginnen ausleihen, die ungefähr meine Größe hatten – keine so angenehme Erfahrung.

Für unser Leben gilt das ebenso, meine ich. Wir brauchen eine Art Grundausstattung für Zeiten, in denen wir nicht auf den »großen Koffer« zurückgreifen können, weil es um sehr elementares Erleben geht. Zum Lebensweg-Handgepäck gehören, finde ich, tiefe Worte, auf die wir uns verlassen können. Es sind Worte, die älter sind als wir selbst mit unseren Betroffenheitsbekundungen, unserem Ringen um Worte, wenn wir Glück oder Leid ausdrücken wollen. Und das gilt auch, wenn wir zweifeln, wenn wir im Glauben nicht weiter wissen. Dann einen Psalm zu beten, von dem ich weiß, dass er schon Menschen hunderte, ja tausende von Jahren vor mir getröstet hat, im Glauben gestärkt hat, das hilft. Zu wissen, dass ich nicht die einzige bin, die mit dem Glauben ringt, das macht die Wucht des Zweifels nicht kleiner, aber es ordnet sie ein in einen Vorgang, den eben auch andere kennen. Martin Luther hat seinem Barbier, der fragte, wie er denn beten solle, geraten, er solle kein Brimborium ums Beten machen, sondern jeden Tag schlicht ein Vaterunser beten und am Schluss ein kräftiges Amen sagen gegen allen Zweifel. Das ist eine sehr pragmatische Art mit dem Zweifel umzugehen. Aber zumindest wird der Zweifel nicht klein geredet oder gar ignoriert. Und so hat Luther mit dem Kleinen Katechismus Christinnen und Christen fünf »Stücke« auf den Lebensweg mitgegeben, mit denen sie auf der einen Seite ihren Glauben zum Ausdruck bringen, die ihnen andererseits aber auch Halt geben, wenn sie selbst nicht wissen, wie sie über den Glauben sprechen können.

In diesem Buch habe ich zehn Texte besonders hervorgehoben, die mir als eine Art Handgepäck des Glaubens erscheinen, die ich für elementar halte als Grundausstattung für unsere Lebensreise: Drei der Texte aus dem Kleinen Katechismus: das Apostolische Glaubensbekenntnis, das Vaterunser und die Zehn Gebote. Seine Erklärungen zu den beiden Sakramenten Abendmahl und Taufe habe ich ausgelassen, weil sie, so wie Luther sie formuliert, heute für uns schwer greifbar sind. Aber natürlich hat Luther Recht, Abendmahl und Taufe sind wichtig für unser Verständnis vom Glauben, so habe ich sie im Kapitel über die Kirche als Gemeinschaft der Glaubenden thematisiert. Ins Handgepäck aber habe ich zwei Psalmen, zwei Lieder, die Seligpreisungen sowie Luthers Morgen- und Abendsegen aufgenommen. Denn ich bin wie gesagt überzeugt: Es sind oft die poetischen Texte, die Psalmen, Lieder und Gebete, die uns Halt geben. Mich hat beeindruckt, dass Ruth Klüger, die als Siebenjährige in ein KZ deportiert wurde, in einer Talk-Show einmal sagte, die Gedichte hätten sie geradezu am Leben erhalten. Gut, wenn Menschen solche Worte der Tiefe kennen, die sie halten und tragen. In jedem Kapitel dieses Buches findet sich daher ein Text, den nach meiner Einschätzung Menschen für das Unterwegssein im Leben und auch für die Phasen des Zweifelns im Glauben gut brauchen können.

Beim Nachdenken und Schreiben dieses Buches bin ich zudem immer wieder auf nichtbiblische poetische Texte gestoßen, die mir weiterführend erscheinen. Ich habe sie aufgenommen, um ihre Kraft zu teilen. Ein poetischer Text, ein Gedicht, bewegt mich oft mehr als eine sachliche Abhandlung. Während letztere den Kopf anspricht, erreicht Lyrik das Herz. Deshalb steht die Lyrik anderer immer wieder in den folgenden Kapiteln als Ergänzung der Grundtexte der Tradition des christlichen Glaubens.

