Immer funktionieren funktioniert halt nicht - Judith Brückmann - E-Book
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Immer funktionieren funktioniert halt nicht E-Book

Judith Brückmann

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Beschreibung

Alles zu viel? Was uns im Alltag fertigmacht. Und was uns hilft. Wir kennen es alle: Neben den kleinen und großen Prüfungen des Alltags schaukeln wir Ehe, Kinder, Karriere und Leidenschaften – und um die nächste Ecke wartet sie schon: die Überforderung. Wir sind ständig erreichbar, für die Bedürfnisse unserer Mitmenschen, aber auch für die eigenen Ansprüche und Erwartungen. Da hilft es kaum, nur mal ein paar Stunden das Handy auszuschalten. Gerade, wenn alles zu viel wird, ist es wichtig, die Muster und Glaubenssätze zu erkennen, die uns unbewusst durchs Leben lenken, und uns selbst, unsere eigenen Wünsche und Bedürfnisse, im Blick zu behalten. Denn selbst, wenn alles organisiert ist, merken wir, dass wir uns das doch eigentlich mal ganz anders vorgestellt hatten. Immer funktionieren funktioniert nicht – und funktionieren allein macht uns nicht glücklich. Judith Brückmann und Cord Neubersch sind Coach und Psychotherapeut – und außerdem Geschwister. Anhand von Geschichten aus der Praxis und persönlichen Anekdoten zeigen sie uns, wie man aus der Überforderung raus- und wieder bei sich und seinen Wünschen und Bedürfnissen ankommt.

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Seitenzahl: 461

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Judith Brückmann / Cord Neubersch

Immer funktionieren funktioniert halt nicht

Über die alltägliche Überforderung und die Kunst, bei sich zu bleibenCoach und Psychotherapeut erzählen aus der Praxis

Kurzübersicht

Buch lesen

Titelseite

Inhaltsverzeichnis

Über Judith Brückmann / Cord Neubersch

Über dieses Buch

Impressum

Hinweise zur Darstellung dieses E-Books

Inhaltsverzeichnis

Widmung

Vorwort

Über uns

Wie hilft mir dieses Buch? Oder: authentische Einblicke in Psychotherapie UND Coaching

Stress vs. Überforderung. Oder: warum nicht die anderen schuld sind

Warum ist es eigentlich so schwer, bei sich zu bleiben?

Teil Eins: Die Herausforderungen

Was macht uns fertig?

Stetige Präsenz UND Kommunikation

Perfektions- und Leistungsdruck

Beziehungsidealismus

Die Mindset-Macht

Teil Zwei: Die Auswirkungen

Wir verlieren uns selbst aus den Augen

Wir haben Probleme mit den anderen

Teil Drei: Was uns wirklich hilft

Der Blick zu sich

Eine Selbsteinschätzung und kleine Orientierung (Selbstcheck)

Nachwort

Danksagung

Die Werte-Tabelle. Was ist Ihnen wirklich wichtig?

Inhaltsverzeichnis

Für unsere Mutter.

Die immer für uns da war, aber viel zu wenig für sich.

Wir hoffen, du bist es jetzt.

Wir lieben dich.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Wie ging’s Ihnen heute beim Aufstehen? Haben Sie sich auf den nächsten spannenden Tag vom Rest Ihres Lebens gefreut? Oder waren Sie direkt im Gedankenkarussell gefangen, das Sie täglich begleitet und Sie immer wieder daran erinnert, was in Ihrem Leben gerade nicht gut läuft oder was besser sein könnte? So geht es vielen von uns. Wir funktionieren, aber wir sind nicht zufrieden, geschweige denn glücklich. Eigentlich sind wir morgens schon müde, bevor der Tag überhaupt angefangen hat. Alles fühlt sich schwer an, trist und trostlos. Wir stecken in unserem Leben fest und kommen nicht von der Stelle, obwohl es jeden Tag mit Höchstgeschwindigkeit an uns vorbeirauscht. Ohne zu fragen, was wir eigentlich wollen. Und trotzdem machen wir einfach immer weiter. Bis irgendwann irgendwas vor die Wand fährt: die Beziehung, der Job, die Gesundheit. Dann ist sie da, die Überforderung, und wir wissen nicht mehr weiter. Unser Leben macht uns fertig und wir fragen uns, warum eigentlich? Wir verlassen das Hamsterrad, um zu schauen, wie wir darin gelandet sind und wo wir stattdessen hinwollen. Ohne Rad, aber mit einem Plan. Der zum Ziel hat, dort anzukommen, wo wir eigentlich oder ursprünglich hinwollten.

An diesem Punkt kommen wir ins Spiel. Als Psychotherapeut und Coach begegnen uns jeden Tag Menschen, die in ihrem Alltag und ihrem Leben wie gefangen scheinen. Manche sind so gestresst, dass sie wirklich nur so durch die Tage hetzen und sich irgendwann fragen, wo sie waren, als die letzten Jahre an ihnen vorbeigezogen sind. Andere sind vielleicht organisierter, stoßen aber dennoch an ihre Grenzen und spüren an vielen Stellen Überforderung. Das Leben verlangt uns einiges ab. Jeden Tag aufs Neue. Und mit zunehmendem Alter kommen weitere Aufgaben, z.B. Haus, Ehe, Kinder oder höhere Jobpositionen hinzu, sodass der Stapel nicht kleiner, sondern größer wird. In einer Welt, die uns in ihrem digitalen Netz gefangen hält und uns wenig Freiraum lässt, um auch mal »abzuschalten«. Wie schaffen wir es also, in einem Wust an Aufgaben und Anforderungen, die jeden Tag aufs Neue auf uns warten, uns selbst und unsere eigenen Gedanken und Bedürfnisse wahrzunehmen? Wie sollen wir entspannt wahrnehmen, was uns wichtig ist, wenn sich die Kinder morgens querstellen, das Baby schreit, der Chef bereits mehrere E-Mails geschrieben hat und wir sowieso schon spät dran sind? Wie schaffen wir es, ruhig zu bleiben, wenn wir einen großen Beziehungsstreit hinter uns haben und uns direkt danach der Nachbar im Flur trifft und dafür anmault, dass wir den Müll mal wieder nicht getrennt haben? Wie können wir uns unsere Stärken bewusst machen, wenn wir vor einem wichtigen Feedbackgespräch mit dem Chef stehen, aber die letzten zwei Jobs am gleichen Punkt gescheitert sind? Oder was machen wir, wenn wir jeden Morgen wach werden und direkt mit uns kämpfen müssen, weil wir den Tag, der da wartet, einfach nicht leiden können? Dann geht es nicht darum, das Baby ruhig zu bekommen, den Chef zu hassen, früher in den Tag zu starten, unseren Partner erst mal mit Ignoranz zu strafen, umzuziehen, die erneute Arbeitslosigkeit hinzunehmen oder das öde Leben einfach zu ertragen, sondern als Allererstes geht es darum, durchzuatmen und ganz einfach hierhinzuschauen: zu UNS. Statt sich die großen, globalen Herausforderungen wie die Weltwirtschaft, politische Wahlen oder die Klimadebatte näher anzuschauen, sollten wir den Blick erst mal auf uns selbst richten. Denn wenn uns unser eigenes Leben schon fertigmacht, können wir auch keine Kraft für die gesellschaftlichen und übergeordneten Themen aufbringen. Unsere persönliche Herausforderung liegt also in erster Linie darin, dass wir uns nicht selbst aus den Augen verlieren. Im Alltag, in unserer To-do-Liste, in unserem Perfektionsstreben oder schlicht in unseren Smartphones. In diesem Buch wollen wir sowohl die großen Herausforderungen und Ablenkungen unseres Alltags betrachten als auch die Blockaden und Bürden, die wir selbst mitbringen und die uns auf dem Weg zu Glück und Gelassenheit immer wieder im Weg stehen. Die dafür sorgen, dass wir vor lauter Problemen und Sorgen nur noch Bäume, aber keinen Wald mehr sehen. Es fällt uns in dem Moment schwer, den entscheidenden Schritt aus unserem täglichen Wust an Themen und To-dos heraus zu machen und das große Ganze – unser Leben – zu betrachten. Stattdessen machen wir weiter und weiter. Einfach so und irgendwie. Wir nehmen dieselben Herausforderungen dabei immer wieder aufs Neue in Kauf: ständige Konflikte, Trennungen, Verluste und Niederlagen. In der Hoffnung, dass das alles »mit der Zeit schon wird«. Das wird es aber nicht. Es wird nur klappen, wenn wir irgendwann aufhören zu rennen und uns einmal den Blick auf uns selbst erlauben. Es geht darum, den Fokus zu verändern, um sich selbst wahrzunehmen und für sich und das eigene Leben nachhaltig etwas zu verändern. Dieses Buch wird Ihnen dabei helfen, die Ärmel hochzukrempeln und sich selbst und das eigene Leben anzuschauen und zu hinterfragen.

