In der Freiheit bestehen - Friedrich Schorlemmer - E-Book

In der Freiheit bestehen E-Book

Friedrich Schorlemmer

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Beschreibung

Friedrich Schorlemmer spricht Menschen an: direkt, aufrüttelnd, mutgebend – auf Straßen und Plätzen, auf dem Katheder, der Kanzel wie vor dem Mikrofon im anonymen Studio. Überzeugt davon, daß Schweigen keine Lösung ist, nur weil Reden nicht viel bewirkt, den Widerspruch nicht scheuend, vom Beifall nicht verführt, unbeeindruckt vom Zeitgeist, bezieht er Position. Er stellt Fragen, gibt nicht auf alles Antwort. Unfriede, Ungerechtigkeit und Unterwürfigkeit lassen ihm keine Ruhe. Er deckt öffentliches Lügen auf, polemisiert gegen grassierende Verdummung, gegen feige Anpassung und faule Kompromisse. Zugunsten der Würde und der Selbstentfaltung aller fordert er größere Bescheidenheit einerseits und größere Teilungsbereitschaft andererseits ein.

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Friedrich Schorlemmer

In der Freiheit bestehen

Ansprachen

Impressum

ISBN 978-3-8412-0064-8

Aufbau Digital,veröffentlicht im Aufbau Verlag, Berlin, 2010© Aufbau Verlag GmbH & Co. KG, BerlinDie Erstausgabe erschien 2004 bei Aufbau Taschenbuch; Aufbau Taschenbuch ist eine Marke der Aufbau Verlag GmbH & Co. KG

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jegliche Vervielfältigung und Verwertung ist nur mit Zustimmung des Verlages zulässig. Das gilt insbesondere für Übersetzungen, die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen sowie für das öffentliche Zugänglichmachen z.B. über das Internet.

Umschlaggestaltung Preuße & Hülpüsch Grafik Designunter Verwendung eines Fotos von Lohnes, Evangelischer Pressedienst EPD

E-Book Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, www.le-tex.de

www.aufbau-verlag.de

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Inhaltsübersicht

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Informationen zum Autor

Impressum

Inhaltsübersicht

Den Frieden wagen

Kein Krieg im Irak! Für eine multipolare Welt – für die Gültigkeit des Völker-rechts. Rede auf der Friedensdemonstration in Berlin am 15. Februar 2003

Friede auf Erden! – Meditationen zu Frank Martins Oratorium »In Terra Pax« (Dezember 2003)

Gerechter Krieg? – Gerechter Friede! (Mai 2002)

Steht auf für den Frieden! (Januar 2003)

Ein für allemal – eine militärfreie Zone! (März 2001)

Aufruf: Keine Gelöbnisse auf den Märkten der Republik!

Die Menschheit vor Feuerschlünden. Gedenkrede zum Volkstrauertag 1994 im Berliner Dom

Die Demokratie gestalten

Neun Gründe für einen anderen Nationalfeiertag. Der 9. Oktober – Tag der Demokratie und der Zivilcourage

Vertrauen kaputt – Demokratie kaputt

Kultur und Politik. Eine Ein-Rede angesichts von Sparzwängen im Frühjahr 2002

»Mehr Demokratie wagen« – Die Elbe nicht steinigen!

Der Gerechtigkeit verpflichtet

Freiheit bewährt sich in der Verantwortung (2003)

Freiheit verpflichtet zu Solidarität (November 2003)

Freiheit erfüllt sich in der Gerechtigkeit (Dezember 2003)

Was das Leben lebenswert macht, was Leben zerstört. Reflexionen zum 26. April 2004 im Erfurter Kaisersaal

Die Tugend des Dienens in der Dienstleistungsgesellschaft. Vortrag auf dem internationalen Dienstleistungskongreß von DEBIS in Berlin 1999

Die Reformen und ihre Verlierer. An meine Freunde in der SPD, 20. März 2004

Die Bibel auslegen

Sich der Erde untertan machen. Bibelarbeit zu Genesis 1,26–2,3 auf dem Ökumenischen Kirchentag in Berlin, Juni 2003

Die Bibel als Buch der Weltliteratur. Die Bergpredigt. Vortrag im neuen theater Halle, Dezember 2003

Ich bin, weiß wer! Predigt zu Psalm 27,8–14 in der Wittenberger Stadtkirche, Konfirmation 1985

Weißt du, wieviel Sternlein stehen? Predigt zu Jesus Sirach 1, 1–10

Die Stimme aus dem brennenden Dornbusch. Predigt zu Exodus 3,1–15

»… und hätte der Liebe nicht«. Predigt zu 1. Korinther 13

In der Freiheit bestehen. Reformationspredigt zu Galater 5,1

Einen Hüter haben. Predigt zu Psalm 23

Die auf den Herrn harren. Predigt zu Jesaja 40,26–31

Ich werde dich ausspeien. Bußtagspredigt zu Offenbarung 3,14–22

Einer für alle? Predigt zu Jesaja 53,1–12 Documenta in Kassel 2002

Die Ware Weihnachten und das wahre Weihnachten. Heiligabend 2001 – Herzberg

In den Versuchungen standhalten. Predigt zu Matthäus 4,1–11, März 2003

Der große David, der weise Salomo und das Testament der Macht. Predigt über 1. Könige, 2–3 am 25. Januar 2004

Protestantische Gewissensfreiheit und sozialpolitische Gewissensbindung. Predigt in der Gedächtniskirche an die Speyerer Protestation in Speyer am 25. April 2004

Den Frieden wagen

Kein Krieg im Irak!

Für eine multipolare Welt – für die Gültigkeit des Völkerrechts

Rede auf der Friedensdemonstration in Berlin am 15. Februar 2003

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,

Präsident Bush teilt die Welt in Feinde, Irrelevante und Willige ein.

Eine vierte Kategorie hat er vergessen: Die Unwilligen.

Ich begrüße alle Unwilligen, Kriegs-Unwilligen und Friedens-Willigen!

Wir stehen vor einem lang angekündigten Krieg.

Wir stehen auf gegen den Krieg im Irak.

Wir stehen ein für das Ausschöpfen aller zivilen Möglichkeiten, für die ungehinderte Weiterarbeit der Inspekteure.

(Warum haben eigentlich die Vereinigten Staaten ihre Erkenntnisse den Inspektoren nicht vollständig und rechtzeitig zur Verfügung gestellt? Man muß ihnen mangelnde Zusammenarbeit mit den Inspektoren vorwerfen – nicht nur Saddam Hussein!)

Wir fordern die Aufhebung des Embargos, unter dem das irakische Volk bitter zu leiden hat.

Wir sehen und suchen die friedliche Alternative. Seit gestern wieder mehr.

Gegen Präventivstrategien brauchen wir präventiven Widerstand. Deshalb stehen wir hier. Noch ist Zeit. Es ist höchste Zeit.

Wir stehen hier in der großen »Ökumene des Friedens« – gegen die großen »Ökonomen des Krieges«.

Wir sind heute Teil einer »Achse des Friedens«, die von Paris über Berlin nach Moskau und Peking reicht – und natürlich auch zu Freunden in den USA.

Wir sind hier heute Teil eines weltumspannenden Friedensnetzes – gegen alle Terror – und Gewaltnetze stehen wir hier, verbunden mit den Menschen in Rom und London, Beirut und Sydney.

Silvio und Tony, geht hin und hört, was Eure Völker wollen!

Wir, die Millionen Demonstranten, bilden die nötige Gegenmachtder Weltöffentlichkeit zu einer Großmacht, die die Welt aus dem Gleichgewicht bringt.

Uns verbindet hier die Sorge um die Opfer des Krieges.

Uns verbindet die Gegnerschaft zur Schreckensherrschaft Saddam Husseins – aber wir sehen nicht ab vom leidenden irakischen Volk.

Uns verbindet die Forderung nach des Diktators Abrüstung der Massenvernichtungswaffen und die Forderung nach der Ächtung und Abschaffung aller Massenvernichtungsmittel, deren Entwicklung, Besitz und Einsatz – gleichgültig durch wen.

