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In Schweden stirbt es sich am schönsten E-Book

Anders de la Motte

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Beschreibung

Sommer, Sonne, Schweden-Tod: Im idyllischen Österlen wird der Mord an einem Antiquitätenhändler zum neuen Fall für Vollblut-Städter Peter Vinston und die lokale Jung-Kommissarin Tove Esping. Mitten im geruhsamen Hochsommer gerät das süd-schwedische Österlen in helle Aufregung: Auf dem bekannten Antiquitäten-Markt von Degeberga sitzt ein Händler tot in seinem Zelt, einen antiken Dolch im Rücken. Nur zu gern lässt sich der beurlaubte Mord-Ermittler Peter Vinston aus Stockholm auch in diesen Fall hineinziehen – sehr zum Ärger der jungen Kommissarin Tove Esping, die sich endlich beweisen will.  Bald muss das ungleiche Ermittler-Duo feststellen, dass die Welt der Antiquitäten so einige schräge Typen und dunkle Geheimnisse birgt. Aber wer würde für den Fund seines Lebens einen Mord begehen? Schwedisch, sommerlich und herrlich skurril: Mit »In Schweden stirbt es sich am schönsten« liefern die Bestseller-Autoren Anders de la Motte und Måns Nilsson unblutig-spannende Urlaubslektüre für alle Cosy-Krimi-Fans. »Ein sehr humorvoller Cosy-Krimi! Ein gut aufgebauter Plot mit schrägen Figuren in süd-schwedischer Landschaft garantiert Lesevergnügen der entspannten Art.« Krimi-Couch über Der Tod macht Urlaub in Schweden, den ersten Mord-Fall in Österlen für Peter Vinston und Tove Esping

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Seitenzahl: 502

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Anders de la Motte / Måns Nilsson

In Schweden stirbt es sich am schönsten

Kriminalroman

Aus dem Schwedischen von Marie-Sophie Kasten

Knaur eBooks

Über dieses Buch

Das Morden im Norden geht weiter

 

Mitten im geruhsamen Hochsommer gerät das süd-schwedische Österlen in helle Aufregung: Auf dem Antiquitäten-Markt von Degeberga wird ein Händler tot in seinem Campingstuhl entdeckt, einen antiken Dolch im Rücken. Nur zu gern lässt sich der berurlaubte Mordermittler Peter Vinston aus Stockholm in diesen Fall verstricken – sehr zum Ärger der jungen Kommissarin Tove Esping, die sich auf ihre erste Solo-Ermittlung gefreut hatte.

Bald muss das ungleiche Ermittler-Duo feststellen, dass die Welt der Antiquitäten von schrägen Typen bevölkert wird. Aber wer würde für den Fund seines Lebens einen Mord begehen?

 

Mit »In Schweden stirbt es sich am schönsten« liefern die Bestseller-Autoren Anders de la Motte und Måns Nilsson beste Urlaubslektüre für alle, die unblutigen Nervenkitzel suchen.

Inhaltsübersicht

Personengalerie

Prolog

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

37. Kapitel

38. Kapitel

39. Kapitel

40. Kapitel

41. Kapitel

42. Kapitel

43. Kapitel

44. Kapitel

45. Kapitel

46. Kapitel

47. Kapitel

48. Kapitel

49. Kapitel

50. Kapitel

51. Kapitel

52. Kapitel

53. Kapitel

54. Kapitel

Epilog

Wir lieben Österlen und haben uns bemüht, Geografie und Geschichte der Region so korrekt wie möglich zu beschreiben. In manchen Fällen haben wir uns allerdings zugunsten der Handlung gewisse Freiheiten erlaubt.

Alle Charaktere sind fiktiv, eventuelle Ähnlichkeiten mit realen Personen rein zufällig.

Personengalerie

Peter Vinston, 49: Kriminalkommissar bei der Mordkommission Stockholm

Tove Esping, 28: Kriminalassistentin bei der Polizei von Simrishamn

Christina Löwenhjelm, 49: Psychologin und Peter Vinstons Ex-Frau

Poppe Löwenhjelm, 54: Herr auf Schloss Gärsnäs und Christinas neuer Ehemann

Amanda Vinston, 16: Peters und Christinas Tochter

Lars-Göran »L-G« Olofsson, 60: Bienenzüchter und Polizeichef von Simrishamn

Thyra Borén, 52: Chefkriminaltechnikerin

Jonna Osterman, 44: Reporterin und Chefredakteurin beim Cimbrishamner Tagblatt

Felicia Oduya, 33: Betreiberin von Felicias Kaffeehaus in Komstad

Lennart »Nalle« Persson, 61: Haushaltsauflöser und Mitinhaber von Rasks Gebrauchtmöbelhandel in Gladsax

Susanne »Sussi« Persson, 57: Nalles Frau, Mitinhaberin von Rasks Gebrauchtmöbelhandel in Gladsax

Jimmy Persson, 29: Nalles und Sussis Sohn

Gert »China-Gert« Zillén, 71: Sammler und Experte für chinesisches Porzellan

Mats Lindeman, 59: Inhaber von Lindemans Auktionsunternehmen in Tomelilla

Fabian »Fabbe« Anderklew, 52: Experte für Antiquitäten und Mitinhaber des Auktionshauses Malmö

Renata Jönsson-Kaminsky, 39: Staatsanwältin an der Anwaltskammer von Südschonen

Anna Tyche, 42: Antiquitätenhändlerin mit Geschäft in Malmö

Pia Larsson, 60: Ökonomin und Golferin mit Interesse für Gartenbau

Svensk und Öhlander: Polizisten bei der Polizei von Simrishamn

Hinze und Kuntz: Kriminalkommissare aus Ystad

Hund Bob: Felicias Collie, der im Kaffeehaus herumhängt

Katze Pluto: Hofkatze, die um die Bäckastuga herumschleicht

Prolog

Es war erst vier Uhr morgens, bis zur Dämmerung würde es noch eine knappe Stunde dauern, aber zwischen den Marktständen und den parkenden Fahrzeugen leuchteten hier und da schon die Lichter von Taschenlampen auf. Unruhig flackernd, als wollten ihre Besitzer nicht unnötig Aufmerksamkeit erregen. Nebelschleier, die über dem taufrischen Gras schwebten, sowie leise, fast flüsternde Verhandlungen zwischen den Zeltwänden verstärkten den Eindruck, dass hier etwas Geheimes vor sich ging.

Es war der vierte Sonntag im Juli, der alljährliche Antik- und Sammlermarkt von Degeberga öffnete offiziell erst um acht Uhr, aber alle, die sich mit Antiquitäten auskannten, wussten, dass man die besten Geschäfte sehr viel früher machte, im Schein einer Taschenlampe, begleitet vom diskreten Rascheln von Bargeld.

Der Markt fand ein wenig außerhalb des Dorfes statt, im Tal des Flüsschens Mörkavad, an einer Stelle, die auf alten Karten als Trollelier bezeichnet wird. Ein hübscher Name, dessen Ursprung niemand so richtig kannte. Trolle und Kobolde waren Teil der lokalen Folklore, seit sich Menschen in der landschaftlich schönen Gegend angesiedelt hatten.

Nicht weit von hier, an den Hängen des Flusses Linderöd, halb versteckt in einem uralten Buchenwald, befanden sich die Forsakarfälle. Das Becken zwischen den beiden Wasserfällen war einer Legende zufolge entstanden, als sich eine Riesin in einen hübschen Menschenjungen verliebt und für ihre heimlichen Treffen eine Grotte gegraben hatte. Daraufhin leitete ein hinterhältiger Riese aus Eifersucht einen Bach um, sodass Wasser in die Grotte strömte und sie für die beiden Liebenden in eine Todesfalle verwandelte.

Eher wissenschaftlich veranlagte Menschen behaupteten allerdings, die Wasserfälle und das Tal seien gebildet worden, als sich das Inlandeis zurückgezogen habe. Diese Version ist vielleicht wahrscheinlicher, aber lange nicht so unterhaltsam.

 

Gert Zillén interessierten weder Trolle noch Wichtel. Er besuchte den Antikmarkt seit über dreißig Jahren und hielt dabei seine sorgfältig geplante Routine ein. Er stand um drei Uhr nachts auf, holte sich in der Küche der Pension eine Thermoskanne Kaffee und ein Lunchpaket und ließ die Bezahlung für das spartanisch eingerichtete kleine Zimmer auf dem Tisch im Eingangsbereich in einem Umschlag zurück. Auf die Krone genau abgezählt. Dann folgte, im Licht seiner Stirnlampe, ein kurzer Spaziergang durch das Dorf. Dabei zog er einen Rollwagen hinter sich her, den Gert mit steigendem Alter immer unverzichtbarer fand.

Er war ein kleiner, dünner Mann, der sich langsam und ruckartig bewegte, wodurch er an einen Spatzen erinnerte. Und genau wie bei einem Spatzen nahmen nur wenige Menschen von ihm Notiz. Sein ganzes Leben war er unbemerkt geblieben, hatte nie größeren Eindruck hinterlassen. In seiner Jugend war er zwar ein paar Jahre verlobt gewesen, aber das war im Sande verlaufen. Bei der Arbeit hatte er zu den Stillen, Fleißigen gehört, die tagein, tagaus pünktlich ihre Aufgaben erledigten, ohne Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, bis er in Rente ging.

Aber Gert Zillén hatte andere Interessen, die wichtiger als Frauen oder Karriere waren.

Obwohl er knapp über siebzig war und sich seit seiner Jugend mit Antiquitäten beschäftigte, schlug sein Herz in Erwartung der kommenden Jagd immer noch schneller. Vielleicht wäre ausgerechnet heute der Tag, an dem ihm der Große Fund gelänge.

Als er den Markt erreicht hatte, blieb Gert an einer Böschung stehen, von der aus er das gesamte Gelände überblicken konnte, schaltete seine Stirnlampe aus und gönnte sich eine kurze Pause. Während er aus seiner karogemusterten Thermoskanne Kaffee trank und ein Butterbrot aß, versuchte er zu erkennen, wo sich die anderen frühen Schnäppchenjäger befanden, um eine Strategie festzulegen.

