In alter Frische - Bill Mockridge - E-Book

In alter Frische E-Book

Bill Mockridge

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Beschreibung

Bill statt Botox: Der beliebte Comedian und Schauspieler Bill Mockridge wird zum Altersforscher. Anhand skurriler Fakten, witziger Anekdoten und persönlicher Geschichten beantwortet er die Frage: Was ist das eigentlich, das Alter? Dabei erfährt der Leser, warum manche Hormone ihren Job nicht mehr machen, ob ein Kölsch am Tag das Leben verlängert und wie viele Abenteuer jenseits des Rentenbescheids auf uns warten. Am Ende ist klar: Wer jung bleiben will, braucht keinen mickrigen Seniorenteller, sondern die richtige Einstellung und eine große Portion Humor.

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Seitenzahl: 339

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Inhalt

CoverInhaltTitelImpressumVorwort1. Ich hasse Geburtstage2. Hilfe, Dr. Peters!3. Der Ruf der Leidenschaft4. Willkommen in der Folterkammer!5. Wer schön sein will, geht baden6. Mit Vollgas durch Endenich7. Kartoffelwasser und halbe Portionen8. Der Eismann und der Sesselkloß9. Vital und Fit10. Goldene Theaterzeiten11. Ich bin ganz Ohr12. Eine Idee wird geboren13. Schau mir in die Augen, Kleines14. Bitte (nicht) anfassen!15. Margie, ihr schmeckt’s nicht!16. Der Griff nach dem Strohhalm17. Alles aus einem (Auf-)Guss18. Das A bis Z der Triebe19. Es ist alles nur Chemie (oder nicht?)20. Sex im Zug21. A very Mockridge Christmas22. Die Stadt der Party-Engel23. Dornröschen und die Fadenwürmer24. Die schöne neue Welt der Tausendjährigen25. Don Juan und die Florida Boys26. Helenes Lied27. Heidelberg und der Rest der Welt28. Die Femmes Fatales: Im Jungbrunnen fließt kein Bier29. Meine sieben Altersstufen30. The show must go on31. And the winner is …32. Das Haus am See33. Das erste L: Laufen34. Das zweite L: Laben35. Das dritte L: Lieben36. Das vierte L: Lachen37. Das fünfte L: Lernen38. Ich liebe GeburtstageBildnachweisDanksagung

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

Originalausgabe:

Copyright © 2015 by Bastei Lübbe AG, Köln

Mitarbeit: Helge May

Lektorat: Ramona Jäger

Textredaktion: Dr. Katharina Theml

Titelbild: © Boris Breuer, Köln

Umschlaggestaltung: Guter Punkt, München

Datenkonvertierung E-Book:

hanseatenSatz-bremen, Bremen

ISBN 978-3-7325-0844-0

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

Vorwort

»In alter Frische« – was soll das eigentlich heißen? Richtet sich dieses Buch an frisch gebackene Alte, die sich in der »Alten Frische« treffen sollen (wo immer das sein mag)? Oder ist es so eine Art bedruckte Frischhaltefolie, die uns wie einen guten alten Gouda vor dem Austrocknen schützen soll? Lassen Sie mich das kurz erklären – frisch von der alten Leber weg.

Die alte Frische ist ein Zustand, an den ich mich noch gut erinnern kann. Als junger Mensch hatte ich das Gefühl, Bäume ausreißen, Berge versetzen und die Welt verändern zu können. Alles schien möglich zu sein, und nichts konnte mich erschüttern. Aber irgendwann im Laufe der Jahre – nach vielen guten und schlechten Erfahrungen, nach Kämpfen, Siegen und Niederlagen – habe ich gemerkt, dass dieses Gefühl mir Stück für Stück verloren gegangen ist.

Doch plötzlich, irgendwann jenseits der Fünfzig, meldet sich die Sehnsucht nach der alten Frische zurück, man will zu neuen Ufern aufbrechen. Aber man merkt, dass man sich geistig und körperlich alles andere als frisch fühlt. So war es jedenfalls bei mir. Ich musste mich entscheiden: Finde ich mich damit ab, ein alter Knochen zu sein, oder mache ich mich endlich auf den Weg, die alte Frische zurückzubekommen? Dreimal dürfen Sie raten, wofür ich mich entschieden habe!

Ich habe meinen Weg gemacht und bin fündig geworden. In diesem Augenblick fühle ich mich knackfrisch und sehe super aus – obwohl ich 82 bin! Na gut, das war jetzt gelogen. Das ist ein kleiner Kniff, den ich von meiner Frau übernommen habe. Sie hatte sich kürzlich ein viel zu großes Oberteil gekauft. Ich war irritiert: »Schatz, was ist das denn für ein Zelt? Da passt du ja locker dreimal rein!« Sie nickte bedeutungsvoll. »Bill, das ist ja eben der Trick. Wenn ich das Ding anziehe, fragen alle meine Freundinnen: ›Boah – hast du abgenommen!?‹ Genau so mach ich’s jetzt mit meinem Alter. Ich knalle einfach fünfzehn Jahre drauf. Und – zack! Schon sind alle Leute beeindruckt, wie großartig ich mich für 82 gehalten habe.

Mit hundert mach ich es dann genauso. Ja! Ich habe tatsächlich vor, als Hundertjähriger aus dem Fenster zu steigen. Hundert ist doch kein Alter mehr! Zurzeit leben etwa 14 000 Hundertjährige in Deutschland. Die könnten eine ganze Kleinstadt füllen. Und es geht noch weiter: Alle acht Jahre verdoppelt sich die Zahl der »Centenarians«, wie die Rekord-Oldies jetzt heißen. In 32 Jahren, wenn ich selbst einer bin, sind wir also insgesamt 224 000 Hundertjährige!

Jetzt wollen Sie wahrscheinlich wissen, was man mit dieser langen Lebenszeit anfangen soll. Die Antwort ist ganz einfach: leben! Und zwar ganz bewusst, Tag für Tag, voller Neugier, Lust (ja, das meine ich ganz wörtlich!) und Leidenschaft! Frauen und Männer in der zweiten Lebenshälfte sterben nämlich nicht nur später als ihre Eltern und Großeltern, sondern sind auch gesünder, fitter und aktiver, als es ihre Altersgenossen vor fünfzig Jahren waren. Sie sind »Junge Alte« – Menschen, die im Geiste jung geblieben sind. Und für Junge Alte ist das Thema Sex noch nicht gegessen. Sport ist nicht Mord, sondern ein Ausdruck von Lebensfreude. Und Lernen ist nicht etwas, das man Gott sei Dank hinter sich hat, sondern ein lebenslanges, jung haltendes Hirntraining.

