Meine Füße auf weitem Raum - Margot Käßmann - E-Book

Meine Füße auf weitem Raum E-Book

Margot Käßmann

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Beschreibung

Schön zu sehen, in welchem Einklang die zarte Bischöfin und der oft derbe ehemalige Mönch Martin Luther die frohe Botschaft verkünden: beharrlich, lebensnah und getragen von großer Hoffnung. Beide bezeugen es in fröhlicher Gewissheit: Wer vom Wort Gottes getroffen ist, der kommt an den Lebenswirklichkeiten nicht vorbei. Glaube führt zur Weltverantwortung. Luther empfahl, ein Prediger möge "dem Volk aufs Maul schauen".

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Texte

für die

Seele

Margot Käßmann

Meine Füße auf weitem Raum

Inhalt

Cover

Titel

Vorwort

Lasst die Liebe nicht erkalten!

Matthäus 24,1–14

Leben macht nicht nur Spaß: Leben macht Sinn

Hebräerbrief 4,12–13

Schlangengeflüster

1. Mose 3,1–19

Sehnsucht

Matthäus 17,1–9

Evangelisch: kritisch und frei

Johannes 1,29–34

Es gibt Licht in der Finsternis

2. Korinther 4,6–10

Verwundet, aber geheilt

Johannes 20,24–29

Barmherzig sein – mit sich selbst und anderen

Lukas 10,25–37

Heilung für unsere geschundenen Seelen

Matthäus 15,21–28

Geliebt und ohne Angst

Römerbrief 3,21–28

Morija als Mahnung

1. Mose 22,1–18

Gott weint mit uns um Mose

Matthäus 18,14

Am Ende der Introitus

Jakobus 1,12–18

Impressum

Anmerkungen

Vorwort

Als Bischöfin hat das Predigen für mich noch einmal einen neuen Stellenwert erhalten. In den zehn Jahren meiner Amtszeit habe ich mehr als 600Predigten gehalten, meist in Gemeinden, denen ich zum ersten Mal begegnete. Dabei ereignen sich wunderbare Konstellationen wie diese: Beim Festgottesdienst im niedersächsischen Hilter zum 150-jährigen Jubiläumder Kirche kam ich zu spät, weil wir im Stau gestanden hatten. Die Gemeinde ließ die Glocken weiter läuten, der festliche Einzug fand mit fast 15Minuten Verzögerung statt. Die Posaunen erschallten, aber als die Orgel einsetzen sollte, musste die Organistin einen Stromausfall melden. Während der Predigt schließlich gab es einen Kurzschluss und das Licht ging im fröhlichen Wechsel an und aus. Da ich über Erinnern und Gedenken gepredigt habe, die Weitergabe des Glaubens von Generation zu Generation, sprach ich die Konfirmanden an und sagte: „In 50Jahren werden einige von euch hier sitzen und erzählen: Damals kam die Bischöfin zu spät und der Strom fiel aus.“ Ein Konfirmand sah mich erschrocken an und sagte laut: „Meinen Sie etwa mich?“ Die Gemeinde lachte und freute sich, wie die Weitergabeso aktuell verständlich geworden war.

Als Pfarrerin vor Ort ist es sonntäglich mehr oder weniger dieselbe Gemeinde, die „unter der Kanzel“ sitzt. Als Studienleiterin und Generalsekretärin des Kirchentages habe ich äußerst selten gepredigt. Als Bischöfin gehört Predigen zu den zentralen Aufgaben. Das Schöne am Bischofsamt ist, dass fast immer, wenn die Bischöfin kommt, ein Festgottesdienst angesagt ist. Ein gut gefülltes, ja überfülltes Gotteshaus erwartet mich also, eine Gemeinde, die sich auf den Besuch der Bischöfin freut, und meist wunderbare Kirchenmusik – das sind zwei große wunderbare Geschenke, oft abgehoben von den Mühen des Alltags so manches Pastors, so mancher Pastorin vor Ort, dessen bin ich mir bewusst. Die Herausforderung liegt darin, dass von der Bischöfin dann auch eine besonderePredigt erwartet wird, die einerseits auf die Situation vor Ort eingeht, andererseits eben über diese Situation hinausgeht. Und oft sind es auch besondere Situationen, sei es eine Synode, die Bestattung eines tot aufgefundenen Kindes, das Jubiläum des Gustav-Adolf-Werkes oder die Bibelarbeit auf dem Kirchentag.