Von einigen Jahren war ihm das Glück an einem solchen Morgen tatsächlich hold gewesen. Er hatte eine alte chinesische Teekanne mit Blattmuster aufgespürt, die ihm der ahnungslose Verkäufer für wenige Hundert Kronen verkauft hatte, die dann aber über zehntausend wert gewesen war. Der Irrtum des Verkäufers war nichts Ungewöhnliches. Wenn es um chinesisches Porzellan ging, war der Unterschied zwischen wertlos und wertvoll oft so minimal, dass es einen Experten brauchte, um ihn zu erkennen. Und nur wenige Menschen waren auf diesem Gebiet so kundig wie China-Gert Zillén, zumindest wenn man ihn selbst fragte.

Gert leerte seine Kaffeetasse und verschraubte die Thermoskanne ordentlich. Dann schaltete er die Stirnlampe wieder ein und steuerte auf den dunkelsten Teil des Marktes zu. Mit geübtem Blick lief er zwischen den Ständen umher. Ab und an tauchte ein Verkäufer auf und nickte ihm müde zu. Planen wurden gelüftet, Tücher weggezogen, Zeitungspapier raschelte beim Auspacken von Objekten.

Manchmal blieb Gert stehen, um einen Porzellangegenstand zu inspizieren, fand aber nichts von besonderem Interesse.

Am Ende eines Ganges stand ein großer Tisch mit einer bunten Mischung aus Werkzeug, alten Spielsachen, angeschlagenen Tassen und Bücherstapeln. Meistens verschwendete er keine Zeit auf solche Flohmarktstände. Sie gehörten Pfadfindergruppen oder dem Lions Club, die hofften, mit den gespendeten Gegenständen ein paar Kronen zu verdienen, aber in der Regel handelte es sich dabei nur um Müll.

Im Vorbeigehen ließ Gert trotzdem zur Sicherheit den Schein seiner Stirnlampe über den Tisch wandern. Gerade wollte er um die Ecke biegen, um im nächsten Gang weiterzusuchen, als ein Gegenstand am Rande seines Gesichtsfeldes seine Aufmerksamkeit erregte. Er blieb abrupt stehen und drehte den Kopf, um den Lichtkegel darauf zu werfen.

Zwischen zwei alten Buchstützen und einer Donald-Duck-Spardose aus Plastik stand eine kleine Schale. Sie war hellgrün mit eingeritztem Blumenmuster, und für das ungeübte Auge sah sie im Grunde aus wie eine armselige, übrig gebliebene Zuckerschale aus einem lange verschwundenen Kaffeeservice.

Gert ging näher heran. Sein Herz begann, heftiger zu schlagen. Er griff nach der Schale und leuchtete sie mit der Stirnlampe an, während er mit der anderen Hand eine Lupe aus seiner Tasche kramte. Dann schob er sich die Brille auf die Nasenspitze und hielt sich stattdessen das kleine Vergrößerungsglas vor das Auge.

Eingehend betrachtete er die zarte Krakelierung der Glasur, die sich als Spinnennetz auf der Oberfläche erahnen ließ. Danach untersuchte er das eingeritzte Muster, das mit solcher Meisterschaft ausgeführt war, dass man meinen könnte, es wäre maschinell erzeugt worden.

Aber dies war keine Massenproduktion, sondern etwas vollkommen anderes.

Etwas sehr viel Selteneres.

Ein Fund von solchem Kaliber, dass Gerts Knie beinahe zu zittern begannen.

Er schluckte. Einmal, zweimal.

Sein Herz hämmerte ihm in der Brust. Er musste diese Schale kaufen, jetzt sofort. Bevor aus der Dunkelheit irgendein Spekulant auftauchte.

Er sah sich um, suchte nach jemandem, der für den Stand zuständig war. Jemandem, den er nach dem Preis fragen und mit dem er verhandeln könnte. Aber es war niemand zu sehen.

Der Pfadfinderverein von Degeberga betrieb den Stand, wie auf einem Schild zu lesen war. Kein Pfadfinder konnte auch nur die geringste Ahnung haben, was Gert zwischen seinen zitternden Händen hielt.

Sollte er die Schale einfach nehmen? Ein paar Zwanzigkronenscheine oder sogar hundert Kronen unter die Spardose legen und gehen?

Es widerstrebte ihm aber, eine wahllose Summe zu hinterlassen. Er wollte einen Preis hören, sich anständig verhalten, wie er es immer tat.

Zu Gerts Erleichterung kam ein junger Mann in Pfadfinderhemd und zerzausten Haaren angeschlendert. Er sah wenig begeistert darüber aus, dass er offenbar das falsche Los gezogen hatte und die erste Schicht übernehmen musste.

»Entschuldigung.« Gerts Stimme überschlug sich. Er räusperte sich, holte tief Luft und versuchte es noch einmal. »Du da …«

Mitten im Satz brach er ab.

Trotz der Dunkelheit verspürte Gert plötzlich einen gewaltigen Schatten, der sich über ihn legte. Genau hinter ihm stand jemand. Jemand, der nach Branntwein und Aftershave roch, durch dessen bloße Anwesenheit sich Gerts Nackenhaare aufrichteten.

»Na, wenn das nicht der kleine China-Gert ist?«, sagte eine tiefe Stimme. »Was hast du denn da?«

Die Stimme gehörte zu einem Kerl um die sechzig. Er trug eine blaue Windjacke und darunter ein kariertes Hemd, das in einer hochgezogenen Jeans steckte. Ein Gürtel im letzten Loch hielt sie mühsam am Platz. Über seinen dichten Haarschopf hatte er sich eine Kappe mit der Aufschrift Rasks Haushaltsauflösungen gezogen.

Gert unterdrückte ein Schaudern. Lennart »Nalle« Persson war der berüchtigtste Antiquitätenhändler von Österlen. Der Aasgeier der Branche, der brutal und schamlos seine Beute ergriff.

Gert begann zu schwitzen. Wenn Nalle die geringste Witterung aufnahm, würde er sofort seine Klauen nach der Schale ausfahren.

»Nichts Besonderes«, murmelte Gert so gleichgültig wie möglich. »Bloß eine kleine Zuckerschale. Ich wollte sie für meine Nichte kaufen.«

Er wandte sich an den Pfadfinder hinter dem Tisch.

»Was willst du dafür haben?«

Er wedelte kurz mit der Schale, damit Nalle so wenig wie möglich davon zu sehen bekam.

»Tja, ich weiß nicht …«, sagte der junge Mann und rieb sich schlaftrunken die Augen.

Gert fummelte mit einer Hand nach seinem Geldbeutel, während er mit der anderen die Schale festhielt. Er hatte gehofft, Nalle würde weitergehen und ihn in Ruhe lassen, aber stattdessen blieb der riesige Mann stehen, türmte sich hinter ihm auf und richtete seinen brennenden Blick auf Gerts Nacken.

»Gert Zillén«, sagte Nalle mit weicher Stimme. »Schonens größter Experte für chinesisches Porzellan.«

Er schnalzte mit der Zunge.

»So nennst du dich doch, wenn du vor den alten Weibern im Nähklub Vorträge hältst, oder nicht?«

Gert nickte stumm. Wegen Nalles Anwesenheit brach ihm kalter Schweiß aus, er musste dieses Geschäft schnellstmöglich abschließen.

»Für sechzig nehme ich sie«, sagte er und hielt dem Pfadfinder ein paar Scheine hin.

»Immer mit der Ruhe.«

Nalles Riesenpranke landete auf Gerts Schulter und schob ihn, bevor der Pfadfinder das Geld entgegennehmen konnte, einen halben Meter vom Tisch weg.

»Wenn Schonens größter Experte für chinesisches Porzellan an einer kleinen Zuckerschale interessiert ist, will ich doch auch einmal einen Blick darauf werfen.«

Er streckte Gert auffordernd die Hand hin.

»Nein, sie ist vergeben, ich habe sie gekauft«, quakte der kleine Mann.

»Das hast du nicht«, brummte Nalle. »Du hast das Geld doch noch in der Hand, und der Bursche hier hat noch nicht sein Okay gegeben. Darf ich sehen?«

Gert versuchte, sich zu wehren, aber es war hoffnungslos. Der andere war viel zu stark, er entwand ihm die Schale mühelos.

»Schauen wir doch mal …«, murmelte Nalle und betrachtete das Stück.

»I-Ich bekomme sie«, stammelte Gert. »Oder nicht?«

Er hielt dem Pfadfinder wieder seine Scheine hin und suchte seine Unterstützung.

»Der war zuerst da«, bestätigte der junge Mann.

Nalle hob eine Hand, um ihn zum Schweigen zu bringen, dann stellte er die Schale geräuschvoll auf den Tisch, gerade so, dass sie außerhalb von Gerts Reichweite war.

»Sagen wir so«, wandte sich Nalle an den Pfadfinder. »Du siehst aus wie einer, der was von guten Geschäften versteht. Ich kaufe alles, was du hier auf dem Tisch liegen hast, für fünftausend Kronen. Den ganzen Kram.«

Er holte eine dicke, blank gewetzte Geldbörse hervor.

»Fünftausend in bar, dann kannst du deinen kleinen Pfadfinderfreunden sagen, dass du das beste Geschäft deines Lebens gemacht hast, und ihr braucht hier nicht den ganzen Tag in der Sonne rumzustehen.«

Nalle nahm die Scheine aus der Börse und hielt dem Jungen das Bündel hin.

Gert schluckte. Er musste irgendetwas unternehmen.

Plötzlich bemerkte er eine Bewegung hinter Nalle. Dort in der Dunkelheit stand jemand, ein unförmiger Schatten, der zu beobachten schien, was hier vor sich ging. Vielleicht war es ein weiterer Käufer, der gewittert hatte, dass etwas im Gange war, und der sich jeden Moment einmischen konnte.

»Sechs«, piepste Gert panisch. »Sechstausend.«

Das war alles, was er dabeihatte.