Im Coaching vergleicht Judith den Prozess des Hinschauens immer gern mit dem Ausmisten des Kleiderschranks. Zunächst muss man alle Kleidungsstücke auf einen Haufen packen, um sie später zu sortieren. Somit entsteht gefühlt erst mehr Chaos, denn der Haufen Kleidung wirkt groß und unüberschaubar. Sobald man aber den Schrank neu sortiert hat, sich von alten, kaputten, hässlichen und ungenutzten Kleidern getrennt hat, fühlt man sich befreit, entspannt, fast wie neugeboren und ist stolz, dass man die Dinge (endlich) angegangen ist. Und vor allem hat man eins gewonnen: Klarheit.

Und jetzt kommt die entscheidende Frage an Sie: »Wenn das doch schon im Kleinen so guttut, warum wenden wir das nicht mal öfter bei uns selbst an und widmen diese Aufmerksamkeit der Person, mit der wir die meiste Zeit unseres Lebens verbringen: uns selbst?« Wir legen z.B. so viel Wert auf das Studium irgendeiner Wissenschaft, um danach beruflich erfolgreich zu sein. Dabei deckt dieses Streben nur einen Bereich unseres Lebens ab. Sollten wir nicht dieselbe Hingabe auch für uns selbst und die Qualität unseres gesamten Lebens aufbringen? Denn im Wissen darum, dass sich die Erde jeden Tag wieder um die Sonne dreht, vergessen wir ganz gern, dass wir irgendwann nicht mehr dabei sein werden. »Morgen ist auch noch ein Tag« ist also nur halb wahr, denn irgendwann ist die Party für uns leider vorbei. Und dann stellt sich die Frage: War es eine Party? Wurde kräftig gefeiert oder nur geackert und gestöhnt? In diesem Buch zeigen wir Ihnen den Weg (zurück) zur Party. Er ist vielleicht an manchen Stellen anstrengend, aber er lohnt sich. Denn je mehr Zeit und Fokus Sie für Ihr Selbst-Studium und Ihr eigenes Leben aufbringen, desto besser beugen Sie Dingen wie Stress, Burn-out, Depressionen, psychischen oder physischen Krankheiten vor – und ganz nebenbei heben Sie Ihre gesamte Lebensqualität auf ein ungeahnt neues Level. Sie misten Dinge aus, die Ihnen nicht guttun, die Sie vielleicht sogar herunterziehen, und schaffen Platz für neue Themen, Dinge und Personen, die wirklich Ihnen und Ihren Wünschen und Bedürfnissen entsprechen. Und eins können wir versprechen: Je besser Sie bei sich und im Kontakt mit sich sind, desto mehr wird sich Ihr Leben zu einem großen glücklichen Puzzle zusammenfügen, das am Ende das ersehnte Bild von einem erfüllten Leben ergibt. Das behaupten wir nicht einfach so, wir werden es Ihnen beweisen. Anhand von echten Praxisbeispielen aus Coaching und Psychotherapie. Wir nehmen Sie mit hinter die Kulissen, teilen unsere Expertise mit Ihnen und verraten Ihnen unsere Vorgehensweisen, um Ihnen so wichtige Erkenntnisse über sich selbst zu liefern. Ganz ohne Voodoo oder Räucherstäbchen, nur mit ganz normalem Menschenverstand. Damit Sie am Ende den besten Draht zu sich selbst haben und die beste Beziehung von allen führen: die zu sich selbst.

Inhaltsverzeichnis

Über uns

Wir sind Cord und Judith. Wir sind Kollegen und Geschwister. Wir teilen also Vergangenheit und Vision: dieselbe Familie und eine gemeinsame Ausrichtung, die zum Ziel hat, Menschen auf ihrem Weg zu begleiten. Cord ist acht Jahre älter als Judith und hatte sein Ziel, Psychotherapeut zu werden, stets vor Augen und sich davon in keinem Moment abbringen lassen. Judith hingegen hat ein paar Umwege nehmen müssen, um nun seit einigen Jahren als Life- und Businesscoach ihren beruflichen Lieblingsplatz gefunden zu haben.

Wenn wir uns und dieses Buch vorstellen wollen, müssen wir zunächst etwas weiter ausholen: Wir kommen aus einer Familie, in der immer und viel geredet wurde. Unsere Mutter war Krankenschwester und alleinerziehend mit drei Kindern. Sie hatte ein sehr großes Herz, war immer für alle da und hat stets besonderen Wert auf Austausch und Kommunikation gelegt. Und so kam es, dass wir manchmal über Stunden in unserer sehr kleinen Küche saßen und über uns und das Leben sprachen, diskutierten, stritten oder lachten. Manchmal kamen auch Freunde, Verwandte und Bekannte dazu, die sich einfach angeschlossen und unserer Mutter ihr Herz ausgeschüttet haben. Unsere Mutter hat uns vorgelebt, Menschen wahrzunehmen, sie ernst zu nehmen und ihnen einen besonderen Raum zur Offenheit zu geben. Leider lebt unsere Mutter nicht mehr und die kleine Küche gibt es auch nicht mehr, aber wir beide führen – wenn man so will – diese Küchen-Tradition in unseren Berufen und privat fort. Wir treffen uns auch weiterhin als Geschwister und sprechen über Gott, die Welt und über uns.

Irgendwann saßen wir wieder einmal abends zusammen und sprachen über unsere Jobs und die Fragen, die uns häufig gestellt werden, über wiederkehrende Beobachtungen und Situationen. Wir waren uns einig darin, dass noch viel zu wenig Aufklärung stattfindet und viel zu viele Vorurteile im Umlauf sind. Darüber hinaus kamen wir an einer Tatsache nicht vorbei, die wir bei unseren unterschiedlichen Berufen doch gemeinsam haben: die Überforderung, die all unsere Klienten teilen. Die meisten kommen zu uns, wenn das Kartenhaus schon in sich zusammengefallen oder das Kind in den Brunnen gefallen ist. Erst wenn das Problem unlösbar erscheint oder der Leidensdruck einen so fest im Griff hat, dass die Lösung selbst nicht mehr erkannt oder angegangen werden kann, kommen die Menschen zu uns und bitten uns um Unterstützung. Das ist der Moment, in dem die Überforderung bereits zugeschlagen hat und die eigenen Grenzen überschritten wurden.

Und es ist ja nicht so, als würden wir die Überforderung nicht auch aus eigener Erfahrung kennen: Unsere Mutter hatte als alleinerziehendes und stets Vollzeit arbeitendes Elternteil auch ihr Leben lang damit zu kämpfen. Leider hat sie uns neben dem Zuhören und den intensiven Gesprächen auch eine große Überforderung und Erschöpfung vorgelebt. Wir kennen also die Anzeichen und Herausforderungen sehr gut, die die Überforderung mit sich bringt. Auch wir mussten diese Dinge für uns erst selbst erkennen und bearbeiten und verwenden weiterhin Aufmerksamkeit darauf, nicht in dieses alte Muster zurückzufallen.

Überforderung hat viele Gesichter und Ausprägungen. Und im Coaching äußert sich Überforderung natürlich anders als in der Psychotherapie. Zum Coaching kommen wir, wenn uns ein differenzierter Blick von außen oder ein Überblick über die eigene Situation nicht mehr möglich ist. Wir können die Dinge nicht mehr klarsehen und damit auch keine Lösung erkennen, denn »wir stecken selbst drin«. Im Problem. Hinzu kommen Emotionen wie Ängste und Unsicherheiten, die es uns erschweren, die eigene Sachlage differenziert und objektiv zu betrachten. Wer kennt nicht das Phänomen, dass wir Freunden bei deren Problemen gute Ratschläge geben können, aber bei den eigenen Problemen oft nicht weiterwissen. Manchmal fragen wir dieselben Freunde nach Rat und erhalten eine Lösung. Manchmal beschäftigen uns aber Probleme, die uns in besonderem Maße überfordern, an unsere Grenzen bringen oder uns zu persönlich erscheinen, als dass wir sie mit den Freunden teilen oder besprechen möchten. Dann wäre der Weg zum Coach die bevorzugte Wahl. Im Coaching kann alles platziert werden, das uns belastet, aber noch keine Symptome beinhaltet. Wir sprechen dann von einem Leidensdruck, der uns ein »Weiterleben« erschwert. Wenn sich also »nur« ein Leidensdruck bemerkbar macht, melden sich die Leute bei Judith. Darunter fallen Themen wie z.B. Unsicherheiten, Selbstzweifel, Kommunikationsprobleme, Beziehungskonflikte, Verlustthemen und berufliche Themen. Ein Coaching bietet dann den geschulten Blick nach vorn, hin zur Lösung, und begleitet KlientInnen mit einer strukturierten und methodischen Vorgehensweise. Ein Coachingprozess ist insofern sehr fortschrittsorientiert und benötigt meist nur wenige Sitzungen, um für sich eine Veränderung zu erzielen und weiterzukommen.

