Independent Living - Mark Schleicher - E-Book

Independent Living E-Book

Mark Schleicher

0,0

Beschreibung

Das Competence Center Independent Living startete 2006 mit dem Ziel, alte Menschen durch Informationstechnik so zu unterstützen, dass sie lange und selbständig in den eigenen vier Wänden leben können. Die Bedarfsanalyse zeigte, dass die Zielgruppe vor allem einen einfachen Zugang zum breit gefächerten Angebot von haushaltsnahen Dienstleistungen braucht, dass dies aber auch für viel beschäftigte Junge gilt. Vor allem in urbanen Regionen nutzen die Menschen aller Altersklassen eine überraschend breite Vielfalt von persönlich erbrachten Dienstleistungen, von der Haushaltshilfe über den Fahrdienst und Pflegedienste bis zum Zahnarzt. Die grösste Barriere neben den Kosten dieser Services ist die Administration, für den Konsumenten wie für den Anbieter. Die Suche nach Dienstleistern und passenden Angeboten, die Terminvereinbarung, Erinnerung und Terminänderung, die Abrechnung und die Bewertung schrecken die Konsumenten ab und erzeugen hohen Administrationsaufwand auf beiden Seiten. Einen Teil dieser Koordinationsaufgaben tragen heute soziale Organisationen, Angehörige, das Entlassungsmanagement von Krankenhäusern, Quartiersmanager und zunehmend Selbsthilfeorganisationen (Nachbarschaftshilfe, Austauschforen usw.). Das CC Independent Living entwickelte den Dienstleistungsmarktplatz Amiona, der es den Konsumenten leicht macht, den individuellen Bedarf aus dem umfangreichen Angebot über eine mobile App oder den PC zu organisieren. 24/7, überall, individuell, wohl dokumentiert, kostengünstig. Amiona steht als Hosted Service zur Verfügung und ist an mehreren Orten im produktiven Einsatz. Der Bericht dokumentiert in einem Teil die vielen Entwicklungsschritte auf Basis von Piloteinsätzen der Software und geht in einem anderen Teil auf mögliche Entwicklungen in der Versorgung mit haushaltsnahen, persönlichen Dienstleistungen ein. Diese könnten künftig integraler Bestandteil digitaler Lebensassistenten werden, die den Menschen die Organisation des Alltags weitgehend abnehmen.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 149

Veröffentlichungsjahr: 2017

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Manuel Eisele, Philipp Osl, Hubert Österle, Mark Schleicher

Independent Living

Leben mit haushaltsnahen Dienstleistungen

Impressum

Texte:   © Copyright by Manuel Eisele, Philipp Osl, Hubert Österle, Mark Schleicher Umschlag: © Copyright by Andreas Karré Verlag:  Mark Schleicher

Institut für Wirtschaftsinformatik der Universität St. Gallen Müller-Friedberg-Strasse 8 CH-9000 St. Gallen [email protected]