Wir brauchen im Zweifel beides: Das persönliche Ringen um Antworten und die Hilfestellung der alten Texte der Tradition wie der Poesie unserer Zeit. Wer zweifelt und ringt mit dem Glauben, ist ja doch auf der Suche nach Halt und Orientierung, ja nach Gott.

Gleichzeitig will ich nichts unterstellen, nicht den Zweifel voreilig wieder in den Glauben einordnen. Es geht auch um Respekt vor dem Zweifel und vor den Menschen, die nicht an Gott glauben oder nicht mehr an Gott glauben können. Ein offenes Gespräch auf Augenhöhe über den Glauben ist nicht möglich, wenn es nicht auch die Akzeptanz des Nichtglaubens gibt. Das ist mir in Wittenberg und Eisenach, in Leipzig und Weimar bei vielen Begegnungen 2017 klar geworden. Und gleichzeitig wird erwartet, dass Christen auskunftsfähig sind in Glaubensfragen. Vielleicht gibt es in Ostdeutschland sogar ein unbefangeneres Fragen nach dem Glauben, weil Menschen schon in dritter oder vierter Generation nicht mehr damit aufgewachsen sind.

Zweifel soll, darf, ja muss sein, sonst wird Glaube alsbald zum Fundamentalismus, der keine Fragen zulässt. Wer keine Fragen erlaubt, verschließt die Augen, hat Angst. Ich bin überzeugt: Gott hält das Fragen aus. Und unser Glaube wird klarer, wenn wir Fragen zulassen und um Antworten ringen. Leicht ist das nicht. Ja, unsere Sicherheit wird erschüttert, wenn eine Überzeugung, die uns trägt, infrage gestellt wird. Aber es führt auch kein Weg um diese Erschütterung herum, wenn wir offen und wahrhaftig sein wollen. In dem Moment, in dem ich an Gott zweifle, bin ich doch schon im Gespräch rund um Gott, ja, wohl auch mit Gott. Zu diesem Gespräch möchte ich anregen. Und so freue ich mich über die Taschenbuchausgabe dieses Buches.

Berlin im Januar 2018

Margot Käßmann

Erstes KapitelVom Glauben und Zweifeln

Wer anfängt, Überlegungen zum Verhältnis von Glaube und Zweifel anzustellen, findet in der Regel keine klare Struktur von Frage und Antwort. Es geht mehr um ein Kreisen um die Gedanken von Lebenssinn und Glaubensüberzeugung, von Erschütterung und Gottvertrauen. Wer sich darauf einlässt, erlebt ein Ringen um Worte, um Erklärungen, muss sich auch verunsichern lassen, weil manche Fragen so berechtigt, ja geradezu überzeugend sind. Einerseits erscheint es allzu billig, mit dem Hinweis auf die Tradition auf existenzielle Zweifel zu reagieren. Andererseits hilft uns manches Mal nur der Versuch, Halt und Orientierung zu finden in dem, was wir – frei nach Goethe – ererbt haben von unseren Vätern und Müttern. Und gleichzeitig »haben« wir die Tradition ja nicht als Besitz, wie auch Goethe wusste: Damit uns Halt geben kann, was Menschen vor uns getragen hat, müssen wir »erwerben«, »um es zu besitzen«, müssen wir auch selbst immer wieder neu darum ringen.

»Haben Sie nie gezweifelt?«, werde ich manchmal gefragt. Aber ja! Mein Glaube kennt Zweifel. Lebendiger Glaube bedeutet für mich, immer wieder neu zu fragen, die Unsicherheit und das Ringen um Antworten zuzulassen. Das ist mir wichtig, denn sonst wäre Glaube statisch, gefühllos, lebensfern, er wäre bloße Theorie, Lehre ohne Leben. Dabei ist Glaube doch gerade eine Überzeugung, die sich im gelebten Alltag bewähren will und kann, ja muss!

Das kennt wohl jeder Mensch, dass es Erschütterungen gibt im Leben. Ein Mann liebt seinen Beruf und gerät in eine tiefe Krise, weil er den Arbeitsplatz verliert. Und damit schwinden die Sicherheiten, die sein Leben geprägt haben. Eine Frau wird schwer krank, erhält eine Krebsdiagnose, gerät in eine Depression – dann ist alles, was bisher für sie als Lebensinhalt entscheidend war, plötzlich in Frage gestellt. Es ist nichts mehr, wie es war. Die verlässliche Geborgenheit, die im Alltag bisweilen sogar langweilig erscheinen mag, ist erschüttert.