Was passiert aber nun, wenn wir einfach weitermachen, unsere Probleme ignorieren und diese immer größer werden? Dann wächst die Belastung und damit auch der Leidensdruck, bis er einfach unerträglich wird und sich vielleicht körperlich äußert. Unser Körper schickt uns Zeichen, dass es so nicht weitergehen kann. Nehmen wir also Symptome an uns wahr – Schlafstörungen, Kopfschmerzen, innere Unruhe oder Ängste, um nur ein paar Beispiele zu nennen –, geht es zu Cord und auf die Couch. Denn sobald Symptome vorhanden sind, greift unser klassisches Gesundheitssystem und verordnet uns eine Psychotherapie. Dafür ist allerdings eine Diagnose erforderlich, die eine psychische Störung beschreibt bzw. eine konkrete psychotherapeutische Behandlung erfordert. Bei den Anfragen, die Cord erreichen, geht es z.B. um Panikattacken, Depressionen oder traumatische Erfahrungen, die einen deutlichen Einschnitt ins alltägliche Erleben bedeuten und einen Einfluss auf die Persönlichkeit haben können. Leider melden sich die KlientInnen aber meistens erst bei Cord, nachdem schon viel Wasser durch den Rhein geflossen ist. Meist werden selbst die ersten konkreten Symptome noch eine lange Zeit hingenommen und mitgeschleppt, bis noch weitere hinzugekommen oder die vorhandenen noch stärker geworden sind. Erst wenn der Leidensdruck so hoch ist, dass er nicht mehr auszuhalten ist, wird zum Hörer gegriffen. Die Psychotherapie hat dann zum Ziel, die KlientInnen bis zur Symptomfreiheit zu begleiten. Der Prozess kann im Gegensatz zum Coaching auch schon mal länger sein, weil in der Psychotherapie nicht nur »ein« Problem angegangen wird, sondern an »einer Heilung der Diagnose« gearbeitet wird, d.h., dass die KlientInnen am Ende nicht nur eine Lösung und einen guten Ausblick mit nach Hause nehmen, sondern auch symptomfrei sind und bleiben.

Inhaltsverzeichnis

Wie hilft mir dieses Buch? Oder: authentische Einblicke in Psychotherapie UND Coaching

Die Psychotherapie hat eine ziemliche Entwicklung hinter sich. Während sie noch bis vor einigen Jahren wenig Anerkennung erhalten hat und von vielen in ihrer Notwendigkeit und Wirkung hinterfragt wurde, erfährt sie heutzutage zunehmende Popularität. Eine lange Zeit, selbst mit Eintritt ins neue Jahrtausend, war es immer noch nicht salonfähig, zum Psychotherapeuten zu gehen. Schnell wurde man abgestempelt als »krank«, »gestört« oder als eine Person, die mit ihrem Leben nicht klarkommt. Dieses Bild hat sich zum Glück verändert. Was zum einen daran liegt, dass wir uns als Menschen ganzheitlicher betrachten und ein neues Bewusstsein über uns, unsere Persönlichkeit und unser Leben als Prozess entstanden ist. Zum anderen wurde die Psychotherapie als Hilfsmittel verstanden, sich selbst und sein Leben bei Bedarf zum Besseren zu wenden. Wir sind nicht nur unser Körper, sondern auch unser Verstand und unsere Psyche. Somit gehen wir mittlerweile nicht mehr nur zum Arzt, wenn wir chronische Kopfschmerzen haben, sondern hinterfragen mitunter auch unser Leben. Wir haben verstanden, dass wir komplexer sind, dass wir uns nicht auf bloße körperliche Erscheinungen runterbrechen lassen. Und nun sind wir sogar in einem Zeitalter angekommen, in dem die Psychotherapie fast schon einen festen Baustein bestimmter Lebensentwürfe bildet, die manche nicht nur als Problemlösung oder »Heilung« verstehen, sondern gern zur erkenntnisreichen Selbsterfahrung nutzen. Für andere wiederum ist sie immer noch eine lebensnotwendige Maßnahme, um überhaupt in ein lebenswertes Leben zurückzufinden.

Coaching als Sammelbegriff für verschiedene Support-Methoden in unterschiedlichen Bereichen wie z.B. im Leistungssport und in der Wirtschaft gab es zwar auch schon weit vor der Jahrtausendwende, als Form der Persönlichkeitsentwicklung und Lösungsfindung im privaten Bereich ist es aber noch relativ jung. Die wachsende Nachfrage nach neuen Möglichkeiten, sich selbst und seine Lebensweise zu hinterfragen und zu optimieren, machte diesen Quantensprung fürs Coaching überhaupt erst möglich. Trotzdem schleppt das Personal oder Life Coaching noch einige Stempel mit sich herum: von esoterischer Selbsterfahrung über exklusives Führungskräfte-Privileg bis hin zu überteuertem Selbstfindungsluxus, der momentan halt stark in Mode ist. Die Psychotherapie hat hier vielleicht einen Vorsprung aufgrund ihres Alters und ihrer tief gehenderen Wissenschaftlichkeit, wirkt dabei aber manchmal wie der alte bärtige Onkel der jungen und »hippen« Coachingbewegung.

Wir kämpfen in unseren Rollen somit an beiden Fronten weiterhin mit einigen Vorurteilen und Stigmata, die unserer konkreten Arbeit allerdings in keiner Weise gerecht werden. In diesem Buch möchten wir daher zum einen mit diesen Vorurteilen aufräumen und zum anderen aufzeigen, dass nicht nur wir miteinander verwandt sind, sondern auch unsere Jobs. Bislang treffen Psychotherapie und Coaching noch relativ selten aufeinander und auch der kollegiale Austausch wird leider noch zu sehr vernachlässigt. Wir wollen also auch das Bewusstsein dafür schärfen, dass unsere Themen häufig verzahnt sind und sich in vielerlei Punkten bedingen. Wir erhoffen uns somit, den Grundstein für eine neue Zusammenarbeit zu legen und auch unter Kollegen die Gemeinsamkeiten und Abgrenzungen transparenter zu machen. Zum Beispiel könnte vielen Menschen, die auf den Wartelisten von Psychotherapiepraxen stehen, auch im Coaching weitergeholfen werden. Dem gestressten Familienvater, der seine aktuelle Lebensausrichtung infrage stellt, könnte bereits im Coaching so weitergeholfen werden, dass er gar nicht erst im Burn-out oder in einer Depression landet und somit am Ende um eine Psychotherapie nicht herumkommt. Oder auch andersherum: Traumatisierte Patienten mit Angststörungen können nach einer erfolgreichen Psychotherapie im Coaching in einen strukturierten Alltag zurückgeführt werden und einen neuen Lebensplan aufstellen. Somit wollen wir mit diesem Buch die Schnittstellen und Abgrenzungen benennen, anhand realer Fallbeispiele, bereichert um authentische und offene Ergänzungen, die weiterbringen oder einfach nur unterhalten.

Die Überforderung ist bei allen Anliegen aber das verbindende Phänomen, das uns beide auf unterschiedliche Weisen in unserer jeweiligen Arbeit immer wieder begegnet. Das Thema Überforderung ist ohne Zweifel eines der großen Probleme unserer Gegenwart und gehört bei vielen Menschen leider bereits als kontinuierliches Grundrauschen zum Alltag. Denn wir leben mit einer Krux: Einerseits haben wir das Glück, dass wir uns grenzenlos ausleben dürfen, unsere individuellen Ziele verfolgen können und keine großen gesellschaftlichen Probleme wie einen Krieg oder einen Wiederaufbau bewältigen müssen, die uns tagtäglich heraus- und überfordern und unsere Werte und Ausrichtung im Leben bestimmen. Andererseits erschwert uns ebendiese Grenzenlosigkeit an Möglichkeiten, einen klaren Weg und ein Ziel vor Augen zu haben. Bei einem Kind, das z.B. im Krieg geboren wurde, ist das persönliche Ziel und der Weg schon vorbestimmt: Es wird vor allem überleben wollen. Somit geht es in seinem Leben in erster Linie um die Existenzsicherung und weniger um die persönliche Entfaltung. Im Vergleich dazu können wir uns auf dieser Welt austoben und alle Privilegien genießen, die uns unsere Eltern und Großeltern erarbeitet haben. Doch damit hängen wir andererseits auch »in der Luft«. Es gibt keine klaren Vorgaben, wie unser Weg zu verlaufen hat. Wir sind selbst dafür verantwortlich, unseren Platz und unsere Bestimmung für dieses eine Leben zu finden. Das allein führt schon zur Überforderung.