Nalle musterte ihn von oben bis unten, dann verzog sich sein Gesicht zu einem breiten Grinsen.

»Sieben«, sagte er und fischte noch ein paar Scheine aus der gut gefüllten Börse. »Siebentausend sind geboten. Willst du noch höher gehen, Gert? Ich kann ewig so weitermachen.«

»N-Nein …«, quetschte Gert hervor, der immer noch seine armseligen Zwanzigkronenscheine umklammert hielt. Er hätte nichts sagen sollen, hätte auf sein Recht als erster Käufer pochen müssen und das Ganze nicht in einen Bieterwettstreit verwandeln dürfen, den er nicht gewinnen konnte.

Er versuchte, den neuen Käufer zu erkennen, den er glaubte hinter Nalle gesehen zu haben, aber der Schatten war verschwunden. Vielleicht hatte es ihn auch gar nicht gegeben. Ein Hirngespinst, das ihn dazu gebracht hatte, einen fatalen Fehler zu begehen.

»Ich war aber zuerst da …«, wimmerte Gert, obwohl er wusste, dass es zu spät war.

Der Pfadfinder auf der anderen Seite des Tisches wirkte verlegen, aber sein Blick war auf das Geld geheftet.

»Also … ich weiß nicht …«

Nalle streckte die Scheine vor.

»Jetzt nimm das Geld, Junge. Und sag den anderen Pfadfindern, dass Nalle euch auf ein Eis einlädt. Sagt dem Mädel am Eisstand einfach einen Gruß, sie soll es auf meine Rechnung setzen.«

Auffordernd wedelte er mit dem Geldbündel. Das Eis schien das Zünglein an der Waage zu sein.

»Ja, na gut. Dann machen wir es so.«

Der Pfadfinder nahm das Geld.

»Gut!« Nalle griff lachend nach dem Schälchen. »Pack den Kram für mich zusammen und stell die Kartons hinter das Wohnmobil an Platz 214.«

Gert fiel das Atmen schwer. Der Boden schwankte unter seinen Füßen.

All die Flohmärkte, die er besucht hatte, alle frühen Morgenstunden, all der Müll, in dem er hatte wühlen müssen. All die Stunden, Tage, Monate und Jahre, die er damit zugebracht hatte, Referenzliteratur zu lesen, Auktionskataloge zu studieren, Bilder von chinesischem Porzellan in Museen zu memorieren, hatten endlich Frucht getragen. Er hatte den Großen Fund gemacht, den Gegenstand entdeckt, von dem er sein ganzes Leben geträumt hatte, nur um ihn von einem Geier wie Nalle Persson buchstäblich aus den Händen gerissen zu bekommen.

Den großen Kerl schien Gerts Verzweiflung zu amüsieren. Er ließ die Schale achtlos zwischen Daumen und Zeigefinger baumeln.

»Tja, Gert. Ich bin ja kein China-Experte wie du, aber ich glaube trotzdem, dass ich einen richtig guten Fang gemacht habe.«

Nalles Grinsen wurde breiter und entblößte eine Reihe gelblicher Zähne. Vielleicht lag es an der Dunkelheit und den Schatten oder daran, dass Gerts Herz nicht genug Sauerstoff bekam, aber einen kurzen Augenblick lang schien es ihm, als sei Nalle gar kein Mensch, auch kein habgieriger Geier, sondern ein Troll. Ein bösartiges Wesen, das aus dem Wald herangeschlichen war und ihm den Schatz vor der Nase weggeschnappt hatte.

Nalle stopfte die Schale in die Innentasche seiner Windjacke und klopfte Gert so hart auf die Schulter, dass dieser beinahe das Gleichgewicht verlor.

»Komm irgendwann mal vorbei, dann erzähle ich dir, für wie viel ich sie verkauft habe!«

Nalle zwinkerte ihm zu, dann drehte er sich um und schlurfte davon.

Gert blieb wie angefroren zurück, immer noch die Zwanzigkronenscheine in der Hand. Sein Griff war so fest, dass seine Knöchel weiß hervortraten.

In diesem Augenblick zerbrach etwas in ihm. Ein Damm stürzte ein und machte den Weg frei für jahrelang unterdrückte Gefühle, von denen er selbst nichts gewusst hatte.

Raserei, Wut, Hass.

Brennender, glühender Hass. Plötzlich erinnerte er sich an ein Märchen, das ihm sein Großvater oft erzählt hatte. Eine Geschichte darüber, dass das Einzige, womit man einen Troll besiegen konnte, eine blanke Waffe war.

»Die wirst du zu spüren bekommen«, zischte er leise, während er Nalles kräftigem Rücken nachschaute, bis dieser in der Dunkelheit verschwunden war. »Und wenn es das Letzte ist, was ich tue.«

1

Es war Sonntagvormittag halb neun, als Kriminalkommissar Peter Vinston sein maßgeschneidertes Jackett anzog und vor dem Spiegel seinen Krawattenknoten überprüfte. Wie immer musste er sich klein machen, um in den Spiegelrahmen zu passen.

Ein Monat Urlaub von der Mordkommission Stockholm hatte ihm gutgetan, stellte er fest. Das rotblonde Haar war heller geworden, sein Gesicht sonnengebräunt, und er hatte lange nicht mehr so frisch ausgesehen.

Im Frühling hatte er bei der Arbeit unter unerklärlichen Schwindelanfällen gelitten und war krankgeschrieben worden, weshalb er vor vier Wochen, zunächst widerwillig, hier in Österlen gelandet war.

Er hatte die Zeit mit seiner Tochter Amanda, seiner Ex-Frau Christina und ihrem neuen Mann Poppe verbracht, dem das Schloss Gärsnäs gehörte. Kaum angekommen, war er in eine Mordermittlung hineingezogen worden. Er hatte daraufhin der lokalen Polizei geholfen, den Fall der ermordeten Maklerin Jessie Anderson zu lösen.

Nach anfänglichem Unwillen hatte Vinston allmählich begonnen, Österlen zu schätzen, trotz seiner verschrobenen Bewohner und der vielen Tiere. Aber jetzt, nach dreiwöchiger Flaute, fühlte er sich so ausgeruht, dass ihm schon fast wieder langweilig war. Tatsächlich sehnte er sich danach, wieder zu arbeiten.

Er strich mit seiner treuen Reisekleiderrolle über sein Jackett und die Vorderseite seiner Hose. Nicht dass er irgendwelche Fussel oder unliebsamen Tierhaare sah, er machte das eher zur Sicherheit. Als er fertig war, klappte er die Rolle zusammen, steckte sie in die Jackentasche und richtete ein letztes Mal den Krawattenknoten, bevor er das Schlafzimmer verließ und in die Wohnküche hinüberging.

Das Ferienhäuschen, das er von Poppe und Christina mietete, war ein idyllisches, weiß gekalktes Fachwerkhaus mit Spitzdach und Sprossenfenstern. Die Türrahmen waren niedrig, aber inzwischen hatte Vinston gelernt, an den richtigen Stellen den Kopf einzuziehen.

Er nahm eine der schiefen handgetöpferten Tassen aus dem Küchenschrank, goss sich Kaffee ein und blätterte zerstreut im Cimbrishamner Tagblatt, während er auf Christina und Poppe wartete.

Sie hatten zwar neun Uhr verabredet, aber so wie er die beiden kannte, hieß das eher zehn nach neun.

Heutige Eröffnung des Degeberga Antik- und Sammlermarktes lautete eine Überschrift in der Zeitung. Über dreihundert Aussteller, ein Kilometer Marktstände und mindestens zehntausend Besucher sind zu erwarten.

Vinston überflog den Artikel. Es schadete nichts, sich vorzubereiten.

Er teilte zwar nicht Christinas und Poppes Interesse für Antiquitäten, aber ihm war furchtbar langweilig. Außerdem würde Amanda auf dem Markt Eis verkaufen, weshalb er sich selbst zu diesem Ausflug eingeladen hatte.

Er freute sich darauf, seine Tochter bei der Arbeit zu sehen. Sie war so erwachsen geworden. In den letzten Wochen waren sie einander wieder viel näher gekommen – es bestand ein großer Unterschied darin, sich über Facetime zu sprechen, wie sie es sonst taten, oder sich richtig zu treffen. Im Übrigen gefiel ihm Amandas Interesse an seinem Job als Polizist.

Vinston blätterte weiter durch die Zeitung, wobei sein Blick auf den Namen Jonna Osterman fiel. Während der Ermittlungen im Fall der getöteten Maklerin hatte er eine gewisse Sympathie für Jonna verspürt. Aber die Situation war dadurch verkompliziert worden, dass sie die Chefredakteurin des Cimbrishamner Tagblatts war und er selbst ermittelnder Polizist. Als die für den Mord verantwortliche Person schließlich gefasst war, hatten er und Jonna ein paarmal aneinander vorbeitelefoniert, dann war Jonna in den Urlaub gefahren, und das Ganze verlief im Sande. Und in Kürze würde er nach Stockholm zurückkehren, weshalb es sich kaum lohnte, weitere Versuche zu unternehmen.

Vinston faltete die Zeitung zusammen und legte sie zuoberst auf den ordentlichen Stapel neben der Tür.

Dann steckte er sein Handy, seinen Geldbeutel und sein ledergebundenes Notizbuch ein, griff schließlich noch nach einem schwarzen Regenschirm mit Mahagonigriff, der an einem Haken in der Diele hing, und trat durch die Haustür in einen strahlenden Hochsommertag hinaus.

Der charmante kleine Garten der Bäckastuga war wunderbar grün. Vinston, der immer nur in der Stadt gewohnt hatte, war überrascht darüber, wie schnell alles wuchs. Vor drei Tagen erst hatte er mit einem ächzenden alten Rasenmäher das Gras gekürzt, aber heute könnte man fast schon wieder mähen. Eine Kletterpflanze, die bei seiner Ankunft etwa hüfthoch gewesen war, reichte nun fast bis zur Regenrinne hinauf.

Er blieb auf der Außentreppe stehen und atmete tief ein. Es roch herrlich. Lag es am Stress, dass er in Stockholm nicht mehr auf Gerüche geachtet hatte?

