In Love with a Star - Ivy Owens - E-Book
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In Love with a Star E-Book

Ivy Owens

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Beschreibung

Mit wunderschön farbig gestaltetem Buchschnitt

Die Journalistin Georgia Ross sitzt nach einer Recherchereise völlig erschöpft am Flughafen, als auch noch ihr Flug nach Los Angeles auf den nächsten Tag verschoben wird. Doch dann sieht sie ein bekanntes, unglaublich attraktives Gesicht in der Menge: den älteren Bruder ihrer besten Freundin aus Kindheitstagen. Alec Kim bietet ihr spontan an, seine Luxussuite mit ihr zu teilen. Und es wird eine unvergessliche Nacht – die leidenschaftlichste, die Gigi je erlebt hat. Bis sie am nächsten Tag erkennt, warum ihr Alec nach all den Jahren so vertraut vorkam: Am Flughafen warten Scharen von Fans auf den begehrten neuen Hollywoodstar …

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Buch

Die junge Journalistin Georgia Ross ist nach einer brisanten Recherchereise völlig erschöpft und steht kurz vor einem Nervenzusammenbruch, als auch noch ihr Flug nach Los Angeles gecancelt wird. Doch dann erblickt sie ein vertrautes, unglaublich attraktives Gesicht in der Menge der Passagiere – den älteren Bruder ihrer besten Freundin aus Kindheitstagen. Alec Kim bietet ihr spontan an, sein Hotelzimmer – nein, seine Luxussuite – mit ihr zu teilen. Und aus dem unerwarteten Wiedersehen wird die unvergesslichste, leidenschaftlichste Nacht, die Gigi je erlebt hat. Bis sie am nächsten Tag erfahren muss, dass die gemeinsame Kindheit nicht der einzige Grund ist, aus dem Alec ihr so vertraut vorkommt. Denn am Flughafen wartet bereits eine gewaltige Menge von Fans auf den begehrten neuen Hollywoodstar …

Weitere Informationen zu Ivy Owens

finden Sie am Ende des Buches.

Ivy Owens

In Love with a Star

Roman

Aus dem Amerikanischen

von Anja Mehrmann

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Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Deutsche Erstveröffentlichung Mai 2023

Copyright © 2022 by Ivy Owens

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2023

by Wilhelm Goldmann Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: UNO Werbeagentur, München

Umschlagmotive: FinePic®, München

Redaktion: Beate De Salve

tk · Herstellung: ik

Satz: KCFG – Medienagentur, Neuss

ISBN: 978-3-641-30271-9V001

www.goldmann-verlag.de

Für CH und KC.

Als ich klein war,

habe ich davon geträumt,

eines Tages Freunde wie euch zu haben.

1

Namen kann ich mir super merken, Gesichter hingegen überhaupt nicht. Aber ich weiß, dass ich dieses schon einmal gesehen habe.

Er sitzt allein am Ende einer Reihe und blickt auf sein Handy. Ich lebe jetzt lange genug in L. A., um an seiner Haltung zu erkennen, dass er nicht in irgendeine Lektüre vertieft ist, sondern vor allem ungestört bleiben will. Und ich bin lange genug Journalistin, um zu wissen, dass dieser Typ unter keinen Umständen auffallen will.

Es funktioniert nicht. Sogar seine Frisur wirkt teuer, so akkurat und ordentlich, wie seine Haare nach hinten gekämmt sind. Und mir ist klar, dass ich ihn irgendwoher kenne. Ein Kinn, mit dem er Stahl schneiden könnte, Wangenknochen wie aus Stein gemeißelt, dazu ein perfekter Schmollmund. Dieses Gesicht verursacht eine Art Juckreiz in meinem Gehirn, ein neckisches Kribbeln.

Im Geist höre ich die Stimme meiner Mutter. Sie fordert mich auf, höflich zu sein, aufzustehen und ihn zu begrüßen. Aber ich befinde mich am Flughafen, und nachdem ich in London vierzehn Tage damit verbracht habe, Fremden wegen Informationen nachzujagen, die sie nicht rausrücken wollen, bin ich ziemlich müde. Ich kannte dort niemanden außer einem kettenrauchenden britischen Kollegen mit der Alkoholtoleranz eines Nilpferds, der wie eine gesengte Sau durch die Stadt raste, was mich dazu brachte, mehrmals täglich zu einem Gott zu beten, an den ich nicht glaube. Ich habe mich acht Stunden im Flugzeug und weitere vier an diesem Gate aufgehalten, um einen Sturm auszusitzen und auf den Anschlussflug nach L. A. zu warten, der immer wieder verschoben wurde.

Fairerweise muss ich zugeben, dass ich nicht das Gefühl habe, das Gesicht dieses Mannes in den letzten zwei Wochen gesehen zu haben. Was ich empfinde, geht tiefer als der plötzliche Energieschub auf der Jagd nach einer Story. Diesmal dringt mir das Adrenalin bis in die Knochen. Der flüchtige Blick in sein Gesicht, als er den Kopf hebt, auf die Anzeigetafeln späht und dann ein kleines frustriertes Knurren von sich gibt, wirkt auf mich wie ein Song, den ich ewig nicht gehört habe. Bei seinem Anblick zieht sich mein Herz sehnsuchtsvoll zusammen.

Paradoxerweise wirkt er gleichzeitig aufrecht und in sich zusammengesunken, sehr edel in seiner maßgeschneiderten dunkelblauen Hose, den polierten braunen Schuhen und dem weißen Button-down-Hemd, das nach dem langen Flug von London nach Seattle immer noch frisch wirkt. Er sieht fantastisch aus.

Ich ziehe meinen Schal hoch und vergrabe das Gesicht darin, aber er riecht nach der abgestandenen Luft im Flieger, und ich ziehe ihn wieder herunter. Der Drang, vor Erschöpfung zu schreien, steigt in mir auf. Ich möchte mich nach Hause und in mein Bett teleportieren. Ich möchte den ganzen Selbstfürsorge-Kram überspringen, einfach ungeduscht und in Klamotten ins Bett schlüpfen. Mir ist sogar egal, wie abstoßend ich wirke. Nachdem ich tagsüber vierzehn Stunden damit verbracht habe, den flüchtigen Türsteher eines Nachtklubs aufzuspüren, gefolgt von acht schlaflosen Stunden im Flugzeug, ist nur noch das grundlegende animalische Selbst von mir übrig.

Ich schaue mich um. Ein paar Leute haben sich über vier Sitze hinweg ausgestreckt und schlafen, während andere auf dem Boden Platz finden müssen. Mein Körper schreit förmlich danach, sich irgendwo hinzulegen, egal, wo. Aber ich höre nicht auf ihn, denn ich weiß: Selbst wenn wir innerhalb der nächsten fünf Minuten an Bord gehen und starten sollten, werde ich erst weit nach Mitternacht in ein Taxi steigen und die lange Fahrt nach Hause antreten können. Und ich muss mich so bald wie möglich an die Arbeit machen. Diese Story ist die Chance meines Lebens, und von diesem Moment an bleiben mir nur noch zwei Tage, um sie fertig zu schreiben.

In der Nähe des Gates vermeiden es die Mitarbeiter der Fluggesellschaft sorgfältig, hinter das Pult zu treten. Sobald sie sich auch nur in dessen Nähe aufhalten, bildet sich sofort eine Schlange von genervten Menschen. Stattdessen halten sie sich im Hintergrund und starren einander finster an, wenn das Haustelefon an der Gangway mit einem Update zu dem sintflutartigen Unwetter draußen klingelt. Endlich geht eine Mitarbeiterin tapfer auf die Sprechanlage zu, und als ich sehe, wie sie die Schultern sinken lässt und auf das Display starrt, als müsste sie etwas ablesen, weiß ich Bescheid.

»Es tut mir leid, Ihnen mitteilen zu müssen, dass der Flug United 2477 annulliert wurde. Sie sind alle auf einen Flug umgebucht, der für morgen angesetzt ist. Die Tickets erhalten Sie auf die E-Mail-Adresse, die Sie bei der Buchung angegeben haben. Bitte setzen Sie sich bei Fragen mit unserer Kundenhotline in Verbindung, oder besuchen Sie das Kundendienstbüro neben der Gepäckaufgabe. Wir können hier vor Ort keine Umbuchungen vornehmen. Vielen Dank für Ihr Verständnis.«

Instinktiv hebe ich den Kopf, um zu sehen, wie der Typ auf die Neuigkeit reagiert.

Er hält sich bereits das Handy ans Ohr und nickt. Als er sich im Raum umsieht, ohne etwas wahrzunehmen, begegnen sich unsere Blicke. Er erstarrt, schaut kurz weg und richtet den Blick dann erneut in unbewusstem Erkennen auf mein Gesicht. Es dauert nur eine Sekunde, aber in dieser kurzen Zeitspanne breitet sich eine wilde, unkontrollierte Hitze in mir aus, ehe er blinzelt und stirnrunzelnd den Blick abwendet.

