In blaukalter Tiefe - Kristina Hauff - E-Book

In blaukalter Tiefe E-Book

Kristina Hauff

0,0
13,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Ein Segeltörn ins Ungewisse – nach „Unter Wasser Nacht“ entführt der neue Roman von Bestsellerautorin Kristina Hauff in die wildromantischen schwedischen Schären

Ein Segeltörn in die wildromantischen schwedischen Schären – Caroline und ihr Mann Andreas erfüllen sich damit einen lang gehegten Traum. Auch Andreas’ junger Anwaltskollege und seine Freundin sind an Bord sowie der undurchschaubare, faszinierende Skipper Eric. Der Urlaub beginnt mit frischem sonnigen Wetter und erlesenen Abendessen, doch bald wird die See rauer und verborgene Konflikte lassen die Luft unter Deck immer drückender erscheinen. Bis eines Nachts ein gefährlicher Sturm losbricht.
Mit spannenden Wendungen und atmosphärischen Naturschilderungen erzählt Kristina Hauff von dem, was unter der Oberfläche eines scheinbar perfekten Lebens brodelt. Und von einer Nacht, deren tödliche Bedrohung folgenschwere Wahrheiten ans Licht bringt.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 303

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Das ist das Cover des Buches »in blaukalter Tiefe« von Kristina Hauff

Über das Buch

Ein Segeltörn ins Ungewisse — nach »Unter Wasser Nacht« entführt der neue Roman von Bestsellerautorin Kristina Hauff in die wildromantischen schwedischen SchärenEin Segeltörn in die wildromantischen schwedischen Schären — Caroline und ihr Mann Andreas erfüllen sich damit einen lang gehegten Traum. Auch Andreas’ junger Anwaltskollege und seine Freundin sind an Bord sowie der undurchschaubare, faszinierende Skipper Eric. Der Urlaub beginnt mit frischem sonnigen Wetter und erlesenen Abendessen, doch bald wird die See rauer und verborgene Konflikte lassen die Luft unter Deck immer drückender erscheinen. Bis eines Nachts ein gefährlicher Sturm losbricht.Mit spannenden Wendungen und atmosphärischen Naturschilderungen erzählt Kristina Hauff von dem, was unter der Oberfläche eines scheinbar perfekten Lebens brodelt. Und von einer Nacht, deren tödliche Bedrohung folgenschwere Wahrheiten ans Licht bringt.

Kristina Hauff

in blaukalter Tiefe

Roman

hanserblau

Für meinen Skipper Kurt

Caroline

Auf dem Wochenmarkt in Conquet-sur-Mer, als Zweite in der Schlange am Gemüsestand von Madame Annie, erkannte Caroline, dass sie keine Ahnung hatte, wie ihr Leben weitergehen sollte.

Vor ihr türmten sich die Auslagen auf, hellrote Karotten, an denen Erdkrümel hafteten, fleischige Artischocken, ein Nest aus gelben Buschbohnen, schwarz glänzende Auberginen, Radieschen als Sträuße in Rot und Weiß.

Sie konnte sich nicht entscheiden. Nicht einmal, was ihre nächste Mahlzeit anging. Sie brauchte kaum etwas, wozu also die Mühe, zu kochen, sich so viel Arbeit zu machen. Ihr blieb ja die Crêperie. Einen Complète bestellen, dazu einen Weißwein, le même que toujours. Sich beobachtet fühlen. Niemand aß dort allein.

S’il vous plaît, Madame? Die Frau vor ihr war an der Reihe, sie kaufte für eine große Familie ein oder legte Vorräte für Wochen an. Säcke von Kartoffeln, Körbe voll Roter Bete.

Caroline verstand nur wenig Französisch, dennoch versuchte sie, den hin und her fliegenden Sätzen zwischen Marktfrau und Kundin zu folgen. Es ging um das Wetter — eine regenreiche Woche war vorhergesagt —, um den Friseursalon an der Ecke, der seit Tagen geschlossen war ohne ein Hinweisschild im Fenster. Augenrollen, Kopfschütteln. Gelbgrüne Tomaten wurden befühlt, auf Festigkeit geprüft, deux kilos, s’il vous plaît!, kurzes Luftholen und ein neuer Schwall wohlklingender Silben und Laute.

Caroline würde warten, bis sie an der Reihe war, und blind auf irgendein Gemüse zeigen. Sonnenstrahlen brannten in ihrem Nacken. Heute Morgen war kein kühlender Windhauch zu spüren.

Auch für diesen Tag hatte sie nichts geplant.

Am Ende der Rue des Sardiniers konnte sie den Hafen erspähen, die Flut kleidete sich in ein seidig blasses Blau und hob die Segelyachten an ihren Stegen empor. Nirgendwohin auf dieser schmalen, felsigen Halbinsel konnte man den Blick wenden, ohne Boote zu sehen, weiße Segel in der Bucht. Postkartenmotive. Caroline würde nie mehr den Fuß auf eine Yacht setzen.

»S’il vous plaît, Madame?«

Das volle, gerötete Gesicht der Marktfrau, ihr zugewandt, ohne ein Lächeln. Caroline war eine Fremde, eine Touristin, die nicht viel kaufen würde, vielleicht eine Gurke oder eine Handvoll Kirschtomaten. Eine, mit der es nichts zu erzählen gab.

»Madame?«

»Merci. Rien. Ich brauche nichts. Excusez-moi, Madame.«

Caroline trat zur Seite, überließ ihren Platz der nächsten Kundin, die Frauen in der Schlange schlossen auf, niemand nahm mehr Notiz von ihr.

Sie lief über das grobe Pflaster im Schatten der Steinhäuser bis hinunter zur Cooperative Maritime. Es war nichts los im Hafen. Die Fischer, die in aller Frühe ihren Fang ablieferten, waren verschwunden, durch die geöffneten Rolltore der Hallen sah Caroline ein paar Frauen in Arbeitskitteln und Gummistiefeln zwischen den weißen, aufeinandergestapelten Kisten mit Eis und totem Fisch umherlaufen.

