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Wir schreiben das Jahr 2044. Unser Planet Erde hat eine unausweichlich scheinende Apokalypse überstanden. Aber nur deshalb, weil 2028 eine überfallartige Machtergreifung durch ein KI-gesteuertes, die Welt beherrschendes Lenkungssystem erfolgte. Die Menschen leben in Frieden, in Würde und, so scheint es, in Freiheit. In die Welt gesetzt wurde dieses alle Lebensbereiche beeinflussende System durch Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, die sich als führende, weltrepräsentative Forschergemeinschaft zu einer Geheimorganisation, zum Zwecke der Rettung des Planeten, zusammengefunden haben. Sie sind nach 2-jähriger Forschungsarbeit übereinstimmend zur Erkenntnis gelangt, dass die menschliche Existenz mit den durch den Menschen selbst ausgelösten infernalen Zuständen in Gesellschaft, Biologie, Geologie und Klimatologie absehbar nicht mehr aufrechtzuerhalten gewesen wäre, wenn keine global übergeordnete Instanz einen radikalen Umsturz organisiert hätte. Erzählt wird eine fiktive Geschichte der Weltentwicklung über einen Zeitraum von 2022 bis 2044 und eine über die Erlebnisse und die Schicksale einzelner Persönlichkeiten aus drei Familien, die einen unmittelbaren Bezug zu dieser virtuellen Autorität haben.
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Seitenzahl: 396
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Coverbild: Dachsteinmassiv in Morgenstimmung am 25. Januar 2022
Texte: © Copyright by Walter MeiselUmschlaggestaltung: © Copyright by Walter Meisel
Verlag:Walter MeiselHinterleiten 8/3A-2651 [email protected]
Herstellung: epubli - ein Service der neopubli GmbH, Köpenicker Straße 154a, 10997 BerlinKontaktadresse nach EU-Produktsicherheitsverordnung: [email protected]
Mein Anspruch:
Der aufrechte Mensch, in seiner individuellen Freiheit mit Tugend und mit Liebe begnadet, fühlt sich rechtschaffend, in Harmonie mit seinen Mitmenschen im Leben stehend, handelt vernunftbegabt in solidarischer Selbstverständlichkeit, hat die Einsicht in die Verbundenheit allen Lebens mit den kosmisch rhythmischen Wirksamkeiten auf dieser Erde und begreift sein Dasein als geistige Ich-Wesenheit im Universum.
Walter Meisel
Inhalt
Prolog
1) Gosau/OÖ, samstagvormittags, 5. März 2044
2) Wien, Audimax, mittwochnachmittags, 2. April 2042
3) Gosau/OÖ, samstagvormittags, 5. März 2044
4) Wien, Café Töpfer, Mittwoch, 2. April 2042
5) Gosau, am Hornspitz, Samstag, 5. März 2044
6) Wien, Mittwoch, 2. bis Samstag, 5. April 2042
Treffpunkt Töpfer
7) Thal, Samstag, 5. April 2042
8) Thal, Donnerstag, 3. April 2042
9) Thal und Wien, Karfreitag, 4. April 2042
10) Thal, Ostersonntag, 6. April 2042
11) Wien, Montag, 11. Dezember 2028
12) Thal, Ostersonntag am Nachmittag, 6. April 2042
13) Wien, Samstag, 16. Dezember 2028
14) Thal, Ostermontag, 7. April 2042
Dienstag, nach Ostern, am Morgen
15) Sonntag, 17. Dezember 2028 - Alles ist anders
16) Montag, 18. Dezember 2028 – Freitag, 1. Juni 2029
17) Gosau, Samstag, 5. März 2044
18) Gosau und Heimfahrt, Sonntag, 6. März 2044
19) Wien, Samstag, 2. Juni 2029
20) Sonntag, 3. Juni 2029 – Mittwoch, 6. Februar 2030
Und was geschah zwischenzeitlich in der Welt draußen?
Und dann kam der Jahreswechsel 2029 / 2030
Bei Familie Bell in Wien, Mittwoch, 6. Februar 2030
21) Dienstag, 1. Januar 2030 – Samstag, 6. März 2032
22) Ab Samstag, 6. März 2032
23) Wien, im Juli 2037
Noah Held in Rebellion.
24) Wien, freitagabends, 7. Februar 2042
Noah und David im Gleichklang
Noahs Vortrag im Café Bernau
Xaver, zu Hause am Computer
25.Wien, dienstagnachmittags, 8. April 2042
Noah und David zu Hause in Wien
26) Wien, mittwochabends, 9. April 2042
Zu Hause, bei Oma Elise Held
27) Wien, donnerstagnachmittags, 10. April 2042
Zu Hause, bei Familie Jonas und Carla Held
28) Wien, freitagnachmittags, 11. April 2042
Zu Hause, bei Familie Bell
29) Wien und Thal, bis Samstag, 26. April 2042
Noahs Geburtstagsfest in Thal
30) Wien, FF-Bar, freitagabends, 2. Mai 2042
31) Donnerstag, 15.Mai – Sonntag, 18. Mai 2042
Die 4 Jungen in Thal
Von Thal in die Oper und retour
Sonntag in Reichenau a. d. Rax
Auf der Knusper-Hütte
32) Wien, Mittwoch, 17. Dezember 2042
Xavers Vortrag: „COSIGS und seine Geschichte“
Noahs Referat: „In aller Freiheit…aber“
33) Wien, sonntagabends, 6. März 2044
Epilog
Essay von Noahs Opa, Josef Held: Freiheit und Einheit
Analyse der Entwicklung von sozialem bis zu ökologischem Bewusstsein, in den dafür maßgeblichen letzten 250 Jahren:
Anthroposophie:
Freiheit richtig verstanden:
Soziale Dreigliederung
Nachhaltigkeit konsequent gedacht
Liebe, Respekt und Demut
Die Philosophie der Freiheit, Ich-Wesenheit und Kosmos
Resümee
Die Menschengesellschaft als Bien-Wesenheit
Biografien
Register
Wir schreiben das Jahr 2044.
Unser Planet Erde hat eine unausweichlich scheinende Apokalypse überstanden.
Aber nur deshalb, weil 2028 eine überfallartige Machtergreifung durch ein KI-gesteuertes, die Welt beherrschendes Lenkungssystem erfolgte. Die Menschen leben in Frieden, in Würde und, so scheint es, in Freiheit. In die Welt gesetzt wurde dieses alle Lebensbereiche beeinflussende System durch Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, die sich als führende, weltrepräsentative Forschergemeinschaft zu einer Geheimorganisation, zum Zwecke der Rettung des Planeten, zusammengefunden haben.
Sie sind nach 2-jähriger Forschungsarbeit übereinstimmend zur Erkenntnis gelangt, dass die menschliche Existenz mit den durch den Menschen selbst ausgelösten infernalen Zuständen in Gesellschaft, Biologie, Geologie und Klimatologie absehbar nicht mehr aufrechtzuerhalten gewesen wäre, wenn keine global übergeordnete Instanz einen radikalen Umsturz organisiert hätte.
Erzählt wird eine fiktive Geschichte der Weltentwicklung über einen Zeitraum von 2022 bis 2044 und eine über die Erlebnisse und die Schicksale einzelner Persönlichkeiten aus drei Familien, die einen unmittelbaren Bezug zu dieser virtuellen Autorität haben.
Noah fährt mit seinem neuen CAC{1} die Pass Gschütt-Straße hinauf, mit Ziel Gosau. Er, mitten in seinem 26. Lebensjahr stehend, schlitterte schon vor Tagen in eine seltsam sentimentale Stimmung. Ausgelöst wurde diese für ihn neue Seelenverfassung durch das Stöbern in reichlich aufgestapelten Unterlagen und vor allem durch das Surfen in Bild- und Textdateien auf einem alten Standcomputer seines Opas. Dieses lange unbeachtet im Keller abgestellte Gerät konnte noch glückhaft mit seinem veralteten Betriebssystem gestartet werden.