Wenn Sie Lust haben, nehme ich Sie mit auf die Suche nach der alten Frische. Es wird eine spannende und witzige Reise durch die Welt der Zellalterung, der absurden und nicht ganz so absurden Schönheitstipps und der teilweise ziemlich verrückten Abenteuer eines frisch gebackenen Jungbrunnenforschers.

Apropos: Ich habe noch eine gute Nachricht. Sie werden nach der Lektüre dieses Buches nachweislich jünger sein als vorher. Großes kanadisches Ehrenwort! Wie das funktioniert, verrate ich jetzt natürlich noch nicht – sonst würden Sie ja nicht weiterlesen. Wir kommen später drauf zurück. Jedenfalls hat es sich jetzt schon gelohnt, die 9,99 Euro für das Buch ausgegeben zu haben. Wo sonst kriegt man für diesen Preis einen gedruckten Jungbrunnen? Wenn es bei Ihnen funktioniert hat, schreiben Sie mir doch ein paar Zeilen. Wenn Sie morgen tot umfallen, rufen Sie kurz an, dann gibt’s das Geld zurück.

Ob Sie nun dreißig, sechzig, zweiundachtzigeinhalb oder hundert sind: So oder so wünsche ich Ihnen, dass Sie auf die Frage »Alles frisch, Alter?« jederzeit stolz und glücklich sagen können: »Logisch – ich bin happy bis hundert!«

So, und jetzt viel Spaß!

Ihr Bill Mockridge

1. Kapitel

Ich hasse Geburtstage

Besser gesagt, ich hasse meinen Geburtstag. Napoleon hatte sein Waterloo, Cäsar die Iden des März – und ich habe meinen Geburtstag. Mein Sternzeichen ist nämlich Löwe, und wer sich mit Astrologie auskennt, weiß: Löwen haben immer im Sommer Geburtstag. In den großen Ferien! Das ist eine Zeit, in der wirklich keine Sau da ist – außer mir natürlich.

An meinem Kindergeburtstag gab es also keine supergeile Schnitzeljagd mit meinen Kumpels durch den kanadischen Wald. Es gab ein »kleines, gemütliches Beisammensein« auf der Veranda. Mit meinen Eltern, meiner Schwester und, wenn ich Glück hatte (wegen der Geldgeschenke!), mit meiner Patentante Betty. Wir stießen mit Limo an, aßen Sandkuchen, der genauso schmeckte, wie er hieß, und meine Mutter erzählte von ihren eigenen, immer total lustigen Geburtstagen im November; mit all ihren Freundinnen und vielen tollen Geschenken! Wenn Ihnen ein Kindergeburtstag einfällt, der noch deprimierender ist, lassen Sie es mich wissen.

Später, als ich dann in Deutschland fest am Theater engagiert war, gab es im Juli Theaterferien. Ich verbrachte meinen Geburtstag also nicht mit Freunden und Kollegen feuchtfröhlich bis in die Puppen in der Kneipe, sondern meistens auf einem Zeltplatz im Süden. Da kannte mich außer meiner Freundin keiner – und selbst wenn irgendjemand Lust gehabt hätte, die ganze Nacht über mit mir Geburtstag zu feiern … um 22 Uhr war Nachtruhe. Genau wie damals, als ich zehn war. Kurz und gut, ich hasste meinen Geburtstag und habe ihn aus Protest einfach nie gefeiert.

Erst als ich Vater wurde und das Leuchten in den Augen unseres Erstgeborenen Nicky sah, änderte sich etwas. Er kriegte sich vor Aufregung gar nicht mehr ein, nachdem er von meiner Frau erfahren hatte, dass es »am Wochenende ganz doll lustig wird. Der Daddy hat nämlich Geburtstag!« Nicky schenkte mir auch gleich einen Sandkuchen (90 Prozent Sand, 9 Prozent Pfützenwasser, 1 Prozent Regenwurm) und hatte einen Riesenspaß an meinen Bemühungen, ihm zuliebe ein Stück davon runterzuwürgen. Da wurde mir klar: Ab jetzt musst du deinen Geburtstag feiern, und zwar nicht für dich, sondern für deine Kinder!

Und so ist es bis heute. Seit dreißig Jahren gibt es am 28. Juli immer ein großes Fest mit der ganzen Familie, und Dads neues Jahr wird gefeiert. Morgens Geburtstagsfrühstück mit Gesang, Geschenken und Erdbeertorte, mittags Spiel und Spaß, und abends ein großes, gemeinsames Essen. Mein Geburtstag ist eigentlich ein schönes Familienfest mitten im Hochsommer, und ich freue mich, wenn alle sich freuen, dass sie mir eine große Freude machen können.

Auch wenn ich meinen Geburtstag natürlich immer noch hasse. Das liegt aber nicht an meiner Familie – die tun, was sie können –, sondern an meiner Umwelt! Das fing schon an meinem Fünfzigsten an. Meine Frau hatte mir ein T-Shirt geschenkt mit der Aufschrift »50 Jahre – Gut gemacht!«. Am selben Tag las eine junge Frau die Aufschrift und gratulierte mir freudestrahlend zur goldenen Hochzeit. So was tut zwar ein bisschen weh, aber als Kabarettist kann man es natürlich hervorragend gebrauchen!

Wie auch die Geburtstagspost: der freundliche Hinweis auf die günstige Sterbeversicherung, das Probierpaket mit der Inkontinenzbinde (die ich bis heute als Schlafbrille trage, damit meine Frau nicht glaubt, ich sei nicht mehr ganz dicht) oder der Rentenbescheid, der pünktlich zu meinem Fünfundsechzigsten ins Haus flatterte. Meine Frau ließ es sich nicht nehmen, daraufhin das Geburtstagsständchen spontan umzudichten.

»Happy birthday to you, jetzt gehörste dazu, halt dich wacker, alter Knacker, happy birthday to you!«

Ich konnte alle diese kleinen Nadelstiche achselzuckend hinnehmen. Ich gehörte ja eben nicht dazu – ich war ein Mann in den allerbesten Jahren! Ich konnte immer mitlachen und habe wortwörtlich das Beste draus gemacht: nämlich all das hemmungslos in meinen Bühnenprogrammen verwurstet, zur großen Freude meines Publikums. Doch dann, am Tag meines 67. Geburtstages, verging mir das Lachen.