Seine Gedanken wurden unterbrochen, als ein dunkler Jaguar auf die Auffahrt zum Häuschen rollte.

Poppe, ein rundlicher Mann knapp über fünfzig, in Leinenhemd, mit Sonnenbrille und einem Schal um den Hals, stieg auf der Beifahrerseite aus.

»Entschuldige die Verspätung!«, sagte er, während er Vinston die Hintertür aufhielt. »Ich würde gerne die Schuld auf mich nehmen, aber dafür müsste ich lügen.«

Christina, die am Steuer saß, verdrehte die Augen.

»Bist du dir sicher, dass du mitwillst, Peter?« Sie sah Vinston über den Rückspiegel an. »Es gibt dort nur Antiquitäten, und wir werden den halben Tag unterwegs sein.«

»Ja, auf jeden Fall«, erwiderte er mit gespielter Begeisterung. »Ich möchte außerdem Amanda sehen.«

Christina rollte rückwärts aus der Einfahrt und fuhr so schnell los, dass Vinston automatisch nach dem Handgriff fasste.

»Du kommst doch nächsten Donnerstag aufs Schloss, wenn wir die Antikrunde zu Besuch haben?«, fragte Poppe vom Vordersitz aus. »Fabbe ist in Hochform. Es wird das Event des Jahres!«

»Fabian Anderklew«, soufflierte Christina. »Er ist einer der Stars der Show. Poppe und er sind alte Studienfreunde.«

Vinston nickte, als wisse er genau, was gemeint sei. In dem Moment gab Poppes Handy einen Ton von sich. Poppe schob sich die Sonnenbrille in die Stirn, um die eingegangene Nachricht zu lesen, und begann dann, laut zu lachen.

Christina sah neugierig zu ihrem Mann hinüber.

»Von Fabbe?«

Poppe nickte.

»Er ist schon auf dem Antiquitätenmarkt. Offenbar lässt man ihm dort keine Ruhe. Hört mal: Sobald ich irgendeinen blöden Eierbecher anfasse, denken die Leute, es sei ein Fabergé-Ei. Denke über Verkleidung nach, eventuell Pappnase und Schnurrbart.«

Poppe brach wieder in Gelächter aus.

»Typisch Fabbe!«

Christina begegnete Vinstons Blick im Rückspiegel und verdrehte die Augen.

»Wenn Fabbe wirklich nicht erkannt werden will, kann er sich doch einfach weniger auffallend anziehen und diese übertriebene Brille weglassen«, meinte sie.

Poppe tat, als würde er sie nicht hören, eine Taktik, die Vinston insgeheim bewunderte.

Sie fuhren auf kurvigen Landstraßen Richtung Norden, kamen durch kleine, idyllische Dörfer und an weiß gekalkten Kirchen vorbei. Die Landschaft mit all ihren Alleen und gelben Getreidefeldern, die sich sanft im Sommerwind wiegten, war unglaublich schön. Hier und da sah man Rauch und Staub von einem Mähdrescher aufsteigen.

Vor dem Festplatz von Degeberga parkten Hunderte Autos in ordentlichen Reihen auf einer frisch gemähten Wiese. Um dorthin zu gelangen, musste man auf einen schmalen Kiesweg einbiegen und an einem jungen Mann mit Bartflaum und Signalweste vorbeifahren, der mit mäßigem Erfolg versuchte, die Besucher auf die ihnen zugewiesenen Plätze zu lotsen.

Christina ließ das Fenster herunter.

»Hallo, wir sind Aussteller«, log sie. »Wir wollen nur ein paar Sachen abliefern.«

Ohne auf eine Antwort zu warten, schloss sie das Fenster wieder und rollte an dem Parkwächter vorbei.

Vinston bedeckte das Gesicht mit der Hand und rutschte tiefer in seinen Sitz. Es war überhaupt nicht sein Stil, sich vorzudrängen.

In unmittelbarer Nähe der Stände fuhr ein Lastwagen aus einer Parklücke, die Christina dreist übernahm.

»Ich finde ja hoffentlich Sachen für den Garten, und dann will ich sie nicht über den ganzen Acker schleppen müssen«, erklärte sie, um ihr Verhalten zu rechtfertigen.

»Christina hat ein neues Projekt, weißt du, Peter«, sagte Poppe in neckischem Ton. »Jetzt, wo wir nach vielen Sorgen und Ärgernissen endlich mit der Renovierung des Schlosses fertig sind … habe ich mich eigentlich nach einem faulen Sommer gesehnt. Mit Gin Tonic in der Laube sitzen … Aber was macht meine geliebte Frau? Sie bestimmt, dass wir uns direkt an die Arbeit machen, eine exakte Kopie der Gärten von Versailles anzulegen.«

»Unsinn!«, schnaubte Christina. »Ich will lediglich den Schlossgarten wieder so herrichten, wie er vor zweihundert Jahren aussah. Betrachte es als kulturelle Tat.«

Poppe schnaubte.

»Warum willst du dich damit begnügen? Das Schloss wurde doch schon im dreizehnten Jahrhundert erbaut, sollten wir da nicht einen Burggraben ausheben und eine Zugbrücke bauen?«

Vinston lachte höflich, löste den Gurt und öffnete die Wagentür. Es verlangte ihn danach, sich die Beine zu vertreten und Christinas und Poppes Geplänkel nicht mehr anhören zu müssen.

Der Markt, der sich in einer Senke befand, war riesig, etwa so groß wie drei oder vier Fußballfelder. Unzählige Reihen gleichartiger Holztische mit Überdachungen aus verschiedenfarbigen Plastikplanen reihten sich aneinander. Die Gänge mit den Ständen erstreckten sich parallel über das gesamte Gelände. Über den Marktlärm hinweg gab eine Sprecherstimme immer wieder unterschiedliche Informationen bekannt.

»Den Schirm kannst du im Auto lassen«, sagte Christina. »Heute regnet es ganz bestimmt nicht.«

»Sicher ist sicher«, erwiderte Vinston schlau.

Der erste Gang war eng und voller Menschen. Sonnenverbrannte Touristen in Shorts und Sandalen, Kinderwagen, Rucksäcke und viel zu viele Hotdogs und tropfende Eistüten, die Vinstons Anzug beunruhigend nahe kamen.

»Wir müssen strukturiert vorgehen, damit wir nichts verpassen«, erklärte Christina. »Zuerst laufen wir jeden Gang einzeln ab, und am Schluss machen wir noch einen Bogen drum herum.«

Sie zog Poppe mit sich in die erste Reihe der Stände, und Vinston folgte langsam, wobei er seinen Regenschirm wie einen Spazierstock benutzte.

Der Geruch war mit das Erste, was ihm auffiel. Ein interessanter Mix aus frisch gemähtem Gras, Staub, alten Abdeckplanen, Feuchtigkeit und gebratenem Hering, den er zum Glück nicht jeden Tag riechen musste.

Schon nach etwa zehn Metern stellte er fest, dass vieles, was hier verramscht wurde, kaum als Antiquität anzusehen war. Manche Stände verkauften Flohmarktkrimskrams, der scheinbar wahllos auf den Tischen ausgebreitet lag: Einzelteile von Kaffeeservices, LPs, alte Wochenzeitschriften und rostiges Werkzeug. Auf anderen Tischen fanden sich nur wenige, sorgfältig ausgewählte wertvolle Objekte.

»Hier sind alle vertreten, von Haushaltsauflösern bis zu Privatpersonen und Sammlern, die ihre Regale zu Hause ausgemistet haben«, klärte Christina ihn auf, als sie vor einem Stand stehen blieb, der Porzellan aus den Fünfziger- und Sechzigerjahren anbot. Teller und Tassen mit farbenfrohen Mustern in Form von Blumen, Strichen und Punkten. Vinston erkannte ein Service mit großen, grünen Blättern wieder.

»Das Muster Berså von Stig Lindberg, das ist eine Ikone«, erklärte Christina. Sie zeigte auf ein paar Teetassen mit schwarz-weißen Streifen. »Und das heißt Zebra, kostet tausend Kronen das Stück.«

Vinston vermutete, dass die Geschäfte für die meisten Aussteller hier gut liefen. Überall wechselten Scheine im Tausch gegen in Zeitung eingeschlagene Kostbarkeiten ihren Besitzer.

Aus der Ferne sah er die beiden Ordnungshüter Svensk und Öhlander von der Polizeistation in Simrishamn, die durch die Menschenmassen patrouillierten. Als sie ihn erblickten, grüßten sie. Gut, dass sie präsent sind und sich zeigen, dachte Vinston. Eine solche Veranstaltung mit Tausenden von Besuchern zog immer Taschendiebe an.

»Sammelst du etwas, Peter?«, erkundigte sich Poppe.

»Nur ungenutzte Urlaubstage, oder?«, kommentierte Christina, ohne den Blick von einem Tisch mit Blumenkrügen zu wenden.

Vinston räusperte sich, leicht missgestimmt wegen der spitzen Bemerkung.

»Nein, nichts.«

»Ich selbst sammle Zigarrenschneider«, sagte Poppe. »Du darfst mir gerne Bescheid geben, wenn du einen siehst.«

Christina war wieder an einem Tisch stehen geblieben, wodurch Vinston und Poppe gezwungen waren, ebenfalls anzuhalten. Die Verkäufer waren ein älteres Paar, das zur Feier des Tages Kleidung aus den Sechzigerjahren trug. Auf dem Tisch lagen zahlreiche bunte Plastikgegenstände aus dieser Epoche. Nicht gerade Gartengerätschaften, konstatierte Vinston, der den Blick zum nächsten Tisch schweifen ließ. Dort wurden ausschließlich kleine naive Keramikfiguren verkauft, die ihm bekannt vorkamen.

»Die sind von Lisa Larson«, wusste Christina. »Aber zu dem Preis werden nur japanische Händler sie kaufen.«

Vinston musterte die Kunden vor dem Tisch und entdeckte unter ihnen tatsächlich ein asiatisches Paar, das die Figuren hin und her drehte. Neben ihnen stand ein großer Reisetrolley.