Aus heutiger Sicht völlig Unfassbares und Erstaunliches war da zu finden! Nämlich schon damals den Versuch eines Weckrufs für ein Bemühen um Freiheits-Erkenntnis zu wagen, der aber vergeblich, ungehört und unbeachtet verhallte! Der Opa ist nicht mehr. Aber Noah hatte zu ihm, seit er denken kann, eine starke Verbindung verspürt. Es drängte ihn, sich in Erinnerungen zu vertiefen, möglichst weit zurück, an den gemeinsamen Anfang. Hierher zum Beispiel, ins großartige Dachsteingebiet. Am besten ist, gleich das Feeling selbst zu spüren. Anna ist mit. Sein liebes Mädchen. So will sie eigentlich von niemandem angeredet werden, obwohl das Gebot des Sprachgenderns in den 30er-Jahren an Bedeutung verloren hat und Diskriminierungen generell im praktischen Leben schon längst überwunden sind. Für Noah bleibt sie es… heimlich. Er kennt Anna schon ziemlich genau 2 Jahre lang. Die Liebe hat sie beide getroffen, wie ein Blitzschlag. Bei einer Veranstaltung im Audimax der Uni Wien war es passiert. Thema: „COSIGS und dann?“
COSIGS{2}, das seit 16 Jahren bereits alles beeinflussende Leitsystem zur Idealisierung der Weltbürgerschaft …
Aus allen Fakultäten strömten damals Studierende in den Saal, zu einem Thema, das schon 14 Jahre lang alle und ja buchstäblich alles auf dieser Welt betrifft. Eine Wahnsinns-Drängelei entstand an diesem Abend im April 2042, einem wieder einmal sehr heißen. Fast schon so heißen, wie es die Aprilabende in den späten 2020er-Jahren waren.
Noah, 24 Jahre alt, im 4. Semester Masterstudium Applied Economics (angewandte Wirtschaftslehre) und Anna, 22 Jahre alt, im 6. Semester Ethnologie, wollten auch dabei sein. An Sitzplatz war sowieso nicht zu denken. Mit einem letzten Stehplatz, so schien es, kam Noah gerade noch zur Tür herein. Er hat sich leider verspätet. Aber hinter ihm drängten noch immer viele, durch das Thema hellhörig gewordene Studenten und Studentinnen heran, auch Anna!
Ups! Was war denn das? Doch eindeutig Brüste, die da an Noahs Rücken anstießen! Und dann diese sanfte Hand, die versuchte, seinen Körper wieder wegzudrücken. Zwei kühle Finger spürte er an seiner nackten Schulter neben seinem ärmelfreien T-Shirt. „Oh, entschuldige bitte, sorry!“ Vernahm der etwas elektrisierte junge Mann von einer lieblich gehauchten Stimme, wie er konstatierte. „No problem“, brachte er gerade noch mutig hervor. Aber alle aufsteigende Scham überwindend, musste er sich umdrehen, unbedingt, da gab‘s kein Halten!
Direkt vor seinem Gesicht ein hübscher Mädchenkopf, nein, eine junge Frau mit klarem, keckem Blick. Etwas Schamröte kam ihr kurz hoch und ihre zart betonten Lider senkten sich vielleicht einen Augenblick, aber wenn, dann nur ganz leicht. 1,77, schoss es durch Noahs Kopf!
Er selbst war mit seinen 1,82 m Größe recht gut gebaut, so sagte man schlechthin. So kannte er keine seiner Verflossenen, die zu ihm hochschauen mussten. Diese da schaut ihm doch mehr oder weniger unverblümt geradewegs in die Augen, ja mehr noch, in die Seele!
Allen Mut zusammennehmend, brachte er hervor: „Du siehst ja da hinten gar nichts, komm Mädchen, stell dich vor mich.“ Er hob den rechten Arm, fasste sie mit seiner Linken sanft an ihrer nackten Schulter - auch sie musste wegen der sengenden Hitze der letzten Wochen T-Shirts tragen, an diesem Tag war‘s gar ein hauchdünnes Spaghetti-Hemdchen - und schob sie einfach unten durch. Allein von dieser gemeinsamen Drehbewegung, mit unausweichlich weiteren Berührungen, unter anderem von ihrer rechten Hand, abstützend und herumtastend an seiner linken Brust, bekam er weiche Knie. Aber nicht nur das, er sah kurz, was er Sekunden zuvor so eindeutig zu identifizieren geglaubt hatte: Je mindestens eine Hand voll! Und diese Knospen, die da so keck durchscheinen; Wow! Den Arm hielt Noah nicht hoch genug, oder senkte er ihn ab? Jedenfalls zerzauste er etwas die Frisur des Mädchens. „Oh, entschuldige bitte, sorry!“ stammelte er völlig verwirrt. Er war zu nichts anderem zu sagen imstande, als was er eben selbst an Entschuldigung vernommen hatte und was noch irgendwie im Kopf nachschwang. Das Mädchen antwortete, wieder mit dieser so lieblichen Stimme, doch jetzt mit einer gewissen Belustigung: „No problem“, und postierte sich genau vor ihn. Jetzt sah Noah nicht mehr auf den Vortragenden hinter dem groß gewachsenen Mädchen. Aber was konnte ihn noch interessieren, außer seine hochsteigenden Gefühle, die sich in deutlich gesteigerter Herzfrequenz offenbaren? Er schaut auf einen buschigen Bubikopf aus Ebenholz. Und dann das: Die linke Hand dieses bezaubernden Geschöpfes streicht und zupft eine leicht verschobene Haarsträhne zurecht, nach hinten, knapp an seinem Gesicht vorbei. Gott, diese zarten Finger berührten mich eben sanft, dachte er. Und weiter: Was funkelt mich da an? Das Deckenlicht spiegelte sich tausendfach in winzigen Edelsteinen, in einem breiten Ring gefasst, am Ringfinger. Etwas Anmutigeres als diese Hand mit den quirlig tanzenden Fingern, mit den perfekt geformten, rot lackierten Nägeln und mit dieser makellosen hellen Haut hat Noah sein Lebtag noch nicht gesehen! In deutlich vorgebeugter Haltung, die unmöglich so beizubehalten war, sinnierte er: Was passiert da mit mir? Was bin ich froh, dass ich in der Menge eingezwängt stehe und niemand an mir runterschauen kann, was da gerade los ist! Ich muss bloß aufpassen, dass ich nicht diese Feengestalt vor mir mit einer unvermeidlichen Wölbung unsittlich belästige.
Die Leute hinter ihm drängten weiter, wie verrückt. Was sollte er tun? Es blieb ihm gar nichts anderes übrig, er musste sich wohl oder übel nach vorne abstützen und mit dem Hinterteil instinktiv kräftig nach hinten drücken, um zu vermeiden, dass da vielleicht noch ein möglicher anderer, 2 Reihen vor ihm, gar in einen Körperkontakt kommen könnte, den er tunlichst zu vermeiden wünschte. Diese Verantwortung wollte er schon gerne übernehmen. So sanft er nur eben konnte, stützte er sich, so etwa im Hüftbereich, mit seiner Linken am Mädchen ab. Es wurde ihm dabei ganz schön mulmig zu Mute; Diese perfekte Rundung, in Harmonie mit einer gertenschlanken Taille,das ist aber schon sehr verwegen, dachte er. Aber weiter oben wär‘s halt sicher peinlich effektlos gewesen, eingedenk solcher Mächtigkeit, die da unaufhaltsam sich in den Vordergrund spielen wollte! Doch da machte sein ganzer Körper unvermittelt eine Linksdrehung und das Mädchen eine nach rechts. Um Gottes willen, so kann ich nicht bleiben, da fällt ja mein peinlicher Zustand sofort auf, erschrak er.