Oder mit anderen Worten: Wenn wir wollen, dürfen wir alles auf einmal sein und sind nicht auf einen bestimmten Kurs festgelegt. Wir können z.B. erfolgreich im Job sein, viel reisen, eine glückliche Beziehung haben, großartige Kinder heranziehen, mit Freunden und Bekannten auf der ganzen Welt jederzeit im Austausch sein, uns humanitär engagieren und noch vieles mehr. Wir dürfen also nach dem ganz großen Glück streben. Doch wie sieht das eigentlich genau aus und wie finde ich es? Um hierbei überhaupt irgendeine Art Messlatte zu haben, ist es natürlich verführerisch, nach links und rechts zu schauen. Wir vergleichen uns also mit anderen, um einen Anhaltspunkt für unseren eigenen Weg zu bekommen. Es gibt uns Aufschluss darüber, was wir wollen oder was wir nicht wollen. Es kann uns aber auch in die Irre führen und verunsichern, denn der stetige Blick zu anderen führt den Blick weg von uns selbst. Wir meinen zu wissen, was unser Weg sein müsste und was uns entspricht, aber vielleicht machen wir uns dabei was vor. Oft unbewusst. Viele Menschen folgen viele Jahre einer Vorstellung von sich und ihrem Leben, ohne zu bemerken, dass es gar nicht das ist, was sie sich wirklich wünschen oder was sie glücklich macht. Sie sind nicht bei sich. Und wenn man nun über Jahre hinweg nicht bei sich ist und bleibt, sind die Konsequenzen irgendwann leider unausweichlich: Mit der Zeit spüren wir eine Unzufriedenheit, die stetig zunimmt, ein permanentes »Druck«-Gefühl oder vielleicht auch das Gefühl, »nicht gut genug zu sein oder nicht alles zu geben« – selbst, wenn wir vermeintlich alles erreicht haben, was wir uns vorgenommen haben. Eventuell machen sich auch schon Symptome bemerkbar: Wir können nicht mehr schlafen, fühlen uns benommen oder schwindelig, spüren Ängste, ziehen uns zurück, können nicht mehr essen oder nehmen auch körperliche Schmerzen und deutliche Symptome an uns wahr, wie z.B. Migräne, Tinnitus, Rücken- oder Magenschmerzen. Spätestens dann, wenn wir unser Leben nicht mehr wie gewohnt weiterführen können, werden wir hellhörig und holen uns im besten Fall Hilfe. Das sind die Momente, in denen eine Psychotherapie oder ein Coaching interessant werden – wenn einfach alles zu viel geworden ist.

Wir möchten mit diesem Buch an dieser Stelle ansetzen bzw. am liebsten noch davor. Wir möchten unsere häufigsten Beobachtungen aus unseren Berufen teilen, den großen gemeinsamen Nenner klar benennen und zu einem authentischen Blick hinter unsere Kulissen einladen. Dabei beschreiben wir zunächst die Einflüsse und Mechanismen, die dazu führen, dass man in einer Überforderung landet und nicht mehr weiterweiß. Im ersten Teil geht es also zunächst um die Herausforderungen, die uns heutzutage häufig »in die Knie« zwingen und es uns erschweren, bei uns zu sein und zu bleiben. Angefangen mit der täglichen Herausforderung, ständig und überall erreichbar und vernetzt zu sein. Wir werden durch E-Mails, SMS, WhatsApp und soziale Medien sekündlich mit Informationen überflutet und in Dialoge verwickelt, die wir uns vielleicht selbst gerade gar nicht ausgesucht hätten. Ebenso regelmäßig sind wir auf den verschiedenen Plattformen einem konstanten Vergleich mit anderen ausgesetzt, der uns automatisch unser eigenes Leben hinterfragen lässt und uns unter Druck setzt. Damit geht es also schon los. Wir sind hier somit schon direkt gefragt, uns bewusst abzugrenzen und bei uns zu bleiben. Aber wir stehen häufig unter einem großen Perfektions- und Leistungsdruck, der in unserer Gesellschaft einen erheblichen Teil dazu beiträgt, dass wir mit falschen Erwartungen und oft nicht zu erfüllenden Ansprüchen an uns selbst durch die Welt rennen. Mit Vorbildern, die es doch auch schaffen, morgens entspannt und durchtrainiert im Chefsessel zu sitzen, nachdem sie zuvor schon Quinoa, Yoga, Meditation und die heile Familie unter einen Hut bekommen haben. Also haftet uns ein Idealismus an, den wir unbewusst im Alltag immer mitschleppen. Wir übertragen diesen Perfektionismus auf alle Lebensbereiche und wünschen uns selbstverständlich auch die perfekte Person an unserer Seite, die uns bedingungslos liebt, versteht und durch alle Höhen und Tiefen des Lebens begleitet.

All diesen Einflüssen und Vorstellungen sind wir jeden Tag ausgesetzt. Sie lenken uns ab. Vor allem von der Frage aller Fragen: Was wollen wir eigentlich? Wir müssen also andauernd filtern, welche Themen wir an uns heranlassen und verfolgen wollen und welche nicht. Die Folge: »Generationskrankheit Burn-out«. Der Punkt, an dem alles zu viel ist und wir nicht wissen, wie wir aus dieser Überforderungsspirale rauskommen und uns selbst wieder wahrnehmen können.

Sowohl im Coaching als auch in der Psychotherapie stellen wir fest, dass die offensichtlichen Herausforderungen den KlientInnen meist schon bekannt sind und auch viele bereits versuchen, dem mithilfe von Methoden wie Yoga, Meditation, Achtsamkeitstraining, Selbstfindungsreisen, Entspannungstechniken oder anderen Hilfsmitteln entgegenzusteuern. Weil es bei anderen ja auch hilft und aktuell angesagt ist. Wir merken aber vielleicht gar nicht, dass wir mit dem Versuch, auch noch diese Entspannungsformen in unserem Leben unterzubringen, in die nächste Überforderungsspirale rutschen. Wir schauen auch hier nur nach links und rechts, aber nicht zu uns. Und selbst wenn wir uns aus eigenem Antrieb eine dieser Entspannungsmethoden vornehmen, kann uns ein alter Glaubenssatz, der uns sagt, auch die Entspannung müsse perfekt sein, unsere so sehr ersehnte Yoga- oder Meditationseinheit zu einer weiteren Belastung machen. Wir möchten mit diesem Buch somit auch auf die unbewussten Mechanismen eingehen, die uns oft viel mehr im Weg stehen und uns gar nicht klar sind. Damit meinen wir unser Mindset, unsere Glaubenssätze oder anders gesagt: das Programm, mit dem wir alle individuell ausgestattet sind.

Ein Beispiel: Wenn wir aus einer Arbeiterfamilie kommen, die ihr Leben lang »hart schuften« musste, um sich grundsätzliche oder schöne Dinge überhaupt leisten zu können, werden wir diese Philosophie ggf. abgespeichert haben und das Leben als einen Kampf wahrnehmen. Es hat sich für uns also ein Glaubenssatz daraus entwickelt und sich in unser Programm eingeschlichen. Er lautet in etwa: »Du musst dir alles hart verdienen.« In dem Fall können wir Leichtigkeit für uns überhaupt nicht zulassen, denn sie entspricht ja nicht unserem Lebenskonzept bzw. ist nicht mit unserem Programm kompatibel. Damit sind wir unbewusst durch andere Werte oder alte Glaubenssätze blockiert, die eigentlich z.B. einer anderen Generation angehören und die gar nichts mit unserem eigenen aktuellen Leben zu tun haben.

So werden auch unsere eigenen Erfahrungen zu Puzzlestücken unseres »Programms«. Es landet auf unserer »Festplatte«, auf der wir alles abspeichern, was uns im Leben mitgegeben wurde und was uns selbst im Laufe der Zeit passiert. Alle Erfahrungen, Überzeugungen, Einstellungen, Ereignisse und die damit verbundenen Emotionen sind dort abgespeichert. Manche Dinge können wir ganz schnell hervorholen und für uns »abrufen«, andere liegen weit unten vergraben, an einem vergessenen Ablageort. Wenn wir nun also einfach nur so durchs Leben laufen, kommt immer mehr obendrauf, es wird immer komplizierter und immer mehr Prozesse laufen gleichzeitig ab – irgendwann kommt es zur Systemüberlastung und zum Absturz. Also macht es Sinn, zwischendurch mal die eigene Festplatte zu scannen, aufzuräumen oder wie man es früher nannte: zu defragmentieren. Sich manchmal bewusst zu machen, welche Dateien oder Programme viel Energie und Rechenleistung benötigen. Dann geht es darum, das alte System zu hinterfragen und einem Update zu unterziehen.

Auf den nächsten Seiten zeigen wir anhand von echten, allerdings anonymisierten Beispielen aus unserem Berufsalltag, wie sich unsere »Programme aufhängen« können und wie es zum Neustart oder Umdenken kommen kann. Denn die Überforderung kommt in vielen verschiedenen Arten vor: Da gibt es z.B. die Mutter und Ehefrau, die sich beim Versorgen aller anderen selbst komplett aus den Augen verloren hat, oder den erfolgreichen Geschäftsmann, der sich seine Karriere mit viel Ehrgeiz und Mühe aufgebaut hat und dann vor lauter Unzufriedenheit im Coaching zusammenbricht, weil er mit seinem emotionalen Zustand komplett überfordert ist.

