3,99 €
Online Dating ist so gar nichts für die ehrgeizige Cat. Das erkennt sie schnell, nachdem sie den ersten Schock überwunden hat. Doch dann entdeckt sie Juli. Diesen gut aussehenden Mann, der von einem Termin zum anderen hetzt. Zumindest glaubt Catarina, das aus seinen Nachrichten herauszulesen. Leider ist er nicht an einem Date interessiert, was sie zunehmend frustriert. Julian Winter hat zurzeit ganz andere Sorgen, als sich mit einer Frau aus dem Internet zu treffen. So etwas wie Liebe existiert seines Erachtens nicht, und Sex hat er im Überfluss, danke der Nachfrage. Aus Neugierde und unter dem Deckmantel der Freundschaft, lässt er sich schließlich doch auf ein Treffen ein. Mit ungeahnten Folgen. Was passiert, wenn die Realität noch atemberaubender ist, als die Illusion jemals sein könnte? Was passiert, wenn die Anziehungskraft viel stärker ist, als jemals vermutet oder auch nur gewollt? Was passiert, wenn man die Wahrheit gar nicht mehr so genau wissen will, weil die Vorstellung so perfekt gewesen ist? Es handelt sich um einen abgeschlossenen Roman.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Veröffentlichungsjahr: 2025
1. Hauptsache ein Date - man gönnt sich ja sonst nichts
2. Arbeit ist das halbe Leben – manchmal auch das ganze
3. Nichts als schöne Worte
4. Wenn dein Chat-Partner langsam zu deinem Lover mutiert, solltest du … tja, keine Ahnung
5. Was tun, wenn dein Stolz dir Liebe vorgaukelt?
6. Wenn dir das Leben mal entgleitet, denk dir was anderes aus
7. Begegnungen könnten so einfach sein
8. Mal verlierst du, mal gewinnen die anderen
9. Wahre Freunde
10. Mr. und Mrs. Perfect
11. Ablenken vom Nachdenken? Gute Idee
12. Verdrehte Welt
13. Lasst Taten für euch sprechen
14. Einmal Arschlochmagnet, immer Arschlochmagnet
15. Wenn schon kompliziert, dann richtig
16. Nichts als die nackte Wahrheit
17. Und was, wenn dir keine andere Wahl bleibt?
18. Ein Jahr später
Über die Autorin
Copyright © 2020 Lily Turner
Covergestaltung: Art for your book
Lektorat: Anke Neuhäußer
Korrektorat: Andreas März
Satz & Layout: Julia Dahl / [email protected]
Autorenservice C. Papendick
Schmalsgotte 7
58769 Nachrodt
Alle Rechte, einschließlich das, des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. Dies ist eine fiktive Geschichte, Ähnlichkeiten mit lebenden, oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt. Alle Markennamen, Firmen sowie Warenzeichen gehören den jeweiligen Copyrightinhabern.
Erstauflage © Alexandra Carol im Februar 2018 erschienen. Es handelt sich hierbei um eine Neuauflage der Geschichte.
Online Dating ist so gar nichts für die ehrgeizige Cat. Das erkennt sie schnell, nachdem sie den ersten Schock überwunden hat. Doch dann entdeckt sie Juli. Diesen gut aussehenden Mann, der von einem Termin zum anderen hetzt. Zumindest glaubt Catarina, das aus seinen Nachrichten herauszulesen. Leider ist er nicht an einem Date interessiert, was sie zunehmend frustriert.
Julian Winter hat zurzeit ganz andere Sorgen, als sich mit einer Frau aus dem Internet zu treffen. So etwas wie Liebe existiert seines Erachtens nicht, und Sex hat er im Überfluss, danke der Nachfrage. Aus Neugierde und unter dem Deckmantel der Freundschaft, lässt er sich schließlich doch auf ein Treffen ein. Mit ungeahnten Folgen.
Was passiert, wenn die Realität noch atemberaubender ist, als die Illusion jemals sein könnte?
Was passiert, wenn die Anziehungskraft viel stärker ist, als jemals vermutet oder auch nur gewollt?
Was passiert, wenn man die Wahrheit gar nicht mehr so genau wissen will, weil die Vorstellung so perfekt gewesen ist?
Dieser Roman enthält potenziell triggernde Inhalte. Aus diesem Grund findet ihr hier eine Liste mit sensiblen Themen. Bitte bedenkt, dass diese niemals vollständig sein kann. Jeder Mensch reagiert anders auf Texte und Situationen. Diese Zusammenfassung enthält daher lediglich jene Punkte, von denen mir bewusst ist, dass sie für manche Leute problematisch sein können.
»Der Arsch hat dich mit einem vier Monate alten Säugling im Stich gelassen«, schnaubte ich wütend.
»Weil er eine Auszeit brauchte.«
Wie konnte man nur …? »Klar! Die hättest du ebenfalls gebraucht. Aber du wärst niemals auf die Idee gekommen, sie dir auch zu nehmen. Du hast alles richtig gemacht! Hör endlich damit auf, ihm nachzutrauern!«
Dieses Gespräch hatten wir vor ungefähr einem Jahr geführt, und seitdem war irre viel passiert. Nachdem Lea den Vater ihres Sohnes endgültig aus ihrem Leben gestrichen hatte, war es stetig aufwärtsgegangen, woran auch ich nicht ganz unbeteiligt gewesen war. Schließlich hatte ich sie damals dazu ermutigt, jeglichen Kontakt zu diesem Mistkerl abzubrechen.
Inzwischen war meine beste Freundin seit einigen Wochen frisch verliebt, und sie mit ihrem neuen Lover zu sehen, versetzte mir genau in diesem Moment einen Stich.
Dabei war ich es gewesen, die stets den Moralapostel gespielt hatte, weil ihre ständig wechselnden Dates, aus denen ohnehin nie mehr geworden war als ein One-Night-Stand, ja nun auch keine Lösung waren. Sie hatte etwas Besseres verdient, etwas Ehrliches, Beständiges …! Verdammt … ich schämte mich für meinen Neid. Der ganz nebenbei völlig unbegründet war. Was sie an dem schlaksigen, blonden Kerl fand, verstand ich sowieso nicht. Und er an ihr? Hm ... auch nicht. Die beiden passten überhaupt nicht zusammen. Rein optisch, versteht sich. Lea war eine Wuchtbrumme mit Kleidergröße 42 und Mike ein Schmachtlappen. Letzterer zwinkerte meiner besten Freundin zu, weshalb sie in ein Grinsen verfiel, das ich noch nie zuvor an ihr gesehen hatte. Die beiden mochten sich, daran gab es keinen Zweifel. Unglaublich! Und ... schön. Oh ja, sie waren so unglaublich süß. Zum Kotzen süß. Ich seufzte tief, schmachtend ... und vor allem mental! Verdammt, ja, wahrscheinlich war ich vor Neid schon ganz grün im Gesicht. Mit Sicherheit glotzte ich die beiden dermaßen blöde an, dass ich wirken musste, wie die Zuschauerin einer fürchterlichen Liebesschnulze – fehlte nur noch das Popcorn und eine große Schale Vanilleeis –, was überhaupt nicht zu meiner absolut starken Persönlichkeit passte. Ich hasste diese minderbemittelten Rosamunde Pilcher, Inga Lindström, und wie sie alle hießen - Streifen, genauso wie alles, was damit zu tun hatte. Nichts davon entsprach der Realität! Von vornherein war alles durchschaubar. Sobald die Hauptdarsteller die Bühne betreten hatten, stand schon fest, wer am Ende das herzerweichende, vor Sentimentalität triefende Happy End krönen würde. Was für ein Schwachsinn!
Meine beiden Hauptdarsteller küssten sich kurz, aber sinnlich – igitt! – was mich endlich dazu brachte, die Schultern zu straffen. Schließlich war ich ja kein Stalker! Wäre eigentlich Stalkerin politisch korrekt gewesen oder … Schwamm drüber. Sowas hatte ich doch gar nicht nötig! Ich! Catarina Groß – ja, ja, ich weiß, meine Eltern hätten mal besser recherchieren sollen, ehe sie ihre Tochter mit diesem Namen straften. Natürlich dachte jeder halbwegs gebildete Mensch dabei, an Katharina die Große. Außer, dass diese Frau Zarin gewesen war, sagte man ihr nach, ein Sexmonster gewesen zu sein. Zum Glück war nicht jeder halbwegs gebildet. Ich war es und deshalb brachte ich mich nicht gern mit diesem Namen in Verbindung. Mit meinen Eltern übrigens auch nicht. Meine Mutter war die geborene Hausfrau, mein Vater der, der das Geld nach Hause schaffte und über alles und jeden bestimmte. Ein Wunder, dass sie mich zu einer unabhängigen, selbstbewussten Frau erzogen hatten. Ich hasste dieses Kleinbürgertum, aus dem ich stammte. Drei Tage lang Erbsensuppe, Braten am Sonntag, Kartoffelsalat und Würstchen zu Weihnachten … lassen wir das. Wichtig war ... Ich. Hatte. Sowas. Nicht. Nötig! Weder neidisch zu gaffen noch neidisch zu sein. Never! Mein Leben war perfekt! Ich war unabhängig. Ich liebte es in meiner luxuriös ausgestatteten und vor allem perfekt aufgeräumten Wohnung tun und lassen zu können, was mir gefiel. Daher rief ich mich endgültig zur Ordnung, setzte mich aufrecht hin, wie es sich für eine gestandene Frau wie mich gehörte, und versuchte das Geturtel meiner besten Freundin und ihres … bäh!, der Typ sah doch scheiße aus … zu ignorieren. Geturtel in einer unaufgeräumten Küche, sollte man wohl dazu sagen! Außerdem waren die doch nicht allein. Sie hatten ihren Besuch – mich – an dem winzigen Esstisch anscheinend völlig vergessen. Nun ja, und Leandras beiden Kinder – jedes hatte einen anderen Vater –, die nebenan vor dem Fernseher hockten, um die ausgewählten Kindersendungen zu schauen, bestimmt ebenfalls. Und überhaupt! An jedem zweiten Wochenende waren sie eine Großfamilie, weil Mike dann seinen fünf Jahre alten Sohn mitbrachte. Ob ich das nun so toll gefunden hätte? Okay, ja, sie hatten wenigstens Kinder. Ich hingegen … hmm.