Druck:  epubli ein Service der neopubli GmbH, Berlin

ISBN 978-3-****-***-*

Printed in Germany

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

1 Independent Living 10

1.1 Die demographische Herausforderung 10

1.2 Ambient Assisted Living 11

1.3 Dienstleistungsassistent 11

2 Dienstleistungsmarktplatz Amiona und das digitale Dorf 13

2.1 Ein erster Versuch mit nativen Apps (Amiona V1) 14

2.1.1 Piloteinsätze und Lessons Learned 16

2.1.1.1 LebensQualität Weil der Stadt 16

2.2 Webanwendung und erste Schritte in Richtung Standardlösung (Amiona V2) 17

2.2.1 Piloteinsätze und Lessons Learned 19

2.2.1.1 LebensQualität Weil der Stadt 19

2.2.1.2 Haus Durachtal 20

2.2.1.3 AmbientConcierge (AmCo) 22

2.3 Ein Versuch zur Viralität (Amiona V3) 24

2.3.1 Piloteinsätze und Lessons Learned 24

2.3.1.1 Das digitale Dorf – Amiona St. Gallen 24

2.3.1.2 LebensQualität Weil der Stadt 32

2.3.1.3 GeTVivid – Let’s Do Things Together 32

2.4 Usability und Funktionalität (Amiona V3.5) 34

2.4.1 Piloteinsätze und Lessons Learned 34

2.4.1.1 Das digitale Dorf – Amiona St. Gallen 34

2.4.1.2 Haus Durachtal 36

2.5 Funktionale Erweiterungen für spezielle Anwendungsbereiche (Amiona V3AGG) 37

2.5.1 Piloteinsätze und Lessons Learned 37

2.5.1.1 Lebendige Nachbarschaft Rungestrasse, Hamburg 37

2.5.1.2 LebensQualität Weil der Stadt 39

2.5.2 Integrierende Gate-Anwendung 41

2.6 Zusammenfassende Erkenntnisse aus den Pilotierungen 43

3 Lebensassistenz: Stand und Ausblick 47

3.1 Digitale Dienste in allen Lebensbereichen 47

3.1.1 Information und Kommunikation 48

3.1.2 Unterhaltung 49

3.1.3 Einkauf von Produkten und Dienstleistungen 50

3.1.4 Wohnung 51

3.1.5 Gesundheit 52

3.1.6 Mobilität 53

3.1.7 Beruf 53

3.1.8 Administration 54

3.1.9 Informationstechnik 55

3.1.10 Lebensassistent 56

3.2 Technische Vision 57

3.3 Lebensassistenz für Senioren 60

3.3.1 Information und Kommunikation 60

3.3.2 Unterhaltung 61

3.3.3 Einkauf von Produkten und Dienstleistungen 61

3.3.4 Wohnung 62

3.3.5 Gesundheit 62

3.3.6 Mobilität 62

3.3.7 Beruf 63

3.3.8 Administration 63

3.3.9 Informationstechnik 63

3.4 Wege zum digitalen Lebensassistenten 64

3.4.1 Einzelapplikation oder Integration in die Megaportale 64

3.4.2 Soziotechnische Lösung 65

3.4.3 Konsequenzen für den Konsumentenmarkt 66

3.5 Forschung und Entwicklung zum Independent Living 67

4 Anhang 69

4.1 Verwandte Forschungsinitiativen 69

4.2 Verwandte Lösungen 73

4.3 Publikationen CC IL 78

5 Abkürzungsverzeichnis 79

6 Literaturverzeichnis 79

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1.1: Übersicht von Dienstleistungen für einen elektronischen Dienstleistungsmarktplatz 13

Abbildung 2.1: Übersicht über die Komponenten der ersten Version des elektronischen Dienstleistungsmarktplatzes 15

Abbildung 2.2: Serviceaufträge in der IL Plattform bei SAP Business ByDesign 15

Abbildung 2.3: Amiona V2 – Ansicht des Dienstleistungskatalogs am PC (am Beispiel von LebensQualität Weil der Stadt) 18

Abbildung 2.4: Amiona V2 – Ansicht des Dienstleistungskatalogs am Smartphone (am Beispiel von LebensQualität Weil der Stadt) 19

Abbildung 2.5: Startseite für das Haus Durachtal auf Basis von Amiona V2 21

Abbildung 2.6: AmCo-Cockpit 23

Abbildung 2.7: Entwicklung der Nutzerzahlen im „digitalen Dorf“ St. Gallen 25

Abbildung 2.8: Transaktionszahlen je Woche im „digitalen Dorf“ St. Gallen 25

Abbildung 2.9: Unterschiedliche Suchresultate für Garagen 27

Abbildung 2.10: Startseite des Markplatzes für das digitale Dorf in St. Gallen 28

Abbildung 2.11: Amiona-Anfragebutton auf einer Dienstleister-Webseite 30

Abbildung 2.12: Ansicht von Amiona V3 für LebensQualität Weil der Stadt 32

Abbildung 2.13: Ansicht aus der HbbTV-Anwendung von GeTVivid 33

Abbildung 2.14: Startseite von Amiona St. Gallen 35

Abbildung 2.15: Von einem Anbieter angebotene kurzfristige Termine zur direkten Buchung inklusive eines Rabatts 36

Abbildung 2.16: Angepasstes Anfrageformular für den Fahrdienst im Haus Durachtal 37

Abbildung 2.17: Katalogeinträge mit farblich unterschiedenen Angeboten und Bedarfen 38

Abbildung 2.18: Formular (Ausschnitt) zur Erfassung eines Gesuchs 39

Abbildung 2.19: Exemplarischer Verfügbarkeitskalender aus der Instanz für «LebensQualität Weil der Stadt» 40

