Immer dieses wilde Getöse. Das rockt! Von der Leidenschaft Musik zu leben - Kornelia Girgsdies - E-Book
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Immer dieses wilde Getöse. Das rockt! Von der Leidenschaft Musik zu leben E-Book

Kornelia Girgsdies

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Beschreibung

Begleite Konni und Else auf ihre bunte Reise voller Konzerte, Festivals und jeder Menge Musik und genieße herrlich humorvoll und authentisch erzählte Berichte aus der ersten Reihe. Zwei wilde Herzen schlagen in ihrer Brust. Das eine von Konni Girgsdies, der Autorin. Das andere das ihres Pseudonyms, der Else Somebodys. Beide gemeinsam bilden in dieser musikalischen Rundreise und Autobiographie das Duo Infernale! Schon als Kleinkind zappelt Konni zum Beat aus dem Radio durch die elterliche Bude. Musik zieht sich wie ein roter Faden durch ihr weiteres Leben und wird, als ihre Mutter mit nicht einmal 46 Jahren verstirbt, zusammen mit Konzertbesuchen zu ihrem (Über-) Lebenselixier. Als Else Somebodys trifft man sie nunmehr seit Jahren, meist Front of Stage, auf vielen Livekonzerten und Festivals an. Egal ob vor der Stage bei U2 in Dublin, David Gilmour in London, Udo Lindenberg, Herbert Grönemeyer oder auch den Böhsen Onkelz, Coldplay, den Rolling Stones oder beim Wacken Open Air – ihre Konzerterlebnisse sind endlos und faszinierend zugleich.

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Seitenzahl: 452

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Kornelia Girgsdies aka Else Somebodys

Immer dieses Wilde GetÖse

Das rockt! – Von der Leidenschaft Musik zu lebenKonzerte * Festivals * Rock * Pop * Metal

Girgsdies, Kornelia: Immer dieses wilde Getöse. Das rockt! Von der Leidenschaft Musik zu leben. Konzerte. Festivals. Rock. Pop. Metal. Hamburg, Charles Verlag 2023

Originalausgabe

ePub-eBook: ISBN 978-3-948486-78-5

Dieses Buch ist auch als Print erhältlich und kann über den Handel oder den Verlag bezogen werden.

ISBN: 978-3-948486-76-1

Umschlaggestaltung: © Annelie Lamers, Hamburg unter Verwendung von Bildern von freepik.com

Umschlagmotiv: © Pascal von Guérard, https://www.vgfotodesign.com

Tattoos: Fabi Braun, http://black-label-tattoo.de/index.html

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.d-nb.de abrufbar.

Der Charles Verlag ist ein Imprint der Bedey und Thoms Media GmbH,

Hermannstal 119k, 22119 Hamburg

© Charles Verlag, Hamburg 2023

Alle Rechte vorbehalten.

www.charlesverlag.de

Contents

Auf Regen folgt Sonnenschein

Tante Ruths Musiktruhe (Erinnerung 1)

Stippvisite (Erinnerung 2)

Es kam eine ‚Lange Dürre‘ (Erinnerung 3)

Freie Bahn für Marzipan – Flashback ins Jahr 1988

Nun war ich dran! Deadline 2018 / 2019

Außer Rand und Band!

Auf die Fresse ist umsonst!

Wo war ich hier nur gelandet?

Es ging auf 02:00 Uhr zu

Mit Schweißperlen vorm PC

Wie in einem Film …

Auf geht’s!

Alice im Wunderland

Im U2 Fieber

Good Vibes

Der Bossenkeller

Da sah ich rot

Wacken, wir kommen!

Es war so, als schaute ich durch ein Kaleidoskop

Ich folgte einfach dem Wacken-Tross

Langsam fuhr der lange Zug in der Bayrischen Landeshauptstadt ein

Mein Rock’n’Roller Herz wurde wehmütig

Die Wahnsinnshow begann von vorn

Ich sah immer wieder zur True Stage hinüber

Der Graben zwischen Stage und Bühne könnte meine Rettung sein

Maiden verbindet – nach Wacken ist vor Wacken

Front of Stage - Zwei Felsen in der Brandung

Auf nach London!

Momente für die Ewigkeit!

Nichts ist für immer da?

Wenn du wirklich willst, versetzt du Berge …

Das Geheimnis meiner Kraft

Stand der Dinge

Doch irgendwie musste das Leben weitergehen!

Szenenwechsel

In einem Rutsch über St. Pauli

Tom peppte sich für das Berliner Nachtleben auf

Ab ins KLO!

»So, kommen Sie mal – das klären wir«

Born to be wild

Wir stampften unseren Beat!

Radetzky-Marsch???

Vor mir eine Flasche Flensburger

Tag 2 – lasst uns die Hallig rocken!

Landmarks

Cover

Foto: © Pascal von Guérard | Gitarrenleihgabe: Udo Cremer

Durchs Feuerwasser (2022)

Jetzt wurde es auch endlich Zeit! Immerhin lagen die Dinger nun schon gute zwei Jahre foliert im Eisfach meines Kühlschranks. Die Zeit war reif, jetzt gings ans Auftauen. Vorsichtig zog ich das Päckchen aus der Kältekammer. Dass ich es überhaupt dort eingelagert hatte, war nicht der Tatsache geschuldet, einen Teil des Inhalts im Discounter ALDI gekauft zu haben. Ich dachte mir einfach, hier ist es safe und wird nicht so schnell gefunden. Im Gegensatz zu 2014 hatte ich dazugelernt, hinterlegte vorsichtshalber einen ent­sprechenden Vermerk als Handnotiz.

Welch’ eine Freude! Das Haltbarkeitsdatum war trotz der vielen Verschiebungen noch nicht überschritten und nach der Enteisung sah auch 2022 alles noch so chic aus, wie am ersten Tag! Perfekt! Auch wenn die beiden Bands, deren Tickets nun aufgetaut hier vor mir lagen, musiktechnisch aus meiner Sicht völlig auseinander lagen, so bot das Layout ihrer Eintrittskarten doch eine gewisse Gemeinsamkeit und hielt eine enorme Freude auf dieses außergewöhnliche Doppelereignis für mich bereit. Beide Gruppen hatten sich demnach für ein sattes Mattschwarz als Hintergrund entschieden. Das eine mit unverkennbarem Logo, martialischem Schriftzug, der als ein leuchtend blauer Lichtkegel auf den Umriss eines großen Stadions fiel und damit ihre Europe Stadium Tour ankündigte. Das andere in klaren, goldfarbenen Lettern gehalten, wies ebenfalls auf ein Großereignis ‚Für immer 30 Jahre Live‘ hin und zeigte dabei die vier markanten Köpfe dieser Band, damals und heute, stilistisch in einer Art Stencil, einer sogenannten Schablonenkunst, illustriert.

Ehe ich mich versah, befand ich mich schon wieder inmitten der Planung meiner nächsten beiden Konzertbesuche, verlegt aus 2020 ins Jahr 2022.

Einen Bandauftritt einfach in der näheren Umgebung zu besuchen, war mir mittlerweile zu profan. Ich suchte den Kick zwischen den Gigs und hatte mir auch für dieses Doppel-Event wieder zeitlich einiges vorgenommen.

Zunächst führte mich das erste Ticket, mit Zwischenstopp bei Freunden in Kirchlinteln, nach Hamburg. Anschließend ging’s am übernächsten Tag retour nach Hause, um von dort noch am ­Ankunftstag direkt für ein paar Tage weiter nach Woudsend in Friesland – Niederlande zu fahren. Dorthin hatte mich meine Freundin Anne eingeladen. Sie lebt, gemeinsam mit ihrem Mann Reiner, überwiegend auf dem eigenen Schiff und freute sich nun auf meinen Besuch. Darauf folgend ging es mit meinem zweiten Ticket ab nach München.

Ich steckte zu der Zeit in der heißen Phase meines Buchprojektes, der Abgabetermin für mein Manuskript war bereits in Sichtweite gerückt und es gab noch so unendlich viel zu erledigen. Immer wieder überlegte ich, wie ich das mit Hamburg machen sollte. Die Gegend um das Volksparkstadion war mir unbekannt, ich wusste nicht, wo man da parken kann, geschweige denn pennen sollte. Doch wozu hat man so unglaublich unkomplizierte Freunde wie Ela und ihren Mann Ingo? Die beiden sind echt ’ne Wucht. Wir lernten uns seinerzeit beim Wacken Open Air kennen. 2019 hatte ich ihnen Tickets für das nun anstehende Konzert in Hamburg mitbestellt. Spontan wie die beiden sind, luden sie mich prompt wieder zur Übernachtung ein. Also nix wie in den Landkreis Verden, rinn in die Gemeinde Kirchlinteln und dort weiter zu den beiden ins verträumte Örtchen Groß Sehlingen!