Wir schreiben den 28. Juli 2014. Punkt 18:20 Uhr auf der Veranda unseres Ferienhauses in Kanada. Familie und Freunde sind gekommen, um mit mir zu feiern. Die Gemüter sind heiter, die Stimmung ist fröhlich. Meine hinreißende Frau Margie steht sommerlich gekleidet mit einem Glas Sekt in der Hand mitten in der Geburtstagsgesellschaft und bringt einen sehr witzigen Toast auf mich aus, während unsere sechs Jungs, die Oma und ein Dutzend gute kanadische Freunde sich bei jeder ihrer Pointen vor Lachen wegschmeißen. Margie kündigt an, dass wir jetzt, wo die Kinder endlich aus dem Haus seien – »Gott sei Dank, ich dachte, die finden die Tür nie« –, viel mehr Zeit für uns haben und eben diese Zeit voll ausnutzen werden!

Da meldet sich unser Nachbar Gary (fünfzig Jahre alt) zu Wort: »Na, dann ab in die Kiste mit euch – in fünfzehn Jahren liegt Billy Boy nämlich allein da drin!« Alle biegen sich vor Lachen, ich natürlich am meisten. Steaks brutzeln auf dem Grill, der Wein fließt in Strömen, die Playlist wird abgespielt, und alle sind gut drauf.

Alle außer dem Gastgeber. Ich lasse mir zwar nichts anmerken, aber ich spüre, wie Garys Bemerkung mich doch ganz schön beschäftigt. Das Bild von der »Kiste«, in der ich einsam und verlassen liege, werde ich irgendwie nicht los. Ich muss der Sache auf den Grund gehen!

Ich führe betont ungezwungene Gespräche mit den Gästen und arbeite mich langsam und unauffällig in Richtung Gary durch. Der steht im Wohnzimmer mit seiner neuen Freundin »Mausi Maus«. (Alle seine Freundinnen heißen so. Zur Sicherheit, damit er die Namen nicht durcheinanderschmeißt.) Gary Leeman ist eine kanadische Eishockeylegende und wohnt seit einigen Jahren direkt neben uns am See. Er sieht trotz der gebrochenen Nase noch super aus und genießt sein Singleleben in vollen Zügen. Gary sieht mich kommen und hebt die Bierdose: »Na, Billy Boy, alles fit im Schritt?«

Ich nicke cool, antworte »Neunzig Grad mit Überhang« und gebe ihm so zu verstehen, dass mein Schritt durchaus mit seinem Schritt Schritt halten kann. »Übrigens, sehr witzig, die Bemerkung mit den fünfzehn Jahren. Ich hab mich totgelacht!« Gary schnappt sich noch eine kalte Bierdose, nimmt einen gewaltigen Schluck und sagt: »Tja, stimmt aber leider, Billy Boy. Laut Statistik wird der moderne Mann im Schnitt 82 Jahre alt. So gesehen hast du jetzt nur noch fünfzehn Jahre, bevor sie dich in die Kiste legen. Aber mach dir nichts draus. Das sind noch über fünftausend Tage!« Treffer – versenkt. Er lacht unbekümmert, umarmt »Mausi Maus« und geht mit ihr Richtung Küche, während ich Luft schnappend und leicht schwindlig nach draußen taumele.

Wenn ich nachdenken möchte, dann gehe ich immer runter zum Steg, setze mich in meinen traditionellen Muskoka-Stuhl, schaue aufs Wasser und lasse die Gedanken schweifen. Das hat etwas Meditatives und Erholsames, und meistens fühle ich mich in kürzester Zeit wie neu geboren. Während ich da also sitze und krampfhaft versuche, mich wie neu geboren zu fühlen, haut mir mein Jüngster auf den Rücken und fordert mich energisch auf, mit ihm um die Wette auf die andere Seite des Sees zu schwimmen.

Diese Wette gehört zum alljährlichen Ritual der Mockridge-Männer und wird immer an meinem Geburtstag vollzogen. Wir wohnen an einer etwas schmaleren Stelle des Sees, sodass die Entfernung zur anderen Seite nur etwa 700 Meter beträgt. Aber immerhin sollte man körperlich und mental möglichst in guter Verfassung sein, um schnell und kraftvoll auf die andere Seite zu kommen. Während Liam Hemd und Hose auszieht, kommen meine fünf anderen Jungs angelaufen und grölen: »Der Letzte ist ein Loser!«

Alle sechs springen hoch in die Luft und verschwinden gleichzeitig im Wasser. Ein Mockridge-Tsunami begräbt mich unter seiner gewaltigen Flutwelle. Mit kräftigen Schwimmzügen entfernen sich meine Jungs vom Steg – und ich bleibe zurück. Ein Loser. Allein, nass, kalt und nüchtern. So ungefähr muss sich eine Seebestattung anfühlen. Ich hasse meinen Geburtstag!

Der Muskoka Chair: serienmäßig mit innerem Frieden. Meistens …

2. Kapitel

Hilfe, Dr. Peters!

Es war völlig klar: Ich brauchte Hilfe. Am selben Abend rief ich meinen Hausarzt Doktor Peters in Deutschland an. Wenn mir überhaupt noch einer helfen konnte, dann er. Die Koryphäe für alles. Der Dr. House von Bonn-Endenich. Der Arzt meines Vertrauens.

Ich kenne Dr. Peters seit 1990. Da war ich 42 Jahre jung – und Dr. Peters Mitte dreißig. Sieben Jahre weniger Lebenserfahrung als ich! Eigentlich also gerade mal der Pubertät entwachsen. Und der sollte mir sagen, wo’s langgeht? Damals hat es in der Tat einige Überwindung gebraucht, um mich dem jungen Schnösel rückhaltlos anzuvertrauen. Mittlerweile ist er sechzig, und wir sind fast so etwas wie Freunde geworden. Dr. Peters kennt mich in- und auswendig. Er richtet mich mit seiner fröhlichen, lebensbejahenden Art immer wieder auf, berät mich offen und ehrlich – und faltet mich wenn nötig auch mal ganz klein zusammen.

Komischerweise war er zuerst ein bisschen ungehalten über meinen Anruf. Das konnte natürlich daran liegen, dass es in Bonn erst fünf Uhr morgens war. Mist – ich hatte die Zeitverschiebung vergessen!

»Hallo, Herr Doktor. Mockridge hier. Ich muss sterben.« Stille am anderen Ende der Leitung. »Doktor Peters! Hören Sie mich?« Ich vernahm ein ausgiebiges Gähnen. »Sterben müssen wir alle, Herr Mockridge. Aber nicht morgens um fünf. Lassen Sie sich einen Termin geben.« Unfassbar, wie locker der das nahm. Ich musste wohl konkreter werden.