Und nun frage ich mich, woher ermich kennt.

In einer perfekten Welt wäre ich bereits zu Hause. Ich wäre auf einen Direktflug von London nach Los Angeles und nicht auf diese Strecke über Seattle umgebucht worden. In einer perfekten Welt säße ich längst ausgeruht an meinem Computer und würde die Informationsflut aus meinem Gehirn, meinem Handy und meinem Notebook einfach zu einer zusammenhängenden Geschichte zusammenfügen. Auf keinen Fall stände ich in einem Hotel in Seattle hinter diesem perfekten Mann, während ich mich wie ein heruntergekommener Waldschrat fühle.

Vor mir stehen drei Leute in der Schlange, hinter mir vier. Alle kommen wir von demselben gestrichenen Flug, alle brauchen wir Zimmer, und ich habe das beunruhigende Gefühl, dass es schlauer gewesen wäre, mich weiter in die City hineinzuwagen. Ich komme mir vor, als nähme ich ungeplant an einem Rennen teil, und zwar an einem, das ich definitiv verlieren werde.

Der Mann, an dessen Namen ich mich immer noch nicht erinnern kann, hat den Kopf gesenkt und scheint hektisch eine Textnachricht zu tippen, aber als am Hoteleingang Unruhe entsteht – jemand hupt, eine Frau ruft einen Namen –, dreht er sich erschrocken um, und ich kann sein Profil aus der Nähe betrachten.

Auf einmal fällt mir ein, woher ich sein Gesicht kenne: Ich habe eine jüngere Version davon gesehen, als er im Hochsommer auf einer von der Hitze aufgeworfenen Straße in Los Angeles über die Schulter blickte. Als er lachend mit Freunden auf einer Wohnzimmercouch saß, ohne wahrzunehmen, dass ich hinter ihnen durchs Zimmer ging. Geduckt ist er mir spätabends auf dem Flur bei sich zu Hause ausgewichen, als ich auf dem Weg zur Toilette war und er endlich ins Bett gehen wollte.

»Alec?«, sage ich laut.

Erschrocken dreht er sich um, seine Augen sind geweitet. »Wie bitte?«

»Bist du nicht Alec Kim?«

Ein Lachen löst sich aus seiner Kehle, und das Lächeln enthüllt eine Reihe perfekter Zähne. Sein Gesicht offenbart immer wieder neue faszinierende Merkmale. Grübchen. Einen Adamsapfel, der sich beim Lachen auf provozierend männliche Art hebt und senkt. Eine Haut wie Seide. Ich war in den letzten zwei Wochen ständig von schönen Menschen umgeben, aber dieser Mann ist eine ganz andere Liga. Er muss Model sein, alles andere wäre ein Verbrechen.

»Ja, aber …« Mit gerunzelter Stirn sieht er mich fragend an. »Entschuldigung, kennen wir uns?«

Ich habe ihn seit vierzehn Jahren nicht mehr gesehen, und er spricht mit einem neuen, auf hinreißende Art vielschichtigen Akzent.

»Ich bin Georgia Ross«, sage ich, und nun dreht er sich ganz zu mir um, wobei er eine Hand in die Hosentasche schiebt. Die Tatsache, dass er mir seine volle Aufmerksamkeit widmet, wirkt auf mich, als hätte ich einen Sauger in der Brust, der mir die Luft aus der Lunge zieht. »Deine Schwester Sunny und ich waren in der Schule miteinander befreundet. Nach der achten Klasse ist eure Familie nach London gezogen.«

Alec ist sechs Jahre älter als wir, und damals habe ich so heftig für ihn geschwärmt, dass es beinahe wehtat. Jahrelang war er nur der Bruder meiner besten Freundin gewesen: gelegentlich da, immer höflich, meistens unauffällig. Aber dann, wenige Wochen nach meinem dreizehnten Geburtstag, bin ich eines Nachts hinuntergegangen, um mir ein Glas Wasser zu holen, und ertappte ihn dabei, wie er im Kühlschrank nach einem Mitternachtsimbiss suchte – neunzehn Jahre alt, schlaftrunken und ohne Hemd. Danach konnte ich wochenlang an nichts anderes denken als an seinen nackten Oberkörper.

Ich denke an die muskulösen Jungs zurück, die auf der Couch um den Gamecontroller kämpften, an den Jungen mit der nackten Brust, der sich von der Straße abstieß, um seinem Skateboard Schwung zu geben.

Nach der Hälfte seines Studiums an der UCLA zog seine Familie wegen Mr Kims Job nach London, und Alec ging mit. Sunny und ich schrieben uns ungefähr drei Briefe, ehe wir unsere wohldurchdachten Pläne einfach fallen ließen. Sie war von der zweiten bis zur achten Klasse meine beste Freundin gewesen, aber nach dem Umzug habe ich sie nie mehr wiedergesehen.

Alec Kim lässt den Blick über meine Züge wandern. Offensichtlich versucht er das Gesicht, das er vor sich sieht, mit dem des Kindes in Verbindung zu bringen, das er einmal gekannt hat. Na, dann mal viel Glück. Bei unserer letzten Begegnung hatte ich eine Zahnspange, ungezupfte Augenbrauen und Arme so dünn wie Zahnstocher. Ich bin immer noch zierlich, aber nicht mehr das dürre Mädchen von früher. Obwohl ich fast jeden Tag nach der Schule bei ihm zu Hause war, würde ich einen Haufen Geld darauf wetten, dass er sich nicht an mich erinnert.

Trotzdem gibt er sich echt Mühe, die kleine Gigi Ross in der erwachsenen Georgia wiederzuerkennen. Ich habe mir über meine äußere Erscheinung nie allzu viele Gedanken gemacht, aber unter seinem prüfenden Blick wird mir überdeutlich bewusst, dass ich dringend eine Dusche brauche. Sogar meine Augen – mein wohl größter Vorzug, weil sie weit auseinanderstehen, zwischen Braun und Grün changieren und von dichten Wimpern beschattet werden – sind im Moment vermutlich klein und gerötet. Ganz zu schweigen von meinen Haaren. Die waren schon vor fünfzehn Stunden dermaßen fettig, dass ich den letzten Rest meines teuren Trockenshampoos benutzt und mir einen Dutt gemacht habe. In diesem Zustand vor einem solchen Mann zu stehen, ist einfach demütigend.

»Georgia. Genau.« Seine Augen fangen nicht gerade an zu leuchten, als er mich wiedererkennt, aber das ist schon okay. So etwas ist immer einseitig. Für einen Neunzehnjährigen war ich damals quasi unsichtbar. Aber dann hellt sich seine Miene auf. »Moment mal. Gigi?«

Ich grinse. »Ja, Gigi.«

»Wow, das ist echt lange her. Alec bin ich schon seit …«, er überlegt, »… vierzehn Jahren nicht mehr genannt worden.«

»Und wie heißt du jetzt?«

Leicht überrascht sieht er mich an und zögert einen Moment.

»Alexander«, sagt er dann mit funkelndem Blick. »Aber Alec ist völlig okay.«

Ich reiche ihm die Hand.

Er schließt seine schlanken Finger darum und drückt fest zu.

»Freut mich, dich wiederzusehen«, sagt er und zieht die Hand nicht gleich zurück.

Mein schläfriger Körper interpretiert das als Vorspiel und wird sofort überall heiß. Als er mich endlich loslässt, balle ich die Faust und schiebe sie in die Tasche meiner Jeans.

»Wie geht’s Sunny?«

»Es geht ihr großartig.« Ein herzzerreißend perfektes Lächeln breitet sich in Alecs Gesicht aus. »Sie lebt in London, arbeitet als Model. Vielleicht könnt ihr …«

Der Empfangsmitarbeiter beugt sich vor, um unsere Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. »Bitte sehr, wie kann ich Ihnen helfen?«

Alec lässt mir mit einem kurzen Nicken den Vortritt, aber ich spüre noch immer den Händedruck-Sex. Mein Hals fühlt sich an, als würde die Hitze ihn gleich versengen, und ich brauche dringend jemanden, der mich in eine Badewanne steckt und mit einem riesigen Scheuerschwamm abreibt.

»Geh ruhig vor.« Ich winke ihn weiter und gebe vor, etwas zu suchen. Was ich vermutlich auch tue. Und zwar meine Gelassenheit, die – ebenso wie mein Portemonnaie – irgendwo in diesem Rucksack liegen muss. Doch nach wenigen Sekunden kommt eine Frau hinter dem Tresen hervor und nähert sich den letzten fünf Personen in der Schlange, zu denen auch wir gehören.