Abbildung 2.20: Angepasstes Anfrageformular mit Einbindung des persönlichen Kunden-Adressbuchs («Termine im Auftrag anderer») 40

Abbildung 2.21: Screen-Design der Startseite für die integrierende Gate-Anwendung für die Pilotierung in Hamburg 42

Abbildung 2.22: Übersicht über die Pilotierungen 46

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1.1: Teilnehmende Organisationen im Independent Living Netzwerk St. Gallen 9

Tabelle 1.2: Projektförderungen im Rahmen des Competence Centers «Independent Living» 10

Tabelle 1.3: Mitarbeitende am CC IL 10

Tabelle 4.1: Forschungsinitiativen 70

Tabelle 4.2: AAL-Projekte und AAL-Testregionen 72

Tabelle 4.3: Independent Living und Smart Home von kommerziellen Anbietern 73

Tabelle 4.4: Verticals 74

Tabelle 4.5: Marktplätze für Freiwilligenarbeit, Nachbarschaftshilfe und informelle Anbieter 74

Tabelle 4.6: Marktplätze für professionelle und informelle Dienstleistungen 75

Tabelle 4.7: Apps in China: “Online-to-Offline-Services” 76

Tabelle 4.8: Angebote zur Online-Terminbuchung 77

Das Competence Center “Independent Living” war ein Forschungsbereich des Instituts für Wirtschaftsinformatik der Universität St. Gallen, finanziert aus Forschungsmitteln der Europäischen Union, der Schweiz, der Ernst Göhner Stiftung, der Gebert Rüf Stiftung sowie aus Mitteln des Instituts selbst (s. Tabelle 1.2). Die Forschung fand in einem Netzwerk von Organisationen rund um das Thema Lebensqualität für Senioren, dem Independent Living Netzwerk St. Gallen{1} (s. Tabelle 1.1){2}, statt. Das Competence Center startete 2006 und wurde zum Ende des Jahres 2016 abgeschlossen.

Folgende Organisationen wirkten im Rahmen des Independent Living Netzwerks mit:

Adhoco

Lekker Leven

Age Stiftung

Locate Solution GmbH

Atlas Stiftung

Lohmann & Birkner Mobile Services

AXA Winterthur

mia-TeleDialogServiceGesellschaft mbH

Bonacasa (Bracher & Partner)

Nestor

Credit Suisse

Phonak

Curena AG

pom+Consulting AG

Deutsches Rotes Kreuz, Kreisverband Bitburg-Prüm

Raiffeisen Schweiz

DE-WO Deine Wohnung

Robert Bosch Healthcare

DGS Deutsche Gesellschaft für Seniorenberatung

Rummelsberger Diakonie

Diakonie Neuendettelsau

Sanitas

DOGEWO Dortmunder Gesellschaft für Wohnen mbH

SAP

Dussmann AG & Co. KGaA

Schweizerische Post

Entwicklungszentrum Gut altwerden

Schweizerisches Rotes Kreuz

Evangelische Heimstiftung

Senevita

Evangelische Stiftung Alsterdorf

Seniorenverband Nordwestschweiz

FACO Immobilien

Siemens IT Solutions and Services AG

Finanz-Informatik

Swisscom

Georg Thieme Verlag KG

Terra Consulting Partners GmbH

Home Instead Schweiz AG

terzStiftung

Immologis

TICO

Implenia

Vincenz von Paul gGmbH

Intel GmbH

VOLKSWOHNUNG GmbH

Interboden / Institut für Lebenswelten

Wincasa

Itartis AG / Alterswelt Lebenswert

Wohlfahrtswerk für Baden-Württemberg

Kaba AG

World Demographic & Ageing Forum

Kunesto GmbH

Zydacron Austria GmbH

Tabelle1.1: Teilnehmende Organisationen im Independent Living Netzwerk St. Gallen

Die Arbeit im Competence Center „Independent Living“ war nur durch die Unterstützung von Fördergebern möglich:

Quelle

Projekt

Fördersumme / Beitrag in CHF

AAL Joint Programme Call 2

FamConnector: Activity Based Intergenerational Interactions

           310'660  

AAL Joint Programme Call 3

AmCo – Ambient Concierge

           271'465  

AAL Joint Programme Call 4

DOSSy - Digital Outdoor and Safety System

           187'204  

AAL Joint Programme Call 5

GeTVivid – Let’s Do Things Together

           256'230  

Ernst Göhner Stiftung

Independent Living, Das digitale Dorf

             30'000  

Gebert Rüf Stiftung

Das Virale Digitale Dorf - Services für Bürgerinnen und Bürger

327'000  

Mitglieder des Independent Living Netzwerks

Independent Living Netzwerk St. Gallen + Einzelprojekte

526'569

Summe

1'909'128  

Tabelle1.2: Projektförderungen im Rahmen des Competence Centers «Independent Living»

Mitarbeitende des Competence Center „Independent Living“ waren:

Name

Von - bis

Dr. Alain Benz

03/2009 – 03/2013

Dr. Sebastian Bosse

04/2008 – 01/2009

Nina Kroll

04/2011 – 07/2011

Manuel Eisele

06/2013 – 12/2016

Omid Molavi

03/2012 – 09/2012

Prof. em. Dr. Dr. h.c. Hubert Österle

02/2006 – 12/2016

Dr. Philipp Osl

02/2006 – 08/2009 und 08/2010 – 12/2016

Dr. Ernst Sassen

12/2006 – 05/2010

Dr. Peter Schenkel

10/2010 – 03/2014

Mark Schleicher

01/2015 – 12/2016

Agata Sroka

09/2011 – 02/2013

Pascal Tuppi

03/2013 – 11/2014

Christine Wetli

12/2009 – 09/2010

Tabelle1.3: Mitarbeitende am CC IL

1 Independent Living

Das Ziel des Competence Centers “Independent Living” (CC IL) war es zu erforschen, wie ältere Menschen möglichst lange eine hohe Lebensqualität bewahren können. Diese sollten ihr gewohntes Leben in den eigenen vier Wänden solange wie möglich unabhängig und selbstbestimmt beibehalten.

1.1 Die demographische Herausforderung

Vier Aspekte prägen die Ausgangssituation der Forschung auf diesem Gebiet (Osl, 2010):

Der Rückgang an Geburten und das längere Leben bewirken, dass im Jahre 2030 52 Alte (über 65) auf 100 Personen im Erwerbsalter kommen, während es im Jahre 1991 noch 24 Personen waren. Das ist eine Herausforderung für die Pensionssysteme, aber auch für die personellen Ressourcen. “Die Bertelsmann Stiftung geht davon aus, dass bei Fortschreibung der bestehenden Strukturen der Altenhilfe sich die Zahl der stationären Pflegeplätze bis 2050 mehr als verdoppeln müsste ...” (Osl, 2010, S. 1).

Die neue Generation der alten Menschen hat andere Wertvorstellungen und ein anderes Konsumverhalten als frühere Generationen. Sie legen mehr Wert auf Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung (Gawande, 2014).

Die Informationstechnik kann die Lebensqualität bei gleichbleibenden finanziellen Restriktionen verbessern.

Die Versorgung der Alten mit Produkten und Dienstleistungen hat das Potential für einen rasch wachsenden Wirtschaftszweig mit Exportchancen in die ganze Welt.

1.2 Ambient Assisted Living

Die EU, Deutschland, die Schweiz und viele andere Staaten haben mit Blick auf die Demographie im Zeitraum 2008 – 2013 EUR 317,5 Millionen in die Forschung und Entwicklung von IT-basierten Hilfen für Senioren im Rahmen des Ambient Assisted Living (AAL) Joint Programme investiert (EC, 2013, S. 27). Aufgrund des Erfolgs des ersten Förderprogramms wurde das Programm verlängert und 2014 in „Active and Assistive Living Programme“ umbenannt. Dieses ist mit EUR 700 Millionen finanziert, wovon mit EUR 350 Millionen die Hälfte aus öffentlichen Mitteln besteht und die übrige Finanzierung von den partizipierenden Unternehmen getragen wird; EUR 175 Millionen werden dabei von der EU im Rahmen des Förderprogramms „Horizon 2020“ und EUR 175 Millionen von den teilnehmenden Ländern getragen (AAL, 2016). Die Zahl der Senioren, insbesondere der Betreuungs- und Pflegebedürftigen, überfordert in der Zukunft die finanziellen und die personellen Ressourcen. Die am Programm beteiligten Staaten wollen den Aufwand der Altenbetreuung und -pflege begrenzen und gleichzeitig die Lebensqualität der Alten verbessern.