Langsam, mit aller gebotenen Konzentration, machte er etwas, was ihm buchstäblich einen Schweißausbruch provozierte: Er fasste seine Fee, das war sie sowieso für ihn bereits, mit beiden Händen an ihren Hüften und drängte sie sanft von sich weg. Mit weichen Knien stammelte er ihr etwas ins Ohr, was er sogleich wieder bereute, wofür er sich sogar schämte: „Sorry, Mädchen, ich denke, es ist besser so“. Ganz langsam wendete sich der Ebenholzkopf, die Augen blitzten verschmitzt, und er sah völlig benommen die dezent rot gefärbten Lippen sich öffnen: „Klar, junger Mann, ich denke, du machst das einzig Richtige.“ War da vielleicht noch ein kleines Zwinkern dabei, als sie sich wieder nach vorn drehte? Oder spürte er nicht ein kaum wahrnehmbares „in sich Hineinlachen“ vor ihm, bei leicht vibrierenden Hüften, die er sagenhafterweise in seinen Händen hielt? Sie weiß es! dachte er erschrocken. Am liebsten wollte er vor Scham gleich an Ort und Stelle in den Boden versinken. Andererseits, dieser Genuss, einem so perfekten jungen Frauenkörper unverhofft so lange derart nah zu sein, ihn so zu spüren, dass es bereits ordentlich wehtat, das wollte er auskosten, solange die Burschen da hinten gründlich anschoben.
Er, versunken in Ebenholz, betört durch sanften Duft einer wahrhaften Märchengestalt. Wirklich, er dachte an Kindermärchen: Das war doch Schneewittchen, die mit dem ebenholzschwarzen Haar und dem roten Mund, die da von einem Prinzen wachgeküsst werden musste. Niemals mehr, mein ganzes Leben lang nicht, wird ein anderer Duft mich so ekstatisch berühren können wie dieser, hörte er sich selbst zu sich schwören und gestand sich ein: Es geschieht gerade ein Wunder!
Sie, voll konzentriert zuhörend, was da vorne zum Besten gegeben wurde. Aber sie ist gekommen, um nicht nur zuzuhören, sondern etwas beizutragen, unbedingt, sie will ja mitbestimmen, wohin die Reise gehen soll!
Freilich, das, was da hinten vor sich ging, ließ sie nicht kalt. Sie gestand sich ein, dass sie es eigentlich richtig genoss, diesen hübschen Burschen so aufzuregen. Und dass sie das konnte, das merkte sie sofort und voller Entzücken, als er sich das erste Mal umdrehte und ihm buchstäblich das Unterkiefer absackte. Und sie selbst? Sie spürte den noch immer behutsamen Griff an ihren Hüften und stellte sich die kurzen tête-à-tête-Momente der letzten Minuten vor ihr geistiges Auge, holte sich die entgeisterte Stimme seiner wenigen Worte in Erinnerung und ihr Unterleib antwortete unmissverständlich. Ich hab mich verliebt, schoss ihr erkennend ein, keine Frage! Was, so plötzlich schon? Das hätte ich so gar nicht erwartet! Wie ist das denn zugegangen? fragte sie sich völlig perplex. Aber bitte jetzt nicht gehen lassen, reiß dich zusammen, du hast was zu sagen, und zwar jetzt, sprach sie in Gedanken zu sich.
Und ihre Hand schnellte hoch, die linke, die mit dem Glitzerring. Noah, aus seiner Traumwelt gerissen, schaute hoch und sah fasziniert diese Hand, wie sie sich rasch hin und her bewegte und die schlanken Finger nur so tanzten, dass der Ring wieder funkelte, nur diesmal war es ihm, als ob dieses Ding da ihn zu sich rief.
Augenblicklich schoss ihm die nette Geschichte seines Opas ein, die er so gerne immer und immer wieder hörte. Die der Opa nicht müde wurde, noch ein weiteres Mal zum Besten zu geben. Es war offensichtlich, dass sie ihn selbst allzeit tief bewegt hat. In diesem Augenblick verstand Noah: Das war nicht nur Opas nettes Geschichtchen. Nein, das war auch der Bericht über ein Lebensglück in seiner höchsten Ausprägung, Donnerwetter!
Dabei ging es auch um so ein ähnlich geartetes Erlebnis, bei dem der Opa in jungen Jahren ebenso von einem funkelnden Ding dermaßen in den Bann gezogen wurde, dass das zum symbolisch gebliebenen, aber eigentlich tatsächlichen Beginn einer lebenslangen Liebesbeziehung wurde. Und das ging doch so, glaubt Noah sich ziemlich genau an Opas Erzählung zu erinnern:
Als junger Mann saß er an einem schönen Frühlingsmorgen auf einer Parkbank und hatte den Blick entspannt in die Ferne gerichtet. Aber da blitzte es. In unregelmäßigen Abständen blitzte und funkelte es in der Sonne, dass es eine reine Freude war, das zu sehen.
Da saß doch ein Mädchen auf der Bank einer Tischgruppe, nicht weit weg von Opas Platz. Er registrierte einen Kugelschreiber mit einem Druckerteil, auf dem tausend kleine Diamanten in der Sonne tanzten. Natürlich waren das nur irgendwelche Strass-Steine, aber Opas Vortrag durfte nicht in Frage gestellt werden und daran hielten sich alle. Das Mädchen schrieb einen Brief, war sehr konzentriert, lugte aber verstohlen und ein bisschen verschämt hin und wieder rüber zu ihm. In ihren Schreibpausen spannte sie gedankenverloren den Stift zwischen Zeige- und Mittelfinger ein und wippte ihn rasend schnell hin und her. Oder sie betätigte den Drucker mit dem Daumen staccatoartig. Opa meinte, dass dieses Schauspiel ihn doch förmlich rüberwinkt. Und dann war da noch etwas, was Opa unweigerlich in den Bann zog: diese Hand mit den quirlig tanzenden Fingern, mit den perfekt geformten, rot lackierten Nägeln und dieser makellosen hellen Haut. Er war überzeugt davon, so etwas Anmutiges sein Lebtag noch nicht gesehen zu haben! Derart angeregt musste er unbedingt, so lässig, als nur irgend möglich, rüberschlendern, um seine unvermeidliche Balz zu starten.
Ihr beider erster Blickkontakt ging Opa direkt in seine Seele, wie er nie vergaß, seine Geschichte enden zu lassen…
Meine geliebte Oma mit 23! Déjà-vu über 2 Generationen?
Nachdem Noah sich diesen sentimentalen Gedanken hingab und sich gerade von oben der Fly-Servant{3}mit dem Mikrofon, PSVH{4}-gesteuert, über die beiden senkte, war ihm klar: Das Mädel da vor mir will ich haben! Ich muss sie unbedingt haben! Und fast erwischte er sich dabei, seine heißen Finger liebkosend zu bewegen. Gott sei Dank wurde seine Konzentration durch die Wortmeldung dieses Zauberwesens in seinen Händen voll gefordert:
„Bitte, geschätztes Auditorium, vergessen wir nicht: Die Menschheit hat als Zielvorgabe, die individuelle Freiheit jeder einzelnen Persönlichkeit zu erreichen. Die Menschheit bitte, nicht ein seelenloses Ding, das uns zwar über die wohl schrecklichste Krise aller Zeiten hinweggerettet hat, viele neue Unwägbarkeiten auch sehr wahrscheinlich von uns noch rechtzeitig abhalten wird können. Aber es bedarf doch einer Neuorientierung auf diese, von COSIGS selbst schon erkannte, Notwendigkeit.