»Es tut mir sehr leid, aber wir sind für heute Nacht vollständig ausgebucht«, sagt sie schulterzuckend. »Wenn Sie nicht reserviert haben, können wir Sie leider nicht beherbergen. Ich weiß, dass derzeit viele Gruppen in der Stadt sind, aber vielleicht kann Ihnen unser Portier ein paar Adressen nennen.«

Bevor ich reagieren kann, sind die anderen Gäste zum Pult des Pförtners geeilt und stellen sich in umgekehrter Reihenfolge erneut hintereinander auf. Alle verlangen lautstark nach Aufmerksamkeit. Großartig.

Mit gesenktem Kopf schicke ich über das Reiseportal eine E-Mail an das Helpdesk, um mitzuteilen, dass das Hotel, in dem ich mich gerade befinde, ausgebucht ist. Aber inzwischen ist es fast zehn Uhr, und ich habe keine Ahnung, wie lange es dauern wird, bis jemand meine Nachricht liest. Ich versuche auch anzurufen, lande aber auf der Mailbox. Vor Frust und Erschöpfung brennen mir Tränen in den Augen. Ich schließe die Lider und denke nach. Ob ich auf der Couch in der Lobby unbemerkt ein Nickerchen halten kann? Oder soll ich zum Flughafen zurückkehren und mich dort auf einer Sitzbank zusammenrollen? Ich bin auf einen Flug gleich morgen früh um acht umgebucht, brauche also nichts besonders Komfortables.

Als mich jemand am Ellbogen fasst und sanft von dem Empfangstresen wegführt, vor dem ich inzwischen als Einzige aus der Schlange übrig geblieben bin, komme ich erschrocken wieder zu mir.

»Weißt du, wo du übernachten kannst?«, fragt Alec.

»Nein. Ich überlege gerade, was ich tun soll.«

Er blickt auf mich herab. »Soll ich jemanden für dich anrufen?«

Ich schüttele den Kopf. »Ich bin nur so … ich bin müde, und eine Dusche bräuchte ich dringender als den nächsten Atemzug.«

Er legt den Kopf schief und mustert mich für ein paar Sekunden mit entwaffnendem Interesse. »Wenn du willst, kannst du das oben in meinem Zimmer erledigen.«

Sicher meint er das nicht ernst. »Ich … nein, wirklich nicht, ist schon okay.«

»Ich verstehe, wenn dir das unangenehm ist«, versichert er rasch, »aber du bist eine Freundin meiner Familie. Und du siehst aus, als würdest du gleich umfallen. Wenn du also oben duschen willst, ist das wirklich in Ordnung für mich.«

Nach weiteren zwei Sekunden wende ich den Blick ab.

Ich bin auf mein nacktes Selbst reduziert. Sogar meine Hände fühlen sich schmutzig an.

Ich nicke resigniert, dann bedeute ich ihm mit einem Kopfnicken voranzugehen. »Danke.«

Im Aufzug stehen wir so weit wie nur möglich voneinander entfernt, während die Kabine in himmlischer Stille nach oben gleitet. Die Erkenntnis überkommt mich wie eine Plane, die mir jemand über den Kopf wirft: Egal, wie dringend ich eine Dusche brauche, das hier ist eine ganz schlechte Idee. Ich bin eins dreiundsechzig und fahre mit einem Typen nach oben, der locker zwanzig Zentimeter größer ist als ich. Dabei habe ich gerade zwei Wochen damit verbracht, in ganz London Männer aufzuspüren, die den Abschaum der Menschheit darstellen. Ich sollte es also besser wissen.

Ich frage mich, ob Alec dasselbe denkt. Okay, sicher befürchtet er nicht, dass ich ihn physisch überwältigen könnte, aber vielleicht macht er sich Sorgen, weil er nicht weiß, zu was für einem Menschen ich geworden bin, nachdem wir uns aus den Augen verloren haben.

Die Stille ist so vollkommen, dass es sich anfühlt, als hätte eine höhere Macht die ganze Welt stumm geschaltet. Ich starre auf meine Sneakers. Auf dem schimmernden, polierten Boden des Fahrstuhls wirken sie staubig und abgewetzt. Dass er mich beobachtet, merke ich erst, als er etwas sagt.

»Du kannst deiner Freundin eine Textnachricht schicken, wenn du dich unwohl fühlst, oder … Ach Mensch, entschuldige, dass ich nicht gleich darauf gekommen bin! Ich kann auch einfach unten bleiben, bis du fertig bist.«

Ihn aus seinem Zimmer zu verbannen, bis ich fertig bin, kommt mir … unnötig vor. Eigentlich ist er kein Fremder, und wahrscheinlich ist er genauso erschöpft wie ich. Sechs Jahre lang stand ich mit seiner Familie in engem Kontakt, habe ihm unter der Woche fast jeden zweiten Abend am Esstisch gegenübergesessen und die koreanische Hausmannskost seiner Mutter genossen. Er war aufmerksam, eher still und hat gerne Witze gemacht. Himmel, die Achtklässlerin Georgia hätte ihn bewusstlos geküsst, hätte sie jemals Gelegenheit dazu gehabt!

Trotzdem, eine Textnachricht ist eine gute Idee. Wäre ich ausgeruhter, satter und sauberer, wäre mir das vermutlich bereits eingefallen, bevor ich in diesen Aufzug gestiegen bin.

»Welche Zimmernummer hast du?«, frage ich mit krächzender Stimme.

Er schiebt eine Hand in die Jackentasche, holt einen Umschlag heraus und wirft einen Blick darauf.

»Sechsundzwanzig elf.«

Ich schreibe Eden, meiner besten Freundin.

Habe einen alten Freund getroffen. Dusche in seinem Zimmer, die Hotelsituation ist chaotisch. Seattle Airport Marriott. Zimmer 2611. Er ist okay, aber ich schreibe dir innerhalb einer Stunde, damit du weißt, dass es mir gut geht.

Sie antwortet umgehend mit einem schockiert aussehenden Emoji, gefolgt von einem schlichten: Okay.

»Danke«, sage ich und stecke mein Handy wieder ein. Allein die Tatsache, dass er mir vorgeschlagen hat, jemandem zu schreiben, gibt mir ein besseres Gefühl. Er hat eine sanfte, ausgeglichene Ausstrahlung. Ich versuche, mir vorzustellen, wie er mich plötzlich bedroht … Ich meine, schließlich ist nichts unmöglich. Es ist erstaunlich, wie gut Menschen ihre Bösartigkeit verstecken können. »Wie kommt es, dass du ein Zimmer ergattert hast?«

Er lächelt, während er mir die Fahrstuhltür aufhält, damit ich als Erste hinausgehen kann. »Zu meinem Glück hat bereits vor dem großen Ansturm jemand für mich reserviert.«

Nachdem er die Schlüsselkarte an die Tür mit der Aufschrift PRÄSIDENTENSUITE gehalten hat, bedeutet Alec mir, vor ihm einzutreten. Ich bin derart fasziniert von dem, was ich nun sehe, dass ich den langen Flur bereits zur Hälfte durchquert habe, ehe ich mich auf meine guten Manieren besinne. Natürlich steht er noch an der Tür und zieht sich die Schuhe aus. Ich bin total erledigt, sehe alles verschwommen und habe mich selten weniger anmutig gefühlt als in den Sekunden, in denen er mich dabei beobachtet, wie ich mich stolpernd von meinen Vans befreie.

Vorsichtig zieht er seinen glänzenden Rollkoffer an mir vorbei in das Zimmer – oder eher: in die Zimmer. Ich wusste ja, dass es in Hotels Suiten gibt, schließlich habe ich ein- oder zweimal bei übertrieben kostspieligen Ausflügen mit Freundinnen darin übernachtet und auch ein paar Interviews mit wichtigen Leuten dort geführt, aber das hier ist anders. Es ist nicht einfach ein Apartment, es ist ein Luxusapartment. Eine Villa in Form einer Wohnung. Deckenhohe Fenster mit Blick auf die Skyline von Seattle nehmen eine ganze Wand ein. Es gibt ein Wohnzimmer, eine voll ausgestattete Küche und ein separates Esszimmer. Eine Tür führt zu einem Flur, von dem offenbar weitere Zimmer abgehen.

»Wow!«

Er betrachtet mich mit der Andeutung eines Lächelns.

»Du siehst erschöpft aus, Georgia«, stellt er fest.

