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Beschreibung

Die Festschrift für Franz-Josef Klein versammelt 26 Beiträge, die unter dem Titel Innovatio et traditio – Renaissance(n) in der Romania eines der Forschungsinteressen des Jubilars behandeln. Analog zur Heterogenität dieses Phänomens, das wir ‚Renaissance‘ nennen, greift dieser Band eine Vielzahl von Aspekten aus sprachwissenschaftlicher, literatur-/kulturwissenschaftlicher sowie fachdidaktischer Perspektive auf und berücksichtigt dabei verschiedene Gebiete der Romania. Der Begriff der Renaissance wird bewusst breit ausgelegt: Die Beiträge umfassen ebenso Reflexionen zu Texten und Autoren aus der Zeit zwischen dem 15. und 17. Jahrhundert wie übertragende Interpretationen des Themas, beispielsweise im Sinne einer Rückbesinnung auf einen Untersuchungsgegenstand oder eines Anknüpfens an (ältere) Traditionen.

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ibidem-Verlag, Stuttgart

 

 

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Tabula Gratulatoria

Schriftenverzeichnis Franz-Josef Klein

I. Sprachwissenschaft

Das Imperfekt – ein temps composé. Bemerkungen zur jüngeren und älteren Interpretationsgeschichte

1. Die Grammaire de Port-Royal und das Imperfekt

2. Die Rolle des Imperfekts als Konkordanztempus

Bibliographie

„El asno de Sancho“ – y su burro Die Furcht des Antonio de Nebrija vor dem Genetivus Explicativus

1. Einleitung

2. Nebrijas Analyse

3. Genitiv als Derivat

4. Erscheinungsformen des Explicativus

4.1 Affektive Verwendungen des Explicativus

4.2 Klassifikatorische Belege

4.3 Die Ästhetik der Neutralisation

4.4 Nominalisierte Adjektive als Regentia

5. Mundus inversus

6. Variationen des Explicativus und Sprachvariation

6.1 Explicativus und Fachsprache

6.2 Der Explicativus in der puristischen Kritik

7. Summa

Bibliographie

Primeros pasos en la investigación del diminutivo

1. Introducción

2. Autores y obras analizados

2.1 Siglo XV

2.2 Siglo XVI

2.3 Siglo XVII

3. Conclusiones

Bibliografía

Hispanist-Sein ‒ Romanist-Sein. Anregungen für die heutige akademische Lehre aus Juan de Valdés’ Diálogo de la Lengua, veranschaulicht am präpositionalen Akkusativ

1. Allgemeiner Teil

1.1 Einleitung

1.2 Problemstellung für den vorliegenden Beitrag: „Pluralistische“ versus „segregative“ Romanistik in der Forschung

2. Exemplifizierung anhand des Beispiels präpositionaler Akkusativ im Spanischen

2.1 Die Methode des Juan de Valdés und die Karl-Hermann Körners im Vergleich

2.2 Konsequenzen, die sich aus diesem Vergleich für die Beziehung „romanistisch-linguistische Forschung und Hochschuldidaktik“ ergeben

3. Hispanist-Sein – Romanist-Sein – Linguist-Sein

Bibliographie

Primärliteratur

Sekundärliteratur

El léxico especializado español y sus raíces grecolatinas

1. Prolegomena

2. Lengua estándar y lenguaje técnico

3. Del origen del vocabulario técnico español

4. El vocabulario de las ciencias naturales: un ejemplo concreto

5. Resultados y perspectivas

Bibliografía

Historische Geheimsprachen in Frankreich am Beispiel des jargon des Coquillars

1. Einleitung

2. Erste Spuren von Geheimsprachen in Frankreich

3. Diebe, Räuber und Herumziehende im Frankreich des 14. und 15. Jahrhunderts

4. Die Compagnons de la Coquille

5. Analyse des geheimsprachlichen Vokabulars der Coquillars

5.1 Der Sachbereich des betrügerischen Spielens

5.2 Der Sachbereich des kriminellen Handelns

5.3 Geldbezeichnungen

5.4 Der Sachbereich der Körperteile

5.5 Sonstige Sachgebiete

6. Fazit

Bibliographie

„Reduzir en artificio“ und „gotes lób singan“ – Legitimationsstrategien zur Verwendung der Volkssprache bei Antonio de Nebrija und Otfrid von Weißenburg

1. Vorbemerkungen

2. Antonio de Nebrija

3. Otfrid von Weißenburg

4. Legitimationsprinzipien bei Antonio de Nebrija und Otfrid von Weißenburg – eine Auswertung

Bibliographie

Acerca del escrivo como hablo de Juan de Valdés

Bibliografía

„L’ortograf n’è pa une choz sakré“ – Das cyber-français als Wiedergeburt renaissancistischer Orthographiekonzepte?

1. Einleitung

2. Die Orthographiedebatten vom 16. bis 20. Jahrhundert

2.1 Die radikale Orthographiereform Meigrets

2.2 Robert Poisson und sein Alfabet nouveau de la vrée & pure ortografe fransoize (1609)

2.3 Neuere und aktuelle Reformdiskussionen

2.4. Vergleichspunkte renaissancistischer und aktueller Reformansätze

3. Cyber-français: Eine Renaissance der Graphie der Renaissance?

3.1 Methodik

3.2 Orthographische Abweichungen der Internetsprache

3.3 Das cyber-français: „invention ou recréation“?

Bibliographie

Webseiten

« E que la dicha su madre dezia a este testigo algunos sabados... » Polyphonie als textkonstituierendes Prinzip in den Akten der Spanischen Inquisition

1. Die Akten der Spanischen Inquisition

2. Die Prozesse gegen Ines de Merida

3. Die Prozessakten als polyphone Texte

3.1 Die Rekonstruktion des Prozessgeschehens: referierte Rede 1. Grades

3.2 Die Rekonstruktion der „Straftat“: referierte Rede 2. Grades

4. Die Inquisitionsakten zwischen nähesprachlicher Spontaneität und rechtssprachlicher Formalisierung

5. Schluss

Bibliographie

… ne sçavez vous parler Françoys? Über die Bedeutung des polyglotten neunten Kapitels in François Rabelais’ Roman Pantagruel

1. Einleitung

2. Zum Inhalt des neunten Kapitels

3. Zur Lesbarkeit des Kapitels

4. Zur Entstehung des Kapitels

5. Der polyglotte Panurge im weiteren Verlauf der Pentalogie

6. Bildungsideologische Interpretation

7. Panurge im Spiegel moderner polyglotter Sprecher

8. Fazit

Bibliographie

Primärliteratur

Sekundärliteratur

Kolonialzeitliche Sprachbewertungen in französischen Reiseberichten vom 16. bis 18. Jahrhundert

1. Vorbemerkung

2. Kolonialschichte Frankreichs im 16. bis 18. Jahrhundert – eine historische Skizze

3. Reiseberichte – ein Forschungsdesiderat für die romanistische Sprachwissenschaft?

4. Sprachbewertungen in Reiseberichten

5. Schlussbemerkung

Bibliographie

„Todos somos sordos en las lenguas que no entendemos“ – Zur Rolle der Missionarsgrammatiken bei der Herausbildung einer ‚conciencia colonial‘ in Hispanoamerika

1. Einleitung

2. Kolonialgrammatiken indigener Sprachen in Iberoamerika

3. Grammatiken des 16. Jh.

3.1 „Reducere ad artem“

3.2 Die Wahl der Kodifizierungsgrundlage

4. Grammatiken des 17. Jh.

5. Grammatiken des 18. Jh.

5.1 Die Frage der Hierarchisierung sprachlicher Varietäten

5.2 Probleme in der interethnischen Verständigung

6. Fazit

Bibliographie

II. Literatur- und Kulturwissenschaft

Ein transkultureller Lebensentwurf in Umbruchzeiten – Enrique de Villena (1382/84-1434) zwischen Mittelalter und Renaissance

1. Vorbemerkungen

2. Prägung durch das familiäre und soziale Umfeld

3. Kampf um eine angemessene Stellung in der Gesellschaft (1400-1416)

4. Scheitern und Neuanfang (1416-1434)

5. Abschlussbemerkung

Bibliographie

L’Histoire de la destruction de Troye la Grant. Jacques Milets Dramatisierung des Trojaromans. 1450/52.

1. Vorbemerkungen

2. Jacques Milet und seine Histoire de la destruction de Troye la Grant

3. Stoffgeschichtliche Grundlagen und Bearbeitungstendenzen

4. Dramaturgie

5. Sprachliche Form

6. Szenische Realisierung

7. Intention

Bibliographie

Renaissance der Kreuzzug-Ideologie. Heiliger Krieg und anti-islamische Propaganda in Joanot Martorells Tirant lo Blanc

1. Vorbemerkung

2. Historischer Entstehungskontext des Romans

3. Historische Quellen und Vorbilder für Tirant lo Blanc

4. Die Ideologie der Kreuzzüge und die Konstruktion einer dem Orient überlegenen christlichen/europäischen Identität

5. Die Konstruktion eines orientalischen Feindbilds

6. Fehler bei der Darstellung des Islam

7. Zusammenfassung und Schlussbetrachtung

Bibliographie

Schatten, Dunkelheit und Finsternis in der spanischen Frühen Neuzeit – oder: Was haben Stimmungen mit Erkenntnis zu tun?