Caroline setzte sich auf eine Bank an der Promenade, sah ihnen zu und beneidete sie um ihr Tagwerk. Mit der Ruhe von Schlafwandlerinnen, ohne jeden Selbstzweifel, erledigten sie, was getan werden musste. Wuschen sich nach der Schicht den Fischgeruch von der Haut. Dachten nicht an die Arbeit, bis zum nächsten Morgen.

Obwohl Caroline es nicht wollte, wurde ihr Blick wieder von den Segelyachten angezogen, die bewegungslos in engen Reihen im Sportboothafen lagen.

Ein Kastenwagen bog in die Uferstraße ein, viel zu schnell ratterte er über das Pflaster, hielt vor dem Geschäft mit Ausrüstung für Fischer, Angler und Segler. Der Fahrer stieg aus, warf die Autotür zu, verschwand hinter dem Wagen und hob etwas von der Ladefläche. Er hatte dunkles Haar und einen Fünftagebart, wie viele Männer hier. Als er seine Last, eine offensichtlich nicht allzu schwere Klappkiste, in den Laden trug, richtete sie sich plötzlich auf, um ihn besser zu sehen.

Sein Gang. In der Erinnerung sah sie ihn vor sich.

Er war vor ihr gelaufen, auf einem endlos erscheinenden Holzsteg, der sie endlich wieder an Land führen sollte, aufgereiht die Segelboote zu beiden Seiten. Seine lässige Art, sichere, weitgreifende Schritte, während unter Caroline der Boden schwankte, weil ihre Sinne dem festen Grund nicht trauten, nach den vielen Stunden auf See.

Die Tür des Geschäfts schwang wieder auf, der Dunkelhaarige kam heraus, für einen Moment sah sie ihn frontal. Er trug eine Sonnenbrille, ein blaues Flanellhemd, eine Cargohose, Arbeitsstiefel, fremd, alles fremd, vor allem der Bart. Trotzdem war sie wie elektrisiert.Er warf die Klappkiste in den Kofferraum, wandte sich um und verharrte einen Moment, den Blick aufs Meer gerichtet. Dann betrat er die Fischhalle, kam einige Minuten später mit einer weißen Box wieder heraus. Auch dieses Bild rief eine Erinnerung in ihr wach. Doch sie blieb verschwommen, Caroline bekam den Gedanken nicht zu fassen.

Der Mann stieg in den Wagen, fuhr nur ein kurzes Stück, parkte am Sportboothafen und betrat mit der Box unter dem Arm einen der Stege. Er bestieg ein Segelboot. Es war kleiner als die anderen Schiffe, der Rumpf aus dunklem Holz. Sie hörte den Motor starten. Das Holzboot legte ab und tuckerte aus dem Hafen, sie sah den Mann im Profil, bewegungslos wie eine Statue stand er am Ruder und steuerte das Boot aus der Bucht.

Caroline umklammerte den Einkaufskorb auf ihrem Schoß.

Seine Hand, die eine feuchte Haarsträhne aus ihrer Stirn strich. Die Insel, die Schreie der Vögel über der Steilküste, der Regen auf ihrem Gesicht. Seine Lippen, die sich auf ihren Mund legten. Sie wusste noch immer nicht, was sie für ihn empfunden hatte, was er für sie gewesen war. Wer er überhaupt war.

Sie nahm ihr Handy aus dem Korb und wählte Tanjas Nummer.

»Caroline?« Tanja klang gehetzt. »Du, es ist gerade schlecht.« Bestimmt war sie bei der Arbeit, im Hintergrund Stimmen und das Klappern von Geschirr.

Tanja hatte sie Line genannt. Der Kosename aus ihrer Kindheit. Das war erst vor sechs Wochen gewesen, diese Nähe zwischen ihnen.

»Ich glaube, ich habe ihn gesehen.«

Sie hörte, wie Tanja kurz und scharf einatmete. »Caroline, wo bist du?«

»In der Bretagne.« Caroline zögerte. »Ich wusste nicht, wen ich sonst anrufen soll.«

In der Leitung blieb es still, bis auf die Geräusche aus dem Speisesaal im Hintergrund.

Wie sollte sie Tanja erklären, was sie empfunden hatte? Der Mann hatte anders ausgesehen. Doch seine Art, sich zu bewegen … Ihr Herz hatte schmerzhaft schnell geschlagen, die Erinnerung hatte sich so echt angefühlt. Aber sie wusste, was Tanja dachte.

Er konnte es nicht gewesen sein. Weil er tot war.

Auch Tanja und Daniel mussten verarbeiten, was an Bord dieses verdammten Segelbootes passiert war, zurück in ihr eigenes Leben finden. Nun brachte sie die beiden aufs Neue durcheinander. Nur, weil es ihr nicht gut ging. Weil sie einsam war. Ihre Fantasie nicht im Griff hatte.

Durch die Telefonleitung hörte sie eine Stimme, laut und ungeduldig, jemand rief nach Tanja.

»Caroline? Bist du noch da? Kann ich dich später zurückrufen?«

»Nein, musst du nicht«, sagte Caroline. »Es tut mir leid. Ich habe mich ganz sicher geirrt.«

Sechs Wochen zuvor

Caroline

Es war dunkel im Schlafzimmer, sie hatte die Vorhänge zugezogen, das grelle Licht im Garten ausgesperrt.

Über den Monitor ihres Laptops auf dem Bett huschten Bilder in künstlichem Blau, flackerten über den weißen Satin des Lakens. Ein Dokumentarfilm. Andreas hatte ihr vorhin den Link geschickt. Damit du in Stimmung kommst. Caroline nahm das Gerät auf den Schoß und sah für ein paar Augenblicke zu: Kamerafahrten übers Meer, eine im Dunst aufgehende Sonne, die sich auf dem Wasser spiegelte. Felsen, die meisten rund und glatt wie die Rücken von gestrandeten Walfischen, andere zerklüftet, samtblaue Buchten, gesprenkelt mit diesen kargen, hellbraunen Gesteinsbrocken. Die Schären. Eine einsame, unwirkliche Welt.

Bald würde sie dort sein. Wie in den Sommern ihrer Kindheit. Sich auf die flachen warmen Steine legen. Den Geruch von Salz und Tang einatmen.