»Bin ich auch«, räume ich ein, und unsere Blicke begegnen sich. »Ich bin dir sehr dankbar für die Dusche. Danach fahre ich wieder runter und überlege mir, wie es weitergeht.«

»Soll ich wirklich niemanden anrufen, während du im Bad bist?«

Ich schüttele den Kopf. »Wir haben eine Reiseabteilung.«

»Wir?«

»Meine Firma.«

»Ah.« Alec sieht aus, als würde er gern nachhaken, doch dann wandert sein Blick zu meinen hängenden Schultern. Er hebt das Kinn und sagt: »Okay, dann mal los. Ich bleibe hier draußen.«

Obwohl er ein kultivierter Mann ist, wirkt jede noch so kleine Geste wohlüberlegt. Nach den Abgründen, in die ich in den letzten zwei Wochen in London geblickt habe – und nach den vielen Geschichten, die ich gehört habe –, bin ich dankbar für diese ausdrückliche Zusicherung. Und für die abschließbare Badezimmertür.

Sobald ich abgeschlossen habe, lehne ich mich an die Tür und atme durch. Obwohl ich so erschöpft bin, kann ich nicht leugnen, dass Alec Kim nach wie vor eine starke Ausstrahlung hat. Maskulin, unerschütterlich und ernst. Leicht arrogant auf eine Art, die ich äußerst sexy finde, aber … wow, was für ein Unterschied zwischen uns beiden. In meinem derzeitigen Zustand komme ich mir bereits wie eine Diebin vor, wenn ich ihn auch nur andeutungsweise als sexuelles Wesen betrachte.

Ich habe solche Gedanken schon sehr lange nicht mehr gehabt. Seit Monaten, um genau zu sein, und Alec steht in scharfem Kontrast zu dem Mann, der mein Sexgehirn zuletzt bewohnt hat. Spencer hat innerhalb von elf Monaten sämtliche Punkte als bester fester Freund verspielt, die er im Lauf unserer sechsjährigen Beziehung angesammelt hatte. Männer, Sex und der komplizierte Drahtseilakt, sich in Gegenwart eines anderen verletzlich zu zeigen, all das hat seinen früheren Glanz für mich verloren.

Und da wir gerade von Verletzlichkeit sprechen: In den zwanzig Minuten unserer erneuerten Bekanntschaft hat mir Alec Kim so offen und ehrlich in die Augen geschaut, als könnte er mit einem Blick mein ganzes Wesen erfassen.

Spence hatte längst aufgehört, mir ins Gesicht zu sehen, aber das ist mir erst im Nachhinein klar geworden. Irgendwann fing er an, den Augenkontakt auf das Nötigste zu beschränken, selbst wenn er mir das strahlende Lächeln schenkte, das sein Markenzeichen war. Dieses Lächeln war breit, aber sein Blick wanderte dabei über meine Schulter oder nach unten und zur Seite, so als wäre er begeistert von etwas, was draußen vor dem Fenster geschah, oder bezaubert von der Katze, die sich in der Ecke zusammengerollt hatte.

Das allein hätte mich misstrauisch machen müssen, denn als wir uns gerade kennengelernt hatten, starrte er mich ständig an, egal, ob ich nackt oder angezogen war. Einmal sagte er, es sei immer wieder überraschend für ihn, dass ich tatsächlich ihm gehörte. Unsere Clique, mit der wir seit dem College zusammen waren, beneidete uns. Während unsere Freunde die reinsten Chaoten waren, bildeten Spence und ich das verlässliche Herz unserer Gruppe. Wir waren lustig, warmherzig und bodenständig.

Aber nach sechs gemeinsamen Jahren, von denen wir zwei zusammenwohnten, legte sich irgendwie ein Schalter um. An einem Tag waren wir noch Spence-und-G in einem Wort, und am nächsten stimmte etwas nicht mehr. Er klopfte nur kurz an meine Tür, ehe er sich in den Feierabend stürzte. Und er zeigte sich dankbar für das, was ich zum Abendessen auftischte, aber es war eine übertriebene Dankbarkeit, die immer größer wurde, bis sie verzweifelt und geradezu abstoßend wirkte. Auch das hätte mich misstrauisch machen müssen.

Doch zu diesem Zeitpunkt war ich dermaßen damit beschäftigt, meine Karriere voranzutreiben, dass ich kaum vom Schreibtisch aufblickte. Ich dachte, das sei es eben, was man mit Mitte zwanzig so tat. Ich dachte, die Belohnung würden wir später einheimsen: verfügbares Einkommen, Urlaubsreisen, freie Wochenenden. Ich arbeitete achtzehn Stunden am Tag und buhlte als Freiberuflerin um jeden Auftrag. Dann fing ich unter Billy fest in der Auslandsredaktion der L. A. Times an und glaubte, das große Los gezogen zu haben. Währenddessen fehlte mir einfach die Zeit – oder vielmehr nahmichmir nicht die Zeit –, um zu bemerken, wie sehr sich Spence verändert hatte.

Vermutlich hatte auch ich mich verändert. Zwar war ich immer schon ehrgeizig gewesen, aber die ersten Monate bei der Times hatten den schwachen, schwammigen Teil von mir, der nicht wusste, wie er seine Ziele verfolgen sollte, praktisch verdunsten lassen. Ich wurde mental immer härter, weil ich um jede Story, um jede Zeile Text kämpfen musste. Die zermürbenden Stunden, übersprungenen Mahlzeiten und Sprints durch die ganze Stadt ließen mich auch körperlich verhärten. Manchmal verstehe ich, warum Spence es getan hat. Manchmal verstehe ich, warum unsere Freunde sich auf seine Seite geschlagen haben. Manchmal möchte ich ihnen allen verzeihen, nur damit ich es nicht mehr mit mir herumschleppen muss.

Als ich mich von der Tür abstoße und vor den Spiegel stelle, bin ich entsetzt, wie abgespannt mein Gesicht aussieht. Meine Augen sind stark gerötet, die Haut ist fahl und glänzend. Meine Lippen sind spröde, und mein Haarknoten behält sogar dann seine Form, wenn ich den Clip herausnehme.

Grundgütiger, ich stinke!

Während ich meine Klamotten ausziehe, stelle ich mir vor, sie in den Mülleimer zu werfen, meine Jeans und die Socken, ja sogar die Unterwäsche in den kleinen Behälter aus Messing zu stopfen. Ich könnte meinen Koffer in Seattle lassen und müsste nichts davon jemals wiedersehen. Alec würde sich wahrscheinlich nicht einmal darüber wundern – alles, was ich am Leib hatte, liegt nun zerknittert auf dem Boden und sieht aus, als würde es sowieso keinen weiteren Tag mehr überstehen.

Nackt stelle ich die Dusche an und sehe mich ein wenig um, während das Wasser warm wird. Der Badezimmertisch besteht aus massivem Granit, und das Waschbecken ist eine erhöht stehende glänzende Schale aus geblasenem Glas. Die kostenlosen Hygieneartikel in Normalgröße sind in einem luxuriösen Lederkoffer untergebracht. Es ist verwirrend, derartigen Luxus zu genießen, während ich mich kaum noch wie ein Mensch fühle.

Als ich unter den Duschkopf trete, kann ich ein Stöhnen nicht unterdrücken. Noch nie habe ich eine so luxuriöse Dusche benutzt! In den letzten beiden Wochen war ich im Bad außerdem immer in Eile und abgelenkt. Nur schnell abduschen, mir einen Apfel zwischen die Zähne schieben und zur Tür hinausstürmen. An manchen Tagen habe ich mir bloß kaltes Wasser ins Gesicht gespritzt und mir Deo unter die Achseln gesprüht.

Das hier ist die reinste Wonne. Göttlicher Wasserdruck, schäumendes Duschgel, teures Shampoo und ein Conditioner, der so gut riecht, dass ich ihn überhaupt nicht ausspülen will. Aber mir ist bewusst, dass Alec draußen wartet und wahrscheinlich gern schlafen gehen möchte, darum spüle ich mir nun doch die Haare aus – allerdings erst, nachdem ich mich mit dem kleinen Rasierer überall gründlich enthaart und mich mit dem Peeling massiert habe, bis mir am ganzen Körper die Haut prickelt. Das Handtuch ist plüschig weich und riesengroß. Ich putze mir mit einer Zahnbürste aus dem Kosmetikset die Zähne und drehe mich dann um, weil ich nach meinem Koffer greifen will.

Den ich draußen auf dem Flur gelassen habe. Natürlich. Weil natürlich der Flug gecancelt wurde und keine Zimmer mehr frei sind. Und natürlich ist Alec hier, der nun auf den viel schickeren Namen Alexander hört, und er ist ein Gott und ich ein Monster, und natürlich hat er eine riesige Suite, in der er mich duschen lässt, und darum steht mein Koffer natürlich draußen auf dem Flur.

An der Tür hängen zwei Morgenmäntel. Ich nehme einen vom Bügel und schlüpfe hinein. Er ist weich und dick und duftet nach Lavendel. In meinem ganzen Leben habe ich mich noch nie so sauber und erfrischt gefühlt. Zum ersten Mal seit Tagen wage ich zu hoffen, dass ich bald nach Hause kommen und genug Kraft und Energie aufbringen werde, um die Story niederzuschreiben, die mich Tag und Nacht verfolgt.