»Möchtest du noch einen Kaffee, Cat?« Wie kam der Schmachtlappen überhaupt dazu, meinen Namen so salopp abzukürzen? Das durften nur meine engsten Freunde.
»Nein, danke«, erwiderte ich höflich und stand auf. »Ich muss nach Hause. Duschen, umziehen …«
»Was?« Leandra drehte sich ruckartig zu mir herum und schaffte es ganz nebenbei drei Kaffeetassen, zwei Löffel und zwei Gabeln von der Küchenanrichte zu stoßen. Das Besteck landete klirrend auf dem gefliesten Boden, während Mike zwei der Tassen mit vollem Körpereinsatz rettete und es meiner Freundin gelang, die dritte vor ihrem endgültigen Schicksal zu bewahren. »Ich dachte du bleibst noch zum Essen«, meinte sie, als sei nichts gewesen und stellte das Geschirr wieder ab.
»Nein, ich bin mit Torben zum Essen verabredet.«
»Torben«, wiederholte sie, wie nur Komplizen es taten. Es klang, als sei Torben ein Codewort für das ultimative Verbrechen. Was man nebenbei leider deutlich heraushörte und ich mir einbildete, dass Mike deshalb die Augenbrauen hob. ›Oh mein Gott‹, schien er zu denken. ›Torben! Wie kann sie nur?‹
Himmel, ja, ich hatte mal eine Affäre mit ihm gehabt, doch die war längst Geschichte. Allerdings war er halt immer noch mein Vorgesetzter. Ich konnte ihn nicht einfach ignorieren. »Ein Geschäftsessen«, verteidigte ich mich automatisch. »Wir haben noch einiges zu besprechen. Das ist wichtig.«
Meine Freundin nickte. »Okay, ich bringe dich noch zur Tür«, sagte sie resigniert und schob mich dann vor sich her, bis in den Flur, als sei sie ganz versessen darauf, dass ich schnell verschwand. Hm, vielleicht war sie das sogar, weil sie es nicht erwarten konnte, mit ihrem Lover allein zu sein. Kurz bevor ich die Klinke drücken konnte, hielt sie mich jedoch auf. »Warte.« Sie warf die langen blonden Haare zurück über ihre Schulter und zückte ihr Smartphone. Dann tippte sie darauf herum, und sobald sie gefunden hatte, wonach sie suchte, blickte sie mich aus meergrünen Augen verschwörerisch an. »Lade diese App herunter«, flüsterte sie und zeigte mir das rote Icon mit dem gelben Herzchen in der Mitte. Ich wusste, was das war. Schließlich war ich nicht bescheuert. Eine Dating-App. Und zwar die, mit der sie Mike kennengelernt hatte.
»Nicht mein Ding«, entgegnete ich spontan und wollte endlich in den Hausflur flüchten.
»Melde dich trotzdem dort an. Es kann doch nicht schaden, einfach nur Spaß zu haben. Sieh es als Zeitvertreib.«
»Wieso hast du das eigentlich noch auf deinem Handy?«, erwiderte ich mürrisch. »Du bist mit Mike zusammen. Schon vergessen? Da solltest du nicht weiter mit irgendwelchen Typen flirten.«
»Mache ich gar nicht. Wir haben uns zusammen abgemeldet, wenn du es genau wissen willst.«
Ich sah ihr prüfend ins Gesicht. Wie es schien, sagte sie die Wahrheit. Beruhigt öffnete ich nun endlich die Tür.
»Ich bin morgen Mittag sowieso in der Stadt. Lass uns zusammen was essen«, bat sie dann und ich wusste, sie würde alles von heute Abend wissen wollen. Dabei war doch noch gar nichts passiert! Und … es würde auch garantiert nichts passieren.
»Klar, gerne«, erwiderte ich und küsste sie auf die Wange. Dann trat ich endgültig in den Flur hinaus und machte mich aus dem Staub.
* * *
Bis nach Hause hatte ich es nicht weit, meine Wohnung befand sich nur eine Straße weiter. Trotzdem war ich mit dem Auto hergekommen, weil ich zuvor am See joggen gewesen war. Das machte ich jeden Sonntag, sofern es nicht gerade in Strömen regnete. Heute schien die Sonne, deshalb setzte ich mich ans Steuer meines Mercedes SLC und ließ als erstes das Dach im Heck verschwinden, bevor ich losfuhr. Ja, ich genoss mein Leben in vollen Zügen und hatte es ganz bestimmt nicht nötig, es mit irgendwelchen Männergeschichten aufzupeppen. Keine Ahnung, wieso Lea mir plötzlich diese App für einsame Herzen andrehen wollte.
Nach nur fünf Minuten parkte ich in der Tiefgarage, schnappte meine Tasche vom Beifahrersitz und machte mich auf den Weg zum Aufzug. Mein Appartement befand sich im fünften und damit obersten Stockwerk. Es war mit einer wunderschönen Dachterrasse ausgestattet, die ich leider viel zu selten nutzte. Den Leuten, die vor mir hier gewohnt hatten, sagte man ausschweifende Partys nach, die sie dort gefeiert hatten. Wahrscheinlich waren die übrigen Hausbewohner froh, nun eine eher ruhige Nachbarin zu haben. Genau wusste ich es nicht, ich traf eher selten jemanden.
Oben angekommen marschierte ich auf direktem Wege in die Küche. Zwar hatte ich bei Leandra schon zwei Tassen Kaffee getrunken, doch davon bekam ich nie genug, deshalb schaltete ich meine Espressomaschine ein. Mit dem fertigen Heißgetränk setzte ich mich auf die Couch. Mir blieben noch drei Stunden bis zu dem Treffen mit Torben. Mehr als genug Zeit, um mich aufzuhübschen und sexy zu kleiden. Nicht billig sexy, sondern elegant, unterschwellig. Er sollte ruhig sehen, was ihm schon seit Monaten entging. Grinsend löste ich die Schnürsenkel meiner Laufschuhe und trat sie dann umständlich von meinen Füßen, während ich die Fernbedienung vom Glastischchen fischte, den Fernseher einschaltete und dann durch die Kanäle zappte. Eine Quizshow. Eine Talkshow. Werbung. Hm … Ich legte das Gerät zurück auf den Tisch und stand wieder auf. Meine Tasche hatte ich im Flur gelassen. Deshalb ging ich hin und kramte mein Smartphone hervor. Es blinkte nicht. Das hieß dann wohl, dass sich niemand gemeldet hatte. Keine WhatsApp-Nachricht, kein Anruf, nicht mal eine dämliche E-Mail mit Werbung oder so. Manchmal schickte Leandra mir irgendwelche witzigen Sprüche, Bildchen mit niedlichen Kätzchen … doch in letzter Zeit war das weniger geworden. Okay, schließlich war ich gerade erst bei ihr gewesen, und außerdem verbrachte sie ihre kostbare Zeit ja nun mit Mike.
Ich seufzte tief und wehmütig. Ach nein, wehmütig streichen wir wieder. Ich seufzte halt und ging samt Telefon zurück ins Wohnzimmer, wo noch immer oder vielleicht schon wieder, Werbung im TV lief. Zurück auf dem Sofa machte ich es mir gemütlich. Das Programm war leider nach wie vor nicht mein Ding, weshalb ich mein Smartphone erneut zur Hand nahm. Leandra hatte schon irgendwie recht, zum Zeitvertreib war das Internet doch geradezu prädestiniert. Bei Facebook gab es allerdings nichts Neues. Es waren immer dieselben, die sich dort zum Affen machten, weil sie jedes Detail ihres Lebens ausbreiteten. Ich gehörte nicht dazu! Mein Privatleben ging niemanden etwas an! ‚Weil du keines hast‘, flüsterte eine gehässige Stimme in meinem Hinterkopf, die ich sofort mundtot machte. Und sie war auch keineswegs der Grund dafür, dass ich im Internet nach dieser merkwürdigen App suchte. Die ich schließlich fand. Und mir lange und ausgiebig das Logo mit dem gelben Herzchen ansah. Es wirkte kitschig. Ein bisschen so, als würde sich dahinter ein Lieferant für Zuckerstangen und Kaugummis verbergen. Unschuldig. Harmlos. Keineswegs so, als würden sich dort echte Männer anmelden, die auf Sex aus waren. Okay, von Lea wusste ich, dass sie existierten. Allerdings hatte sie auch von welchen erzählt, die echt nett waren und nach der großen Liebe suchten. Hm … beides schreckte mich irgendwie ab. Trotzdem. Was sollte schon passieren, wenn ich diesen Quatsch einfach mal ausprobierte?