In den vorliegenden dreizehn Predigten und Bibelarbeiten kommen die „normalen“ Festgottesdienste nicht vor, die geprägt sind von der Geschichte eines Ortes, eines Gotteshauses, einer Gemeinde. Mehrfach sind seelsorgliche Predigten vertreten. Das ist mir im Laufe der mehr als 25Jahre, in denen ich nun predige, immer deutlicher geworden: Menschen kommen mit ihren Sorgen und Lebensfragen in einen Gottesdienst und haben Sehnsucht danach, gestärkt zu werden für den Alltag,in den sie zurückgehen werden. Heilend kann dann die Predigt wirken, ermutigend oder auch schlicht bildend, weil ein Text neu erschlossen wird.

Jede Predigt und auch jede Bibelarbeit ist ein Dreiecksgeschehen zwischen dem biblischen Text, der eigenen Person und dem Lebenskontext der Hörenden. Die zeitliche Bedingtheit ist mir bewusst geworden etwa, wenn es in einer Predigt um Patientenverfügungen geht und wir inzwischen mit der gesetzlichen neuen Regelung in anderen Voraussetzungen stehen. Oder mit Blick auf den Irakkrieg und seine Aktualität in einer der Predigten. Heute ist er in den Hintergrund getreten. Genau das aber macht ja die andauernde Aktualität der Bibel aus: Sie ist ein nie ausgelesenes Buch, weil ihre Weisheit, ihre Kenntnis des Menschen, ihre Frage nach Gott, die in ihrdokumentierte Glaubenserfahrung sich in einen Dialog begeben mit heutigen Menschen. Es begeistert mich immer wieder, wie die Texte der Bibel lebendig werden können für eine Gemeinde heute, wie sich aktuelle Bezüge eröffnen, Lebenskraft aus ihnen strahlt und wirksam, sogar heilsam wird.

„Du stellst meine Füße auf weiten Raum“ – als ich zur Bischöfin gewählt wurde, habe ich diesen Psalmvers mit auf den Weg genommen. Mein Eindruck damals war: Wenn Gott dich irgendwo hinstellt, kannst du sicher stehen trotz aller Unsicherheiten. Und mit dem Spielbein sozusagen kannst du den weiten Raum erkunden, schauen, wer du bist im neuen Umfeld. So verhält es sich auch mit dem Predigen: Wir erfahren uns von Gott geerdet in diesem Buch, das unserem Glauben die Grundlage und denAusgangspunkt gibt, zuallererst, weil es erzählt von Jesus Christus, der geboren wurde, von der Liebe Gottes predigte, gelitten und den Tod überwunden hat. Und auch von Gott dem Schöpfer, von den Erfahrungen Israels mit diesem Gott, vom Wirken des Heiligen Geistes. Dieses Buch gilt es, ins Gespräch mit unserem Leben heute zu bringen. Darum geht es in jeder Predigt. Als „gelungen“ erlebe ich eine Predigt, wenn ich für mich zuallererst den Eindruck hatte, ich habe mich intensiv mit dem Text wie mit den Zusammenhängen seines Entstehens auseinandergesetzt, hatte ausreichend Zeit, den Text bewusst zu lesen, ihn wahrzunehmen und exegetisch einzuordnen. Zum Zweiten ist mir wichtig, den Kontakt mit der Gemeinde vor Ort zu finden, mich vorab kundig zu machen, was dort aktuell ansteht und washistorisch zu bedenken ist. Schließlich geht es um den Kontext unserer Zeit. Welche Menschen sind anwesend, mit welchen Sorgen, Fragen, Nöten, welchen aktuellen Themen? Die Bibel in der einen und die Zeitung in der anderen Hand zu halten, sagte Karl Barth, sei ein guter Ausgangspunkt für die Predigtvorbereitung.

Schließlich: Es gibt die heilende und die ermutigende Funktion der Predigt, aber als Bischöfin auch die lehrende und verbindende. Einer Gemeinde von der anderen erzählen, die Fragen an unsere Kirche heute vor Ort einbringen, das reformatorische Erbe vermitteln und auch theologische Fragestellungen weitergeben, das ist gleichermaßen Aufgabe bischöflicher Predigten.

Und nicht zuletzt: Martin Luther hat einmal gesagt, das Evangelium könne nur mitHumor gepredigt werden. Ein wenig Heiterkeit darf dabei sein, Lust am Leben, Freude am Glauben und am Christsein, denn wir glauben nicht an einen Toten, sondern an den auferstandenen Christus. Und so predige ich gern, sehe die Predigtarbeit immer wieder als Herausforderung, die auch für mich als Predigende je neu Überraschungen und Entdeckungen mit sich bringt.

August 2009

Lasst die Liebe nicht erkalten!