Gleich, wer Erstschlagsstrategien verfolgt – sie sind gefährlich für uns alle!

Uns verbindet die Erfahrung einer Politik in der KSZE, als man »Gemeinsame Sicherheit« suchte, statt sich in tödlicher Konkurrenz festzufahren.

Jedes fundamentalistische Denken ist politikuntaugliches Entweder-Oder-Denken.

Das ist demokratischer Staaten unwürdig! Demokratie verlangt und erlaubt Differenzierung. Auch das Lügen, Tricksen und Täuschen sollte man Saddam Hussein überlassen und sich nicht am propagandistischen Falschspiel beteiligen.

(Oder haben Sie den »Angriff im Golf von Tongkin« und all die anderen Kriegslügen schon vergessen?)

Die Bush-Administration sucht sich eine »Koalition der Willigen« – und sei es eine Koalition der Willfährigen. Dem setzen wir eine Völkerkoalition der Unwilligen, der Kriegsunwilligen und der beharrlichen Friedenswilligen entgegen.

Die Völker sind mit großer Mehrheit gegen eine kriegerische Lösung des Irak-Konflikts. Krieg brächte unendliches Leid über ungezählte Unschuldige.

Die UNO rechnet uns bereits die humanitären Schreckensszenarien bei einem Krieg vor. Wer will das verantworten? Wer das verantwortet, soll auch für die Folgen aufkommen!

Hightech-gesteuerte Waffen werden über unsteuerbaren Haß in grausam gesteuerten Terrorismus führen.

Ein Krieg wird einen Flächenbrand der Gewalt auslösen, ein politisches Chaos in der Region bringen. Die Terroristen warten nur darauf. Sie bekommen Zulauf. Ein Krieg mindert nicht das Risiko – er potenziert die Risiken.

Die größte Herausforderung ist, nicht über die muslimische Welt zu gewinnen, sondern sie zu gewinnen. Das wird schwer. Aber es ist notwendig. Krieg gegen »den Islam« wäre eine Katastrophe für die Welt.

Krieg öffnet die Büchse der Pandora, aus der Unheil strömt. Es wird alle treffen. Ist es nicht ein Irr-Sinn, Massenvernichtungsmittel durch Krieg statt durch kontrollierte Vernichtung beseitigen zu wollen?

Worum geht es den USA im Kampf gegen den Diktator? Geht es um Abrüstung, Regimewechsel, Massenvernichtungsmittel, Menschenrechte, Demokratie und Anti-Terror-Kampf?

Warum vermeidet Präsident Bush so geflissentlich das Wort »Öl«?

Und wie steht es um die »neue Weltordnung« von Vater und Sohn Bush?!

Die Weltmacht ordnet die Welt neu und sucht sich einige, die ihr willfährig – und sei’s unter Druck oder mit Lockung! – folgen.

Aber die multipolare Welt wird sich nicht unilateral beherrschen lassen.

Die Zukunft der UNO steht auf dem Spiel. Unsere eine, so zerrissene Welt braucht mehr UNO, mehr »Vereinte Nationen«, mit den Vereinigten Staaten, nicht ohne, schon gar nicht gegen sie.

Unsere Freundschaft zu den Vereinigten Staaten steht außer Frage. Uns verbinden gemeinsame Werte und Zielvorstellungen. Wir vergessen nicht, was wir ihnen verdanken. Wir stehen zu dem Amerika eines Abraham Lincoln, der gesagt hat: »Es gibt keinen ehrenwerten Weg, zu töten, keinen sanften Weg, zu zerstören. Es gibt nichts Gutes am Krieg. Außer seinem Ende.«

Es wäre freilich besser, gar keinen Krieg zu beginnen und alles dafür zu tun, die Ursachen für Kriege anzupacken: entschlossen, mutig, hoffnungsvoll, geduldig.

Wer gegen Bush ist, ist nicht gegen Amerika, sondern gegen eine geradezu abenteuerliche Politik mit Präventiv- und Erstschlagsstrategien.

(Jimmy Carter, Dustin Hoffman oder die Poeten Amerikas wären sonst auch »Antiamerikaner«. Wirkt hier noch der McCarthy-Reflex nach?)

Wir stehen auf gegen Geostrategen der Überlegenheit und für eine weltweite Abrüstungsstrategie. Statt globalem Kampf brauchen wir globale Sicherheitsstrukturen mit verbindlichen Rechtsgrundlagen, mit der Stärke des Rechts statt des Rechts des Stärkeren.

Wer Krieg vermeiden will, muß einen gerechten Frieden anstreben. Weltpolitisch wird künftig Politik für mehr Gerechtigkeit in der zwischen Armen und Reichen geteilten Welt sein müssen; sonst wird es mehr und mehr Gewalt geben. Welt-Entwicklungspolitik ist Gewaltvorbeugungspolitik. Wir stehen für Kriegsprävention, nicht für einen Präventivkrieg!

Das Recht braucht – national und international – Stärke, damit sich der Stärkere nicht das Recht nimmt.

Die Grundprinzipien der UN-Charta gelten selbst dann, wenn eine Mehrheit sich entschlösse, sie unter dem Druck der Großmacht zu brechen. Die deutsche Regierung war gut beraten, selbst guten Freunden zu widersprechen, wo diese nicht der UN-Charta entsprechen. Ihr ist Standfestigkeit in der Sache und die diplomatische Klugheit im Sicherheitsrat zu wünschen.

Gerade wir Deutschen haben eine Verpflichtung, alles dafür zu tun, daß Krieg, Angriffskrieg zumal, nie wieder legitimes Mittel von Politik wird und Völkerrecht in Geltung bleibt. Die Regierung ist nicht isoliert. 80 Prozent der Bürger Europas stehen heute zu solcher Politik. Nach dem sehr ungewöhnlichen spontanen Applaus der Botschafter im Sicherheitsrat gestern für die Vorschläge Frankreichs und Rußlands, dem Frieden durch die Inspekteure noch eine Chance zu lassen, sollte sich Präsident Bush klarmachen, wie isoliert die Großmacht ist, wenn sie so weitermacht. Die Botschafter haben für die Meinung der Weltöffentlichkeit geklatscht – aber gewiß keiner für Hussein. Die amerikanischen Soldaten könnten als »Sieger« ohne Waffeneinsatz und ohne Tote zurückkehren, wenn nicht zuletzt ihre Präsenz den Diktator zur Abrüstung gezwungen hätte. Ein Krieg bliebe der Welt erspart. Menschenleben wären gerettet.

Wir sind nicht isoliert. Vielmehr isolieren sich einige Regierungen vom Willen ihrer Völker. Wir sind verbunden mit dem Mehrheitswillen der Völker, zudem in einer einzigartigen Ökumene! Kirchenführer aus Europa, den USA und dem Nahen Osten haben kürzlich unmißverständlich erklärt: »Als Menschen des Glaubens drängt uns die Liebe zu unserem Nächsten dazu, gegen Krieg Widerstand zu leisten und friedliche Konfliktlösungen zu suchen.

Beten verpflichtet uns, Werkzeuge des Friedens zu sein. Wir appellieren an den Sicherheitsrat, an den Grundsätzen der UN-Charta festzuhalten, die die legitime Anwendung militärischer Gewalt eng begrenzen.«

Und der Bischof von Rom erklärte vor den Gesandten der Welt im Vatikan eindrucksvoll: »Das Recht auf Leben ist das grundlegende aller Menschenrechte, darauf folgen die Respektierung des Rechts, die Pflicht der Solidarität, das Nein zum Tod, das Nein zum Egoismus, das Nein zum Krieg. Krieg ist niemals unabwendbares Schicksal.

Er ist immer eine Niederlage der Menschheit.

Das internationale Recht, der ehrliche Dialog, die Solidarität zwischen den Staaten, das noble Metier der Diplomatie: dies alles sind Methoden, die des Menschen und der Nationen zur Beilegung von Differenzen würdig sind.«

Freilich – sage ich als Protestant –, der Papst hat nicht immer recht. Aber, wo er recht hat, hat er recht.

Tun wir miteinander alles, was unserer Zivilisation würdig ist!