Es war also allein meiner Langeweile geschuldet, dass ich mir die App nun doch aufs Handy lud. Hatte Lea nicht etwas von Spaß gesagt? “Sieh es als Zeitvertreib.“ Okay, vielleicht hatte sie gar nicht so unrecht. Ein bisschen Spaß konnte mir weiß Gott nicht schaden. Abwechslung von meinem tristen Alltag. So ein Blödsinn, meine Tage waren alles andere als trist, schließlich arbeitete ich oft weitaus mehr als acht Stunden am Tag. Hmmm … grübelnd betrachtete ich das fette gelbe Herzchen, das sich mittlerweile auf meinem Display eingenistet hatte. Arbeit war garantiert nicht alles im Leben, und wenn ich es mir recht überlegte, war ja nichts dabei, nach ein bisschen Unterhaltung oder vielleicht sogar einem Date Ausschau zu halten. An zügellosen Sex wollte ich lieber nicht voreilig denken, aber ihn ausschließen? Tja, auch nicht. Entschlossen tippte ich auf das Symbol und ging die Anmeldung durch. Das war kinderleicht. Ein paar Fragen waren zu beantworten, nichts Wildes.
Du bist …? Weiblich!
Was suchst du? Männer, Frauen, beides … beides? Oh Mann. Natürlich wählte ich “Männer“ aus.
Geburtsdatum: 13.05. … mein Finger schwebte über 1992. Damit wäre ich erst 25 … ach, was sollte der Geiz? Vor einem Monat war ich 29 geworden und hatte schließlich noch ein paar Monate Zeit, bis ich mit 30 endgültig zum alten Eisen gehören würde. Und so lange wäre ich garantiert nicht hier angemeldet. Also scrollte ich weiter und wählte wahrheitsgemäß 1988 aus.
Größe: 1,72 m.
Gewicht: … 60 kg. Okay, es waren 70, aber so genau wollte das sicher keiner wissen.
Haarfarbe: brünett. Mist, das klang total langweilig, aber da musste ich wohl durch. Außerdem war das im Zusammenhang mit der nächsten Frage, die meine Augenfarbe betraf, vielleicht gar nicht so uninteressant. Blau. Dunkle Haare, blaue Augen. Es gab genug Männer, die das toll fanden. Mein einziges Problem war das Foto. Auf sämtlichen Bildern, die es bereits gab, war ich nie allein zu sehen, weshalb sie ausschieden. Und für ein halbwegs vernünftiges Selfie wäre eine Stunde Restaurationsarbeit im Bad nötig gewesen. Etwas, das ich ohnehin noch vor mir hatte, doch so lange wollte ich nun nicht warten. Kurzerhand wählte ich eines der vorhandenen Fotos aus und bearbeitete es so lange, bis nur noch ich zu erkennen war. Hm … leider war es dadurch nun ziemlich undeutlich geworden, aber besser als nichts.
Sobald ich es hochgeladen hatte, sah ich mir den Männerkatalog mal genauer an. Völlig unbedarft klickte ich jedes halbwegs brauchbare Foto an, ohne zu ahnen, dass die Besitzer darüber benachrichtigt wurden. Im Handumdrehen schien ich sie dazu ermuntert zu haben, mein Profil zu besuchen und mich mit Nachrichten zu bombardieren. Jepp, anders konnte man es nicht nennen, denn ich schien zu Frischfleisch mutiert zu sein und kam mit dem Lesen nicht mehr nach. Und das, obwohl mein Profilbild nicht das gelungenste war. Nun hatte ich allerhand zu tun, denn es war doch schließlich unhöflich, nicht zurückzuschreiben, auch wenn ich kein Interesse hatte. Meine freundlichen Absagen, in Form von: »Hallo, leider bist du gar nicht mein Typ«, oder: »Hallo, du bist leider viel zu klein, ich trage gern High Heels«, nützten bei den meisten nichts, stattdessen schienen sie das nur als Aufforderung zu verstehen, mich weiter vollzutexten. Das Beste kam jedoch noch. Denn mir gefiel eines der Fotos und ich antwortete mit weitaus freundlicheren Worten, als mir bisher eingefallen waren. »Guten Abend, endlich ein Lichtblick in diesem Gruselkabinett.«
Das folgende Gespräch war wirklich nett. Ja, bis mir der Typ erzählte, er sei in einer Beziehung und würde was für “nebenher“ suchen. Ein Abenteurer, na toll!
»Wieso machst du sowas?«, fragte ich. »All die netten Worte, die du gerade an mich verschwendest, könntest du zu deiner Frau sagen, und damit wäre eure Beziehung vielleicht nicht mehr ganz so langweilig.«
Von meinem Vorschlag hielt er nicht viel und wollte sich sogar mit mir verabreden. »Deine Lippen machen mich total an. Wahrscheinlich bläst du richtig gut.«
»Arschloch!«
Es waren noch mehr Nachrichten eingegangen, und weil das hier ja nun gar nichts brachte, öffnete ich die nächste. Na ja, nicht ganz. Zumindest war ich mittlerweile so schlau, mir zuerst die Fotos der Nutzer anzusehen und auch das Profil. Ich antwortete also nur noch dann, wenn ich nicht allein vom Anblick schon einen Würgereiz bekam, oder mich der Text vom Hocker riss. Da standen Sachen wie: »Ich bin ein Sexgott und suche die passende Göttin.«
»Dann such weiter!«, lautete meine Antwort.
»Hallo! Du Wunderschöne. Kommen von Frankreich. Kennen hier nicht viel. Wir treffen und kennenlernen.«
»Tut mir leid. Ich habe kein Interesse.«
»Wieso das? Du mir gefallen. Wir tollen Sex machen.«
Das ignorierte ich ab sofort und sah mir die nächste Nachricht an. »Hey, dein Bild gefällt mir. Wäre aber schön mehr zu sehen.«
»Na ja, ich hatte kein anderes. Abgesehen davon, sieht man auf deinem auch nicht besonders viel.«
»Ich kann dir ja noch eins schicken.«
»Wenn du möchtest?« Tu was du nicht lassen kannst, hätte ich gern geschrieben, doch das erschien mir zu unfreundlich.
»Moment.« Es dauerte einen Augenblick, dann folgten drei Bilder. Zwei von dem Kerl oben ohne vor dem Badezimmerspiegel. Was für hässliche Fliesen! Schweinchenrosa. Die mussten noch aus dem Krieg stammen. Okay, der Kerl wahrscheinlich auch. Er war mindestens fünfzehn Jahre älter, als angegeben und präsentierte ungeniert seine unrasierte Brust und einen Bauchansatz. Das letzte Foto war allerdings der Knaller. Darauf war nämlich sein bestes Stück zu sehen. Wie konnte man bloß solche Bilder durchs Netz jagen? »Damit bringe ich dich zur Ekstase«, schrieb er.
»Träum weiter, du Spinner.«
Das machte er wahrscheinlich, denn sofort erschien auf dem Display: Mitglied gelöscht. Ein Idiot weniger, doch er war keineswegs der Einzige, der mich in den folgenden Minuten versuchte, zum Cybersex zu animieren.
»Was hast du an?«
»Jeans.« Das stimmte nicht, denn ich steckte ja noch immer in einer Jogginghose, aber egal.
»Ich stelle mir vor, wie du sie ausziehst. Mann, ist das geil.«
»Es ist geil, wenn ich meine Jeans ausziehe?«
»Ja total. Langsam und sexy ziehst du sie aus.«
»Aha.«
»Ich ziehe meine auch aus.«
»Wieso?«
»Weil mein kleiner Freund gerade ganz groß wird.«
»Du bist aber leicht zufriedenzustellen, das ist ja der Wahnsinn!«
»Komm, mach schon mit.«
»Nö, das ist mir zu blöd.«
Mitglied gelöscht.
Die nächste Unterhaltung begann vielversprechender. »Hi, wie geht es dir?«
»Danke gut. Und selbst?«
Es folgte ein eher sinnloses Blabla. Das war nicht weiter tragisch, denn zwischendurch konnte ich mir ja die Bilder von anderen Männern ansehen. Ein einziges stach mir wirklich ins Auge. Dauernd wurde man vor Fakes gewarnt, das war selbst mir nicht entgangen, daher glaubte ich, einen gefunden zu haben. Das Foto hätte gut aus einem der vielen Werbeportale stammen können, die wir in der Firma zur Auswahl von Models durchwühlten. Trotzdem besuchte ich das Profil und musste feststellen, dass auch völlig normale Aufnahmen von ihm existierten. Kein Fake … Wow!
»Und? Hattest du schon mal ein Date?«, fragte ich meinen derzeitigen Chatpartner schließlich, nachdem er mir erzählt hatte, er wäre schon seit einigen Wochen auf der Suche.
Die Antwort folgte prompt. »Ja, aber das war nicht so gelungen. Sie meinte, sie und ihre Freundinnen sammeln Schwanzbilder und würden dann damit Penismikado spielen.«
»Mikado? ...« Unweigerlich pflanzten sich seltsame Bilder in meinen Schädel. Von ganz vielen Penissen, die umfielen, sobald man sie mit der Fingerspitze antippte. Okay, das hatte mehr was von Kegeln. Weshalb sich gleich das nächste Kopfkino anmeldete – ich traf mit der Kugel alle neune. »… Ist das nicht das Spiel, wo man Stäbchen …« hätte ich nun fast Ständerchen geschrieben? »… vorsichtig entfernen muss, ohne dass die anderen sich bewegen?« Vor meinem inneren Auge fielen noch immer alle neune.
