In der Nacht sind alle Sinne wach - Chris Salisbury - E-Book

In der Nacht sind alle Sinne wach E-Book

Chris Salisbury

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Beschreibung

Die Natur bei Nacht ganz neu entdecken

Kleine Abenteuer für zu Hause: Raus aus dem Alltag, ganz ohne Reiseweg!

Wenn man sich auf die Nacht einlässt, sieht man die eigene Nachbarschaft mit neuen Augen. Dieses Buch bietet dafür:

- Über 25 praktische Anleitungen für unvergessliche Erlebnisse unter freiem Himmel für die ganze Familie (ab sechs Jahren)

- Alles rund um nächtliche Spaziergänge, Spiele, Lagerfeuer und Naturbeobachtungen

- Viele Informationen zu nachtaktiven Tieren und Sternbildern

Die Nacht ist ein großes Abenteuer für Groß und Klein. Sie lässt vertraute Orte zu unbekannten Welten werden, eröffnet neue Dimensionen und schärft die Sinne: Unsere Augen müssen sich an die Dunkelheit gewöhnen, unsere Ohren hören geheimnisvolle Geräusche, es riecht anders und sogar die Luft fühlt sich ungewohnt an. Nun beginnt die Zeit der Tiere, die tagsüber im Verborgenen leben. Und auch der Nachthimmel offenbart uns faszinierende Geheimnisse.

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EPUB

Seitenzahl: 308

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Die Natur bei Nacht spielend entdecken

Die Nacht ist ein großes Abenteuer. Sie lässt vertraute Orte zu unbekannten Welten werden, eröffnet neue Dimensionen und schärft unsere Sinne: Die Augen müssen sich an die Dunkelheit gewöhnen und sehen dann doch mehr, als wir erwartet hätten; wir hören andere Geräusche und entdecken Tiere, die tagsüber im Verborgenen leben. Unsere Umgebung riecht anders und die Luft fühlt sich ungewohnt an. Wenn man sich auf die Nacht einlässt, kann man die eigene Nachbarschaft und Natur ganz neu entdecken.

Das Buch bietet über 25 praktische Anleitungen für informative und aufregende nächtliche Aktivitäten unter freiem Himmel und bringt uns nachtaktive Tiere wie Dachs, Fledermaus sowie Sternbilder und Planeten näher.

Der Autor

Chris Salisbury ist ein britischer Umweltpädagoge und Geschichtenerzähler. 1999 hat er die Wildnisschule WildWise gegründet, nachdem er viele Jahre als Ausbildungsbeauftragter für den Wildlife Trust im englischen Devon gearbeitet hatte. Mit seinen Theatererfahrungen, einer therapeutischen Ausbildung und einer Karriere in der Umwelterziehung setzt er alle ihm zur Verfügung stehenden kreativen Mittel ein, um die Menschen zu ermutigen, die Natur zu genießen und zu schätzen. Außerdem ist er künstlerischer Leiter des Westcountry Storytelling Festival.

Chris Salisbury

In derNachtsindalleSinnewach

Mikro-Abenteuer zwischen Dämmerung und Morgengrauen für die ganze Familie

Aus dem Englischen von Ulrike Kretschmer

Kösel

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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Copyright © 2022 Kösel-Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Redaktion: Imke Oldenburg

Umschlag: Weiss Werkstatt, München nach einer

Originalvorlage von Chelsea Green Publishing

Coverdesign: Michaela Alcaino

Illustrationen: © 2021 by Stewart Edmondson, www.stewartedmondson.com

ISBN9783641287337

www.koesel.de

Meine tiefste Dankbarkeit gilt meiner geliebten Frau Reeba für ihren Glauben, ihre Unterstützung und ihre intuitive Klugheit. Vor allem ist dieses Buch den sieben Generationen gewidmet, die uns nachfolgen werden. Mögen eure Ausflüge in die Nacht voller Zauber und Wunder sein.

Inhalt

Vorwort

Abenddämmerung

Einführung

1. Darf ich vorstellen: die Dunkelheit

Die Dunkelheit neu betrachtet

Was ist Dunkelheit?

Dunkle Medizin

2. Handwerkszeug

Unsere Sinne

Übungen zu den Sinnen

Sinnesmeditation

Sehen wie ein Greifvogel

Hören wie ein Hirsch

Geräusche zählen

Bluthund

Ich rieche was, was du nicht riechst

Barfuß gehen

Bäume erkennen

Fährten lesen

»Technische« Hilfsmittel

Die richtige Kleidung

3. Sich an die Dunkelheit gewöhnen

Eingewöhnungsübungen

Sitzplatz

Zurückfinden

Lautlos bewegen

Fuchsgang

Hirschpirsch

Hirschpirsch II

Den Bären anstupsen

Zeitlupenrennen

Kling, Glöckchen

Zöllner

Jäger

Beutegreifer und Beute

Laternenpirsch

Beutegreifer

Feuerpirsch

Trommelpirsch

Geister auf dem Friedhof

4. Die Wesen der Nacht

»Naseweiß«

Wissenswertes über kleine Säugetiere

Eulen und Wühlmäuse

Wissenswertes über Eulen

Eulen rufen

Wissenswertes über Fledermäuse

Fledermaus und Nachtfalter

Fledermäuse aufspüren

Wissenswertes über Dachse

Dachse beobachten

Wissenswertes über Nachtfalter

Nachtfalter fangen

Wissenswertes über Kleinstgetier

Kleinsttiersafari

Wissenswertes über Füchse

Die nächtliche Geräuschkulisse

Noch mehr Fakten und Überlieferungen

Tiertheater

Was vom Tiere übrig blieb

5. Der nächtliche Himmel

Astronomie für Anfänger

Die Sonne

Der Mond

Mondblüte

Die Planeten

Sternenkonstellationen

Sterngucker

Sternbilder legen

6. Nachtwanderungen führen

Die Vorbereitungen

Nachtwächter

Beispiele für Nachtwanderungen

Nächtliches Paddeln

Küstenerlebnis und der Kosmische Tanz

Morgendämmerungsgesang

Morgendämmerungszeremonie

7. Zeit fürs Lagerfeuer

Einstimmung

Lagerfeuerbrauchtum

Morgendämmerung

Epilog: Warum es dunkel ist

Dank

Ausgewählte Literatur

Hilfreiches im Netz

Über den Autor

Vorwort

Als Teenager und auch mit Anfang 20 noch habe ich viel Zeit im Dunkeln verbracht. Ich habe Dachse beobachtet und sehr rasch begriffen, dass künstliches Licht mein Feind ist. Auch heute noch unternehme ich regelmäßig nächtliche Streifzüge durch den Wald – allerdings nie mit Taschenlampe. Es dauert etwa 45 Minuten, bis sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt haben, aber nur eine Sekunde, um diese Fähigkeit wieder zu verlieren. Dann bin ich selbst »blind«, während alles um mich herum mich sehen kann …, was keine besonders gute Idee ist. Außerdem ist es dort, wo ich spazieren gehe, leider fast nie völlig dunkel: Der nächtliche Himmel über mir ist stets vom Licht der Stadt verschmutzt.