Es müssen aber gar nicht äußere Ereignisse sein, die Zweifel am Glauben aufkommen lassen, weil sie unsere vermeintlichen Gewissheiten erschüttern. Es kann sein, dass wir Tag für Tag leben und die Anforderungen erfüllen, die der Alltag des Lebens an uns stellt in Familie und Beruf, Privatleben und Ehrenamt. Und dann kommt ein Punkt, eine Phase, eine Zeit, und dieses Alltägliche und Gewöhnliche erscheint fragwürdig. Wir stellen uns die Frage: Macht das alles Sinn? Ist es nicht naiv, zu glauben, dass ich einen Beitrag leiste zu einem großen Ganzen? Bin ich nicht nur Zufallsprodukt, ist nicht beliebig, was ich tue und lasse? Was kann ich schon verändern? Und überhaupt: Ist die Welt wirklich lernfähig, gibt es irgendwo irgendeine Entwicklung zum Besseren?

Glaube, wie ich ihn verstehe, kann gerade mit dem Fragen, dem steten Suchen nach Wahrheit, den überraschenden Neuentdeckungen und den Erschütterungen unser Leben im guten Sinne tragen und prägen. Er weicht dem Zweifel und den Bedrängnissen nicht aus. Aber er findet Halt in Gott und führt so zu einer Haltung. Ich habe das immer wieder so erlebt: Gottvertrauen gibt Menschen Lebenskraft. Ja, Vertrauen ist schwer, ist ein Wagnis, braucht Mut. Aber es gibt eine grundlegende Erfahrung vieler Menschen, in diesem Vertrauen gehalten und getragen zu sein. Wir erleben uns als, wie Dietrich Bonhoeffer das ausgedrückt hat, »von guten Mächten wunderbar geborgen«. Das ist die Lebenshaltung, die auch mich prägt. Aber ich weiß sehr wohl, dass ein Mensch eine solche Haltung nicht ein für alle Mal »hat«. Eine solche Grundhaltung will auch stetig erneuert werden.

Sich mit Fragen und Zweifeln herumzuplagen, wenn sie laut werden, das macht nicht unbedingt Spaß. Aber ein Glaube, der weder Zweifel noch Fragen zulassen will, dem fehlt doch Mut! Da soll vermieden werden, dass ein Mensch persönlich sucht und ringt, vielleicht Grundsätzliches in Frage stellt – und dafür werden angeblich unverrückbare Wahrheiten verkündet. Diese Haltung begegnet mir sehr oft in zornigen Briefen, die Menschen mir schreiben, weil sie eine ihrer Überzeugungen in Frage gestellt sehen. Sie wollen unbedingt festhalten an vermeintlichen Wahrheiten, jede Infragestellung ist offenbar eine Beunruhigung, die massiv abgewehrt werden muss. Lebendiger Glaube aber sieht Fragen und Zweifel als Teil des Glaubenslebens und wird am Ende das Vertrauen in Gott wagen.

Ein freier, nachdenklicher, beweglicher Glaube wird auch niemals behaupten, im alleinigen Besitz der Wahrheit zu sein und damit alle anderen Glaubensüberzeugungen für minderwertig, ungläubig oder unerleuchtet halten. Vielmehr will er die Wahrheit bezeugen, die – das sage ich als Christin – wir als Gläubige in unserem Leben gefunden haben. Die Wahrheit, die wir erfahren haben und die unser Leben trägt, sie kann nicht statisch sein. Sie ist gegründet in den alten Worten und Geschichten der Bibel und der Kirche, und sie ist dynamisch, wie das Leben dynamisch ist. Die Erfahrung unseres Lebens lässt uns auch Neues entdecken, manches neu und anders verstehen. Was wir aus der christlichen Tradition kennen, kann in die Diskussion geraten und wird gerade so auf neue Weise für uns lebendig. Gott ist ewig – aber Gott geht mit uns Menschen durch die Zeit immer wieder neue Wege. Davon erzählt die Bibel viele Geschichten, das haben Generationen von Christinnen und Christen erlebt, und das ist auch meine Erfahrung.