Matthäus 24,1–14

Und Jesus ging aus dem Tempel fort und seine Jünger traten zu ihm und zeigten ihm die Gebäude des Tempels. Er aber sprach zu ihnen: Seht ihr nicht das alles? Wahrlich, ich sage euch: Es wird hier nicht ein Stein auf dem andern bleiben, der nicht zerbrochen werde.

Und als er auf dem Ölberg saß, traten seine Jünger zu ihm und sprachen, als sie alleinwaren: Sage uns, wann wird das geschehen? Und was wird das Zeichen sein für dein Kommen und für das Ende der Welt? Jesus aber antwortete und sprach zu ihnen: Seht zu, dass euch nicht jemand verführe. Denn es werden viele kommen unter meinem Namen und sagen: Ich bin der Christus, und sie werden viele verführen. Ihr werdet hören von Kriegen und Kriegsgeschrei; seht zu und erschreckt nicht. Denn das muss so geschehen; aber es ist noch nicht das Ende da. Denn es wird sich ein Volk gegen das andere erheben und ein Königreich gegen das andere; und es werden Hungersnöte sein und Erdbeben hier und dort. Das alles aber ist der Anfang der Wehen. Dann werden sie euch der Bedrängnis preisgeben und euch töten. Und ihr werdet gehasst werden um meines Namens willen von allen Völkern.Dann werden viele abfallen und werden sich untereinander verraten und werden sich untereinander hassen. Und es werden sich viele falsche Propheten erheben und werden viele verführen. Und weil die Ungerechtigkeit überhandnehmen wird, wird die Liebe in vielen erkalten. Wer aber beharrt bis ans Ende, der wird selig werden. Und es wird gepredigt werden dies Evangelium vom Reich in der ganzen Welt zum Zeugnis für alle Völker, und dann wird das Ende kommen.

Von Krieg und Kriegsgeschrei, Hungersnöten und Erdbeben redet Jesus – das wirkt gar nicht so angenehm vorweihnachtlich. So ganz verdrängen können wir trotz Lebkuchen- und Glühweingeruch nicht, wie es um die Welt bestellt ist. Die Kriege der Welt fordern Opfer. Der Hunger in Afrika verschwindet nicht, nur weil Adventszeit ist. Und im privaten Bereich wird der schwerkranke junge Mann nicht plötzlich gesund, die Ehe auf einmal nicht wieder harmonisch und das jugendliche Problemkind nicht zum Musterschüler im Lichterglanz von Advent. Ja, dabei muss sich doch jemand etwas gedacht haben, bei dieser störenden, ja verstörenden Rede über die Endzeit, die Wiederkunft im Advent! Drei Schwerpunkte möchte ich genauer anschauen.

Die Verführung

Alles beginnt damit, dass die Jünger Jesus den Tempel zeigen. Was werden sie gesagt haben? „Rabbi, schau dir mal diese Pracht an“? Oder: „Ist es nicht wunderbar, unser Gotteshaus?“ Der Jerusalemer Tempel muss ein großartiges, überwältigendes Gotteshaus gewesen sein. Groß, mit goldenen Kuppeln, Verzierungen. Beeindruckend wie der Petersdom. Da sagt Jesus: „Es wird hier nicht ein Stein auf dem andern bleiben, der nicht zerbrochen werde.“ Das hört sich geradezu bedrohlich an, es klingt so gar nicht wie viele tröstende und ermutigende Jesusworte.

Eine tieftraurige Ankündigung ist das, denn im Jahr 70 nach Christus wird der Tempel wirklich durch die römischen Besatzer zerstört. Für Israel ist das der Anfang einer jahrhundertelangen Zerstörungsgeschichte, die das Volk in alle Welt zerstreut. Vielleicht wollte Matthäus das andeuten. Ob wir hier aber wirklich eine Distanzierung Jesu vom jüdischen Tempel sehen sollten? Ich meine, eher nicht.

Jesus spricht hier weniger von Zerstörung als von Verführung. Wir sollen uns sozusagen nicht von Prunkbauten, von äußerer Pracht so beeindrucken lassen, als sei sie ein Beleg für die Anwesenheit Gottes. Ein prächtiges Gotteshaus ist noch kein Beleg für Gottes Präsenz, wunderbare Kirchen noch kein Kennzeichen für lebendigen Glauben. Das müssen wir uns in Deutschland oft von unseren Partnerkirchen aus Afrika, Asien und Lateinamerika sagen lassen. Und es tut uns weh, wenn Menschen diesen Gebäuden, die unsere Väter und Mütter im Glauben geschaffen haben, in denen sie Freud und Leid vor Gott gebracht haben, links am Rande liegen lassen.