»Ach stimmt, kann sein, dass sie etwas anderes gesagt hat.«
»Memory vielleicht?« War ja nicht so abwegig, wenn ich an den Typen von vorhin dachte. Da wäre es ja fast sinnvoll Fotos zu sammeln und ein Spiel draus zu machen.
»Ach, du spielst das wohl auch? Damit hat sich unsere Unterhaltung erledigt. Wünsche dir noch viel Spaß hier.« Mitglied gelöscht. Pffff …
Ich wechselte zu dem Profil, das mir vorhin schon aufgefallen war. Zwei der Fotos stammten ganz sicher aus einem professionellen Shooting. Das erste war der absolute Wahnsinn! Er trug ein offenes Hemd, weshalb man sehr gut sehen konnte, wie ausgeprägt seine Muskeln waren. Die Anzughose saß locker auf seinen Hüften. Sein Gesicht wirkte ernst, er lachte nicht und blickte herausfordernd durch lange dunkle Wimpern in die Kamera. Eine der Augenbrauen war leicht erhoben, nur ein winziges bisschen. Seine Haare waren eindeutig gewellt, das konnte man sehen, trotzdem sie so kurz geschnittenen waren. Eine der drei Denkerfalten auf seiner Stirn war sehr ausgeprägt. Auf mich wirkte es, als würde er viel grübeln, vielleicht forderte ihn sein Job so dermaßen. Das Beste war sein Mund. Unglaublich schön geschwungen, die Unterlippe viel ausgeprägter als die obere. Wie von Geisterhand tippte ich das Chatsymbol an. »Das sind unglaublich schöne Fotos von dir«, schrieb ich ehrlicherweise. Leider leuchtete kein grünes Symbol, was wohl bedeutete, dass er offline war. Es konnte also dauern, bis ich eine Antwort bekam. Falls er mir überhaupt antworten würde. Bestimmt wurde er bombardiert mit Nachrichten. Ich legte das Handy vor mich auf den Tisch und lehnte mich zurück. Das Display hatte ich gut im Blick, doch an seinem Status änderte das natürlich nichts. In der unteren Leiste wurden mir weitere Profilbesucher angezeigt, in der oberen … Oh Mist! Die Uhrzeit. Schließlich hatte ich noch ein Date! Nein, kein Date … Eher ein Meeting. Egal, wie man es auch nennen mochte, ich hatte es nun verdammt eilig, sprang auf und rannte ins Bad. Bis dahin war mir noch gar nicht klar gewesen, dass ich es schaffen konnte, innerhalb einer Dreiviertelstunde zu duschen, fertig angezogen und sogar geschminkt zu sein. Anschließend warf ich einen prüfenden Blick in den Spiegel. Das Ergebnis war trotz der Zeitnot absolut in Ordnung. Was mich an meinem Aussehen störte, war sowieso immer dasselbe, doch gegen meinen dicken Hintern war leider noch kein Kraut gewachsen. Ich warf meine langen Haare nach hinten über die Schulter, schnappte meine Tasche und machte mich dann auf den Weg.
* * *
Rechtzeitig um 18 Uhr parkte ich den Wagen auf dem Parkplatz des französischen Nobelrestaurants. Den Audi R8 von Torben hatte ich schon gesichtet, er wartete also bereits. Unpünktlichkeit konnte man ihm wirklich nicht nachsagen. Ein ungepflegtes Erscheinungsbild ebenfalls nicht, so viel war ich bereit zuzugeben, sobald ich ihn erblickt hatte, nachdem ich eingetreten war und der Ober mich zu seinem Tisch geleitete. Trotzdem. Ich hasste Torben. Er war ein selbstgerechter Drecksack, der seine Familie alle Nase lang mit einer anderen betrog. Ja, seine Familie, nicht nur seine Frau. Genau so sah ich es. Und ich wusste ganz genau, dass er neuerdings dieser kleinen Schlampe Saskia den kleinen, verhurten Ar… Nein! Zu solchen Äußerungen würde ich mich nicht hinreißen lassen, nicht mal gedanklich. Ich hasste ihn! Genug der Mutmaßungen was er mit dieser Kackbr… – anderes Vokabular, Catarina! Sofort! Ähm … wo war ich? Ach ja, ich hasste ihn! Schon, wie er von seinem Stuhl aufstand, sobald ich an den Tisch herangetreten war, meine Hand nahm und sie zu seinem Mund führte, um sie zu küssen, widerte mich an. Und erst sein Verführerblick, den er mir dabei zuwarf – Mistkerl!
Mit einem angedeuteten Lächeln wartete ich, bis er meinen Stuhl zurechtgerückt hatte, damit ich mich setzen konnte, ehe er sich mir gegenüber niederließ. Kaum war das passiert, rückte der Kellner mit unserem Essen an, was ich misstrauisch in Augenschein nahm. »Filet auf Blumenkohl und Trüffel«, half Torben mir auf die Sprünge. »Garantiert nicht vom Kalb.«
Anerkennend hob ich eine Augenbraue, denn immerhin hatte er sich gemerkt, dass ich unter gar keinen Umständen Babyfleisch aß. Na ja, auf die Trüffel hätte ich verzichten können, doch das wusste er nicht und es war auch nichts, was ich zugegeben hätte. Trüffel musste man in diesen Kreisen lieben, genauso wie Kaviar und Champagner, auch wenn das Zeug noch so widerlich war. Was das Essen anbelangte, konnte ich ihm demnach wohl nicht böse sein.
»Ich war so frei schon mal zu bestellen«, meinte er, was ja nicht zu übersehen war. Sobald der Kellner wieder verschwunden war, nahm Torben die Weinflasche und füllte mein Glas. »Ich weiß, du magst diesen Jahrgang.«
Um ehrlich zu sein, war mir der Jahrgang egal. Aber in meiner Position musste man sich ein bisschen auskennen, deshalb wusste ich zumindest, dass er über eine Flasche sprach, die in diesem Nobelschuppen mindestens hundertdreißig Euro kostete. Brav erhob ich das Kristall und stieß kurz mit Torben an, ehe ich einen Schluck von dem sauteuren Zeug nahm und dann die Augenbrauen anerkennend hochzog. »Der ist wirklich ausgezeichnet«, log ich. Er war pupstrocken, sonst gar nichts.
Mein Gegenüber lächelte jedoch zustimmend und führte sein Glas ebenfalls zum Mund. Zugegeben, der Mann hatte Charme … irgendwie. Seine blassblauen Augen waren es nicht. Das leicht gewellte blonde Haar auch nicht. Hm … seine Unterlippe war etwas voller als die obere. Ja … ich glaubte gefunden zu haben, was ihn auf gewisse Art attraktiv machte. Oder? Na ja, mit Mr Unbekannt aus dem Internet kam er jedenfalls nicht mit. Als er trank, sah er dabei zu mir auf, und ich senkte den Blick schnell zu meinem Teller, um zu vermeiden, dass er mich dabei erwischte, wie ich ihn begutachtete. Kurzerhand nahm ich mein Besteck und begann zu essen.
»Ist etwas nicht in Ordnung?«, fragte er trotzdem, und ich stöhnte mental auf. Hatte wohl nicht geklappt.
»Alles bestens. Das Fleisch ist wirklich gut.« Ich legte ein Lächeln auf und schnitt gleich noch ein Stück ab, um es sofort darauf genießerisch zu verzehren.
»Alles was du tust, wirkt erotisch«, raunte er, und ich verschluckte mich fast an dem Bissen in meinem Mund. Halb zerkaut schluckte ich ihn herunter und spülte mit Wein nach. Torbens gierigen Blick konnte ich spüren, obwohl ich ihn nicht ansah. Gleichzeitig fühlte ich, wie sich alles in mir dagegen wehrte. Ich wollte das nicht mehr. Und ehrlich gesagt war ich nicht auf solche Anzüglichkeiten vorbereitet. Schon seit Monaten lief nichts mehr zwischen uns. Und das war bestimmt nicht auf meinem Mist gewachsen. Er hatte sich zurückgezogen, was mich anfangs wirklich fertiggemacht hatte. Natürlich wusste er nichts davon, sodass er glauben musste, unsere Affäre war im beiderseitigen Einverständnis im Sande verlaufen. Außerdem leckte er doch inzwischen den Ar… Allerwertesten der kleinen F… ›Warum so zynisch?‹, ermahnte ich mich und ordnete meine Gedanken – er vögelte doch inzwischen Saskia! Mehr gab es darüber nicht nachzudenken.
»Hast du schon mit Frau Maibach gesprochen? Die Entwürfe hat sie nun schon seit einer Woche«, überging ich seine Bemerkung.
»Du weichst vom Thema ab.«
Ich hob den Kopf und blickte mein Gegenüber an. »Nein, du weichst vom Thema ab. Ich dachte, wir besprechen die Four Fit Kampagne. Drei Entwürfe liegen vor. Es wird Zeit, sie gemeinsam mit allen anderen auszuarbeiten.« Es konnte doch nicht so schwer sein, mal beim Kunden nachzuhaken, ob etwas Interessantes dabei war, und ich hätte mir wirklich gewünscht, mit Torben darüber reden zu können. Doch seit wir hier waren, machte er nicht den Eindruck, als sollte dies ein geschäftlicher Termin werden. Und genau dabei blieb es. Er ließ sich kaum auf etwas anderes ein, als mir dumme Komplimente zu machen. Ganz nebenbei versuchte er mich nach meinem Privatleben auszufragen. Keine Chance. Seine dämliche Anmache zog bei mir nicht mehr.