1. Historisch-literarisches Erklärungsmodell: Übergänge und Relationalität

2. Theoretisch-konzeptionelles Erklärungsmodell: Verhältnis- und Ordnungsstrukturen

3. Fernando de Rojas: Comedia o Tragicomedia de Calisto y Melibea (1499)

4. Schlussbetrachtung

Bibliographie

Primärliteratur

Sekundärliteratur

Böse Kupplerinnen, üble Spelunken und gehörnte Ehemänner: Covarrubias als und für Literaturwissenschaftler

Bibliographie

1.Primärliteratur

2. Sekundärliteratur

Wieviel Renaissance steckt in der spanischen Aufklärung? Eine These und zwei Fallstudien zu Benito Jerónimo Feijoo und Juan Pablo Forner

1. Die spanische Aufklärung – eine ‚zweite Renaissance‘?

2. Die Kontextgebundenheit der spanischen Aufklärung

3. Benito Jerónimo Feijóos Teatro crítico universal (1726-1740)

3.1 Feijoos vierfache Kontextbindung

3.2 Aufklärerisches Kontextdenken: die Idee der Nation

4. Juan Pablo Forners Oración apologética por la España y su mérito literario (1786)

4.1 Strategien der modernitätskritischen Rekontextualisierung

4.2 Die Renaissance als Vor- und Gegenbild

5. Kontextbindung als spezifische Differenz der spanischen Aufklärung

Bibliographie

Proust, Ruskin – von den Bildern der Renaissance zum „Venise intérieure“

1. Swanns Idolatrie

2. Ruskin

3. Séjour à Venise

Bibliographie

Paris – Stimmungen. Renaissancen einer Stadt und eines Wortes

1. Stimmung

2. Paris

3. Je suis Paris

Bibliographie

Variazioni di Veneri a Venezia. Le metamorfosi di un mito. Capriccio in tre tempi

1. Tempo: Adagio veneziano

1.1 Il Diletto nell’arte. L’estetica ‘veneta’ del Colore

1.2 It all began with a Bad Boy…

1.3 L’aurea fase tizianea

2. Tempo: Nudi francesi di ispirazione veneziana

2.1 Una sbirciatina a Goya e ad Ingres

2.2 Édouard Manet e i maestri veneti

3. Tempo: Ancora una Venere a Venezia?

3.1 “J’avais des Nymphes”? Fathers and Sons, Mothers and Daughters

Bibliografia

Avvertenza

III. Fachdidaktik

Die Conversation Française als Lieu de Mémoire

Les lieux de mémoire: Kristallisationspunkte kultureller Identität

L’art de la conversation française: Entwicklung einer französischen Konversationskultur im 17. Jahrhundert

La conversation, l’expression de convivialité: Diskurskonventionen als kulturelles Erbe

Bibliographie

Alles schon mal dagewesen? Zur Renaissance der Übersetzung in der Fremdsprachendidaktik

1. Die Rolle translatorischer Kompetenz im Wandel

2. Veränderte kommunikative Anforderungen in einer globalisierten Welt und die Notwendigkeit von Sprachmittlung

3. Modellierung von Sprachmittlungskompetenz

4. Zur Rolle von Translationskompetenz in mehrsprachigen Lehr-Lernkon­texten

Bibliographie

Sprachmittlung zwischen Renaissance und Innovation?

1. Methodengeschichtliche Einleitung

2. Sprachmittlung als funktional kommunikative Kompetenz

3. Analyse der Lehrbücher

3.1 Vorgehen und Kriterien

3.2 Einsprachigkeit versus Mehrsprachigkeit

3.3 Das Ziel der Verständnissicherung

3.4 Das Ziel der grammatikalischen Aneignung

3.5 Das Ziel der Sicherung und Evaluation

3.6 Das Ziel der Kognitivierung

3.7 Das Ziel der Vermittlung (sprachlich-)kulturellen Wissens

3.8 Das Ziel des Lebensweltbezugs und der Kommunikation

4. Fazit

Bibliographie

Sprachmittlung – Renaissance des Übersetzens im Unterricht der modernen Fremdsprachen?

1. Einleitung

2. Übersetzen im Fremdsprachenunterricht – ein kurzer historischer Überblick

3. Sprachmittlung in der Fremdsprachendidaktik und im aktuellen Fremdsprachenunterricht

4. Fremdsprachendidaktik und Translationswissenschaft

5. Abschließende Überlegungen

Bibliographie

RomSD Romanische Sprachen und ihre Didaktik

Impressum

 

 

 

 

Vorwort

Am 7. November 2016 feiert Franz-Josef Klein seinen 65. Geburtstag. Mit dieser Festschrift, die wir ihm aus diesem Anlass überreichen, möchten wir unserem akademischen Lehrer danken; danken für die langjährige, vertrauens­volle Zusammenarbeit, für die vielfältigen Anregungen, für seine Unterstützung und Förderung.

Innovatio et traditio – Renaissance(n) in der Romania – so der Titel der vorliegenden Festgabe. Dahinter verbirgt sich eines von vielen Forschungs­interessen des Jubilars. So haben ihn die Wissenschaftsgeschichte am Übergang von Mittelalter zur Frühen Neuzeit sowie die im 16. und 17. Jahrhundert immer wieder umgetrieben, sowohl in Lehrveranstaltungen, persönlichen Gesprächen und nicht zuletzt in seinen Publikationen. Heterogenes, Plurales und Diverses sind konstitutive Elemente der Epoche, die wir ‚Renaissance‘ nennen, eine Vielzahl von Welten und Sprachen, vor deren Hintergrund sich das Individuum zu positionieren sucht. Selbiges spiegelt sich in den Beiträgen des vorliegenden Bandes wider: Kollegen/innen, Schüler/innen und Weggefährten von Franz Josef Klein vereinen in diesem Band linguistische, literatur-und kulturwissen­schaftliche sowie fachdidaktische Ansätze in einer thematischen wie sprach­lichen Vielfalt.

Ein weiterer zentraler Forschungsgegenstand des Jubilars ist in der dia­chronen Semantik zu verorten, wovon nicht zuletzt seine Dissertation Lexe­matische Untersuchungen zum französischen Verbalwortschatz im Sinnbezirk von Wahrnehmung und Einschätzung sowie seine Habilitationsschrift Be­deu­tungswandel und Sprachendifferenzierung. Die Entstehung der romanischen Sprachen aus wortsemantischer Sicht zeugen. Seine Forschungsinteressen er­strecken sich darüber hinaus auf die diachrone Morphologie sowie auf varietäten­linguistische Fragestellungen.

Über die üblichen Verpflichtungen in Forschung und Lehre hinaus hat sich Franz-Josef Klein immer in beispielhafter Weise für das Romanische Seminar und die Universität Siegen engagiert. In seiner Zeit als Dekan von 2004 bis 2007 sowie als Prorektor für Lehre, Lehrerbildung und lebenslanges Lernen in den Jahren 2010 bis 2016 war er überdies maßgeblich an der Umgestaltung und Weiter­entwicklung der Universität Siegen beteiligt.

Mit viel Herzblut widmet er sich auch der Lehre, auf die er sich nach seinen hochschul­politischen Tätigkeiten nun wieder besonders freut. Seine ruhige Art sowie seine Fähigkeit, Dinge auf den Punkt zu bringen, schätzen dabei nicht nur die Siegener Studierenden, sondern auch die Teilnehmer/innen an den Vortrags­reihen, die Franz-Josef Klein seit vielen Jahren regelmäßig an der Universidad de Granada durchführt.

Wir wünschen Franz-Josef Klein für die Zukunft alles Gute, Zufriedenheit und vor allem Gesundheit. Wir freuen uns sehr, dass er der Siegener Romanistik noch einige Jahre erhalten bleibt. Auf eine weiterhin bereichernde Zusammen­arbeit (vielleicht kommen auch die Karteikarten aus dem Kleinschen Keller nochmal zum Einsatz) und noch viele gemeinsame Abendessen mit amü­santen Anekdoten aus dem „Nähkästchen“ des Wissenschaftsbetriebs.

 

 

 

Stéphane Hardy Sandra Herling Sonja Sälzer

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Tabula Gratulatoria

Dagmar Abendroth-Timmer (Siegen)

Raphaela Averkorn (Siegen)

Marijana Erstić (Siegen)

Grazia Folliero-Metz (Siegen)

Werner Forner (Siegen/Lich)

Manuela Franke (Duisburg-Essen)

Annika Groth (Siegen)

Stephan Habscheid (Siegen)

Stéphane Hardy (Siegen)

Jonas Heimann (Siegen)

Sandra Herling (Siegen)

Klaus Hunnius (Berlin)

Walburga Hülk (Siegen)

Frank Jodl (Siegen)

Annelie Knapp (Siegen/Aachen)

Clemens Knobloch (Siegen)

Christian Koch (Siegen/Duisburg-Essen)

Markus Kötter (Siegen)

Ina Kühne (Siegen)

Jürgen Kühnel (Siegen)

Antonio Martínez González (Granada)

Isabel Maurer-Queipo (Siegen)

Carolin Patzelt (Bremen)

Laura Ramírez Sainz (Siegen)

Volker Roloff (Siegen/München)

Sonja Sälzer (Siegen)

Christian Schmitt (Bonn/Hirschberg)

Ramona Schneider (Siegen)

Beatrice Schuchardt (Siegen)

Gregor Schuhen (Siegen)

Adelheid Schumann (Siegen/Bielefeld)

Andrea Stahl (Osnabrück)

Gabriele Stettner-Ayani (Siegen)

Britta Thörle (Siegen)

Ianka Timm (Siegen)

Petra Vogel (Siegen)

Christian von Tschilschke (Siegen)

Ute Wagner (Siegen)

Martin Wolter (Siegen)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Schriftenverzeichnis Franz-Josef Klein

Monographien

1981. Lexematische Untersuchungen zum französischen Verbalwortschatz im Sinnbezirk von Wahrnehmung und Einschätzung. Genève: Droz.