Werte Kollegen und Kolleginnen, anders bestünde früher oder später doch die Gefahr, wieder in eine regelrechte autokratische Phase hineinzuschlittern, in ähnlicher Ausprägung, wie unsere Elterngeneration sie noch durchleiden musste! Verlieren wir, um Gottes willen, nicht die Richtung auf der Reise! Könnt ihr meinen Appell nachvollziehen? Nein? In aller gebotenen Bescheidenheit sage ich Euch keck heraus: Dann ab zum Studium der Philosophie der Freiheit! Das Werk Rudolf Steiners, das unbestritten die Entwicklungsrichtung zum Weltbürgertum vorgibt. Ja, das war doch auch einer der Basics der Verfasstheit unseres spektakulären Systems COSIGS, aber was verständlicherweise aus pragmatischen Gründen zurückgestellt wurde.
Umweltreparatur ja, Gemeinwohl ja, Weltwirtschaftsplanung ja, aber mit einem klaren Ziel: Freiheit!“
Das, was Noah da in voller Faszination vernommen hatte, war, abgesehen davon, dass er etwa Gleichlautendes von sich hätte geben können, kein Vortrag eines Mädchens mit sanfter, einschmeichelnder Stimme. Nein, ganz und gar nicht. Das war ein Statement einer faszinierenden Persönlichkeit, mit einer vollen, tragfähigen Sonorität. Eindrucksvoll und sympathisch vorgetragen. Und wie, das zeigte ein lange anhaltender Applaus, an dem sich Noah auf keinen Fall beteiligen konnte. Die körperliche Befindlichkeit hatte sich nämlich kein bisschen entspannt. Eher hätte der Arme eine weitere Steigerung erwartet. Bloß, er war sowieso schon restlos am Anschlag, wie er selbst konstatierte.
Etwas erheitert schien Anna über die Situation gewesen zu sein. Sie senkte ihre Arme, die sie für ihren Vortrag gestenreich gebrauchte, drehte ihren schönen Kopf listig mit einem Lächeln halb zurück und streifte ganz langsam, zu langsam, um dies als Zufälligkeit abtun zu können, seine heißen, ach so heißen Hände. Ihre Unterarme blieben sogar mit zarter Berührung seiner Handrücken in dieser Position, was Noahs Glücksgefühl in schwindelnde Höhen trieb.
Die Veranstaltung ging dann irgendwie, irgendwann endlich dem Ende zu, das Gedränge löste sich zur Lockerheit auf. Anna, die köstliche Situation ausnutzend, setzte noch eins drauf. Sie beschloss, den Kerl da hinter ihr vollends um den kleinen Finger zu wickeln, drehte ihren Kopf rasch halb nach hinten und monierte scharf: „Na, junger Mann, wollen sie sich vielleicht noch weiter an meinen Hüften anhalten? Ist ihnen gar übel?“ Noah: „Oh, entschuldige bitte, sorry!“ Er hatte komplett seine Contenance verloren, er war bereits unfähig, einen unverfänglichen, anderen Spruch zu formulieren, um diese peinliche Situation einigermaßen zu entschärfen. Er war nicht einmal mehr in der Lage, die umstehenden Herrschaften zu registrieren, die seine jämmerliche Lage mit unverhohlenem Amüsement genossen.
Die Rettung kam sowieso postwendend: „No problem“, platzte es förmlich aus Anna heraus. Mit weit geöffnetem Mund und nach hinten geneigtem Kopf brach Anna in ein schallendes, herzbeglückendes Lachen aus. Das und Ihre blendend perlweißen, ebenmäßigen Zahnreihen machten Noah so fertig, dass er nur wie angewurzelt stehen blieb und er dachte: Gott, was kommt denn jetzt noch, mein Glück ist ja gar nicht mehr fassbar! Anna schnappte sich, noch immer herzlich lachend, Noahs Hand: „Ich bin die Anna, komm, ich lad‘ dich schnell auf ein Bierchen zum Töpfer ein, zum Abkühlen.“ Nochmals lachte sie herzhaft auf, als sie den etwas nach vorn gebeugten jungen Mann hinter sich herzog. Aber dass sich in ihr etwas regte, ein Gefühl von unendlicher Wärme, wie sie es noch niemals erlebt hatte, konnte sie nicht mehr leugnen, wollte sie auch gar nicht; war fast zu schön, um wahr zu sein, war aufregend, war sehr, sehr aufregend. Auch ihr Herz klopfte wie wild. Sie brauchte offensichtlich auch die geplante Abkühlung!
„Ich heiße Noah Held“, hörte Anna hinter sich und murmelte, mehr zu sich: „Weiß ich eh“ und hielt die Hand, die sie erwischte, ganz fest. Den lass ich nimmer aus, dachte sie, begleitet von mächtig aufwallenden, tiefsitzenden Glücksgefühlen. Liebe auf den ersten Blick; Unglaublich, aber das kann offensichtlich doch und wahrhaftig Realität werden! kam ihr zu Bewusstsein.
Also, mit dieser, seiner Anna, die seither nicht mehr aus seinem Leben wegzudenken war, an seiner Seite, kurvt Noah hoch. Den Autopilot{5} hat er bewusst ausgeschaltet, um endlich wieder ein Lenkrad mit Genuss drehen zu können. Er kann sich noch gut daran erinnern, wie er ziemlich genau vor 22 Jahren mit seinem Opa das erste Mal hier zum Skifahren war. Und, während er geschickt die Serpentinen hinaufstrebt, schildert er Anna genüsslich und ein wenig aufgeregt seine Erinnerungen:
„Es gab damals bei der Anreise sogar noch eine Schneefahrbahn. Du kannst dir nicht vorstellen, was das für ein großartiges Erlebnis war! Der Opa musste sogar, wir waren schon fast ganz oben, Schneeketten anlegen. Ja, sowas hatte man im Kofferraum mit, wenn man im Winter auf die Berge wollte. Opa erzählte damals, dass er früher, als er noch jung war, ganz regelmäßig und selbstverständlich Schneeketten anlegen musste. Er war ja so gerne und viel auf den österreichischen Bergen Skifahren. Es hat praktisch auf allen Bergen im Winter Schnee gegeben. Mit fix aufgestellten, bei Bedarf einschwenkbaren Warntafeln wurde man im Bedarfsfalle zum Kettenanlegen verpflichtet. Diese Vorrichtungen habe ich tatsächlich auch noch bei unseren Skiurlauben 2022-2024, hier, schon oberhalb des Hallstädtersees, an dem wir eben entlanggefahren sind, selbst gesehen“.
Er denkt mit stillem Lächeln zurück: Was hatte der Opa denn für ein Super-Auto! Es kam mir so riesig vor.
Neugierig war er als kleiner Junge ja und an aller Technik interessiert. Deswegen weiß er noch genau, was das für ein Gefährt war. Wegen seiner Wissbegierde hat ihm der Opa gerne alles bis ins Detail erläutert. Opa fuhr ein 10 Jahre altes Auto mit Riesenkofferraum. Er erläuterte, dass dieses Modell den VANs (Anglizismus aus Caravan) zugeordnet wurde, aufgrund mangelnder Nachfrage aber eingestellt werden musste. Es gab hingegen damals einen richtigen Run auf sogenannte SUVs (Sport Utility Vehicles). Opa meinte, gleichwertiges wie seinen VAN nicht mehr finden zu können, und deshalb fuhr er sein geliebtes Auto noch jahrelang weiter, die schon abgespulten 180 000 km am Buckel ignorierend. Außerdem nutzte er auch seinen Dieselantrieb mit Überzeugung, weil dieser prinzipiell einen deutlich höheren Wirkungsgrad als ein Benziner hat. Darüber, dass diese Tatsache, die jeder Maschinenbau-HTL-Schüler seiner Generation im Technologie-Unterricht als Basiswissen mitbekam, und dass dieses Wissen trotzdem nie Berücksichtigung fand, war er maßlos verärgert. Diesel wurde zum damals verpöntesten Antriebssystem degradiert.