Elas Mann hatte gekocht und genussvoll schlemmten wir uns im gemütlichen Haus der beiden durch den Abend. Gesprächsstoff gab es nach der langen Zeit unseres Wiedersehens mehr als reichlich und Essen ebenso. Wie es sich für echte Metalheads gehört, durften zu allem auch die richtige Mucke, ein gepflegtes Bier und ein leckeres Verdauungsschnäpschen nicht fehlen. Also goss uns Ingo einen Absacker ein. Der Eigenname dieses Getränks: ­‚Beerdiger‘ ließ mich direkt schwarzsehen und so sah der Schnaps auch aus. Sein selbstgemixtes, auf Grundlage von Wodka, Türkisch Pfeffer und ein paar Salzlakritz-Bonschers ­basierende Feuerwasser schmeckte höllisch gut und hatte es in sich! Die Nacht wurde kurz, der Schlaf tief.

Am nächsten Tag starteten wir um die Mittagszeit gen Hamburg. Ich frohlockte, mich einfach zu den beiden ins Auto ­setzen zu können, um nicht selbst zum Volksparkstadion düsen zu müssen. Für Ingo war die Strecke Routine. Seine Arbeitsstätte in Hamburg bot uns sogar einen Parkplatz. Besser gings nicht. Auto ­abgestellt, noch lecker was beim Chinamann auf die Gabel, ab in die Stadtbahn und zack, waren wir am Ort des Geschehens! Okay… nicht ganz… wir mussten am Hamburger Hauptbahnhof umsteigen und wollten dort noch auf einen weiteren Wacken-Freund treffen. Leif, so sein Name, kam aus einer anderen Richtung und saß bereits in der Bahn. Zielsicher standen wir am Bahnsteig und glaubten nun, auf seinen ankommenden Zug zu treffen. Ein Pärchen, das ebenfalls zum Volksparkstadion wollte, fragte uns, in welche Richtung sie einsteigen müssten. Ohne nochmal groß zu überlegen, rieten wir ihnen, direkt hier den einfahrenden Zug zu nehmen. Fatal! Fatal! Erst als unser Kumpel nicht ausstieg, beziehungsweise nicht auftauchte und wir mehrfach telefonisch bei ihm rückfragen mussten, fiel es uns wie Schuppen von den Augen, dass wir an der völlig falschen Stelle des Bahnhofs standen und somit nun auch das fremde Pärchen völlig fehlgeleitet hatten! Ich selbst blickte in diesen Momenten irgendwie gar nicht mehr durch und verließ mich vertrauensvoll auf meine Freunde. Ende gut – alles gut! Gemeinsam mit Leif schafften wir dann doch noch unsere Richtung zum bevorstehenden und höchst explosiven Event.

Keine geringere Band als Rammstein wartete auch auf uns, an diesem Abend, im Hamburger Volksparkstadion. Schon auf dem Weg dorthin war mächtig viel los. Von unserer Haltestelle aus liefen wir noch gut und gerne eine halbe Stunde Richtung Eingang. Unsere personalisierten Tickets wurden am Einlass tatsächlich mit Ausweis geprüft und für gut befunden. Bevor es nun für uns ­hinein ging, musste erstmal ein Gruppenfoto her. Nach ein paar gekonnten Versuchen waren wir im Kasten und stiefelten nun entspannt die steilen Stufen Richtung Innenraum hinunter. Der imposante Bühnenaufbau stand noch regungslos und erwartungsvoll da. Auch der direkt an die Bühne angrenzende Bereich, die Feuerzone, gähnte noch lässig und wartete auf ihre Ultra Rammstein-Fans, die hier nur mit den entsprechenden Tickets hineinkamen und denen dann später, direkt unter der Feuerwalze, mächtig eingeheizt werden sollte.

Der Innenraum füllte sich zunächst schleppend und bot noch jede Menge Platz. Wir standen ziemlich weit hinten, klönten und holten ein nächstes Bierchen. Mit dem Getränke einfüllen hatten die es hier nicht so. Man musste tatsächlich aufpassen, nicht nur Schaum in seinen Becher hineinzubekommen. Doch auf Drängen hin bekam man auch das, für was man teuer bezahlt hatte, das Bier.

Ein paar Tage zuvor hatte ich noch mit einer anderen Wacken-­Freundin gesprochen. Auch sie wollte zu Rammstein. Ehe ich mich versah, stand sie plötzlich vor mir. Mensch, hatten auch wir uns lange nicht gesehen, 2019 das letzte Mal. Diana fiel mir so um den Hals, dass unser Bier aus den Bechern schwappte. Das teure Gesöff klatschte auf den Boden. Doch egal! Es war so irre. Auch sie stand mit einigen Wacken-Freunden zusammen, die mich ebenso kannten. Ich sah in strahlende Gesichter! Wenn Heavy-Metal-Fans aufeinandertreffen und sich bei ihrem Wiedersehen glücklich in die Arme fallen, gibt es immer ein herrliches ­Gejohle und Gefreue. So nun auch bei uns hier in der Runde. Unser Konzert­abend begann mit einem wahren Freudentaumel.

Doch bevor unsere Begeisterung auch mit Rammstein weiterging, lauschten unsere Ohren den beiden Französinnen, die auf der Bühne als Vorband und Klavier-Duo ganz besondere Töne hervorzauberten. Sie hatten es sich auf die Tasten geschrieben, Rammstein-Klassiker, wie zum Beispiel »Sonne«, mit ihren Klaviertönen zu interpretieren. Viele, die hier umherstanden, waren nicht wirklich von dieser Darbietung begeistert. Ich allerdings fand diese Variante der Rammstein-Musik echt gelungen und hörenswert. Es wurde drubbeliger, enger um uns herum. Fix sauste ich noch auf eine dieser mobilen Kunststofftoiletten. Zurück Richtung Innenraum, wusste ich schon nicht mehr, wo die anderen standen, so voll war es mittlerweile nun hier. Doch unser Freund Leif, der ungefähr so groß und stämmig wie ein Leuchtturm ist, ragte aus der Menschenmasse hervor. Mein Glück, ich hatte ihn sofort entdeckt und so alle wiedergefunden!

Jetzt war ich kurz davor, Rammstein, nach Luzern und Hannover, ein drittes Mal live zu sehen. Andächtig stand ich da, vernahm dieses Intro zur Musik von Georg Friedrich Händel, »Music for the Royal Fireworks«, schaute gebannt zur Bühne, dann weiter durch die Ränge, hinauf zu den Sitzplätzen. Plötzlich ein lauter, explosionsartiger Knall. Eine erste Feuerwalze erhob sich. Dichter, dunkler Nebel stieg von der Bühne empor und bahnte sich den Weg in epischer Breite durch die Öffnung des Stadiondachs, ­hinauf in Richtung des sommerlichen Wolkenbandes, direkt in den blauen Hamburger Himmel hinein. Nun war sie auch hier gekommen, die Zeit für das neue Rammstein-Album »Zeit«. Mit »Armee der Tristen«, dem ersten Track aus diesem Album, legten die Fireworker der ‚Neuen Deutschen Härte‘, wie ihr Genre oft bezeichnet wird, los. Nichts hielt sie jetzt mehr, die Bühne erwachte aus ihrem Dämmerschlaf und zeigte sich nun als leuchtstarker Kraftprotz in imposanter Größe. Gefühlt hielt sich niemand der hier stehenden Fans an die vorherigen Informationen, man möge die Handys ausschalten. Die handlichen Wunderwerke der Technik wurden stattdessen mannigfach in die Luft gerissen, jeder wollte Erster sein, um diesen Augenblick des Intros, gefolgt vom ersten Song nicht zu verpassen, sondern ihn als digitales Andenken für die Ewigkeit festzuhalten.

Ich war stattdessen enttäuscht! Nicht vom Gesehenen oder Geschehenen vor mir und um mich herum. Mich betrübte die Akustik kolossal! Es tat weh, was sich da als vermeintlicher Klang auf dem Weg in meine Ohren breitmachen wollte. Vielleicht war ich auch einfach nur durch gute Klänge vergangener Rammstein-Konzerte verwöhnt worden. Doch so nach und nach meinten auch andere Fans, was da an Sound ankäme, wäre krass und unhörbar. Auch die weiteren Songs »Zick Zack« und »Links 2-3-4« ­ließen an Akustik zu wünschen übrig. Für mich war jetzt der Punkt gekommen, an dem ich mich leider für den Rest des Konzertes von meinen Freunden hier hinten am Ende des Innenraums verabschieden musste. Immer noch verstand ich kaum ein Wort des Gesangs da vorne auf der Bühne. Ich stand für einen glasklaren Livesound in einem schwierigen akustischen Umfeld dieses Stadions. Wieder beschlich mich dieses Gefühl, dass solche Stadien doch eher für den Fußball und nicht für musikalische Megaevents konzipiert wurden. Das hochkomplexe Zusammenspiel zwischen Misch-Technik, Raum, Akustik hin zu den Zuhörern schien auch hier leider keine perfekte Performance bieten zu können. Ich bahnte mir den Weg zielstrebig weiter nach vorne, bis ich ­endlich am Wellenbrecher zur Feuerzone angekommen war. Wieder einmal hatte ich mich in meiner Person der Else Somebodys und meiner Körpergröße, vergleichbar einer Parkuhr, freundlich durch die Massen getankt. Ich stand in einem Schlupfloch mit bester Sicht auf das nun bereits gewaltig lodernde Pyrotechnik-Szenario dieser gigantischen Bühne. Nun hieß es auch für mich: Mein Herz brennt! Der Sound hier vorne war um Längen besser als im hinteren Bereich!