Das Ganze soll aber kein Ratgeber sein, der mit einer Hand voll Regeln alle Probleme der Welt lösen will. Uns geht es eher darum, mithilfe authentischer Fälle und Situationen Impulse zu liefern und zu eigenen Denkanstößen und Erkenntnissen anzuregen, die helfen sollen, eine eigene Überforderung schneller zu erkennen und sich davor zu schützen. Und das Beste ist: Wir verraten die Lösung schon zu Beginn. Sie liegt in der Kunst, bei sich zu bleiben. Aber natürlich ist das leider leichter gesagt als getan und gerade wir verstehen das sehr gut, denn wir beobachten es jeden Tag. Aus diesem Grund lassen wir mit diesem Buch tief blicken. In unsere Ansätze, Ausrichtungen, Fälle, aber auch in unsere eigenen Gedanken und persönlichen Einstellungen. Ergänzt um wertvolle Tools aus dem Coaching, die Sie für sich mitnehmen und selbst anwenden und ausprobieren können. Und zu guter Letzt legen wir noch einen authentischen Fragebogen, wie er auch in der Psychotherapie verwendet wird, obendrauf, sodass Sie sich selbst und Ihren Grad der Überforderung besser einschätzen können. All diese Hilfsmittel ersetzen natürlich keine individuelle Begleitung, wie sie im Coaching oder der Psychotherapie vorkommt, aber sie geben Ihnen erste hilfreiche Hinweise zur eigenen Situation.

Inhaltsverzeichnis

Stress vs. Überforderung. Oder: warum nicht die anderen schuld sind

Stress kennt jeder. Er ist in unserer Gesellschaft nicht mehr wegzudenken und gehört fast schon zum guten Ton. Jeder hat Stress. Ob im Job, innerhalb der Familie, Partnerschaft oder in anderen Lebensbereichen, in denen uns zu viele Anforderungen gleichzeitig erreichen bzw. solche, die uns vor unbekannte Probleme stellen oder nach besonderen Fähigkeiten verlangen.

Stress ist eigentlich eine natürliche biochemische Reaktion in unserem Körper, die uns in erster Linie bei Gefahren schnell in Alarmbereitschaft versetzen soll. Unser Körper hat damit die großartige Fähigkeit, von jetzt auf gleich auf 100Prozent Konzentration umzuschalten und uns mithilfe von Anspannung und Adrenalin- bzw. Cortisolausschüttung zum sofortigen Handeln bereit zu machen, z.B., wenn uns ein Kind vors Auto läuft und wir direkt hellwach sind und instinktiv bremsen. Es gibt verschiedene Alarmauslöser, sogenannte Stressoren:

physische Stressoren: Lärm, Hitze, Kälte, Hunger, Reizüberflutung, Verletzungen

psychische Stressoren: Versagensängste, Überforderung, Unterforderung, Fremdbestimmung, Zeitmangel, Kontrollverlust

soziale Stressoren: Konflikte, Isolation, Mobbing, Verlust eines Menschen etc.

Das Empfinden von Stress ist dabei aber sehr individuell, weil jeder von uns eine unterschiedlich »dicke Haut« mitbringt. Wir können jedoch festhalten: Stress entsteht bei Belastung. Wie schnell und wie stark, hängt allerdings von unserer eigenen Belastbarkeit, oder in der Fachsprache Resilienz, ab. Übersteigt die Anforderung unsere Fähigkeiten und unsere Belastbarkeit, reden wir von Überforderung. Ein simples Beispiel: Wir müssen noch einkaufen, aber der Supermarkt schließt schon bald. Das löst in uns Hektik aus, aber wir wissen, dass wir der Situation gerecht werden können. Wir können direkt loslaufen und den kürzesten Weg nehmen oder wir verschieben den Einkauf auf morgen. Anders läuft es ab, wenn wir vor einer Situation stehen, die unsere Ressourcen, Leistungen oder Kapazitäten – egal, ob nur gefühlt oder tatsächlich – übersteigt. Zum Beispiel, wenn wir eine Präsentation oder Rede erstellen sollen, uns aber die nötige Vorbereitungszeit fehlt bzw. wir uns der Situation grundsätzlich nicht gewachsen fühlen, weil wir eventuell ein Problem damit haben, eine Rede zu halten, oder uns in dem zu präsentierenden Thema nicht sicher fühlen. Dann sprechen wir von Überforderung. Das passiert, wenn ein Ungleichgewicht zwischen den Anforderungen von außen und den inneren bzw. persönlichen Voraussetzungen, also Eigenschaften, Befinden, Ressourcen und Möglichkeiten, herrscht. Hervorgerufen wird das Ungleichgewicht durch eine Vielzahl von Faktoren, wie z.B. Zeitmangel und Zeitdruck, soziale Konflikte, berufliche Konflikte und Leistungsdruck oder persönliche Probleme. Insofern unterscheidet man psychische, soziale, emotionale, kognitive und intellektuelle sowie seelische und nervliche Überforderung. Es können auch mehrere Überforderungsarten gleichzeitig auftreten und sich somit überschneiden. Grundsätzlich kommt es darauf an, wo unsere persönliche Achillesferse liegt. An diesem Punkt werden wir vermutlich häufiger oder regelmäßig Überforderung erleben. Oder, um konkreter zu werden: Die Rollen und die dazugehörigen Anforderungen, die wir in unserem Alltag einnehmen und bewältigen müssen, sind für uns nicht alle gleich leicht zu meistern. Manchmal passen die Anforderungen perfekt zu den Fähigkeiten und Stärken, die wir mitbringen, dann befinden wir uns sogar in einem sogenannten »Flow«-Zustand, wo uns alles »zuzufliegen« scheint. In anderen Situationen liegen die Anforderungen unter unseren Fähigkeiten, sodass wir uns unterfordert fühlen und vielleicht mehrere Dinge gleichzeitig wahrnehmen können, z.B., wenn wir die Wohnung putzen und gleichzeitig telefonieren oder uns beim Autofahren mit dem Beifahrer unterhalten. Aber sobald die Anforderungen unsere Fähigkeiten übersteigen, geraten wir in die Überforderung.

Zudem unterscheiden wir noch die kurzfristige von der langfristigen Überforderung: Eine kurzzeitige Überforderung kann z.B. die Situation der Reizüberflutung sein. Wir sind nicht in der Lage, alle auf uns einströmenden Reize in angemessener Weise zu verarbeiten, und fühlen uns überfordert. Wir können nicht mehr klarsehen oder denken und müssen uns anstrengen, um die relevanten Inhalte zu filtern. Langfristige Überforderung entsteht, wenn wir uns in einer anhaltenden oder regelmäßig wiederkehrenden Situation befinden, die unsere Fähigkeiten stets überschreitet und uns immer wieder aufs Neue »an unsere Grenzen bringt«. Das ist häufig im Job der Fall, wenn die Erwartungen und Anforderungen sich nicht mit unseren Fähigkeiten decken und der Leistungsdruck auf längere Zeit einfach zu hoch ist. Kommt hier noch ein eigener Leistungs- und Perfektionsanspruch hinzu, kann die Überforderung gefährlich werden und z.B. in einem Burn-out enden.

Wie bereits erwähnt kann es auch zu einer mehrfachen Überforderung kommen. Das passiert, wenn uns mehrere Situationen gleichzeitig unlösbar erscheinen oder sie unsere Kapazitäten übersteigen. Stehen wir z.B. vor einer wichtigen Prüfung und im selben Moment trennt sich unser/unsere Partner/-in von uns, sind wir sowohl auf kognitiver und intellektueller als auch auf emotionaler Ebene überfordert. Die Anforderungen übersteigen unsere persönlichen Ressourcen.

Halten wir also fest: Stress kann zu Überforderung führen und Überforderung kann wiederum Stress auslösen. Sind wir häufig Stressoren ausgeliefert, kann dies irgendwann zu einem konstanten Überforderungsgefühl führen. Denn Überforderung ist ein Gefühl, das uns in die »Sackgasse« schickt und uns die Lösung für unsere Probleme häufig nicht mehr erkennen lässt.

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ICH MUSS MICH ERST MAL SELBST VERSTEHEN, UM MIR HELFEN ZU KÖNNEN.

Achtung: Hier kommt die gute Nachricht, die aber nicht immer gut ankommt: Wir sind selbst dafür verantwortlich, dass es uns gut geht.

Einer der wichtigsten Schlüssel zur Bewältigung von Stress und Überforderung ist zunächst einmal das Bewusstsein über uns selbst und damit auch das Kennen und Stärken unserer eigenen Ressourcen. Wenn wir wissen, wo unsere Grenzen liegen, können wir selbst entscheiden, ob wir selbst bis an dieses Limit gehen oder ob wir uns erst gar nicht in eine eventuell unüberwindbare Situation bringen. Zudem können wir auch entscheiden, wie weit wir andere bei uns gehen lassen. Dann sprechen wir von Abgrenzung. Sie ist ein ganz entscheidender Punkt im Coaching und in der Psychotherapie. Denn einer Überforderung geht meistens eine Anforderung oder Erwartung voraus. Diese muss nicht zwangsläufig von einer Person an uns gerichtet worden sein, sondern kann uns auch durch bestimmte Lebensumstände treffen: wenn wir z.B. ungewollt schwanger werden oder uns ein Coronavirus vor ungeahnte Herausforderungen stellt. Es liegt aber in solchen Momenten an uns, welche Einstellung wir dazu einnehmen, wie wir uns in solchen Situationen verhalten und wie wir auch mit uns und unseren Bedürfnissen umgehen.