1997. Bedeutungswandel und Sprachendifferenzierung. Die Entstehung der romanischen Sprachen aus wortsemantischer Sicht. Tübingen: Niemeyer.

Herausgeberschaft

1998. Figge, Udo L. & Klein, Franz-Josef & Martinez Moreno, Annette. edd. Grammatische Strukturen und grammatischer Wandel im Französischen. Festschrift für Klaus Hunnius zum 65. Geburtstag.Bonn: Romanistischer Verlag.

2007. Fäcke, Christiane & Hülk, Walburga & Klein, Franz-Josef. edd. Multiethnizität, Migration, Mehrsprachigkeit. Festschrift zum 65. Geburtstag von Adelheid Schumann.Stuttgart: ibidem.

2010. Geisler, Anne & Hülk, Walburga & Klein, Franz-Josef & Tortonese, Paolo. edd. Die Kunst des Dialogs. Sprache, Literatur, Malerei im 19. Jahrhundert. Festschrift fürWolfgang Drost. Heidelberg: Winter.

2011. Frevel, Claudia & Klein, Franz-Josef & Patzelt, Carolin. edd. Gli uomini si legano per la lingua. Festschrift für Werner Forner zum 65. Geburtstag. Stuttgart: ibidem.

Aufsätze

1983. „„ESCRIVO COMO PRONUNCIO“. Zur Orthographiekonzeption des Juan de Valdés“, in: Romanische Forschungen 95/ 3, 294-305.

1984. „Ambigüité lexicale et influence textuelle“, in: L‘ambigüité. Actes du colloque Clermont-Cologne (27 avril - 1er mai 1981). Clermont-Ferrand, 17-27.

1986. „Semantische Varianten. Das Problem der lexikalischen Mehrdeutigkeit und die Unterscheidung von langue und parole“, in: Vox Romanica 45,1-12.

1992. „Diachrone Bedeutungsforschung heute: Grundannahmen, Methoden, Perspektiven“, in: Kohrt, Manfred & Robering, Klaus. edd. Vom Buchstaben zum Text. Berlin: Institut für Linguistik TU Berlin, 35-63.

1995. „Nebrija gab nur das Stichwort. Lesarten des Prinzips der 'lengua compañera del imperio' im Siglo de Oro“, in: Romanische Forschungen 107, 3/4, 285-312.

1997. „Die Entwicklung der 'starken' und der 'schwachen' Verben im Deutschen und im Spanischen – Fälle 'natürlichen' sprachlichen Wandels?“, in: Wotjak, Gerd. ed. Studien zum romanisch-deutschen und innerromanischenSprachvergleich. Akten der III. Internationalen Arbeitstagung zum romanisch-deutschen Sprachvergleich (Leipzig, 9.-11.10.1995). Frankfurt am Main [u.a.], 619-630.

1997. „Frz. chaire/chaise und Vergleichbares. Zur Rolle der 'doublets d'origine populaire' in der Entwicklung des französischen Wortschatzes“, in: Bollée, Annegret & Kramer, Johannes. edd. Latinitas et Romanitas. Festschrift fürHans Dieter Bork zum 65. Geburtstag. Bonn: Romanistischer Verlag, 161-182.

1998. „Vom Klassifikationskriterium zum Schlüsselkonzept der dérivation synonymique. Die Metapher in der älteren diachronen Semantik“, in: Gil, Alberto & Schmitt, Christian. edd. Kognitive und kommunikative Dimensionen derMetaphorik in den romanischen Sprachen. Akten der gleichnamigen Sektion des XXV. Deutschen Romanistentages, Jena (28.9. - 2.10.1997). Bonn: Romanistischer Verlag, 33-56.

1998. „Funktionelle Prinzipien der Adjektivreihung. Die Stellung des französischen 'adjectif epithète' aus kontrastiver Sicht“, in: Figge, Udo L. & Klein, Franz-Josef & Martinez Moreno, Annette. edd. GrammatischeStrukturen und grammatischer Wandel im Französischen. Festschrift für KlausHunnius zum 65. Geburtstag. Bonn: Romanistischer Verlag, 263-280.

1998. „Mehr als nur ein Argot-Phänomen. Zur Rolle der konvergierenden Bedeutungsentwicklung in der Geschichte des lateinisch-romanischen Wortschatzes“, in: Zeitschrift für romanische Philologie 114/3, 414-437.

1998. „Lateinische Volkssprache, Germaneneinfluss und sprachlicher Wandel. Zur Sprachauffassung Bernardo Aldretes“, in: Romanistik in Geschichte und Gegenwart 4/2, 173-184.

2001. „Historiographie und Apologetik der Landessprache in der Zeit der decadència: Das Katalanisch-Valenzianische bei Rafael de Viciana und Andreu Bosc“, in: Gómez-Montero, Javier. ed. Minorisierte Literaturen und Identitätsdiskurse inSpanien und Portugal. Sprache – Narrative Entwürfe – Texte. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 109-130.

2002. „Antonio de Nebrija: Die Anfänge der volkssprachlichen Grammatik in der Renaissance“, in: Schaeder, Burkhard. ed. Klassiker der Sprachwissenschaft. Die Beitrage der Ringvorlesung an der Universität Siegen im Wintersemester 2001/2002. Siegen: SISIB, 35-48.

2002. „Von Anspruch und Problematik einer universalen Onomasiologie. Anmerkungen zum Wörterbuch der vergleichenden Bezeichnungslehre“, in: Vintilă-Rădulescu, Ioana. ed. Mélanges Marius Sala (Studii si cercetări lingvistice XLVIII, nr. 1-4). Bucuresti, 189-200

2002. „Vom Magister zu Bachelor und Master. Gestufte Studiengänge im Bereich ‚Romanische Sprachwissenschaft’ an der Universität Siegen“, in: Grenzgänge. Beiträge zu einer modernen Romanistik, Bd. 17, 22-29.

2003. „Aspektoppositionen und Aktionsarten im Französischen“, in: Engerer, Volkmar. ed. Tid i sprog. Zeit in der Sprache. Arhus: Statsbiblioteket 1, 47-63.

2004. „Grundlegende Bedeutungskonstellationen in der Entwicklung des französischen Verbalwortschatzes“, in: Lebsanft, Franz & Gleßgen, Martin. edd. Historische Semantik in den romanischenSprachen. Tübingen: Niemeyer, 79-89.

2004. „Lokativalternationen bei französischen und spanischen Verben“, in: Gil, Alberto & Osthus, Dietmar & Polzin-Haumann, Claudia. edd. RomanischeSprachwissenschaft. Zeugnisse für Vielfalt und Profil eines Faches. Festschrift fürChristian Schmitt zum 60. Geburtstag. Frankfurt am Main: Lang, Bd. II, 479-497.

2005. „Abgestufte Agentivität. Die diathetisch ambivalenten Verben und verwandte Erscheinungen im Französischen“, in: Romanische Forschungen 117, 3-26

2006. „Wer ist Dangiers? Überlegungen zu einer Gestalt im Roman de la Rose des Guillaume de Lorris“, in: Felten, Uta & Lommel, Michael & Maurer Queipo, Isabel & Rißler-Pipka, Nanette & Wild, Gerhard. edd. Esta locura por los sueños ... Traumdiskurs und Intermedialität in derromanischen Literatur- und Mediengeschichte. Festschrift für Volker Roloff zum 65.Geburtstag. Heidelberg: Winter, 21-31.

2006. „Was macht die Qualität einer Sprache aus? Zur Einschätzung des Französischen im Wandel der Zeiten“, in: Buchmann, Ulrike & Huisinga, Richard & Kipp, Martin. edd. Lesebuch für Querdenker. Rolf Seubert zum 65. Geburtstag. Frankfurt: G.A.F.B., 33-41.

2007. „Une sorte de ‘pudding (ou de couscous) linguistique’. Linguistische und soziale Aspekte des français pied-noir“, in: Fäcke, Christiane & Hülk, Walburga & Klein, Franz-Josef. edd. Multiethnizität,Migration, Mehrsprachigkeit. Festschrift zum 65. Geburtstag von AdelheidSchumann. Stuttgart: ibidem, 275-289.

2007. „Die ‚Sache’ und das ‚Nichts’. Negationen im Französischen“, in: Diagonal. Zeitschrift der Universität Siegen Zum Thema: Nichts. Jg. 28, 191-195.

2008. „Romanische Sprachen“, in: Melville, Gert & Staub, Martial. edd. Enzyklopädie des Mittelalters. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Bd. I, 296-297.

2008. «Ce sont les MEILLEURES gens que j’aie CONNUS. Genusprobleme und Genuswechsel im Französischen“, in: Hermann, Iris & Jager-Gogoll, Maximiliane. edd. Durchquerungen. Für Ralf Schnellzum 65. Geburtstag. Heidelberg: Winter, 153-164.

2009. „Pinturas, figuras, letras. Logographische und phonographische Schrift bei Jose de Acosta und Gregorio Garcia“, in: Historiographia Linguistica 36/1, 1-17.