Als ich auf dem Flur nach meinem Koffer greife, erhasche ich einen Blick auf Alec. Er steht im Wohnzimmer, mit dem Gesicht zum Fenster, die Hände in die Taschen geschoben, und blickt auf die Skyline hinaus. Beim Geräusch meines Rollkoffers auf dem Marmorboden dreht er sich um, und unsere Blicke begegnen sich. In meinem Oberkörper prickelt es, als stünde ich unter Strom.

Alec betrachtet mein sauberes Gesicht und meine nassen, von dem schmuddeligen Knoten befreiten Haare. Sie fallen mir bis zur Taille über den Rücken, und durch die Nässe wirken sie dunkler. Dann wandert sein Blick über meinen Hals, und seine Augen weiten sich …

Ich umklammere den Morgenmantel an der Stelle, wo er kurz zuvor noch auseinanderklaffte. Oh Gott!

Hastig zerre ich meinen Koffer ins Bad und rufe beschämt: »Entschuldigung!«, dann knalle ich die Tür hinter mir zu. Ich weiß nicht, wie viel er von meinen Brüsten gesehen hat, aber er hat definitiv etwas gesehen.

Koffer auf, Haare mit dem Handtuch trocknen, durchbürsten und Bodylotion auftragen. Jetzt kommt der schwierige Teil. Sauber ist nichts mehr, fragt sich nur, was am wenigsten schmutzig ist … Auf eine zweiwöchige Reise nur Handgepäck mitzunehmen, bedeutet, Sachen mehrmals zu tragen. Und obwohl ich das ein oder andere Kleidungsstück in dem Hotel in London mit der Hand gewaschen habe, ist inzwischen alles zerknittert und ausgeleiert – furchtbar!

Ich hole einen BH und ein rotes Jerseykleid mit Dreiviertelärmeln heraus. Knitterfrei, hurra! Bequem, hübsch. Ich schnüffele daran und stelle fest, dass es gut riecht. Vielleicht ist es zu schick für eine Taxifahrt zu einem anderen Hotel, aber anders als bei einer Hose muss ich darunter keinen schmutzigen Slip anziehen.

Ich bin echt ein Wrack!

Nachdem ich alles wieder eingepackt habe, trete ich auf den Flur hinaus.

»Alec«, sage ich dankbar, und er dreht sich um. Seine Miene wirkt plötzlich angespannt, er mustert mich überrascht. »Danke. Im Ernst, nach dieser Dusche fühle ich mich wie ein neuer Mensch.«

Er nickt. »Gern geschehen. Ich bringe dich runter.«

»Das musst du nicht.«

»Es macht mir nichts aus. Ich bin sowieso nicht müde. Wahrscheinlich werde ich unten noch etwas trinken.«

Mein Blick huscht durch den Raum und fällt dabei auf die großzügig bestückte Bar in der Ecke. »Oh. Okay.«

»Ich verbringe viel Zeit allein in Hotelzimmern«, erklärt er und lächelt mich erneut auf verheerende Weise an.

Dieses Lächeln ist anders. Es wirkt wie ein Flirt, ist seltsam vielsagend. Es fühlt sich an, als würde mir jemand langsam mit den Fingerkuppen über den Arm streichen.

Ich drehe mich um und steuere auf die Tür zu, als mir plötzlich bewusst wir, wie nahe wir uns sind. Wobei … eigentlich nicht, denn ich glaube, er hat sich nicht von seinem Standort am Fenster entfernt. Dennoch … eine seltsame Stille hat sich auf den Raum gesenkt, und seine kraftvolle Präsenz lässt die riesige Suite auf die Größe eines Schuhkartons schrumpfen. Obwohl ich mit dem Rücken zu ihm stehe, spüre ich, dass sein Blick meinen Körper abtastet und er gerade festgestellt hat, dass ich unter dem Kleid nackt bin. Okay, vielleicht schaut er in Wirklichkeit hinter meinem Rücken auf sein Handy, und ob ich unter meinem Kleid etwas anhabe oder nicht, ist das Letzte, worüber er nachdenkt. Aber irgendwie fühlt es sich nicht so an. Ich spüre seine Aufmerksamkeit wie glühendes Eisen auf jedem Körperteil, das er sehen kann. Auf der Rückseite meiner Beine, dem unteren Rücken, den Schultern. Auf meiner Hand, als ich mich an der Wand abstütze, um beim Anziehen der Vans nicht das Gleichgewicht zu verlieren … Schuhe, die absolut nicht zu diesem Kleid passen, aber das ist mir inzwischen egal. Alec Kim geht vermutlich nur mit Frauen aus, deren Absätze mindestens zehn Zentimeter hoch sind. Mit Frauen, die perfekt geschminkt aus dem Bett steigen und denen die saubere Unterwäsche nie ausgeht.

Aber in diesem Augenblick bin ich zu müde, um mir Gedanken darüber zu machen, wie ich von hinten aussehe. Wenn der dreiunddreißigjährige Alec Kim mein erwachsenes Ich in dem saubersten Kleidungsstück betrachten möchte, das ich derzeit besitze, werde ich ihn nicht davon abhalten.

2

Er folgt mir auf den Flur hinaus, zum Fahrstuhl, und der schrille Ton, der dessen Ankunft signalisiert, schreckt uns beide auf. Ich erhasche einen Blick auf Alecs noch immer vielsagendes Lächeln, als er sich vorbeugt und mit einem langen, schlanken Finger auf den Knopf für die Lobby drückt, um dann ans andere Ende der Kabine zu treten und mir Platz zu machen, so wie er es bei der Fahrt hinauf zu seiner Suite getan hat.

Ich hole mein Handy heraus und schreibe Eden, dass es mir gut geht, ehe ich zu ihm aufblicke. Ein vertrauter Schmerz trifft mich mitten in die Brust und breitet sich von dort aus. Es ist verrückt, wie schnell sich unsere Körper an das Gefühl der Verliebtheit erinnern.

»Kommst du oft nach L. A.?«, frage ich.

Kaum merklich schüttelt er den Kopf. »Mein letzter Aufenthalt hier ist schon ein paar Jahre her.«

»Bist du auf Geschäftsreise?«

Alec schenkt mir erneut seine entwaffnende Aufmerksamkeit, aber diesmal wirkt seine Miene irgendwie seltsam. Amüsiert ihn meine Frage?

»Ähm … ja.«

»Und was hast du hier zu tun?«

Er dreht sich zu den Türen um, die sich nun öffnen, und streckt einen Arm aus, damit sie sich nicht schließen, während ich hindurchgehe.

»Endlose Meetings.«

Das ist eine merkwürdig nichtssagende Antwort für jemanden, der aussieht wie Gottes Lieblingsprojekt im Atelier für menschliches Design. Aber wenn er in der Unterhaltungsbranche wäre, hätte er es mir sicher sofort erzählt. Ich bin in den letzten Wochen mehr Geschäftsmännern begegnet, als ich zählen kann, und meine Neugier auf seinen Job ist jetzt offiziell erloschen. Ich schicke ein stilles Gebet gen Himmel, dass Alec Kim anders ist als die Manager, mit denen ich in London gesprochen oder von denen ich dort gehört habe. Sicher, er ist attraktiv und höflich, aber ich habe lernen müssen, dass das nichts zu bedeuten hat. Das Böse versteckt sich gern in hübschen Verpackungen.

»Was machst du für ein Gesicht?«, fragt er.

Zum Ausgang und zur Hotelbar geht es, vom Fahrstuhl aus gesehen, in dieselbe Richtung, also durchqueren wir zusammen die Lobby, wobei ich zwei Schritte brauche, wenn er einen macht. Ich kann es kaum erwarten, das Hotel zu verlassen und mir woanders ein Zimmer zu suchen, doch gleichzeitig graut mir vor dem Moment, in dem das warme Vibrieren aufhört, das ich so dicht an seiner Seite verspüre.

»Was für ein Gesicht mache ich denn?«

»Hast du etwas gegen Meetings?«, fragt er zurück, und seine Augen funkeln belustigt.

»Sagen wir mal so: Es gibt da draußen bestimmt großartige Geschäftsmänner, allerdings bin ich in den letzten Wochen keinem von ihnen begegnet.«

In der Nähe des Ausgangs bleiben wir stehen. Er muss nach links weitergehen, ich geradeaus.

»Ich hoffe, ich bin die Ausnahme«, sagt er leise.

»Du bist toll.« Ein … zwei … drei Sekunden sehen wir uns in die Augen, dann wende ich den Blick ab. Das Gefühl, hoffnungslos in ihn verknallt zu sein, ist wieder da, hartnäckig und heiß.