Wer Rammstein kennt, weiß, dass deren exzentrisch bizarren Bühnenshows mit überzeichneten Szenen wie leibhaftige Regie wirken, die wohl in diesem Ausmaß so von keiner weiteren Band geboten wird. Was da an Pyrotechnik in die Luft geht, verdunkelt den Himmel, wie hier in Hamburg. Der Feinstaub, der bei einer Rammstein-Tournee freigesetzt wird, übertrifft vermutlich das Gesamtvolumen einer Silvesternacht. Doch mit diesen Überlegungen sollte man nicht zu einem ihrer Konzerte gehen. Ich tue es auf jeden Fall nicht. Ich ließ mich auch dieses Mal wieder, im wahrsten Sinne des Wortes, anfeuern und beeindrucken. Erneut fesselte mich der Song »Puppe«. Als ich ihn zum ersten Mal hörte, zündete er sofort bei mir. Mich packte dieser Text, der mir den schockierenden, traumatischen Inhalt einer dem Wahnsinn nahen Geschichte des kleinen Jungen spiegelte, der nun hier auf der Bühne vor dem überdimensionalen Kinderwagen stand. Auch bei diesem Rammstein-Auftritt würde diese Säuglingskutsche bald in ihrer gewaltigen Dimension und mit ihrer monsterähnlichen, darin hinein projizierten Puppe, lodernd in Flammen aufgehen. Till Lindemann, der Frontmann mit dem beispiellos rollenden ‚R‘ in seiner Aussprache, verkörperte auch hier wieder trotz seiner Stiefel, groß wie Kindersärge, dieses traumatisierte, daumen­lutschende und kurz vor dem Herzinfarkt stehende, hilflose und wütende Kind so, als wäre er selbst dieser kleine Junge. Was eine unglaubliche, mitreißend theatralische Inszenierung! Auch hier im Volksparkstadion fühlte ich gebannt hinein in diese Geschichte und Lindemanns Baritonstimme entfachte nicht nur bei diesem Song wieder, in der Tat, höllische Flammkraft!

Mich fasziniert jedes Mal diese andersgeartete künstlerische Eigenheit der Person Till Lindemann. Unglück und Schwermut, Gedanken, Gedichte, lyrische Geschichten, erlebt, gelebt, aufgeschrieben, verdaut und als monumentale Werke hervorgebracht. Der aus meiner Sicht immer suchende, umtriebige und höchst talentierte Mitbegründer und provokante Rammstein-Frontmann ist und bleibt für mich der Mensch mit den vielen Gesichtern. Er ist es, der oft das Wort ‚Liebe‘ in seine musikalischen Werke aufnimmt und mal gesagt haben soll: »Rammsteins Musik verlangt deutsche Texte« – hier hörte ich sie nun, die deutschen Texte, die mir abermals höllisch unter die Haut gingen …

Explosiv und gigantisch, schleuderte hier in Hamburg dabei die atemberaubende Pyrotechnik ihre Feuerwalzen in die Luft. Ein flammendes Inferno der Extraklasse heizte besonders den Fans in der Feuerzone mächtig ein. Ich stand direkt dahinter, beobachtete mit Genuss die ausverkaufte, extravagante Europe Stadium Tour 2022, auf die nicht nur ich gute zwei Jahre warten musste. Mein Herz für die Musik fing trotz der anfänglich schlechten Soundqualität wieder Feuer und verfing sich in den lodernden Flammen meines dritten Rammstein-Konzertbesuchs!

Auf Regen folgt Sonnenschein

***

In meinem Fall war es umgedreht. Nach jeder Menge Feuer folgte jede Menge Wasser!

Oder anders ausgedrückt: Nach meinem Tanz auf dem Rammstein-Vulkan ging es zunächst zu meiner Freundin Anne aufs Schiff. Auch hier im Hafen wurde gefeiert. Die Wâldseiner Wykein (Woudsender Wochen) boten an diesem Juniwochenende wieder jede Menge Unterhaltung. Wir hatten unseren Logenplatz an Bord und konnten von dort direkt zur Bühne der verschiedenen Bands schauen. Das Schiff von Anne und Reiner hatte einen so grandiosen Liegeplatz, dass auch die Akustik einfach perfekt war. Nach vier fantastischen Tagen an Bord ging es auf direktem Weg wieder zurück.

In meiner Wohnung angekommen, schnappte ich mir kurzdrauf mein zweites Ticket und ab gings damit direkt weiter, in die ­Bayerische Metropole München, zur Deutschen Hip-Hop-Band Die Fantastischen Vier!

Mein Gepäck hatte ich bereits abfahrtbereit in meiner Wohnung geparkt. So konnte ich meine fliegenden Ortswechsel ohne Probleme und ganz locker angehen. Der Weiße Riese würde schon alles wieder sauber bekommen, was ich dann hinterher zu waschen hätte.

Schon immer war es mein Herzenswunsch, diese ­dauerfröhlichen Jungs mal in voller Aktion, live auf der Bühne zu erleben. Ich wollte bei ihrem Ritt »Für immer 30 Jahre Live« dabei sein. Der ­Discounter ALDI bot die Tickets an. So hatte ich mit ihnen gleich zwei Premieren: Zum ersten Mal dabei und zum ersten Mal bei ALDI Konzerttickets gekauft. Wie verrückt war das jetzt? Die gegen­sätzliche musikalische Stilrichtung zu Rammstein toppte dieses Erlebnis umso mehr. Die Musik der vier Hip-Hopper begleitete mich bereits viele Jahre. Manche ihrer Songs fand ich klasse, andere ihrer Hip-Rap-Ohrwürmer aus ihrer Hitfabrik nicht so sehr. Dennoch, was da jetzt angekündigt wurde, stimmte mich enorm fröhlich und ließ mich voller Erwartung gut drauf sein. ­Natürlich gefiel mir auch die Kulisse, der Königsplatz in München. Diesen kannte ich bereits von meinem Konzertbesuch zu David Gilmour. Jetzt war ich sehr auf die originellen Lyrics der Vier, dieser Stuttgarter Band, gespannt.

München ist immer eine Reise wert. Unser verlängertes Konzert-Wochenende, das ich nun mit meinem Freund Marcus genoss, zeigte sich von der allerbesten Seite. Bayerischer Sonnenschein, ohne Ende. Die Fantas traten an zwei Tagen auf. Die heiße, schwüle Metropole brodelte. In der Innenstadt war Remmi­demmi, auf Schloss Elmau tagte der G7-Gipfel. Neben den unzähligen Touristenströmen aus aller Welt, hörten wir zudem an jeder Ecke das martialische Geräusch dicker Presslufthämmer und Baulärm ohne Ende. Viele Gebäude auf der Kaufinger Straße, eine der ältesten und wohl bekanntesten Einkaufsstraßen Münchens, schienen großflächig saniert zu werden. Nix wie raus hier! Uns zog es direkt nach hinten, in den urigen Arkadengarten im Innenhof des Stammhauses der Brauerei ‚Zum Augustiner‘ oder in den ­Englischen Garten, hinein in die dortigen lauschigen Biergärten. Hier fühlte ich mich wohl. Hier schien alles noch so, wie damals …

Dann, am Freitagmorgen, kam mir der Blitzgedanke, doch mal eben auf die Tickets zu schauen. Ich war mir sicher, unsere Eintrittskarten trugen das Datum für den Samstag. Kreiiiiischhhhh! Scheiße! Scheiße! Glück gehabt! Das wäre es noch gewesen. Pustekuchen! Auf unseren Tickets stand nicht der Samstag, sondern das Datum für Freitag, den 24.06.2022. Ups! Das ist ja dann doch heute, sagte ich etwas erschrocken zu meinem Freund, und genau an dem Tag waren unwetterartige Regenschauer mit Starkregen angekündigt.