2009. „Ta rate, c’est une vraie bombe! Zur Rolle der Metapher im Alltagsfranzösischen“, in: Extrakte. Auszüge aus der Wissenschaft. Ein Pressedienst der Universität Siegen. Ausgabe 06/2009, 14-19.

2009. „Vom Nutzen der Wissenschaftsgeschichte für die Gegenwart. Grundprobleme der französischen Orthographie in der Renaissance und heute“, in: Erstić, Marijana & Schuhen, Gregor & Schwan, Tanja. edd. Spectrum reloaded. Siegener Romanistik im Wandel. Siegen: universi - Universitätsverlag Siegen, 189-205.

2010. „Im Umfeld der horreur du mot propre. Zur Diskussion über die französische Sprachnorm im frühen 19. Jahrhundert“, in: Geisler, Anne & Hülk, Walburga & Klein, Franz-Josef & Tortonese, Paolo. edd. Die Kunst des Dialogs. Sprache, Literatur, Malerei im 19. Jahrhundert. Festschrift fürWolfgang Drost. Heidelberg: Winter, 119-129.

2011. [zusammen mit Walburga Hülk]. „Les cris de la ville. Zur Semantik und Medialität eines soziokulturellen Phänomens“, in: Romanistische Zeitschrift für Literaturgeschichte / Cahiers d’Histoire des LittératuresRomanes 35, 113-134.

Ebenfalls erschienen in: 2011. Monika Schausten. ed. Das lange Mittelalter: Imagination – Transformation –Analyse. Ein Buch für Jürgen Kühnel. Göppingen: Kümmerle, 216-239.

2011. [zusammen mit Stéphane Hardy]. „’C’est ça le fameux cheutimi?’ Le dialecte dans le cinéma français“, in: Frevel, Claudia & Klein, Franz-Josef & Patzelt, Carolin. edd. Gli uomini si legano per la lingua. Festschrift für Werner Forner zum 65. Geburtstag. Stuttgart: ibidem, 135-153.

2012. „Una ortografía vulgar, ignorante, americana. Konzepte zur Etablierung einer spezifisch ‚amerikanischen’ Orthographie des Spanischen im 19. Jahrhundert“, in: Herling, Sandra & Patzelt, Carolin. edd. Sprachkontakt, Sprachausbau und Verschriftungsproblematik. Aspekte der Normalisierung von Regionalsprachen in der Romania. München: Meidenbauer, 229-245.

2012. „Gracia, abundancia, claridad. Zur Apologetik des Kastilischen in metasprachlichen Texten des Siglo de Oro“, in: Romanistik in Geschichte und Gegenwart,18/2, 231-248.

2013. „Nationalsprache“, in: Herling, Sandra & Patzelt, Carolin. edd. Weltsprache Spanisch. Variation, Soziolinguistik und geographische Verbreitung des Spanischen. Handbuch für das Studium der Hispanistik. Stuttgart: ibidem, 27-41.

(in Vorbereitung). „Algerien“, in: Hardy, Stéphane & Herling, Sandra & Patzelt, Carolin. edd. Weltsprache Französisch. Variation, Soziolinguistik und geographische Verbreitung des Französischen. Handbuch für das Studium der Frankoromanistik. Stuttgart: ibidem.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

I. SPRACHWISSENSCHAFT

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Das Imperfekt – ein temps composé. Bemerkungen zur jüngeren und älteren Interpretationsgeschichte

Klaus Hunnius (Berlin)

1. Die Grammaire dePort-Royal und das Imperfekt

Die Kennzeichnung des französischen Imperfekts als temps composé ist keine moderne Charakterisierung, sondern eine Formulierung, die der berühmten 1660 erschienenen Grammaire générale et raisonnée von Port-Royal entnommen ist. Das Imperfekt als zusammengesetztes Tempus zu bezeichnen erscheint für uns heutige Leser überraschend, wenn nicht gar abwegig, da wir gewohnt sind, die Merkmale simple vs. composé auf die Morphologie der Verbformen zu be­ziehen. In diesem Sinn kann die obige Kennzeichnung gewiss nicht auf das Imperfekt zutreffen.

Mit der ungewöhnlichen Charakterisierung, deren sich die Verfasser Arnauld und Lancelot bedienen, ist eine inhaltliche Merkmalbestimmung beabsichtigt. Ihrer Meinung nach gehört das Imperfekt zu den „temps composés dans le sens“ (1969, 79). Wir werden sehen, dass diese Auffassung sehr wohl mit heutigen linguistischen Aussagen in Einklang zu bringen ist, für die das Imperfekt eben­falls ein inhaltlich komplexes, wenn nicht gar paradoxes Tempus darstellt. Die auf den ersten Blick wenig einleuchtende Charakterisierung erweist sich dem­nach bei genauerem Hinsehen als durchaus beachtenswert und aktuell.

Noch in weiterer Hinsicht fällt die Darstellung der Grammaire de Port-Royal aus dem Rahmen. Sie verwendet zwar einen Beispieltyp, den wir aus der Aspekt­diskussion unter dem Stichwort „Inzidenzschema“ kennen (vgl. z.B. Klein 2003, 50):

Quum intravit cœnabam: je soupais lorsqu’il est entré.

Jedoch bedient sie sich zur Erklärung dieses Imperfektgebrauchs nicht, wie üblich, des Aspektarguments. Sie weist also nicht darauf hin, dass beim Ein­treten der Vorgang des Essens noch nicht beendet ist. Vielmehr argumentiert sie, wenn man den Begriff hier überhaupt gebrauchen darf, „moderner“, indem sie eine Begründung verwendet, die die Relation zwischen den beiden Prädi­katen hervorhebt und das Imperfekt als relationales Tempus kennzeichnet:

L’action de souper est bien passée au regard du temps auquel je parle, mais je la marque comme présente au regard de la chose dont je parle, qui est l’entrée d’un tel (1969, 76).

Es handelt sich also beim Imperfekt nicht um ein einfaches Vergangenheits­tempus, sondern um eins, das noch ein zusätzliches Merkmal enthält. Dies ist aber nicht das Aspektmerkmal, sondern das Merkmal der Relationalität: „[un temps] avec rapport à un autre“ (ebd.). Die Grammaire de Port-Royal führt damit in die Grammatikographie des Französischen eine Tradition ein, die in der derzeitigen linguistischen Diskussion unter dem Stichwort „anaphorisches Tempus“ eine Wiederentdeckung erlebt und zu lebhaften Auseinandersetzungen mit den Anhängern der Aspektthese geführt hat (vgl. Kleiber 2003). Wissen­schafts­historisch gesehen stellt daher die Charakterisierung des Imperfekts als nicht autonomes, sondern endophorisch abhängiges Tempus im Kern keine neue Erkenntnis dar.

Der Grammatikkommentar von R. Donzé weist zu Recht auf die wissen­schaftsgeschichtliche Bedeutung hin, die mit der Unterscheidung zwi­schen „temps simple“ und „temps composé dans le sens“ verbunden ist (1971, 123). Diese Differenzierung ist nicht folgenlos geblieben, sondern wurde 1747 vom Abbé Girard in seinen Vrais principes de la langue françoise aufgegriffen(II, 25) und damit der Grammatikographie der Aufklärung vermittelt. Allerdings hält Girard die Terminologie der Grammaire de Port-Royal nicht bei. Da die Termini composé und simple in der Morphologie genutzt werden, könnte ihre Ver­wendung in der Semantik Verwirrung stiften. Als Ersatz greift Girard auf die Bezeichnungen absolu und relatif zurück, die in der Folgezeit auf allgemeine Akzeptanz stoßen, obwohl ihre Verwendung keine glückliche Lösung bedeutet. Denn der Gedanke der (semantischen) Komplexität, der sich mit dem Terminus composé verband, droht bei Girards Ersatzterminus zurückzutreten.

In unseren Tagen hat B. Comrie das Manko dadurch zu korrigieren versucht, dass er statt von einem relativen von einem absolut-relativen Tempus spricht, da im Grunde eine doppelte Relation vorliegt:

It is necessary not only to relate situations relative to the present moment, but also to relate them chronologically to one another (1985, 67).

Der verlorengegangene kompositionelle Charakter kommt hier in der Doppel­charakterisierung absolut-relativ wieder deutlicher zur Geltung.

Auch F. Diez kannte im Übrigen beim Imperfekt sowohl absolute als auch relative Verwendungsweisen, allerdings mehr als Alternative und weniger als Kombi­nation. Relative Verwendungsweisen sah er vor allem im Bereich des „mehr­fachen Satzes“ (1882, 965).

Die Bestimmung des Imperfekts als temps composé ist schließlich noch insofern bemerkenswert, als dadurch die Semantik des Tempus als ein komple­xes Gebilde beschrieben und damit ein Ansatz gewählt wird, der auch in der Gegenwart erneut besondere Zustimmung erfährt. Nachdem in Zeiten des Struktura­lismus die einheitliche Grundbedeutung hoch im Kurs stand, neigt man nun wieder eher dazu, bei grammatischen Formen – vor allem wenn diese durch eine verwirrende „Polysemie“ gekennzeichnet sind – statt eines einheitlichen Begriffs als Basis ein Zusammenspiel verschiedener Komponenten anzusetzen. Hier ist nicht der Platz, die jüngeren Versuche im Einzelnen zu diskutieren, bei denen zwei oder mehr Inhaltsfaktoren zugrunde gelegt wurden (vgl. u. a. Ducrot 1979; Blumenthal 1986; Berthonneau & Kleiber 1993, Becker 2010). Nur so viel sei angemerkt, dass die kompositionellen Analysen den Vorteil bieten, der semantischen Flexibilität besser gerecht zu werden. Allerdings zeigen die quantitativ und qualitativ divergierenden Ergebnisse, wie schwierig es ist, die ent­scheidenden Merkmale begrifflich zu fassen und von den bloß abgeleiteten abzugrenzen.