Der erste Ansatz des Competence Center IL verfolgte wie viele AAL-Projekte das Ziel, mit intelligenten Geräten im Haushalt die Sicherheit der Senioren zu erhöhen und die Unterstützungsleistungen durch Betreuer zu reduzieren. Automatische Pill Dispenser sollten für eine regelmässige und korrekte Medikation sorgen, Bewegungssensoren für die Früherkennung von Sturzgefahren und das Erkennen von ungewöhnlich langen Ruhezeiten, Notrufuhren für die Alarmierung von Angehörigen und Temperatursensoren für das Abschalten von vergessenen Herdplatten. Türsensoren sollten beim Verlassen der Wohnung elektrische Geräte aus- und die Einbruchsicherung einschalten, elektrische Türschlösser den Rettungskräften im Alarmfall über einen Code die Tür öffnen. Von Robotern erwartete man eine Unterstützung in der Pflege. Sprachkommunikation sollte die Bedienung von Haushaltsgeräten und -diensten vereinfachen und Videophonie mit Freunden die Vereinsamung vermeiden.

Aus den vielen Forschungs- und Entwicklungsprojekten zu intelligenten Geräten spezifisch für Senioren haben es bis heute wenige Ideen aus Musterwohnungen hinaus in den Alltagsbetrieb geschafft. In den privaten Haushalten sind vor allem Notrufsysteme (Armbänder, Uhren, Anhänger) und in Krankenhäusern vereinzelt Fussmatten zur Überwachung von Demenzpatienten im Einsatz. Einige Pflegeheime verwenden in der Therapie den Roboter Paro, der eine Sattelrobbe darstellt und auf Streicheln mit Bewegungen und tierähnlichen Tönen reagiert. Ein wichtiger Grund für den mangelnden Erfolg ist der bis heute zu hohe Aufwand zur Einrichtung und zur Benutzung der Geräte. Darüber hinaus fürchten die Senioren die Stigmatisierung durch Seniorenprodukte. Sie kaufen eher ein Motorrad als eine Notrufuhr.

1.3 Dienstleistungsassistent

Das Competence Center IL hat nach einer intensiven Erfassung der Bedürfnisse von Senioren, Angehörigen, Betreuungs- und Pflegekräften (Osl, 2010) auf den Einsatz von "Senioren"-geräten verzichtet. Die Bedürfnisanalyse hat ergeben, dass Alte viel eher Unterstützung in der Organisation ihres Alltags benötigen. Das sind vor allem haushaltsnahe, persönlich erbrachte Dienstleistungen wie z.B. Gartenarbeiten, Reparaturen in der Wohnung, Fahrdienste, Lieferdienste, Verwaltung der finanziellen Angelegenheiten (von Rente und Zuschüssen bis zur Zahlung von Rechnungen), Friseur und Physiotherapie. Weitere wichtige Bedürfnisse sind die Pflege von Kontakten zu Freunden und Familie, der Wunsch nach Unterhaltung aufgrund mehr verfügbarer Zeit sowie die Versorgung mit Informationen zum politischen und gesellschaftlichen Geschehen. So kann auch die Gefahr von Vereinsamung im Alter reduziert werden.

Das Competence Center IL prüfte im Jahre 2010 und auch später wiederholt die verfügbaren Dienstleistungsplattformen und kam zur Erkenntnis, dass diese Plattformen die Bedürfnisse von Senioren und anderen Konsumentengruppen nicht erfüllen. Es konnten zwar Plattformen identifiziert werden, die einzelne der benötigten Funktionen abdecken (bspw. Verzeichnisdienste für das Finden von Anbietern, aber ohne Auflistung der angebotenen Dienstleistungen, oder Terminkoordinationstools für spezielle Szenarien wie Gruppentermine, aber keine Unterstützung bei mangelnder Digitalisierung auf Anbieterseite), eine integrierte und damit für Konsumenten leicht nutzbare Lösung konnte aber nicht gefunden werden. Die Verfügbarkeit von entsprechenden Terminkoordinationslösungen hat sich dabei als besonders problematisch herausgestellt.