Als Naturforscher will ich die vermeintliche Unzugänglichkeit der Nacht überwinden, um nachtaktiven Tieren zu begegnen und sie zu studieren, um mit den Mythen aufzuräumen, die sich um diese Tiere ranken und um mich an ihren fantastischen Verhaltensweisen zu erfreuen. Doch das ist längst nicht alles, was mir das behagliche Alleinsein im nächtlichen Wald gibt.

Die Angst vor der Angst ist ein tragischer Tropus unserer Zeit. Wann hatten Sie das letzte Mal wirklich Angst? Haben das knisternde Aufwallen des Lebens gespürt, dieses flaue Gefühl in der Magengrube, diesen schwindelerregenden Stich der Panik im Kopf herumtanzen? Die Angst hat einen Geruch. Kennen Sie ihn? Ich glaube nicht – leider. Wir sind in Komfort gepackt wie in Watte, vor unserer vielleicht ursprünglichsten und wesentlichsten Emotion geschützt, des vollen Umfangs unserer Lebenserfahrung beraubt. Diese Erfahrung ist eng mit unseren Sinnen verknüpft, und als tagaktive Tiere, die sich überwiegend auf ihr Sehvermögen verlassen, ist die Dunkelheit – das »Blindsein« – für uns ein allgegenwärtiger Quell der Angst. Die Massenverfügbarkeit von künstlichem Licht hat die wundervolle Schwärze zu visueller Klarheit ausgebleicht. Wir haben die Nacht verwundet – aber noch nicht getötet. Dieses Buch lädt uns dazu ein, die Dunkelheit wiederzuentdecken, mit allem, was darin ruft, kriecht oder leuchtet. In einer Welt, die nach Inklusivität schreit, ist die Verbannung des Lichts zur Offenbarung eines anderen Kosmos tatsächlich überaus willkommen.

Der einsame Frieden, die wahre Behaglichkeit des Alleinseins, die Schlichtheit dieser uralten Erfahrung, das Gefühl der Freiheit, angespornt von der kleinen Tapferkeit, dem Drang nach Licht nicht nachzugeben, die Selbstbeherrschtheit und das Gefühl der Ermächtigung – all das verschmilzt mit den unheimlichen Klagelauten der Füchse, dem Schrei der Eule, der stillen Konversation der Mäuse, dem Funkeln der Sterne und dem lächelnden Pfannkuchengesicht des Mondes zu einem geradezu revelatorischen Heilerlebnis. Sich draußen in der Nacht aufzuhalten ist erfrischend und erhebend; wenn Sie Chris Salisburys so klug konzipiertes Angebot annehmen und sich gemeinsam mit Ihrer Familie behutsam auf die Nacht einlassen, wird sie zweifelsohne Ihr Leben erhellen.

Chris Packham

New Forest 2021

Abenddämmerung

Jedem Anfang wohnt ein Moment der Schwelle inne. Das englische Wort für Schwelle, threshold, stammt aus uralten Zeiten und bezog sich ursprünglich auf den eigens dafür vorgesehenen Platz am Rand des Dorfs, wo das Korn gedroschen – threshed – wurde. Es steht also für den Bereich zwischen dem Dorf und der Wildnis um das Dorf herum, zwischen Bekanntem und potenziell Mysteriösem. Für die Leserinnen und Leser eines Buchs über die Dunkelheit ist es durchaus passend, einen Augenblick innezuhalten und kurz im Grenzbereich zwischen Tag und Nacht zu verweilen, um sich das Überqueren einer Schwelle bewusst zu machen. Dadurch sind wir ebenso wie das Buch wunderbar empfänglich für die Gaben der Nacht, vorausgesetzt, dass wir uns mit allen Sinnen auf diese Erfahrung einlassen. Für diesen Grenzbereich haben wir viele Namen: Abenddämmerung, Zwielicht, Dämmerlicht, Halbdunkel, Dämmerstunde, Abendrot, blaue Stunde.

Kaum eine andere Zeit des Tages oder der Nacht hat zu mehr Ausdrucksfülle inspiriert als die Grauzone am Ende des Tages und jener Zeitabschnitt, der ihr folgt, der Einbruch der Nacht nämlich, das Weder-das-eine-noch-das-andere der Geschichtenwelt. Bedenkt man, dass der Einbruch der Nacht traditionell Angst und Beklommenheit hinsichtlich bekannter und unbekannter Bedrohungen schürte, überrascht es wenig, dass unsere Fantasie so viele bildhafte Ausdrücke dafür hervorgebracht hat. Im Irisch-Gälischen beispielsweise gibt es vier verschiedene Begriffe allein für die aufeinanderfolgenden Phasen zwischen dem späten Nachmittag und dem Einsetzen der Dunkelheit.

In Großbritannien geht diese Zeit des Tages – oder der Nacht – mit einer erstaunlichen Vielfalt an Tieren einher. Es ist, als stünde man an einer viel befahrenen Kreuzung, wo alles entweder in den Bau oder ins Nest zurückkehrt, um Zuflucht vor nächtlichen Gefahren zu suchen, oder eben erst daraus auftaucht, um sich das, was die Nacht bereithält, zunutze zu machen. An dieser Schwelle kann sich unser Bewusstsein der Ruhe und Stille hingeben, die die Dämmerung oft begleiten, während sich gleichzeitig unsere Wahrnehmung dem öffnet, was auch immer im Zwielicht verborgen sein mag. In diesem besonderen Augenblick, der dem kurzen Moment ähnelt, in dem aus Ebbe Flut, aus Flut Ebbe wird, vereint sich das Einströmen neuer Möglichkeiten mit dem Ausatem des zu Ende gehenden Tages. Oder, wie Antoine de Saint-Exupéry in Flug nach Arras schrieb: »Dann verblassen die Worte und die Dinge erwachen zum Leben. Dann ist es vorbei mit der destruktiven Analyse des Tages.« Eine Zeit also, um sich zu setzen und über den gegangenen Tag nachzudenken, und eine Zeit, um sich auf das einzustimmen, was kommt …

Einführung

Alles hat sein Wunderbares, selbst die Dunkelheit und das Schweigen, und ich lerne, zufrieden zu sein, egal in welchem Zustand ich mich auch befinden mag.