Ja, es wird Verführung geben, und die sehen wir auch. Wir werden verführt, immer wieder. Verführt zu der Behauptung, dass du ein glücklicher Mensch wirst, wenn du das richtige Auto hast. Verführt zu der Annahme, dass du liebenswert bist, wenn dein Körper nach Fettabsaugen, Silikonimplantat und Botoxspritze den Normen entspricht. Die Seele wird dabei nicht beachtet. Nur Äußerlichkeiten jagen wir nach. Das alles kann platzen wie eine Seifenblase, vergänglich wie der scheinbar unverwüstliche Tempel in Jerusalem.

Jesus vergleicht das, was an Leid und Krieg geschieht, mit dem Beginn der Wehen. Es ist schon interessant, wie viele weibliche Bilder es im Advent gibt. Die Texte sind voll von Wehen und Schwangerschaft und dem Mutterschoß einer Frau, von Maria und Elisabeth. Advent ist geradezu eine frauenkonzentrierte Zeit im Kirchenjahr.

Die Wehen werden von Jesus als starkes Bild dafür gewählt, dass Gottes Zukunft hervorbrechen wird. Jede Frau, die einmal ein Kind geboren hat, versteht das: Du kannst den Vorgang nicht mehr kontrollieren, da wirken Mächte, die stärker sind als du, du bist einfach ausgeliefert. Das kostet eine ungeheure Kraft und macht auch Angst, da kannst du nur hoffen und beten für einen guten Ausgang, falls du noch Zeit dafür hast.

Doch, die Wehen sind ein gutes Bild: Gottes Zukunft, der Tag, an dem endlich Frieden und Gerechtigkeit herrschen, ist schon auf dem Weg. Das ist ein schmerzhafter Prozess, aber er ist unaufhaltsam. Darin liegt auch eine große Hoffnung: Wir dürfen „guter Hoffnung“ sein. Wir verstehen vieles nicht, wir können es nicht beherrschen und kontrollieren, wir können uns den Wehen nur anvertrauen, einen Atemrhythmus finden und auf das gute Ende Gottes vertrauen. Wenn wir Gott in diesem Prozess nicht erkennen, ist unser Blick meist abgelenkt oder verführt. Und: Gott ist eben Gott und keine mathematisch greifbare Formel. Gottes Wirken ist nicht immer analysierbar, manchmal ist es schlicht verborgen.

Glauben heißt vertrauen – das können wir neu lernen im Advent, wenn wir uns nicht verführen lassen von der Glitzerwelt der Werbewirtschaft oder betörendem Lebkuchenduft.

Liebe erkaltet in der Ungerechtigkeit

Nun haben schon viele das Ende erwartet. Gerade die ersten Gemeinden hatten damit zu kämpfen, dass sie in der Erwartung lebten, der Auferstandene werde schon bald kommen. Und dann starben die ersten Christen und es entstand eine Glaubenskrise.

Nach fast 2000Jahren hat sich die Lage verändert. Die Zeit ist so lang geworden seit der Geburt des Gotteskindes, dass eigentlich niemand mehr mit der Wiederkunft rechnet. Wer von Endzeit spricht, gilt eher als Spinner, und so manch einer, der feste Daten errechnet hat, hat sich zum Gespött der Leute gemacht.