Obwohl es zahlreiche Versuche gegeben hat und gibt, einzelne Anwendungsfälle wie die Buchung eines Tisches in einem Restaurant oder die Vereinbarung von Friseurterminen zu digitalisieren (Stichwort „Verticals“), fehlt es nach wie vor an einem umfassenden Ansatz, welcher dem eigentlichen Problem gerecht wird: der bislang mangelnden Vereinfachung durch elektronisch unterstützte Abläufe. Erfolgreiche, vertikal ausgerichtete Lösungen konnten sich in diesem Punkt teilweise abheben, da sie dem Benutzer durch die Spezialisierung und strikte Optimierung auf einzelne Anwendungsfälle einen Mehrwert gebracht haben. Durch die anbieterseitige Einschränkung auf ein bestimmtes Buchungssystem und die Notwendigkeit zur vollumfänglichen Pflege aller Dienstleistungen, Konditionen, Mitarbeiter und Termine innerhalb des jeweiligen Systems ist die Akzeptanz aber in vielen Bereichen stark eingeschränkt.

Ein weiteres Problem, das auch im Rahmen der Entwicklung des Dienstleistungsmarktplatzes adressiert wurde, ist der notwendige Funktionsumfang von Koordinationslösungen. Auf der einen Seite muss die Nutzung des elektronischen Dienstes auf Konsumentenseite einen Vorteil bringen. Das kann bspw. durch die schnellere Abwicklung der Terminvereinbarung oder durch die Erreichbarkeit ausserhalb von Öffnungszeiten passieren, allerdings dürfen die erreichten Vorteile nicht wieder durch erhöhte Komplexität relativiert werden. Auf der anderen Seite müssen auch Anbieter durch Flexibilität überzeugt werden, bspw. indem auch ein Papierkalender weiter genutzt werden kann. Um beiden Seiten gerecht werden zu können, sind neue Ansätze mit Kompromissen gefragt: Automatisierung alleine genügt nicht. Diese neuen Ansätze sind in den bestehenden Angeboten nicht enthalten.

Aus diesem Grund entwickelte das Competence Center IL einen einfachen Dienstleistungsassistenten, der den Senioren die Suche nach Dienstleistern, das Buchen von Services, die Terminvereinbarung und die Dokumentation der Leistungen abnehmen sollte. Senioren haben grundsätzlich Zugang zu praktisch allen benötigten Dienstleistungen (s. Abbildung 1.1), doch sind diese vielfach schwer aufzufinden und erfordern einen Administrationsaufwand, der vor allem ältere Menschen abschreckt. Ein elektronischer Dienstleistungsassistent kann einem persönlichen Betreuer sehr viel Arbeit abnehmen, wenn er einfach bedienbar ist und von allen Seiten akzeptiert wird.

Es entstand die Dienstleistungsplattform Amiona. Kapitel 2 berichtet, wie sich aus einer ersten am Schreibtisch entworfenen Plattform aufgrund der konkreten Einsatzerfahrungen in mehreren Iterationen eine heute in mehreren Pilotinstallationen laufende Dienstleistungsplattform entwickelt hat.

Abbildung1.1: Übersicht von Dienstleistungen für einen elektronischen Dienstleistungsmarktplatz

2 Dienstleistungsmarktplatz Amiona und das digitale Dorf

Nachdem das Competence Center Independent Living entschieden hatte, nicht auf "Senioren"-geräte zu setzen, sondern sich stattdessen darauf zu konzentrieren, ältere Menschen bei der Organisation ihres Alltags zu unterstützen, fiel in der zweiten Hälfte des Jahres 2010 die Entscheidung, einen Prototyp für einen elektronischen Dienstleistungsmarktplatz zu entwickeln. Ziel war es, für die älteren Menschen den Zugang zu den zahlreichen bereits bestehenden Dienstleistungen zu verbessern und deren Nutzung durch eine digital unterstützte Terminkoordination und Dokumentation zu erleichtern.