Helen Keller

Wer hat Angst vor der Dunkelheit?

»Schhhhhhhh … habt ihr das gehört?« Wie dunkle Wolken am ansonsten sonnigen Himmel zieht Verunsicherung über die Gesichter der zwanzig leicht in Panik geratenen Grundschulkinder, die sich näher an mich, den Guide auf ihrer Nachtwanderung, herandrängen. »Das war der Ruf eines Waldkauzes. Sollen wir mal versuchen, ihn zu finden?«, frage ich die kleinen Ausflügler.

»Ja, ja, ja!«, antworten die Kinder flüsternd. Angesichts der Aussicht auf einen nächtlichen Ausflug in den Wald – ohne Taschenlampe – können sie ihre Angst und Aufregung kaum im Zaum halten. »Wir wollen dafür nur unsere Nachtsicht benutzen«, hatte ich ihnen vorher gesagt, »zumindest auf dem ersten Teil der Strecke. Ihr werdet staunen, wie viel ihr in der Dunkelheit sehen könnt, wenn eure Augen keinem künstlichen Licht ausgesetzt waren.«

Nachdem wir uns metaphorisch in einen »Schleier des Schweigens« gehüllt haben, machen wir uns wie eine kleine Schar junger Rebhühner in gedämpfter Aufgeregtheit auf den Weg ins Dickicht. Auf der Suche nach Rückversicherung schiebt sich eine kleine Hand in die meine – Jessica hat noch nie eine Nacht ohne Licht verbracht, erst recht nicht im Wald, dem Ort der Märchen und Sagen. Nach dem anfänglichen Prahlen am hellen Lagerfeuer sind die Kinder jetzt, in diesem Schwellenmoment ihres Lebens, eher kleinlaut, voller Respekt, was sie auf ihrem ersten nächtlichen Streifzug in der Dunkelheit, ihrem Aufspüren der Wildnis mit Augen und Ohren, wohl erwarten wird.

»Ich sehe nichts!«, quengelt William, und so gehen wir langsamer, damit seine Erwartungen das, was er tatsächlich erlebt, einholen können. Schließlich erreichen wir eine kleine Lichtung, die unter großzügig ausgebreiteten Buchenästen liegt.

»Das habt ihr gut gemacht«, lobe ich die Kinder. »Ihr habt den Pfad allein mit dem Licht der Sterne und des Mondes bewältigt, genau wie einige der nachtaktiven Tiere, die wir suchen. Und jetzt seid ganz ruhig und hört zu«, fahre ich flüsternd fort, während sich 42 Ohren der geheimnisvollen Stille öffnen.

Kurz darauf flüstert Harriet: »Ich höre gar nichts.«

»Genau!«, erwidere ich. »Habt ihr vorher schon mal gar nichts gehört?« (Auf dieses Stichwort werden stumm die Köpfe geschüttelt.) »Tja, Jungs und Mädels: Das ist der Klang der Stille. Der Klang des Nichts … Bis irgendein Wesen der Nacht die stumme Bühne betritt. Was, denkt ihr, werden wir auf unserem nächtlichen Waldspaziergang hören?«

Neugierige zu unterrichten, das können alle Eltern und Pädagogen bestätigen, ist etwas völlig anderes, als Gleichmütige zu unterrichten. Der Aufenthalt unter freiem Himmel, insbesondere in einem artenreichen Naturschutzgebiet, regt die Sinne des Besuchers immer an, vorausgesetzt natürlich, das Wetter spielt mit.

Im Gegensatz zur gewohnten Umgebung des Hauses und des Klassenzimmers ruft ein natürliches Umfeld bei Kindern andere Reaktionen hervor, Reaktionen, die nicht vollständig vorhersagbar sind. Kinder, die wir in- und auswendig zu kennen glauben, können auf völlig unerwartete Weise auf neue Reize reagieren – eine gute Erinnerung daran, dass wir uns von Lernenden durchaus auch einmal überraschen lassen sollten.

Im Schutz der Dunkelheit verwandeln sich vertraute Umgebungen in etwas Geheimnisvolles. Das Gelände, in dem wir uns bei Tageslicht so gut auskennen, nimmt nachts eine andere Gestalt an, und so ist unsere Gleichmut im Nu vergessen, haben wir erst begonnen, dieses »neue« Terrain zu erkunden. So kann selbst das eigene Wohnzimmer nachts zum Abenteuerspielplatz werden. Natürlich tasten wir automatisch und instinktiv, ohne groß darüber nachzudenken, nach dem Lichtschalter, um die Nacht zu verscheuchen. Doch wer als Kind im Dunkeln gespielt hat, und sei es auch nur in der beruhigenden Umgebung der eigenen vier Wände, kennt das intensive Gefühl der Aufregung und des Abenteuers. Ich kann mich an unzählige »Nachtmissionen« erinnern, die ich als Kind in unserem Haus unternommen habe, bei ausgeschaltetem Licht und meist auf dem Weg zu meinem Zimmer. Als ich noch kleiner war, lauerten in meiner Vorstellung selbst bei eingeschaltetem Licht auf dem kurzen Weg zu meinem Zimmer im Schatten überall »Gefahren« in Form von bedrohlichen nächtlichen Kreaturen. Nachdem man mich ins Bett geschickt hatte, lungerte ich noch so lange wie möglich vor dem Spiegel im Flur herum; hörte ich dann meine Eltern kommen, flitzte ich voller Angst, erwischt zu werden, die Treppe hinauf. Jahrelang las ich als Kind abends im Bett noch Bücher und versuchte, damit den unausweichlichen Augenblick, wenn ich meine Mutter oder meinen Vater auf der Treppe hörte und das Licht ausschalten musste, hinauszuzögern.

Stellen Sie sich also bei der Lektüre dieses Buches vor, wie es ist, sich als Kind an einem unvertrauten Ort aufzuhalten, in einem Wald etwa, im Zauberbann der Nacht …

Aufregend, oder?