Zweifel gehören zur Glaubensgeschichte des Menschen und sind Teil jüdischer wie christlicher Theologie. Hiob mit seinen Freunden im Alten Testament gehört zu dieser Geschichte genauso wie der »ungläubige Thomas« im Neuen Testament. Thomas war nicht dabei, als die anderen Jüngerinnen und Jünger erlebten, wie der auferstandene Christus zu ihnen gekommen, auf einmal in ihrer Mitte war. Er konnte nicht glauben, was sie erzählten. Acht Tage später erscheint der Auferstandene ihnen noch einmal und spricht Thomas an. »Lege deine Finger in meine Wunden.« Thomas tut das und kann glauben. Jesus sagt dazu: »Selig sind, die nicht sehen und doch glauben.« (Johannes 20,29) Damit nimmt das Johannesevangelium den Zweifel auf in die Geschichte des Glaubens. Und wendet sich denen zu, die in einem übertragenen Sinn die Finger in Wunden legen, Fragen und Zweifel nicht für sich behalten, sondern aussprechen – und sie damit auch überwinden können und wieder mit den andern zusammen glauben können.

In der Kirchen-, Theologie- und Philosophiegeschichte bleibt der Zweifel ein Thema im Ringen um Glauben. Als die führenden Theologen auf den frühen Konzilien in der jungen Kirche ihre Lehre festschrieben, ging es darum, Antworten zu geben auf Fragen, die Menschen beim Nachdenken über Gott und den Glauben nun einmal haben: »War Jesus wahrer Mensch?« etwa. Oder: »Geht der Heilige Geist von Gott allein aus oder auch vom auferstandenen Christus?« Wer anfängt, über den Glauben nachzudenken, zu beschreiben, was er glaubt, worauf sie vertraut, stößt auf solche Fragen. Und die Antworten, die gefunden werden, sind spannend, sie machen Theologie zum anregenden Ort der Auseinandersetzung. Aber das gilt eben nicht nur für die Universität, sondern auch für den Alltag der Menschen. Mir liegt daran, dass wir über Fragen und Antworten, über Zweifel und Zuversicht sprechen, damit Glaube lebendig bleibt.

An den Reformatoren gefällt mir besonders, dass sie selbst auch ganz persönlich Ringen und Zweifel nicht ausklammern. Sie kennen Fragen an den Glauben nicht nur als Lehrende, sondern auch als Christenmenschen, und tun nicht so, als gehörte das nicht auch zu ihrer Glaubenserfahrung. Martin Luther sieht den Zweifel als »Anfechtung«. Heute ist die Anfechtung ein Begriff aus dem Bereich des Rechts: Ein Urteil wird angefochten. Dieser Zusammenhang kann durchaus helfen, Luthers Verständnis nachzuvollziehen. Es geht bei der Anfechtung darum, dass die Richtigkeit einer Aussage, eines Urteils, einer Überzeugung nicht anerkannt oder gar bestritten wird. In der Regel ist das beunruhigend. So empfand Luther die Anfechtung des Glaubens: als ein Infragestellen dessen, worauf er sich doch meinte verlassen zu können. Es ist verständlich, dass Menschen sich solcher Anfechtung lieber entziehen wollen, denn sie verunsichert. Es soll alles klar und sicher sein, das macht unser Leben einfacher.

Luther war zunächst ein Mensch, der wie viele seiner Zeit große Angst hatte, nicht so zu leben, wie Gott es will, und darum von Gott bestraft zu werden. Die Erkenntnis, dass Gott kein strafender, sondern ein liebender, gnädiger Gott ist, hat ihn grundlegend befreit und ihm große Unabhängigkeit geschenkt. Aber damit war Luther nicht ein für alle Mal frei von Angst und »Anfechtung«. Einmal soll er sogar ein Tintenfass geworfen haben, als er meinte, der Teufel wolle ihn vom Glauben abbringen. Ich kann das gut verstehen, es ist der Impuls, Anfragen an die eigenen Überzeugungen abzuwehren. Bap-tizatus sum, ich bin getauft – das hat Luther sich in solchen Zeiten gesagt. Durch die Taufe wusste er sich von Gott gehalten und befreit. Über alles Scheitern und alle Versuchungen hinweg hat ihm dieses Wissen Kraft gegeben, für seine Überzeugungen einzustehen.