Als die Coronakrise und der erste Lockdown kamen, war Judiths erster Gedanke: »O mein Gott. Wie soll das alles weitergehen? Wie lange bleibt das so? Wie sollen wir das alles schaffen? Ich war zu dem Zeitpunkt im achten Monat schwanger, mein Sohn war drei Jahre alt und mein Mann im neuen Job in Probezeit. Mit Hinblick auf meine anstehende Elternzeit war ich zudem damit beschäftigt, meine Coachingarbeit von der Selbstständigkeit zu einem Team auszubauen, qualifizierte MitarbeiterInnen zu gewinnen, meine KlientInnen und deren Prozesse zu einem guten Abschluss zu bringen bzw. an meine Kolleginnen zu übergeben. Stattdessen ging es ins Homeoffice mit kleinem Kind zu Hause und einem heranwachsendem im Bauch. Zunächst saßen mein Mann und ich jeden Abend da. Fix und fertig, kraftlos, irritiert von der Welt, in die wir reingeraten waren. Natürlich auch gereizt und genervt, denn alle Pläne waren erst mal on hold. Wir mussten uns mit der Situation abfinden, wie alle anderen. Ein Plan musste also her. Und ein Umdenken. Nachdem wir also irgendwann akzeptiert hatten, dass wir die Umstände nicht in der Hand haben, die Lage nicht ändern können und den anfänglichen Frust hinter uns gelassen hatten, hatten wir uns sehr gut organisiert und betrachteten die Wochen und die exklusive Zeit mit unserem Sohn als Geschenk, bevor wir bald jemanden Neues in unserer Familie begrüßen würden. Und die Zeit hat uns am Ende stärker zusammengeschweißt. Unser Sohn genoss die Zeit mit uns in vollen Zügen und wir umgekehrt genauso. Zusätzlich haben wir festgestellt, dass uns so schnell nichts umhauen kann. Das Leben hat uns also bestärkt und einen neuen Fokus verschafft. Wir rasten zuvor durch unser Leben und den Alltag, hatten unsere klaren Abläufe, die kaum noch hinterfragt wurden. Wir funktionierten super als Team, aber wir nahmen die einzelnen Teamplayer nicht mehr bewusst wahr. Auch uns selbst und unsere Bedürfnisse nicht mehr. Nun hatten wir die Wahl: jeden Tag zu zählen und zu stöhnen oder die Chancen einer Zeit wie dieser zu erkennen. Natürlich gab es auch bei der zweiten Option, die wir gewählt haben, zwischendurch Momente des Stöhnens. Aber die grundsätzliche Ausrichtung spielte die entscheidende Rolle.«

Im Coaching nennt man diese Methode des Umdenkens und die Möglichkeit, Potenzial in Situationen zu erkennen, die zunächst hoffnungslos erscheinen, Reframing: Darin steckt frame, englisch für »Rahmen« – es geht also um die Neu-Betrachtung einer Situation. Reframing ist aber nur möglich, wenn eine gute persönliche Resilienz vorhanden ist, die eigenen Ressourcen aktiviert werden und somit die innere Ausgeglichenheit gestärkt wird.

Stellen Sie sich mal Folgendes vor: ein Baum, mitten auf einem Feld. Mal stürmt es, mal regnet es, mal schneit es, mal kommen Tiere und klettern an ihm hoch, mal scheint die Sonne, Vögel setzen sich auf seine Äste und zwitschern fröhliche Melodien. Dann stürmt es wieder, es regnet und schneit. Auch ein bloßer Baum muss einer Vielzahl von Anforderungen standhalten können. Wie gut würde er das wohl hinbekommen, wenn er keinen festen Halt in Form von Wurzeln hätte? Er wäre den äußeren Einflüssen komplett ausgeliefert und würde vermutlich nicht lange stehen. Und so verhält es sich auch mit uns. Je stabiler wir in unserer Mitte und bei uns angekommen sind, umso besser können wir auf alle Einflüsse von außen reagieren.

Oft sitzen uns Menschen gegenüber, die dramatische und im Grunde nicht zu bewältigende Schicksalsschläge erfahren haben, z.B. traumatisierende Gewalterlebnisse, Misshandlungen, schlimme Unfälle, plötzliche Verlusterlebnisse durch Naturkatastrophen, Suizide oder schwerwiegende Erkrankungen. Wenn wir Klienten, die solche Dinge verkraften müssen oder mussten, die Geschichte von diesem Baum erzählen, fragen sie uns zu Recht: »Mir sind so schlimme Dinge passiert. Wie soll ich denn da bitte nicht aus dem Gleichgewicht geworfen werden und vielleicht auch den Glauben ans Leben verlieren?« Und natürlich können wir die Brutalität des Lebens mit einer solchen Geschichte nicht abwenden. Wir können uns vor Tiefschlägen im Leben nicht schützen. Aber unsere Geschichte will darauf hinaus, dass die Qualität unserer Resilienz ausschlaggebend dafür ist, wie wir mit solchen Schicksalsschlägen fertigwerden. Je besser und stabiler wir »aufgestellt« sind, unsere Stärken und Schwächen kennen und unsere Ressourcen fördern, umso stabiler wird auch unsere Resilienz, also die eigene psychische Widerstandskraft oder unser persönliches »Schutzschild«, wenn das Leben ungefragt zuschlägt.

!Erkenntnis to go

Vor Schicksalsschlägen und Krisen im Leben sind wir ALLE leider nicht gefeit. Aber wir entscheiden, wie wir damit umgehen: ob wir mit ihnen untergehen wollen oder sie uns stärker machen sollen.

Ähnlich geht es auch dem Baum, wenn ein Sturm oder Orkan auf ihn zukommt. Er kann nur dastehen und versuchen, alle naturgegebenen Kräfte zu mobilisieren, um nicht aus der Erde gehoben zu werden. Sollte er dieses Drama dann überstanden haben, geht es in allererster Linie darum, sich zu erholen und mit der Zeit wieder zu sich und seiner ursprünglichen Blüte zurückzukehren. Ein schönes Beispiel ist der Birnenbaum, der aus den Trümmern des World Trade Centers geborgen wurde und heute als »Baum der Überlebenden« wieder an seinem Platz steht – und inzwischen viel größer als damals, also »über sich hinausgewachsen« ist.

Aber bevor es ans Über-sich-Hinauswachsen geht, ist der erste wichtige Schritt zunächst, sich selbst wahrzunehmen und zu verstehen.

Judith macht im Coaching häufig die Erfahrung, dass die KlientInnen weder ihre Stärken noch die Dinge beschreiben können, die ihnen wirklich Spaß machen. Sie sind irgendwie gefangen »im Hamsterrad« und wissen nicht mehr, wie es war, als sie noch nicht rotiert sind. Die Kunst ist also erst mal noch gar nicht, bei sich zu bleiben, sondern zunächst bei sich anzukommen.

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Wir beobachten bei vielen KlientInnen, dass eigene bzw. übernommene Glaubenssätze, Erfahrungen und Einstellungen einen großen Einfluss auf die Resilienz und das Überforderungserleben haben.