Über dieses Buch

Dieses Buch soll Eltern, Großeltern, Lehrerinnen und Lehrern sowie den wunderbaren Botschaftern der Natur, jenen Outdoor-Profis, die junge Menschen in die Natur einführen, eine Hilfe sein. Da es nur wenig Material zu nächtlichen Exkursionen gibt, ist dieses Buch als Handreichung an Ideen, Informationen und Aktivitäten gedacht, die ich in meinen 25 Jahren als Gruppenguide für nächtliche Ausflüge in die Natur gesammelt habe. Neben Nachtwanderungen und Übernachtungen in der Wildnis waren das auch einwöchige Ferienlager für Kinder und Jugendliche aus schwierigen Verhältnissen sowie Führungen für die Gemeinde, für Firmen und für Familien.

Gleichzeitig hoffe ich, eine Brücke zu schlagen, indem ich sowohl von einem praktischen als auch von einem kulturellen Standpunkt aus über die Dunkelheit schreibe. Wir nehmen uns selbst etwas weg, wenn wir die Dunkelheit meiden, wie wir sie meiden, und unsere Welt ins konstante Gleißen des elektrischen Lichts tauchen. Wie Sie im ersten Kapitel noch sehen werden, hat uns die nahezu in Vergessenheit geratene Dimension, die die nächtliche Natur uns eröffnet, so viel zu bieten, dass es ein Fehler wäre, die potenzielle Bereicherung nächtlicher Betätigung nicht zu nutzen.

Bevor Sie sich jetzt jedoch kopfüber ins dunkle Dickicht stürzen, sollten Sie sich ein wenig vorbereiten. In Kapitel 2 konzentriere ich mich auf die Sinne, da wir uns durch eine bewusstere Wahrnehmung unserer angeborenen Fähigkeiten viel besser auf die Nacht einlassen können. Außerdem können Sie dieses Wissen in Ihrer eigenen Rolle als Guide zur Unterfütterung der damit verbundenen Geschichten nutzen. Sollte Ihnen das hier und da ein wenig zu technisch werden, dürfen Sie ruhig zu dem vorblättern, was für Sie von Interesse ist. Sie können ja immer noch zurückblättern, wenn Ihre Neugier für das entsprechende Detail bei einem Ihrer nächtlichen Ausflüge geweckt wird.

Darüber hinaus stelle ich Ihnen einige technische Gerätschaften vor, die Sie ebenfalls je nach Bedarf nutzen können. Das Prinzip besteht auch hier darin, sich potenzieller Hilfsmittel bedienen zu können, die unsere angestrebte Verbindung mit der Dunkelheit vertiefen.

In Kapitel 3 widmen wir uns erstmals verstärkt den nächtlichen Aktivitäten. Den Anfang machen einige Vorschläge, wie Sie die Dämmerung für die Einstimmung und Eingewöhnung nutzen können; diese Zeit des Tages eignet sich ideal zur Vorbereitung auf das Übertreten der Schwelle, die uns in die Dunkelheit führt. Die anschließend beschriebenen Aktivitäten umfassen ein breites Spektrum dessen, was man in der Dunkelheit tun kann, und natürlich können auch diese an den individuellen Bedarf angepasst und unterschiedlich miteinander kombiniert werden.

Ich habe überall in das Buch Passagen eingestreut, die Wissenswertes aus der Naturgeschichte enthalten; diese Erläuterungen sind zwar keineswegs erschöpfend, können Ihnen aber dabei helfen, eine Affinität für nächtliche Lebewesen und den Nachthimmel zu entwickeln. Außerdem können Sie damit die Geschichten anreichern, die Sie vor oder nach einer Aktivität oder während einer Nachtwanderung erzählen. Das vornehmliche Ziel dieses Buchs ist es, das Interesse für die Natur zu wecken, und das lässt sich mit der einen oder anderen Geschichte viel leichter bewerkstelligen.

Es gibt so vieles, das Naturforscher und -forscherinnen fesselt, wenn ihnen der Zugang zur nächtlichen Flora und Fauna ermöglicht wird, und so sollen die Informationen in Kapitel 4 über die nächtliche Natur vor allem Pädagoginnen und Pädagogen sowie Eltern als nützliches Lehrmaterial dienen.

In Kapitel 5 geht es um die Sternenbeobachtung, und mit den dort beschriebenen Aktivitäten, wissenschaftlichen Experimenten und Überlieferungen zum Thema Sterne möchte ich zur allgemeinen Faszination beitragen, die das große Mysterium des Nachthimmels auf den Menschen ausübt. Natürlich würde eine ausführliche Behandlung des Themas den Rahmen dieses Buchs sprengen, doch hoffe ich, dass auch die wenigen Aspekte, die hier vorgestellt werden, in Ihnen die Leidenschaft für Astronomie entfachen können.

Sich mit Gesprächsführung und Moderation auszukennen, kann im Zusammenhang mit den Aktivitäten in diesem Buch definitiv nicht schaden, doch stellt sich das mit zunehmender Erfahrung auch von selbst ein. Wenn Sie ein ganzes Programm planen, kommt es dabei nicht unbedingt auf den Aktivitätenmix an, für den Sie sich entscheiden; dennoch habe ich in Kapitel 6 einige mögliche Abläufe einer Nachtwanderung für Sie zusammengestellt. Die können Sie entweder so übernehmen oder an Ihre individuellen Bedürfnisse anpassen. Normalerweise ergibt sich der Ablauf aus dem Einsetzen und Nachlassen der Dunkelheit sowie aus dem Auftauchen der Tiere, die Sie bei der jeweiligen Wanderung aufspüren wollen.

Kapitel 7 konzentriert sich auf die gesellige Zeit rund ums Lagerfeuer – ein wunderbares »Extra« bei allen nächtlichen Ausflügen. Ich hoffe, dass die von mir zusammengetragenen Ideen zu unvergesslichen Gruppenerlebnissen führen werden.

Zum Schluss sei noch angemerkt, dass dieses Buch im Hinblick auf das nördliche Europa verfasst wurde, insbesondere im Kontext der Natur, wie sie sich in meiner geliebten Heimat Großbritannien zeigt. Sollten Sie außerhalb dieses geografischen Gebiets leben, werden einige Abschnitte offenkundig nicht zu Ihrer Bioregion passen. Gleichwohl kann Ihnen die überwiegende Mehrheit der Vorschläge in diesem Buch sicherlich auch unabhängig von Ihrem Standort als Inspiration zu nächtlichen Ausflügen in die Natur dienen.