»Du bist in letzter Zeit ziemlich distanziert«, brachte er es schließlich auf den Punkt.
Okay, dann musste ich wohl Tacheles reden. »Das hast du gut erkannt. Und dabei wird es auch bleiben. Du hast deutlich klar gemacht, dass du deine Familie nicht verlassen wirst. Also …«
»Du hast nie gesagt, dass du an mehr interessiert bist, als an einer Affäre. Woher der Sinneswandel?«
»An mehr bin ich auch nicht interessiert. Die zweite Geige zu spielen ist auf die Dauer allerdings auch nichts für mich. Sorry.« Und … schade. So manches Mal war mir der Gedanke gekommen, wir hätten das perfekte Team sein können. Die Firma … Ja! X-tremes war das Einzige, was zählte, und genau darauf sollten wir beide uns konzentrieren. So wäre es zumindest das Beste gewesen. Doch ich ahnte bereits, dass ich aus der Nummer nicht so leicht rauskommen würde. Immerhin hatte Torben mich erst an die Spitze des Unternehmens gebracht. Sicher nicht ganz uneigennützig. Und genauso wenig Skrupel hatte ich damals gehabt, mich auf ihn einzulassen. Was letztlich nur bedeutete, ich brauchte nicht mehr übertrieben freundlich sein. Zwar besaß Torben einen 49-Prozent-Anteil an der Firma, 51 Prozent waren noch immer Familieneigentum von Dr. Knerling, den man nur noch sehr selten zu Gesicht bekam. Das war vor zwei Jahren leider anders gewesen, jeder Neuling wurde erst mal ganz genau unter die Lupe genommen. Torben war mir dabei ausgesprochen behilflich gewesen, und für das, was mich auf der Karriereleiter ganz nach oben katapultiert hatte, hatte ich teuer bezahlen müssen. Mit allem, was mir heilig gewesen war. Gott, wie ich diesen Kerl hasste!
»Du schaust dauernd auf die Uhr«, meinte Torben und grinste dreckig. »Hast du etwa noch was vor?«
Was gab es da zu grinsen? War seine Idee so abwegig? »Um ehrlich zu sein …« Wer wollte schon ehrlich sein? »… ja, ich habe noch ein Date.« Was ja nicht mal ganz gelogen war, denn schließlich stand noch eine Antwort von Mr Unbekannt aus. Falls er antworten würde.
»Wirklich! Oh, das freut mich für dich. Wer ist denn der Glückliche?«
»Kennst du nicht.« Ha, der war gut, schließlich kannte ich ihn auch nicht. Ich lächelte verlegen und rutschte unruhig auf meinem Stuhl hin und her, unsicher, ob Torben mir meine Flunkerei abnahm. Was mir allerdings egal sein konnte. Sollte er doch denken, was er wollte. Abrupt stand ich auf und er, ganz der Gentleman, tat es mir gleich. »Deswegen muss ich jetzt los.« Ich beugte mich über den Tisch, tätschelte seinen Arm und war froh, dass der Abschiedskuss auf seine Wange aus dieser Entfernung noch mehr als eine bloße Andeutung war. »Bleib doch sitzen«, bat ich unnötigerweise und nahm meinen Blazer und meine Handtasche von der Stuhllehne. »Denk über meinen Vorschlag nach. Das Meeting mit den Four Fit Leuten ist schließlich schon in drei Wochen. Von daher sollten wir bald anfangen.«
»Das sollten wir.« Auch wenn er mir aufmunternd zunickte, war ich mir sicher, er hatte mir nicht mal richtig zugehört. Hatte dieser Typ mich eigentlich jemals wirklich ernst genommen? Ich schüttelte unmerklich den Kopf.
»Also dann. Bis morgen«, verabschiedete ich mich und verließ das Lokal. Es war noch nicht mal halb neun am Abend und ich würde es mir gleich vor dem Fernseher gemütlich machen. Allein.
Nun, nicht ganz, denn schließlich war mein Smartphone ja zu einem, oder besser gesagt, mehreren Gesprächspartnern mutiert. Als ich nach Hause kam, kramte ich das Ding schon im Flur aus meiner Tasche. Es blinkte wie verrückt. Eigentlich war das Schwachsinn, denn schließlich konnte es nicht heller oder schneller blinken, als es normalerweise der Fall war, seltsamerweise kam es mir trotzdem so vor. Ich kickte die Schuhe von meinen Füßen und ging schnurstracks ins Wohnzimmer, wo ich mich auf die Couch fallen ließ. Schon wollte ich die App öffnen, um nachzusehen, wer mir geschrieben hatte, doch das war irgendwie zu ungemütlich. Bei einem guten Gespräch musste doch wenigstens ein guter Wein her. Deshalb legte ich das Telefon auf den Tisch und ging in die Küche, um mir ein Glas mit besagter Flüssigkeit zu füllen. Als ich mich diesmal auf der Couch niederließ, stimmte das Ambiente endlich. Zufrieden trank ich einen Schluck und wischte über das Display. Nachrichten hatten mich genügend erreicht, nur natürlich nicht die, auf die ich insgeheim wartete.
Egal, dann musste ich halt mit dem Rest vorlieb nehmen. Jedenfalls fand ich das gerade spannender, als im Hausanzug vor der Glotze herumzulungern oder mich mit einem Buch im Bett zu verkriechen. Das machte ich schließlich schon viel zu lange. Leider blieb von fünfen nur ein einziger Mann übrig, der einigermaßen gut aussah. Auf den Nicknamen achtete ich nicht, stellte in den nächsten Minuten jedoch fest, dass man das unbedingt tun sollte!
»Hallo«, schrieb er. Sehr einfallsreich, wirklich.
Meine Antwort fiel entsprechend aus. »Hi.«
Wenigstens ließ er nicht lange auf sich warten. »Was machst du Schönes?«
»Nicht viel. Ich bin gerade erst nach Hause gekommen und trinke nun einen Schluck Wein vor dem Fernseher.« Prompt schaltete ich das Gerät ein. So war es irgendwie gemütlicher. Nun ja, nicht wirklich, denn das enge Kleid nervte, obwohl ich die Füße auf der Tischkante abgelegt hatte. So ein bequemer Hausanzug hatte eben doch seine Vorteile.
»Trägst du High Heels?«
»Ich sitze auf der Couch.«
»Also trägst du keine?«
Ich ahnte Böses! Gleich kam bestimmt wieder so eine bescheuerte Frage, nach meiner Kleidung, die ich wenn möglich langsam und sexy ausziehen sollte. »Nein.«
»Auch keine Nylonstrümpfe?«
Mein Blick fiel automatisch auf meine Beine, die in genau diesem hauchdünnen Stoff steckten. Halterlos – die verzierte Spitze blitzte unter dem Saum meines Kleides hervor. Das zu erfahren, würde dem Spinner sicher gefallen. »Und wenn es so wäre?«, schrieb ich grinsend zurück.
»Dann würde ich mir vorstellen, wie ich zärtlich in deine Zehen beiße.« What the fuck …? »Ich liebe schöne Füße. Kannst du sie fotografieren?«
»Theoretisch könnte ich.«
»Dann mach!«
»Was heißt das überhaupt, du liebst schöne Füße? Dazu noch, wenn sie in Nylon stecken?« Ich hatte noch nicht ganz auf Senden gedrückt, fiel der Groschen. Sein Nickname! Footlove! Oh mein Gott! »Bist du Fußfetischist?«, fragte ich gleich hinterher.
»Ja, so könnte man es bezeichnen.«
Okay, sollte er doch glücklich werden mit seinen Neigungen. Es gab sicher Schlimmeres. Aber … »Mal ehrlich! Ist es nicht ekelhaft, Füße im Mund zu haben? Ich meine, gerade wenn man dieses Synthetikzeug anhat, riechen sie ja meistens nicht mehr besonders frisch.« Angewidert zog ich die Nase kraus.
»Du machst dich also lustig über mich! Darauf kann ich gut verzichten! Such dir einen anderen den du aufziehen kannst!« Uuuund … weg war er!
Nicht schlimm, denn die nächste Nachricht ging ein. »Hallo Cat, du siehst hübsch aus!«
Zunächst überprüfte ich das Profil. Na ja, der Typ sah ganz passabel aus, deswegen schrieb ich zurück. »Dankeschön.«
»Was suchst du hier?«
»Das weiß ich noch nicht. Ich lasse mich einfach mal überraschen. Und du?«
»Ich bin auf der Suche nach meiner zukünftigen Traumfrau. Die, mit der ich mein ganzes Leben verbringen will. Vielleicht bist du ja diejenige, die mit mir alt und grau werden möchte.«
Ein ganzes Leben? Alt und grau? Ach herrje, bloß das nicht! »Sorry, aber was du schreibst, klingt mir zu endgültig. Ich wünsche dir viel Glück.«
Nur einen winzigen Blick auf das Bild von jenem, der meine Nachricht noch immer nicht gelesen hatte, gestattete ich mir, dann legte ich das Telefon beiseite, denn ich hatte ganz bestimmt keinen Nerv mehr auf die Zuschriften von irgendwelchen hirnamputierten Kerlen, die sich in diesem Chatroom austobten. Ich wollte das Ding sogar schon ausschalten. Nun, nicht wirklich, denn bei jeder eingegangenen Nachricht war ich dann doch neugierig. Furchtbar! Das war ja wie ein Zwang! Und alles nur, um jedes Mal von Neuem die Augen zu verdrehen, wenn ich mir die Profile der Bewerber genauer ansah. Währenddessen lief im TV eine Dokumentation über Kanada, die ich nur am Rande verfolgte. Als sie zu Ende war – es war schon halb elf – stand ich auf und ging ins Bad, um meinen Pyjama anzuziehen und die Zähne zu putzen. Danach wollte ich sofort ins Bett gehen, sah allerdings auf dem Weg dorthin mein Handy blinken. Sollte es doch blinken. Auf die hundertfünfundneunzigste dämliche Anmache, die da als Nachricht eingegangen war, konnte ich getrost verzichten.