Ich weiß nicht, wieso überhaupt, doch beim Packen meiner Klamotten für München warf ich noch fix ein paar dieser kleinen Wacken-Tüten in die Tasche. Wusste in der Eile selbst nicht, sind es nun Regencapes oder nur die schwarzen Müllsäcke, die man bis dato bei jedem Wacken Festival erhielt. Im Gepäck waren auf jeden Fall nun reichlich davon. Bei der Wetterprognose mussten wir sofort handeln, uns blieben nur noch ein paar Stunden bis zum Konzert. Vorsorglich falteten wir nun ein Päckchen nach dem anderen auseinander. Das Öffnen erinnerte mich etwas an die Lose dieser Lotterie-Verkäufer auf der Kaufinger Straße. Schon damals, 1974, standen sie dort und jedes Mal hoffte man auf einen Gewinn. Wir hatten nun unsere eigenen Lose für das bevor­stehende Wetter hier liegen. Jedes Teil war eine Wundertüte! Och nö … eine Niete, der Griff enthüllte einen der besagten Müllsäcke und gleich darauffolgend der begeisternde Ausruf: Ahhhh … ein erster Hauptgewinn, ein echtes Wacken-Regencape. So ging es noch ein paar Mal weiter. Alle Tütchen waren ausgepackt. Nun hatten wir genügend Einweg-Plastikmaterial vor uns liegen und hätten damit, ganz im Stil von Christo und Jeanne-Claude, aus unseren beiden Körpern ansatzweise auch spektakuläre Verhüllungs­objekte gestalten können. Nur für die Füße musste noch eine Lösung her! Ich hatte zwar, wie immer, meine dicken Botten mit, doch Marcus war komplett auf ‚Summer in the City‘ eingestellt. Seine sommerlich-bequemen, leichten Leder­schuhe würden vermutlich den angekündigten Monsunregen nicht überstehen. Also ab in den nächsten Schuhladen. Regenschuhe kaufen wollte er aber nicht. Wir schnappten uns stattdessen eine XXL-Dose Imprägnierspray der Extraklasse. Damit konnten wir nun auch unsere Zelte imprägnieren, die wir aber sowieso nicht dabeihatten. Wieder retour im Hotelzimmer, machte ich mich sofort ans Werk. Unsere Outdoorjacken mit Kleiderbügeln im vierten Stock ans Fenster zum Hof gehängt, unsere Schuhe auf die außenliegende Fensterbank gestellt und mit den Schnürsenkeln an der kleinen Fensterreling gesichert, ging es auch schon los. Marcus zog es lieber vor, sich für ein vermutlich letztes Bier vor dem angekündigten wettertechnischen Weltuntergang in den Gastronomiebereich des Hotels zurückzuziehen. Ich allerdings, zog mir lieber einen Mund- und Nasenschutz über und wappnete mich notwendigerweise mit der XXL Spraydose. Das Fenster weit ­geöffnet, sprühte ich wie ein Weltmeister drauf los und kam mir wenige Sekunden später schon vor, als stünde ich in der Spritzkabine einer Autolackiererei. In mehreren Schichten arbeitete ich mich auf dem Material unserer Jacken und Schuhe vor. Erstaunt, wie viel in dieser Dose drin war, schnappte ich mir auch gleich noch unsere Jeanshosen. Eine dicke, ätzend riechende Nebel­wolke aus der Dose hervortretender Chemikalien verdunkelte gefühlt nun so langsam den Himmel vor unserem Zimmer und fiel auf den angrenzenden Innenhof des Hotels nieder. Ich hoffte inständig, die unten sitzenden Gäste würden nicht Alarm schlagen und mir ein städtisches Giftmobil oder direkt den Kampfmittelräumdienst auf den Hals hetzen. Nach ein paar Minuten war XXL komplett leergesprüht und ich bekam fast Schnappatmung in unserem Zimmer. Nix wie raus hier, dachte ich, runter zu Marcus. Hier angekommen, bescherte mir die sofort eingeleitete Druckbetankung eines Kaltgetränks nach wenigen Minuten wieder freien Atem.

Wir fühlten uns safe, konnten wahrscheinlich nun auch mit unseren dauerimprägnierten Klamotten tauchen gehen. Kaum aus dem Hotel raus, fing es bereits in Höhe des Karlsplatz, dem bekannten ‚Stachus‘, an zu plästern. Dicke Regentropfen taten sich zusammen und trommelten nun beherzt auf uns nieder. Wir waren mutig, zogen nicht direkt unsere Plastikhauben über. Ein paar Minuten später lachte die Sonne wieder, doch die bedrohlichen dunklen Regenwolken wichen ihr nicht von der Seite. ­Relativ trocken erreichten wir den Königsplatz. Wir wuschelten uns durchs Chaos der Straßensperren hindurch, tauchten ab in die Menschen­schlange der Fanta 4-Fans und waren schneller im Innenbereich des Königsplatzes als vermutet. Unsere Stehplatz­tickets der Preiskategorie 3 ließen uns nur bis zur Mitte vordringen, doch das war ganz okay. Seitlich zur Bühne fanden wir ­direkt am Traversen­absperrbereich ein gutes Plätzchen. Der Vorteil, durch den großen freien Bereich zum nächsten Abschnitt hatte ich niemanden direkt vor mir stehen, konnte mich wie sonst in der 1. Reihe, sogar am Absperrgitter, anlehnen.

Der aus Bremen stammende Soul-Künstler Flo Mega rockte gerade noch die Bühne und kurze Zeit später hechtete auch schon der Reggae-Musiker Gentleman mit seinem Auftritt ins Bühnenbild und stimmte die Fans auf Fanta 4 ein. Die Stimmung war prächtig, um uns herum nette Leute. Nur der Himmel hielt sich bedeckt und schickte uns fette Grüße in Form von Gewitterwolken.

Dann begannen Die Fantastischen Vier ihr spektakuläres Jubiläums­­programm. Die ersten nun hörbaren Zeilen des Songs »MFG« perfekt für diesen feierlichen Anlass angepasst, der ­Bühnenvorhang in kräftigem Rot, mit Konterfei der einzelnen Bandmitglieder, nach und nach heruntergelassen. Die Fans waren in diesem Moment schon nicht mehr zu halten. Der Boden des altehrwürdigen Königsplatzes schien zu vibrieren, die Spannung stieg! Wir erlebten in diesen Sekunden hier genau die gleiche Situation wie einige Jahre zuvor an dieser Stelle, bei einem anderen Künstler: Der Himmel öffnete seine Schleusen und es goss in Strömen. Jetzt kamen unsere Wundertüten zum Einsatz! In Nullkommanix waren wir verpackt und der Regen saß uns mächtig im Nacken. Den Fans und uns war es egal, was da oben am Himmel passierte! Mit Tausenden sprangen wir in die Luft, feierten die glorreichen Stuttgarter und sangen euphorisch in ausgelassener Stimmung mit ihnen den Intro-Song: »MFG – Mit freundlichen Grüßen«. Wie Bindfäden peitschte der Regen auf uns nieder und auf der Bühne bildeten sich mittlerweile Wasserpfützen. Nun ­begann es auch noch zu grollen und ein Gewitter nahte. Wir bangten mit der Band, dass eventuell ein Konzertabbruch folgte, doch der Donner verzog sich wieder, der Regen blieb und peitschte weiter, volle Kanone in Richtung Bühne! Diese stand wettertechnisch absolut ungünstig. Der Regen kam weiterhin von hinten und wir hatten ihn nur im Rücken, die Jungs auf der Bühne voll im Gesicht. In Windeseile wurde alles an Elektronik und Technik abgedeckt. Die Instrumente wurden in dicke Planen verpackt, selbst das Keyboard war nun eingemummt wie im dicksten Winter, was auch sicherlich den Mastermind And. Ypsilon bei diesem fetzigen Wasserspektakel an diesem Abend einigermaßen beruhigt haben sollte. Die Olympischen Hip-Hop-Spiele hier in München konnten weitergehen, die Atmosphäre war phänomenal, alle trotzten dem Dauerregen über Stunden! Die Band haute, nass wie die Katzen, einen Hit nach dem nächsten raus. Die Stimmung hier auf dem Königsplatz war völlig außer Rand und Band und das »Für immer 30 Jahre Live«-Konzert riss mich mit! Es war einfach zu geil für diese Welt!

Ob »Dicker Pulli«, »Was geht«, »Krieger« oder auch »Sie ist weg«, es war ein Wahnsinns Spektakel, das hier abging! Mittlerweile stand der Regen wie eine Wassersäule vor der Bühne. Man hätte glauben können, das Wasser würde, wie an einem Filmset, extra von oben herab gekippt. Doch dem war wirklich nicht so. Die Energie, die diese wohl erfolgreichste deutsche Rap-Band an diesem Abend mit ihren Songs für uns Fans freisetzte, war einfach atemberaubend. Die Dämmerung brach herein. Irgendwann stand Thomas D. mit nacktem Oberkörper auf der Bühne, fetzte durch die großen Wasserpfützen und rief uns zu: Ihr habt echt Härte bewiesen! Die Fantastischen Vier setzten sich mit ihren Liedern »Troy« und »Zusammen« an diesem Abend ein eigenes Denkmal auf dem berühmten Königsplatz.

Ich war zutiefst beeindruckt, dachte: Vielen Dank für alles, für all die Jahre und dieses für mich so bewegende, fantastische Konzert hier in München! Ich bleib euch treu, meine »Fantis«!

Etliche unglaubliche Konzerte flogen in all den vielen ­Jahren schon an mir vorbei. Die Kombination meines Feuerwasser-­Erlebnisses, Rammstein und Die Fantastischen Vier, zählt dabei zu einem meiner außergewöhnlichsten Großereignisse!