Und die wegen ihrer angeblichen Umweltverträglichkeit und Nachhaltigkeit forcierte E-Mobilität mit mitgeschleppten Riesenbatterien in den 2020er-Jahren hielt er schon damals für eine skandalöse Verlogenheit. Mein Opa mit Weitsicht, ich bin im Angedenken so stolz auf ihn! Mit diesen Gedanken verstummt, wurden seine Augen feucht, was Anna sehr wohl mitbekommt, zu ihm rübergreift und beginnt, ihn ganz sanft am Oberschenkel zu streicheln:
„Erzähl ruhig weiter, mein Schatz, du weißt ja, mich interessiert jedes Detail deines Opas, seitdem wir gemeinsam seine Aufzeichnungen und Dateien im Keller deiner Oma aufgefunden haben.“
Noah seufzt: „Ich weiß, Liebes, ich glaube sogar, dass dir der alte Herr sehr gefallen hätte. Und mit Sicherheit weiß ich, dass er dich vom ersten Augenblick deines Erscheinens tief ins Herz geschlossen hätte, noch dazu, wenn er mitbekommen hätte, wie sehr ich in dich verliebt war.“
Anna mit gespielter Entrüstung: „He! Was heißt da, war?“ und gibt ihm einen Klaps, statt Streicheleinheiten.
Noah gibt seine Gedanken preis, aber erst, nachdem er sie eine Zeit lang erzählbar bei sich geordnet hat, bis sie oben ankommen, wo er hinwollte, in Gosau-Mittertal.
Sie steigen aus und schlendern los, Hand in Hand. So gehen sie meistens durchs Leben, um ja keine Sekunde der genossenen Innigkeit zu versäumen.
N: „Da schau, Liebes, unter anderem diesen Sessellift, der heute von Bergwanderern belagert wird, benutzte Opa zum Hochfahren mit angeschnallten Skiern, und hier auf diesem grasgrünen Hügel gab‘s einen sogenannten Zauberteppich, auf dem ich als Skizwerg, stehend auf Skiern, langsam hochgeschwebt bin. Natürlich war das ein Umlaufband, aber wir Kinder sind halt hochgeschwebt. Und dann bin ich Schuss daneben runtergesaust.“
Skifahren! Was für eine romantische Erinnerung! Anna, jetzt eingehängt und angeschmiegt an Noahs Seite, hängt förmlich an seinen Lippen. Sie liebt es, ihn in seiner Sentimentalität erzählen zu hören.
„Da drüben, hinter diesem Berg“, er zeigt mit seiner Linken nach links vorne hoch, „da steht die Bischofsmütze. Das ist dieser markante Berggipfel, von dem letztes Jahr dieser massive Felssturz berichtet wurde. Du erinnerst dich?“
A: „Ach, ja! Genau, wurde sogar mit Live-Video auf der Smartwatch{6} übertragen! ... Du, Noah, übrigens, ich wollte dich fragen, ob du mich in euer Arbeitsteam aufnehmen könntest. Als Forschungs-Stipendiatin vielleicht?“
N: „Du machst einmal dein Masterstudium fertig, so wie ich, ohne Brimborium und Schluss!“
So forsch ist Noah sein Mädchen eigentlich noch nie angegangen und er beißt sich auf die Lippen. Er ringt aber seit Tagen mit einer Empfehlung des COSI, so nennen die Insider ihren virtuellen Arbeitgeber, und er ist bestürzt darüber, dass in ihm Misstrauen gegen das System aufkommt. Anna ihrerseits aber wollte eigentlich noch was sagen, weil sie mit einer seelischen Belastung nicht fertig wird, durch die sie ihr so wunderbares Verhältnis immer schon irgendwie beschmutzt wahrgenommen hat. Das will sie ihrem Mann, das war er schon für sie seit ihren ersten Tagen zusammen, nicht länger verheimlichen. Aber Noah zieht sie schon fort:
„Komm, stellen wir uns an, fahren wir hoch; Mich interessiert, wie der noch immer nicht überwundene Klimawandel sich da oben zeigt.“
Sein Beruf ist wie eine Berufung und lässt ihn nicht einmal am Wochenende ganz abschalten, besonders, wenn er, so wie hier, in einem anderen Zuständigkeitsrayon etwas nachprüfen kann: Sie gehen durch die Registrierungspforte und es tut sich nichts. Etwas zufriedener lässt er sich, Anna rechts neben sich haltend, auf den 4er-Liftsessel nieder, der sanft an seinen Kniekehlen anschiebt.
„Da schau her, die Kollegen in Oberösterreich sind ganz schön auf Zack, die haben die Überwachung dieser alten Kraxn von Sessellift schon in den COSI eingebracht. Und siehst du die kreisrunden Pickerln an den Seilrollenstützen? Da, rot/weiß mit dem dicken schwarzen C drin? Das ist der Nachweis der permanenten Nachhaltigkeits-Instandhaltung, die sukzessive auf alle Bereiche der Wirtschaft ausgeweitet wird und die übliche vorbeugende Instandhaltung ersetzen soll.“
Er wollte weiter ausführen, weil er weiß, wie wissbegierig sein Mädchen ist und er ja unglaublich stolz auf sie ist, aber sie sitzt mucksmäuschenstill neben ihm; da ist doch was im Busch!
Und da kommt schon, wie erwartet, Ihre Linke angekrochen und ihre Finger verschränken sich mit den seinen der Rechten. Ihre Rechte kommt auch noch herüber und schlüpft unter seine rechte Schulter. Oje, denkt Noah, das kenn ich ja gar nicht von ihr, da gibt es was Dickes auszubaden! Ob das was mit meinem scharfen Ton zuvor zu tun hat?
A: „Noah, du weißt doch, wie sehr ich dich liebe, oder?"
N: „Was für eine Frage, Liebes, natürlich, so wie ich dich, ich sogar von der ersten Sekunde an, als ich dir in die Augen blickte!"
A: „Aber, dass ich dich schon kannte und wusste, wer du bist, und dass du hübscher Bursche mir so gut gefallen hast und du mich mit einem Vortrag so beeindruckt hast, das wusstest du nicht...mein Schatz“
Die beiden letzten Worte hauchte sie nur mehr und sie verkrallt sich noch mehr in seine Hand und lehnt noch ihren Kopf an seine Schulter. Und dann sprudelt es nur so aus ihr heraus:
„Du warst in dem Studentenverein - COSIGS-Kontrolle – und ich war auch bei dieser ominösen Veranstaltung im Februar 2042, die meinen Papa so elektrisierte. Ich war einer der vielen Gasthörer, ganz hinten im Saal, aus Interesse an dem Thema: „Vergessen wir nicht das Ziel der Freiheit“. Und nach der Einführung einer resoluten Dame, offensichtlich eurer Obfrau, wurdest du als „unser Noah Held“ und als Hauptredner angekündigt. Und am Schluss hast du in Erinnerung gerufen, dass ein offenes Diskussionsforum im Audimax stattfindet, eben an jenem Mittwoch, den 2. April 2042 und du selbst vielleicht auch was beitragen möchtest… Das ist unser Tag, Noah, … oder nur mehr mein Tag?"
Den letzten Satz brachte sie nur mehr leise schluchzend, gedehnt
und tränenerstickt heraus. Nach einer Pause voller Stille, sprudelt es aber weiter aus ihr heraus:
„Ich war wirklich so gefesselt vom Thema und hab viel nachgelesen, auch was du in eurem „Aktuell“ verbreitet hast. Und dann habe ich am Veranstaltungstag vor der Uni gewartet, während Massen an mir hinein pilgerten, nur du nicht. Ich dachte, du würdest noch zu spät kommen. Und ich wollte dich doch mit einer vorbereiteten Wortmeldung beeindrucken, aber dabei in deiner Nähe sein, so dass du auf mich aufmerksam wirst. Und dann bist du endlich gekommen und hineingestürmt. Ich bin dir knapp hinterhergetrippelt und dann ist es passiert, dass ich gestoßen wurde. Natürlich hätte ich mich mit den Händen abfangen können, aber ich gebe zu, dass ich einem niedrigen Instinkt nachgab und mich einfach nach vorne hab fallen lassen. Und ich habe das so genossen, was dann passierte, es war die reine Freude und ich war im siebten Himmel!“
Stille herrscht, nur das Tragseil surrt eintönig. Anna klammert weiter verzweifelt und vergräbt verschämt ihr Gesicht an Noahs Schulter.