»Hierher kommen Antiquitätenhändler aus der ganzen Welt«, fuhr Christina fort. »Wir treffen bestimmt auch irgendwo einen der Experten aus der Antikrunde.«

»Und hier haben wir schon den Bekanntesten von ihnen!«, rief Poppe aus und winkte freudig einem Mann in moosgrünem Blazer, knallblauem Schal und einem breiten Lächeln im Gesicht. »Fabbe, hier!«

Die Menschenmasse teilte sich, um den Mann durchzulassen. Dieser war in Poppes Alter, hatte kaum noch ein Haar auf dem Kopf und trug eine markante rote Brille, die eine so ungewöhnliche Form besaß, dass sie spezialangefertigt sein musste.

Den Blicken und dem Getuschel zufolge erkannten ihn die Leute.

»Poppe! Christina!«, rief er laut, bevor er beide umarmte. »Wie läuft es für euch? Habt ihr etwa noch leere Hände?«, fragte er mit gespieltem Entsetzen.

»Wir sind gerade erst gekommen«, erwiderte Poppe entschuldigend. »Das ist Peter Vinston, Christinas Ex-Mann und der beste Polizist von Schweden.« Er klopfte Vinston auf die Schulter. »Fabbe ist einer meiner ältesten Freunde …«

»Na ja, so alt bin ich nun auch wieder nicht!«, lachte dieser und streckte Vinston die Hand entgegen.

»Einer meiner besten Freunde«, korrigierte sich Poppe. »Du hast ihn sicher schon mal im Fernsehen gesehen, Peter.«

»Freut mich«, erwiderte Vinston, während er dem anderen die Hand gab. Tatsächlich erkannte er den Mann aus der Antiquitätenshow wieder, in die er mal hineingeschaut hatte. Fabian Anderklew war der bekannteste und unterhaltsamste Experte der Runde.

Anderklew wandte sich an Poppe.

»Wie gut, dass ich dich treffe, lieber Bruder«, sagte er. »Darf ich dich für ein paar Sekunden entführen? Ich würde gerne etwas mit dir besprechen.«

Ohne auf eine Antwort zu warten, zog er Poppe einige Meter beiseite.

»Here we go again …«, murmelte Christina mehr für sich als zu Vinston. »Das mit dem ›lieben Bruder‹ heißt garantiert, dass er sich Geld leihen will. Und jetzt, wo er dafür gesorgt hat, dass die Antikrunde auf dem Schloss stattfindet, kann Poppe nicht Nein sagen.«

Vinston hörte nur mit halbem Ohr zu. In den Gängen hatte das Gedränge zugenommen, und es war nur eine Frage der Zeit, bis jemand auf seine frisch geputzten Brogues treten würde.

Er beschloss, Amanda am Eisstand aufzusuchen, schließlich war er ihretwegen mitgekommen.

Plötzlich übertönte eine geschulte Stimme alle anderen Gespräche, sodass sich die Besucher im Umkreis von zwanzig Metern umschauten.

»Sieh an! Erspähe ich dort nicht den Sherlock Holmes von Österlen?«

Im Gewimmel tauchte eine wohlbekannte Gestalt mit erhobenem Gehstock auf. Der Mann trug einen knöchellangen Kaftan mit bestickter Brust, einen Panamahut und einen nonchalant über die Schulter geworfenen langen Seidenschal. Einen Schritt dahinter folgte ein kleiner, durchtrainierter Kerl mit südländischen Gesichtszügen in identischer Kleidung.

Es waren Jan-Erik Sjöholm und sein Mann Alfredo, deren Bekanntschaft Vinston vor einigen Wochen gemacht hatte.

»Peter Vinston, nur ein echter Gentleman wie Sie vermag es, sich bei dieser Hitze in einen dreiteiligen Anzug zu kleiden. Ich selbst schnaufe wie ein überhitztes Walross.«

Der Schauspieler nahm seinen Hut ab und fächelte sich damit Wind zu.

»Christina, ist es seine kühle Schönheit, die ihn nicht schwitzen lässt? Oder sein cooles Temperament?«

Vinston fühlte sich peinlich berührt.

»Sie sind unser Wohltäter, Peter«, sagte Jan-Erik, sich auf seinen Mann stützend. »Seit Sie den Mord an Jessie Anderson gelöst haben, habe ich Interview-Anfragen aus der ganzen Welt bekommen. Wie fühlte es sich an, des Mordes verdächtigt zu werden? Wie haben Sie zur Lösung des Falles beigetragen? Ich hoffe, Sie haben Verständnis dafür, dass ich meine Rolle ein klein wenig übertreibe. Schließlich will niemand Statist sein.«

»Das stört mich absolut nicht«, erwiderte Vinston lächelnd. »Und im Übrigen haben wir den Fall zu zweit gelöst. Tove Esping war auch beteiligt. Ohne sie …«

Jan-Erik wedelte abwehrend mit der Hand.

»Ja, ja, selbstverständlich. Ehre, wem Ehre gebührt et cetera. Aber dank Ihnen bin ich aus den ewigen Jagdgründen der Vergessenheit wieder auf den Parnass gestiegen.«

»Wir hoffen, dass die Aufmerksamkeit dafür sorgt, dass Jan-Erik nächstes Jahr zum Sommertalk eingeladen wird«, warf Alfredo ein.

»Jaja«, unterbrach ihn Jan-Erik und wedelte wieder ungeduldig mit der Hand. »Wir werden sehen, was daraus wird. Das mit dem Sommertalk kommt mir nicht so schwierig vor, allerdings scheint er lebensgefährlich zu sein. Man denke nur an die arme Jessie.«

Der Schauspieler machte ein betrübtes Gesicht, das er mit einer dramatischen Pause unterstrich.

Christina, die alles, was mit dem Mord an Jessie Anderson zu tun hatte, leid war, nutzte den Moment, das Thema zu wechseln.

»Was macht ihr eigentlich hier? Ich dachte, ihr hättet Kaufverbot?«

»Das haben wir auch«, rief Alfredo aus. »Ich habe Jan-Erik ein Ultimatum gesetzt: eine Sache rein, eine Sache raus. Sonst muss er auf dem Sofa schlafen.«

»Tja, das wird nicht leicht werden«, antwortete Christina. »Hier gibt es so viele schöne Dinge. Ich selbst suche nach Gartenmöbeln und gusseisernen Töpfen, und während wir hier herumstehen und plaudern, verschwinden alle schönen Sachen. Ich muss weiter. Und Peter ist auf dem Weg, um Amanda zu treffen.«

Sie nickte Vinston auffordernd zu, und Jan-Erik setzte sich wieder den Hut auf.

»Viel Glück bei der Suche. Au revoir, ihr schönen Menschen!«

Der Schauspieler zwinkerte Vinston zu, bevor er mit Alfredo im Schlepptau wieder im Gewühl verschwand.

2

Gegen elf Uhr schlenderte Nalle Persson zurück zu seinem Verkaufsstand. Mehrere Kaffees mit Schuss wärmten ihm die Brust, er summte zufrieden. Bisher war der Markttag außerordentlich gut verlaufen. Und er sollte, wie er glaubte, noch besser werden.

Er befühlte die Jackentasche, in der die Schale sicher verwahrt lag.

An sich wusste er kaum etwas über chinesisches Porzellan. Als Haushaltsauflöser geriet man an alle möglichen Gegenstände, es war also praktischer, Generalist zu sein und von allem ein bisschen Ahnung zu haben, als andersherum.

Und wenn man sich nicht sicher war, konnte man immer noch googeln.

Die Trends wechselten im Übrigen ständig. Große Bauernschränke, die er vor nicht allzu langer Zeit die Treppen hinuntergeschleppt und für Zehntausende von Kronen an internationale Händler verkauft hatte, waren heute im Prinzip unverkäuflich. Teakholzmöbel und Messinglampen, die man früher in den Container geschmissen hatte, wurden jetzt auf Auktionen in New York und Paris versteigert.

Nalle holte die Schale aus der Jackentasche. Wie klein und unansehnlich sie war. Knapp fünf Zentimeter hoch und zehn im Durchmesser.

Eines der wenigen Dinge, die er über chinesisches Porzellan wusste, war, dass die Preise für besterhaltene Objekte in den letzten zwanzig Jahren kräftig gestiegen waren, und zwar, seit die Chinesen angefangen hatten, ihr kulturelles Erbe zurückzukaufen. Sobald er China-Gert mit zitternden Knien und dieser Schale in der Hand gesehen hatte, war ihm klar gewesen, dass dies genau solch ein Gegenstand war.

Wenn er nach bald vierzig Jahren in der Antiquitätenbranche etwas gelernt hatte, dann war es, Menschen zu lesen. Und als Quittung für diese Fähigkeit hatte er bereits ein Angebot für das Schälchen bekommen, das fünfmal höher war als das, was er für den gesamten Pfadfinderstand gezahlt hatte.

Vergnügt stieß Nalle auf und verströmte dabei Branntweingeruch.

Rasks Gebrauchtmöbelhandel hatte seinen Verkaufsstand ganz am Rand der Wiese, an einer beliebten Stelle, die er erst in den letzten Jahren ergattert hatte. Von Vorteil war der viele Platz. Man konnte hier ein großes Zelt aufschlagen und darin gleich mehrere Tische unterbringen. Aber vor allem konnte Nalle das Wohnmobil ganz vorfahren und direkt hinter dem Stand parken, sodass er bequemen Zugang zu Essen, Kaffee und einer Toilette hatte. Und was noch wichtig war: Er hatte einen privaten Ort, um Geschäfte zu machen.

Als er zu seinem Zelt kam, entdeckte er etwas, das ihn laut fluchen ließ.

»Jedes Jahr dieselbe Scheiße!«

Grund für seine Wut war ein Tisch mit mehreren unausgepackten Kartons, der im Gang zwischen den Zelten stand. Mit einer schwungvollen Bewegung griff er nach der Tischplatte und warf den Tisch um. Es schepperte, als die Kartons zu Boden fielen.