»Aber ich bin ein dringender Fall, Doktor! Ich habe nur noch 5000 Tage und ein paar zerquetschte!« Dr. Peters atmete gequält aus. »Okay. Wie kommen Sie da drauf?«

Endlich zeigte der Mann Interesse. Jetzt würde ich ihm die Fakten auf den Nachttisch knallen! »Also, ich hab heute Geburtstag. Und ab sofort sind es noch genau fünfzehn Jahre. Also 5475 Tage. Das sind … Moment …« Ich ignorierte das genervte Seufzen aus dem Hörer und rief rasch die Taschenrechner-App meines iPhones auf. »Halten Sie sich fest! 131 400 Stunden! Das ist doch nix! Wenn ich acht Stunden pro Nacht schlafe, fallen schon mal … (ich tippte wie ein Wahnsinniger) 43 800 Stunden weg. Dann bleiben mir fürs Leben nur 87 600! Und … und davon sitz ich zehn Minuten am Tag nur auf dem Klo! Das sind insgesamt … 9125 Stunden! Mein Leben geht den Abfluss runter, Dr. Peters! TUNSIEWAS!!!«

Ich brüllte mit hochrotem Kopf in den Hörer. Das ließ sich Dr. Peters nicht gefallen und brüllte zurück. »MOCKRIDGE! STOPP! Beruhigen Sie sich! Sofort!« »Wieso?« »Weil die Brüllerei mit rotem Kopf zu Bluthochdruck führt. Und der verkürzt die Lebenszeit.«

Das saß. Ich atmete tief durch. »Okay. Ich bin ganz ruhig.« »Super. Dann kommen Sie heute Nachmittag vorbei, und wir überlegen in Ruhe, wie wir Ihnen helfen können.«

Ich überlegte kurz. Bis zum Nachmittag waren es noch zehn Stunden. Ich brauchte einen Überschalljet! Leider kannte ich keinen General der kanadischen Luftwaffe. Also musste es wohl doch der Linienflug nach Köln/Bonn sein. Blieben also noch drei Tage. Vielleicht konnte ich in der Zeit ja rasch mein Testament machen. Oder online ein hübsches Doppelgrab aussuchen. Trotzdem beschloss ich, Dr. Peters lieber noch ein bisschen Dampf zu machen: »Ich bin in drei Tagen da. Punkt acht Uhr morgens. Aber können Sie sich beeilen mit dem Überlegen? Zeit ist Leben. Und die Kiste wartet. Sagt Gary! – Dr. Peters? Dr. Peters!«

Aufgelegt. Da sah man es mal wieder. Keiner hatte mehr Zeit für seine Mitmenschen …

Drei Tage später war ich wieder zu Hause in Deutschland und saß um Punkt acht in gespannter Erwartung vor meinem Arzt. Ich erzählte ihm von der Bombe, die Gary auf meiner Geburtstagsparty hatte platzen lassen. Dr. Peters schüttelte lächelnd den Kopf. »Statistik. Die sollten Sie nicht allzu ernst nehmen.« Ich hing an seinen Lippen. »Heißt das, auf mich trifft das gar nicht zu? Ich wusste es! Ich werde hundert! Wie mein Großonkel Jack! Ha! Warten Sie, ich muss kurz mal in Kanada anrufen.« Mit einem grimmig-vorfreudigen Lächeln griff ich nach meinem Handy. »Wart’s ab, Gary … mit deinen Knochen schmeiß ich noch die Äpfel von den Bäumen!«

Dr. Peters bremste mich. »Moment. Wie alt Sie werden, hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab, Herr Mockridge. Ohne eingehende Untersuchungen kann ich da gar keine Aussage treffen.« Aha. Das hatte ich mir gedacht. Der Mann wollte sich absichern, damit ihn meine Witwe nicht verklagen konnte. Tat ich ihm eben den Gefallen.

In den nächsten Tagen folgte ein ausführlicher Check-up. Blutwerte, Ultraschall, EKG, EEG. Dr. Peters ließ nichts aus. Und dann war es schließlich so weit. Der Tag der Wahrheit. Und dieses Gespräch hatte einen deutlich anderen Tonfall …

Ich saß in banger Erwartung vor Dr. Peters und war auf das Schlimmste gefasst. Und tatsächlich sah er mich ziemlich ernst an. »Herr Mockridge, eins vorweg. Ich bin leidenschaftlich gern Arzt. Ich möchte dafür sorgen, dass meine Patienten ein langes, aktives und gesundes Leben haben. Deswegen erst mal eine gute Nachricht: Sie sind nicht kurz davor zu sterben.« Mir fiel mit lautem Rums ein Stein vom Herzen. »Gott sei Dank, Herr Doktor!«

Doch Dr. Peters war noch nicht fertig. »Moment. Wenn Sie so weiter machen, kann ich Ihnen nicht garantieren, dass Sie die 82 Jahre knacken.« Der Stein plumpste zurück – mitten in meinen Magen. Das Gefühl, das ich am Seeufer in Kanada gehabt hatte, kehrte sofort zurück. Ich nickte schicksalsergeben. »Ganz ehrlich … das hab ich mir schon gedacht. Es liegt ja nicht in meiner Hand, wie alt ich werde. Das ist schon lange vorherbestimmt durch meine Gene, stimmt’s?« Dr. Peters schüttelte nachsichtig den Kopf.

»Die Gene sind nur einer der Faktoren fürs gesunde Altern. Sagen wir 33 Prozent. Genauso wichtig ist, wie Sie bisher gelebt haben. Das sind noch mal 33 Prozent. Und jetzt kommt’s: Genauso wichtig ist, wie Sie ab jetzt leben werden. Das sind auch noch 33 Prozent!«

Irgendwie deprimierte mich das noch mehr – 66 Prozent meiner Chancen hatte ich schon in den Sack gehauen! Mein bisheriges Leben war ganz bestimmt nicht das gesündeste gewesen. Ich hatte immer zu viel gearbeitet, zu wenig geschlafen, zu viel gegessen, zu wenig Sport gemacht und ganz bestimmt viel zu wenig auf mich geachtet. Das sagte ich Doktor Peters auch. Aber der schüttelte nur den Kopf. »Na, dann wird es höchste Zeit, das zu ändern! Sie müssen drei grundsätzliche Dinge angehen: Sie müssen anfangen, Sport zu treiben, Ihre Ernährung ändern, und schließlich brauchen Sie eine neue Leidenschaft.«

Das machte mich nachdenklich. »Hm … Sie meinen, wie Lothar Matthäus? Das könnte ich mal probieren. Aber ich bin sicher, meine Frau macht da nicht mit. Sie ist nämlich ziemlich eifersüchtig.«