Die Filmkamera schwenkte über Segelboote, die träge an Ankerleinen hingen und verlassen wirkten, das Bild verschmolz am Horizont mit einem blutroten Sonnenuntergang. Der melodische Singsang des Sprechers ging Caroline auf die Nerven, sie stoppte die Wiedergabe.

Niemand glaubte mehr an Paradiese.

Sie musste endlich packen, die Reisetasche lag aufgeklappt und leer neben ihr auf dem Bett. Koffer waren nicht erwünscht an Bord des Segelbootes. Andreas hatte ihr eine Mail des Skippers mit einer Packliste weitergeleitet.

Caroline scrollte durch ihre Mails. Die Nachricht war verschwunden, verschüttet von ihren beruflichen Nachrichten, die zu der Zeit noch hereingeflutet waren. Jetzt kamen keine mehr. Nur Newsletter und Werbung.

Endlich wurde sie fündig. Der Skipper hieß Eric Fauré. Ein Franzose? Ein paar Klicks, und sie würde es wissen.

Nein. Caroline wollte nichts über ihn recherchieren. Sie wollte blind Andreas’ Plänen vertrauen.

Er war so überrascht gewesen von ihrem Wunsch, mit ihm zu verreisen. Überrascht und begeistert. Zehn Tage! Ein verlängertes Wochenende war das Äußerste, was sich Caroline an Urlaub erlaubt hatte, seit sie Chefredakteurin der My Style geworden war.

›Du musst dich um nichts kümmern, diesmal organisiere ich alles.‹ Aber wie ein aufgeregtes Kind hatte er das Geheimnis nicht lange für sich behalten können. Als er ihr verriet, dass er ein Segelschiff gechartert hatte und sie in die schwedischen Schären segeln würden, hatte Caroline mit ihm geschlafen, das erste Mal seit Monaten.

Bis er das zweite Geheimnis lüftete, hatte es länger gedauert. Weil er ahnte, dass sie nicht begeistert sein würde. Sie fuhren nicht allein. Er hatte Daniel Schmidt und seine Freundin eingeladen mitzukommen. ›Du kennst sie doch, sie waren auf dem Sommerfest.‹ Caroline wusste sehr genau, wer Daniel Schmidt war. Andreas’ Kanzleipartner Lutz Trautmann, mit dem Caroline wunderbar flirten und über Leute lästern konnte, hatte sie am Büfett auf ihn aufmerksam gemacht. ›Da steht Andreas‹ Schützling. Der ist auf dem Partner-Track.‹

Ihr war bekannt, dass es im Team der Kanzlei zwei Arten von Mitarbeitern gab: Diejenigen, die mit ihrer Position als angestellte Rechtsanwälte mit weniger Geld, Arbeitsstunden und Verantwortung zufrieden waren, und die anderen, die ganz nach oben, Teilhaberin oder Teilhaber der Sozietät werden wollten. Schmidt hatte mit Anfang vierzig das passende Alter, und Andreas erwähnte ihn immer wieder lobend. Auf dem Grillfest hatte Caroline gespürt, dass er den Jüngeren, der ihm kaum von der Seite wich, wirklich mochte. An Schmidts Freundin erinnerte sich Caroline allerdings nur vage. Sie war ihr vorgestellt worden, natürliches Honigblond, braver Zopf, braves Leinenkleid. Sie hatten sich später nicht unterhalten. In den nächsten zwei Wochen konnte Caroline das nachholen. Auf einer Reise, die nun halb beruflich und halb privat werden würde, mit Leuten, denen sie ein perfektes Leben vorspielen musste.

Aber wäre sie wirklich lieber mit Andreas allein gesegelt? Ein Urlaub zu zweit, so wie vor der Geburt von Isabelle? Wäre das vorstellbar, ein Anknüpfen an die Zeit, als sie sich noch alles anvertraut hatten?

›Mit mir allein langweilst du dich doch nur.‹ Andreas hatte gelacht, die Bemerkung als Scherz verkauft. Caroline hätte ihm widersprechen sollen. Oder ihn in den Arm nehmen und küssen, ohne etwas zu sagen. Der Moment war verstrichen, und Andreas hatte allerhand Begründungen für seinen Plan geliefert. Die Schären seien ein tückisches Revier, selbst für erfahrene Segler. Und die Yacht sei ziemlich groß, perfekt für eine Crew von sechs Leuten. Caroline hatte nur gelächelt. Natürlich war es eine ziemlich große Yacht. Alles bei Andreas musste groß sein.

Eric Fauré. Carolines Finger tippten den Namen in das leere Feld. Gleich der erste Link führte auf die Webseite der Charteryacht Querelle. Sie war weiß und schlank wie alle Segelboote, doch Caroline hatte kaum einen Blick für das Schiff übrig. Sie vergrößerte das Foto des Pärchens auf der Startseite. Der Eigner Eric Fauré und seine Partnerin Sylvie Haller. Segeln Sie mit uns in die einzigartige Landschaft der schwedischen Schären.

Dieser Eric gefiel ihr, obwohl er nicht freundlich aussah. Sein Gesicht war ausdruckslos, als sei es ihm egal, fotografiert zu werden, als ginge ihn der Anlass nichts an. Nicht sehr passend für ein Werbefoto: Hier sehen Sie Ihre sympathischen Yachteigner! Er war gebräunt, hatte schwarzes, offenbar lange nicht geschnittenes Haar und buschige Brauen. Augenfarbe dunkel, undefinierbar. Sylvie, die Frau an seiner Seite, bemühte sich um ein herzliches Lächeln, als wolle sie seine Gleichgültigkeit wettmachen. Ihr Basecap hatte sie in die Stirn gezogen. Es warf einen Schatten auf die obere Hälfte ihres Gesichts, sodass ihr sonnenbeschienener, rot geschminkter Mund das Bild beherrschte. Das Alter der beiden war nicht leicht zu schätzen. Fauré musste ein ähnlicher Jahrgang sein wie Andreas und sie, Sylvie hingegen wirkte deutlich jünger.