Luthers Haltung ist heute insofern hilfreich, als deutlich wird: Wir sollten keine Angst haben vor der Infragestellung. Es hilft ja nicht weiter, ängstlich zu sagen: Du darfst gar nicht zweifeln, du sollst glauben, was dir gesagt wird. Das wäre kein eigener Glaube, sondern einer, der übernimmt, was andere Menschen, die Tradition oder das Dogma vorgeben. Persönlicher Glaube wird eigenständig, indem wir im Gespräch mit anderen Fragen stellen, Antworten suchen. Auch das Gespräch mit Gott gehört für mich dazu. Das kennen schon die Psalmbeter der Bibel, wenn sie Fragen an Gott stellen und mit diesen Fragen nicht Gottes Existenz bezweifeln, sondern eben im Dialog mit Gott sind. Etwa, wenn ein Psalmist fragt. »Herr, wie lange sollen die Gottlosen prahlen?« (Psalm 94,3) oder ein anderer ruft: »Herr, warum stehst du so ferne, verbirgst dich zur Zeit der Not?« (Psalm 10,1) Die Auseinandersetzung um und mit Gott findet so im Gespräch mit Gott statt.

Ich bin überzeugt: Zweifeln ist erlaubt, normal und sogar fruchtbar für den Glauben. Den Zweifel zu verdrängen, zeigte eine Furcht, der Glaube könne verloren gehen, sobald ihm Fragen gestellt werden. So reagiert der Fundamentalismus: Besser nicht fragen, auf keinen Fall die geltenden Grundsätze bezweifeln und schon gar nicht selbst frei denken. Fundamentalismus verlangt sturen, unbeirrbaren und damit nicht hinterfragbaren Glauben.

Wahrer Glaube hat meiner Überzeugung nach etwas mit der Freiheit zu tun, die Gott mir wie allen Menschen schenkt. Für mich ist Ringen und Zweifeln, Fragen und Denken, Lesen und Diskutieren Teil dieser Freiheit des Glaubens. Liebe und Vertrauen tragen diese Freiheit, darum ist sie nicht haltlos.

Im Gegensatz dazu wird Angst schnell eng, sie kann auch aggressiv machen. In fundamentalistischen Zusammenhängen erleben wir das leider immer wieder. Freiheit auf der Basis von Vertrauen ist etwas völlig anderes. Da wage ich, Neues zu denken, zu sprechen, habe Freude am Disput. Ohne Kontroversen gibt es keine Bewegung und keine Veränderung. Beides aber brauchen wir, wenn wir nicht erstarren wollen im Alten, sondern es wagen, neue Wege zu gehen.

Ja, Zweifel kann eine schwere Anfechtung sein und Menschen zutiefst erschüttern. Dann braucht es andere, Freundinnen und Freunde, die Gemeinschaft der Glaubenden, die mir zur Seite stehen. Denn die Sache mit Gott bleibt ein Wagnis und Zweifel kann nicht durch Beschwichtigungen klein geredet werden. Bisweilen spüren wir wenig von Gott und gerade in einer säkularen Welt scheint Gott vielen eine fixe Idee zu sein. Dann ist es gut, wenn da andere sind, die sich auch auf den Glauben eingelassen haben. Dann geht es darum, gemeinsam um die Erfahrung des Glaubens zu ringen, sich an das Getauftsein und Gottes Ja zu mir zu erinnern, wie einst Martin Luther, und so den Mut zu gewinnen, neu zu vertrauen. In solchen Zeiten kann es hilfreich sein, sich in die Tradition unseres Glaubens fallen zu lassen. Ein Lied zu singen. Einen Gottesdienst zu besuchen und die Liturgie zu erleben, die vertrauten Texte zu hören. An einem Ort zu sein, den der Glaube von Menschen durch die Jahrhunderte zu einem durchbeteten Raum gemacht hat.