1. Darf ich vorstellen: die Dunkelheit

Wie unerträglich wären die Tage, würde die Nacht mit ihrem Tau und ihrer Dunkelheit nicht kommen, um die erschlaffte Welt zu erquicken.

Henry David Thoreau, Night and Moonlight

Im Jahr 1880 war Joseph Swans Haus in North East England das erste, das mit den soeben von ihm erfundenen elektrischen Glühlampen ausgestattet wurde. Diese ermöglichten konstant helles Licht und beschworen die Dämmerung eines neuen Zeitalters der Menschheit herauf. Und es mag zwar übertrieben klingen, doch man kann durchaus sagen, dass unsere Welt seitdem nicht mehr die gleiche ist.

In vielerlei Hinsicht war die Möglichkeit des beständigen Lichts ein Segen für die Menschheit, seine Vorteile für alle offensichtlich. Kaum berücksichtigt aber wird der damit einhergehende Verlust von etwas sehr Kostbarem. In dieser Nacht des sich zwingend ausdehnenden Kulturverlaufs der frisch industrialisierten menschlichen Welt wurde die Dunkelheit symbolisch verbannt und wir von ihrem Mysterium, ihrem Zauber und ihrem seelischen Erfassen ausgeschlossen. Zwar ist es nicht so, dass man nirgends mehr Dunkelheit finden könnte, doch findet sie sich nun irgendwo anders als dort, wo der Großteil der Menschheit lebt. Laut National Geographic sind einer Studie aus dem Jahr 2016 zufolge geschätzte 99 Prozent von Europa und Amerika von Lichtverschmutzung betroffen.

Wir sind so besessen davon, unsere Umgebung zu beleuchten, dass selbst die Abenddämmerung von Straßenlaternen erhellt wird, die bis zum Morgengrauen durchstrahlen. Es gibt keine Schnur, an der wir ziehen, keinen Schalter, den wir betätigen könnten, wollten wir ein paar Stunden lang im stillen, einhüllenden Dunkel baden. Um an eine solche Zufluchtsstätte zu gelangen, müssen wir die Stadt hinter uns lassen, weit hinter uns.

Diese industrielle Erhellung der Dunkelheit die ganze Nacht hindurch muss sich den Vorwurf der gigantischen Verschwendung gefallen lassen. Laut International Dark Sky Association »sind mindestens 30 Prozent der gesamten Außenbeleuchtung allein in den USA unnötig, was sich auf 3,3 Milliarden Dollar Kosten und den Ausstoß von 21 Millionen Tonnen Kohlendioxid pro Jahr summiert! Um das auszugleichen, müssten wir jährlich 875 Millionen Bäume pflanzen.«

Dennoch soll hier nicht gegen Licht an sich gewettert werden. Das Auftauchen des Feuers und anschließend subtilerer Formen der Beleuchtung etwa durch die ersten Öllampen vor rund zehntausend Jahren brachte Schatten und Schattenrisse mit sich, die die Dunkelheit zu etwas weniger Unheil Verkündendem und etwas mehr Zauberhaftem abmilderten. Die starken Kontraste aber, die künstliches grelles Licht hervorrufen, stumpfen unsere Sinne ab und machen die Dunkelheit damit undurchdringlicher und weniger einladend. Die Sehfähigkeit zu verlieren ist verwirrend und – für eine Spezies, die sich überwiegend auf ihren Sehsinn verlässt – auch beängstigend. Wir haben eine biologische, angeborene Angst vor dem, was wir nicht sehen können, und diese Angst wird noch verstärkt, wenn wir uns an einem unvertrauten Ort befinden. Oder, wie ein altes Sprichwort der nordamerikanischen Zuñi sagt: »Bei Nacht sind alle Katzen Leoparden.« Es ist also ganz natürlich, sich vor der Dunkelheit zu fürchten, nicht nur vor der kohlrabenschwarzen Nacht, die auch in der Wildnis selten ist, sondern ebenso vor der »natürlichen« Dunkelheit, die durch den Mond und das Licht der Sterne geprägt ist. Ich kenne viele Erwachsene, die sich diese Angst aus der Kindheit bewahrt haben und rasch nach dem Lichtschalter greifen, wenn die Dunkelheit einsetzt.

Die Dunkelheit neu betrachtet

Als ich meine drei Töchter aufwachsen sah, konnte ich an ihnen einen Übergang beobachten, von der süßen Unschuld ihrer frühen Jahre, als sie noch keine Angst vor der Dunkelheit zu haben schienen, ebenso wenig wie vor dem Wald, der unser Haus umgab. Doch irgendetwas veränderte diese Wahrnehmung: Plötzlich hatten sie Angst vor allen Umgebungen, in denen sie nicht klar und deutlich sehen konnten. Ich fragte mich, warum das so war, denn ich hatte ihnen diese Angst nicht bewusst beigebracht oder ihnen von unsichtbaren Gefahren erzählt. Tatsächlich greifbare Bedrohungen, etwa durch Tiere oder Verbrecher, schienen sie im Gegensatz dazu nicht wahrzunehmen.

Auch heute noch frage ich mich, ob die Angst vor der Dunkelheit biologisch oder kulturell bedingt ist. »Erlernen« Kinder die Angst vor der Dunkelheit durch die Märchen, die sie in jungen Jahren vorgelesen bekommen, oder sehen sie sie sich vom Verhalten der Erwachsenen ab? Oder ist diese Angst schlicht ein biologisches Erfordernis, eine notwendige Überlebensstrategie aus vergangenen Zeiten, als die Gefahr, von einem Tier angegriffen zu werden, noch sehr real war? In der Toskana sagt man: »Wer nachts nach draußen geht, sucht den Tod.«

Doch ob biologisch oder kulturell – ich denke, dass die Angst vor der Dunkelheit in unserer heutigen Kultur ausgeprägter ist, in einer Kultur, die sich vom Leben auf und in inniger Verbundenheit mit dem Land und seinem natürlichen Mantel der Dunkelheit abgekoppelt hat.