Aber Dr. Peters meinte nicht die Art von Leidenschaft (wobei er die Liebe im Alter für ziemlich wichtig hält). Er sprach von einer Herzensangelegenheit. »Etwas, das Sie motiviert, wofür Sie brennen, was Sie nicht schlafen lässt, was Sie begeistert! Sonst bauen Sie ab, langweilen sich und bekommen schnell das Bored-out-Syndrom.«

Ich sah ihn an wie ein Auto. »Bored-out-Syndrom? Was soll das denn sein?«

»Das ist eine Bezeichnung für die Menschen, die nicht mehr wissen, warum sie morgens aufstehen sollen. Und dann tun sie es eben nicht mehr. Bleiben den ganzen Tag zu Hause, langweilen sich und gehen nicht einmal spazieren oder Radfahren.«

Ich schüttelte mich. »Horror! Okay, ich überleg mir was. Aber was ist mit Sport? Ich habe früher viel Sport getrieben, aber später als Familienvater hatte ich keine Zeit mehr dafür. Und jetzt hab ich keine Kondition mehr. Neulich musste ich vier Blocks hinter meiner Frau herrennen, weil sie ihren Schlüssel vergessen hatte. Ich hatte das Gefühl, ich breche gleich zusammen. Ich glaube, Sport kann ich vergessen.«

Dr. Peters sah mich streng an: »Jetzt geben Sie doch nicht gleich auf! Vier Blocks sind gar nicht übel, wenn man nicht trainiert ist. So schlecht sehen Sie ja gar nicht aus. Sie wiegen jetzt …« Er linste kurz auf seinen Computer. »Oh. 99 Kilo. Okay, das ist definitiv zu viel. Die Ampel steht auf Rot, Herr Mockridge. Melden Sie sich beim Fitnesscenter an. Und gehen Sie jeden Tag hin. Ich schwöre Ihnen, in einem Jahr sind Sie fünfzehn Kilo leichter, sehen fantastisch aus und laufen beim nächsten Marathon mit!«

Ich werde bald hundert!

Ich stellte mir vor, wie ich rank und schlank im hautengen Dress das Zielband sprengte. Ein verlockendes Bild … Aber wohl nicht umsonst zu haben.

»Sportliche Aktivität ist der Schlüssel zum gesunden Altern«, sagte Dr. Peters. »Sie müssen jeden Tag trainieren, und zwar mindestens eine halbe Stunde. Das klingt vielleicht wie eine bittere Pille, aber die Pille müssen Sie eben schlucken. Da führt kein Weg dran vorbei, Herr Mockridge. Alle Experten sind sich da einig. Wer Sport treibt, lebt definitiv länger, gesünder und glücklicher. Ich hab einen Patienten, der über achtzig ist und jeden Tag trainiert. Sie würden den Paul locker zehn Jahre jünger schätzen! Und noch was: Achten Sie auf eine vernünftige Ernährung. Im Alter ist es viel wichtiger, auf Qualität anstatt auf Quantität zu achten.«

Moment! Hier ging es mir an den kulinarischen Kragen. Ich sprang empört auf. »Sie wollen mir aber jetzt nicht mein Schnitzel und mein Bier madig machen, oder? Ich bin vor 48 Jahren aus Kanada nach Deutschland gekommen, weil ich gehört hatte, dass es hier jeden Tag Schnitzel und Bier gibt! Das hat auch gestimmt – und es war Grund genug, hier zu bleiben. Das gebe ich jetzt im Alter nicht auf!«

Dr. Peters beruhigte mich. »Tun Sie mir einen Gefallen, Herr Mockridge. Fangen Sie ab sofort an, immer nur eine halbe Portion zu bestellen. Und ein kleines Bier. Und dann schön langsam essen. Genießen Sie! Essen ist kein Wettlauf. Es gibt keinen Preis für den, der am schnellsten aufisst. So, das war’s schon, Herr Mockridge. Vortrag beendet.«

Ich schluckte. »Boah. Das ist jetzt eine ganze Menge zu verdauen. Und Sie meinen wirklich, das macht einen Unterschied?« Dr. Peters setzte seine ernsteste Miene auf.

»Es ist der Unterschied zwischen Leben und Tod. Es findet zurzeit eine große Revolution statt. Eine Altersrevolution. Heute geht es nicht mehr darum, einfach nur möglichst lange durchzuhalten, bis man den Löffel abgibt, sondern das Leben mit Lust und Leidenschaft zu erleben und bis ins hohe Alter jung, fit und attraktiv zu bleiben! Eine ganze Generation fängt an, sich völlig neu zu orientieren. Wenn Sie mitmachen wollen, dann müssen Sie anfangen. Und zwar spätestens heute!« Dr. Peters stand auf, reichte mir die Hand und wünschte mir viel Glück. Ich verabschiedete mich und ging hinaus auf die Straße.

Mir schwirrte der Kopf. Gesünder leben – das leuchtete mir ein. Etwas mehr Joghurt und frische Luft tun immer gut. Aber Dr. Peters wollte ja viel mehr! Er wollte tatsächlich die Zeiger meiner biologischen Uhr zurückdrehen. Was hatte er gesagt? Alt werden – und dabei trotzdem jung bleiben! Funktionierte das wirklich? Nur durch Sport, Ernährung, soziales Engagement? Kann ein Mensch in meinem Alter die schlechten Gewohnheiten der letzten vierzig Jahre überwinden und das Leben neu beginnen? Statt jeden Tag älter, jeden Tag jünger werden?

»Hey Bill, seid ihr wieder da? Wie war’s in Kanada?« Eine vertraute Stimme riss mich aus meinen Gedanken. Max, unser Obst-, Gemüse- und Blumenhändler, tauchte hinter seinem Blumenstand auf und begrüßte mich überschwänglich.

Max ist über siebzig, wunderbar verrückt und steht meistens von morgens um fünf bis abends um neun im Laden und unterhält alle, die vorbeikommen. Er liebt Kuba, ist dreimal im Jahr dort und verteilt in Waisenhäusern Geld, das er in Endenich gesammelt hat.

Max lernt dort Samba und Spanisch und ist in Havanna inzwischen genauso ein bunter Hund wie bei uns in Endenich. Aus seinem Stand dröhnt meistens laute Sambamusik, und er lädt immer alle Frauen ein, mit ihm zu tanzen. Am liebsten aber tanzt er mit meiner Frau Margie, weil sie »so einen wilden Hüftschwung« hat! Max ist wirklich ein Lebenskünstler und sehr zu bewundern.