Wie alles begann … (ab 1970)

Meine Liebe zur Musik geht bis in meine jüngste Kindheit zurück. Musikalisch eher unbegabt, fließt dennoch irgendetwas durch meine Venen, dass man durchaus Musik im Blut nennen ­könnte. Kaum den Windeln entsprungen und auf eigenen Beinen stehend, zappelte ich bereits als Kleinkind durch unsere Wohnung, sobald ich musikalische Töne hörte, so den Erzählungen meiner Verwandten nach. Wieso das so war, vermag ich gar nicht zu ­sagen, schlichtweg – ich weiß es nicht. Doch vermutlich hing es damit zusammen, dass in unserer Familie immer gerne gefeiert wurde. Dabei war es egal, ob das nun zu Karneval, zu Weihnachten oder an Geburtstagen war. Bei uns war gerne Remmidemmi in der Bude, also lautes, buntes Treiben und großer Trubel, wenn die Verwandtschaft und Bekanntschaft zu Besuch kamen. Oma liebte zum Beispiel die karnevalistischen Rosenmontagsumzüge, deren Übertragung wir dann bei uns zuhause, anfangs noch in Schwarz-Weiß, im deutschen Fernsehen verfolgten.

Wenn an solchen närrischen Tagen dann der Kölner Künstler Jupp Schmitz seine berühmten Lieder »Wer soll das Bezahlen«, »Es ist noch Suppe da« oder »Am Aschermittwoch ist alles vorbei« zum Besten gab, lief Oma immer zur Höchstform auf! Da wurde mitgesungen und geschunkelt, alle waren lustig drauf, hatten Papp­hütchen aufm Kopp und die Wangen bunt angemalt. So feierte man bei uns zuhause Karneval. Nach ein paar Gläschen Sekt und dem Ende des fröhlichen Spektakels in der Flimmerkiste, legte Oma sich meistens ein Stündchen aufs Ohr. Ab und zu vermisste sie dann nach dem Mittagsschlaf ihre Zahnprothese, die sie vor ihrem Nickerchen herausgenommen hatte. Mein ­Bruder und ich suchten dann eifrig die ganze Bude nach Omas Zähnen ab und häufig fanden wir sie oben in einer Ecke auf unserem Wohnzimmerschrank wieder. Die Dinger dann anzupacken, war für uns zwar eine etwas eklige Angelegenheit, doch was tut man nicht alles für seine Oma und so riefen wir ihr immer freudig zu: Oma, hier sind ’se.

Bei den meisten Feiern jedoch verblieben die Zähne im Mund, da wurde bei Songs der 50er / 60er Jahre getanzt, gelacht, gefeiert und das bis in den frühen Morgen hinein. Wir Kinder mussten ­natürlich zeitig ins Bett, doch die Musik übertrug sich zu uns ins Zimmer. Somit kam es nicht selten vor, dass ich mit Songs wie: »Nimm mich mit Kapitän auf die Reise«, »So ein Tag, so wunderschön wie heute« oder »Zwei kleine Italiener« dann irgendwann einschlief.

Es gibt unzählige dieser für mich schönen Erinnerungen. Drei besondere Geschichten, die mich so ab 1970 sehr prägten, finden nun hier einen Platz in meinem Buch:

Tante Ruths Musiktruhe (Erinnerung 1)

***

Wenn ich wieder einmal ein Wochenende bei meiner Tante Ruth in Dortmund verbringen durfte, saß ich immer mit wachsender Begeisterung und stundenlang vor ihrer Musiktruhe im Wohnzimmer.

Diese modernen Errungenschaften, die ihre Anfänge im damaligen Wirtschaftswunderland Deutschland nahmen, waren meist sehr wuchtige Kästen auf stelzenartigen Beinen, die neben dem Fernsehgerät den Ausdruck von Aufschwung und Wohlstand vermittelten. Meistens waren sie mit einem Radio und einem Platten­spieler ausgestattet und hinter einer großen Klappe verbarg sich das beleuchtete Schallplattenfach, das mich magisch anzog. Klingen­de Musikscheiben durften auf keinen Fall in der damaligen Zeit in einem gut ausgestatteten Wohnzimmer fehlen!

Tante Ruth ließ mich stöbern und so drehte ich ihre Schall­plattensammlung nicht nur einmal von links nach rechts. Ich ­durfte sogar selbst auflegen – das war so unglaublich und fantastisch für mich! Mit Eifer und Begeisterung legte ich dann jedes Mal los, ging jedoch sehr behutsam mit diesen schwarzen Vinyl-Scheiben und ihren eingepressten Endlosrillen um. Ich konnte mir damals die Technik nicht vorstellen, wie in eine solche Scheibe, in eine solche Rille, Musik hineinkam und anschließend auf dem Platten­spieler wieder hinaus.

Besonders das Erlernen, diese musikalischen Wunderwerke dann zunächst mit meinen kleinen Händen aus der Hülle zu ziehen, sie dann sorgsam auf den Plattenteller zu heben und den Plattenspielerarm mit der sehr empfindlichen Nadel (dem Tonabnehmer) genau zu positionieren, um die schwarzglänzenden Lackscheiben nicht zu verkratzen, all das war für mich als ‚Mini-DJ‘ eine absolute Herausforderung, die mir enorme Konzentration abverlangte.

Einen Song, den ich in der Sammlung fand und ständig auflegte, war die Single »Venus« von der in Den Haag gegründeten Band Shocking Blue. Als die Scheibe 1969 auf den Markt kam, zählte ich gerade mal neun Lenzen. Dieses Lied hatte es mir echt angetan. Ich liebte die Gitarren-Riffs des Stücks, wobei ich damals natürlich noch nicht wusste, was der Begriff Gitarren-Riff eigentlich aussagt.

Einfach ausgedrückt ist ein Gitarren-Riff so gesehen eine kurze, rhythmische, sich wiederholende Melodie, die dem Song dadurch einen gewissen Wiedererkennungswert gibt.

Jahre nach meiner Entdeckung bei Tante Ruth recherchierte ich, wer die Mitglieder dieser Band waren. Ich mochte diese auf mich sehr charismatisch wirkende Stimme der Sängerin ­Mariska Veres. Diese höchst attraktive Erscheinung wurde irgendwie ein bisschen Vorbild für mich. Ihre wunderschönen langen Haare und ihr Outfit begeisterten mich, dann später als Teenager, zur Nachahmung.

Nach diesen zarten Anfängen und Begegnungen mit den klingenden Scheiben und dem späteren Kauf meiner ersten eigenen Langspielplatte »Parallel Lines« der Band Blondie, wuchs so allmählich meine Leidenschaft für die Musik im Allgemeinen und im Besonderen …

Die Faszination, Musik zu hören und zu spüren, packte mich immer mehr. Für mich tat sich damit eine Welt der ungeahnten Möglichkeiten auf und Jahre später erkannte ich dann: Music was my first love.

Stippvisite (Erinnerung 2)

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Auch ich bekam im Laufe der Zeit einen eigenen, ersten Kassettenrecorder.

Meine ältere Schwester hatte schon längst einen und wohnte nicht mehr in unserem Elternhaus. Sie war zu Oma und Opa ge­zogen, hatte sich dort einen eigenen kleinen Rückzugsraum auf dem Dachboden eingerichtet. Hier konnte sie ungestört allein sein.

Sie war schon erwachsen, fuhr ein eigenes Auto und mit ihrer Freundin nach Paris in den Urlaub. Bei uns zuhause kamen dann Grußkarten von ihr an, auf denen stand: Wollt ihr eure Tochter retten, schickt ihr Geld und Zigaretten.

Sie hörte total andere Musik als ich. Bei ihr waren die Rolling ­Stones und Patti Smith angesagt. Sie lebte damals schon so frei, wie ich immer leben wollte. Wenn sie unterwegs war, nutzte ich die Gelegenheit, ihre Dachbude unter die Lupe zu nehmen, immer dann, wenn ich bei Oma und Opa schlafen durfte.

Ich war so verdammt neugierig, in ihren Klamotten rumzu­stöbern. Ich suchte nach Freiheit und Abenteuer.

Leise schlich ich mich auf den Dachboden hinauf, Oma durfte auf keinen Fall etwas davon mitbekommen. Das wiederum war gar nicht so einfach, denn unsere Großeltern lebten in einem alten Fachwerkhaus auf einem Bauernhof. Der Dachboden hatte an manchen Stellen lockere Dielen und ich musste tunlichst darauf achten, nicht genau auf diese losen Bretter zu treten, sonst wäre ich vermutlich durch die Zimmerdecke gefallen und bei Oma in der Küche gelandet.

Mein Herz schlug mir jedes Mal bis zum Hals, wenn ich es endlich geschafft hatte, unbeobachtet in die Dachstube meiner Schwester zu gelangen. Hier sah es irgendwie spannend aus. Überall hingen Poster an den Wänden, ihre Klamotten lagen zerstreut auf dem Bett herum, ebenso Zeitschriften, Ton­bänder, ­Kippen und jede Menge Bücher auf Hockern und Nachtschränkchen. Es war eine winzig kleine Behausung, provisorisch her­gerichtet, die keinen Stromanschluss besaß und abends mit einer Petroleumlampe beleuchtet werden musste. Doch es war ihr eigenes Reich! Davon war ich noch weit entfernt. Ich musste mir zuhause noch das ­Zimmer mit unserem Bruder teilen.