Der Liftsessel fährt in seine Endstelle auf der Mittelstation ein und die beiden hätten fast übersehen, abzusteigen. „Bügel hoch, safety bar up, Bügel hoch, safety bar up”, hörten sie den Liftwart aufgeregt rufen, bevor sie reagierten und endlich ausstiegen.
Das brachte Noah wieder in die Realität. Er registriert nun gar an eigener Person, dass da die COSIGS-Crew Oberösterreich in diesem Punkt schlampig recherchiert hat! Ein nicht erkannter Sicherheitsmangel. Der Mensch muss sogar noch eingreifen! Geschickt, durch die Blume, anonym, wird er diese Überwachungslücke weitermelden an die COSIGS-Zentrale. Leitende Angestellte sind nämlich sogar angehalten, hier helfend tätig zu sein, um das System weiterzuentwickeln und zu perfektionieren.
Sein Nachdenkprozess über dieses überraschende Geständnis seines angebeteten, so makellosen Mädchens war noch nicht beendet, wurde nur durch diesen Zwischenfall gestört. Gott sei Dank, so kann er wenigstens verschnaufen. Dann geht er gedankenverloren zum 6er-Hornspitz-Sessellift hinüber und die unglücklich zusammengekauerte Anna trabt hinterher.
Wortlos sitzen die beiden nebeneinander, jeder denkt für sich. Anna an praktisch nichts mehr Konkretes. Ihre Gedanken purzeln nur so durcheinander. Ihr ist zum Weinen, aber das traut sie sich auch wieder nicht und unterdrückt tapfer ihre Emotionen. Sie wagt es nicht einmal, ihre Hand zur Seite zu strecken, um nur ja nicht von sich aus Körperkontakt zeigen zu wollen. Dieser Zustand, sich in ihrer Beziehung beim Zusammensein nicht ununterbrochen berühren zu wollen, ist erstmalig, so was gab‘s noch nie!
Wie ein Häufchen Unglück, ganz still sitzt Anna da, so nah und doch so fern ihres angehimmelten Partners. Verzweifelt schielt sie verstohlen zur Seite, um wenigstens irgendeine Stimmung erahnen zu können. Aber sie sieht nur Noah reglos dasitzen, ins Nichts starren und sich mit beiden Händen krampfhaft am Bügel festhalten.
Noah aber ist hellwach! Er muss sich nur konzentrieren, um diesen denkwürdigen Tag damals nochmals Revue passieren und die Geschehnisse mit dem, was er glaubte, dahinter zu sehen, korrelieren zu lassen: Wie ging es denn weiter, nach Ende der Veranstaltung und nachdem Anna mich völlig verdutzten Deppen abschleppte?
Anna und Noah setzen sich in lauer Abendluft in den Gastgarten des Cafés Töpfer. 1 Bier und 1 Sodawasser mit Zitrone wurden von Anna, wie heute üblich, mit Smartwatch schon vor Lokaleintritt geordert und abgerechnet und dann recht zügig gelehrt. Sie sitzen einander an einem kleinen 2er-Tisch gegenüber und nach der Abkühlung geht‘s Noah wieder richtig gut. Anna sowieso, sie ist aufgedreht und nicht zu bremsen. Sie legt die Hände flach auf den Tisch, nachdem sie gesehen hatte, dass Noah dies zuvor tat und krabbelt ungeniert langsam zu Noahs Händen rüber. Damit beugt sie sich gewollt leicht über die Tischkante, ihr dünnes Hemdchen spannt sich und ihre Brüste zeigen durchscheinend ihre volle Pracht. Noah, dadurch wieder nicht wenig angeregt, sieht eine eindeutige Bereitschaft seiner Dame gegenüber, will nicht nur Animierter spielen und hält dagegen. Seine flachen Hände schiebt er vor, sodass seine Finger mit den ihren, ineinander kämmend, nebeneinander zu liegen kommen. Der Kopf macht die Bewegung nach vorne klarerweise mit und die beiden Gesichter sind nur mehr wenige Zentimeter voneinander entfernt.
N: „Was machst du, Mädchen, wenn du nicht gerade einen Fremden abschleppst?“… Oje, das war jetzt gar nicht nett, denkt er, denn Anna kniff ein wenig die Augen zusammen, aber nur kurz. Sie erwidert dann brav und es entsteht zunächst ein normaler Frage-/Antwort-Dialog, aber nur, wenn man von der Gesprächshaltung und einigen spitzen Bemerkungen dazwischen einmal absehen könnte:
A: „Ich studiere Ethno im 6. Semi. Auch jetzt in der Karwoche, wegen Ersatzvorlesungen eines Professors, der immer zur Unzeit krankspielt.“
N: „Ist das da drüben in der Hauptuni untergebracht?“
A: „Im Institut Hanuschgasse, ist aber auch im Ersten. Und was ist mit dir los, wenn du dich nicht gerade an jungen Damen vergreifen willst?“
Das hat gesessen, aber Noah war bereit, mitzuspielen. Wie sie macht er ein bisschen ein finsteres Gesicht mit herabgezogenen Mundwinkeln: „Nebenbei studiere ich halt auch ein wenig.“
A: „Aber wenn du offensichtlich so wenig studierst, findest du immer gleich dein Institut.“
Die ist aber schon ein bisschen ausgebufft, dachte Noah.Er wollte nun rasch zum Schluss kommen und selbst Abschlepper spielen. Das hat er sich längst schon fest vorgenommen und ändert seine Taktik auf cool und gentlemanlike:
„Ja, Oskar Morgensternplatz; Eco-Masterstudium im 4. Semi… OK Mädchen, ich bin ein bisschen schlapp und möchte abrauschen. Ich bin heute zufällig mit meinem CAC unterwegs, weil ich in der warmen Jahreszeit gerne in meinem Sommerhäuschen übernachte. …. Platz wäre genug, somit, no problem, kommst mit?“
Anna setzt sich auf, während sie mit sich hadert und denkt: Was habe ich da nur angestellt, ich mach den armen Tropf so heiß, gerade diesen lieben Menschen, dem ich mich so gerne hingeben würde, und muss ihm doch absagen. Wie komm ich nur wieder raus aus dieser Scheiße?... Ich mach mein Spielchen einfach weiter und komm ganz rasch zum Ende.
Sie nimmt die Hände ganz vom Tisch, kramt ein bisschen in ihrem kleinen Täschchen an der Sessellehne, nur um sich zu sammeln, und hängt es sich gleich zum Gehen um. Dann versucht sie finster zu schauen, zieht die Augenbrauen zusammen, weil sie eine Stirnfalte ausbilden wollte, was ihr gar nicht gelingen will, und zieht ein Schmollmündchen:
„Muss nach Haus zu Mama!“
Mit dieser Wendung hat Noah aber nicht gerechnet. Es tut ihm furchtbar leid, wie ordinär er sich gab, was seinem Wesen ja gänzlich widersprach. Er meint, dieses wunderbare Wesen in seiner Ehre zu sehr verletzt und er seine Chance vertan zu haben. Er ist ganz verdattert und stottert fast:
„Ich fahr dich natürlich gerne nach Hause.“
A: „Nein, ich fahr sehr gut allein mit der U.“
N: „Aber ich würde dich wirklich gerne begleiten!“
Anna hält es kaum aus, wie sehr sie diesen lieben Menschen durch ihr neckisches Spiel so quälen muss, und ordnet ihre Gedanken:
Ich kann ihm doch nicht sagen, was Sache ist. Ich muss schnell Schluss machen, aber letztlich lieb, ganz, ganz lieb und fröhlich! Das ist der Plan. Zuerst aber muss sie noch mit möglichst giftiger Stimme sprechen:
„Wenn ich nein sage, dann ist das nein; ist das klar?“ Noah ist jetzt fix und fertig. Er kann es nicht fassen, dass plötzlich durch seine Unbedachtheit alles, was so wunderbar harmonisch sich fügte, den Bach runtergehen soll.