»Und was hast du in London gemacht?«, fragt er, als ich gerade den Mund öffne, um mich von ihm zu verabschieden.

»Ich habe dort für eine Story recherchiert.«

»Für einen Roman?«

Ich schüttele den Kopf. »Ich bin Journalistin.«

»Ah.« Sein Gesichtsausdruck verändert sich kaum merklich, aber ich registriere es trotzdem. »Welches Blatt?«

»L. A. Times.«

Er zieht eine Braue hoch, offenbar ist er beeindruckt.

»Worum geht es bei der Story?«, will er wissen.

Lächelnd beiße ich mir auf die Unterlippe. Wenn ich ihn mir so ansehe, ist mir klar, dass er gut vernetzt ist, und wenn er ein gut vernetzter Londoner Geschäftsmann ist, stehen die Chancen nicht schlecht, dass er vom Jupiter gehört hat. Vielleicht war er sogar Gast in dem Klub.

»Es geht um eine Gruppe von Menschen, die sehr schlimme Dinge tun«, beginne ich vorsichtig.

Alec blinzelt mich an, und dann sagt er etwas, womit ich nicht gerechnet habe.

»Das klingt nach einer zermürbenden Aufgabe. Bist du wirklich noch bereit, dir ein Hotel zu suchen?«

»Ja, kein Problem.« Ich schiebe mir den Riemen meines Rucksacks auf die Schulter. »Aber danke noch mal, dass ich bei dir duschen durfte. Ich fühle mich wie ein neuer Mensch«, sage ich und deute mit dem Kopf in Richtung Ausgang. »Ich werde mir ein Taxi nehmen.«

»Nimm lieber das Schlafzimmer, Georgia«, versetzt er. »Das oben, meine ich.«

»In deiner Suite?« Ich muss lachen. »Auf keinen Fall. Das geht nicht.«

Er atmet tief durch. »Na komm.«

Dieses leise »Na komm«verändert sein Auftreten komplett. Er ist derselbe Mann wie vor einer Sekunde, wirkt aber sanfter, irgendwie echter.

»Du hast noch kein Zimmer gebucht, und es klang vorhin so, als gäbe es nicht mehr viele hier in der Gegend«, argumentiert er.

»Ich habe von der Lobby aus eine E-Mail geschrieben«, sage ich und füge hinzu: »Ich bin mir sicher, dass unsere Reiseabteilung ein Zimmer für mich reserviert hat.« Es klingt nicht überzeugt.

Er hebt das Kinn, als wollte er mich auffordern: Na, dann check doch mal dein Handy. Ich tue es und sehe einen verpassten Anruf sowie eine Sprachnachricht von Linda aus der Reiseabteilung.

Alec sieht mir zu, als ich das Handy an mein Ohr hebe, und seine Miene verändert sich gleichzeitig mit meiner: hoffnungsvoll geweitete Augen, dann niedergeschlagen gerunzelte Stirn.

Ich stecke das Handy wieder in meinen Rucksack. »In der Stadt gibt es eine große wissenschaftliche Tagung. Sämtliche Hotels am Flughafen und in der Innenstadt sind voll.«

»Alles ausgebucht?«

»Jedenfalls alles hier in der Nähe. Sie haben mir ein Zimmer in einem Motel in Bellingham besorgt.«

»Das ist fast zwei Stunden vom Flughafen Seattle-Tacoma entfernt.« Er schiebt den Hemdärmel zurück und wirft einen Blick auf eine sichtlich teure Armbanduhr. »Und es ist schon fast elf.«

Stöhnend schaue ich an die Decke. »Ich weiß.«

»Und du fliegst morgen früh um acht?« Als ich nicke, runzelt er ein weiteres Mal die Stirn. »Im Ernst, Georgia.«

Ich atme tief durch. Was er mir anbietet, klingt bequem, aber auch sehr heikel.

»Ich fürchte, das wäre eine Zumutung für dich«, gestehe ich. »Es wäre mir peinlich, dieses Angebot anzunehmen.«

Er blickt zur Seite. Sein Kiefer zuckt, und für einen Augenblick scheint es, als wollte er mit mir über meine persönlichen Grenzen diskutieren. Doch dann überlegt er es sich anders.

»Okay. Aber komm auf einen Drink mit in die Bar, während du dir etwas suchst, was nicht ganz so weit entfernt ist. Ich kann dich doch nicht mitten in der Nacht losschicken, damit du dir ein Hotel suchst.«

»Genau dafür gibt es Taxis!«, protestiere ich, folge ihm aber dennoch.

Er führt mich zu einer schummrigen, abgelegenen Ecke und deutet auf einen niedrigen, von Couches umgebenen Tisch.

»Schon möglich. Aber du bist klein, und draußen ist es kalt.« Er beobachtet, wie ich mich setze und mir das Kleid über die Schenkel ziehe. Und du trägst keinen Slip, scheint er hinzufügen zu wollen, aber vielleicht denke ich das auch nur.

Mitten auf dem Tisch steht eine kleine Ölkerze, und während Alec die Cocktailkarte studiert, mustere ich ihn so unauffällig wie möglich. Seine Hände sind ein Liebessonett an die Männlichkeit. Sein Hals ist der reinste Porno. Und obwohl der Mensch, der mir gegenübersitzt, jetzt ein erwachsener Mann ist, kommen mir die Umrisse seines Gesichts sehr vertraut vor. Es ist, als hätte ich ihn gestern und nicht vor vierzehn Jahren das letzte Mal gesehen. Als Kind habe ich so viel Zeit bei ihm zu Hause verbracht, dass ich ungefähr die Hälfte von dem verstand, was seine Mutter auf Koreanisch zu ihren Kindern sagte.

Ich frage mich, wie es Sunny heute wohl geht und ob sie London am Ende tatsächlich lieben gelernt hat, wie ich es prophezeit hatte. Ob meine schüchterne beste Freundin einen Menschen hatte, dem sie genug vertraute, um ihm von ihrem ersten Kuss, ihrem ersten Liebeskummer, ihren Sorgen und Erfolgen zu erzählen.

Alec räuspert sich, während er sein Handy checkt, und ich richte meine Aufmerksamkeit wieder auf ihn. Er ist ein optischer Leckerbissen, den ich genießen möchte. Ich will seinen Anblick tief in mich aufnehmen und in meinem Gedächtnis speichern. In seinem Gesicht erkenne ich seine Eltern wieder: die Grübchen und Wangenknochen seiner Mutter, die Größe und den langen, schlanken Hals seines Vaters.

Und dann fällt mir wieder ein, dass ich mich nach einer Unterkunft umsehen sollte, anstatt die Wölbung seines Adamsapfels oder seine nachdenklich geschürzten Lippen zu betrachten. Ich hole mein Handy heraus, doch ich habe die Reise-App kaum geöffnet, da greift er nach meiner Hand und drückt sie sanft auf die Tischplatte hinunter.

»Hey«, sagt er. »Du hast die Suite gesehen, sie ist riesig. Lass es sein. Wir reden hier über ein paar Stunden Schlaf in getrennten Räumen.«

Ich reibe mir das Gesicht. »Ist das nicht total schräg?«

»Du bist diejenige, die eine große Sache daraus macht.« Er späht über meine Schulter, überprüft den Raum hinter mir.

An der Bar hocken eine Handvoll Gäste, und auch an den Tischen sitzen ein paar Leute, aber in dieser winzigen dunklen Ecke befindet sich außer uns niemand. Alec lässt sich wieder auf das Sofa fallen.

»Okay«, gebe ich mich geschlagen. »Aber ich bestehe darauf, dass wir uns die Kosten teilen.«

»Was ich selbstverständlich ablehne«, sagt er und gönnt mir einen Blick auf seine herrlichen Grübchen. »Außerdem bist du Journalistin. Fangen nicht alle großartigen Storys so an?«

»Was glaubst du denn, was für Storys ich schreibe?«, frage ich grinsend. »Gestrandet in einer fremden Stadt, und im Wirtshaus ist nur noch ein Zimmer frei? Ich schreibe nicht für Penthouse.«

Er starrt mich an und verzieht erstaunt das Gesicht. Allmählich dringen meine eigenen Worte an mein Ohr.

»Oh mein Gott!« Ich schlage die Hände vors Gesicht. »Ich kann nicht glauben, dass ich das gesagt habe.«

Mir gegenüber fängt Alec schallend an zu lachen.

»Okay, du willst mir nicht sagen, was du schreibst, aber das wollte ich bestimmt nicht andeuten«, versichert er.

»Ich weiß«, sage ich und lache entsetzt auf. »Jetzt kann ich wirklich nicht mehr bei dir schlafen.«

Er fährt sich mit einer Hand übers Gesicht und wird wieder ernst. »Nein. Fangen wir noch mal von vorne an.«

»Okay.«

Mit glänzenden Augen starren wir einander an. Schließlich wenden wir beide den Blick ab und … Himmel, was passiert hier? Mein Gehirn ist dermaßen überlastet, dass es mir nicht gelingt, uns aus dieser Nummer herauszuholen.