Eric und Sylvie. Menschen, die sich unweigerlich in Carolines Leben ausbreiten würden. Die Bedeutung bekamen, schon deshalb, weil sie zehn Tage lang auf wenigen Quadratmetern mit ihnen zusammengepfercht sein würde. Nein, das klang so negativ, sie musste sich zusammenreißen. Früher war sie neuen Menschen in ihrem Leben mit großer Offenheit begegnet.

Aber dieser seltsame Name … Was waren das für Leute, die ihre Yacht Querelle nannten? Nicht True Love, Windsbraut oder My Fair Lady, sondern ausgerechnet Querelle? Carolines Französisch reichte, das hieß Streit. Sie musste an den Film von Fassbinder denken. Es war lange her, dass sie ihn gesehen hatte. Sie rief Wikipedia auf und las die Zusammenfassung durch. Es ging um Freiheit und Macht. Und um Tod.

Unten fiel die Haustür ins Schloss. Caroline sah auf die Uhr, Andreas hielt sein Versprechen, früh aus dem Büro zu kommen.

»Caroline?«

»Oben!«

Während sie seine Schritte auf der Treppe hörte, klappte sie den Laptop zu, schaltete die Deckenlampe ein, setzte sich wieder. Er kam ins Zimmer, brachte eine Wolke seines Rasierwassers, vermischt mit einem Hauch Schweißgeruch, herein.

Sie lächelte. »Willkommen im Urlaub.«

»Danke, ebenso.« Er beugte sich über sie, küsste ihr Schlüsselbein, ließ sich dann neben sie aufs Bett fallen. »Dem Himmel sei Dank, dass ich so früh losgefahren bin. Daniel war noch im Büro und hatte prompt Lehnberg höchstpersönlich in der Leitung, der befürchtet, dass die Staatsanwaltschaft nun doch …«

Sein Handy signalisierte den Eingang einer neuen Nachricht. »Ah, jetzt schreibt er, Entwarnung, alles in Ordnung.«

»Bist du sicher, dass du gerade jetzt verreisen kannst, wo dieser Lehnberg-Fall so hohe Wellen schlägt?«

»Die Kollegen haben das im Griff, dafür werden sie fürstlich bezahlt. Lass uns nicht mehr davon reden. Und bei dir?« Andreas verzog spöttisch den Mund. »Geordnete Übergabe an die Millenials?«

Er wartete ihre Antwort glücklicherweise nicht ab, ließ sich auf den Rücken fallen. »Komm her.« Den Arm nach ihr ausgestreckt, zog er sie zu sich heran, sie küssten sich, es fühlte sich warm und vertraut an, dann blieben sie eng aneinandergeschmiegt liegen. War Andreas so entspannt, wie er tat? Caroline fühlte sich erschöpft und aufgedreht zugleich. Noch nicht angekommen in der neuen Freiheit.

»Warte es ab, wenn wir erst mal hier weg sind …«, sagte er. »Das ist das Besondere an einem Segeltörn. Du vergisst deinen Alltag sofort.«

Es sei denn, man packt ihn ein und schleift ihn mit, dachte Caroline.

Tanja

Der betäubende Vanilleduft breitete sich im Zimmer aus, vertrieb den Geruch nach Inkontinenz, den sie täglich von der Arbeit mitnahm, aus ihrer Nase. Es funktionierte nur noch mit diesem penetranten künstlichen Aroma, deshalb hatte sie Vorräte an Kerzen und Duftbäumchen angelegt.

Sie überlegte kurz, ein paar Bäumchen einzupacken — wer wusste schon, wie es an Bord eines Segelschiffes riechen würde —, verwarf den Gedanken aber wieder. Daniel hasste den Geruch. Er hatte in der Kanzlei mit Leuten zu tun, die teures Eau de Toilette benutzten, nicht mit alten, hilflosen Menschen wie sie.

Sie zündete eine weitere Kerze an, zur Strafe, weil er zu spät kam, öffnete eine Flasche Bier. Sie war die Packliste des Skippers dreimal durchgegangen, um nichts falsch zu machen, hatte sogar Daniels Sachen schon ausgesucht und zusammengelegt.

Schuhe mit hellen, rutschfesten Sohlen.

Sie betrachtete die strahlend weißen Turnschuhe, die sie sich gekauft hatte. Daniel hatte sich sogar lederne Bootsschuhe in einem Seglershop bestellt, ganz schön übertrieben für eine Reise von nicht mal zwei Wochen. Aber er wollte einen perfekten Eindruck hinterlassen, das verstand sie. Sie hatte eher praktisch gedacht: Die Turnschuhe konnte sie hinterher gut für die Arbeit verwenden.

Vielleicht wären Lederschuhe doch passender gewesen?

Sie hätte jetzt gern ihre Mutter angerufen, ihre beruhigende Stimme gehört. ›Mach dir nicht so viele Sorgen, sei einfach, wie du bist. Alle werden dich mögen.‹

Aber ihre Mutter war tot, und Tanja wusste, dass sie genau das nicht durfte: Sein, wie sie war. Weil Daniels Chef und seine Frau sie unendlich langweilig finden würden.

Nur, wie sollte sie sein?

Sie musste sich anstrengen, für Daniel. Interessant und sympathisch wirken. Dieser Törn war seine große Chance.

Bestimmt kam er gleich. Sie blies die Kerzen aus, öffnete die Fenster und die Balkontür. Frische Luft strömte herein, löste die Vanilleschwaden auf. Daniel kam nicht zu spät, um sie zu ärgern. Sein Chef machte heute sicherlich auch Überstunden, am letzten Tag vor dem Urlaub, und Daniel konnte ja schlecht vor ihm nach Hause gehen.

Dr. Andreas Kepler, Caroline Kepler. Nicht Daniels Chef und seine Frau, sie musste sich endlich an die Namen gewöhnen.

Sie hörte die Wohnungstür aufgehen und lief Daniel entgegen.