Anna ihrerseits kann aber Noah nun nicht mehr leiden sehen. Jetzt schnell, aber wie zeigen, dass eh alles in Ordnung ist? Am besten ein Zeichen zur Erinnerung, wie alles so herrlich begann.
Sie sitzt weiter mit ihrem finsteren Gesicht da, was zu ihrem fröhlichen Wesen so gar nicht passt. Sie kann diese erzwungene Spannung gar nicht mehr halten. Sie entspannt sich, ihre Mimik wandelt sich zu einem verschmitzten Lächeln. Noah wirkt erleichtert und Anna kann ihren aufsteigenden Impuls nicht mehr bändigen. Sie wirft stolz den Kopf zurück, zieht die Schultern nach hinten und ruckartig wölbt sie einmal kurz, aber vehement, ihre Brüste vor.
Die Überraschung ist geglückt, das war klar, aber Noah kann gar nicht so schnell schauen, als Anna sich vorbeugt, mit beiden Händen ihn an den Wangen packt, zu sich zieht und kurz, aber herzhaft auf den Mund küsst. Dann springt sie auf und mit einem fröhlichen Lachen, in der Art, wie Noah das heute schon mal bewundert hat, stolziert Anna modelhaft, langsam dem Ausgang zu. Jetzt erst wird Noah ihrer langen, perfekt geformten Beine gewahr, endend in einem extrem kurzen Minirock; Die Füße stecken bar in weißen Sportschuhen. Spontan kalkuliert er: Wenn die hochhackig daherkommt, schaut die garantiert über mich drüber. Ja, wie finde ich sie wieder? kommt es ihm entsetzt: „Aber, aber“, kann er ihr noch nachrufen, Anna ist aber schon am Ausgang, dreht sich nochmals zu Noah um, lacht einmal noch glückselig auf, deutet mit einem verheißungsvollen Zwinkern mit der flachen Hand auf ihre linke Brust, mit Fingern nach unten gerichtet und bewegt sie bedeutungsvoll auf und ab.
Fort war sie und Noah ist so geschafft, dass er sich bei noch einem Bier erholen muss. Was hat sie noch vor ihrem Abrauschen da angedeutet? Er greift in seine Brusttasche und zieht eine Karte heraus: Anna Bell, liest er in einer verschnörkelten Schrift und darunter ist ein QR-Code aufgedruckt. Wann, um alles in der Welt, hast du mir denn das unterjubelt, du durchtriebenes Biest, du anbetungswürdige Göttin der Schönheit und der Anmut! Kopfschüttelnd und ratlos, in Gedanken versunken, verlässt Noah das Lokal und durchlebt zu Hause noch eine Nacht mit wilden, fragenden und sehnsüchtigen Träumen.
Noah, nachdem er sich die damalige Szenerie vor 2 Jahren im Café Töpfer ins Gedächtnis gerufen hat, ist anschließend mehr stolz auf seine Raubkatze, wie er sie manchmal schon zu erleben hatte, als er ihr grollen könnte. Nur die Überraschung ist wieder einmal ordentlich gelungen. Und dann spürt er eine unendliche Erleichterung und ist ganz glücklich über die Kenntnis der Hintergründe über die wundersame Fügung ihrer exemplarischen Partnerschaft. Er trug eigentlich immer den nie ausgesprochenen, leisen Verdacht in sich, COSI hätte da seine Finger im Spiel gehabt. Etwas, wogegen er schon seit seinem Engagement in der Studentengruppe angekämpft hat, nämlich eine unterschwellige Steuerung der menschlichen Beziehungen im System zuzulassen. Und seit er vorige Woche von COSI die Empfehlung erhielt, ausgerechnet seine Lebensgefährtin als Spezialistin für Ethikfragen und Indigenen-Betreuung in seinem Team aufzubauen, wurde sein leichter Verdacht ein ungeheurer! Vielleicht spielt auch ihr Vater im Hintergrund eine unrühmliche Rolle… entsetzlich!
Er musste sich sehr zusammennehmen, um sich seine Erleichterung nicht anmerken zu lassen. Immerhin, sie hat ja eine nicht ganz lupenreine Aktion zu verantworten. Absolution kann das kleine Biest von mir so schnell nicht erwarten. Ein bisschen zappeln lassen schadet gar nicht, denkt er. Erst nach ein paar Minuten lässt er leichte Entspannung zeigen. Er gleitet langsam mit seiner Rechten in Annas linke Hand und die reagiert mit einem so dankbaren Blick, dass ihm das Herz aufgeht. Sie schmiegen sich schweigend aneinander. Gegen Ende der Hochfahrt deutet Anna erregt nach links:
„Schau doch, da drüben links, diese Hütte, mit dem Einhorn-Plakat und dem kuriosen Namen: „Ein Horn am Spitz“!“
N: „Ja, die kenn ich auch schon, als mich mein Opa hier herauf mitnahm. Wollen wir uns auf ein Gläschen reinsetzen?“
A: „Gerne.“
Sie kann es irgendwie gar nicht fassen, wie rasch Noah ihre Beichte verdauen konnte. Ja, da hätte sie sich doch leicht früher zu erkennen geben können und wäre den ewigen Kloß im Hals eher losgeworden!
Sie setzten sich auf die sonnige Terrasse und wollten, wie sie es gewohnt waren, Konsumation ordern. Vergeblich versuchten sie, an ihren Smartwatches zu hantieren. Dann hörten sie:
„Grias eich! Woits wos dringa? De Wotsch do, de kaunst vagessn! Bei uns gets no pomale zua,..oiso?“
Beide schauen auf und sehen eine Frau in einem prallen Dirndl-Kleid.
A: „Eine Kellnerin! Ja wunderbar, das hab ich schon lange nicht gesehen! Bringen Sie mir bitte einen Apfelsaft. Aber wie sollen wir denn bezahlen, Bargeld gibt’s ja nicht mehr!“
Die Kellnerin: „Auf da Nudlsuppn san ma oba a net dahergschwumma! Zoin kaunst scho mit deina Wotsch in kaschles mani!“ (cashless money.. CASMO{7})
Vom kuriosen Dialog angeregt, legt Noah los: „No, waun des e so is, daun bringst ma hoit a Seidl.“
Die Kellnerin: „Fir di weama a Fassl auf d`Oim aufazahn gö? Na, i bring da a Flaschl, des duats a.“ Und weg war sie.
Für Noah war diese Szene köstlich erheiternd und lässt ihn weiter entspannen. Er spricht natürlich gleich leise seine Kritiken für die oberösterreichischen Kollegen in seine Cloud über die „Wotsch“ auf, aber dann widmet er sich ganz Anna. Ihm fehlt noch ein entscheidender Teil im Puzzle des vollständigen Verständnisses für die Geschehnisse nach ihrem ersten Abend:
„Anna, du schildertest mir eben ganz freimütig deinen Genuss dabei, mir völlig den Kopf zu verdrehen; Ich hab auch deine Bereitschaft mir gegenüber aufs Deutlichste wahrgenommen, aber, bitte um alles in der Welt, erkläre mir noch, warum du mich trotzdem tagelang hast zappeln lassen, dann erst mich mit deiner unendlichen Liebe empfangen konntest und mich damit in restloser Verzauberung schwelgen ließest?“
A: „Noah!“ ruft sie aus, „das glaub ich jetzt aber wirklich nicht! Nach 2 Jahren unserer glücklichen Partnerschaft plagt dich noch immer etwas, was nie etwas war!“ Sie kommt auf seine Seite, setzt sich neben ihn auf die Bank und flüstert ihm ins Ohr:
„Du bist mein Schatz, du bist mein Held, ich sehe zu dir als meinem intellektuellen Vorbild auf, ich liebe dich sehr, aber du bist schon auch manchmal meine kleine Piesepampel!... Haben wir nicht Pause, wenn mich der Monatszyklus zwingt?“
Noah schlägt sich unvermittelt mit der flachen Hand auf die Stirn und es steigt ihm tatsächlich die Schamröte ins Gesicht.