Unser kurzer Ausblick auf die Interpretationsgeschichte des Imperfekts bestä­tigt, dass, wie schon verschiedentlich festgestellt wurde, „die Überlieferung der Sprachwissenschaft […] in hohem Maße eine unterbrochene [ist und] oft Ähnliches immer wieder 'entdeckt' wird“ (Coseriu 1979, 105). Daraus lässt sich folgern, dass die in methodischen Diskussionen gern verwendeten Epitheta „modern“ und „traditionell“ nur von begrenzter Bedeutung sind, da sie häufig lediglich auf die unmittelbar vorausgehende Epoche Bezug nehmen und größere Zusammen­hänge eher außer Acht lassen.

2. Die Rolle des Imperfekts als Konkordanztempus

Dadurch dass stärker der anaphorische Charakter und weniger die Aspekt­argumentation bei der Imperfektdeutung betont wird, ist eine Verwendung in den Vordergrund getreten, die bis dahin kaum Beachtung fand. Geht man davon aus, dass die Relationalität ein wesentliches Merkmal darstellt – d.h. der Bezug auf einen zweiten Referenzpunkt – dann ist das Imperfekt in idealer Weise dazu geeignet, syntaktische Abhängigkeit anzuzeigen. Das, was man als „Zeiten­folge“ oder Konkordanz benennt, ist kein besonderes oder auffälliges Phäno­men, sondern im Gegenteil die charakteristische Eigenschaft „relationaler“ Tempora, zu denen das Imperfekt als Basistempus gehört. Dabei ist allerdings hinzuzufügen, dass verbale Anaphorik nicht als bloße zeitliche Beziehung, z.B. als bloße Simultanitätsanzeige, missverstanden werden darf. Die Rolle, die das Imperfekt hier übernimmt, ist an dem folgenden, aus der Grammaire méthodique stammenden Beispielpaar erkennbar (Riegel [u.a.] 1994, 600):

Il a dit que tu es un imbécile. vs. Il a dit que tu étais un imbécile.

Beide Sätze unterscheiden sich nicht im Hinblick auf die temporale Lokalisierung. Beide Nebensatzaussagen sind im Grunde „zeitlos“, man hat daher das Imperfekt auch als ein „zweites Präsens“ bezeichnet. Die Tempus­opposition leistet keine temporale Differenzierung, sondern ermöglicht, zwischen fremder und eigener Meinung zu unterscheiden. Für die Sprecher besteht die Wahl, ein „unabhängiges“ Präsens zu verwenden und damit die zitierte Meinung zu bestätigen oder aber mit einem „abhängigen“ Imperfekt auf eine Bestätigung der Fremdaussage zu verzichten. Das Imperfekt hat demnach hier – äußerungslinguistisch formuliert – die Funktion „Diskursivität“ anzu­zeigen: „La correspondiente predicación es […] un enunciado sobre otro enunciado“ (Moralejo 1996, 293).

In Anlehnung an die Latinistik könnte man auch von einem obliquen Imper­fekt sprechen, das eine „innere Abhängigkeit“ zwischen Haupt- und Nebensatz anzeigt. Es handelt sich um eine Funktion, die eigentlich zu den originären Aufgaben des Konjunktivs zählt, woran zu erkennen ist, dass hier der Ausdruck der Temporalität zugunsten der Modalität zurücktritt. Das Merkmal „rapport à un autre temps“ wird zu Differenzierungszwecken genutzt, die man mit Termini wie „Polyphonie“, „dialogisme“ oder „bivocalité“ zu beschreiben versucht, um damit anzudeuten, dass sich hier nicht ein sondern zwei Sprecher (ein sog. externer und ein interner) an der Aussage beteiligen.

Durch den Gebrauch eines „anaphorischen“ Tempus wird gleichsam routine­mäßig (cas non marqué) angezeigt, dass der externe Sprecher keine Gewähr für die Richtigkeit der fremden Aussage übernimmt, bzw. übernehmen kann. Das bedeutet jedoch nicht, dass er dem Mitgeteilten grundsätzlich skeptisch gegen­übersteht. Vielmehr legt sich der Sprecher damit nicht fest, sondern kann, wie H. Kronning zu Recht anmerkt (2011, 287), im Nachhinein noch jede Meinung, sei sie nun positiv, negativ oder neutral, äußern. Dass z.B. dieses distanzierende Imper­fekt auch mit einem Kontext, der Zustimmung anzeigt, vereinbar ist, belegt das folgende aus der Grammairecritique stammende Beispiel:

On m’a assuré que vous étiez bon médecin: guérissez-moi (Wilmet 1997, 384).

Für den Gebrauch dieses Imparfait de concordance gilt demnach eine gewisse Automatik, ähnlich den Verhältnissen, die wir aus der Konjunktivsyntax kennen. Damit ergibt sich ein weiterer Hinweis darauf, dass eine Verwandtschaft zwi­schen dem Imperfekt und dem Konjunktiv besteht. Mit anderen Worten: die hier erörterten Phänomene gehören weniger in die Temporal- als vielmehr in die Modalsyntax (vgl. Hunnius, 2015 [2016]).

Berthonneau & Kleiber lehnen daher auch den traditionellen Terminus „concordance“ als belastet ab. „Zeitenfolge“ ist für sie in doppelter Hinsicht missverständlich. Es geht weder primär um Zeitlichkeit noch um eine mechanische Harmonisierung von Verbformen. Die Verwendung des Imperfekts im discours indirect erklärt sich vielmehr ohne Schwierigkeiten aus dem Merkmal der Anaphorik (Berthonneau & Kleiber 1997). Wir können hinzu­fügen, dass das Imperfekt dieses Merkmal nicht allein besitzt, sondern es auch mit dem Konjunktiv teilt.

3. Die virtuellen Anteile der Imperfektsemantik

Die Annahme mehrerer Merkmale bietet nicht nur den Vorteil, die Gemeinsam­keiten des Imperfekts mit anderen grammatischen Formen klarer zu erkennen, sondern schafft auch günstigere Voraussetzungen, seiner semantischen Flexibi­lität besser gerecht zu werden. Fälle verkürzter Darstellungen sind keine Seltenheit. Sie liegen z.B. vor, wenn man – wie die Konjugationsschemata nahe­legen – das Imperfekt zum bloßen Vergangenheitstempus herabstuft, oder wenn man es sogar auf die Rolle eines Hintergrundtempus des récit bzw. der erzählten Welt reduzieren will, ohne seine Rolle im discours bzw. der be­spro­che­nen Welt zu berücksichtigen. Mit M. Le Guern ist darauf hinzuweisen, dass dem Imperfekt ein ähnlicher Dualismus eigen ist, wie ihn die Tradition für das Konditional mit der Unterscheidung zwischen conditionnel-temps und conditionnel-mode anerkennt (1986, 52).

Im Vergleich zum Konditional hat das Imperfekt einen schwierigen Stand, da der Dualismus bei ihm gern übersehen oder bagatellisiert wird. In diesen Rah­men gehören Bestrebungen, die die virtuellen Anteile der Imperfektbedeutung als etwas „Exzeptionelles“ zu marginalisieren versuchen. Dies gelingt nur dann, wenn man die modalen Verwendungen als nur „abgeleitet, atypisch, nicht kanonisch“ abwertet, bzw. als „metaphorisch“ aus der Grundbedeutung aus­gliedert (Dessì Schmid 2010). Eine solche Verengung stützt sich wiederum auf die Annahme, Tempora hätten allein Zeitinformationen zu liefern, eine Irreführung, die noch durch die grammatische Terminologie begünstigt wird. Dabei gibt es seit langem eine entgegengesetzte Position, die auf das Ungenügen einer rein zeitlichen Deutung hinweist. Schon F. Thurot, Verfasser des 1796 erschienenen Tableaudes progrès de la science grammaticale, hat die Komple­xität des Imperfekts erkannt und verschiedene Lösungsmodelle erörtert (Coseriu 1979). Thurot bedauerte zugleich, dass das Französische nicht terminologisch zwischen Tempus und Zeit bzw. tense und time unterscheidet, ein Umstand, der eine verfängliche Gleichsetzung noch fördern kann.

In der Gegenwart hat S. Mellet als Vertreterin einer approche aspectuelle nachdrücklich darauf aufmerksam gemacht, dass das Imperfekt in seiner Rolle als kursives Tempus grundsätzlich Virtualität einschließt: „un procès en cours de développement […] est susceptible de se confirmer, de s’infirmer ou de s’inflé­chir de diverses manières“ (1988, 16). Mit jedem noch nicht abgeschlossenen Vorgang ist also modale Ambivalenz verbunden. Das Imperfekt ist in Mellets Augen ein Paradebeispiel dafür, dass Tempus, Aspekt und Modus ineinander­greifen und zusammenwirken. „L’unité des catégories verbales“ lautet daher der Titel ihres Aufsatzes, der sich gegen die übliche Praxis richtet, die einzelnen Verbalkategorien „künstlich“ voneinander zu trennen. In eine ähnliche Richtung zielen die Überlegungen von Coseriu, der davor warnt, die Imperfekt­verwendungen des Konditionalsatzes auszusondern und als sekundär zu be­trachten. Um der virtuellen Komponente des Imperfekts gerecht zu werden und sie in die Grundbedeutung einzubeziehen, ist es seiner Meinung nach notwen­dig, den Grundwert des Tempus weiter zu fassen. Es kommt dafür nur ein Be­griff in Frage, der über reine Zeitlichkeit hinausgeht. Ein Vorschlag, der diese Forderungen erfüllen könnte, wäre beispielsweise „Inaktualität“ oder „Nicht-Gegenwart“ (Coseriu 1976, 159).