»Entschuldige, es ging nicht früher, wir hatten noch …«

»Macht doch nichts. Komm, magst du ein Bier?«

Sie küssten sich. Daniel hängte sein Jackett auf einen Bügel, streifte die Schuhe ab, ließ sich auf das Sofa fallen. Er nahm Tanja die Flasche ab und trank. Ein Hauch Vanille lag noch in der Luft. Kaum wahrnehmbar.

»Meinst du, die gehen?« Tanja hob die Turnschuhe hoch.

»Klar, warum nicht?«

»Ich habe deine Sachen gebügelt und dahin …«

Er setzte sich auf. »Hey, komm mal her.« Wartete, bis sie neben ihm saß. »Was ist denn los?«

»Gar nichts, ich bin nur …«

»Nervös?«

Sie sah ihn an. »Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee war, die Einladung anzunehmen.«

Er atmete laut aus. »Nun fang nicht wieder damit an.«

»Aber wir sind beide noch nie gesegelt. Wir wissen nicht, wie das ablaufen wird. Was dein Chef — was Dr. Kepler von dir erwartet. Was soll das Ganze sein, eine Prüfung?«

»Ich hab’s dir doch erklärt, er will mich besser kennenlernen.«

»Aber auf einem Boot kann alles Mögliche passieren. Du kannst nichts voreinander verstecken.«

»Was sollten wir denn auch verstecken?«

Du nichts, aber ich. Tanja verzichtete auf eine Entgegnung.

Er beugte sich zu ihr, zwang sie, ihn anzusehen, dann lachte er los. »Ich liebe dich, Tanja, aber du musst mal ein bisschen mehr an dich glauben.«

»Wirklich, sehr lustig.« Doch Tanja musste auch lachen.

Er nahm sie in den Arm und schüttelte sie dann leicht an den Schultern. »Du bist das Wunderbarste, das mir passieren konnte. Vertrau mir, das wird die beste Reise, die wir je machen werden.«

Tanja rückte ein Stück von ihm ab. »Eine Reise, die wir uns allein nicht leisten könnten. Er zahlt das alles. Stört dich das nicht? Wir hätten uns zumindest beteiligen müssen.«

»Ich habe es angeboten.«

Sie schwiegen, reichten sich abwechselnd die Bierflasche und tranken.

Nach einer Weile sah er sie an. »Ich hatte nicht einen Moment lang die Wahl, und das weißt du.«

Tanja nickte nur.

Er stellte das Bier auf dem Beistelltisch ab. »Entweder, wir grübeln weiter, machen uns Sorgen, was alles schiefgehen könnte. Oder wir lassen uns auf den Trip ein und begreifen ihn als Chance. Er hat nur mich gefragt, als Einzigen von allen Associates.«

Tanja lehnte sich an ihn, schloss kurz die Augen. Ja, die Reise war eine Chance, auch für sie beide. Sie liebte seine Zuversicht, seine Energie, seinen Ehrgeiz, alles an ihm.

Der Geruch der Duftkerzen war endgültig verflogen, reine, kühle Abendluft erfüllte das Zimmer.

»Ich mach uns was zu essen«, sagte sie und stand auf. Auf dem Weg legte sie die Turnschuhe mit der blitzweißen Sohle oben auf ihre gepackte Tasche.

Auf Höhe der Küchentür hörte sie ein Klackern und blickte sich um. Daniel schüttete etwas aus einer kleinen weißen Dose in seine Hand, warf es in den Mund und spülte es mit einem Schluck Bier herunter.

Andreas

Caroline auf dem Sitz neben ihm war eingenickt. Andreas drehte seine Playlist leiser, stellte den Tempomat des Mietwagens auf 200 und lehnte sich zurück. Noch war die Autobahn fast leer, Windräder und blühende Rapsfelder flogen vorbei. An einem Hang schimmerten Solarzellenpaneele metallisch blau wie die Oberfläche eines Sees. Sein Handydisplay leuchtete auf, eine Nachricht. Noch eine zweite. Um die Zeit traf er sonst im Büro ein, nicht alle Mandanten wussten, dass er verreist war. Er hatte bewusst die Funktion nicht eingestellt, sich eingehende Nachrichten während der Fahrt vorlesen zu lassen. Aber jetzt machte ihn das Geflacker wahnsinnig. Konnte Lehnberg schon wieder etwas wollen?

Seine Hand zuckte in Richtung des Smartphones, blieb dann doch am Steuer. Nicht bei 200 Sachen. Er überlegte, Caroline zu wecken, sie konnte nachsehen, ob es sein wichtigster Mandant war. Er warf einen Blick zum Beifahrersitz.

Sie hatte ihr Haar heute nicht hochgebunden, und mit den geschlossenen Augen sah sie fast aus wie ein junges Mädchen. Er wusste, dass sie die halbe Nacht wach gelegen hatte, ihre Schlafstörungen hatten wieder zugenommen. Er würde sie nicht wecken.

Space Oddity von David Bowie lief, ein Song, der ihn immer noch berührte, auch wenn er ihn schon tausendmal gehört hatte, Major Tom in seiner Raumkapsel, der Countdown vor dem Start, ten, nine, eight, seven … Andreas spürte Gänsehaut auf den Unterarmen. Three, two, one. Abheben, Gitarren-Crescendo, Weltraum.

Er hätte gern laut gesungen, tat es nur nicht aus Rücksicht auf Caroline. Diese Reise würde großartig werden, er wusste es.

Eine Erinnerung piepte auf seinem Handy.

Ground Control to Major Tom …

Caroline bewegte sich, öffnete die Augen, blickte aus dem Fenster. »Warum fährst du so schnell?«

Andreas schaltete den Tempomat auf 180 herunter. Der Verkehr nahm sowieso zu. »Du hast eine ganze Weile geschlafen.«

»Wo sind wir?«

»Kurz vor Hannover.«

Caroline inspizierte die Angaben des Navis im Display. »Wenn du weiter so rast, sind wir viel zu früh da.«

Ground Control to Major Tom. Your circuit’s dead, there’s something wrong …

Andreas versuchte nicht, Carolines schlechte Laune zu vertreiben, damit hatte er selten Erfolg. Sie befand sich in einem Zwischenreich, halb noch in der Redaktion, halb erfüllt von skeptischer Erwartung. Unausgeschlafen, auf Koffeinentzug.