N: „Liebes, ich bin untröstlich!... Wie konnte ich nur!... Nein, was bin ich doch für ein Dolm!... Aber Anna, ich hatte dir doch auch angeboten, dich nach Hause zu begleiten. Warum hast du mir denn auch das versagt? Das wäre doch nicht notwendig gewesen.“
A: „Oh doch, mein Lieber! In deinem Fahrzeug? Nein, du warst so heiß, was weiß ich, wo deine Hände in deinem Zustand hin krabbeln wollen? Aber ich selbst war ja auch leidenschaftlich entflammt. Gott sei Dank war diese kuriose Aktion, wie ich sie an jenem denkwürdigen Tag gestartet habe, nur der Tatsache meiner Liebestollheit geschuldet. Ich musste mich zur Nüchternheit richtig zwingen. Am liebsten hätte ich dich nämlich gleich mit Haut und Haar aufgefressen!“
Noah kann nur mehr über sich den Kopf schütteln und sieht verklärt hinauf zu den Wolken, die auf ihrem Zug in der letzten Stunde deutlich Fahrt aufgenommen haben, wie er gedankenverloren registriert. Dann springt er, wie von der Tarantel gestochen, auf und eilt hinein in das Lokal: „Ich muss mal!“ ruft er noch zurück. Anna bleibt etwas verdutzt zurück und hängt ihrerseits ihren kreisenden Gedanken nach: Ja, meine Liebe, deine Beichte war erleichternd, aber da ist noch was. Aber das kann und will ich nie und nimmer preisgeben. Das haben Davi und ich uns hoch und heilig versprochen. Damit wird sie ihr Leben lang mit sich selbst fertig werden müssen, wird sie sich bewusst und macht einen tiefen Seufzer, zur eigenen Beruhigung.
Anna ist verwundert, weil Noah ungewöhnlich lange verschwunden ist. Als er kommt, ruft er gleich zum Bezahlen mit der „Wotsch“ und die dralle, etwas in die Jahre gekommene Kellnerin zwinkert ihm lächelnd zu: „Es saz scho a saubas Parl, es zwa!“ Und die beiden verlassen die „Ein Horn am Spitz“- Hütte.
Anna begab sich nach dem Verlassen des Gastgartens Café Töpfer schnurstracks zur U2-Station Schottenring, mit der angestrahlten Votivkirche im Hintergrund. Sie kennt dieses Kirchengebäude gut, weil sie schon als 3-Jährige manchmal mit ihren Eltern von ihrer Wohnung in der Seestadt mit in die Innenstadt fahren musste, wenn ihre Mama, statt Homeoffice, persönlich im Büro, in der Nähe der Uni am Ring, erscheinen musste. Und Papa ist sowieso noch Professor, hier an der Hauptuni. Und sie selbst steigt, seit sie selbst studiert und manchmal zur Hauptuni muss, auch hier zu.
Sie war in Hochstimmung und doch mit Vorwürfen belastet. Als sie aufschaute und der mit dunklen Belägen bedeckten Kirchenfassade ansichtig wurde, wurde ihr ganz übel. Sie erinnerte sich an das Jahr 2023, als diese Kirche nach jahrelanger Generalsanierung endlich wieder in neuem Glanz erstrahlte und sie, als die Verhüllungen fielen, in ihre Händchen klatschte. Als Mahnmal der Stadt Wien wird dieser Bau unsaniert für den überstandenen PLAPO-Modus{8}der Jahre 2031-32 erhalten!
Erst mit dem TNGR{9}konnte man den bedrohlichen Prozess des Unterganges der menschlichen Zivilisation auf dieser Erde verstehen.
Sie wurde so traurig, dass ihr die Tränen nur so über die Wangen kullerten, und ihr heutiger Übermut kam ihr als so anmaßend empfunden ins Bewusstsein: Wie konnte ich nur mit diesem wunderbaren Menschen, den ich doch so verehre und so wild begehre, meine Späße treiben? Was wird der sich von mir denken? Aber in der kurzen Zeit unseres Zusammenseins kann ich ihm doch unmöglich meine Intimitäten zumuten. Ich will das wieder gutmachen. Der ist ja ganz verrückt nach mir geworden; Ich bin mir deshalb sicher, dass er mir nicht lang gram sein kann. Behutsam, Anna, behutsam geh vor; Zeig ihm doch einfach an, was mit dir los ist, aber auch deine Liebe… Er liebt augenscheinlich mein Aussehen; Ich hab doch bemerkt, wie seine Blicke mich richtig herbeisehnten. So will ich mich bemühen, ihm einstweilen damit große Freude zu bereiten. Ich bin verliebt, bis über beide Ohren, Noah! Halte durch, ich komme!
Mit diesem Selbstgespräch beruhigte sich ihr aufgewühltes Gemüt und sie fuhr mit wiedergewonnenem Selbstvertrauen und Plan nach Hause.
Nur in der Nacht stieg ein allerletztes Mal noch ein Selbstvorwurf auf und sie weinte bittere Tränen in ihr Schlafkissen. Sie hätte sich so gerne ihrer geliebten Adoptivschwester Abina anvertraut. Die ist aber über die Osterferien zu ihren letzten überlebenden Verwandten nach Ghana gereist.
Anna pflegte und schminkte sich eigentlich immer tipptopp, aber diesmal, am nächsten Morgen, dem 3. April, legte sie ganz besonderes Augenmerk auf Frisur, Gesicht und Dekolleté, erwartet sie doch einen Videoanruf. Nur wann wird der wohl sein? Für eine Vereinbarung hatte sie Noah keine Chance gelassen. Dann suchte sie sich aus ihrer feinsten Garderobe eine tief ausgeschnittene schwarze Bluse heraus.
Vor ihrem Laptop nahm sie Probeposition ein und übte ein Gesicht, das Traurigkeit und Zuversicht zugleich aussagen sollte. Das gelang aber erst, nachdem sie sich selbst im Stillen vorsagte:
Leider mein Schatz, geht noch nicht, aber bald!
Danach kalkuliert sie: 7:55 Uhr ist es schon. So etwa in 1 Stunde muss ich außer Haus gehen, um pünktlich um 10 Uhr im Institut zu sein; das heißt, ich kann max. 45 Minuten so ausharren und hab dann noch 15 Minuten, um in Straßenkleidung zu schlüpfen.
Noah ist an diesem Morgen schon reisefertig, sitzt im CAC und wartet gespannt bis 8:00 Uhr, weil er denkt, dass dann ein Student mit Sicherheit schon für den Tag bereit ist. Außerdem muss sie ja auch in diesen Ferien aktiv sein, meinte sie. Er hält die Visitenkarte von Anna an seine Smartwatch, atmet einmal voll durch und spricht: “Anruf“. In gleicher Sekunde schon sieht er Anna und ist wie vom Blitz gerührt. Geistesgegenwärtig drückt er auf das Bild für einen Screenshot und tippt auf den großen Bildschirm im Fahrzeug zur Live-Datenübertragung. Zuerst sprachlos, mit wieder einmal abgeklappter Kinnlade, wie Anna ihn auf ihrem Bildschirm wahrnimmt, beginnt er:
„Anna, guten Morgen! Ich bin ganz geblendet von deiner Schönheit!“