Zum Glück kommt in diesem Moment die Kellnerin, um unsere Bestellung aufzunehmen – Zinfandel für mich, Whiskey pur für ihn. Als sie wieder geht, lehnt Alec sich zurück und streckt die Arme auf der Sofalehne aus.

»Das war gutes Timing«, stellt er fest.

»Diesen Reset haben wir gebraucht«, stimme ich ihm zu.

»Erzähl mir mehr von deinem Job«, bittet er mich. »War es nicht so, dass ihr immer Detektiv gespielt habt, Sunny und du?«

Ich lache. »Dass du das noch weißt!«

»Ihr beide seid immer mit Notizblöcken herumgelaufen und habt nach Hinweisen auf Verbrechen gesucht.« Er mustert mich amüsiert. »Wahrscheinlich sollte es mich nicht überraschen, dass du heute für die L. A. Times arbeitest, aber es ist trotzdem eine große Sache.«

»Danke.« Stolz wärmt mir die Brust.

»Wie bist du dort gelandet?«

»Ich habe erst vor einem Jahr angefangen, aber bisher finde ich es super. Ich habe an der USC Journalismus studiert und mich danach tierisch rangehalten, um Storys an Land zu ziehen, egal, wo. Eine Zeit lang habe ich für die OC Weekly als Gerichtsreporterin gearbeitet – und freiberuflich für jede Website, die mich haben wollte. Aber mein Lieblingsprojekt war eine Reportage über einen Mann in Simi Valley, der jeden Monat ein Porträt von seiner Frau gemalt hat, die mehr und mehr von ihrer Parkinson-Erkrankung gezeichnet war. Der New Yorker hat die Geschichte gebracht, und ich bekam ein Jobangebot von der Times.«

»Der New Yorker?«Er starrt mich an, als sähe er mich zum ersten Mal. »Wie altbist du?«

»Genauso alt wie Sunny.«

Amüsiert zieht Alec eine Braue hoch. »Das ist eine beeindruckende Vita für eine Siebenundzwanzigjährige.«

»Manchmal übertreibe ich es ein bisschen mit dem Arbeiten«, gebe ich mit einem kleinen Lächeln zu.

Ein Grübchen blitzt auf und verschwindet wieder. »Kann ich mir vorstellen.«

»In welcher Branche bist du?«, frage ich, um das Thema zu wechseln. Jetzt bin ich nicht mehr stolz, sondern komme mir wie eine Angeberin vor.

Die Kellnerin bringt uns die Getränke. Alec dankt ihr und hebt das Glas, um mit mir anzustoßen.

»Ich arbeite beim Fernsehen«, antwortet er dann.

Aha, also doch! Aber auch: gähn, wie langweilig. Ich betrachte sein Outfit, erinnere mich an seinen glatten Lederkoffer.

»Lass mich raten: Geschäftsentwicklung bei einem neuen Streamingdienst?«

Er lacht und setzt das Glas an die Lippen. »Nope.«

»Vertragsanwalt?«

»Himmel, nein.«

Ich mustere ihn aus schmalen Augen. »BBC-Manager, in die Staaten gereist, um mit amerikanischen Sendern über eine Serie zu verhandeln?«

Alec zögert und lässt sein Glas auf halbem Weg zurück zum Tisch in der Luft schweben. »Das kommt der Wahrheit tatsächlich schockierend nahe.«

»Tatsächlich? Verrückt. Meine Mitbewohnerin Eden lebt und atmet praktisch BBC.«

Mit einem kleinen Grinsen setzt er das Glas ab. »Ach ja?«

»Ich weiß, es ist beschämend, wenn man heutzutage nicht fernsieht«, gebe ich zu, »aber meine Arbeit nimmt mich dermaßen in Anspruch, dass fast alles an mir vorbeigegangen ist, was die Leute in den letzten Jahren wie besessen geschaut haben. Sag mir, woran du arbeitest, damit sich das ändert. Eden behauptet, das Fernsehen sei der Ort, an dem sich heutzutage die Kreativität entfaltet, und ich verpasse alles.«

Er winkt ab. »Nicht jeder muss fernsehen.«

»Wenn ich erzählte, dass du für die BBC arbeitest, dreht sie durch«, sage ich.

Alec lacht.

»Welche Sendung? Ich werde es ihr texten. Sie hat sie garantiert gesehen.«

»Sie heißt The West Midlands«, verrät er, und seine Lippen verformen sich zu einem schiefen Grinsen.

Ich tippe einen kurzen Text:

Dieser alte Freund, dem ich begegnet bin … Er sagt, er arbeitet bei The West Midlands für die BBC. Die Sendung magst du doch, oder?

Eden antwortet sofort mit einer Reihe zusammenhangloser Emojis. Ich drehe mein Handy um und zeige ihm die Nachricht.

»Siehst du? Sie kennt die Sendung. Wie cool.« Ich lasse das Handy wieder in meiner Handtasche verschwinden und trinke einen kleinen Schluck Wein. »Ich wette, der Job macht Spaß.«

»Stimmt.« Er zögert. »An was für einer Story schreibst du gerade? Zwei Wochen in London sind eine lange Zeit für einen Auftrag, denke ich.«

»Ursprünglich war nur eine Woche vorgesehen, aber dann hat die Sache eine Wendung genommen, die mehr Arbeit erforderte, und ich habe darum gebeten, noch bleiben zu dürfen.«

Tatsächlich habe ich darum gebettelt.

»Inwiefern mehr Arbeit?«

Innerlich stelle ich eine Berechnung an. Ich könnte ihm von der Story erzählen, um abzuschätzen, ob er mir letztlich von Nutzen sein könnte. Er ist Geschäftsmann und definitiv gut vernetzt. Natürlich ist es reine Spekulation, aber wäre es nicht verrückt, wenn dieser ungemütliche Zwischenstopp mir irgendwie dabei helfen würde, diese Geschichte zu entwirren? Bei dem Gedanken werde ich wieder munter.

»Okay, eine Frage: Hast du schon mal etwas von einem Klub namens Jupiter gehört?«

Ich betrachte ihn aufmerksam, suche nach Anzeichen dafür, dass er eine Maske aufsetzt. Aber ich sehe nur ein winziges nachdenkliches Stirnrunzeln, und nach einer Sekunde schüttelt er kaum merklich den Kopf.

»Das ist ein Nachtklub, oder?«, fragt er zögerlich, und ich nicke. »Kürzlich kam etwas darüber in den Nachrichten.«

»Genau.« Ich trinke noch einen Schluck Wein. »Du hast wahrscheinlich von dem Türsteher gehört, der in einer kleinen Straße hinter dem Klub zusammengeschlagen wurde, und zwar in derselben Nacht, in der er seinen Vorgesetzten über Schikanen am Arbeitsplatz informiert hat. Danach hat er über die Vorfälle getwittert und geschrieben, dass die Polizei nichts unternommen hat.«

Alec nickt. »Ja, ich glaube, so etwas habe ich gelesen.«

»Also, das war alles, was die Londoner Presse darüber berichtet hat, danach sind sie wieder zur Tagesordnung übergegangen. Offenbar hat niemand bemerkt, dass derselbe Türsteher etwa eine Woche später Bildschirmfotos veröffentlicht hat, auf denen einige der Klubbesitzer dabei zu sehen sind, wie sie in einem Onlineforum Sexvideos teilen. Jemand hatte ihm die Bilder zugeschickt.« Ich zögere, versuche, Alecs Reaktion einzuschätzen. »Angeblich sind die Klubbesitzer auf den Videos beim Sex mit Frauen in den VIP-Räumen des Jupiter zu sehen. Aber am nächsten Tag waren die Bildschirmfotos verschwunden und der Twitteraccount des Türstehers gelöscht.«

Alecs Gesicht lässt keine Reaktion erkennen. Er weiß also nichts von alledem – und ich bin tatsächlich erleichtert. In London wird nicht viel über die Sache geredet, und es hätte kein gutes Licht auf ihn geworfen, wenn er etwas über das Jupiter gehört hätte.

»Ich bin also hingeflogen, um über eine sehr trockene internationale Tagung zum Thema Arzneimittelrecht zu berichten, aber eigentlich habe ich mich nur wegen dieser Jupiter-Geschichte erboten, über den Kongress zu schreiben«, fahre ich fort. »Nachdem ich diese Tweets gesehen hatte, ist mir die Sache wochenlang nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Ich hielt es für möglich, dass dieser Rausschmeißer etwas über zwielichtige Vorgänge in dem Klub wusste und zusammengeschlagen wurde, weil er sie seinem Chef gemeldet hatte. Irgendetwas sagte mir, dass er die Mainstream-Medien informieren wollte.«

»Okay«, meint Alec zögerlich. »Aber … jetzt glaubst du das nicht mehr?«

Ich stelle mein Glas ab und gebe mir Mühe, nicht verärgert zu klingen, als ich daran denke, wie Jamil, der Türsteher, sich standhaft geweigert hat, mit uns zu reden, als wir ihn endlich aufgespürt hatten.