Es schmerzt mich, wenn Menschen aus der Kirche austreten. Da sind diejenigen, die sagen: War nie meine Sache, war halt so in der Familie. Aber selbst, wenn das so ist: Welche Tradition kippen sie da! Axel Noack, der Bischof in Mitteldeutschland war, erzählte von einem Mann, der sich energisch für den Erhalt der Dorfkirche einsetzte, obwohl er selbst nicht getauft war. Noack fragt ihn, warum er sich so engagiere. Der Mann antwortet: »Weil meine Eltern hier getauft wurden.« Darauf Bischof Noack: »Na, da wollen wir hoffen, dass du wenigstens deine Kinder hier taufen lässt, damit eines Tages deine Enkel die Kirche erhalten.« Diese Episode hat eine heitere und gleichzeitig eine ernste Seite. Kirche ist Gemeinschaft der Glaubenden je in ihrer Zeit. Aber sie beheimatet uns auch durch die Generationen hindurch. Sie gibt uns Worte, die größer sind als wir selbst, auf die wir uns verlassen können, wenn wir selbst verstummen. Und sie beheimatet uns rund um den Globus. Als ich einmal unter etwas schwierigen Umständen im Ausland war, schrieb mir meine Mitarbeiterin: »Gott sei Dank findest du immer eine Kirchengemeinde, die dir weiter hilft!« Und das ist sehr wahr, das habe ich oft empfunden. In eine Kirche irgendwo anders auf der Welt kommst du nicht als Fremde; du gehörst dazu als Teil der Familie der Kinder Gottes.

Andere sagen klipp und klar, für ihre Kirchenmitgliedschaft wollten sie nicht zahlen. Die Kirche sei ohnehin reich und die Kirchensteuer in Deutschland ein Unding. Da kann ich sagen, dass die evangelische Kirche alle ihre Haushaltspläne zur Einsicht offenlegt. Dort ist zu sehen, dass 80 Prozent der Einnahmen für Personal ausgegeben werden, also direkt für Seelsorge und Verkündigung. Zehn Prozent sind Denkmalpflege, der Rest Medien, Verwaltung und so weiter. Dazu kann die Kirche stehen, finde ich! Und das Steuersystem ist gerecht: Diejenigen, die viel verdienen, zahlen viel. Wenn Menschen mir sagen, dass ihre Kirchensteuern zwei Pfarrgehälter finanzieren, kann ich ihnen nur gratulieren, denn neun Prozent ihrer Einkommenssteuer lassen einen Rückschluss auf ihre Einnahmen zu.

Immer wieder kommt es vor, dass der verdienende Ehemann aus der Kirche austritt, um keine Kirchensteuern zu zahlen, die Frau aber Mitglied bleibt und drei Kinder konfirmiert werden sollen. Was ist denn das für eine Haltung? Steuersparmodell und Schnäppchenmentalität? Und neulich sagte mir ein Mann, es sei unverschämt, dass er für seine Frau Kirchensteuer zahle. Nun, er muss sich ja nicht gemeinsam zur Steuer veranlagen lassen, um Steuern zu sparen durch das Ehegattensplitting. Und: Hat er bei der Monatsgebühr seiner Frau fürs Fitnessstudio ähnliche Schwierigkeiten? Ich will nicht streiten darüber, aber manchmal kommen mir die Finanzargumente sehr weit hergeholt vor. Es gibt viele Kirchengemeinden in den Ländern des Südens, die erwarten, dass ihre Mitglieder zehn Prozent ihres Einkommens zahlen. Und viele, die das tun, sind wesentlich ärmer als die meisten Menschen hierzulande. Ihre Kirche ist ihnen schlicht so viel wert.

Ich habe eine solche Einstellung das erste Mal zumindest annähernd begriffen, als ich vor vielen Jahren in Russland war. Ich empörte mich angesichts von Gold und Prunk darüber, dass eine Kirche derart prächtig ausgestattet war, während ich am Ausgang sah, wie ärmlich gekleidete alte Frauen einzelne Kopeken in den Opferstock warfen. Der Priester sagte mir: »Ja, weißt du, ihr Alltag ist so grau, so arm. Sie sind glücklich, hier an so einem schönen Ort teilhaben zu können, hier nicht Fremde zu sein, sondern dazuzugehören, wo Gott gepriesen wird mit dem Besten und Schönsten, was wir geben können.« Ich hoffe sehr, dass er Recht hatte. Auf jeden Fall hat er mich nachdenklich gemacht.