Ich begann zu stöbern. Blätterte durch die verschiedenen Zeitschriften, die hier herumlagen, nahm das ganze Zimmer akribisch in Augenschein. In einer Schublade fand ich eine Schachtel mit auffällig kleinen Tabletten. Ich wusste bis dahin nur durch die Aufklärungsberichte der Jugendzeitschrift BRAVO, für welches Einsatzgebiet man diese Dinger nutzte und dass sie Antibabypillen, oder die Pille, genannt wurden. In echt sah ich sie nun zum ersten Mal. Ich nahm die Folie mit den winzigen, nicht mal Erbsengroßen Tabletten in die Hand, wunderte mich, wie diese niedlichen Dinger das Kinderkriegen verhindern sollten. Irgendwann nimmst du die bestimmt auch mal, stellte ich mir vor, legte sie zurück und schloss die Schublade. Mein Blick hing nun an diesem Kassettenrekorder, der auf einem kleinen Tisch des Zimmers stand. Gebannt klickte ich die Starttaste der batteriebetriebenen Musikmaschine, lauschte aufmerksam, was die eingelegte Tonbandkassette an Liedern hervorbrachte. Ein Ohr ganz nah am Lautsprecher und das andere Ohr Richtung Omas Wohnung - ich hoffte inständig, dass sie nicht plötzlich rief: »Konni wo bist du«?

Die kleine Maschine lief an, das Tonband surrte und ich ­empfing den gewaltigen und bombastischen Sound des Songs »Sex ­Machine« von James Brown. WOW! Ich flippte vor Freude aus, diesen Song bei ihr zu hören, musste mir den Titel unbedingt merken! Der heiße Rhythmus beschleunigte meinen Puls in Sekundenschnelle! In den Jahren danach tanzte ich mir bei diesem Song in meiner Stammdisko unzählige Male mein Herz aus der Seele.

Immer wieder lauschte ich zwischendurch hinunter in Omas Wohnung, spulte die Musikkassette dabei schnell ein Stück weiter. Ich musste diese kostbare Zeit nutzen, um dem Tonband noch mehr Sound zu entlocken! Ich stoppte das Vorspulen und landete in einer weiteren Dimension der Musik: Bei meinem Absprung auf der Tonspule war ich nun bei Arthur Brown und seinem legendären Song »Fire« gelandet! Die Oktaven, die mir da entgegenflogen, entfachten ein wahres Feuerwerk in meinem Herzen! Das war irre, schräge Rockmusik, die ich sofort liebte! Dieser Song war eine Klasse für sich!

Später entdeckte ich Arthur Brown dann auf einem ganz anderen Album, und zwar auf dem 1976 erschienenen Debütalbum »Tales of Mystery and Imagination« der Band The Alan Parsons Project.

Noch einmal ließ ich meinen Finger fliegen, um das Band voranzutreiben. Ich hatte nun bestimmt schon gute 20 Minuten hier oben in Schwesters Dachbude verbracht, irgendwann würde Oma mich vermissen. Das Band surrte weiter – Stopp – Start – noch immer hörte ich die Orgel und die stimmgewaltigen Schreie »Fire« des Arthur Browns – also weiter, noch ein kurzes Stück – Stopp – Start –, doch was war das jetzt für ein Song, der mir nun zu Ohren kam? Ich erschrak etwas. War es vielleicht gar kein Song, sondern wohlmöglich die Stimme meiner Schwester? Ich war eh schon so aufgeregt, weil ich hier oben herumstöberte und nun auch noch dieses Stöhnen, das hier auf dem Tonband zu hören war. Irgendwie tat ich doch etwas Verbotenes, indem ich im privaten Reich meiner Schwester eingedrungen war. Mein schlechtes Gewissen saß mir im Nacken.

Doch meine Neugierde war einfach zu groß, als dass ich jetzt damit aufhören sollte. Ich lauschte weiter, was ich da hörte und dann, plötzlich, war ich erleichtert. Die sehr luststöhnende Stimme, die ich hörte, war nicht die meiner Schwester. Es waren die unmissverständlichen, erotischen Töne des Songs »Je T’aime«, die mir nun die Schamröte ins Gesicht trieben und das, ohne im Grunde genommen genau zu wissen, was denn da nun überhaupt gesungen wurde. Hui – mein Kopfkino wühlte sofort wieder in meiner Jugendzeitschrift bei so mancher Textzeile von Dr. Sommer herum und an manchen Stellen meines Körpers pulsierte mein Blut stärker als gewöhnlich. Mir wurde es nun im wahrsten Sinne des Wortes echt zu heiß hier!

Rasch spulte ich bis James Brown zurück und schaltete den ­Recorder aus. Schaute, ob ich alle Spuren beseitigt hatte und ­verließ in ­Windeseile die heimlich eingenommene Dachbude meiner Schwester. So leise es eben ging passierte ich die alten, teils wackligen und knarrenden Holzdielen und kam emotional aufgewühlt wieder in Omas Wohnung an. Sie arbeitete draußen im Garten und hatte überhaupt nicht mitbekommen, dass ich einige Zeit auf musikalischer Entdeckungsreise war …

Es kam eine ‚Lange Dürre‘ (Erinnerung 3)

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Ein weiteres bleibendes ‚Musik-Erlebnis‘ war das mit meiner langjährigen Freundin …

Sie war schlank, gut 20 cm größer und zudem 4 Jahre älter als ich. Mein Vater sah es nicht so gerne, dass ich ständig mit ihr zusammenhing. Holte sie mich ab, sagte er oft spöttisch zu mir: »Da kommt deine lange Dürre« …

Sie kannte sich in so vielen Dingen des Lebens schon weit besser aus als ich zu der damaligen Zeit. Und das nicht nur in der Musik­welt … Was ich mir als Teenager an Lesestoff zu Lebenserfahrungen über meine BRAVO reinsaugte, hatte sie teilweise schon in die Praxis umgesetzt!

Sie war die Tochter einer Gastwirtsfamilie. Die Kneipe ihrer ­Eltern befand sich direkt gegenüber unserem Haus. Ich ging mittler­weile bei ihnen ein und aus. Wir waren ständig ‚auf Jück‘, sprich ständig gemeinsam unterwegs. Wenn mittags endlich Schulschluss war, stratzte ich fix nach Hause. Die Hausaufgaben notdürftig ins Heft geklatscht – Schule war Nebensache – und sofort ließ ich unsere Haustür hinter mir ins Schloss fallen, lief über die Straße, hin zu ihr. Meine Freundin war für mich weitaus erwachsener als ich selbst. Sie wirkte in ihrer Art bereits sehr erfahren auf mich und ihr Wissen im Umgang mit Jungs war für mich 1000-mal interessanter als Schule. Wir verbrachten fast jeden Tag und das viele Jahre miteinander. Ständig hatten wir neue Flausen im Kopf.

An den Schankraum der Kneipe ihrer Eltern grenzte die große ­Küche. Ihr schloss sich einige Stufen höher ein kleines Wohn­zimmer an. Sie musste öfter in der Küche mithelfen. Ihre ­Mutter war aus meiner Erinnerung häufig sehr streng zu ihr. Lieber ­wären wir Mädels ständig draußen unseren eigenen Weg gegangen, doch die Gastwirtstochter musste auf Abruf mithelfen, wenn mal wieder viel zu tun war und irgendwelche Kneipengäste ein ­Schnitzel mit Pommes haben wollten. Also hockten wir dadurch oft in diesem Mini-Wohnraum oberhalb der Küche, machten uns was vor und durften meistens nur leise Musik hören.

Mit gespitzten Ohren hörten wir dann gerne die Songs: »Beautiful Sunday« – »Dreams are Ten a Penny« – »Buddy Joe« – »Mammy Blue« – »It’s Never Rains in Southern California« oder das Instrumentalstück »Popcorn« der amerikanischen Synthesizer-Band Hot Butter.

Obwohl die niederländische Band Golden Earring durch ihren Song »Radar Love« bekannt war, fuhr ich immer voll auf ihren Song »Buddy Joe« ab. Ich liebte diese Jungs in ihren hautengen Shirts und ihre geilen Gitarren! Am liebsten hätte ich mich in jeden einzelnen von ihnen verknallt! Alle sahen für mich nur süß und sexy aus. Sie wirkten so locker, rockten jede Bühne und waren absolut angesagt!

Aktuelle Musik war ständig unser Thema. Immer wieder stießen wir auf neue Songs und feierten sie, so oft es ging, wenn wir draußen waren, unterwegs mit unseren Freunden. Doch manchmal ging es eben nicht, so wie an diesem Tag, als meine Freundin mal wieder nicht raus durfte. Wir hingen also abermals in diesem kleinen Wohnzimmer ab, hatten keinen Bock auf nichts. Zur Gastwirtsfamilie gehörte auch ein kleiner Hund. Der sah vom Fell her so ähnlich aus wie der aus der TV-Serie »Die kleinen Strolche«, nur der Kringel ums Auge fehlte. Auch er hing an diesem Tag im Zimmer ab. Wir hockten mit ihm auf der Couch und langweilten uns. Plötzlich kam uns die (aus heutiger Sicht unverzeihliche) Idee, doch einfach mal den Versuch zu starten, den Haushund mit Martini betrunken zu machen.