In diesem Zusammenhang unterscheiden wir auch noch mal die objektive und die subjektiv empfundene Überforderung. Mit der objektiven Überforderung ist die eindeutig gestellte Anforderung von außen gemeint, die uns aber vor eine persönliche Herausforderung stellt, eine wichtige Präsentation unter Zeitdruck, eine Geburt, ein Verlust etc. Eine subjektive Überforderung hingegen entsteht in manchen Fällen bereits, obwohl eine Überforderung noch gar nicht vorhanden ist oder überhaupt eintreten muss. Diese Form zeigt sich vor allem durch Anforderungen und Erwartungen, die ich meine, erfüllen zu müssen, obwohl sie eventuell so nicht existieren. Nehmen wir den Klassiker: ein Geschäftsmann oder eine Geschäftsfrau, der oder die selbst im Urlaub nicht abschalten kann. Manchmal ist es gar nicht das objektive Stresslevel, das diese Personen umtreibt, sondern ein unbewusst abgespeicherter Glaubenssatz im eigenen »Programm«, der ggf. lautet: »Nur, wenn ich gestresst bin, gebe ich alles und werde von meinem Umfeld auch wahrgenommen«. Dieser Satz ist somit fest abgespeichert als eigene Überzeugung und wurde über eine gewisse Zeit Teil der Persönlichkeit. Er bildet also die Grundannahme und Grundlage für ihr oder sein Handeln. Nicht unbedingt in allen Situationen, aber in denen, in denen es vielleicht um Leistung geht. Diese Personengruppe definiert sich also im Grunde über das persönliche Stresslevel und würde sich vermutlich unwohl fühlen, wenn es in den gewohnten Stressmomenten zu der eigentlich gewünschten Entspannung kommen würde, da es nicht ihrem Grundprinzip entspricht. Das sind häufig Menschen, die im Job alles geben und dadurch oft auch sehr erfolgreich sind. Sie fühlen sich aber andererseits auch sehr gestresst und vielleicht überfordert und würden gern kürzertreten bzw. wünschen sich mehr Gelassenheit. Würde dann aber die gewünschte Gelassenheit eintreten und die Person würde wirklich mal »runterfahren«, hätte sie vermutlich das Gefühl, unproduktiv und wertlos zu sein. Die Folge wäre, dass sie automatisch wieder in ihr altes Muster zurückfällt und in die Stressfalle tappt. Auf Glaubenssätze und ihre Wirkung gehen wir später noch mit konkreten Fallbeispielen ein. Es soll nur an dieser Stelle bereits verdeutlichen, warum es so wichtig ist, manchmal einen Schritt zur Seite zu machen, um die eigene Situation klarer beurteilen zu können und sich selbst und eigene – vor allem unbewusste – Prozesse zu verstehen und diese für sich positiv zu verändern oder zu nutzen.

Es geht insofern um mich, natürlich auch um das Leben drum herum, aber vor allem auch um das »Programm«, das ich mitbringe. Und selbst wenn mich Dinge von außen umzustoßen drohen, kommt es auf meine innere Stabilität und Haltung an, damit sie mich nicht überwältigen können. Wir können vielleicht nicht immer was für unsere Welt und die Umstände, in denen wir leben, aber wir sind für unsere Wahrnehmung und den Umgang damit selbst verantwortlich. In Gesprächen mit KlientInnen treffen wir beide aber immer wieder auf Menschen, die die Realität nicht akzeptieren und annehmen können oder wollen. Sie leugnen sie dann, weil es ihnen schwerfällt, Geschehnisse anzunehmen oder Konsequenzen umzusetzen. Das beobachten wir vor allem dann, wenn sich die äußeren Umstände so verändert haben, dass die Idealvorstellung der KlientInnen gelitten hat oder ganz eingebrochen ist. Dann ist es schwer, sich in dieser neuen Situation zurechtzufinden. Das braucht zunächst Zeit. Zeit zur individuellen Auseinandersetzung. Wir erleben aber, dass viele Menschen nach schweren Erlebnissen selbst nach einer angemessenen Trauerphase in eine verbitterte und verzweifelte Opferhaltung verfallen, die dem Leben die Verantwortung für ihr Dilemma zuschreibt. Nach dem Motto: »Das Leben meint es nicht gut mit mir« oder »Mir widerfährt nie etwas Gutes«. Sätze, die dann auch das »Programm« und die Brille bestimmen, mit der sie durchs Leben gehen. Insgeheim ist aber oft der Wunsch da, dass zu irgendeinem Zeitpunkt der Retter um die Ecke kommt und sie mitnimmt. In das bessere und schöne Leben. An dieser Stelle können wir Ihnen einen Satz nicht vorenthalten, den Cord sehr häufig in seiner Praxis wiederholt: »Wir sind es uns und unserem Leben schuldig, selbst dieser Retter, dieser Prinz oder diese Prinzessin zu sein, der oder die uns aus dem Schlamassel befreit und zurück auf die Sonnenseite des Lebens bringt.« Darauf hört Cord nicht selten ein »Ja, aber …«. Sollte sich das bei Ihnen auch gerade zeigen, können wir Ihnen versichern – und glauben Sie uns, wir haben schon viele Menschenschicksale und Geschichten mitbekommen und gehört –: Es gibt immer einen Weg. Die Frage ist nur: Ist man auch bereit, ihn zu gehen?

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Warum ist es eigentlich so schwer, bei sich zu bleiben?

Es ist die eine E-Mail mit unerwünschtem Inhalt am Morgen, die wir direkt nach dem Aufstehen lesen. Es ist ein einziger Blick des Partners, der uns verunsichert. Es ist der Müll, der wieder mal überquillt. Es ist die Nachbarin, die uns zugeparkt hat. Es ist die Uhr, die uns im Nacken sitzt. Es ist vielleicht auch einfach nur das Wetter. Es sind die kleinen Dinge, die unbewusst Einfluss auf unsere Laune und Einstellung nehmen und uns ganz schnell von uns ablenken. Eine unbewusste Person wird von diesen Momenten gesteuert, in ihren Emotionen automatisch beeinflusst und damit für den Tag ausgestattet, der dann eigentlich schon gelaufen ist. Personen, die ein – nennen wir es mal – gutes Verhältnis zu sich selbst haben und diese Ablenkungen wahrnehmen, entscheiden ganz bewusst, ob sie diese an sich heranlassen oder nicht. Überforderung kann bei der ersten Gruppe natürlich problemlos zuschlagen. Aus dem Grund ist es besonders wichtig, das Bewusstsein für sich, das eigene Verhalten und das Leben, das einen umgibt, zu schärfen und zu verstehen.

Bei Überforderung und Stress im Alltag schaut Judith sich im Coaching mit den KlientInnen zuallererst die Tagesroutine und deren Gedanken dazu an. Denn es sind oft die Dinge, die bereits automatisiert ablaufen und die wir nicht mehr hinterfragen, die uns schon viel Kraft abverlangen. Sie sind aber die wichtigste Stellschraube zur Veränderung und geben einen entscheidenden Hinweis auf bereits verinnerlichte Verhaltensmuster, die uns aber eigentlich im Weg stehen.

Bei der Analyse der Tagesroutine betrachten Coach und KlientInnen gemeinsam Fragen, wie z.B.: Wie starte ich in den Tag? Brauche ich morgens vielleicht erst mal eine halbe Stunde für mich, bevor ich das erste Gespräch beginnen kann? Trotzdem wecke ich aber morgens als Erstes die Kinder, weil es eben der Ablauf verlangt. Muss ich vielleicht auch direkt was essen oder eher nicht? Dafür ist aber nie Zeit. Hilft mir ein durchgeplanter Tag oder stresst mich das vielmehr? Fahre ich gern mit dem Auto zur Arbeit? Oder bevorzuge ich eigentlich doch lieber die Bahn, weil ich mich dort noch zurücklehnen darf und mit einem guten Buch beschäftigen kann? Oder wäre ich lieber mit dem Fahrrad an der frischen Luft unterwegs? Trotzdem nehme ich stattdessen jeden Tag das Auto, weil es einfach schneller geht, und ärgere mich dann wieder mal über den zähflüssigen Verkehr? Die Frage, die hinter allem steht, lautet: Was mache ich eigentlich, weil ich es wirklich so will und es mir guttut, und was mache ich nur, weil es sich so eingespielt hat oder ich meine, dass es nicht anders geht? Denn ehe man sich’s versieht, ist der Autopilot aktiv und hat uns voll im Griff. Die Folge: Wir sind irgendwann unzufrieden und haben das Gefühl, nur noch zu funktionieren. Vielleicht nehmen wir das auch alles bereits an uns und unserem Leben wahr, sind aber (noch) ratlos, wie wir das ändern können. Denn der Job läuft gut, die Beziehung genauso und wir können uns zwischendurch einen schönen Urlaub leisten. Alles bestens, oder? Sagen Sie’s uns. Denn es geht am Ende darum, wie man sich selbst damit fühlt. Ist es das Leben, das man sich so gewünscht hat? Oder fühlt sich alles irgendwie unspektakulär und nüchtern an? Auch wenn es solche Tage natürlich immer mal gibt, sollte es nicht die Grundstimmung des eigenen Lebens ausmachen. Ansonsten sollten wir hier genauer hinschauen und uns fragen: Was will ich eigentlich? Und wie kann ich meine Lebensqualität in allen Momenten meines Lebens steigern? Hierzu sollten wir nicht nur die großen Themen wie Job, Beziehung, Familie und Kontostand betrachten, sondern zwischen den Zeilen lesen, die Details ins Auge nehmen und die Art und Weise, wie wir durchs Leben gehen.