Er drückte mir eine langstielige Rose in die Hand. »Die ist für Margie. Du weißt, wie sehr ich sie verehre. Ist das Leben nicht schön?«, sagte er, drehte seine Musik etwas lauter und verschwand mit einem lässigen Hüftschwung wieder in seinem Laden.

Max hatte recht. Das Leben war schön! Und ich beschloss in diesem Moment, mit mir selbst eine Wette einzugehen. Bis zu meinem nächsten Geburtstag würde ich alles versuchen, um dem Tod und Gary ein Schnippchen zu schlagen. Ich hatte also etwas weniger als ein Jahr, um mein Leben komplett umzukrempeln. Das Projekt »Bills Jungbrunnen reloaded« hatte begonnen!

3. Kapitel

Der Ruf der Leidenschaft

Als neuer Bill trat ich über die Schwelle unseres Hauses. »Margie«, rief ich feierlich, »heute ist der erste Tag vom Rest meines Lebens!« Mein Grauschopfengel tauchte hinter einem gigantischen Wäscheberg auf, nickte und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Super. Dann kannst du ja gleich mal den Rest von Liams Wäsche falten – der fliegt übermorgen zurück nach England ins Internat. Ich muss nämlich noch die Spülmaschine ausräumen, einkaufen und kochen.«

Ich nahm sie in die Arme und blickte ihr tief in die Augen. »Mein Engel – ich hab wirklich vor, mein Leben zu ändern! Weniger Stress, mehr Fitness und vor allem mehr Leidenschaft!« Margie schüttelte den Kopf. »Leidenschaft? Wie stellst du dir das vor? Liam ist mitten im Packen für die Schule – der kommt doch alle fünf Minuten ins Schlafzimmer geplatzt und fragt, wo seine Boxershorts sind!«

Mir wurde schnell klar, dass wir beide einen Tapetenwechsel brauchten, um den ersten Tag vom Rest meines Lebens gebührend zu würdigen. Und zwar ohne den Rest der Familie und ohne den Rest Nudeln von gestern aufzuwärmen. Also knallte ich einen Zehner für Pizza auf den Esstisch, damit Liam nicht verhungerte, schnappte mir meinen Mantel und meine Frau und fuhr mit ihr zu unserem Lieblingsitaliener.

Auf der Fahrt erklärte ich ihr, was mir Dr. Peters so eindringlich ins Gewissen gehämmert hatte. Mehr Fitness, weniger essen und eine neue Leidenschaft. Das mit dem Fitnessstudio ließ ich erst mal aus. Und das mit den halben Portionen auch. Ganz ehrlich – warum sollte ich meinen ganzen Körper bestrafen, bloß weil mein Mund sich nicht beherrschen konnte? Da gab es andere Prioritäten.

»Margie, ich werde mich als Erstes um meine Leidenschaft kümmern. Was meinst du … ich könnte mein Interesse an Filmen vertiefen und aus Leidenschaft öfter mal ins Kino gehen! Oder ich abonniere so einen Streamingdienst …« Margie sah mich mit einem spöttischen Grinsen an. Okay, das war nicht überzeugend. »Gut, dann intensiviere ich das Boule-Training! Ich spiel ab jetzt zweimal die Woche!« Meine Frau war immer noch skeptisch. »Immer wenn du vom Boule kommst, hast du eine Flasche Rotwein, ein ganzes Baguette und zwei Kilo Rohmilchkäse im Bauch – ich bin mir nicht sicher, ob Dr. Peters da so begeistert wäre.«

Ich beschloss, das Thema bis zum Essen zu vertagen. Im Restaurant gab ich meinen Mantel bei der hübschen Garderobiere ab und fragte nach einer Abholmarke. Aber die entzückende junge Frau schüttelte nur den Kopf. »Ich bitte Sie. Bei Ihnen kann ich mich ganz bestimmt nicht vertun.« Ich konnte mir ein geschmeicheltes Lächeln nicht verkneifen und ging schon mal vor ins Restaurant, um Margie nicht mit den Augen rollen zu sehen.

Bei Minestrone, Carpaccio, herrlichen Penne mit Flusskrebsen, einer Flasche Santa Cristina und einer göttlichen Pannacotta-Creme mit Frutti di Bosco redeten wir über meine Zukunft. Ich erklärte Margie, dass ich mein neues Leben ganz bewusst und in Ruhe umgestalten würde. »Das Wichtigste ist die richtige Einstellung«, sagte ich, während ich dem Kellner winkte, um noch etwas Käse zu bestellen. »Ich werde ab sofort viel mehr auf mich achten.«

»Das freut mich zu hören. Und du glaubst, da sind Pannacotta und Pecorino das Richtige?«

Ich winkte ab. »Kein Problem. Dr. Peters hat gesagt, ich soll mir eine Leidenschaft zulegen. Essen ist nun mal seit jeher meine Leidenschaft. Das wiegt die zusätzlichen Kalorien sicher wieder auf.«

Margie grinste schon wieder. »Apropos wiegen: Was hat Dr. Peters eigentlich zu deinem Gewicht gesagt?«

Darüber wollte ich jetzt gerade wirklich nicht reden. »Tut mir leid, mein Engel, das fällt unter die ärztliche Schweigepflicht. Ich habe eben eine stattliche Erscheinung. Wie Joschka Fischer! Das gehört zu meiner Attraktivität wie mein kanadischer Akzent. Vielleicht hast du ja bemerkt, wie mir das nette Mädel an der Garderobe zugelächelt hat.«

Margie verkniff sich jeden weiteren Kommentar. Beim Verlassen des Restaurants bat ich die junge Garderobiere um meinen Mantel. Ich zwinkerte ihr zu: »Sie wissen ja, wer ich bin!« Sie zwinkerte zurück. »Wie könnte ich Sie vergessen!« Ich lächelte Margie triumphierend an, zog den Mantel über und ging Arm in Arm mit ihr zum Parkplatz. Als ich den Autoschlüssel aus der Tasche fischen wollte, stieß ich auf einen Zettel. Ich reichte ihn Margie herüber. »Kannst du das lesen, Engel? Ich hab die Brille nicht auf.« Sie las den Zettel und musste laut lachen.

Ich griff wortlos nach meinem Handy und googelte an Ort und Stelle »Fitnessstudio, Bonn«.

Der Beweis: Ich bin ein echter Promi!

4. Kapitel

Willkommen in der Folterkammer!