Wir erschlichen uns eine Flasche weißen Martini, füllten die (für einen kleinen Hund) hochprozentige und reichliche Mischung in seinen Wassernapf, der in der Ecke des Raumes stand, und ­rundeten den Hundedrink mit einer Handvoll Eiswürfel ab. Da der Kleine ein ziemlich verfressener Vierbeiner war, dauerte es auch nicht lange, bis er an den Napf ging. Er schnupperte, probierte vorsichtig unseren gut gemixten Cocktail und fing dann an, sich über den Topf herzumachen. Zwischendurch schaute er immer zu uns rüber, als wollte er uns fragen, was habt ihr mir denn da Leckeres in meinen Pott gekippt. Es machte ihm sichtlich Spaß, nicht nur den köst­lichen Aperitif zu genießen, sondern auch jeden einzelnen Eiswürfel mit seinen Zähnen zu zerkleinern. Heimlich hatten auch wir uns einen Schluck aus dieser Flasche gegönnt und lachten uns nun über den lustigen Vierbeiner kringelig. Das jedoch nur leise ­kichernd, denn die Mutter meiner Freundin unten in der Küche durfte auf gar keinen Fall etwas von unserem Unfug mitbekommen.

Mittlerweile war der Napf um einiges leerer und der Hund augenscheinlich etwas voller. Er legte sich in eine Ecke. Nach einiger Zeit stand er plötzlich überrascht auf, steuerte dann mit seinen kurzen Beinen zielstrebig und wankend den schmalen Treppenstufen Richtung Kneipenküche entgegen. Wir wollten ihn noch irgendwie schnappen und vor seinem Vorhaben bewahren, doch – Rabumms! Er hatte es leider nicht mehr geschafft, sich auf den Beinen zu halten und purzelte nun unkontrolliert die Stufen hinunter. Dabei quiekte er und gab Töne von sich, die so noch keiner von ihm gehört hatte.

Unten angekommen, schüttelte er sich und schaukelte benommen durch die Küche, der Mutter meiner Freundin entgegen. Sie schrie uns mit großen entsetzten Augen an: ‚Was habt ihr Gören mit dem Hund gemacht?‘ Gott sei Dank hatte er sich nichts gebrochen! Wir taten völlig unschuldig, machten einen auf ahnungslos – doch wir hatten echt Scheiße gebaut und das hatte direkte Folgen: Ich musste sofort gehen und meine Freundin bekam eine Woche Stubenarrest. An dieser Stelle möchte ich darum bitten, dass dieser unverzeihliche Teenagerstreich bitte keinen Anlass zur Nachahmung bieten soll! Wir waren damals einfach viel zu verrückt in unseren jungen Köpfen, um zu erkennen, dass dieser ­Jugendstreich ein absolutes No-Go war!

Oft nutzen wir auch sehr gerne die Gelegenheit und schlichen uns in den großen Gesellschaftsraum, der sich neben der ­Kneipe ­befand. Hier stand ein Klavier. Es war das Objekt unserer Begierde. Wir wollten den zu dieser Zeit gerade in den Charts vertretenen Song von Juliane Werding, »Am Tag als Conny Kramer starb«, nachspielen und singen. Der Song wurde erstmals 1972 veröffent­licht und mittlerweile millionenfach verkauft. Beide litten wir förmlich mit Juliane, wenn sie uns durch den Song die Geschichte des drogentoten Freundes erzählte. Immer wieder versuchten wir die Klaviertasten in die richtige Tonlage zu bringen, immer wieder versuchten wir den Text so authentisch als eben möglich nachzusingen. Wir litten, klimperten, sangen und trauerten … Doch die Gastwirtseltern hingegen hatten für unseren Herzschmerz so gar kein Verständnis. Nicht selten wurden wir aus dem Saal vertrieben, denn die Gäste nebenan in der Kneipe wollten in Ruhe Skat spielen, oder die mit Würfeln gefüllten alten Lederbecher herzhaft auf die Theke kloppen, um zu knobeln und dabei gepflegt ihr nächstes Bierchen trinken. Mit unserem Jammergesang und schrägem Geklimper auf dem Klavier würden wir nur die zahlenden Gäste vergraulen!

Irgendwann bekam meine Freundin zum Geburtstag einen tragbaren Plattenspieler geschenkt. Dieser sah aus wie eine stylische Hartschalen-Kunststoff-Handtasche in Knall-Orange! Durch einen Schulterriemen gehalten, konnte man ihn tatsächlich wie eine Handtasche umhängen. Von oben schob man die Single in einen Schlitz, die Vinylscheibe rastete durch ein lautes Klacken ein und schon ertönte aus dem vorderen, eingebauten Lautsprecher der Sound unserer Zeit. Diesem konnten wir durch einen Drehknopf die nötige Lautstärke verpassen. Betrieben wurde diese Hightech-Musikmaschine mittels Batterien. Ohne Frage, dieses Teil war natürlich das Nonplusultra für uns!

Stolz wie Oskar, so zogen wir ab da durch die Gegend. Ich schleppte das Klappalbum mit den Singles drin und meine Freundin ­hatte ihren Plattenspieler um die Schulter gehängt. Mit dem für die 70er Jahre durchaus bombastischen Sound und der entsprechenden Lautstärke fielen wir jetzt überall auf. Wir hatten etwas, wovon andere nur träumen konnten. Überall, wo wir auftauchten, war uns Bewunderung sicher – ab jetzt waren wir die Stars auf der Straße! Der Kasten dudelte bis zur Erschöpfung. Wir hatten alles an ­Musik dabei! Ob »Yellow River« von Christie, ­»Spirit in the Sky« von Norman Greenbaum, »Gamma Ray« von Birth Control oder auch »Schön ist es, auf der Welt zu sein« von Roy Black, unsere Welt war ab nun knallorange und laut!

Nichts und niemand konnte uns nun noch aufhalten. Unsere Musik war schon damals unser Leben, und das Schlimmste, was uns passieren konnte, war, dass wir keine Ersatzbatterien dabei hatten …

Die Zeit mit meiner damaligen Freundin war für mich spannend und voller Abenteuer. Wir machten so ziemlich alles, was Gott verboten hatte, lebten in unserer eigenen kleinen, bunten Welt. Je länger wir gemeinsam an Jahren als beste Freundinnen durch die Zeit zogen, ließen wir uns immer weniger vorschreiben, was wir tun oder lassen sollten, gingen einfach unseren Weg. Wir kosteten gemeinsam an den ersten süßen Früchten der Männlichkeit, zogen durch Diskotheken, lernten unseren Körper, neue Leute und immer wieder neue Musik kennen. Wir wurden flügge und langsam immer reifer. Eines Tages verloren wir uns aus den Augen. Ihre Eltern gaben ihr Kneipenleben dran, sie zog mit ihnen weg. Jeder von uns ging nun seinen eigenen Weg. Leider haben wir uns ab da immer seltener und irgendwann gar nicht mehr getroffen.

Heute denke ich oftmals, das Schöne an unserer Freundschaft war, dass wir beide nicht wussten, wie lang sie bestehen würde – wir haben sie einfach grenzenlos genossen …

Werner – Das Rennen – Trilogie (1988/2018/2019)

Na klar kannte auch ich die Werner-Comics.

Obwohl ich damals noch kein Motorrad fuhr, so begeisterten mich schon immer schnelle Maschinen und alles, was mit Motorsport zu tun hatte. Einige aus meiner Clique ‚Freunde fürs Leben‘, unter anderem Karsten und Uwe, konnten es gar nicht erwarten, 1988 zu diesem legendären Rennen nach Hartenholm zu fahren. Sie hatten sich mit vier weiteren Leuten in einem geländegängigen IHC Scout in der langen Version auf den Weg gemacht. Ihre Fahrt zum Rennen planten sie akribisch im Detail. So hatte das Fahrzeug eine riesige Ladefläche und zusätzlich eine Doppelkabine, in der acht Personen Platz fanden. Sie wollten nicht im Zelt schlafen, bauten stattdessen die Ladefläche als Schlafplatz um. Dazu schweißten sie eine LKW-Plane nach Maß und fertigten ein Holzgestell. So mussten sie die Plane für die Nacht nur über das Gestell ziehen und ihr Schlafplatz war perfekt. Ich wäre gerne sofort mitgefahren. Doch das Leben spielt, wie es spielt – für mich war die Zeit für dieses Megaevent noch nicht reif.

Im legendären Jahr steuerte ich stattdessen wagemutig, Wochenende für Wochenende, unseren tiefergelegten Ford Escort XR3i über die rasanten Strecken des nationalen Slalom Motorsports. Musiktechnisch balancierte ich noch immer eher auf dem Level der Schlager- und Popmusik. Hörte Johnny Hates Jazz, ­Terence Trent D’Arby, Rick Astley, Billy Ocean, die Pet Shop Boys oder war auch durchaus auf Plattenrillen der Münchner Freiheit unterwegs. Das Thema Werner-Rennen hingegen blieb für mich damals zwar irrsinnig spannend, jedoch als Liveact unerreicht.