Im Rahmen des heute bevorzugten anaphorischen Ansatzes werden als wesentliche Merkmale des Imperfekts eine fehlende Autonomie und die Notwendigkeit einer zusätzlichen endophorischen Verankerung genannt. Ent­scheidend ist auch hier, dass sich der Referenzbereich nicht auf die Vergangen­heit beschränkt, sondern – ganz im Einklang mit dem Konzept der Nicht-Gegenwart – auch Alternativwelten einschließt. „Das Imperfekt [ordnet] das Geschehnis einem unabhängig von der Gegenwart des Sprechenden bestehenden Zentrum zu“, formulierte H. Weber im Jahr 1954 unter Berufung auf Damourette und Pichon. Webers Charakteristik verdient noch heute besondere Beachtung, da sie ebenfalls den Begriff der Vergangenheit als zu eng betrachtet und bewußt vermeidet.

Die Betonung einer anaphorischen Beziehung ist insofern förderlich, als sich mit ihr, wie schon angedeutet, Gemeinsamkeiten zwischen dem Imperfekt und dem Konjunktiv klarer erkennen lassen. Verbformen beider Art ist eine Ab­hängig­keit in referenzlinguistischer Hinsicht eigen. Im Fall des Konjunktivs wird dieses Merkmal ja schon im Namen angedeutet. Es ist symptomatisch, dass im Zusammenhang mit dem Konjunktiv und dem Imperfekt gleichermaßen der Begriff der (Kor)relation ins Spiel gebracht worden ist. Die Kennzeichnung des Imperfekts als „relatives“ Tempus hat, wie wir gesehen haben, eine lange Tradition. Bezüglich des Konjunktivs sei stellvertretend auf P. Imbs verwiesen, der den Begriff der „corrélation syntaxique“ ins Zentrum stellt und für sämtliche Vorkommensweisen die folgende Grundregel formuliert: „Le subjonctif est toujours un terme corrélatif“ (1953, 47). Bally hat, was auf den ersten Blick als zufällig erscheint, das Imperfekt und den Konjunktiv ausgewählt, als es ihm darum ging, typische Beispiele zu nennen, bei denen die Bestimmung einer Grundbedeutung große Schwierigkeiten macht, wenn nicht sogar zu scheitern droht. Die Auswahl des Imperfekts zusammen mit dem Konjunktiv ist kein Zufall. Als anaphorische Verbformen sind beide dadurch charakterisiert, dass sie sich wegen ihrer hochgradigen Kontextabhängigkeit besonders dagegen sperren, auf eine „formule simple“ zurückgeführt zu werden (Bally 1965, 67). Der in bei­den Fällen vorliegende anaphorische Charakter ist also letztlich für die immer wieder konstatierte Verwendungsvielfalt beider Verbformen verantwortlich zu machen.

In sprachhistorischer Hinsicht bestätigt sich die Verwandtschaft dadurch, dass im Laufe der französischen Sprachgeschichte das Imperfekt (im Zusammen­wirken mit dem Konditional) dem Konjunktiv eine wichtige Position streitig gemacht hat. Es handelt sich um den Konditionalsatz, der ja im Lateinischen eine Domäne des Konjunktivs darstellte und im Neufranzösischen nahezu voll­ständig von Tempora „erobert“ worden ist. Das Ergebnis der Entwicklung wird durch die beiden folgenden Standardtypen repräsentiert:

S’il venait, nous partirions.

S’il était venu, nous serions partis.

Neben den beiden Haupttypen existieren noch einige weitere Varianten, die aber in unserem Zusammenhang weniger interessieren (vgl. Hunnius 2015).

Gegenüber den rein konjunktivischen Satzgefügen des Lateinischen verfügen die heutigen Standardtypen des Französischen über den Vorteil, dass sie die rezi­proke Abhängigkeitsrelation zwischen den beiden Teilsätzen deutlich hervortreten lassen sowie die „ordination logique d’avant et d’après, de protase à l’apodose“ besonders unterstreichen (Moignet 1981, 255). Die Wirkung kommt dadurch zustande, dass das Imperfekt im Verhältnis zum (futurischen) Kondi­tional die Rolle eines hypothetischen Präsens übernimmt. Modale Flexibilität gepaart mit einer Offenheit für syntagmatische Bezüge sind die Trümpfe, mit denen das Imperfekt punkten kann und die ihm die Fähigkeit verleihen, mit dem Konjunktiv zu konkurrieren.

Die modale Verwendung des Imperfekts, die im französischen Bedingungs­satz markant in Erscheinung tritt, darf nicht zu der Annahme verleiten, dass Nutzungsmöglichkeiten dieser Art erst im Romanischen entstanden sind. S. Mellet hat im Einzelnen gezeigt, dass der „caractère virtuel“ grundsätzlich zur Imperfektsemantik dazugehört und in verschiedenen Verwendungsarten schon im Lateinischen zu entdecken ist (Mellet 1994). Ob man im Rahmen der Aspekttheorie mit dem Paradox der Kursivität argumentiert (Le Goffic 1995) oder ob man mit dem anaphorischen Argument auf den zweiten, nicht in der Einflusssphäre des Sprechers liegenden Bezugspunkt verweist, in beiden Fällen ist die in der Imperfektbedeutung enthaltene Virtualitätskomponente zu erkennen. Die Anhänger der Aspekttheorie stützen sich auf Imperfekt­vorkommen, die von den lateinischen Grammatiken unter dem Stichwort „imperfectum de conatu“ registriert werden. Es handelt sich um Fälle, bei denen das Imperfekt Handlungen darstellt, die begonnen wurden oder beabsichtigt waren, jedoch nicht zu Ende geführt werden konnten:

Veniebatis in Africam, sed prohibiti estis in provincia vestra pedem ponere (Rubenbauer & Hofmann 1955, 194).

Hierher gehört auch als Spezialfall das sog. imparfait de politesse et de modestie: „[Le locuteur] offre indirectement à son interlocuteur le pouvoir de s’interposer, d’intervenir dans cette action en cours de développement“ (Mellet 1994, 75).

In der indirekten Rede des Lateinischen sind zwar der ACI und der Kon­junktiv die üblichen Ausdrucksmittel, jedoch lässt sich immerhin für den Zwischen­bereich des sog. style indirect libre das Imperfekt in der Rolle eines perspektivischen Tempus nachweisen, was als ein Vorzeichen für die spätere romanische Entwicklung angesehen werden kann. S. Mellet hat einige Belege, bei denen das Imperfekt die Aussage an einen „repère énonciatif secondaire“ bindet, zusammengestellt (1994, 67). Zu ihnen zählt auch das folgende Beispiel:

Tarquinienses nomen ac cognatio movet: pulchrum videbatur suos Romae regnare (Livius II, 6, 4).

Es ergibt sich also als Fazit, dass die nuance modale von vornherein in der Imperfekt­bedeutung angelegt ist; wie sie allerdings jeweils genutzt wird, ist eine Frage der einzelsprachlichen Entwicklung und unterliegt daher gewissen Schwankungen.

4. Das Imperfekt – ein indikativisches Tempus?

Wenn wir abschließend noch einmal auf das Tempuskapitel der Grammaire de Port-Royal zurückkommen, muss einschränkend festgestellt werden, dass dort allerdings die modalen Auswirkungen, die mit der komplexen Imperfekt­seman­tik verbunden sind, unbeachtet bleiben. Arnauld und Lancelot behandeln das Imperfekt allein als Vergangenheitstempus. Ganz anders sieht ihre Ent­scheidung bei einem Tempus aus, das in der Folgezeit den Namen Konditional erhalten hat. Diese Verbform ist bei ihnen vom Imperfekt getrennt und unter die Modal­kate­gorien eingereiht, obwohl doch das Konditional, was seine Semantik anbelangt, starke Analogien mit dem Imperfekt aufweist. Beim Konditional, bei dem gemäß seiner Morphologie ein futurisches und ein imperfektisches Element mit­einan­der kombiniert sind, ist die virtuelle Komponente stärker ausgeprägt, so dass sich hier die Zuordnungsprobleme im Vergleich zum Imperfekt noch ver­schärfen (vgl. z.B. Popescu 2013 oder Vetters 2001). Eine Trennung der beiden Tempora ist daher wegen ihrer offensichtlichen Verwandtschaft als frag­würdig anzusehen.

Das Verhältnis zwischen Tempora und Modi wird bis heute vor allem in Hinblick auf die Problemfälle Imperfekt und Konditional kontrovers diskutiert (vgl. Confais 1990, 287ff.). Die Verteilung der Tempora auf beide Modus­kategorien, die uns die heutigen grammatischen Darstellungen gängigerweise präsentieren, stellen jedenfalls keine zufriedenstellende Lösung dar.