Man wird indes nicht all jenen, die Gewaltmaßnahmen nicht ausschließen wollen, den Friedenswillen absprechen. Aber wir sagen: Krieg ist keine Lösung, sondern eine Sackgasse. Frieden ist der Weg zum Frieden!

»Wer Krieg anfängt, der ist im Unrecht. Es ist nicht richtig, Krieg anzufangen nach eines jeden tollen Herren Kopf.

Wer ein Christ sein will, der fange nicht allein Krieg und Unfrieden an, sondern helfe und rate zum Frieden, wo immer er kann, auch wenn es Recht und Ursache genug gäbe, Krieg zu führen.«

Das schrieb Martin Luther. Krieg ist nur allerletzte Notwehr, und die Aufgabe eines Christen ist, zu helfen und zu raten zum Frieden, wo immer er kann. Und so braucht Friede oft einen zähen Mut.

Also:

Besser schlecht miteinander gesprochen als gut aufeinander geschossen.

Besser sich der Macht der Argumente statt sich dem Argument der Macht zu fügen.

Besser dem Gegner mit wacher Klugheit die Hand hinhalten, als sie ihm in blinder Wut abzuschlagen.

Besser allein stehen für das richtig Erkannte als gemeinsam mitzumachen für das Falsche.

Besser den Vorwurf der Illoyalität ertragen, als den Prinzipien der UN-Charta zuwiderzuhandeln.

Besser die Inspektoren noch längerfristig das ganze Land kontrollieren lassen, als kurzfristig die ganze Infrastruktur zu zerstören.

Besser das System des Diktators zu zermürben, als Land und Leute zu zerbomben.

Besser ein Friedens-Patriot als ein Hurra-Patriot sein.

Besser von Donald Rumsfeld verspottet zu werden, als vor sich selber zum Gespött zu werden.

Besser kritische Freundschaft als ängstlich berechnende Folgsamkeit – gar im Bündnis mit einer kriegsbereiten Rüstungs- und Energielobby.

Besser den Traum der Brüderlichkeit – den Traum Kings! – weiterträumen, statt die Welt in kalten Machtkalkülen zu ordnen.

Alle friedlichen Mittel auf dem Weg zu einem gerechten Krieg ausschöpfen – mit Augenmaß und Entschlossenheit, mit Mitgefühl und Sachverstand.

Jesus aus Nazareth preist die Menschen glücklich, die Frieden machen. Die PEACE-MAKER werden Kinder des Höchsten genannt. In jedem Menschen begegnet uns das Abbild Gottes, dessen Leben zu schützen jedes Menschen Pflicht ist. Krieg läßt sich nicht führen im Namen des Gottes, der Liebe ist.

Jesus durchbricht unsere Gewaltlogik, in der Gewalt zu Haß und Haß zu neuer Gewalt führt. Er ermutigt uns zum mühsamen Frieden mit dem Feind und mutet uns Entfeindung zu.

Präsident Bush und alle, die sie den Krieg unausweichlich machen wollen, frage ich:

Mit welcher Legitimation führen Sie diesen Krieg?

Woher nehmen Sie das Recht? Weil Sie Terroristen und »Schurkenstaaten« nachjagen, weil Sie sich allen überlegen fühlen und zu jedem militärischen Schlag auf jedem Teil der Welt berechtigt zu sein beanspruchen?! Weil Sie die Macht haben, sich die Welt in Feinde, Irrelevante und Willige einzuteilen? Präsident Bush – mit welcher Legitimation und in wessen Namen wollen Sie den Krieg führen?

Nicht in unserem!

Auch nicht im Namen der Werte, die unsere Länder verbinden!

Erst recht nicht im Namen Gottes.

Sein Name ist genug besudelt worden in den Kriegen der Jahrhunderte. Wer den Gott Jesu Christi als »Kriegsgott« gebraucht, mißbraucht ihn.

Der Schutz des Lebens aller Menschen, die alle gleiches Lebensrecht haben, ist vielmehr unser aller Aufgabe.

Deshalb stehen wir auch zusammen gegen den Terrorismus, die Terroristen und gegen die Ursachen für Terrorismus – doch niemals unter Aufgabe des (Völker-)Rechts!

So laßt uns miteinander jede, auch die letzte Chance ergreifen, daß kein neuer Krieg vom Zaun gebrochen wird.

Ich wiederhole:

Krieg darf nicht wieder legitimes Mittel der Politik werden.

Die eindringliche Bitte, die Bert Brecht 1949 an seine deutschen Landsleute richtete, gilt der ganzen Menschheit: den Tätern und den Opfern:

Zieht nun in neue Kriege nicht, ihr Armen

Als ob die alten nicht gelanget hätten

Ich bitt’ euch, habet mit euch selbst Erbarmen.

Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre uns –

und führe uns zur Vernunft des Friedens:

mit Einsicht, aus Mitgefühl, in Zuversicht!

Friede auf Erden!

Meditationen zu Frank Martins Oratorium »In Terra Pax«

Dezember 2003 in Rostock, Berlin und Potsdam

Wir alten Europäer haben einen Vogel

»Adam, wo bist du?« – »Kain, wo ist dein Bruder Abel?«

Dies sind die beiden ersten Fragen des Schöpfers an die Geschöpfe, die Freiheit wollten und ihre Verantwortung vergaßen.

Immer wieder tödliche Machtkämpfe.

Erst nach ihren eigenen Niederlagen fragen die großen Krieger: Warum?

Das vergossene Blut schreit aus der Erde. Von Anbeginn – von Kain und Abel an.

Die großen Städte der Antike versanken in Schutt und Asche:

Troja – Jerusalem – Alexandria – Babylon – Karthago – Rom – Athen.

Menschheitsgeschichte ist Kriegsgeschichte. Sodann Wiederaufbaugeschichte. Suche nach Frieden. Glück des Friedens, Glück im Frieden. Zwischenkriegszeiten.

Was Menschen Menschen antun können! Mein Vater, ein Sanitätsobergefreiter, notierte beim »Rußlandfeldzug« am 28. Februar 1942 in sein Tagebuch:

»Am Morgen wurde noch ein Befehl verlesen, der zum verschärften Vorgehen gegen die Zivilbevölkerung mahnt. Sie soll mehr Furcht vor den deutschen Soldaten bekommen als vor den Russen und Partisanen. Dörfer, wo Partisanen sich zeigen, sollen ausgerottet werden. Mann, Weib und Kind. Die letzte Kuh, das Saatgetreide – alles kann geholt werden. Es ist kein ritterlicher Kampf, es ist Vernichtungskrieg in seiner blutigsten Form.

Am Abend kommt der Divisionspfarrer zu uns. Unsere Gespräche sind ernst. Die Zukunft liegt dunkel und drohend über unserem Volk. Wie mag es aus diesem Krieg wiederkommen? Dörfer wurden ausgemerzt – Mann, Weib, Greis, Kind. Selbst die Rohesten gingen nur mit Widerwillen an eine solche Arbeit. Und in diesem Land müssen wir weiter bleiben, dieses Gemetzel müssen wir weiter erleben. Wie lange? Daß wir nicht rausgezogen werden, keinen Urlaub bekommen und im Sommer wieder mit antreten, das zu begreifen fällt so schwer.«

Ich wiederhole: Notizen vom 28. Februar 1942, aufgezeichnet bei der »Deutschen Wehrmacht«, nicht bei einer Sondereinheit der SS. (Als eine eindrückliche Ausstellung erneut Verbrechen der Wehrmacht zeigte, führte dies wiederum zum Aufmarsch Ewiggestriger.)

Der von Deutschen angezettelte Krieg kam nach Deutschland.

1944 flüchtete meine Mutter, die mich in ihrem Leibe trug, in die Rostocker Luftschutzkeller. Wir überlebten, auch mein Vater.

Millionen überlebten nicht.

Ich nenne Orte, die zu Symbolen des Kriegsgrauens wurden.