Er freute sich schon so auf das Meer. Auf Carolines Gesicht, wenn sie das Segelschiff sah.

»Könntest du bitte mal checken, von wem meine neuen Nachrichten sind? Ich will nur sichergehen, dass …«

Caroline atmete laut aus, nahm aber sein Handy und tippte den Code ein. »Kein Lehnberg. Nur Daniel Schmidt.«

Er warf ihr einen fragenden Blick zu.

»›Fahre etwas später los, war kurz im Büro, Gutachten ist eingetroffen, per Eilkurier an die Staatsanwältin geschickt. Bis später, gute Fahrt‹.«

Andreas nickte.

»Und eine Nachricht von unserem Skipper.« Sie las sie stumm. »Na, sieh mal an.«

»Was?«

»Seine Partnerin ist plötzlich erkrankt und kann leider nicht mitfahren. Sylvie Haller.«

»Wirklich?«

»Er schreibt, dass wir zu fünft an Bord sind statt zu sechst, sich aber ansonsten für uns nichts ändert.«

Andreas hob die Schultern. »Vielleicht kommt sie ja später nach.«

Kurz vor ihm scherte ein LKW aus auf die linke Spur, zwang ihn zum Abbremsen. »Idiot!«

Caroline schwieg, tippte auf seinem Handy herum.

»Was machst du?«

»Ich schaue, ob es Bewertungen über unseren Skipper gibt.«

Andreas zog an dem LKW vorbei, blieb auf der Überholspur. »Und?«

»Keine einzige.«

»Er ist an keines von diesen Charterportalen angeschlossen.«

»Zu allem auf dieser Welt gibt es Bewertungen.«

Andreas grinste. »Unser Eric ist offenbar die Ausnahme. Ein Solist.«

»Hast du eigentlich mal mit ihm telefoniert?«

»Wozu?«

Caroline schüttelte den Kopf und sah aus dem Fenster.

Andreas schwieg. Er wusste einiges über den Skipper, doch das würde er für sich behalten. Seine Frau entwickelte schnell Vorurteile gegen Menschen. Generell hatte er nicht vor, sein Wissen einzusetzen, aber es konnte nie schaden, Klarheit darüber zu haben, mit wem man es zu tun hatte. Nach der Maxime lebte er auch sonst, vor allem in der Kanzlei.

Als er fünf Stunden später an der Ostsee aus dem Wagen stieg, riss ihm eine Böe fast die Fahrertür aus der Hand. Der Wind blies hier an der Küste viel stärker als im Landesinneren, ließ die Boote an den Stegen schwanken, fegte durch die Wanten und die Takelage. Er erzeugte ein hohes, nervöses Sirren, unterlegt mit metallischem Klappern.

Andreas atmete tief ein. Die Luft war rein und klar, welch ein Unterschied zum Bankenviertel in Frankfurt.

Die nähere Umgebung bot einen nüchternen Anblick. Betonierte Flächen, langgestreckte Lagerhäuser, Silos, Container, Parkplätze. Doch nicht weit entfernt an den Stegen lagen rot, grün, blau lackierte Fischerboote, und dahinter in zwei Reihen die Segelschiffe. Eine Steinmole verlängerte den Hafen weit ins Meer, auf ihrer Spitze stand ein grün-weißer Leuchtturm. Schon morgen würden sie ihn hinter sich lassen und in Richtung Bornholm segeln.

Auch Caroline war ausgestiegen und streckte sich.

»Ist das grell hier.« Sie setzte ihre Sonnenbrille auf und ging zum Kofferraum.

»Lass die Tasche da«, sagte er, »wir schauen erst mal, wo es ist.«

Sie liefen am Hafenbecken entlang in Richtung der Bootsstege. Am ersten Steg flatterten die Wimpel einer Charterbasis. Die Schiffe sahen aus wie geklont, alle in gleicher Länge und Breite, hochbordige, gedrungene Rümpfe. Genau das, was Andreas nicht gewollt hatte.

Caroline neben ihm verlangsamte den Schritt.

»Nicht hier.« Er ging weiter.

Beim nächsten Steg bog er ab. Hier lagen unterschiedliche Schiffe, neue und ältere Modelle, gepflegt und ungepflegt. Andreas erkannte die Querelle schon von weitem, sie fiel durch den hohen Mast und die lange, schlanke Form des Rumpfes auf. Als sie die Yacht erreicht hatten, blieb er stehen. »Da ist sie.«

Caroline betrachtete das Segelboot, während er gespannt wartete.

»Schön.«

Andreas hatte ein bisschen mehr erwartet als dieses Pokerface. Das war alles? ›Schön‹?

Er kannte Caroline, sie war keine Frau, die spontan in Begeisterungsstürme ausbrach. Selbst damals, beim ersten Blick aus dem Hotelzimmer auf den schneebedeckten Fujijama, eingerahmt von Kirschblütenzweigen, war kein Ausruf über ihre Lippen gekommen. Aber ihr Lächeln hatte er nicht vergessen.

»Komm, wir schauen mal, ob unser Skipper da ist.«

An Deck war niemand zu sehen, doch Andreas hörte ein schrilles Pfeifen aus dem Inneren des Bootes. Es klang wie ein Wasserkessel.

Das Geräusch brach ab. Er beugte sich vor und klopfte an den Bug.

»Moment!« Wenige Augenblicke später tauchte der Kopf eines Mannes über der Treppe im Niedergang auf, Andreas erkannte ihn von dem Foto, es war Eric Fauré, der nun nach oben kam.

»Hallo, die Keplers, wir sind etwas zu früh«, rief Andreas laut, um das Sirren und Klappern des Windes zu übertönen.

»Das macht gar nichts!« Eric Fauré überquerte das Heck des Schiffes und balancierte über eine Planke auf den Steg.

Andreas streckte ihm die Faust entgegen, wie er es sich in der Pandemie angewöhnt hatte, und der Skipper tat es ihm gleich. Sie berührten sich nicht.

Während sie über die Anreise plauderten, maß Andreas ihn mit Blicken. Fauré war größer, als er erwartet hatte, und wirkte hagerer als auf dem Bild im Internet.