Ein Mann, ein Wort – es war geschafft! Ich hatte mich tatsächlich in einem Fitnessstudio angemeldet. Und nicht in irgendeinem. »Voll fit 24« war das modernste und teuerste Studio der Stadt. Gerade gut genug für mich! Voller Tatendrang und wild entschlossen war ich auch schon dreimal an der Eingangstür vorbeigegangen und hatte heimlich reingeguckt. Aber jetzt gab es kein Zögern mehr. Es war so weit!

Bevor ich die Tür öffnete und eintrat, hielt ich gespannt den Atem an. Ich hatte mir so ein Fitnessstudio immer wie einen hell erleuchteten, chromglänzenden Palast vorgestellt, bevölkert mit lauter jungen, gut aussehenden Menschen, gebräunt, schlank und mit strahlend weißem Gebiss. Was würde mich stattdessen erwarten? Genau das Gegenteil. Wahrscheinlich ein Haufen schlabbriger, übergewichtiger Greise, die alle genauso aussahen wie der alte Typ, der grad neben mir an der Tür stand. Scheiße, das war mein Spiegelbild!

Natürlich stand ich kurz darauf doch in einem hell erleuchteten, chromglänzenden Palast voller attraktiver Jungspunde – und der Einzige, der hier außer mir einen Bierbauch hatte, war der UPS-Fahrer, der gerade einen neuen Schwung Proteindrinks an der Empfangstheke ablieferte. Mist. Ich versuchte, mich unauffällig zu verdrücken. Doch da hatte mich eine umwerfende junge Blondine entdeckt und kam mit strahlendem Lächeln auf mich zu.

»Hi, ich bin die Jenny! Und du bist bestimmt der Bill!« Woher wusste sie das? Ich fragte mich schon, ob ich auf meinem Anmeldeformular unter Besondere Bemerkungen »übergewichtig, spärlicher Haarwuchs und verschreckter Gesichtsausdruck« eingetragen hatte. Andererseits konnte es natürlich auch sein, dass Jenny ein großer Lindenstraßen-Fan war. Ich zog geschmeichelt den Bauch ein und lächelte zurück. Das fing doch gar nicht so schlecht an! Es stellte sich dann allerdings heraus, dass ich an diesem Tag, morgens um neun, einfach nur der Einzige mit einer Anmeldung zum Probetraining war – allein mit einer großen Mannschaft durchtrainierter Sportstudenten, die hier als Trainer arbeiteten und mich erwartungsvoll anlächelten.

Jenny winkte einem unglaublich großen, muskulösen türkischen Studenten. »Mehmet, kommst du mit?« Mehmet grinste mich an und sagte: »Jaaaa.« Dabei zeigte er seine strahlend weißen Zähne. Eine ganze Menge Zähne – von Haus aus hatte er wahrscheinlich doppelt so viele wie ich. Mehmet sah wirklich gut aus. Aber ich konnte mir nicht helfen – mit seinem Körper stimmte etwas nicht. Bei den G.I.-Joe-Actionfiguren, mit denen die Jungs als Kinder immer spielten, sahen diese Muskelpakete halbwegs stimmig aus. Aber wenn so ein G.I. Mehmet leibhaftig vor dir steht, kommen dir die Proportionen beinahe unheimlich vor. Als ob jemand die Gliedmaßen falsch berechnet hätte. Jetzt bloß nicht schlapp machen, Bill!

»Komm, wir zeigen dir erst mal die Geräte«, sagte Jenny, und die beiden führten mich in einen großen Raum, der in meinen Augen aussah wie eine gigantische Folterkammer für Star-Wars-Fans.

Überall an den Wänden hingen große Spiegel, damit man sich während der Tortur auch noch selbst beobachten konnte.

Mehmet fing an, mir alle Geräte und Maschinen zu erklären, aber ich konnte mich gar nicht konzentrieren. Ich starrte ihn immer wieder verstohlen an und dachte: Dieser Mensch kann nicht echt sein. Vielleicht ist er ein Android von einem ganz billigen Hersteller. Ein Sondermodell, das nicht gut gelaufen ist. Auch sein Sportdress sah komisch aus. Die Pants wirkten viel zu eng für seine gewaltigen Oberschenkel, und sein ärmelloses Muscle Shirt hatte riesige, offene Ärmel, durch die seine Muskeln auf der frisch rasierten Brust durchblitzten. Der Mann dünstete pures Testosteron aus.

»Heute fangen wir erst mal hier hinten an«, sagte Jenny und führte mich in einen Seitentrakt. Mehmet stürzte gerade zu einer Maschine, um einem Kollegen zu helfen, der gleich unter 150 Kilo zu ersticken drohte. Wahrscheinlich machte er so etwas mit dem kleinen Finger. Ich war jedenfalls froh, dass ich mich jetzt auf Jenny fokussieren konnte.

»Das hier ist ein Spinning-Ergometer«, sagte sie und zeigte auf ein spaciges Gefährt mit einem großen Fernseher vor dem Lenker. »Das kenn ich!«, rief ich erfreut aus. »Das ist ein Trimmrad. So was hatte ich früher auch im Keller! In den Siebzigern!« Peinliche Stille trat ein. Jenny zwang sich zu einem kleinen Lächeln. »Ja klar. Da hat sich allerdings einiges verändert, seit damals, als du siebzig warst.«

Uff. Das saß. Ich fühlte mich herausgefordert – so schnell ließ ich mich hier nicht zum alten Eisen zählen! Ich zeigte auf ein anderes Gerät, das aussah wie ein High-Tech-Schaukelgerüst für »Shades of Grey«-Leser. »Was ist das denn für ein krasses Teil? Ist ja endgeil!«, sagte ich bemüht locker. Jennys Augen leuchteten auf. »Das haben wir ganz neu. Ein TRX Suspension Trainer! Damit trainierst du ganz intensiv alle Muskelgruppen. Das Gerät wurde für das Training von US-Marines entwickelt. Schweineanstrengend, aber auch ultraeffektiv! Das Teil ist Mehmets Lieblingsgerät. Willst du mal?«

Ich schluckte. »Ähm …, also alle Muskelgruppen muss ich ja vielleicht nicht sofort trainieren. Vielleicht fang ich doch lieber mit dem Trimmrad an.«

»Mit dem Spinning Ergometer«, korrigierte mich Jenny und ließ mich auf dem sehr bequemen Sattel Platz nehmen. Ich schielte neugierig zu dem Bildschirm herüber. »Was habt ihr denn für Sender hier?«, fragte ich. »Auf Einsfestival kommt gleich eine sehr spannende Lindenstraßen-Folge. Wie findest du eigentlich … sagen wir mal … den Erich Schiller?«

Jenny sah mich kritisch an. »Du bist ’ne echte Couch-Potato, stimmt’s? Aber keine Angst. Wir kriegen dich schon weg von der Glotze!«