Sedan – Verdun

Rotterdam – Coventry – Lübeck

Leningrad – Warschau

Oradur – Lidice

Katyn – Chatyn

Auschwitz – Majdanek

Dachau – Buchenwald

Stalingrad

Köln – Hamburg – Dresden

Korea – Vietnam

Kambodscha – Afghanistan

Ruanda – Sudan – Kongo

Sarajewo – Mostar – Srebrenica

Zagreb – Belgrad – Priština

New York – Washington

Kabul – Kundus – Kandahar

Bagdad – Tikrit – Kirkuk – Falludscha – Nassirija

Tel Aviv – Dschenin

Haifa – Gaza – Ramallah

Vielleicht haben uns die beiden Atombomben vom August 1945 auf Hiroshima und Nagasaki vor atomarer Selbstvernichtung bewahrt – im »Gleichgewicht des Schreckens«, das nach dem Krieg geschaffen wurde. Aus nackter Angst war die Menschheit zur Überlebensvernunft fähig, immer am Rande des Abgrunds. Im Oktober 1962 ging es um Minuten nur.

Jeder Tote unserer Kriege ist ein einzelner, ein einzelner geliebter, unersetzbarer Mensch.

Was sagen schon Zahlen – fünf oder 55 Millionen Tote? Unbegreiflich, unvorstellbar, unverzeihbar.

Kulturen versanken, Kulturen versinken in Schutt und Asche. Vernichtete Gebäude, vernichtete Identität. Demütigung oder Auslöschung des Gegners.

Rotterdam war Barbarei. Dresden nicht minder. Was hinterließen die USA in Vietnam und was die Sowjetunion in Afghanistan? Irr-Sinn. Stets mit hohen moralischen Etiketten versehen.

Und jeder Krieg wird Ursache für neuen Krieg. Auch wir aufgeklärten Menschen waren und sind von allen guten Geistern verlassen.

Dies Irae. Tag des Zorns. Krieg als Gottes harte Pädagogik für uneinsichtige Menschen. Ich vermag dem nicht zu folgen. Wie sollte der Gott, den Jesus »Vater« nennt, irgendeine Genugtuung in menschlichen Tragödien finden?

Immer wieder WARUM? Antwortlos der Himmel.

Warum lernen wir Menschen nicht nachhaltiger aus Tragödien?! Soll denn jede Generation eigene bittere Erfahrungen machen müssen?

Es gab immer wieder neue hoffnungsvolle Anläufe zum Frieden:

Der Westfälische Friede (1648) – nach 30 Jahren europäischer Verwüstung – war ein kluger Verzicht auf Aufrechnung!

Ganz anders der Siegfrieden von Versailles (1919) – zum Anlaß genommen für den zweiten großen Krieg.

1945 wurden wir besetzt, ausgeplündert für unsere Plünderungen. Wir bekamen Hilfe für den Aufbau. Und die Teilungsstrafe. 40 Jahre mit eingeschränkter Souveränität. Die Konsequenzen gezogen, die Lektion gelernt: Nie wieder soll von deutschem Boden Krieg ausgehen.

Der Weltfriede nach dem zweiten großen Krieg wurde nicht das Goldene Zeitalter. Aber die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, die Charta der UN (mit dem Verbot jedes Angriffskrieges) und die Vereinten Nationen insgesamt bleiben Leuchtbojen für eine friedliche Zukunft. Sie ist möglich – und sie muß möglich gemacht werden.

Die »Schlußakte von Helsinki« (1975): Angst, Feindschaft und Waffen abbauend.

Sodann die Charta von Paris (1990) – ein so schnell vergessenes, ein so hoffnungsvolles »Manifest des Friedens«.

Aussöhnung mit dem französischen »Erbfeind«. Wer hätte das 1944 für möglich gehalten?

Auch Aussöhnung mit dem Osten – trotz Vernichtung und Vertreibung.

Nun endlich »Europäische Union«, die Länder östlich des »Eisernen Vorhangs« einschließend. Lateinisches Europa.

Das »alte Europa« zieht Konsequenzen aus seiner Leidensgeschichte. Einheit in Vielfalt. Friedlicher Handel und ausgehandelter Interessenausgleich. Wir bereichern einander, nachdem wir uns über Jahrhunderte hin beraubt hatten.

Frank Martin komponierte sein Werk »In terra pax« – »Auf der Erde Frieden« 1944 für den sehnlich erwarteten Waffenstillstand. Uraufgeführt wurde es im Mai 1945.

Es ging um mehr, es geht um mehr als um Waffenstillstand – es geht um den Weltfrieden, der eine außerordentliche moralische Anstrengung erfordert. Von uns allen. Jederzeit.

Unter der berühmten Friedenstaube Picassos (gemalt 1948 im noch ganz zerstörten Wroclaw) las ich eine so selbstbewußte wie verpflichtende Antwort auf Donald Rumsfelds verächtliche Bemerkung gegen die europäischen Kriegsgegner:

Wir alten Europäer

haben

einen Vogel

Gott

sei Dank.

In Wüsten Wege bahnen

»Tröstet, tröstet mein Volk« ruft der Prophet. Hier begegnet einer völlig verzweifelten Leuten, Verschleppten über Tausende Kilometer, fernab von Jerusalem. Sie sollen zurückkehren, und Jerusalem, die zerstörte, die geliebte Stadt, wird wieder aufgebaut! Glaubt, was ihr nicht für möglich haltet, damit es geschehen kann!

Völlig ohne Schnörkel spricht der alttestamentliche Prophet von der Knechtschaft, in die ein Volk gefallen ist, auch durch Schuld – durch die Schuld des Mitmachens und die Schuld bloßen Duldens. Aber damit soll es, damit kann es, damit wird es ein Ende haben.

Wir Deutschen, wir Übertüchtigen, so unglaublich Tüchtigen beim Aufbauen wie beim Niederreißen, bei den zartesten Tönen und beim gröbsten Wüten, wir Deutschen hatten schließlich unverdientes Glück. Wir konnten unsere destruktiven Energien nach diesem schrecklichen Krieg in West und auch in Ost auf konstruktive Aufgaben richten. Genau in dem Moment, da wir besetzt waren, nicht mehr Freie waren, gewannen wir die Freiheit.

Sie besetzten uns, damit wir frei wurden von unserem Wahn. Und wir blieben 45 Jahre besetzt, damit wir nicht wieder zurückfallen! Wie könnte man seinen einstigen Feinden mehr danken!

Trotz der grandiosen Wiederaufbauleistung kann uns nichts davor bewahren, daß das, was in uns steckte, wieder aufbrechen kann. Welche Kleinbürgerlichkeit lebt in uns, die das Anderssein anderer nicht aushält, das eigene deutsche Bessersein hervorkehrt, immer wieder. Es nicht aushalten, ein Tätervolk genannt zu werden – bei fabrikmäßiger Vernichtung von Millionen.

Was steckt in uns deutschen kleinen Bürgern, die sich den Mächtigen in wechselnden Diktaturen stets so beflissen untergeordnet haben? Was ist in den Hirnen derer verborgen, denen wir so blind so viel Macht und Einfluß einräumten? Und endlich sind wir wieder wer, »normales Volk« – »einmal muß man doch aufhören, davon zu reden«, hört man sagen.

Da ist es so bestürzend wie ermutigend, daß bereits am fünften Kriegstag, im September 1939, Sophie Scholl aus Ulm schreibt: »Ich kann es nie begreifen und ich finde es entsetzlich. Sagt nicht«, sagt sie den jungen Männern im Felde, auf dem Schlachtfelde, »es ist fürs Vaterland …« Das ist ein wunderbares, hoffnungsvolles Nichtbegreifen eines jungen Mädchens, einer Studentin. Ein prophetisches Reden gegen den zerstörerischen, die Zerstörung rechtfertigenden Patriotismus. So hellsichtig wie einfach!! »Ich kann es nie begreifen!!« Im September 1939, als das Siegen gerade losging, ein Siegen, das immer das Morden verschweigt, solange es nicht die Eigenen sind, die jämmerlich sterben!

Von Ulm, ihrer Heimatstadt, sind die Bomber damals noch fern, sehr fern – da ist sie schon mitfühlend und wach, diese Ahnungsvolle.