»Kommt erst mal an Bord. Ich habe gerade Tee gemacht.«

»Wir haben die Bootsschuhe noch im Auto.«

»Kein Problem.« Eric Fauré drehte ihnen den Rücken zu und ging voraus, zeigte, wo sie sich am besten festhalten konnten. Andreas ließ Caroline den Vortritt. Die Planke bewegte sich, als sie den Fuß daraufsetzte. »O je!« Sie lachte.

»Genauso ist es richtig.« Der Skipper reichte ihr die Hand und zog sie an Deck. Er drehte sich zu Andreas um. »Geht es?«

»Na klar.« Auch Andreas war an Bord angekommen, betrachtete das Cockpit mit Bänken und Tisch aus Teakholz. Das musste Caroline einfach gefallen.

»Setzt euch. Hier draußen kann man sich gut an die Schiffsbewegungen gewöhnen. Der Wind ist heute stärker, als angesagt war.«

Andreas verstaute seine langen Beine unter der Tischplatte. Caroline saß schon und blickte sich um.

Eric Fauré war im Schiffsinneren verschwunden und reichte ihnen Tassen und eine Thermoskanne heraus. »Entschuldigt, ich bin noch nicht ganz fertig hier unten. Nehmt euch Tee, ich komme gleich.«

»Ist ja unsere Schuld«, rief Caroline. »Andreas war heute früh nicht zu bremsen.«

Unter Deck lachte Eric auf, ohne dass Andreas ihn sehen konnte.

Sie gossen sich Tee ein. Er war schwarz und stark gesüßt. Andreas trank Tee sonst nur, wenn er ernsthaft krank war, er hätte lieber ein Bier gehabt, aber er war müde von der Fahrt, das dunkle Gebräu würde ihn munter machen. Caroline nippte nur und schob ihren Becher weg. Zucker war ein No-Go, sie achtete eisern auf ihre Figur.

Auf dem Steg rumpelte es, Menschen zogen Karren mit Gepäck über die Holzbohlen, Begrüßungen erklangen. Unten im Schiff klapperten Schranktüren.

»Ist das nicht Daniel Schmidt?«, fragte Caroline.

Andreas folgte ihrem Blick den Steg entlang. Daniel entdeckte ihn und winkte. Tanja, die neben ihm ging, wirkte jünger, als Andreas sie von der letzten Begegnung in Erinnerung hatte.

Dann blieben beide stehen und hatten nur Augen für das Boot.

»Da staunt aber einer«, sagte Andreas.

»Ja, da ist definitiv jemand beeindruckt.« Caroline lächelte. Er nahm ihre Hand und drückte sie.

»Na los, kommt an Bord!«, rief er den Neuankömmlingen zu. »Ihr habt das perfekte Wetter mitgebracht!«

Daniel trug weiße Shorts und ein weißes Polohemd, was seine Büroblässe noch verstärkte. Er hatte in den letzten Wochen kaum die Sonne gesehen.

»Na, Herr Schmidt, wollten Sie eigentlich zum Tennis heute?«, fragte Andreas.

Für einen Moment gefror das Gesicht des Jüngeren, doch dann lachte er und hob einen Fuß mit einem ledernen Bootsschuh. »Doch nicht mit den Schuhen!«

Gut gekontert, dachte Andreas.

Er reichte Tanja die Hand. Sie bewegte sich sicher wie eine Katze über das Brett. Auf ihrem Unterarm prangte schwarz ein Tattoo aus chinesischen Schriftzeichen.

»Die Yacht ist ja unglaublich!«, sagte Daniel Schmidt, als sie an Deck standen.

»Wirklich wunderschön«, schloss sich Tanja an.

Na bitte, geht doch.

Andreas breitete die Arme aus. »Dann also willkommen! In unserem Zuhause für einen wunderbaren Törn.«

Caroline

Das Schiff war ein Traum. Selbstverständlich erkannte sie den Unterschied zu den geklonten Schiffen an dem anderen Steg. Die Querelle war schmal, elegant, windschnittig. Ein schneeweißes Rassepferd, das nervös an den Leinen zerrte, ungeduldig, endlich loszupreschen.

Andreas wartete auf ein Zeichen der Anerkennung von ihr, doch sie hatte den Moment verpasst. Sie mochte es nicht, wenn er so bedürftig dreinsah. Früher war er cooler gewesen. Aber sie würde das Lob bei nächster Gelegenheit nachholen.

Der Skipper wuselte im Schiff herum. Sie waren zu früh eingetroffen, und es war ihr unangenehm, ihn unter Zeitdruck gesetzt zu haben. Sie fühlte sich gestresst von der Situation und den neuen Eindrücken. Der lärmende Wind, die Unruhe überall, zu viele Menschen auf der Promenade, auf dem Steg, auf den Booten. Der überzuckerte Tee.

Eric Fauré sah anders aus, als sie ihn sich vom Foto im Netz vorgestellt hatte. Er schien frisch rasiert, das Haar war kurz und ordentlich geschnitten. Der Eindruck war ein bisschen enttäuschend: Kein Aussteiger oder Abenteurer stand vor ihr, sondern ein Geschäftsmann, trotz der legeren Kleidung. Als er ihr an Bord geholfen hatte, hatte sie Zigarettenrauch an ihm gerochen. Der Duft hatte eine merkwürdige Empfindung ausgelöst: eine aufgeregte Vorfreude. Er hatte sie an die Zeit erinnert, als sie jung war, auf Partys ging. In der Schwangerschaft hatte sie endgültig mit dem Rauchen aufgehört.

Eric Fauré hatte bei der Begrüßung eine professionelle Freundlichkeit an den Tag gelegt, die nur schlecht sein Desinteresse kaschierte. Sie konnte ihn verstehen, auf seinem Schiff wechselten sich die Gäste ab, er musste sich ständig auf neue Menschen einstellen.

Doch unter der glattrasierten Oberfläche spürte sie noch etwas anderes. Eine leichte Aggression? Sie waren Fremde, die in sein Zuhause einfielen, frische Bettwäsche, sonniges Wetter, perfekten Wind und gute Stimmung erwarteten und nach zehn Tagen wieder verschwanden.