Es gibt viele, die sich an der Kirche reiben, weil sie von Menschen gestaltet wird und darum natürlich menschliche Mängel hat. Da gibt es Fälle von Missmanagement, Amtsanmaßung, Fehlverhalten bis hin zum Missbrauch. Und das führt dazu, dass Menschen tief verletzt und enttäuscht sind durch die Kirche. Das ist verständlich, und es ist bitter. Ich wünsche mir und erwarte auch, dass es in der Kirche anders zugeht. Aber ich habe akzeptieren gelernt: Die Kirche ist eben auch Teil der Welt, in der Menschen Fehler machen und verführbar sind.

Und schließlich gibt es diejenigen, die mir schreiben, sie könnten auch ganz allein im Wald »Großer Gott, wir loben dich« singen, dazu brauchten sie keine Kirche. Das ist wohl wahr. Aber das Lied heißt nun einmal »Großer Gott, wir loben dich«! Das Lob Gottes ist eine Sache, die in die Gemeinschaft gehört. Immer wieder rührt mich der Gedanke an, dass dieses Lob Gottes tatsächlich um die Welt geht. Wir sind Teil der Gemeinschaft, die Gott ein Lied singt, rund um den Globus. Wenn wir am Sonntagmorgen singen und beten, haben das andere vor uns getan und wieder andere werden anknüpfen. So bewegen sich Singen und Danken, Lachen und Feiern zwischen Himmel und Erde rund um die Welt.

Gemeinschaft hat einen hohen Stellenwert für das Christentum, seit Jesus selbst Menschen an einen Tisch zur Gemeinschaft eingeladen hat. Ja, der einzelne Mensch ist verbunden mit Gott, hat eine persönliche Gottesbeziehung. Dabei ist er zugleich Teil der Gemeinschaft der Kinder Gottes. Ohne vermittelnde Instanz direkt mit Gott verbunden zu sein, schenkt dem Menschen große Unabhängigkeit in der Welt. Aber er steht eben in der Welt: Martin Luther hat diese Spannung mit einem bekannten Doppelsatz ausgedrückt: »Der Christenmensch ist ein freier Herr aller Dinge und niemandem untertan. Der Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.« Der Blick auf den Nächsten, die anderen, das Miteinander, sie sind Kennzeichen christlichen Lebens und christlicher Freiheit!

Aber es geht beim Hadern nicht immer nur um die Kirche als Institution. Es gibt die Menschen, die direkt mit Gott hadern, die zornig sind auf Gott: »Gott war nicht da, als ich ihn brauchte.« – »Ich habe den Eindruck, Gott schert sich überhaupt nicht um mich.« Und es gibt diejenigen, die tief im Glauben verwurzelt waren und dann sagen: »Ich habe sehr, sehr lange gerungen, ich habe viel gelesen, und am Ende muss ich mit einem gewissen Abschiedsschmerz sagen: Ich kann nicht mehr glauben.« Manche erzählen, das sei sogar eine Erleichterung oder gar Befreiung gewesen. Eine solche Haltung muss respektiert werden; als Glaubende tut sie mir dennoch weh. Und ich frage mich, ob Gott uns loslässt, wenn wir Gott loslassen. Ich glaube: Nein. Dass für jemanden die Sache mit Gott so wirklich endgültig ein Ende findet, kann ich kaum nachvollziehen. Dies aber einem Menschen, der sich vom Glauben entfernt hat, im Gespräch zu sagen, könnte den Eindruck erwecken, ihn in seinem Prozess der Distanzierung nicht ernst zu nehmen. Es ist schwer, darüber ins Gespräch zu kommen. Vermutlich kann ich an dieser Stelle nur meine Offenheit zeigen, zuhören, den Weg des oder der anderen ernst zu nehmen und nicht so zu tun, als könnte ich die Fragen mit Glaubensformeln »wegreden«.