Auf solche Menschen, die »es nicht begreifen können« und nicht begreifen wollen, die dem Irrationalen nicht den Schein des Rationalen verleihen wollen, die im »natürlichen Machttrieb« das menschlich Unnatürliche sehen, die dem Abstraktum »Vaterland« immer den konkreten Menschen vorordnen – auf solche Menschen sind wir angewiesen. Sie sind unsere Hoffnung. Sie allein sind die Gewähr, daß unsere Städte nicht wieder zu Trümmern werden. Sie allein.

Daß sie Erfolg haben, ist an eine Bedingung geknüpft: daß sie nicht allein bleiben, nicht allein gelassen werden, nicht Einzelne bleiben, die später zu einsamen Helden werden, Helden, weil tot … Beim Trümmerwegräumen sind viele dabei. Es kommt noch viel mehr aufs Verhindern von Trümmern an.

So wach ihre politische Erkenntnis ist, so tief ist auch der Glaube, der diese junge Frau und ihren Bruder und die anderen aus dem Kreis der »Weißen Rose« in einen todesmutigen, dem Leben verpflichteten Widerstand führt. Schon mit neunzehn Jahren sieht sich Sophie Scholl zum Eingreifen verpflichtet. Sie schreibt: »Wie könnte man da von einem Schicksal erwarten, daß es einer gerechten Sache den Sieg gäbe, da sich kaum einer findet, der sich ungeteilt einer gerechten Sache opfert.« Das schrieb sie 1940, als ganz Deutschland im Siegesrausch taumelte. Konsequent heißt es im Schlußwort des Vierten Flugblattes der »Weißen Rose« 1942: »Wir schweigen nicht, wir sind Euer böses Gewissen, die Weiße Rose lässt Euch keine Ruhe!«

So mit Sprache umgehen! Mutiges Dreinreden gegen das Schweigen, gegen die Angst – ein rechtzeitiges Eingreifen, ein Wagnis eingehen, wo eine ganze Welt fahrlässig aufs Spiel gesetzt wird, wo die Hybris der nackten Gewalt des Stärkeren, ja der »Kult der Macht und der Mächtigen« alles und alle erfaßt.

Davor haben wir uns zu bewahren, wenn wir wollen, daß Städte nie wieder mit Bomben überzogen werden. Unsere nicht und die der anderen nicht. Was kann Kandahar für Bin Laden? Was Basra für Saddam?

In unserer von Medien beherrschten Welt gibt es neue, ungreifbare Verführungen, eine Innenweltvergiftung, der wir fast wehrlos gegenüberstehen. Der Kult der Gewalt wird zum Einschaltkitzel, Kassenfüller und Auflagensteigerer – bis in unsere Wohnzimmer, allabendlich und mit hoher Quote.

Wie können wir dem widerstehen, ohne die Freiheit in Frage zu stellen, aber die Innenweltvergiftung verhindern, damit nicht der Kult der Gewalt zelebriert wird und nicht weiter zynisch enthumanisierende Geschäfte damit gemacht werden?! Erst innerlich abstumpfen und dann maschinell draufschlagen, bis zum orgiastischen Kitzel, bis zum Orgasmus der Zerstörlust.

Zerstörung beginnt stets in uns und findet äußeren Ausdruck und äußeren Ausbruch durch unsere weglosen Wüsten der äußeren kalten Perfektion und der inneren Zerrüttung. Die mitmenschliche Regung in uns spüren, gegen alle Ideologien der Gewalt protestieren.

Sich jeden Tag einen Weg durch Wüsten bahnen. Geduldig, unverdrossen, zuversichtlich.

Selig sind die Friedensstifter

Selig sind, die hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit. Sie werden satt werden.

Selig sind die Sanftmütigen. Ihnen gehört das Erdreich.

Selig sind die Barmherzigen. Sie erlangen Barmherzigkeit.

Selig sind die Friedfertigen. Sie heißen Kinder Gottes.

Selig sind, die Leid tragen. Sie werden getröstet.

Nicht mit dem Imperativ »So sollte es sein!«, sondern mit einem Zuspruch: »So ist es.« beginnt die Bergpredigt. Sie ist die wohlklingende Fanfare eines menschlich gelingenden Lebens, eines Lebens, das aus Sanftmut kommt, geradezu aus dem Mut, sanft zu sein.

Die Worte kommen aus dem Vertrauen, daß es Menschen gibt, die so leben. Sie sind – trotz allem – unter euch! Ihr selbst, ihr Unscheinbaren, seid es. Worte voller Weitsicht und Weisheit.

Gerade Gewaltfreiheit braucht Mut, weil die Gewalttätigen die Sanftmütigen nur allzu gerne mit dem Gewaltbazillus anstecken und sie in die Sackgasse von Haß und Gewalt locken.

Die Seligpreisungen gehören zum Wärmestrom der menschlichen Geschichte. Sie sind die Magna Charta der Mit-Menschlichkeit. Es sind Sätze eines Menschen, der nie bitter oder zynisch, aber bisweilen zornig und sehr traurig wurde. Was hat ihn davor bewahrt, hart zu werden? Er behielt ein Ur-Vertrauen, das er im Wort »Abba« ausspricht: Vater, unser Vater.

Jesus sagt nicht: »Selig seid ihr, wenn ihr Barmherzigkeit ausübt, friedfertig seid, arglos bleibt …«, sondern er sagt: »Selig sind, die so sind.«

Kein Imperativmanifest, keine pompöse Freiheitsdeklaration, die allen alles verspräche, sondern ein Glücksversprechen für die, die tun, was sie sind, und sind, was sie tun: Weil sie gewiß sind und weil sie wissen, was jetzt richtig und was jetzt dran ist.

Ihr kommt in Ordnung, und die Welt kommt in Ordnung, wo ihr seid, was ihr sein könnt: Vertraut auf die Kräfte des Guten in euch, auf das Göttliche in euch.

Was ihr seid, bestimmt euer Tun, und euer Tun zeigt das, was ihr seid. Denn es gibt zu viele, die die Welt verändern wollen, ohne sich selbst zu verändern, die also genau wissen, was (bei den anderen) geschehen müßte, um sich selbst nicht genau anzusehen.

Um zu begreifen, was Jesus sagt, mußt du nicht studiert haben, mußt du auch nicht den neuesten Trend beherrschen.

Du brauchst nur ein offenes Auge und ein offenes Herz zu haben: deine Fäuste öffnen, dich von deiner Gabe zur Güte überraschen lassen, so überraschen lassen, daß du dich glücklich fühlst.

Uns ist unglaublich viel zugetraut. Das ist das Überraschende, das Erleichternde. Uns ist sodann viel zugemutet. Das ist das Schwere.

Wir sind eben nicht nur die armen, verlorenen und verlassenen Wesen. Wir sind geliebte Geschöpfe Gottes, die seiner Liebe Raum schaffen können, Lebens-Raum, Atem-Raum.

Immer wieder tun wir das ab und meinen, diese radikale Friedens-Ethik Jesu sei doch nur für ganz besondere, herausragende Menschen tauglich.

Nein. Nicht jeder muß Mutter Teresa sein; aber jeder kann ein mütterlicher Mensch sein.

Nicht jeder kann ein Gandhi sein; aber jeder kann wissen, daß der Weg zum Frieden nicht mit Minen zu pflastern ist.

Glücklicherweise muß nicht jeder ein Mandela sein, der 27 Jahre auf einer Insel Steine klopft, und nicht jeder kann ein Mandela sein, der als Präsident seinen Peinigern verzeihen kann, weil er erkannt hat, daß es anderenfalls nur wieder Bürgerkrieg gäbe. Auch du kannst den Sprung tun, deinem Feind zu verzeihen, ohne daß du ihn deshalb zu deinem Freund machen müßtest.

Du mußt nicht Franz von Assisi sein; aber dein Lobpreis über die Schöpfung dringt auch in den Himmel, wenn es nicht so schön formuliert ist.

Du mußt nicht den Mut von Sophie Scholl haben; aber du kannst für diejenige eintreten, die gemobbt wird.

Nicht jeder kann Lew Kopelew heißen, der für seine Versöhnung mit dem Feindvolk, mit uns Deutschen, sein eigenes Leben wagte; aber du kannst in dir die gütige Seite wachwerden lassen.