Analoge Probleme bestehen auch im Bereich des Konjunktivs, wo sich die an den Indikativ angelehnte Tempusunterteilung als unpassend erweist. An Fällen wie je veux qu’il vienne oder j’attendrai qu’il soit venu wird die erstaunliche Spann­weite erkennbar, durch die sich ein konjunktivisches présent oder passé von den vermeintlichen indikativischen Pendants unterscheidet. Die Berech­tigung der korrespondierenden Bezeichnungen ist daher des Öfteren in Frage gestellt worden. Tempus- und Moduskategorien sind, so lässt sich folgern, nicht ohne Komplikationen miteinander vereinbar. Die übliche Regelung ist nichts an­deres als der vergröbernde Harmonisierungsversuch, der den unabweisbaren Sach­verhalt verschleiert, dass zum einen gewisse temporale Distinktionen im konjunktivischen Bereich ihre Geltung verlieren und zum anderen sog. indi­ka­ti­vi­sche Tempora in modaler Hinsicht ambivalent sind. Mit anderen Worten: an Tempora wie dem Imperfekt oder dem Konditional zeigt sich, dass sich diese nicht ohne Weiteres dem Indikativ zuordnen lassen, sondern eher Anspruch auf einen unabhängigen Status besitzen. Die Beziehung zwischen Tempus und Modus ist also, wie schon Sommer gesehen hat, als ein Neben­einander und nicht als ein wie auch immer geartetes Untereinander zu betrachten. Wenn man dage­gen von einem „koordinierten Verhältnis“ ausgeht, ließen sich die zu beo­bach­tenden problematischen Überschneidungen eher vermeiden (Sommer 1971, 88).

Setzt man also für das Imperfekt bzw. Konditional eine modale Ambivalenz voraus, dann wird auch die häufig praktizierte Unterscheidung in kanonische und metaphorische Verwendungen überflüssig. Für das Imperfekt gilt dann, dass die sog. modalen Verwendungen weder von den temporalen abgeleitet noch als Sonder­fall zu betrachten sind. Es besteht also kein Anlass, eine Abstufung zwischen primärer Temporalität und sekundärer Modalität vorzunehmen. Beide sind von Anfang an als gleichberechtigte Bestandteile in der Semantik angelegt. Die Hierarchisierung stützt sich auf die fragwürdige Annahme, dass das Imper­fekt als indikativisches Tempus zu gelten habe, was sich aber mit dessen ambi­valentem Charakter nicht verträgt. Es gibt demnach Tempora – zu ihnen zählt das Imperfekt – die sich in Hinblick auf eine modale Zuordnung einem entweder das Eine oder das Andere entziehen.

Die Diskussion über die Zuordnungsproblematik – sie steht weiterhin unter dem Vorzeichen eines Entweder-Oder – wird von Becker in seiner Konjunktiv­monographie ausführlich dargestellt. Das fortbestehende Dilemma manifestiert sich in dem zwiespältigen Befund, der dem Imperfekt einerseits eine „indikativische Morphologie“ andererseits aber „modales Potential“ zuteilt (Becker 2014, 470). Es bestätigt sich ein weiteres Mal, dass sich das Imperfekt einer klaren Zuordnung zu einer der beiden Moduskategorien widersetzt.

In der Grammaire Larousse du français contemporain findet sich das folgende beachtenswerte Nota bene, das auch für unsere Darstellung leitend war:

Le vocabulaire grammatical prête à confusion. Les mots temps et modes ne sont que des ‹étiquettes› de classification. Ces ‹étiquettes› ne rendent pas compte de la souplesse et de la variété d’emploi des diverses formes verbales (Chevalier [u.a.] 1964, 334).

Allerdings liest man in der gleichen Grammatik wenige Seiten später Aussagen, bei denen der grundsätzliche Vorbehalt vergessen zu sein scheint. Dies betrifft etwa die wenig glückliche Charakterisierung des Indikativs als „mode de la réa­lité“ (Chevalier [u.a.] 1964, 349). Der eklatante Widerspruch zwischen der grundsätzlichen Stellungnahme und der jeweiligen Einzelargumentation ver­deutlicht noch einmal, welche Schwierigkeiten und Risiken dadurch entstehen, dass mit einer Nomenklatur und Untergliederung gearbeitet wird, die der Komple­xität der sprachlichen Wirklichkeit nicht gerecht wird und daher immer wie­der zu Fehlschlüssen Anlass gibt.

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„El asno de Sancho“ – y su burroDie Furcht des Antonio de Nebrija vor dem Genetivus Explicativus

Werner Forner (Siegen/Lich)

1. Einleitung

Spottformeln vom Typ „el asno de Sancho“ seien zwar üblich, aber dennoch abzulehnen, schreibt Nebrija (1492, Edition Quilis 1980, 209). Inakzeptabel sei wohlgemerkt nur die Interpretation als burla; diejenige Lesart hingegen, die Sancho als Eigentümer des Esels versteht, sei korrekt. Nur diese possessive Inter­pretation ist übrigens pronominalisierbar: su burro / su asno; aber derartige „Proben“ gehören nicht zum analytischen Arsenal der Zeit.

Bei den gemeinsamen Prüfungen mit Franz-Josef Klein war Nebrija oft The­ma. Ein weiteres Spezialgebiet des Jubilars, das im Folgenden diskutiert wird, ist die Wortfolge, speziell in Nominalphrasen. Ich freue mich daher, diese zwei Bereiche mit einem dritten, dem Genitiv, der mir seit meiner frühen Studienzeit am Herzen liegt, zu verknüpfen und Franz-Josef diesen Strauß zum Geburtstag zu verehren.

Bei diesem Strauß ist Nebrija allerdings nur der Anlass. Ziel ist eine erklärende Beschreibung des im Titel zitierten Genitivsyntagmas. Es soll gezeigt werden, dass dieser Genitiv-Typ über zahlreiche nahe Verwandte verfügt (sowohl „Geschwister“ als auch „Kinder“), dass diese strukturelle Familie viel­fältige, auch stiltypische Verwendungsweisen kennt, und schließlich, dass die Verteufelung dieser Struktur (durch Nebrija und später durch andere) auf einer nur gefühlten Bedrohung der Unversehrtheit sprachlicher Funktionen beruht, also auf einer Art „Angst“.

2. Nebrijas Analyse

Grund für Nebrijas Ablehnung der burla (also der Lesart: Sancho IST ein Esel) ist nicht etwa die Zweideutigkeit des Ausdrucks; sondern derartige Formeln wi­der­sprechen – meint Nebrija – der universellen natürlichen Sprachlogik – „orden natural“, „conforme a la razón“ (z.B. S. 204, 205) – die Nebrija immer wieder als deduktiven Aufhänger seiner Analysen bemüht. Was dieser RATIO widerspricht, ist ein „error“.1 Im vorliegenden Fall, für den adnominalen Genitiv [N1 de N2], gelte eine „significación general“ (S. 209); denn der Genitiv [de N2] bedeute – immer und überall – „cuia es aquella cosa, como diziendo: el siervo de Dios“ (ebd.). Der Nachweis dieser grammatischen RATIO geschieht durch­aus empirisch, nämlich durch Rückführung auf die prädikative Formel mit der Kopula SEIN:

Diese prädikative Entsprechung erklärt – so Nebrija – nicht nur die possessive Relation zwischen N1und N2, sondern sie gilt für jeden adnominalen Genitiv; auch etwa anillo de oro entspreche dem Prädikat: el anillo ES DE oro. Das Prädikat „ES DE“ liefert das de des adnominalen Genitivs; de ist für ihn in der Basis angesiedelt, d.h. es ist bedeutungstragend; es ist also nicht – nach Nebrijas Einschätzung – ein bloß formales Signal der Oberfläche. Und Nebrija fährt fort:

Mas aquí no quiero dissimular el error que se comete en nuestra lengua, & de allí passó a la latina, diziendo: mes de enero, […], ciudad de Sevilla […]; por que el mes no es de enero, sino él mesmo es enero […], ni la ciudad es de Sevilla, sino ella es Sevilla […]. De donde se sigue que no es amphibolia aquello en que solemos burlar en nuestra lengua, diziendo el asno de Sancho; por que, a la verdad, no quiere ni puede dezir que Sancho es asno, sino que el asno es de Sancho (Nebrija 1492, 209-210).

El asno de Sanchodarf also nicht anders verstanden bzw. darf nicht anders ver­wendet werden als allein im possessiven Sinn, weil die prädikative Gleichung mit SEIN nur bei der possessiven Interpretation das erforderliche de enthält:

Die prädikative Transformation der burla-Interpretation hingegen lautet: el asno ES Sancho; sie enthält nicht das de; folglich ist – so argumentiert Nebrija – de in der burla unmotiviert, und somit falsch. Aus demselben Grund sei auch der Genitiv in mes de enero bzw. in ciudad de Sevilla falsch; denn auch dort ergibt die Prädikativtransformation die Formel: [N1 ES N2]: Sevilla ES una ciudad. Genitive, die eine durch SEIN paraphrasierbare Relation zwischen N1 und N2abbilden, heißen genitivus explicativus (oder: genitivus definitivus / appositivus); dieser Genitivtyp gehorcht der Formel (3), und zwar (3-a) bei Nebrija, zu korri­gieren in (3-b), wie wir sehen werden:

Diesen „error“ hält Nebrija offenbar für einen Kastilianismus. Zwar ist ihm die­selbe Verfehlung auch aus dem zeitgenössischen Latein bekannt, aber dort sei sie nicht genetisch, sondern kontaktbedingt (siehe Satz 1 des Zitats). Richtig ist hingegen, dass dieselbe Konstruktion im klassischen Latein und Griechisch geläufig war, auch in allen zeitgenössischen romanischen Sprachen, und darüber hinaus.2

Nebrijas Ablehnung des Typs (3) gründet auf seiner Sprachtheorie (Theorie des Genitivs bzw. der diesem zugrundeliegenden Prädikation). Diese ist empi­risch insofern, als sie sich auf reales Sprachmaterial (reale Prädikationen mit SEIN) stützt. Sie ist jedoch offenbar nicht empirisch in dem Sinne, den Nebrija sonst meist in Anspruch nimmt, nämlich im Sinne des Usus. Dieser ist für ihn hier nicht maßgeblich, weil hier ein „error“ vorliege. Der Usus ist seiner Sprachlogik3 hierarchisch nachgeordnet.