Auch das Einschalten hellen Lichts ist nicht frei von kultureller Symbolik. Je mehr wir uns von einem Leben im Einklang mit den Rhythmen der Natur entfernen, desto unbehaglicher scheint es uns in der natürlichen Dunkelheit zu werden. Wir haben die Dunkelheit und die Nacht sprachlich ins Reich des Negativen verbannt, was sich in Ausdrücken wie »dunkle Absichten«, »dunkle Seite« oder »Nachtmahr« äußert.

Wenn unsere Neigung, die Dunkelheit zu zähmen, ihre Wurzeln in unseren primitiven Überlebensmechanismen hat, scheint sich bezüglich unserer kulturellen Wahrnehmung der Dunkelheit etwas verändert zu haben. Ich denke, dass die gefühlvolle Qualität der Nacht verloren gegangen ist, als wir vom Pfad des dynamischen, gegenseitigen Austauschs mit der Natur abgewichen sind, der unseren Vorfahren durch den Wechsel von Licht und Dunkelheit so viel Struktur und Bedeutung ermöglicht hat.

In diesem alten Wechsel war die Abenddämmerung der Übergang zwischen dem, was vor und nach der sich vertiefenden Finsternis und dem Temperatursturz lag, der es erforderlich machte, das Feuer zu entzünden und sich ringsum zu versammeln. In dieser alten, schlichten Weise rekonstituierte sich die Gemeinschaft und verarbeitete gemeinschaftlich den Tag. Lampen- und Feuerlicht trafen auf die Dunkelheit und lösten sich in Schatten auf, deren lange Finger aus sanftem Licht und schwarzer Nacht sich zu Bewegungen verwoben, die eine beseelte, dynamische, geheimnisvolle Welt nachbildeten. Es gab nichts, das bei Nacht »getan« werden müsste. (Wenngleich auch gesagt werden muss, dass es in der vorindustriellen Zeit überall auf der Welt üblich war, die Nacht in zwei Schlafphasen zu unterteilen und dazwischen allen möglichen Beschäftigungen nachzugehen. Dass man »durchschlafen« müsse, scheint eine Annahme aus jüngerer Zeit zu sein.)

Durch das Erhellen der Dunkelheit verlängern wir den Tag, und unser Beschäftigtsein geht unvermindert weiter. Das grelle, konstante künstliche Licht der modernen Nacht überlässt nichts der Fantasie – es imitiert das Tageslicht, nicht das weichere Nachtlicht. Wir machen einfach weiter wie am Tag, egal wie spät es ist.

Der Mythenforscher Martin Shaw schreibt in seinem Buch Scatterlings: »Stets haftet der Nacht eine Schwelleneinladung an.« Ebenso verhält es sich bei den Geschichten, die Erwachsene und Kinder gleichermaßen gern hören; denn im Gegensatz zum Theater und Film, die Augen und Ohren das vollständige Bild liefern, bietet die erzählte Geschichte lediglich Wörter für unsere Ohren. Und da unsere Fantasie durch das beflügelt wird, was unsere Augen eben nicht klar und deutlich sehen können, beschwören erzählte Geschichten Bilder in unserem ganz persönlichen Kopfkino herauf. In ähnlicher Weise regt das »Nichtsehen« unsere Fantasie und unsere Fähigkeit zu träumen an, wenn wir es der Dunkelheit nur gestatten, in unserem Wachleben eine Rolle zu spielen. In vielen alten Sagen kommt die Figur des blinden Sehers vor, als schenke uns die absolute Dunkelheit die Gabe des »tieferen Sehens«, der tieferen Erkenntnis. In der nordischen Mythologie wird der Gott Odin, der sich selbst ein Auge aussticht, zum »einäugigen Doppelsichtigen«.

Auch auf unser Verhältnis zueinander kann sich die Nacht ausgesprochen subtil auswirken. Fühlen wir uns der eingebildeten – oder auch sehr realen – Gefahr der Nacht ausgesetzt, bringt uns dieses stillschweigende Eingeständnis unserer Verletzlichkeit, die Teil unserer gemeinsamen Menschlichkeit ist, einander unweigerlich näher. Im sanften Widerschein des Feuers oder Lampenlichts erinnern wir uns unterbewusst an das Kontinuum, in dem sich die Menschen Tausende von Jahren lang um die Feuerstelle herum versammelt haben, den Ort der Sicherheit und Gemeinschaft. Das kommt besonders deutlich beim Lagerfeuer zum Ausdruck, an dem wir sitzen, während sich um uns herum die Nacht auftürmt, größer gemacht noch durch die hellen Flammen und die sprühenden Funken. Neben dem Gefühl des Staunens vereint uns die unausgesprochene Gemeinschaft im tiefen und demütig machenden Mysterium der Dunkelheit.

Es erscheint mir kulturell bedeutsam, dass wir zur Wintersonnenwende heute mit kommerziellem Überfluss feiern. In dieser auf der nördlichen Erdhalbkugel dunkelsten Zeit des Jahres rufen alle Zeichen und Rhythmen der Natur zu Reflexion und innerer Einkehr auf. Trotzdem lenken wir uns mit aufdringlicher Beleuchtung und knallbunter Weihnachtsdeko ununterbrochen von der tiefen Dunkelheit ab. Sicherlich haben auch unsere heidnischen Vorfahren in der dunklen Zeit des Jahres Feste abgehalten – Opferfeste etwa in der ersten Vollmondnacht nach der Wintersonnenwende, Rituale der Dankbarkeit für das wiederkehrende Licht. Ich habe nichts gegen das Feiern und die Gelegenheit für Familientreffen oder das Aufrechterhalten alter Traditionen, doch so, wie sich diese Zeit des Jahres heute gestaltet, scheint sie enormen kommerziellen Druck auf viele Familien auszuüben und nur noch Stress zu erzeugen. Vielleicht geben wir uns dieser Ablenkung deshalb so bereitwillig hin, weil wir sie einem langen, in weiche, langsame, durchdringende Dunkelheit gehüllten Winter vorziehen.

Mit einem Freund in der Dunkelheit zu wandeln, ist besser, als allein im Licht zu sein.

Helen Keller

Die Pflanzen demonstrieren uns die natürliche Reaktion auf Dunkelheit und Kälte ganz deutlich, wenn Herbst und Winter beginnen. Sie ziehen sich tief in ihren Wurzelkern zurück, in die Erde, wo sie ihre Ressourcen schonen, bis die für Wachstum und Aktivität geeigneten Bedingungen zurückkehren. Einige unserer Mit-Säugetiere passen sich an die Dunkelheit und Kälte des Winters an, indem sie Winterschlaf oder Winterruhe halten – sie schwimmen mit dem Strom der Jahreszeiten, um die Nahrungsvorräte optimal zu nutzen und Energie zu sparen. Natürlich muss sich der Mensch nicht mehr jahreszeitengemäß verhalten, seit die Geschäfte rund ums Jahr geöffnet haben und wir es uns bei Zentralheizung und elektrischem Licht gemütlich machen können.