»Oh, ich glaube es immer noch. Tatsächlich spüre ich es regelrecht in den Knochen, dass ihn jemand bedroht. Darum hat mein Chef mir auch erlaubt, noch zu bleiben. Und je mehr ich von dem mitbekomme, was in diesen VIP-Räumen passiert – je schrecklicher es wird –, desto weniger kann ich mir vorstellen, die Sache auf sich beruhen zu lassen.«

Für einen langen Moment mustert Alec mich schweigend. Ich erwarte, dass er mich fragt, wie ich das meine, und dass er wissen will, was ich in diesem Zusammenhang unter »schrecklich« verstehe. Aber entweder verbieten ihm seine guten Manieren, mich zu bedrängen, oder er sieht, wie erschöpft ich bin, denn er sagt nur: »Nun, dann ist es gut, dass du hart an dieser Sache arbeitest.«

Ich brauche einen Themenwechsel. »Wir haben vorhin über Sunny gesprochen.«

Er blinzelt. Offenbar ist der Übergang vom Sexskandal zu Infos über seine Schwester allzu abrupt. Ich muss wirklich sehr dringend meine sozialen Fähigkeiten auf Vordermann bringen.

»Wie …?«, setzt er an, runzelt dann aber die Stirn und sagt: »Oh. Ja. Es geht ihr gut. Du hättest sie in London besuchen sollen.«

Ich ziehe das Weinglas zu mir heran. »Würde sie sich überhaupt an mich erinnern?«

»Natürlich. Ihr beide wart unzertrennlich.«

Bei der Erinnerung runzle ich ein wenig die Stirn. »Stimmt, das waren wir.«

Er beugt sich vor und greift nach seinem Glas, ehe er sich wieder zurücklehnt. »Ich weiß noch, wie ihr für die Talentshow Sunnys Kleider zerschnitten habt. Umma ist völlig durchgedreht.«

Ich lache, zucke bei der Erinnerung aber auch zusammen.

»Sie war … nicht gerade glücklich darüber. Aber sie hätte meine Eltern anrufen können und hat es nicht getan. Dafür mussten wir einen Monat lang jeden Tag nach der Schule in ihrem Garten Unkraut jäten.«

»Das war eine milde Strafe«, sagt er mit einem schiefen Lächeln. »Ich bin ein einziges Mal ohne Erlaubnis mit dem Auto gefahren und musste dafür mit meinen eigenen Ersparnissen die Terrasse hinterm Haus renovieren. Eine Woche nachdem ich fertig war, sind wir umgezogen.«

Ich ziehe eine Grimasse. »Uff.«

»Der Umzug nach Großbritannien war schwer für Sunny«, fährt er fort.

»Das glaube ich dir gern.« Seine Worte berühren eine Wunde, die ich längst verheilt geglaubt habe. »Für mich war es auch schwer. Es ist nicht gerade einfach, in der neunten Klasse neue Freunde zu finden.«

Er lacht. »Wer hätte das gedacht?«

Ich grinse ihn an und nehme noch einen Schluck. »Jeder?«

Das bringt ihn erneut zum Lachen. Ich liebe den Klang seiner Stimme. Sie ist so tief und sanft … ich wette, er hat noch nie im Leben geschrien. Und sein Lachen hat den gleichen ruhigen Nachhall.

»Aber es geht ihr gut?«

Er schluckt und nickt. »Sie modelt. Es ist ein harter Job, und die Modeszene in London ist echt brutal, aber sie kommt zurecht. Vielleicht hast du mal eine Printwerbung mit ihr gesehen?«

Ich schüttle den Kopf. »Ich wünschte, ich hätte gewusst, dass ich darauf achten soll. Arbeitet sie unter ihrem eigenen Namen? Ich sollte sie wirklich mal besuchen.«

»Unter ihrem richtigen Namen, ja. Kim Min-sun.«

»Und eure Eltern?«

»Sie sind im Ruhestand, leben in der Nähe von London. Es geht ihnen gut.« Alecs Lächeln kann viele verschiedene Formen annehmen, diesmal ist es auf liebenswerte Weise höflich. Es ist das Lächeln, das er mir geschenkt hat, wenn ich ihm beim Abendessen das Salz reichte oder wenn er angewiesen wurde, mir Gute Nacht zu sagen, bevor ich nach Hause ging. »Ich werde ihnen ausrichten, dass du dich nach ihnen erkundigt hast.«

»Danke. Sag deiner Mutter, dass ich eine großartige Unkrautvernichterin bin und dass ich das nur ihr zu verdanken habe.« Wir schweigen ein paar Sekunden, wobei wir beide in unser Glas blicken. »Was hast du gemacht, nachdem ihr umgezogen seid?«, frage ich dann.

Bevor er antwortet, nimmt er noch einen Schluck. »Ich bin nach dem Studium nach Seoul gezogen. Nach London bin ich vor …« Er zögert, denkt nach. »Mal sehen … vor etwas mehr als drei Jahren zurückgekehrt.«

Ich bemerke, dass ich es an seinem Akzent höre, und es gefällt mir. »Oh, wow. Du hast in Korea gelebt?«

»Ja.« Sein Lächeln erstirbt.

Es ist der Tod jedes Small Talks, jemanden nach seiner Familie auszufragen, sich rasch auf den neuesten Stand bringen zu lassen, weil sich das Wissen über das Leben des anderen darin erschöpft. Die erotischen Anspielungen haben wir zu einem ungünstigen Zeitpunkt gemacht. Ich überlege fieberhaft, ob ich ihn nach etwas Fesselnderem fragen kann, aber alles, was mir einfällt, kommt mir völlig unangemessen vor.

Bist du verheiratet?

Sind deine Hände so stark, wie sie aussehen?

Wie siehst du nackt aus?

Endlich gelingt es mir, ein paar Worte aneinanderzureihen. Unglücklicherweise tut er dasselbe, und wir platzen gleichzeitig in sich überschneidender Unbeholfenheit mit unseren Fragen heraus:

»Wie lange bleibst du in L.A.?« – »Wie geht es deinen Eltern?«

»Entschuldigung«, sagen wir wie aus einem Mund.

»Du zuerst!« Ebenfalls gleichzeitig.

Ich schlage mir eine Hand vor den Mund und zeige mit der anderen auf ihn.

»Du«, murmele ich in meine Handfläche.

»Ich bleibe ein paar Wochen in L. A.«, beantwortet er lachend meine Frage. »Tatsächlich sind zwei meiner Kollegen schon vorgestern nach Los Angeles aufgebrochen. Ich wurde aufgehalten, aber wir treffen uns dort.« Er nippt an seinem Glas. »Und jetzt bist du dran. Wie geht es deinen Eltern?«

»Gut. Sie bleiben noch bis nächste Woche in Europa.«

Seine Augen werden schmal, und er nickt. »Sie sind viel gereist, oder? Dein Vater war doch Diplomat, habe ich das richtig in Erinnerung?«

»Fast. Er arbeitet für das Auswärtige Amt. Mom begleitet ihn so oft wie möglich auf seinen Reisen.« Ich füge nicht hinzu, dass dies Moms erste Reise ist, seit Spence und ich uns getrennt haben, dass sie ihr Leben praktisch auf Eis gelegt hat, um mir beim Aufsammeln der Scherben zu helfen. Hastig spüle ich den unangenehmen Kloß in meinem Hals mit einem Schluck Wein hinunter. »Hast du sie eigentlich mal kennengelernt?«

»Ich bin ihnen ein- oder zweimal begegnet, als ich Sunny bei euch abgeholt habe. Wenn ich mich recht erinnere, ist dein Vater sehr groß und deine Mutter …«

»… sehr klein«, vollende ich lachend seinen Satz und nicke. Mein Vater ist eins dreiundneunzig groß, und meine Mutter ist gerade mal eins sechzig. »Ich habe immer gehofft, ich hätte die Größe von ihm geerbt …«, sage ich und deute auf mich selbst. »Ich bin so eine, die immer dafür sorgt, dass der Arzt eins zweiundsechzig Komma fünf in die Patientenakte schreibt.«

Er lächelt mich an und leckt sich auf verwirrende Art über die Lippen. Tatsächlich wirkt das auf mich so verwirrend, dass ich eine Sekunde brauche, um seine nächste Frage zu verarbeiten. Und dann stürzt sich mein Herz von der Klippe.