Kürzlich war ich zusammen mit einer jungen Frau von 23 Jahren in einer österreichischen Talk-Show. Sie erklärte, sie sei zwar getauft, aber bei ihrem Fragen habe sie begriffen, dass sie im Glauben keine Antworten findet. Sie sagte das schon in der Erwartung, dass ich sie kritisiere, so habe ich es in der Sendung empfunden. Aber ich sehe ja, wie sie ringt, indem sie sich jetzt beispielsweise in der Giordano-Bruno-Stiftung engagiert. Da kann ich doch nur offen und respektvoll mit ihr in ein Gespräch kommen über Grundüberzeugungen und die Gemeinsamkeit, im wahrsten Sinne des Wortes die Welt verbessern zu wollen. In derselben Sendung war auch Konstantin Wecker dabei. Gewiss, mit der römisch-katholischen Kirche als Institution, die er verlassen hat, hadert er. Aber dann holte er aus und berichtete über Erfahrungen mit Sterbenden im Hospiz; da sei doch offensichtlich, dass da mehr ist als wir selbst. Und er sprach über Mystik, die ihn trägt im Leben. In einer solchen Konstellation ist es für mich nicht immer leicht, die eigene Kirche zu verteidigen, die so viel Versagen in ihrer Geschichte kennt, und vom eigenen Glauben zu sprechen, der ja konkret ist mit Blick auf Jesus Christus und nicht diffus »irgendwie Gott« glaubt. Aber das genau empfinde ich als Herausforderung, weil beide, die junge Frau und der Poet und Sänger suchen, fragen, offen sind und auch meine Haltung als Christin respektieren. Da sind wir uns doch näher als all diejenigen, die nach gar nichts mehr suchen. Solche Gespräche bringen mich stets weiter, weil ich in anderen taste nach Worten, zu erklären versuche, was ich glaube, und mich der Herausforderung stelle, dass andere anders oder nicht glauben, und doch auch Sinn und Ziel finden im Leben.

Wie können wir überhaupt über den Glauben sprechen? Manchmal fehlen uns selbst einfach die Worte. Wir sind nicht so geübt, ganz persönlich in Sprache zu fassen, was uns mit Blick auf Gott bewegt. Auch deshalb denke ich, es ist gut, ein kleines Handgepäck des Glaubens dabeizuhaben auf dem Lebensweg, wie ich es schon im Vorwort geschrieben habe. Wir sind im Leben unterwegs auf einer Reise, die wir nicht vorab planen können. Gewiss, wir können uns überlegen, wie unser Leben aussehen soll, wir stellen uns vor, wie wir leben wollen, wir machen Pläne. Es ist auch gut, sich der Begrenztheit des Lebens bewusst zu sein. Aber bestimmen werden wir es im Voraus nicht können. Ein Handgepäck bedeutet, das Nötigste bei sich zu haben. Damit kannst du durchkommen, falls alle Stricke reißen. So sehe ich es im Glauben auch: Es gibt ein Handgepäck an Worten, die dich tragen, wenn alles andere verlorengeht. Du benötigst einige wenige Texte, Gebete und Lieder, die dir Halt geben, wenn du nicht mehr weiter weißt, wenn dir die eigenen Worte fehlen, wenn dir die Stimme versagt.

Im schon genannten Kleinen Katechismus Martin Luthers sehe ich diesen Gedanken umgesetzt. Jeder Christ und jede Christin sollte eigenständig auskunftsfähig sein, sollte sagen können: »Das ist es, was ich glaube.« So entstand eine Art kleine Dogmatik, Glaubenswissen für den Alltag. Das ist christliches Grundwissen, das alle kennen (und auswendig kennen!) sollten, um ganz persönlich auskunftsfähig zu sein in Glaubensfragen, auch wo die eigenen Worte fehlen. Ich finde, das zeigt Luther als guten Pädagogen. Mit solchem Handgepäck für unsere je eigene Lebensreise haben wir Worte, an denen wir uns festhalten können. Mit ihnen verlassen wir uns auf eine Tradition des Glaubens, die durch Jahrhunderte getragen hat, und können darauf hoffen, dass diese Worte auch uns tragen und uns Halt geben.

Aber es geht natürlich auch darum, selbstständig über den Glauben zu reden, eigene, neue Worte zu finden, um auszudrücken, was er uns bedeutet. Wer allerdings traut sich schon, auf einer Party, beim geselligen Beisammensein, bei einem Abendessen über Glauben zu sprechen?!