Diejenigen, die sich auf die erneuernden, erholsamen Seiten der Dunkelheit einlassen können, können durchaus von ihr profitieren. Betrachten Sie sie wie einen tiefen, ruhigen Schlaf, und überlegen Sie, wie gut Sie sich danach fühlen, bereit, den Tag bei den Hörnern zu packen. Es gibt mittlerweile eine Fülle von Forschungsarbeiten, die die fundamentalen gesundheitlichen Vorzüge der Dunkelheit belegen; auf sie werden wir später in diesem Kapitel noch näher eingehen. Darüber hinaus ist uns die Nacht süße Zuflucht vor To-do-Listen und ablaufenden Terminen, vor tickenden Uhren und überquellenden Kalendern, davor, jemand oder etwas sein zu müssen. Deshalb möchte ich Sie dazu ermutigen, ganz bewusst über die Schwelle zu treten – geben Sie Ihren Augen und Ihren zirkadianen Rhythmen etwas Zeit, um sich an die neuen Verhältnisse anzupassen, und machen Sie sich auf den mondbeschienenen Pfad, der Sie an einen geheimnisvollen und zauberhaften Ort führen wird. Dort wartet die nächtliche Natur auf Sie, in all ihrer wundersamen Vielfalt und Andersartigkeit, und wie auch immer Sie unterwegs sind – ob allein auf einem Spaziergang oder umgeben von neugierigen Kindern –, die Natur wird Sie nicht enttäuschen. Sie hat immer etwas Interessantes zu bieten.

Wie heißt es so schön in der Bibel? »Es werde Licht! Und es ward Licht.« Ich möchte nur noch hinzufügen, dass wir nicht vergessen sollten, das Licht auch hin und wieder auszuschalten.

Was ist Dunkelheit?

Aus der Perspektive eines nordamerikanischen indigenen Volkes ist Dunkelheit die »Abwesenheit von Licht«. Das entspricht zwar auch unseren Versuchen, das Phänomen kurz und bündig auf den Punkt zu bringen, doch gibt es auch eine ganz moderne wissenschaftliche Definition. Ihr zufolge setzt die astronomische Abenddämmerung nach dem Sonnenuntergang ein, und zwar exakt dann, wenn sich die Sonne 18 Grad unterhalb des Horizonts befindet. Da jedoch auch dann noch viel Lichtverschmutzung vorhanden ist, muss man sich schon in eine Wüste oder aufs offene Meer begeben, wenn man vollständige natürliche Dunkelheit erleben will. Außerdem heißt es noch lange nicht, dass das Licht nicht da wäre, nur weil wir es nicht sehen können. Die Nanowissenschaften haben uns gezeigt, dass es auch in jenem Zustand noch Photonen gibt, den wir schon als kohlrabenschwarze Nacht bezeichnen würden. Für uns als empirische und sensorische Lebewesen ist wahrscheinlich eher das relevant, was man »Wahrnehmung der Dunkelheit« nennen könnte: Erscheint uns die Nacht schwarz wie Pech, dann ist sie es für uns faktisch auch. So weit, so gut.

Und doch stellt sich noch immer die sprichwörtliche Eine-Million-Euro-Frage. Die Frage, die uns Rätsel aufgibt, unser Vorstellungsvermögen kitzelt und uns auf die Palme bringt, bis wir endlich am süßen Elixier des Begreifens nippen dürfen. Die ultimative Frage, die so einfach wie verwirrend ist, in einem Buch über die Dunkelheit aber keinesfalls fehlen darf.

Warum ist es dunkel?

Na, werden Sie jetzt vielleicht denken, die Antwort darauf liegt doch auf der Hand! Es ist dunkel, weil sich die große Laterne am Himmel hinter den Horizont verabschiedet hat. Stimmt’s?

Stimmt nicht.

Also noch einmal: Warum ist es nachts dunkel?

Um die richtige Antwort zu finden, müssen wir ein wenig mehr nachdenken – oder träumen.

Ich lasse Sie jetzt mal eine Weile darüber nachdenken und freue mich in der Zwischenzeit über die Kniffligkeit der Frage. Außerdem: Wäre ein Rätsel noch ein Rätsel, wenn man die Lösung gleich verraten würde? Doch keine Angst, Sie werden sie erfahren! Irgendwann im Laufe dieses Buchs. Und dann dürfen Sie sich darauf freuen, diese Frage den Menschen, die Sie auf Ihrer Nachtwanderung begleiten werden, zu stellen.

Dunkle Medizin

Wie bereits erwähnt, ist die Dunkelheit gut für uns; genauer gesagt hat es positive Folgen für unser Wohlbefinden, wenn wir der Dunkelheit ausgesetzt sind.

Dennoch sind wir biologisch darauf programmiert, vor der Dunkelheit zurückzuschrecken, und zwar aufgrund der realen oder eingebildeten Gefahren, die möglicherweise darin lauern. Der korrekte wissenschaftliche Ausdruck für die gesteigerte Variante des eben Beschriebenen lautet Achluophobie – die Angst vor der Dunkelheit.

Ganz allgemein gesprochen braucht jedes Lebewesen Phasen der Aktivität und der Ruhe, der Wechsel von Hell und Dunkel bestimmt jene zirkadiane Rhythmen, die auch als Schlaf-Wach-Rhythmen oder innere Uhr bezeichnet werden.

Allerdings ertrinken wir derzeit in einem Übermaß an künstlichem Licht: 60 Prozent der Europäer und 80 Prozent der Nordamerikaner leben an Orten, wo sie vor lauter Lichtverschmutzung die Milchstraße am Nachthimmel nicht mehr sehen können.