Ich kam überhaupt nicht dazu, das Missverständnis aufzuklären, denn schon hatte sie ein paar Mal auf dem Touch-Display des Bildschirms herumgedrückt, und holla die Waldfee, auf einmal hatte ich eine virtuelle Eifellandschaft vor mir, komplett mit Landstraße, Wald und Ortsschildern. »Wow«, staunte ich, »das sieht ja aus wie die B 257 hinter Kalenborn!« Jenny nickte zufrieden. »Cool, was? Dann tritt mal ein bisschen in die Pedale. Nur zum Aufwärmen. Viel Spaß!«

Pah. Aufwärmen! Die sollte die »Couch-Potato« jetzt mal kennenlernen! Ich gab Vollgas und raste die Eifelserpentinen runter Richtung Altenahr, vorbei an der Sommerrodelbahn, überholte den ein oder anderen Trecker und schrammte knapp an der Leitplanke vorbei, bevor ich mich, völlig außer Atem, mit 70 km/h in eine besonders tückische Haarnadelkurve legte. Wahrscheinlich legte ich mich ein bisschen zu schräg – denn im selben Moment machte es Plumps!, und ich fand mich auf dem Boden liegend wieder.

»Bin ich in Altenahr?«, fragte ich benommen, als ich kurze Zeit später die Augen aufschlug und sämtliche Trainer besorgt um mich herumstanden.

»Mensch, Bill – hast du uns einen Schrecken eingejagt«, sagte Jenny.

»Vom Ergometer ist vor dir auch noch keiner gefallen«, bemerkte Mehmet und reichte mir seine Pranke. »Geht’s wieder?«

Grummelnd ergriff ich seine Hand und rappelte mich auf. »Alles in Ordnung. Was machen wir als Nächstes?«

Jenny musterte mich besorgt. »Also, Cardio lassen wir mal für heute bleiben. Du bist ja völlig fertig. Komm, ich zeig dir die Massageliege.«

Na, das hörte sich doch schon viel besser an! Ich würde mir von der wunderhübschen Jenny erst mal ganz in Ruhe den verspannten Nacken massieren lassen. Für Muskelaufbau und Konditionstraining hatte ich ja noch fast ein Jahr lang Zeit. Leider wurde aber nichts aus der erhofften Zweisamkeit – mein topmodernes Fitnessstudio hatte nämlich auch eine automatische Massagebank. Ich legte mich mit einem bedauernden Seufzer darauf, ließ mich automatisch massieren und schnappte mir eine herumliegende Illustrierte.

Plötzlich richtete ich mich mit einem Ruck auf. Wie elektrisiert starrte ich auf die Doppelseite des Hochglanzmagazins. Über einer Menge Fotos von wunderschönen, knackigen Hollywoodstars und nicht ganz so schönen deutschen Promis prangte die Überschrift »Für immer jung – die Geheimtipps der Stars«. Ha! Was sollte ich mich hier auf dem blöden Eifel-Trimmrad abstrampeln, wenn ich mit ein paar einfachen Tricks genauso jung und gut aussehen könnte wie das Trainervolk um mich herum! In fiebernder Hast überflog ich den Artikel, schnappte mir meine Sporttasche und verabschiedete mich. »Ich muss weg – ein wichtiger Termin! Mit ganz berühmten Leuten!«

Jenny rief mir nach: »Warte, Bill! Du hast deinen Trainingsplan vergessen!«

Ich grinste verschlagen in meinen Bart. Ihren Trainingsplan konnte sich Jenny von mir aus gern zwischen die gut trainierten Pobacken stecken. Ich hatte eine viel bessere Idee!

5. Kapitel

Wer schön sein will, geht baden

Auf dem Weg nach Hause lachte ich zufrieden in mich hinein. Es stimmte eben doch: Wissen ist Macht! Ich hatte mir noch einen ganzen Stapel Zeitschriften und Zeitungen besorgt und war jetzt im Besitz exklusiver Geheimtipps, die mich ganz ohne Anstrengung im Handumdrehen jung und schön machen würden. Ganz ehrlich – in unserem Geschäft ist der schöne Schein ja enorm wichtig.

Unseren »Tommy« könnte man ohne die schön gefärbten Locken glatt mit Paul Breitner verwechseln, und an Dieter Bohlen ist auch einiges »nachgearbeitet«. Wolfgang Joop sieht inzwischen aus wie eine ausgepresste Limette, und Insider behaupten, Til Schweiger arbeite mit aufgespritzten Backen (und ich meine nicht die im Gesicht). Sylvester Stallone war bei seinem letzten Film so mit Steroiden vollgepumpt, dass er ständig seinen Text vergaß. Aber hey, Sex sells! Und die Leute würden schon bald über den neuen, strahlenden Bill staunen!

Ich hielt auf dem Weg ein paar Mal an, um in Endenich die streng geheimen Zutaten für meine Wunderkur zu besorgen. Gewissenhaft ging ich die Artikel durch und machte folgende Liste:

Grüner TeeKaviarKokosmilchRotweinSchlangengiftcremeBlutegelSchafsembryostammzellen

Den grünen Tee hatten sie im Supermarkt um die Ecke. Sogar fertig, im Tetrapak und mit Pfirsichgeschmack. Perfekt! Ebenso Kaviar-Ersatz (ich bin ja kein russischer Öl-Oligarch!) und sechs Liter billigen Rotwein. Ja, ich weiß, ich habe immer gesagt: Das Leben ist zu kurz, um schlechten Wein zu trinken. Der hier sollte ja auch nicht oral verabreicht werden, sondern als Zusatz in die Badewanne! Udo Lindenberg schwört angeblich drauf. Rotwein enthält nämlich einen antioxidativ wirkenden Radikalfänger. Ich hatte keine Ahnung, was das war – das machte aber nichts. Auch Teri Hatcher (eine der »Desperate Housewives«) soll regelmäßig ein paar Flaschen Rotwein ins Badewasser kippen, weil das die Haut samtweich macht. Genau das, was ich brauchte!

Überhaupt ist Baden klasse, um jung zu bleiben, und wird seit Jahren von den Stars empfohlen. In Michael Jacksons Wanne war grundsätzlich Vittel, bei Freddy Mercury war es Champagner, und bei Jennifer Lopez ist es Ziegenmilch – was auch charakterlich einiges erklärt.

Kokosmilch war ausverkauft. Aber Kokosmakronen gab’s. Klasse! Eine Packung Makronen in Kaffeesahne aufgelöst – zack, Kokosmilch! »Cookies and cream make you look like a dream!«