Vom Lärm alarmiert, kam ein großer, bärtiger Mann aus dem Nachbarzelt gestürmt.

»Was zum Teufel machst du da?«

»Ich helfe dir mit deinem Krempel, Lindeman«, erwiderte Nalle. »Du solltest mir dankbar sein. Die Gänge müssen frei gehalten werden.«

»Verdammter Idiot!«, schrie Lindeman und stieß Nalle gegen die Brust. »Das sind teure Sachen.«

Nalle knuffte zurück.

»Was weißt du schon davon, du blöder Auktionsheini! Ich schlag dich tot!«

Die beiden Männer begannen, zwischen den Zelten miteinander zu ringen. Sie waren sich hinsichtlich Statur und Alter so ähnlich, dass man meinen konnte, zwei Braunbären stünden sich auf den Hinterbeinen gegenüber.

»Hört auf!«

Eine kräftige Frau mittleren Alters trat aus dem Schatten. Ihr dunkelbraunes Haar war zu einem Pferdeschwanz gebunden, und um die Hüfte trug sie eine Bauchtasche.

»Nalle! Lindeman!«, schrie sie. »Was soll denn das?«

Sussi, Nalles Frau, starrte die beiden böse an, und die Männer beendeten ihren Ringkampf.

»Er hat meine Sachen runtergeschmissen«, keuchte Lindeman auf den Boden zeigend.

»Weil du sie auf unseren Platz gestellt hast«, schnaubte Nalle. »Du weißt ganz genau, wo die Grenze verläuft, aber jedes Jahr übertrittst du sie, nur um Ärger zu machen. Weil du neidisch bist.«

Lindeman ging einen Schritt auf Nalle zu, blieb aber stehen, als er Sussis Blick begegnete.

»Neidisch? Worauf denn?«, zischte er und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Hä? Auf deine unzufriedenen Kunden? Die Witwen, die du mit deinen unverschämten Angeboten hinters Licht führst?«

Nalle wurde rot. Er hob die geballten Fäuste, woraufhin Lindeman es ihm nachtat.

»Hört jetzt auf, alle beide«, fauchte Sussi. »Erwachsene Männer, die sich wie Kinder benehmen. Ihr solltet euch schämen. Merkt ihr nicht, dass die Leute schon gucken?«

Sie machte eine Handbewegung in Richtung einer Ansammlung von neugierigen Marktbesuchern, die stehen geblieben waren und herüberstarrten. Die beiden Männer beruhigten sich.

»Ihr könnt hier nicht jedes Jahr das gleiche Theater machen, hört ihr?«, fuhr Sussi fort. »Die Leute lachen über uns. Ihr müsst lernen, miteinander auszukommen.«

Die Männer brummten irgendeine unverständliche Antwort. Ihre Streitlust schien verflogen zu sein.

Lindeman beugte sich vor, um den umgestürzten Tisch wieder aufzustellen.

»Wenn was kaputt ist, musst du dafür aufkommen«, murmelte er.

»Schick mir die Rechnung, du blöder Idiot!«

Nalle spuckte neben Lindemans Füßen ins Gras, dann drehte er sich um und ging in sein Zelt.

»Ich will nur eben pissen«, brummte er Sussi zu, als er an ihr vorbeikam. »Dann geh ich was essen. Jimmy und du haltet hier am Stand die Stellung.«

Er verschwand im Wohnmobil und schmiss die Tür hinter sich zu. Sussi und Lindeman sahen ihm nach.

»Eines Tages kriegt Nalle, was er verdient«, sagte Lindeman dumpf. »Genau das, was er verdient.«

Nalles Frau antwortete nichts. Aber kurz sah es aus, als würde sie nicken.

3

Als es auf zwölf Uhr zuging, steuerte Vinston den Teil des Marktes an, der Essensgeruch verströmte. Er gelangte zu einem offenen Bereich, wo mehrere Plastiktische standen. An einem Schuppen hing ein Schild mit der Aufschrift Marktverwaltung. Rechts davon gab es einen mobilen Imbiss und links einen Stand mit Süßigkeiten.

Vor dem Eisstand von Frusen Glädje wand sich eine lange Schlange. Vinston hätte sich bestimmt vordrängeln können, er wollte Amanda ja eigentlich nur Hallo sagen, aber er hatte es nicht eilig. Außerdem mochte er Eis inzwischen ziemlich gern.

Von seinem Platz am hinteren Ende der Schlange sah er seiner Tochter bei der Arbeit zu. Sie schien ihre Sache gut zu machen, lächelte die Kunden an und füllte gekonnt Eis in die Waffeln. Sie wirkte viel sicherer als ihr Kollege. Offensichtlich hatte Amanda die Arbeitsschritte gut durchdacht, was Vinston sehr gefiel.

Während die Schlange immer länger wurde, erregte ein älteres Paar direkt hinter Vinston seine Aufmerksamkeit. Er lauschte heimlich ihrer Unterhaltung, verstand aber nicht so ganz, worüber sie redeten. Die Worte klangen dänisch, hatten aber zugleich eine schwedische Satzmelodie. Vinston tat sich mit dem schonischen Dialekt immer noch schwer, obwohl er ihn zumindest leichter verstehen konnte als Dänisch, was für ihn nach einer Reihe von gutturalen Lauten klang.

Seine linguistischen Überlegungen wurden von einer wütenden Stimme unterbrochen. Etwas weiter entfernt entdeckte Vinston eine Frau, die, ihrer Körpersprache nach zu urteilen, extrem aufgebracht war. Wild mit den Armen gestikulierend, stand sie vor einer anderen Person.

Vinston reckte sich, um besser sehen zu können. Die Frau musste knapp vierzig sein, sie war mittelgroß und hatte kurzes schwarzes Haar. Sie trug einen Rock und eine weiße Bluse, und über ihre Schulter hing eine teuer aussehende Handtasche.

Ihr gegenüber stand ein großer, kräftiger Mann mittleren Alters in kariertem Hemd und Kappe. Er stand seelenruhig da, während die Frau auf der Stelle herumhüpfte und mit den Händen vor seinem Gesicht herumfuchtelte. Vinston verstand nur einzelne Worte ihrer aufgeregten Tirade.

»Der Tisch ist weg … werde es bei der Polizei anzeigen … verdammte Diebe …«

Er überlegte, ob er eingreifen oder zumindest hingehen sollte, um zu erfahren, worum es ging, aber eigentlich wollte er seinen Platz in der Schlange nicht aufgeben. Bevor er sich entschieden hatte, stürmte die Frau davon. Noch immer wütend, wie es schien.

»Glauben Sie ja nicht, dass Sie damit davonkommen, Nalle Persson!«, rief sie dem Mann über die Schulter zu.

Nalle, wie dieser offenbar hieß, blieb einen Moment stehen. Die neugierigen Blicke schienen ihn keineswegs zu stören. Dann schlenderte er in die entgegengesetzte Richtung davon. Vinston sah ihm nach, bis er im Gewimmel verschwunden war.

Jetzt war er an der Reihe.

Amanda lächelte ihren Vater an und sagte ihren einstudierten Spruch auf:

»Willkommen bei Frusen Glädje, Waffel oder Becher?«

»Hallo, mein Schatz«, antwortete Vinston. »Cooler Ferienjob.«

Seine Tochter schnalzte mit der Zunge.

»An diesem Witz hast du den ganzen Tag gearbeitet, stimmt’s?«

»Er ist mir heute Morgen eingefallen«, gab Vinston zu. »Ich hätte gern zwei Kugeln in der Waffel.«

»Hast du gerade den Streit mitgekriegt?«, fragte Amanda, während sie den Eislöffel aus einem Wasserbad fischte.

»Ja, ich frage mich, worum es ging«, antwortete Vinston. »Weißt du, wer das war?«

»Ich glaube, der Typ heißt Nalle. Er hat heute Morgen den halben Pfadfinderverein zum Eis eingeladen, ich hoffe also, er kommt bald zurück und bezahlt. Die Frau habe ich noch nie gesehen. Aber sie schien ganz schön sauer zu sein.«

Amanda schabte eine Kugel Rhabarbereis zusammen und drückte sie anschließend in eine Waffel.

»Ich weiß, dass du Rhabarber liebst, aber welchen Geschmack soll die zweite Kugel haben?«

Vinston zögerte. So weit hatte er nicht gedacht.

»Du hast eine halbe Stunde angestanden!«, amüsierte sich Amanda. »Soll ich eine Kugel für dich wählen?«

»Nein, warte.«

Vinston las sich die Geschmackssorten durch, sah aber schnell ein, dass es zu viele waren, um eine Wahl treffen zu können.

»Ich nehme noch mal Rhabarber.«

Amanda verdrehte die Augen.

»Fantasie ist nicht gerade deine starke Seite.«

Sie kratzte eine weitere Kugel Rhabarbereis zusammen und reichte ihrem Vater die Waffel. Vinston zahlte, während Amanda den Betrag in die Kasse eingab.

»Wie läuft es für Mama?«, wollte sie wissen. »Ist sie vollauf mit Poppes BFF beschäftigt?«

»Fabian Anderklew? Kennst du ihn?«

»Klar. Er ist doch Lussans Onkel. Außerdem ist Fabbe Großkunde, er war auch schon hier und hat Eis gekauft. Er wohnt bei uns auf dem Schloss. Bleibt ganze zwei Wochen. Mama ist nicht gerade superglücklich darüber.«

»Nicht.«

Vinston probierte das Eis. Lussan war Amandas beste Freundin. Das sowie viele andere Dinge hatte er in den letzten Wochen über seine Tochter erfahren.

»Mama sagt, dass Fabbe und Poppe zusammen total studentisch und anstrengend sind«, fuhr Amanda fort. »Aber Poppe freut sich, und sie erträgt es seinetwegen. Wie ist das Eis?«

»Sehr gut.«

Amanda deutete auf die lange Schlange.

»Ich muss weiterarbeiten. Aber wir können uns ja morgen treffen? Ins Kino gehen oder so?«

Vinston nickte und verabschiedete sich von seiner Tochter. Er war unglaublich stolz darüber, was für eine smarte und selbstständige junge Frau sie geworden war.