Es macht durchaus Sinn, diese alltäglichen Stellschrauben bereits im Coaching anzuschauen und anzugehen, bevor es zu Beschwerden kommt, die nur noch die Psychotherapie »reparieren« kann. Judith hatte z.B. mal eine Klientin, die ein banales Detail aus ihrem Alltag erzählte, das aber einen entscheidenden Hinweis auf die Ursache ihrer Unzufriedenheit gab. Sie sprach nebenbei davon, dass sie für ihren Job jeden Tag in eine weiße Bluse und einen klassischen Rock schlüpfen musste. In den Sitzungen saß sie allerdings mit Cargohose und Kapuzenpullover. Judith hätte niemals vermutet, dass sie beruflich sehr konservativ gekleidet ist. Ihr Auftreten und ihre Persönlichkeit hätten eher zu einem Job mit unkonventionellem Dresscode gepasst. Als sie dann auf ihre Arbeit zu sprechen kam, sagte sie, dass ihre Eltern sie zu ihrem Job damals gedrängt haben und sie eigentlich was ganz anderes machen wollte. »Aber man muss ja schauen, dass man Geld verdient«, begründete sie dann ihre Entscheidung. Judith schaute sich mit ihr daraufhin auch ihre Tagesroutine an und fragte sie, ob sie eigentlich gern in ihren Tag startet. Sie verneinte und meinte, dass sie schon schlechte Laune bekommt, wenn sie abends die Kleidung für den nächsten Tag bügeln und rauslegen muss. Morgens ist es dann das Erste, was sie sieht, wenn sie aufwacht. Die Sachen liegen ja direkt neben ihrem Bett. Dann hat sie schon schlechte Laune. Auf Judiths Frage, was sie an ihrem Leben gern ändern würde, wenn sie könnte, antwortete sie: Nie wieder weiße Blusen tragen und noch mal ganz von vorn anfangen. Aber mittlerweile bin ich dafür ja zu alt«, erklärte sie. Sätze, die sehr häufig kommen und bei vielen dazu führen, jahrzehntelang in einem Leben gefangen zu sein, das eigentlich nicht den eigenen Wünschen und Vorstellungen entspricht. Und dann rettet man sich nur noch von Urlaub zu Urlaub über die Jahre hinweg und das Leben zieht an einem vorbei. Leider relativ ungenutzt.

Grundsätzlich ist gegen ein solches Lebenskonzept nichts einzuwenden, wenn es den Betroffenen oder die Betroffene selbst nicht belastet. Und natürlich gibt es vielleicht auch Phasen im Leben, in denen wir aufgrund der Umstände nicht sofort alles infrage stellen können oder wollen.

Es gibt nur ein Problem bei der Sache: Wenn wir nicht ganz glücklich oder zufrieden in unserem Leben sind und uns bestimmte Dinge belasten oder schwerfallen, kosten sie uns Kraft. Das heißt: Sie zählen zu unseren Stressoren und nicht zu unseren Ressourcen. Und wenn wir nun überwiegend Stressoren ausgesetzt sind und wiederum wenig Ressourcen bilden können, sind wir natürlich viel mehr Stress und Überforderung ausgesetzt. Oder mit anderen Worten: Wir haben kein dickes Fell, wenn uns unglückliche Momente oder herausfordernde Situationen begegnen. Somit kommen wir schneller an unsere Grenzen und sind nicht mehr so belastbar, wie wir es vielleicht sonst wären.

Anders sieht es bei Menschen aus, die ihre Leidenschaft zum Beruf gemacht haben. Wenn man so eine Person fragt, wie sich ihr Tag so anfühlt, ist sie am Ende nicht erschöpft und kraftlos, sondern inspiriert, erfüllt und kraftvoll. Denn sie umgibt sich mit Themen, die ihr Kraft geben und auf ihr Ressourcen-Konto einzahlen, anstatt sie ins Minus zu treiben.

Dazu werfen wir mal eine simple Frage in den Raum: Was glauben Sie, welche Person wird es härter treffen, wenn am Ende des Tages ihr Auto abgeschleppt würde? Die Klientin mit dem Blusen-Blues oder die Person, die den Job macht, der sie überwiegend glücklich macht? Wir sparen uns an der Stelle mal die Auflösung. Ich glaube, es ist klar, worauf wir hinauswollen.

Es ist also besonders wichtig, zunächst sich selbst auf den Grund zu gehen und zu verstehen, wie man aufgestellt und ausgerichtet ist und was einem guttut und was nicht. Wie genau man das anstellt, verraten wir im Späteren noch anhand konkreter Fallbeispiele. Trotzdem könnte man ja jetzt die berechtigte Frage stellen: Warum fällt es uns so schwer, uns selbst und die Dinge, die wir wollen, überhaupt erst mal wahrzunehmen bzw. anzugehen? Das ist die zentrale Frage, der wir uns in diesem Buch stellen wollen – und um mal ganz offen zu sprechen: Das ist die Frage, die zum großen Teil unsere beiden Familien ernährt. Es ist mitunter die größte Herausforderung von allen, denn wir Menschen leben nicht allein auf dieser Welt und in einem System, das uns von Geburt an jeden Tag aufs Neue – und vor allem oft unerwartet – für sich einnimmt, uns beeinflusst, fordert und prägt. In diesem sich stets bewegenden Kosmos ist es also schon naturgegeben nicht leicht, den Blick immer wieder auf uns selbst zu richten und unser Leben als großes Ganzes nicht aus den Augen zu verlieren. Hinzu kommt, dass wir »Herdentiere« sind, die Leitbilder und Vorgaben brauchen und suchen. Damit wird es uns in vielen Momenten zusätzlich erschwert, ganz individuell zu sein und zu handeln.

Stellen Sie sich einfach mal Folgendes vor: Sie sind auf einem Konzert. Danach laufen die Leute üblicherweise ja gern sehr rechtzeitig zu ihren Autos. Nun sind Sie auch endlich an Ihrem Auto angekommen und suchen die Ausfahrt. Normalerweise fährt man einfach dem Vordermann hinterher, der will ja schließlich auch raus. Nun nehmen alle dieselbe Ausfahrt und es bildet sich ein langer Stau. Dabei bleibt eine weitere Ausfahrt vielleicht völlig unerkannt und ungenutzt, weil sie keiner in Anspruch nimmt. Wenn Sie die Ausfahrt nun aber erkennen und ihr folgen, wie würden Sie sich dann fühlen? Vermutlich, als würden Sie etwas falsch machen. Sie würden den Haken suchen, warum dort keiner langfährt. Sie würden also sich selbst und Ihre Entscheidung anzweifeln, weil es nicht alle anderen vor Ihnen schon erkannt und gemacht haben. Das ist nur ein simples Beispiel, das aber zeigt, dass wir uns gern an der Masse orientieren und schon »im Kleinen« viel Selbstvertrauen und Selbstsicherheit nötig ist, um in bestimmten Situationen gegen den Strom schwimmen zu können und auf die eigene Stimme zu hören. Nachdem wir also bei uns angekommen sind, sind das die entscheidenden Ressourcen, die uns helfen, auch bei uns zu bleiben. Vielen Menschen fällt es aber schwer, diese essenziellen Eigenschaften wie Selbstsicherheit und Selbstvertrauen für sich zu entwickeln oder abzurufen. Sei es, weil sie es nicht in die Wiege gelegt bekommen haben oder weil sie das Leben zu oft aus der Bahn geworfen und enttäuscht hat, dass sie keinen Zugang mehr dazu finden. Dann ist es eine grundlegende Aufgabe – sowohl in der Psychotherapie als auch im Coaching –, diesen Zugang wiederherzustellen.

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Teil Eins:Die Herausforderungen

Was macht uns fertig?

Doch was ist es eigentlich, was uns immer wieder von uns und unseren eigentlichen Bedürfnissen ablenkt und uns am Ende fertigmacht? Bevor es zu irgendwelchen Lösungsideen kommen kann, müssen wir zunächst die wesentlichen Faktoren verstehen, die uns im Leben überhaupt in die Quere kommen. Im Laufe unseres Berufslebens haben wir ähnliche situative und generelle Faktoren beobachtet, die bei unseren KlientInnen immer wieder Stress und Überforderung ausgelöst haben. Die Herausforderungen kommen natürlich einerseits von außen, durch die Gesellschaft und ihre Anforderungen: z.B. die digitale Kommunikation, neue Bildungs- und Leistungsmodelle und Geschwindigkeiten sowie neue Werte, die wir uns im Folgenden genauer anschauen. Andererseits sind es aber auch Vorstellungen und Ideologien, die wir mit uns herumschleppen – aufgrund unserer Erziehung und Erfahrungen, die uns dann später gern mal auf die Füße fallen bzw. uns im Wege stehen und blockieren. Bleiben diese Herausforderungen unentdeckt, können sie zu Problemen werden oder sogar psychische Auffälligkeiten und Störungen auf den Plan bringen. In Teil zwei dieses Buchs kommen wir zu konkreten Fallbeispielen aus unseren Praxen, in denen sich diese Herausforderungen sehr gut erkennen lassen.

Stetige Präsenz UND Kommunikation

Hand aufs Herz: Wo befindet sich Ihr Handy in diesem Augenblick? Wenn es neben Ihnen liegt, gehören Sie vermutlich zu den 28 Prozent der Bevölkerung[1], die ihr Handy am Tag 60 Minuten nutzen (mit starker Tendenz nach oben) und es selten aus der Hand legen. In dieser Stunde legt man mit den Fingern eine Strecke von 173 Metern zurück, das ist 16 Meter höher als der Kölner Dom.[2]