Oder?
Noch immer starrte ich das Teil von Weitem an. Bisher war mir niemals aufgefallen, wie hell dieses satte Blau im Dunkel strahlte. Blink. Blink. Blink. Das nervte sogar! Zumal ich immer alle Türen aufließ. Wahrscheinlich würde ich die stetig wiederkehrende Helligkeit sogar noch im Schlafzimmer wahrnehmen. Dabei könnte ich unmöglich einschlafen. Deshalb – und nur deshalb – ging ich ins Wohnzimmer, nahm das Telefon vom Tisch und wischte über das Display, um es zu entsperren. In der oberen Leiste prangte ein Herzchen mit dem Text: Juli hat Ihnen eine Nachricht hinterlassen.
Ach!? Juli? Echt? War das nicht dieser wahnsinnig gut Aussehende, dem ich geschrieben hatte, wie toll ich seine Fotos fand? Ich ließ mich in den Sessel plumpsen und öffnete die App. Oh Mann, dieses Bild war wirklich ein Traum. »Danke, das ist sehr lieb von dir«, war seine Antwort, und ich sah, dass er noch immer online war.
»Komm schon, das hörst du doch nicht zum ersten Mal«, tippte ich schnell.
»Zum ersten Mal von dir.«
»Stammen die Bilder aus einem Fotoshooting?«
»Ja.«
»Du siehst toll aus.« Das durfte man ruhig neidlos zugeben. Wieder himmelte ich das Profilbild an. Dieser Mund, diese Augen …!
»Du siehst auch ziemlich hübsch aus«, schrieb er. Hmmm … das sagte er nur aus Höflichkeit. Höflichkeit! Ha! Es war schon unglaublich jemanden gefunden zu haben, der höflich war.
»Mein Bild kann da wirklich nicht mithalten. Ich hatte kein anderes«, erwiderte ich.
»Das macht doch nichts.«
»Was sucht jemand wie du in solch einem Portal?« Diese Frage stellte ich mir ernsthaft. Jemand wie er konnte es unmöglich nötig haben, auf diese Weise eine Frau abzubekommen.
»Das könnte ich dich auch fragen.« Auch wieder wahr.
»Ja, das könntest du.«
»Also?«
»Ich habe zuerst gefragt.«
»Ich mag die Gespräche mit interessanten Personen«, antwortete er.
»Hier gibt es leider nicht nur interessante Personen.«
»Vielleicht bist du eine.«
»Oder du.«
»Möglich.«
»Um ehrlich zu sein, habe ich nichts weiter getan, als auf eine Freundin zu hören, die mir gesagt hat, ich soll mich mal spaßeshalber hier anmelden. Klingt nicht besonders interessant. Intelligent auch nicht.«
»Hältst du dich für intelligent?«
»Normalerweise schon.«
»Aber?«
»Manchmal denke ich, genau deshalb mache ich mir zu viele Gedanken.«
»Solange du dir die richtigen Gedanken machst, ist alles im grünen Bereich.«
»Wenn das so leicht wäre.«
»Ist es! Jede Idee, die umgesetzt worden ist, war ursprünglich ein Gedanke. Nicht mehr, nicht weniger. Die meisten begreifen nur nicht, wie viel Macht sie damit haben könnten.«
»Das klingt danach, als wüsstest du, wie das geht.«
»Weiß ich auch.«
»Ach, und wie?«
»Mit Konzentration.«
»Und was soll das bringen?«
»Was auch immer du dir wünschst. Du musst nur deine Gedanken in die richtige Richtung lenken, dann kannst du es auch erreichen. Versuch es mal.«
»Mache ich. Allerdings werde ich wohl vorläufig nicht dazu kommen :). Momentan werde ich ziemlich mit Nachrichten bombardiert und weiß nicht was ich davon halten soll.«
»Dann solltest du es herausfinden.«
»Das versuche ich. Aber heute nicht mehr. Werde das jetzt ausschalten. Es reicht für den Anfang.«
»Mach das. Gute Nacht.«
»Wünsche ich dir auch.«
* * *
Normalerweise checkte ich sämtliche Mails, ob per Handy oder Computer, immer erst, wenn ich im Büro angekommen war. Ein Ritual, das ich mir zu meinem eigenen Schutz zugelegt hatte, um in Ruhe wach werden zu können. An diesem Morgen schien mich dieses verdammte Smartphone jedoch zu hypnotisieren, sobald ich ihm zu nahe kam. Schließlich und endlich fischte ich es von der Ladestation und legte es neben meine Kaffeetasse. Ein kurzer Blick auf die eingegangenen Nachrichten konnte schließlich nicht schaden. Daher schob ich die Frankfurter Allgemeine beiseite, wischte über das Display und öffnete die Dating App. Ungefähr zehn Nachrichten hatten mich erreicht. Ich scrollte noch weiter nach unten und stellte fest, dass Juli nicht mal online war. Langschläfer. Und genau das schrieb ich. »Guten Morgen du Langschläf...« Nein, das war zu frech. Viel zu frech! Schließlich kannte ich den Mann gar nicht. Wie würde ich reagieren, wenn mich jemand so nannte, ohne zu ahnen, dass ich jeden Morgen um fünf Uhr aufstand? Vielleicht machte er es ähnlich und konzentrierte sich auf die wichtigen Dinge, die Nachrichten, auf das, was in der Welt geschehen war, die Börsenkurse. Okay, sicher machte das nicht jeder. Schon gar nicht mit solcher Disziplin wie ich es tat. Egal! Langschläfer löschte ich und beließ es bei: »Guten Morgen. Ich wünsche dir einen schönen Tag.« Dann schloss ich die App, legte das Telefon beiseite und widmete mich wieder der Zeitung. Leider war sie voller Wahlkampfparolen. Die einen forderten die Erhöhung des Renteneinstiegsalters – wenn das so weiterging, würde ich wahrscheinlich noch mit achtzig am Schreibtisch sitzen – während die anderen meinten, alles richtig gemacht zu haben, weil es endlich möglich war, Kinder ab zwei Jahren in einer Tagesstätte unterzubringen. Wie toll das funktionierte, hatte ich ja bei Leandra gesehen. Wie eine Wahnsinnige hatte sie nach einem Platz für Jonas gesucht und erst vor Kurzem einen gefunden. Dabei war der Kleine bereits drei. Sicher, sie hätte auch eher eine Einrichtung gefunden, vorausgesetzt, sie hätte das Geld und die Muße gehabt, jeden Morgen wenigstens eine Stunde mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren, um ans andere Ende der Stadt zu gelangen.
Immer wieder linste ich zum Telefon, steckte es schließlich in meine Tasche und machte mich auf den Weg zur Arbeit. Es war besser, so früh zu fahren, denn dann waren die Straßen auf dem Weg in die Innenstadt nicht ganz so voll.
Nur wenig später ließ ich mich in meinen ergonomisch geformten Drehstuhl sinken und griff nach meiner Präsentationsmappe. Dann zog ich einen Block mit weißem Papier aus einer der Schubladen und legte ihn vor mir ab. Jede Branche war noch immer beherrscht von Männern. Kein Wunder, schließlich konnten sie nicht schwanger werden. Und gerade deshalb musste ich besser sein! Vor allem besser als der Obermacker in diesem Laden. Torben! Ja, seine Ideen, seine Kreativität waren genial. Meine aber auch. Wenn er das nicht anerkannte, dann musste ich unsere Auftraggeber eben von mir überzeugen. Was hatte Juli geschrieben? Jede Idee, die umgesetzt worden ist, war ursprünglich ein Gedanke. Nicht mehr, nicht weniger. Völlig versunken kritzelte ich auf dem weißen Papier herum. Juli. Wieso nannte er sich so? Es war erst Juni, mit dem Monat hatte es demnach wohl nichts zu tun. Ich hätte ihn fragen können. Wäre ja nichts dabei. Eigentlich! Denn obwohl ich ihm heute Morgen geschrieben hatte, war noch kein Lebenszeichen von ihm eingegangen. Vielleicht würde er sich gar nicht mehr melden. Hm … schade. Ich ließ den Bleistift fallen und griff nach meinem Handy. Genau jetzt vibrierte es zwischen meinen Fingern, was mich kurz zusammenzucken ließ, bevor ich über das Display wischte und sah, dass eine Nachricht eingegangen war. Juli!
»Guten Morgen.« Eine knappe Antwort war besser als nichts. Oder?
»Ausgeschlafen?« Immerhin war es schon nach zehn.