Vielleicht ist das schönste Bild, das unser Text bietet, das vom Erkalten der Liebe. Das sei ein Zeichen für das Ende der Zeit. Das Erkalten der Liebe ist schlicht eine Konsequenz der Verdrängung Gottes. Gott ist ja nicht abwesend, aber Gott wird zur Seite geschoben, irrelevant, scheinbar nicht gebraucht in unserer Gesellschaft. Wir meistern unser Leben schon selbst, sagt unsere Zeit. Wir sind selbst Herren unseres Tuns, unseres Schicksals, Eigenverantwortung steht im Mittelpunkt. Doch, da kann es kalt werden, weil jeder sich selbst der Nächste ist, Nächstenliebe keinen Raum mehr hat. Genau damit hat unser Land heute zu kämpfen. Wie kann es sein, dass völlig erschöpfte Pflegekräfte keine Zeit mehr haben für die Alten, aber nicht ein anderer sagt: „Ich besuche Frau Meier regelmäßig“? Wie kalt ist die Liebe, wenn sich die Mutter eines schwerstbehinderten Kindes anhören muss: „Das ist doch heute nicht mehr nötig. Wenn Sie’s wussten, warum haben Sie nicht abgetrieben?“ Kalt wird es, wenn jeder nur denkt: „Hauptsache, ich habe einen Arbeitsplatz, was gehen mich die anderen an? Hartz IV ist okay, solange es mich nicht trifft.“ Aber sind das Zeichen der Endzeit? Oder vielleicht einfach Zeichen, dass wir nicht gottverlassen sind, aber wir Gott verlassen haben? Doch, das ist ein gutes Thema für den Advent, in dem die Herzen warm werden sollen. Eine Fastenzeit war das ja ursprünglich, Bußzeit zur Vorbereitung auf das Kommen Gottes. Als ich vorgestern Abend nach Berlin hineinfuhr, habe ich gestaunt, wie viele Fenster mit Sternen, Lichterketten, bunten Girlanden geschmückt sind. Unglaublich! Fast schon amerikanische Verhältnisse! Aber ist das ein Willkommensgruß für das Gotteskind? Ein Protest gegen die Dunkelheit? Oder ist das ein Ausblenden der tiefen Fragen im Leben, ein Sich-selbst-Blenden, nicht aushalten, auf die Realität des Lebens zu schauen? Verstehen Sie mich nicht falsch! Ich liebe die Adventszeit mit ihren Ritualen und Lichtern, mein Mann meint sogar, ich würde in dieser Zeit einen handfesten Hang zum Kitsch entwickeln. Und so leuchtet auch im Bischofsgarten ein kleines Lichterbäumchen und steht in unserem Küchenfenster ein Adventsbogen. Ja, ich freue mich am Licht. Aber das grelle Geblinke, rot-gelb-blau-grün im Sekundenwechsel, das erscheint mir eher als ein Stressphänomen. Buntes Licht gegen nachdenkliche Tage?

Advent ist etwas anderes. Advent lenkt nicht ab. Maria und Josef waren wahrhaftig kein romantisches Liebespaar, die Krippe kein kuscheliges Babybett, der Stall kein angenehmes Hotelzimmer. Gottes Menschwerdung ist real, nicht verkitscht. Gott weiß, was Menschsein heißt. Ich denke nicht, dass es im Text darum geht, nun überall nach Zeichen des Weltendes Ausschau zu halten. Es geht darum, dass wir unser Leben an unserem Glauben ausrichten. Ist uns bewusst, dass unser Leben begrenzt ist? Eines Tages werden wir dastehen und Gott sagen, was wir mit der uns geschenkten Zeit getan haben. Advent ist eine gute Zeit, um innezuhalten. Was ist mit meinem Leben? Wo stehe ich? Was liegt mir am Herzen? Wo steht Versöhnung aus? Wo bin ich gescheitert? Ja, Advent kann eine heilsame Zeit sein. Eine Zeit, in der wir die Dinge zurechtrücken in unserem Leben.

Das Beharren

Jesus will uns mit seinen Worten nicht zur Weltflucht verführen nach dem Motto: „Ist sowieso alles furchtbar, zieht euch zurück, haltet ganz fest am Glauben und wartet auf die nächste Welt.“ Auch soll der Text nicht den Advent in apokalyptische Untergangsstimmung tauchen. Nein, er will ja gerade einen Leitfaden anbieten durch die ganzen Wirren dieser Welt. Die Liebe soll eben nicht erkalten, Ungerechtigkeit soll nicht das letzte Wort haben und auch nicht der Krieg! Wir hören doch die Worte Jesu, die von den Sanftmütigen, den Friedfertigen, von denen, die reinen Herzens sind – sie sollen selig werden! „Wer aber beharrt bis ans Ende, der wird selig werden.“

Für mich heißt das: „Lassen wir uns nicht beirren!“ Es ist heute so leicht, sich über das Christentum lustig zu machen. Irgendwie von gestern. Wie viel Verachtung erleben wir manches Mal: „Kirche, hast du das nötig?“

Oder ändert sich da etwas? Ist in den letzten Monaten nicht doch plötzlich die Frage im Raum: War da was? Haben wir vielleicht mit der ständigen Banalisierung von Werten und Religion die Grundlagen unserer Gesellschaft preisgegeben? Das größte Problem für die Religion ist gar nicht die Säkularisierung, es ist die Banalisierung, die Karnevalisierung. Alles ist in unserem Land scheinbar lustig, wenn wir den Fernseher oder das Radio anschalten. Ein Gag folgt dem anderen, und die ganze Nation scheint heiß interessiert daran, wie sich Möchtegern-Stars im Dschungel tapfer mit irgendwelchen Würmern überschütten lassen. Nichts ist wertvoll, Respekt vor bestimmten Grundüberzeugungen wird lächerlich gemacht und Eltern wissen nicht, was sie ihren Kindern eigentlich beibringen sollen.