Du brauchst nicht die Gedankenschärfe und die Bestsellerwirkung eines Michael Moore, aber auch du kannst die Wahrheit über den »stupid German man« sagen, über deine BILD-Leser-Mitbürger, voll von alten und neuen Ressentiments.

Du kannst nicht wie Rupert Neudeck mit Cap Anamur unermüdlich wirken, aber du kannst seine Arbeit mit deinen Groschen unterstützen.

Du brauchst keine medialen Greenpeace-Provokationen zu inszenieren, aber du kannst dich beharrlich um deinen Fluß kümmern oder für sauberes Wasser für alle kämpfen.

Dazu brauchst du nur Mut, Zutrauen in dich. Was richtig ist, ist nicht immer erfolgreich. Tue es dennoch: gewiß deiner Sache, weil es die Sache für andere ist und darin auch für dich.

Es gibt so viele Seligpreisungs-Menschen unter uns, die nicht bekannt werden, die – glücklicherweise – das ganz Selbstverständliche tun, die eine freundliche, helfende, warmherzige Art haben. Es gibt viel mehr Unbekannte als Bekannte.

Wir alle aber brauchen einander und sollten voneinander wissen, uns aneinander erweisen, nicht voreinander beweisen.

»Seligpreisungs-Menschen« leben um dich herum, und ein solcher Mensch lebt in dir, wenn du dich wagst: Was richtig und wichtig ist, macht dich auch glücklich und ganz. Selig eben. Wenn du es tust, auch wenn es weh tut, oft sehr weh tut, und du hinfällst oder dir ein Bein gestellt wird, du verlacht, verhöhnt oder verfolgt wirst, tu es. Selig sind die, die um der Gerechtigkeit willen Schmerzen auf sich nehmen.

Diese »Seligpreisungen« verdichten in sich alles, worum es wirklich geht, wenn es weitergehen soll mit uns auf dieser Erde, im Frieden mit uns, mit den anderen neben uns, fern von uns, nach uns, mit der Natur und Kreatur.

Ein neuer Himmel – eine neue Erde

Kein Leid mehr, kein Geschrei, kein Krieg, kein Tod.

Eine universale Vision eines Lebens, das in Ordnung gekommen ist, steht in Apokalypse 21 eine Vision, wie sie schon der Prophet Micha (Kapitel 4) überliefert.

Dort werden Schwerter zu Pflugscharen, damit alle genug zu essen haben.

Dort werden Spieße zu Winzermessern umgeschmiedet, damit alle am Wein, also an der Lebensfreude, teilhaben.

Eine Vision – eine Illusion?

In den Sprüchen Salomo heißt es: Ein Volk ohne Vision wird wüst und leer – geht zugrunde.

Vielleicht erstaunt es Sie: Am 10. Juni sprach der amerikanische Präsident vor Studenten und entwarf eine erstaunliche Friedensvision: »Welche Art von Frieden meine ich? Nach welcher Art von Frieden streben wir? Nicht nach einer Pax Americana, die der Welt durch amerikanische Kriegswaffen aufgezwungen wird. Nicht nach dem Frieden des Grabes oder der Sicherheit von Sklaven. Ich spreche hier von dem echten Frieden – jenem Frieden, der das Leben auf Erden lebenswert macht, jenem Frieden, der Menschen und Nationen befähigt, zu wachsen und zu hoffen und ein besseres Leben für ihre Kinder aufzubauen, nicht nur ein Friede für Amerikaner, sondern ein Friede für alle Menschen. Nicht nur Frieden in unserer Generation, sondern Frieden für alle Zeiten.

Ich spreche vom Frieden als dem zwangsläufig vernünftigen Ziel vernünftiger Menschen. Ich bin mir bewußt, daß das Streben nach Frieden nicht so dramatisch ist wie das Streben nach Krieg – und oft treffen die Worte desjenigen, der nach Frieden strebt, auf taube Ohren. Und doch gibt es keine dringlichere Aufgabe für uns.

Manche sagen, es sei zwecklos, von Weltfrieden, internationalem Recht oder internationaler Abrüstung zu sprechen – und alles sei nutzlos …

Der Weltfriede wie auch der Friede in Stadt und Land erfordern nicht, daß jeder seinen Nachbarn liebt. Sie erfordern lediglich, daß man in gegenseitiger Toleranz miteinander lebt, seine Streitfälle einer gerechten und friedlichen Lösung unterwirft.

Letztlich bildet die Tatsache, daß wir alle Bewohner dieses Planeten sind, doch das uns im tiefsten gemeinsame Band. Wir atmen die gleiche Luft, uns allen liegt die Zukunft unserer Kinder am Herzen, und wir sind alle sterblich.

Wir wollen unser System keinem Volk gegen dessen Willen aufzwingen. Wir sind aber willens und in der Lage, mit jedem anderen System auf der Erde in einen friedlichen Wettstreit zu treten.

In der Zwischenzeit wollen wir die Vereinten Nationen stärken, ihre finanziellen Probleme lösen helfen, sie zu einem wirksameren Instrument des Friedens machen, sie zu einem echten Sicherheitssystem für die Welt entwickeln – einem System, das in der Lage ist, Meinungsverschiedenheiten auf der Basis des Rechts beizulegen, die Sicherheit der Großen und der Kleinen zu garantieren und Bedingungen zu schaffen, unter denen die Waffen schließlich abgeschafft werden können.

Wir werden unseren Teil dazu beitragen, um eine Welt des Friedens aufzubauen, in der die Schwachen sicher und die Starken gerecht sind. Wir stehen nicht hilflos vor dieser Aufgabe und sind nicht hoffnungslos im Hinblick auf ihren Erfolg. Voller Vertrauen und ohne Furcht werden wir weiter daran arbeiten.«

Worte des amerikanischen Präsidenten.

Nein, nein! Nein, George W. Bush war es nicht. Er kann (so) nicht denken. Und er hat keine Vision für die Welt, die eine Welt. Es war John F. Kennedy im Juni 1963, also genau vor 40 Jahren. Seine Vision bleibt wichtig, weil sie unabgegolten ist. Und es bleibt die Realutopie für eine überlebensfähige Welt.

Visionen behalten stets etwas Unabgegoltenes und Aufgetragenes.

Nur acht Wochen später trug Martin Luther King in Washington vor Millionen Demonstranten seinen Traum vor:

»Ich habe einen Traum – trotz der Schwierigkeiten und Enttäuschungen des Augenblicks, einen Traum, der tief im Traum Amerikas verwurzelt ist, daß eines Tages alle miteinander am Tisch der Brüderlichkeit niedersitzen, einen Traum, daß der Wüstenstaat Mississippi in eine Oase der Freiheit und Gerechtigkeit verwandelt wird.«

Zwei große Träumer. Beide versuchten, die Realität mit all ihrer Kraft und mit ihrem Charisma zu verwandeln. Beide wurden erschossen. In beiden Fällen wissen wir noch immer nicht, von wem.

Ihr Traum ist geblieben, eine Hinterlassenschaft, die zum Hoffen und Handeln noch immer inspiriert. Wer nichts mehr hofft, tut auch nichts mehr. Die Welt braucht Führer, die eine Vision haben und zugleich Handlungskompetenz besitzen. Träumer brauchen Macher und Macher einen Traum. Wer kein Ziel hat, wird auch keine Wege finden zu einem Ziel, das hinausreicht über das Eigeninteresse einer Gruppe, eines Volkes oder einer Kultur.

In der globalisierten Welt bedarf es der Ziele für den bedrohten Globus. Unsere Welt braucht Menschen des Friedens. Sie braucht jeden Einzelnen.

Deshalb einige Sätze zum täglichen Gebrauch:

Der Frieden beginnt in dir, mit dir, zwischen dir und den anderen – deinen Feinden und deinen Freunden.

Mit all meinem Tun und Unterlassen versuche ich so zu leben, daß auch andere Menschen würdig leben können – neben mir – fern von mir – nach mir.

Ich suche Menschen, die ich verstehe und von denen ich verstanden werde. Dort finde ich Heimat.