Bald fand er einen freien weißen Plastikstuhl, doch bevor er sich setzte, wischte er ihn gründlich mit einer Serviette ab. Nachdem er sein Eis gegessen hatte, blieb er sitzen, genoss das sommerliche Wetter und beobachtete die vorbeiziehenden Leute, wobei er feststellte, dass hier wirklich alle möglichen Menschen herkamen. Von Familien mit Kindern bis zu sonderbaren kleinen Männern und Frauen in beiger Kleidung, die Trolleys hinter sich herzogen.

Einmal huschte Fabian Anderklew im Getümmel vorbei. Er war an seinem grünen Blazer und der auffälligen Brille leicht zu erkennen, aber der Antiquitätenspezialist hatte es so eilig, dass er nicht in Vinstons Richtung sah. Offensichtlich hatte er sich eine Weile von Poppe getrennt.

Vinston fiel ein, was Amanda gerade über das Dreiecksdrama zwischen Christina, Poppe und Fabian erzählt hatte, und verzog etwas schadenfroh den Mund. Seine Ex-Frau hatte wahrscheinlich alle Hände voll zu tun.

Vinston nahm sich vor, sich so weit wie möglich von diesem Pulverfass fernzuhalten.

Alles, was er jetzt brauchte, waren noch ein, zwei ruhige Wochen, bevor es für ihn an der Zeit war, nach Stockholm zurückzukehren.

4

Und, bist du jetzt satt und zufrieden?«, fragte Sussi kühl, als Nalle kurz nach zwölf zum Verkaufsstand zurückkam.

Einen Moment lang dachte er daran, ihr von der Schreckschraube zu erzählen, die mit ihm Streit angefangen hatte, ließ es dann aber bleiben. Sussi war so unglaublich auf das Ansehen des Familienunternehmens bedacht und wollte nichts über unzufriedene Kunden hören.

»Ja, danke«, erwiderte er deshalb nur.

»Der Tisch leert sich langsam, kannst du mir helfen, neue Sachen auszupacken?«

Sussi wickelte eine Glasvase in Zeitungspapier, legte sie in eine Tüte und reichte sie einem Kunden.

»Ist Jimmy nicht da? Ich habe gleich ein Treffen«, brummte Nalle, sich nach ihrem Sohn umblickend.

»Er ist dabei, den Scheiß, den du heute Morgen bei den Pfadfindern gekauft hast, in den Lkw zu packen«, erwiderte Sussi. »Was sollte das überhaupt?«

Auf Nalles Gesicht zeigte sich ein schiefes Grinsen.

»Ich wollte nur den Kindern helfen. Hatte Mitleid mit ihnen.«

Sussi schnaubte.

»Und das soll ich dir glauben? Dass du plötzlich ein Herz bekommen hast?«

Nalle schaute sich am Stand um und wechselte das Thema.

»Für wie viel haben wir bisher verkauft?«

»Fünfundzwanzig bis dreißig«, antwortete Sussi.

Nalle streckte auffordernd die Hand aus. Seine Frau zögerte einen Moment, öffnete dann aber ihre Bauchtasche und gab ihm ein Bündel Geldscheine.

»Ich habe jede Öre im Buch vermerkt«, zischte sie. »Bloß damit du es weißt.«

Missgelaunt grunzend steckte er die Scheine ein.

»Ich habe eine Besprechung und will nicht gestört werden. Sag das auch Jimmy, wenn er fertig ist.«

Mit diesen Worten ging er durch das Zelt zum Wohnmobil, nahm die Treppe in einem Satz und schlug die Tür hinter sich zu. Im Wagen stopfte er die Scheine in seine bereits gut gefüllte Geldbörse, bevor er sich aus einer Thermoskanne Kaffee einschenkte.

»Jede Öre vermerkt …«, brummte er vor sich hin. Als müsste er sich für sein selbst verdientes Geld rechtfertigen.

Rasks Gebrauchtmöbelhandel war der größte Haushaltsauflöser in Österlen. Allerdings war er auch nicht besonders wählerisch. Man kann mit allem Geld verdienen, auch mit Müll, war Nalles Credo. Aber das ließ er natürlich nicht die Kunden wissen.

Normalerweise führte ihn sein Arbeitstag zum Haus eines kürzlich Verstorbenen oder einer Person, die ins Altersheim gesteckt worden war. Dort schaute er sich um und machte anschließend ein Angebot.

Seine einstudierte Taktik bestand darin, dass er den Angehörigen vorwarf, seine Zeit zu verschwenden, weil das besagte Haus nur Müll enthalte. Dann, wenn er sie in der Defensive hatte, machte er ein miserables Angebot. Es war sogar vorgekommen, dass er bei dieser Gelegenheit kurzerhand das Auto oder das gesamte Haus mitgekauft hatte.

Die besten Sachen nahm Nalle direkt mit. Dann durften Sussi und Jimmy mit ein paar Mitarbeitern den Rest in Kartons packen und alles zu ihrem Laden fahren.

Wenn die Angehörigen nicht sofort anbissen oder er gute Laune hatte, bot er ihnen an, auch das Putzen und Leerräumen des Hauses zu übernehmen. Dieser Gefallen kostete ihn in Wirklichkeit nichts, weil er die wertlosesten Dinge einem Polen überließ, der einen Flohmarkt betrieb und im Gegenzug ein paar Putzleute vorbeischickte.

Nalle war mit seinem Geschäftsmodell sehr zufrieden. Dass dabei im Großen und Ganzen bar bezahlt wurde, machte die Sache nicht schlechter.

Er trank einen Schluck Kaffee und holte dann die Schale hervor, die er den halben Tag mit sich herumgetragen hatte.

Fünfunddreißigtausend bar auf die Hand würde er in Kürze für diesen wertvollen Fund bekommen.

Das ergab einen ordentlichen Gewinn. Seine Laune war so gut, dass weder diese kleine Vogelscheuche, die ihn mit einem Haufen Beschuldigungen konfrontiert hatte, noch seine eigene beleidigte Alte ihm den Tag vermiesen konnte. Fünfunddreißigtausend Kronen, die Sussi nicht in ihr verdammtes Buch schreiben konnte, weil sie von deren Existenz keine Ahnung hatte. Geld, das ihm gut zupasskam. Dies war nämlich sein letzter Antiquitätenmarkt.

Eine neue Zeit stand ihm bevor, eine ruhigere Zeit voller Entspannung, Reisen und angenehmer Gesellschaft. Ohne anstrengende Kunden, schwere Arbeit und alten Dreck.

Ein leises Klopfen unterbrach seine schönen Gedanken. Nalle versteckte die Schale in einem Schrank, bevor er die Tür öffnete.

Es war sein Sohn. Jimmy war knapp dreißig und fast so groß wie sein Vater, hatte aber deutlich weichere Gesichtszüge.

»Ich gehe zum Imbiss. Wollte nur hören, ob du was brauchst?«

Jimmy warf einen neugierigen Blick in das Wohnmobil, als wolle er sehen, was dort vor sich ging.

Nalle holte tief Luft. Sein erster Impuls war, seinen Sohn anzumeckern, weil er ihn störte. Dieser Apfel war wirklich weit vom Stamm gefallen, Jimmy hatte die unangenehme Eigenschaft, in den falschen Momenten aufzutauchen. Manchmal, vor allem in letzter Zeit, hatte Nalle den Eindruck, sein Sohn würde ihm hinterherspionieren. Aber heute konnte nicht einmal Jimmy Nalles gute Laune zunichtemachen.

»Nein danke, kleiner Jimmy«, sagte er so freundlich wie möglich. »Ich habe ein paar Termine und will nicht gestört werden. Aber danke der Nachfrage.«

Sobald die Wohnmobiltür geschlossen war, kramte Nalle eines seiner Handys hervor.

Treffen wir uns in einer halben Stunde am Eisstand?, schrieb er und drückte auf Senden.

Die Antwort kam prompt.

Ein Herz, gefolgt von zwei Worten.

Habe Sehnsucht.

Nalle holte die Schale aus dem Schrank, hielt sie gegen das Licht und bewunderte das schöne Muster.

Das Schälchen hatte was, fand er. Vielleicht würde es ihm Glück bringen, und das nicht nur geschäftlich. War es dumm, die Schale zu verkaufen? Er hatte versucht, den Wert zu googeln, aber kein Objekt gefunden, das diesem entsprach.

Fünfunddreißigtausend war nicht wenig Geld, aber was, wenn es in Wirklichkeit viel mehr wert war? Wollte er dieses Risiko wirklich eingehen?

Wenn er darüber nachdachte, kam es ihm so vor, als sei der potenzielle Käufer doch ein wenig zu enthusiastisch gewesen. Vielleicht sollte er also lieber einen kühlen Kopf bewahren.

Ein erneutes Klopfen, diesmal an der Hintertür, ließ ihn aufschauen.

Nach einem Blick aus dem kleinen Wohnmobilfenster öffnete er.

»Komm rein, Daniel«, sagte er zu dem Mann, der draußen wartete.

»Gut, dass du hintenrum kommst. Es hat dich doch keiner gesehen? Ich habe wie versprochen dein Geld für den letzten Job.«

5

Nachdem Vinston ein paar langweilige Stunden auf dem Markt verbracht hatte, ging er zur äußersten Standreihe, wo sich Christina und Poppe seiner Berechnung nach jetzt befinden müssten. Und tatsächlich entdeckte er Poppe in Betrachtung antiker Korkenzieher an einem großen, überdachten Stand, bei dem die Zeltwände teilweise aufgeschlagen waren. Lindemans Auktionsunternehmen stand auf einem Schild über dem Eingang.

Auf den Tischen drängten sich Keramikobjekte, alte Messinggegenstände, Medaillen und eine Sammlung grob gereinigter Apothekenflaschen verschiedener Größen mit von Hand beschrifteten Etiketten.