»Nicht wirklich. Ich war spät im Bett und ziemlich früh wieder auf.«
»Termine?«
* * *
Juli
* * *
Termine? Nun, einen, um genau zu sein. Und schon jetzt wusste ich, dass es nichts bringen würde, mich bei einem so renommierten Verlag vorzustellen, wie dem, in dessen Wartebereich ich gerade saß. Eine Tasse Kaffee stand neben mir auf einem kleinen Holztischchen, das in die Armlehne dieser rotbraunen Ledercouch integriert war. Die Dame, die mir das Getränk gebracht und meine Jacke auf einen Kleiderbügel gezogen hatte, lächelte mir aufmunternd zu. Was mich allerdings nicht dazu brachte, aufgemuntert zu sein. Mein Leben war ein Chaos und dieses Vorstellungsgespräch würde garantiert nichts daran ändern. Schon weil ich gar nicht wusste, ob ich es ändern wollte! Ja, ein bisschen sonnte ich mich sogar in meiner Rolle als ewiger Lebenskünstler, der schon ganz oben und momentan auf dem Weg nach ganz unten war. Etwas, das ich garantiert nicht mit einer fremden Person besprechen würde. Schon gar nicht mit einer Frau im Chat, wo die meisten ohnehin nur darauf aus waren, einen One-Night-Stand aufzureißen. Außer ihr vermutlich, denn schon die Art wie sie schrieb wies darauf hin, wie zugeknöpft sie war. Auch das Foto. Es war ein bisschen verschwommen und doch konnte man das schüchterne Lächeln sehen. Eine Frau, die ihr Mädchensein noch nicht ganz hinter sich gelassen hatte. So stellte ich sie mir wenigstens vor. Allerdings hatte ich gerade anderes im Kopf, keine Zeit, um ihn mir wegen einer völlig fremden und dazu noch prüden Brünetten zu zerbrechen. Aus dem Chatportal loggte ich mich aus und trank den letzten Rest meines Kaffees. Dann stand ich auf und machte mich auf den Weg in eine der oberen Etagen, um mir eine Absage erteilen zu lassen. Eigentlich hätte ich mir den Weg auch sparen können. Wieso ich es dennoch vorhatte? Wenn ich ehrlich gewesen wäre, hätte die Antwort Sina gelautet. Schon seit Wochen lag sie mir damit in den Ohren, dass ich endlich zeigen sollte, was in mir steckte. Klang nett, war es aber nicht. Während sie als Krankenschwester arbeitete und an keinerlei Aufstiegsmöglichkeiten interessiert war, verlangte sie von mir, den Karrieretypen zu mimen. Der, als den sie mich kennengelernt hatte, sicher. Lag vielleicht daran, dass sie gar nicht genau wusste, wie ich mein Geld über lange Zeit verdient hatte. Was inzwischen vorbei war, denn leider waren meine Quellen versiegt, die mir stetig gute Aufnahmen garantiert hatten. Als freier Journalist war man auf Leute angewiesen, die entweder ganz vorn in der Politik oder in der High Society mitmischten. Dummerweise war der Bodyguard, der mich mit Informationen versorgt hatte, mit seinem Drogenproblem aufgeflogen und damit aus dem Rennen. Es war also nichts weiter, als eine Kettenreaktion gewesen, die dazu geführt hatte, dass ich alles verloren hatte und auch mein Erspartes größtenteils dabei draufgegangen war. Wenigstens hatte ich keine Schulden, doch das reichte Sina selbstverständlich nicht. Natürlich war es leichter in meiner Situation die Schuld auf andere zu schieben, dessen war ich mir bewusst. Bloß hatte ich momentan keinerlei Ambitionen, etwas zu ändern. Ich fühlte mich ausgebrannt, am Ende meiner Kräfte, ziellos, nachdem ich jahrelang auf sehr dünnem Eis unterwegs gewesen war. Denn was die Drogen anbelangte, war es meine Wenigkeit gewesen, die sie besagtem Informanten hatte zukommen lassen. In rauen Mengen. Keine Ahnung was der Typ damit gemacht hatte. Meine Aufgabe war es nur gewesen, den Mittelsmann zu spielen. Ich besorgte das Zeug von einem Spediteur, der es ohnehin im ganzen Land und wahrscheinlich auch über die Grenzen hinaus vertrieb, gab es weiter an diesen Muskelprotz und gut. Wenn man es mal ganz genau betrachtete, war ich mit einem blauen Auge davon gekommen. Nicht auszudenken, was passiert wäre, hätte man mich als Drogendealer entlarvt. Eigentlich stand mir sogar noch die Provision für die letzte Lieferung zu. Aber auf die 200 Euro verzichtete ich gern, solange ich mit dem Mist nichts mehr zu tun haben müsste.
Nun, Geld hatte seinen Preis, Ruhm auch. Beides kam mir momentan so wahnsinnig unwichtig vor. Irgendwie würde es weitergehen. Irgendwie.
* * *
Cat
* * *
Meine Frage beantwortete er mir nicht, sondern war kurz darauf wieder offline. Mit gerunzelter Stirn betrachtete ich seinen Status. Erst jetzt stellte ich fest, dass ich die Entfernung zwischen uns beiden sehen konnte. 478 km. Uff! Ich konnte es mir nicht verkneifen, sein Profil zu öffnen, um genauer nachzusehen.
Standort: Berlin.
Beziehungsstatus: Single
Kinder: Leben nicht im Haushalt. – Hmm …
Haarfarbe: Braun.
Augenfarbe: Undefinierbar. – Interessant!
Größe: 1,82 m. – Shit! Demnach war er zu klein für mich. Mit High Heels und Hochsteckfrisur wäre ich wenigstens genauso groß wie er. Ein absolutes No Go! Ich mochte Männer, die mich um mindestens einen Kopf überragten und ausgeprägt breite Schultern besaßen … okay, ja, die hatte er. Nachdenklich betrachtete ich seine Fotos. Dieser Mann sah atemberaubend gut aus! 1,82 hin oder her! Das dusselige, verträumte Grinsen auf meinen Lippen, bemerkte ich erst jetzt. Umgehend schloss ich die App, legte das Telefon wieder zur Seite und nahm den Bleistift, um damit weiter vor mich hinzukritzeln. Anstatt Juli nach Terminen zu fragen, hätte ich etwas persönlicher sein können. Zum Beispiel wusste ich noch immer nicht, weshalb er sich so nannte. Blöderweise hatten seine Sätze sehr distanziert gewirkt. Wenn ich an die anderen Nachrichten dachte … Angewidert verzog ich das Gesicht. Mal ehrlich, wenn jemand nur Sex wollte, war das inakzeptabel, aber wenn einer gleich die Hochzeit mit einplante, bekam man wirklich Angst!
Okay, dann lieber distanziert! Höflich. Freundlich. Und … scheiße weit weg. Berlin! Verdammt. Selbst wenn ich einen Kaffee mit ihm trinken wollen würde … halt! Natürlich wollte ich einen Kaffee mit ihm trinken. Mhm … vielleicht lieber einen Cocktail? In einer Bar am Abend? Vor meinem inneren Auge schwang er mich über die Tanzfläche – okay, ich mogelte ein wenig, weil er in meinen Gedanken, ein bisschen größer war als 1,82 m – seine Hände hielten mich, eine davon stahl sich meinen Rücken hinab, bis die Fingerspitzen meinen Po erreichten. Die andere wanderte hinauf in meinen Nacken. Sein Daumen strich daran rauf und runter. Gänsehaut breitete sich auf meinen Armen aus, das Kribbeln in meinem Bauch ließ mein Herz schneller schlagen. Die Musik in meinem Kopf war ein schaurig schöner Lovesong. Mädchen liebt Junge, Junge verlässt Mädchen. Mädchen bleibt weinend zurück, mit all den bittersüßen Erinnerungen im Kopf. Die Melodie summte ich leise vor mich hin, während mir sogar der Text einfiel – … We walked along a crowded street. You took my hand and danced with me. Images ... – Bilder! Richtig! Nichts weiter als Bilder und Illusionen. All das, was eben alle schnulzigen Liebeslieder erzählten. Und nicht nur die, wie ich plötzlich feststellte. Was Bilder und Illusionen anging, mutierte ich wohl gerade zur Mega-super-Schnulze, denn ich starrte auf die Zeichnung, die ich gerade erschaffen hatte, und stellte mit aufgerissenen Augen fest, dass mich Julis Porträt anblickte. Klasse! Was zur Hölle machte ich hier eigentlich? Ich war überhaupt nicht der Typ für solche dämlichen Tagträumereien! Schließlich war ich kein dummes, kleines Mädchen mehr, sondern eine gestandene Frau, die es bis hierher geschafft hatte und es noch viel weiter bringen würde. Ja, mein Körper erzählte mir deutlich etwas anderes, weshalb ich mich aufrecht hinsetzte und die Oberschenkel zusammenpresste. Gerade rechtzeitig! Denn genau in diesem Moment bewegte sich die Klinke der Tür zu meinem Büro. Mit einer Hand öffnete ich die Four Fit-Präsentationsmappe – was anderes lag nicht griffbereit – und schob mit der anderen das Blatt Papier wahllos hinein. Prompt hatte mich die Realität wieder, und die bestand nun mal darin, dass ich genervt war von der noch immer beherrschenden Männerwelt.