Dann, 16 Jahre später, hätte ich eine zweite Chance nutzen können. Doch auch diese Gelegenheit, beim Event ‚WERNER – DAS RENNEN 2004‘ live in Brandenburg / Lausitz dabei zu sein, ließ ich verstreichen.

Es musste wohl Bestimmung sein, dass ich dann 2018 mit dem 30-jährigen Jubiläum des legendären Rennens eine dritte Möglichkeit erhielt! Das Rennen sollte, wie bereits 1988, wieder auf dem Flugplatzgelände in Hartenholm starten. Als der beinharte Trailer am 12.05.2017 im YouTube-Kanal erschien, um die Neuauflage des kultigsten Rennens anzukündigen, ließ ich es für mich kesseln – jetzt oder nie mehr, musste ich nach Hartenholm!

Direkt schnappte ich eine der heißbegehrten ‚Blitzbucher ­Kaaten‘. Diese waren auf 10.000 Stück limitiert und mit Hologramm versehen. Camping, Parken und dazu noch ein kostenloses ­Werner-Rennen T-Shirt, alles für 149,- € inclusive.

Freie Bahn für Marzipan – Flashback ins Jahr 1988

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Verkehrschaos durch ‚Bröselrennen‘, B206 als Fußgängerzone herabgestuft – zwischen Bad Segeberg und Bad Bramstedt geht nix mehr, über 200.000 Menschen und nur 600 Toiletten …

Das waren nur einige Schlagzeilen aus dem Jahr 1988, als sich die beiden Protagonisten Schleswig-Holsteins zu ihrem sensationellen Duell trafen. Aus einer verrückten Wette heraus, die 1983 im Kieler Hinterhof des Clubs 68 geboren wurde, entstand das legendäre und bis dahin noch nie dagewesene ‚Werner-Rennen‘ – Das Rennen: 02.-04.09.1988.

Als meine Freunde von dort zurückkamen, berichteten sie Unglaubliches!

Doch bevor dieses Rennen in die Geschichte eingehen sollte, hieß es erstmal: Wenn schon, denn schon! Rötger Werner Friedrich Wilhelm Feldmann, kurz Brösel, und Holger Henze, genannt Holgi wollten es damals wissen – wer würde schneller sein? Der »Red Porsche« oder der »Red-Porsche-Killer«? Auf den Sieger wartete der Gesamtgewinn in Form von 100 Kisten Bier, wie man lesen konnte. Der Verlierer musste sich auf das Schlimmste vorbereiten, den Schmähturm! Zur Strafe sollte sich mit Hilfe dieser Eigenkonstruktion literweise ‚Katzenscheiße‘ im hohen Bogen über den Verlierer ergießen.

Die Berichte, die man im Fernsehen verfolgen konnte, waren gleichermaßen unfassbar.

Der schon damals ‚Größte Knaller seit Ben Hur‘ ließ die Region Schleswig-Holstein erschüttern! Die Gerüchte, dass das Rennen kommt, verbreiteten sich wie ein Lauffeuer. Alle wollten Brösel und Holgi live sehen. Wie Heuschrecken fielen mehr als 200.000 Fans über Hartenholm und Hasenmoor ein. Bereits im Elbtunnel bildete sich eine gigantische Blechlawine und die Fans feierten. Der Begriff ‚Idylle‘ wurde für den doch so beschaulichen Landstrich hier oben im Hohen Norden, spätestens ab der Ausfahrt Hartenholm tatsächlich zum Fremdwort.

Es herrschte absoluter Ausnahmezustand. Nix ging mehr! Jeder Zentimeter der Region um und auf dem Flugplatzgelände Hartenholm wurde zur Festung der Fans. Auf eine solche Invasion waren weder die Veranstalter noch die Gemeinden oder die Bewohner vorbereitet. Ob mit oder ohne Eintrittskarte, die Fans wollten nur eines, nämlich hautnah dabei sein, wenn Brösel und Holgi ihr Duell fuhren!

Die Fahrt meiner Freunde in das Chaos-Wochenende nahm ihren ganz verrückten Lauf:

Richtung Hamburg Höhe Hartenholm gerieten sie in diesen Megastau. Kumpel Karsten, spontan wie er immer war, kam nach einer halben Stunde Stillstand auf der Autobahn auf die glorreiche Idee: Wir grillen! Kurzerhand machten die beiden die große Heckklappe auf, Karsten stellte den Grill auf die Ladefläche und Uwe setzte sich wartend ans Steuer. Kaum hatte Karsten den Grill angeworfen und reichlich Würstchen für die sechs Personen aufgelegt, löste sich der Stau plötzlich auf! Die Polizei leitete nun alle Fahrzeuge von der Autobahn hinunter, an Hartenholm vorbei und auf der anderen Seite wieder auf. Doch wer jetzt glaubt, dass Karsten bei dem ganzen Prozedere alles wieder eingepackt ­hätten, irrt. Er hat während der gesamten Umleitungsfahrt weiterhin hinten auf der Ladefläche in aller Seelenruhe die Würstchen auf dem glutheißen Holzkohlegrill fertig gebraten.

Und weiter ging es mit ihnen im wilden Staugetümmel. Nachdem alle von der Polizei auf der Gegenstrecke wieder auf die Autobahn Richtung Hartenholm hinaufgeleitet wurden, sind sie bis zur nächsten Abfahrt gefahren. Hier, kurz vor der Ausfahrt ­Hartenholm, rollten sie dann erstmal locker auf den Stand­streifen aus, nutzten ab hier die Geländegängigkeit ihres IHC Scouts! ­Kurzerhand hauten sie den zuschaltbaren Allradantrieb rein. Doch ihr Wagen hatte grundsätzlich Heckantrieb mit einer sogenannten Freilaufachse. Das hieß nun, sie mussten erst vorne an der Radnabe einen Drillschalter für die Antriebswelle setzen, konnten dann innen im Auto einen Schalter betätigen, der von Heck- auf Allradantrieb switchte. Jetzt hatten sie auch genügend Vorderradantrieb für ihre wilde Crossfahrt, schossen nun wie im besten Werner-­Comic querfeldein vom Standstreifen direkt ins Gelände und rauschten mit ihren vier angetriebenen Rädern los. Ab gings, durch eine Hecke! Mit dieser völlig durchgeknallten Querfeldeinfahrt standen meine ‚Freunde fürs Leben‘ nun mit ihrem geländegängigen Geschoss direkt, ohne es zu wissen, auf dem weitläufigen Festivalgelände! Ihr Glück, dass sie vorher auf dem Standstreifen doch noch den nun ausgekühlten Grill verstaut hatten.

Insgesamt ging unter anderem an diesem Wochenende die gigantische Menge von 450.000 Liter Bier, 20 Tonnen Pommes, 400.000 Bratwürstchen und 600.000 (Koch-)Würstchen mit 2,5 Tonnen Mayonnaise weg!

(Quelle: Daten – Fakten - Sensationen, Buch WERNER – Das Rennen / Semmel-Verlach)

Meine Kumpels waren nach diesem wahnwitzigen Wochenende geschafft. Karsten, der leider 2022 verstarb, schilderte mir damals noch so faszinierend: Wir waren fix und fertig. Es wäre von der Anreise und den Menschenmassen her vergleichbar mit dem Woodstock Festival gewesen und man könne nicht wirklich alles in Worte fassen, was dort damals abging, ohne es selbst erlebt zu haben! Nichts wäre mehr vor den Fans sicher gewesen, doch Spaß hätten alle ohne Ende gehabt! Soweit das Auge reichte, waren Werner-Fans zu sehen! Selbst die Zuschauertribüne wäre als solche fast nicht mehr wahrnehmbar gewesen, sie hätte eher wie ein lebendiges Kunstwerk ausgesehen. An jedem Millimeter der Tribünenkonstruktion hätten Menschen geklebt, um die beste Aussicht auf das Rennen zu bekommen.

An den Tankstellen gab es nicht einen Tropfen Benzin mehr, schilderte Uwe mit seinen Worten: Die örtliche Tankstelle lag trocken und im Umkreis von gut 10 km sah es nicht anders aus. Doch sie hätten mal wieder Glück gehabt! Einer ihrer Campingnachbarn erbarmte sich und fuhr gleich zweimal mit einem 20 Liter-Benzinkanister los. Er nahm die vielen Kilometer auf sich und sorgte somit dafür, dass sie wieder Sprit bekamen.

Immerhin besaß ihr IHC Scout einen 80 Litertank und war sowas von durstig. Der Motor des IHC, Baujahr 1970, blubberte mit seinen gut 6 l Hubraum zwar schön, doch zog sich der dicke Durstige auf 100 km gute 22 Liter Benzin rein. Ohne den Einsatz des Campingnachbarn wären die beiden damals nie mehr da weggekommen und bei den heutigen Spritpreisen vermutlich auch nicht …