Diese signifikante Verlagerung weg von der langen, langen Zeit, in der wir die Hälfte unseres Lebens in der Dunkelheit verbrachten, muss Folgen haben. Mittlerweile liegen wissenschaftliche Beweise dafür vor, dass der Dunkelheitsentzug tatsächlich seinen Tribut fordert: Er hat Auswirkungen auf unsere körperlichen Rhythmen, unsere Stimmung und unser Wohlbefinden. Richard Stevens, Epidemiologe an der University of Connecticut, hat sich jahrzehntelang mit den gesundheitlichen Folgen dieses Entzugs beschäftigt und fasst unmissverständlich zusammen: »Wir brauchen eine längere physiologische Nacht.«

Und das gilt nicht nur für uns Menschen. Wir wissen inzwischen, dass konstantes künstliches Licht die ganze Nacht hindurch auch für viele andere Spezies schädlich ist.

Mit etwas Grundwissen in Biologie verstehen wir viel besser, warum die Dunkelheit eine Art natürliche Medizin ist. Registrieren bestimmte spezialisierte Nervenzellen im Auge abnehmendes Licht, wird diese Information an die Zirbeldrüse im Gehirn weitergegeben, die daraufhin beginnt, Melatonin ins Blut freizusetzen. Dieses von unserem Körper produzierte Hormon reguliert den Schlaf, man könnte es auch »Dunkelheitshormon« nennen. Neben anderen Wirkungen weitet es die Blutgefäße, sodass die Körpertemperatur sinkt, wodurch wir uns müde fühlen. Darüber hinaus ist Melatonin ein wichtiges Antioxidans, das die Zellen vor Schäden schützt, und ein Stimulans, das das Immunsystem dazu anregt, nachts weiße Blutkörperchen zu aktivieren.

Andere spezialisierte Zellen in der Retina, der Netzhaut des Auges, wiederum signalisieren dem Gehirn, die Menge an ausgeschüttetem Melatonin zu reduzieren, wenn das blaue Licht moderner Lichtsysteme wie LEDs auf sie trifft. Dieses blaue Licht löst bei uns die Kampf-oder-Flucht-Reaktion aus – kein Wunder also, dass das blaue Licht der Straßenlaternen und vor allem auf dem Bildschirm elektronischer Geräte Auswirkungen auf unsere Schlafmuster hat. Während wir schlafen, finden in unserem Körper wichtige Regenerationsprozesse statt, die jedoch torpediert werden, wenn künstliches Licht einen erholsamen Schlaf verhindert.

Im Lichte all dieser Forschungen – das Wortspiel sei mir verziehen – und auch nach Maßgabe des gesunden Menschenverstands kann man nur schlussfolgern, dass die Dunkelheit gut für uns ist. Und zum Glück reichen schon einige wenige, simple Veränderungen in den eigenen vier Wänden aus, um die Nacht auch wirklich wieder zur Nacht zu machen. Ratschläge dazu geben Schlafkliniken und auf Schlafforschung spezialisierte Ärzte, etwa den, die Bildschirmzeit vor dem Schlafengehen zu minimieren oder die Räume, in denen Sie sich nach Einbruch der Nacht aufhalten, durch Jalousien oder Vorhänge vom »Restlicht« draußen abzuschirmen.

Die faszinierendste Möglichkeit, in die Dunkelheit einzutauchen, besteht jedoch darin, sich nach draußen in die Natur zu begeben, wo, wie David Whyte in seinem Gedicht »Sweet Darkness« schreibt, »die Nacht uns einen Horizont schenkt, / den wir mit den Augen nicht erreichen können«.

2. Handwerkszeug

Ich begebe mich in die Natur, um getröstet und geheilt zu werden und um meine Sinne einmal mehr in Einklang zu bringen.

John Burroughs

Manchmal vergessen wir, dass wir zwar als splitterfasernackte Säuglinge auf die Welt kommen, Mutter Natur uns aber dennoch mit allem ausgestattet hat, was wir brauchen, um auf diesem Planeten zu gedeihen. Die Fähigkeit, Werkzeuge und Jagdwaffen zu erfinden und anzufertigen, hat es vergangenen Generationen sicherlich ermöglicht, komfortabler zu leben; allerdings kommt es mir hier mehr auf die biologischen Spezifikationen an, die uns bei der Geburt mitgegeben werden, und weniger auf die Voraussetzungen, die es uns ermöglichen, shoppen zu gehen. Manchmal halten wir diese Attribute – unsere Sinne – für allzu selbstverständlich.

Wenn wir ein wenig über unsere Sinne wissen, haben wir mehr vom Erkunden der Dunkelheit. Und je reicher die Ernte, desto tiefer ist die Verbindung. Deshalb ist es jeder unserer Primärsinne wert, dass wir uns näher mit ihm beschäftigen; dadurch erfahren wir, wie wir uns leichter in der Dunkelheit zurechtfinden können, wie wir uns dort – und im Übrigen nicht nur dort – mit mehr Selbstvertrauen bewegen können.

Außerdem möchte ich Ihnen in diesem Kapitel einige technologische Hilfsmittel vorstellen, darunter Ferngläser und Fledermausdetektoren, die vor allem Naturpädagoginnen und -pädagogen auf Nachtwanderungen sehr nützlich sein können.

Unsere Sinne

Wie viele Sinne hat der Mensch? Fünf, oder?

Hmm – ja und nein. Sehsinn, Tastsinn, Geruchssinn, Hörsinn und Geschmackssinn sind auf jeden Fall die bekannten fünf Sinne. Bedenken wir dabei jedoch auch, dass die Basisfunktion unserer Sinne darin besteht, auf Reize zu reagieren, können wir das Ganze weiter fassen – vielleicht weiter, als wir denken.

Nehmen wir die informationssammelnde Funktion als Kriterium, können wir von sicherlich mehr als den »Big Five« sprechen. Unseren Gleichgewichtssinn beispielsweise können wir weder sehen noch hören noch riechen noch schmecken noch berühren, und doch liefert er dem Gehirn ungeheuer wichtige Informationen, wie jeder, der schon einmal versucht hat, auf einem Seil oder Schwebebalken oder unter Alkoholeinfluss auch nur einer geraden Linie zu gehen, bestätigen kann. Andere Fähigkeiten wiederum helfen uns dabei, Informationen über Richtung, Zeit, Orientierung im Raum, Hunger und Durst zu sammeln. Und dann wäre da noch der faszinierende, präkognitive »sechste Sinn«: unsere Intuition. Die meisten Menschen können von Erfahrungen berichten, als sie »das Gefühl hatten, dass etwas passieren würde«, bevor es tatsächlich passierte. Ganz offensichtlich scheint diese präkognitive Fähigkeit bei manchen ausgeprägter zu sein als bei anderen.