Ein junger Mann kümmerte sich um den Verkauf, während ein bärtiger Herr, den Vinston für den Antiquitätenhändler hielt, auf einem Klappstuhl saß und die Kunden beobachtete. Er war groß und kräftig, und abgesehen vom Bart ähnelte er dem Mann, den Vinston vorhin streitend neben der Eisbude gesehen hatte.

Der Antiquitätenhändler trank fleißig Bier aus einer Dose, seine Augen waren gerötet, und der Blick wirkte verschwommen. Seine Lippen bewegten sich abwesend wie bei einem leisen Selbstgespräch.

In der Ecke des Verkaufsstands gab es ein Holzgestell mit blanken Waffen: Degen, Säbeln, Bajonetten. Vinston erkannte einen langen Dolch mit Messingdetails auf der schwarzen Scheide sowie einer goldenen Quaste, die vom Griff herabbaumelte. Ehrendolch, um 1950, Königliche Luftwaffe, las er auf einem Schildchen. Vinston nickte zufrieden. Zu Hause in seiner Wohnung hatte er ein Foto seines Großvaters in der Paradeuniform der Luftwaffe mit solch einem Dolch im Gürtel.

Sein Großvater hatte während des Kalten Krieges heimliche Beobachtungsflüge an der Ostseeküste durchgeführt. Vinston selbst hatte auch davon geträumt, Pilot zu werden, aber leider war er zu groß für das Cockpit eines Kampfflugzeugs.

Er zog den Dolch aus der Scheide. Die schmale Klinge war beidseitig geschliffen und überraschend spitz.

»Bist du nicht zu alt, um mit Schwertern zu spielen?«, fragte Christina hinter seinem Rücken.

Vinston drehte sich um.

»Das ist kein Schwert, sondern ein Ehrendolch«, erklärte er. »Eine Zeremonienwaffe, die …«

Er brach mitten im Satz ab.

Seine Ex-Frau war in Gesellschaft einer schönen Frau in Sommerkleid und Sneakers, deren langes hellbraunes Haar zu einem Zopf geflochten war. Vinston steckte die Waffe verlegen zurück in die Scheide und hängte sie wieder ins Gestell.

»Das ist Peter, mein früherer Mann«, sagte Christina. »Und das ist Anna Tyche.«

Die Frau nahm die Sonnenbrille ab, bevor sie Vinston eine sonnengebräunte Hand entgegenstreckte. Sie war etwa vierzig, und ihre warmen braunen Augen lösten in Vinstons Brust ein weiches Flattern aus.

»Anna hat das schönste Antiquitätengeschäft in ganz Schonen«, fuhr Christina fort.

»Danke, wie nett, dass du das sagst«, erwiderte Anna mit gespielter Bescheidenheit. »Aber das stimmt nicht.«

Vinston schüttelte ihre Hand.

»Angenehm.«

Angenehm? Seufz. Warum benutzte er ein Wort aus dem letzten Jahrhundert? Warum hatte er nicht gesagt: Schön, dich kennenzulernen, oder einfach nur Hallo?

Christina raschelte mit ihren Tüten.

»Wie du siehst, bin ich fündig geworden. Wir müssen nur noch die äußerste Reihe ablaufen. Kommst du mit, oder bist du es langsam satt, Peter?«

»Überhaupt nicht, im Gegenteil«, log Peter. »Diese Antiquitäten sind sehr interessant.«

»Dann sieh mal hier.«

Christina wühlte in ihren Taschen und zeigte ihre vielen Käufe vor. Anna Tyche hatte hingegen leere Hände.

»Ich habe meine Sachen schon zum Auto gebracht«, erklärte sie. »Ich war heute Morgen sehr früh da, so wie die meisten professionellen Käufer. Da entdeckt man die besten Fundstücke.«

Während sie an den Ständen entlangspazierten, erzählte Anna eine Anekdote über die wilden Geschäfte, die manchmal gemacht wurden.

Vinston hörte interessiert zu. Anna war locker, spontan, und es war leicht, sich in ihrer Gesellschaft wohlzufühlen. Sie besaß einen Laden im Zentrum von Malmö, wo sie Designermöbel aus dem zwanzigsten Jahrhundert verkaufte. Offensichtlich war Christina eine gute Kundin.

»Von Anna habe ich das dänische Sideboard aus Palisander gekauft, das im Wohnzimmer steht.«

»Ah, das ist superschön«, behauptete Vinston, obwohl er keine Ahnung hatte, von welchem Möbelstück sie sprach.

Poppe, einen Gegenstand unter dem Arm tragend, schloss sich ihnen breit lächelnd an.

»Ich habe etwas Scharfes gefunden! Buchstäblich!«

Er zeigte ihnen ein vierundfünfzig Zentimeter großes Modell einer Guillotine, die mit einem scharf geschliffenen Beil versehen war, das man an einem dünnen Seil hochziehen konnte.

»Hier auf den Richtblock legt man die Zigarre«, erklärte er vergnügt. »Und da, in der kleinen Zinkwanne, landet der Stumpen. Zack!«

Christina sah weniger begeistert aus.

»Du und Fabbe dürft nicht mit diesem Apparat spielen, wenn ihr betrunken seid. Das kann dich einen Finger kosten.«

»Oder was anderes«, flüsterte Anna Vinston zu, der daraufhin verlegen hustete.

Plötzlich traf ein Regentropfen seine Hand, kurz darauf fiel ein weiterer auf seinen Nacken. Er sah hoch und entdeckte eine große, dunkle Wolke, die wie aus dem Nichts aufgetaucht war.

»Oh, nein«, jammerte Christina. »Regnet es etwa?«

Noch bevor jemand antworten konnte, dröhnte ein Donnergrollen durch das Tal, und im nächsten Augenblick öffnete sich der Himmel.

Regen ergoss sich auf die Marktstände, die Besucher suchten eilig Schutz. Christina, Poppe und Anna versuchten, sich unter ein vorstehendes Zeltdach zu drängen, aber da alle anderen Marktbesucher es genauso machten, wurde es schnell eng, feucht und stickig.

Vinston hingegen spannte triumphierend den Schirm auf, den er bei sich getragen hatte. Dabei schielte er auf seine Armbanduhr. 14:31 Uhr. Überraschende Ereignisse zu notieren war eine polizeiliche Unart, die er sich schon vor Jahren zugelegt hatte.

»Ist für mich auch noch Platz?«

Anna Tyche stellte sich direkt neben ihn.

»Selbstverständlich.«

Sie legte ihre Hand auf seine und zentrierte so den Regenschirm über ihnen beiden.

»Tut mir leid, dass ich mich so aufdränge.«

»Das macht gar nichts.«

Die Tropfen klatschten laut auf den Schirm, als der Regen an Stärke zunahm. Innerhalb weniger Minuten hatten sich Pfützen auf dem Boden gebildet. Die Verkäufer, die ihre Planen zu nachlässig aufgespannt hatten, sprangen vollkommen durchnässt umher und versuchten, den Fehler zu korrigieren. Wieder donnerte es.

Anna stellte sich noch näher an Vinston. Sie reichte ihm etwa bis zum Kinn, und er wusste nicht, wohin er schauen sollte. Also sah er weg. Ihr Parfum duftete wunderbar und kam ihm bekannt vor.

Vinston legte unauffällig den Kopf schief und sog den Geruch durch die Nase ein. Flieder? Jasmin? Jedenfalls nicht Rose.

»Hast du immer einen Schirm dabei?«, fragte Anna.

Vinston richtete sich ertappt auf.

»Auf jeden Fall bei solchen Gelegenheiten«, erwiderte er. »Sicher …«

»… ist sicher«, ergänzte Anna und sah Vinston einen Moment lang in die Augen.

Zu seiner Enttäuschung endete der Regen so schnell, wie er begonnen hatte. Vinston klappte widerwillig den Schirm zu, dann lösten sich er und Anna voneinander.

»Wie nett ihr beiden es hattet«, kommentierte Christina grinsend.

Vinston tat, als hätte er nichts gehört.

»Kommst du heute Abend auch, Peter?«, wollte Anna wissen.

Er hob fragend die Augenbrauen.

»Wir veranstalten ein kleines Abendessen auf dem Schloss«, erklärte Christina. »Du bist natürlich herzlich eingeladen, wenn du kommen willst.«

»Das tut mir leid«, sagte Anna verlegen. »Ich dachte …«

Vinston beeilte sich, sie aus der Situation zu retten.

»Ich will mich absolut nicht aufdrängen.«

»Redet nicht so einen Unsinn«, sagte Christina bestimmt. »Der Grund, warum ich dich bisher nicht eingeladen habe, ist, dass wir wahrscheinlich hauptsächlich über Antiquitäten und die bevorstehende Fernsehübertragung sprechen werden. Fabbe ist natürlich mit dabei. Aber je mehr ich darüber nachdenke, desto besser fände ich es, wenn du auch kommst. Ein paar mehr Erwachsene am Tisch können nicht schaden.«

Sie nickte in Richtung Poppe, der sich gerade vergewisserte, dass seine Zigarrenguillotine nicht nass geworden war.

»Was meint ihr? Sollen wir langsam nach Hause gehen?«, fragte Christina dann.

Um sie herum hatten die Aussteller alle Hände voll damit zu tun, die Zeltdächer vom Wasser zu befreien, damit der Verkauf weitergehen konnte, aber dem Markt war spürbar die Luft ausgegangen. Die meisten Besucher schienen sich Richtung Ausgang zu bewegen.

Vinston schüttelte ein letztes Mal seinen zusammengeklappten Regenschirm, bereit, Christina und den anderen zum Wagen zu folgen.

Aber bei einem der größeren Zelte ein Stück weiter schien etwas vor sich zu gehen. Zuerst war es kaum merklich, nur eine leichte Unruhe in der Körperhaltung der Besucher, die am nächsten standen. Als würden sie zwischen dem Impuls, schnell wegzulaufen oder dazubleiben, hin- und hergerissen.

Vinston hatte dieses Phänomen mehr als einmal beobachtet, öfter, als ihm lieb war. Eine Warnglocke klingelte in seinem Kopf, weshalb er beschloss, näher heranzugehen.