Ich suche Kontakt zu denen, die mir fremd oder feind sind. Ich vermeide alle Abwertungen und lerne alle achten, weil ich doch weiß, daß »die Würde des Menschen unantastbar« sein muß – mir und allen zugute.

Wo ich selber meine Angst überwinde, muß ich anderen keine Angst mehr machen.

Inmitten der Gewaltwelt suche ich beharrlich kluge Alternativen zum Gegenschlag. Dazu brauche ich viel Mut, der mir zuwächst, wo ich mich traue, ja mich wage.

An mir selbst spüre ich Spannungen, Konflikte, Widersprüche. Ich werde sie nicht weiter auf andere übertragen. Dazu trainiere ich auch die »Tapferkeit vor dem Freund«, die Courage im zivilen Leben – mit dem Wagnis, allein zu stehen.

Ich will aufrecht leben und vor mir selbst bestehen.

Meine Fähigkeiten und Kräfte setze ich für eine Gesellschaft ein, in der der Mensch dem Menschen ein Helfer wird.

Ich lerne das Loslassen – ich werde gelassener und innerlich stark, stark von ganz innen.

Je friedfertiger ich bin, desto besser gelingt es mir, Frieden zu stiften. Der kleine Frieden ist auf den großen aus, und der große Frieden braucht die Kleinen. Der Friede braucht mich.

Von dem Frieden, der höher ist als alle Vernunft, lasse ich mich zur Vernunft des Friedens bringen.

Die großen Visionen der Heiligen Schrift, die Seligpreisungen und die Bergpredigt werden mir »Nachtherbergen für meine Wegwunden« (Nelly Sachs).

Das Volk, das im Finstern wandelt

Das Volk, das im Finstern wandelt,

sieht ein großes Licht,

und über denen, die da wohnen im finstern Lande,

scheint es hell. …

Denn du hast ihr drückendes Joch,

die Jochstange auf ihrer Schulter

und den Stecken ihres Treibers zerbrochen.

Denn jeder Stiefel, der mit Gedröhn dahergeht,

und jeder Mantel, durch Blut geschleift,

wird verbrannt und vom Feuer verzehrt.

Denn uns ist ein Kind geboren,

ein Sohn ist uns gegeben,

und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter;

und er heißt

Wunder-Rat, Gott-Held,

Ewig-Vater, Friede-Fürst;

auf daß seine Herrschaft groß werde und des Friedens kein Ende …

(Jesaja 9,1–6)

In Finsternis tappen, nichts als Dunkel vor sich sehen, beängstigende Ruhe vor dem großen Knall. Ausgeliefert sein. Nichts machen können. Sich ohnmächtig fühlen. Und da ein großes Licht. Ein Lichtpunkt. Ein Hoffnungsschein. Eine Erleuchtung. Für die Augen und für das Herz. Lauter Jubel. Überströmende Freude, außer Rand und Band vor Freude sein – wie bei der Ernte, wenn die Früchte eingefahren sind.

Warum die Freude? Weil die Sklaverei ein Ende hat. Weil all das, was drückt auf den Schultern, auf der Seele, auf dem Sonnengeflecht, auf Gefühlen und Gedanken weg ist.

Und die Treiber, die Anfeuerer, die Befehlsgeber, die Gewaltanbeter, die Rüstungsnutznießer: ihre Stecken, ihre Kriegstreiberei, ihre Lügengebäude, ihre Panzerdivisionen, ihre Zerstörerflotten, ihre Raketen- und Antiraketensysteme zerbrochen, versunken, verrostet.

Das Gedröhn der Gleichschrittstiefel, das Gedröhn der Tarnkappenbomber und der Apache-Hubschrauber, das Gedröhn der Propagandalügen, das dröhnende Höllengelächter der Rüstungsbosse, das barbarische Spiel der Terroristen, das zynische Grinsen der Diktatoren, die verlogenen Rechtfertigungen ihrer Militäroperationen – all das, was dazu da ist, daß das Leben von Menschen, ihre Häuser, Felder und Wälder mit Feuer geschleift werden, all das, was zum Zerstörungswerkzeug bestimmt ist, wird selber zerstört – fällt in sich zusammen. Es erweist seine Lebensuntauglichkeit, vor aller Augen. Ein Licht leuchtet in der Finsternis.

Alle Hoffnung liegt auf dem Kind, das (uns!) geboren wird. Herrschaft wird neu definiert. Sein Name ist nicht: Sicherheitskabinett, Generalstab, Rüstungsprogramm, »Mutter aller Schlachten«, oberster Kriegsherr, Heiliger Krieg, new war, enduring freedom, »Geheim-Rat« der CIA, des FSB, des Mossad, der Geheimdienste aller Regime – sein Name ist: wunderbarer Rat, von Gott bestimmter Held, gütiger Vater, Fürst des Friedens.

Solche Herrschaft soll groß werden. Der Friede soll ohne Ende sein und nicht der Anfang eines neuen Krieges.

Fünf Thronnamen haben die mächtigen Pharaonen Ägyptens. Sie geben sich gern selber klangvolle Namen, lassen sich schmeicheln, ohne Ende. In ihren Annalen sind zuvörderst ihre Kriegszüge vermerkt und die Kriegsbeute dazu. Aber dieser König – der vom »König aller Könige« herkommt, ist der »König des Friedens«, der sich um soziale Sicherheit und ein Wohlergehen, ein Wohlgefallen für alle sorgt. Das ist nicht nur mehr als Pharao, dies ist anderes als Pharao. »Ewig-Vater«, das meint: der Vater der Zeit, der Perspektiven eröffnet.

Dieser Friede beruht auf nichts anderem als auf Recht, auf Lebensrecht, wird gestützt und gestärkt durch die Herrschaft des Rechts und nicht durch das Recht der Herrschaften, der »Herren« dieser Erde, die selbstgerecht über »Gerechtigkeit« bestimmen. Frieden in Gerechtigkeit für die Welt, für alle Menschen, für diese wunderbare Schöpfung.

Jetzt soll sie beginnen – jetzt, unter euch, mit euch!

Und sie soll kein Ende haben. Also setzt auf diese Art von Herrschaft, auf solche Autorität, auf solche Kräfte! Setzt auf die Stimmen – wie die der mutigen, großartigen Inderin Arundhati Roy, des kämpferisch-sanftmütigen Israeli Uri Avnery und seines palästinensischen Gegenübers, die Christin Sumaya Nasser, setzt auf den unermüdlich den Menschenrechten verpflichteten Friedensnobelpreisträger 2002, Jimmy Charter, auf den Friedensnobelpreisträger 2001, Kofi Annan, und seine Weltorganisation, setzt auf den tapferen Sergej Kowaljow, tapfer gegen die Sowjets, gegen Jelzin und gegen Putin.

Setzt auf alle, die in den Vereinigten Staaten und im Irak, in Israel und in Palästina, in Deutschland und in Rußland auf das Recht zum Leben, auf die Herrschaft des Rechts, auf das internationale Recht setzen!

Setzt alles auf die, die nicht mit in das Horn der Kriegstreiber blasen, die nur wohlfeile Anlässe zum Krieg suchen, statt gezielte, kluge, geduldige, entschlossene Anläufe zum Frieden zu unternehmen. Unermüdlich, unverdrossen.

Sisyphus des Friedens! – Glücklicher!

Mit-Leiden wird zur Kraft der Veränderung

Ein Gott, dem man die Fragen nach dem WARUM entgegenschleudern kann, ist der Gott, der das Leiden auf sich nimmt. Christsein schließt das Mitleiden mit Christus und mit allen Leidenden ein.

Die Theodizee-Frage »Warum läßt Gott das zu?« wird umgekehrt: Warum lassen wir das Leiden Gottes in Gestalt aller leidenden Kreatur zu?

Wo der ferne Macht-Gott zum nahen Ohnmachts-Gott wird, wird die Compassio, das freiwillig auf sich genommene, anderen abgenommene Leiden zu einem humanisierenden Lebenswert. Da gilt die Maxime:

Lieber Leiden zu erdulden als Leiden zuzufügen!