Zum Zeitpunkt dieser Entscheidung war die Suche nach Dienstleistern im Internet bereits einfach, da Nutzer Suchmaschinen sowie Telefon- und Branchenverzeichnisse verwenden konnten, wie beispielsweise yellowpages.com oder in der Schweiz local.ch. Jedoch offerierten diese Verzeichnisse dem Nutzer keinerlei Unterstützung bei der tatsächlichen Benutzung einer bestimmten Dienstleistung. Hierzu war das Telefon weiterhin notwendig, da die Verzeichnisse damals keine Funktionen zur direkten Verbindung mit den Dienstleistern boten. Ein derartiger Medienbruch ist umständlich, besonders da es bei den meisten Geschäften nicht möglich ist, jemanden ausserhalb der Öffnungszeiten zu erreichen. Selbst wenn die Verzeichnisse manchmal eine E-Mail-Adresse des Anbieters bereitstellen, kann die Angabe der gewünschten Dienstleistung mangels Information über das Angebot, des Termins oder von speziellen Wünschen und Anforderungen sehr aufwendig sein (insbesondere auf mobilen Geräten). Ausserdem müssen die Angaben bei jedem neuen Termin wieder vollständig und von vorne in Textform eingegeben werden.

Während Terminanfrage-Möglichkeiten bei branchenübergreifenden, horizontalen Suchmaschinen und Onlineverzeichnissen fehlten, zeichnete sich bereits die Entstehung von vertikalen Direktbuchungsplattformen ab, welche einen praktischen Zugang zu bestimmten Dienstleistungssektoren bieten. Prominente heute verfügbare Beispiele hierfür sind u.a. Treatwell.ch oder Quap.ch für Coiffeure und Beautysalons oder Eat.ch und Foodarena.ch für Essenslieferungen. Schwachpunkt dieser vertikalen Portale aus Kundensicht ist jedoch, dass keines die ganze Bandbreite des täglichen Lebens abdeckt. Der Buchungsprozess über diese Plattformen ist sehr bequem, da sie für einzelne Anwendungsfälle optimiert sind und ein Nutzer die verfügbaren Termine direkt sehen und auswählen kann, der Konsument muss aber aufgrund der Beschränkung auf einzelne Dienstleistungssektoren für die von ihm benötigten unterschiedlichen Services jeweils verschiedene Plattformen verwenden, diese also als Apps installieren und ihre Logik verstehen. Zusätzlich können kleinere Geschäfte dort unter Umständen gar nicht gefunden werden, da die direkte Buchung gewisse Mindestvoraussetzungen an die Digitalisierung des Anbieters stellt, wie die Nutzung eines elektronischen Kalenders.

Was also aus Sicht des Nutzers fehlte, war eine Kombination der beiden oben beschriebenen Lösungen: eine digitale Plattform mit einer einfach zu nutzenden, rund um die Uhr verfügbaren Terminvereinbarung und eine einzige Anlaufstelle für alle im Alltag benötigten Dienstleistungen.

In einem iterativen Entwicklungs- und Evaluationsprozess, der in den folgenden Abschnitten beschrieben wird, entstand eine konfigurierbare Standardlösung für lokale oder regionale Dienstleistungsmarktplätze, die an unterschiedlichen Standorten und in verschiedenen Anwendungsbereichen pilotiert wurde.

Als Name für diese Softwarelösung wählten wir „Amiona“ – ein Kunstwort, welches sich aus „ami“ (französisch für „Freund“) und „ona“ (in Anlehnung an „one“ bzw. „una“, englisch/italienisch für „eins“) zusammensetzt. Damit sollte die dem Dienstleistungsmarktplatz zugrundeliegende Idee zum Ausdruck gebracht werden, „einen Freund“ zu schaffen, der in allen Lebenssituationen helfen kann – konkret: eine Stelle, ein digitaler Marktplatz, wo für alle Bedarfe einer spezifischen Lebenssituation die passgenaue Unterstützung in Form einer Dienstleistung gefunden werden kann – sei es der Friseurdienst, der nach Hause kommt, die ambulante Pflege, der Gärtner oder die wöchentliche Skat-Spielerunde.

2.1 Ein erster Versuch mit nativen Apps (Amiona V1)

Im Herbst 2010 startete die Implementierung eines ersten Prototyps, der im März 2011 im Rahmen des 5. Independent Living Netzwerk-Workshops erstmals vorgestellt wurde. Bis Herbst 2012 entwickelten wir die Lösung iterativ weiter, so dass sie in ersten Pilotierungen