Zum Glück trat nur Marlies ein. Seit dem ersten Tag, da wir zusammenarbeiteten, hatte ich sie darum gebeten, ohne anzuklopfen einzutreten. Schließlich war sie meine Sekretärin und ich hielt es für blödsinnig, bei jedem bisschen ›Herein!‹ brüllen zu müssen. Dennoch hoffte ich nun inständig, sie würde mir meine Verwirrtheit und vor allem … – ich presste die Oberschenkel noch fester zusammen – nicht ansehen. Nein, das, was mein notgeiler Körper gerade mit mir angestellt hatte, würde eine Frau nicht bemerken. Ein Mann hingegen … Ehrlich, ich war froh sie zu sehen, anstatt jemand anderen.
»Alles in Ordnung, Kindchen?«
Ich stöhnte mental auf. ›Kindchen!‹ Auch wenn sie 20 Jahre älter war als ich, hasste ich es, wenn sie mich so nannte. »Alles bestens, Mutter Theresa«, erwiderte ich und streckte ihr die Zunge raus. Sie war die Einzige in diesem gottverdammten Glasklotz, die mich so kannte. So, wie ich war.
Dennoch schüttelte sie in gespielter Entrüstung den Kopf. »Du solltest endlich erwachsen werden, Catarina.« Sie zwinkerte mir zu, trat näher und stellte die große Kaffeetasse vor mir ab. »Trink ihn schnell, denn in einer halben Stunde musst du im Konferenzsaal sein. Torben hat eine Besprechung angeordnet.«
»Na endlich!« Wie es schien, hatten meine Worte gestern Abend doch etwas bewirkt. »Kann ja auch nicht sein, dass hier neuerdings jeder sein eigenes Süppchen kocht.«
»Mir gefällt das Ganze schon lange nicht«, meinte Marlies nachdenklich. »Sowas wäre früher …«
»Ja, ja, früher war alles besser«, äffte ich sie grinsend nach.
»Mach dich ruhig über eine alte Frau lustig. Kindchen!« Das letzte Wort betonte sie mit Hingabe, weil sie genau wusste, wie wenig ich es mochte, und verließ mein Büro.
Ich trank in Ruhe meinen Kaffee und machte mich dann auf den Weg. Genauso wie der Rest der Abteilung. Gemeinsam gingen wir in das Konferenzzimmer. Torben stand vorn und wartete, bis jeder Platz genommen hatte. Ohne lange Begrüßung kam er direkt zum Thema. »Der Kunde will mindestens drei maßgeschneiderte Vorschläge. Wir liefern sie ihm. Catarina, Sabrina und ich.« Er betrachtete meine Kollegin und mich für einen Moment abwechselnd, dann sprach er weiter. »Dabei wird es bleiben. Jeder von uns hat bereits etwas entworfen, und genau das werden wir vorstellen. Völlig getrennt voneinander, und alle, die uns in irgendeiner Form zuarbeiten und mit unseren Konzepten zu tun haben, unterliegen ab sofort der Schweigepflicht, auch untereinander. Heißt, keinem von uns dreien wird verraten, wie weit fortgeschritten unsere Arbeit ist, noch, was wir uns haben einfallen lassen.«
Sabrina und ich wechselten einen ungläubigen Blick.
»Torben, wir sind ein Team«, wandte ich ein. »Bei solch einer Arbeitsweise spielen wir uns gegenseitig aus.«
»Das sehe ich genauso«, pflichtete Sabrina mir bei. »Es schadet dem Arbeitsklima.«
»Wie heißt es so schön? Konkurrenz belebt das Geschäft.« Er grinste breit und klatschte dann in die Hände. »An die Arbeit! Schließlich wollen wir den Kunden zufriedenstellen.«
»Das kannst du nicht von uns verlangen«, widersprach ich. »So machst du Konkurrenten aus uns.«
»Sieh es doch mal so. Wer den Auftrag bekommt, steigt vom Art Director geradewegs zum Creative Director auf und wird den Auftrag betreuen, vorausgesetzt wir bekommen ihn.«
Wirres Gemurmel breitete sich unter meinen Kollegen und Kolleginnen aus. Die meisten waren schon aufgestanden und strebten zur Tür hinaus. Was für egoistische Feiglinge! Bestimmt schlossen sie bereits Wetten ab, wer von uns den Auftrag ergattern würde.
Ich erhob mich ebenfalls von meinem Platz.
»Ich werde Termine vergeben müssen, um allen gerecht zu werden«, knurrte Natalie, die neben mir stehengeblieben war. Sie war unsere Hausfotografin und hatte wahrscheinlich gar nicht mal so unrecht.
Mit einem müden Lächeln sah ich sie an. »Du schaffst das schon, da bin ich sicher.«
Dann ging sie ebenfalls hinaus, und ich überlegte, ob ich Torben um ein Wort unter vier Augen bitten sollte. Ohnehin stand er außer Konkurrenz zu jedem hier, denn den Posten des Creative Directors und Teamleiters hatte er doch schon längst. Er lebte auf verdammt großem Fuß. Und das, obwohl seine Frau sich ausschließlich um die Kinder kümmerte und somit kein zweites Einkommen mit nach Hause brachte. Ich wollte gar nicht wissen, was er in seiner Position verdiente. Hier ging es nur noch um die Aufstiegschancen der anderen, was keineswegs nur Sabrina und mich betraf. Das ganze Vorhaben war völlig sinnfrei. Bestimmt dachte er ohnehin, keine von uns könnte ihm das Wasser reichen. So ein arrogantes Arschloch! Am liebsten hätte ich ihm lautstark meine Meinung gesagt. In solchen Momenten fiel es mir immer besonders schwer, nach allem, was einmal zwischen uns gewesen war, eine gesunde Distanz zu bewahren.
Während ich noch darüber nachdachte, wie ich ihm diese Schnapsidee auf möglichst sachliche Art und Weise ausreden könnte, sah ich, wie er den Raum verließ und auf dem Flur stehen blieb. Wartete er auf jemanden?
Oh ja, das tat er. Denn nun trat Saskia an ihn heran. Sie wechselten ein paar Worte, dann ließ er sie zum Aufzug vorgehen und sie stiegen ein.
Wie war das noch mit der Konkurrenz? Okay, die konnte er haben!
* * *
Zurück in meinem Büro setzte ich mich sofort an den Computer und probierte alles aus, was mir einfiel. Leider war das nicht genug. Nicht, wenn wir diesen Auftrag bekommen wollten. Und das mussten wir. Damit wäre die Zukunft von X-tremes bis auf Weiteres gesichert und würde noch mehr Kunden in dieser Größenordnung anziehen. Unsere Ideen mussten gut sein, besser als die der Konkurrenz! Dabei war es grundsätzlich egal, wer ihn an Land zog, doch eine leise innere Stimme namens Ehrgeiz spornte mich natürlich dazu an, besser als die anderen zu sein. Schon allein deshalb gestaltete es sich schwierig, die Mittagspause einzuhalten. Ich machte das nur, weil ich Lea versprochen hatte, mich mit ihr zu treffen.
Sie wartete bereits in dem Café an der Ecke. Wenn sie in der Stadt war, trafen wir uns immer hier. In letzter Zeit war das eher selten geworden.
»Hast du schon bestellt?«, fragte ich, nahm sie kurz in die Arme und setzte mich dann zu ihr.
»Nein, noch nicht.«
Merkwürdig. Normalerweise machte sie das, und wenn es darum ging, die Rechnung zu begleichen, musste ich sie fast zwingen, um selbst bezahlen zu dürfen. Natürlich verfügte sie nicht über so viel Geld wie ich, doch beklagen konnte sie sich auch nicht wirklich. Und das, obwohl sie für ihre Tochter keinen Unterhalt bekam, weil sie den Vater nicht kannte. Tabea war in einer heißen Nacht am Strand von Ibiza entstanden, an die sich Lea nur noch schemenhaft erinnern konnte. Wenigstens für Jonas erhielt sie das, was ihr zustand. Oft auch mehr, weil die Eltern von ihrem Ex stets dafür sorgten, dass es ihrem Enkel gut ging. Mit ihren eigenen Eltern hatte sie nur noch wenig Kontakt, seit sie nach Köln gezogen war. Die ständigen Vorhaltungen ihrer streng katholischen Mutter war sie leid.
Ich winkte der Kellnerin, die kurz darauf zu uns kam und die Bestellung aufnahm.
»Wie war`s gestern?«, fragte meine Freundin und zündete sich eine Zigarette an. Eine von meinen, die ich gerade aus der Handtasche geholt hatte. Seltsam.
»Ist alles in Ordnung bei dir … euch?«, fragte ich, ohne auf ihre Frage einzugehen.
»Wenn du auf Mike anspielst, mir ist schon aufgefallen, dass du ihn nicht besonders magst.«
»Das ist doch Quatsch! Ich finde ihn …« Mist, mir fehlten die Worte!
»Schon gut. Er kann manchmal ganz schön besitzergreifend sein.«
»Wie meinst du das?«
»Na ja, du weißt schon, macht einen auf Familie. Ich zu Hause bei den Kindern, er der Jäger und Sammler, der das Essen ran schafft. Davon, dass Nadja dauernd auf der Matte steht, hält er auch nicht besonders viel. Er meint, sie stört den Frieden.«
»Er ist eifersüchtig. Immerhin ist sie nicht nur Jonas’ Großmutter, sondern auch die Mutter von dem Mann, den du monatelang nicht vergessen konntest. Außerdem nimmt sie Mike etwas von seiner Jäger-und-Sammler-Mentalität ab, indem sie dich sponsert.«
»Ha! Ja rate mal, weshalb ich so knapp bei Kasse bin. Als Mike dabei war, habe ich ihr Geld abgelehnt.«