Nicht mehr fasziniert auf die triumphierenden Herren zu schauen, sondern die Gemarterten, die Verlorenen, die Geschlagenen im Blick zu behalten – und mit ihnen alle leidende Kreatur.

Das ist und bleibt die Provokation schlechthin! Das Unansehnliche aushalten, diese Welt der Ungerechtigkeit, der Armut, der Demütigung, der Gewalt ansehen.

Entsetzen über die Welt wird zum Mitleiden an der Welt, ein Mitleiden, das sich nicht gleichgültig oder resigniert abwendet, sondern sich den Leidenden (und den Ursachen für das Leid) zuwendet.

Der Mystiker Johannes vom Kreuz schrieb: »Das Leiden für den Nächsten wächst umso mehr, je mehr sich die Seele durch die Liebe mit Gott vereint.«

Mitleiden heißt, sich freiwillig in das Leiden der Welt hineinzubegeben und das Risiko auf sich zu nehmen, das jede Parteinahme für die Opfer der Geschichte und jede Hingabe für die Sache der Verlierer in sich birgt. Denken wir an Lew Kopelew oder Dag Hammarskjöld, Uri Avnery, Dietrich Bonhoeffer, Martin Luther King oder Nelson Mandela.

Lieber Unrecht zu erleiden als Unrecht zu tun, das ist der Gegenentwurf zum hegemonialen Denken, zur Machtwelt, zu jeglichen Groß- und Allmachtsphantasien, zu »Gut-Böse-Ideologien« wie auch zu unserer ressourceverwertenden Konsum-Glücks-Versprechungsgesellschaft.

In dieser kalten Karriere-Welt ist nicht Compassio gefragt, sondern die Erfolgsmaximen: Sorge dich nicht. Lebe! – Was gilt, ist der Erfolg.

Die Glücklichen der Reklamewelt raunen uns zu: Seid ohne Sorge, seid ohne Sorge. Hab’ Spaß, hab’ Spaß, hab’ Spaß. Was preist sich als das einzige Wahre an? – Warsteiner.

Wer wegsieht, bleibt gesund; schnell vergessen die Zerfetzten, die Verhungernden, die Verzweifelten.

Dagegen setzt der Mitleidende das Teilhaben am Leid anderer; es aushalten, sich nicht raushalten, sondern gegenhalten: mit Zuversicht.

Dietrich Bonhoeffer schrieb vor 60 Jahren, als er im Gefängnis auf sein Urteil wartete:

»Der Mensch wird aufgerufen, das Leiden Gottes an der gottlosen Welt mitzuleiden. Er muß also wirklich in der gottlosen Welt leben und darf nicht den Versuch machen, ihre Gottlosigkeit irgendwie religiös zu verdecken, zu verklären; er muß ›weltlich‹ leben und nimmt darin an dem Leiden Gottes teil; … Nicht der religiöse Akt macht den Christen, sondern das Teilnehmen am Leiden Gottes im weltlichen Leben. Das ist die ›Metanoia‹: nicht zuerst an die eigenen Nöte, Fragen, Sünden, Ängste denken, sondern sich in den Weg Jesu Christi mit hineinreißen zu lassen.«

»Schwerter zu Pflugscharen! – Spieße zu Winzermessern«

Im Namen des Schalom-Gottes werden und sollen alle Völker auf einem Berg zusammenkommen, um von dort Einsicht und Aussicht zu gewinnen.

Sie werden den fatalen Zyklus von Krieg und Frieden unterbrechen, den Krieg nicht mehr »notwendig«, »unvermeidlich« nennen, weil »es immer Kriege gegeben hat«.

Sie werden sich den Weg vom Frieden zum Krieg selber versperren, aus Einsicht versperren, also nicht laufend ihre Ressourcen für die Herstellung der Schwerter verbrauchen, die Ressourcen, die sodann bei den Pflugscharen fehlen, sondern sie werden mit Einsicht alles tun, damit die menschliche Energie in Konstruktives einfließt: in Pflugscharen, die Brot bringen, und in Winzermesser, die nötig sind, damit der Wein wächst. Um Brot und Wein geht es und nicht um »Blut und Boden«, nicht um Tod und Tränen. Und es geht um den »gerechten Frieden«, der mit der Erkenntnis beginnt, daß es den »gerechten Krieg« nicht gibt, weil jeder Krieg Unschuldige trifft. Es geht um die Ächtung der Irrlehre vom »gerechten Krieg«, den die »Gerechten« stets gegen »die Bösen« zu führen angeben. Die Ultima Ratio ist als Ultima Irratio zu entlarven!

Wir führen Krieg, um ein Problem zu lösen, aber der Krieg wird sogleich selbst zum Problem, das wir lösen wollten: Unrecht, Leid, Zerstörung. Wir machen Krieg – aber alsbald macht der Krieg mit uns, was er will. Was der Krieg verlangt, ist dem Argument des Friedens nicht mehr zugänglich.

Wer Krieg anfängt, kann sich nicht eingestehen, daß sein Weg in eine Sackgasse führte. Also muß er weitermachen, koste es, was es wolle. Es kostet viele Milliarden – und es kostet vor allem Menschenleben. Die materiellen und mentalen Folgekosten, die Zerstörung von Straßen, Wohnhäusern, Industrieanlagen, die Vernichtung von Ernten, die psychische, moralische, kulturelle Zerrüttung gar nicht mitgerechnet. Der Gegner zwingt im Krieg jedem seine Gesetze auf.

Gewalt gebiert Gewalt. Haß entzündet Haß. Ethnischer Terror führt zu ethnischem Terror. Da sind Täter und Opfer bald nicht mehr zu unterscheiden.

Der Hinweis darauf, wer angefangen hat, führt nicht weiter. Es gibt bald unzählige Opfer – aber eben auf beiden Seiten –, die nur Opfer sind, weil sie ein Teil einer bestimmten Volksgruppe sind und der Haß nicht mehr unterscheidet, sondern nur noch nach Zugehörigkeit fragt und sich blind entlädt. Diese Zerstörungsmechanismen legen auf erschütternde Weise die Abgründe des Menschen offen. Unsere Abgründe.

Nur zufällig sind wir jetzt gerade nicht betroffen. Wir wären nicht anders.

Irreführend wäre es, das Problem in einem einzigen Bösen zu personalisieren, der gestoppt werden soll, bis er einlenkt, während dafür ein ganzes Volk furchtbares Leid erdulden muß.

Auch die Bomben, die einem »guten Zweck« dienen, hinterlassen Opfer, die unsere Hilfe brauchen, und ein Land, das aus eigener Kraft kaum wieder aufgebaut werden kann.

Wer Pazifist sein will, also Friedens-Macher, wird sich genaue Kenntnis darüber verschaffen müssen, wie es zum Krieg kommt, warum aus Konflikten zerstörerische Kriege werden.

Konflikte gibt es, wird es immer geben. Wir werden es angesichts der ABC-Waffenarsenale bei Strafe unseres Untergangs für möglich halten, daß wir Frieden halten können: den anderen leben lassen, ihm seinen Lebensraum lassen, seinen Entfaltungs- und Gestaltungsraum.

Bisweilen können einzelne Menschen, Menschengruppen oder ganze Völker nicht miteinander, sondern nur noch nebeneinander leben.

Wer Frieden machen will, muß einen realistischen Blick auch für das behalten, was nicht machbar ist; und daß manche eben einfach nicht »miteinander können«! Das Nebeneinander regeln. Mit nüchternem Blick, mit dem blinzelnden Auge der Hoffnung.

Der Pazifist, der Friedens-Macher braucht eine Vision vom Frieden, einen Traum vom Frieden; Träumer brauchen Macher und die Macher die Träumer.

Gerechter Krieg? – Gerechter Friede!

Vortrag im Zentrum für internationale Studien in Washington Mai 2002

Bevor ich auf die aktuellen Probleme und Herausforderungen eingehe, möchte ich – nicht bloß als Pflichtübung – in Erinnerung rufen, was wir Deutschen den Amerikanern, zusammen mit den Russen, verdanken: daß sie in einer ungeheuren Kraftanstrengung uns Deutsche nur durch die totale Niederlage Nazi-Deutschlands