Nein, das traf es nicht. Da war etwas Ausweichendes in seinem Blick. Er hatte fest ihre Hand ergriffen, als er ihr über die Planke half, aber er hatte sie nicht angesehen. Andreas schaute sie ständig an, er war die fleischgewordene Erwartungshaltung, wollte bewundert und gelobt werden.

Sie war fast erleichtert, als sie Andreas’ Mitarbeiter auf den Steg einbiegen sah, Hand in Hand mit dem braven Blondzopf. Tanjas Turnschuhe leuchteten in unschuldigem Weiß. Beide hatten ein Lächeln aufgesetzt, das die helle Kleidung noch überstrahlte. Erstarrten dann in Ehrfurcht vor dem Anblick des Bootes.

Andreas hatte allerbeste Laune und zeigte sich von seiner charmantesten Seite, doch die allgemeine Begrüßungsrunde geriet ein wenig überdreht. Die Neuankömmlinge waren spürbar aufgeregt, und selbst auf einem so großen Segelboot fühlte es sich beengt an, wenn sich vier Menschen stehend im Cockpit drängten.

Smalltalk über die Fahrt, das Verkehrsaufkommen, Staus bei Hamburg, das Gespräch bestritten Andreas und Daniel Schmidt erst mal allein. Als der Jüngere auf seinen morgendlichen Besuch in der Kanzlei zu sprechen kam, winkte Andreas ab. »Nichts mehr davon. Jetzt haben Sie Urlaub.«

Eric kam an Deck, begrüßte die Ankömmlinge.

»Wie geht es Ihrer Partnerin?«, fragte Tanja den Skipper, Auch sie schienen über Sylvies Abwesenheit unterrichtet zu sein.

»Hoffentlich schon besser?«, schob Andreas hinterher.

»Danke der Nachfrage. Leider wird es wohl dauern, bis sie wieder einsatzfähig ist.«

»Das tut mir leid, wir hatten gehofft, dass sie noch nachkommen kann«, meinte Caroline.

»Ich fürchte, das wird nichts.« Eric legte den Kopf in den Nacken und blickte prüfend am Mast empor, an dessen oberer Spitze sich ein kleines Rädchen schnell im Wind drehte. »Aber ich soll unbekannterweise ganz herzlich von ihr grüßen.« Er sah niemanden an bei diesen Worten, und nach einer knappen Entschuldigung verschwand er wieder unter Deck.

Kurz darauf rief er sie, er wolle ihnen das Schiffsinnere zeigen. Caroline stieg hinter Andreas die vierstufige Holztreppe herab, Daniel und Tanja folgten. Es roch leicht nach Putzmitteln.

»Der Salon und die Pantry.«

Caroline war bezaubert. Die konvexen Wände waren mit Mahagoniholz getäfelt, ein dazu passender Tisch mit abgerundeten Ecken, rundum Sitzbänke, in einem samtigen retrogrünen Stoff überzogen. Messinglampen, die den Raum dezent mit warmem Licht ausleuchteten. Sie musste ein Foto von diesem Interieur posten. Dann fiel ihr ein, dass sie ihre Accounts alle gelöscht hatte.

Eric Fauré machte eine einladende Handbewegung. »Hier in der Pantry wird gekocht. Ich hoffe, dass wir gutes Wetter haben und immer draußen essen können. Aber falls nicht, sitzt man hier auch ganz gemütlich.«

Gelassen nahm er die Begeisterung aller über die Schönheit des Salons entgegen, vermutlich hörte er die Lobeshymnen zum hundertsten Mal.

»Da vorne, im Bug, ist mein Bereich. Und hier im Heck liegen die beiden Gästekajüten.« Eric zeigte auf zwei offenstehende Türen, rechts und links von der Eingangstreppe.

Caroline konnte in eine Kabine hineinblicken. Sie besaß einen winzigen Vorraum, direkt dahinter begann schon die Liegefläche des Bettes, Caroline sah die Kopfkissen, nah beieinander. Andreas und sie würden auf engstem Raum schlafen müssen. Zu Hause hatten sie ein Schlafzimmer von vierzig Quadratmetern mit Terrasse, und trotzdem schliefen beide häufig in ihren jeweiligen Arbeitszimmern, wenn sie spät von Terminen kamen und sich gegenseitig nicht wecken wollten. Eine Rücksichtnahme, die sie vorschoben, um für sich sein zu können.

»Unterscheiden sich die Kabinen?«, fragte Andreas.

»Die Betten sind gleich groß«, sagte der Skipper. »Auch die Kleiderschränke. Die Kabine an Backbord ist ein bisschen niedriger, auf dieser Seite ist oben im Cockpit ein größerer Stauraum eingelassen, man nennt das ›Backskiste‹. Aber es macht kaum einen Unterschied.«

Bei Caroline löste die Vorstellung, in einer Art Röhre zu liegen, Beklemmung aus. Niedriger? Sie wollte die Kabine an Steuerbord.

Andreas sah sie an. »Caroline. Hast du eine Vorliebe? Rechts oder links?«

Sie zögerte verärgert. Warum schob er ihr den schwarzen Peter zu, in Anwesenheit der anderen die bessere Kabine zu wählen? Das wirkte so, als gäbe es eine Zweiklassengesellschaft an Bord, und sie sollte diese manifestieren.

Sie wandte sich zu Daniel Schmidt um. »Welche gefällt Ihnen besser? Suchen Sie aus.«

»Nein, bitte entscheiden Sie das!«, sagte Andreas’ Mitarbeiter.

Andreas lachte auf. »Steuerbord oder Backbord. Tanja, bitte wählen Sie, sonst müssen wir Stöckchen ziehen.«

»Auf gar keinen Fall«, unterbrach Daniel, bevor seine Freundin antworten konnte. Er warf dem Skipper einen hilfesuchenden Blick zu.

»Beide Kabinen sind wunderschön«, sagte Tanja. Sie lächelte unentwegt, sie musste gut trainierte Gesichtsmuskeln besitzen.