Richtig und bemerkenswert an Nebrijas Darstellung ist zweierlei:

1. Er unterscheidet den Explicativus klar von den übrigen Genitivtypen; und

2. er erkennt die strukturelle Identität zwischen der burla und dem Nexus „ciudad de Sevilla“.

Ad 1: Die Eigenständigkeit des Explicativus resultiert für Nebrija aus der abstrakten Derivation: (3) ≠ (1). Linguistische Proben bestätigen den Befund: Es wurde eingangs schon darauf hingewiesen, dass viele Genitivtypen, aber nicht der Explicativus, durch das Possessivpronomen ersetzt werden können: su burro kann nicht anders als possessiv verstanden werden. Und vor allem: Beim Explicativus ist nicht – wie sonst – N1 das kommunikative Zentrum des Syntag­mas, sondern N2: In dem Satz: Ha muerto el asno de Sancho ist bei explikativer Interpretation Sancho (N2) gestorben, bei possessiver Interpretation hat es den Esel (N1) erwischt. Analoges gilt für Ha muerto en el mes de enero / en la ciudad de Sevilla, wo die Zeit- bzw. die Ortsangabe durch N2 gewährleistet ist. N1ist zwar der morpho-syntaktische Kopf des explikativen Genitivsyntagmas, aber kommunikativ ist N1 sekundär4, sogar entbehrlich: Bei einer Tilgung von N1 geht nur die burla verloren, oder nur die Präzisierung (ciudad, mes) – Informationen, die sonst eher dem Attribut zukommen („der eselige Sancho“). Mundus inversus: Appendix statt Kopf. Für viele spätere Puristen ein Mundus perversus, eine Perversion des génie de la langue (siehe §5).

Ad 2: Dass Nebrija die beiden Typen des Explicativus (die burla und die ciudad de Sevilla) gleich behandelt, ist angesichts der semantischen, prag­ma­tischen und sprachstilistischen Divergenz bemerkenswert: Die burla ist eine affektive Einordnung in ein – hier negatives – Bewertungsraster, und sie gehört einer „populären“ Sprachebene an. Die Erweiterung durch ciudad, mes, etc. bedeutet eine Einordnung in andere – jedenfalls nicht affektive – Zusammen­hänge und ist nicht typisch für die Sprache des Alltags. Die Gleichbehandlung dieser zwei Erscheinungsformen wird daher von einigen späteren Grammatikern abgelehnt.5 Die umfangreiche Diskussion – die hier nicht reproduziert werden kann – hat allerdings meist übersehen, dass der Katalog der explikativen Genitive damit längst nicht vollständig ist. Die erweiterte Typologie dieses Ge­ni­tiv­typs ist Thema des §4.

Zuvor (§3) soll es um die Rückführung des Genitivsyntagmas auf eine pro­positionale Basis gehen: auf eine Basis mit SEIN (bei Nebrija und in der mittelalterlichen und späteren Sprachphilosophie), oder auf eine Basis mit VERB. Wir werden sehen, dass der Genitiv allgemein als abgeleitete Struktur dargestellt werden kann, und dass Beschreibungsökonomie und explikative Ambi­tionen dabei gewinnen, jedenfalls im Verhältnis zu ad hoc-Kasuistiken. Um­gekehrt ist der Genitiv (bzw. das Nominalattribut) seinerseits die Basis für weitere Derivate.

Nebrija ist der erste Grammaticus, der eine Analyse und Bewertung der burla vorgelegt hat. Die nachfolgenden Grammatiken des Spanischen bis ins 19. Jh. behandeln diese Genitiv-Konstruktion meist gar nicht, oder jedenfalls nicht im Sinne von Nebrija. Correas (1625) lehnt die burla nicht ab, betont die „evidente anfibología“ und erklärt diese aus zwei divergenten Basisstrukturen („posesiva“ versus „identificadora“ bzw. „atributiva“). Erst im 20. Jahrhundert bringen spanische Grammatiken weitere Analysen, aber nicht die allgemeinere Ein­ordnung, die in den folgenden Paragraphen versucht werden soll.6

3. Genitiv als Derivat

Unabhängig von universalistischen Zielen sind derartige Rückführungen dann grundsätzlich sinnvoll, wenn sie die zu beschreibende Oberfläche deskriptiv vollständig erfassen, weniger neue Kategorien für die Beschreibung benötigen, und wenn der Weg der Herleitung nachweisbar ist und/oder durch allgemeine Derivationsregeln definiert ist. Dies ist die Definition von explikativer Adäquatheit, in Opposition zu bloß deskriptiver Adäquatheit. Der adnominale Genitiv verfügt über eine ziemlich unübersichtliche funktionale Vielfalt10: ein enfant terrible der grammatischen Oberfläche. Wichtig ist folgendes: Keine der diversen „Kasusbedeutungen“ (bezogen auf die adnominalen Fälle) ist im pro­po­sitionalen Äquivalent ausgeschlossen. Eine derivative Explikation drängt sich daher auf.

Als Basis reicht die Wortart-Kategorie „Verb“ verbunden mit dessen jewei­liger Valenz. Zwei Typen sind zunächst zu unterscheiden:

(a) Bei deverbalem Head-Noun ist die Herleitbarkeit des Genitivsyntagmas evident: Das haben wir bei amor DEI schon gesehen; wird das Verb amare nominalisiert, werden beide Kasus (DEUS bzw. DEUM) in genitivischer Gestalt angefügt.

(b) Auch ohne deverbales Nomen ist dieselbe Herleitung simpel und von der Tradition abgesegnet, sofern es sich um den Possessivus handelt: Das Basis-Verb HABEN erklärt diese Bedeutung, obwohl es an der Oberfläche nicht auftaucht. Dasselbe gilt – wie Nebrija nachweist, s.o. – für das zugrundliegende ESSE beim Genitivus Pretii, und eben auch bei dem ungeliebten Explicativus. Wie aber steht es dann mit den Ausdrücken: La gramática DE Nebrija? oder mit la Gramática DE la Lengua Castellana? Was spricht dagegen, hier die Verben „schreiben“ oder „handeln von“ zu postulieren? die sind schließlich im Konzept „Grammatik“ enthalten! Etwas allgemeiner: Bei nicht-deverbalem N1 assoziieren wir – trotz der materiellen Abwesenheit eines Verbs – eine der verbalen Grundbedeutungen: Handlung-Ereignis-Zustand. Eine Ausformulierung der Basis orientiert sich zwar natürlich an der Semantik des Nomens („Grammatik schreiben“, statt „Grammatik machen“), aber dies ist eine Frage der stilistischen Ausformung und nicht der Derivation.

Abschließend möchte ich noch einmal zum Begriff Neutralisation zurück­kehren:

- Bei deverbalem N1 (Typ a) sind die Kasus (bzw. Kasusrollen) der Verbalrektion neutralisiert; das war oben schon festgestellt worden.

- Bei Typ (b) kommt eine weitere Neutralisation hinzu: Dort verlieren die drei genannten Grundbedeutungen des potentiellen Basis-Verbs ihre oppositive Potenz. Wenn das zutrifft, erwarten wir entsprechende Ambivalenzen. Diese gibt es zuhauf. Was bedeutet „le portrait de Picasso“? Ist Picasso der Maler des Porträts? oder ist er darauf dargestellt? oder ist er der Besitzer? Oder hat er es in einem Vortrag besprochen? Der Wortlaut selbst schließt keine dieser (und weiterer) Interpretationen aus; jede einzelne ist – je nach Kontext – korrekt. Ausgeschlossen ist nur, dass kein Verb assoziiert wird; oder auch ein passe-partout-Verb wie „betreffen“ (obwohl dieses von Lexikographen und sogar von Grammatikern immer wieder postuliert wird).

Das Genitivattribut ist seinerseits – ebenso wie andere Nominalattribute – Basis für weitergehende Transformationen:

- de N2 kann – bes. im Wissenschaftsstil – adjektiviert werden zu einem Relationsadjektiv (natürlich nur, sofern das lexikalische Reservoir der Sprache über ein gleichbedeutendes Adjektiv verfügt);

- oder N1 N2 können – in romanischen Sprachen mit pragmatischen Einschränkungen – zu einem Nominalkompositum verschmelzen.

Beide sind ‚Kinder’ des Genitivattributs und übernehmen dessen Neutra­lisationen – der Apfel fällt nicht weit vom Stamm!

Bei der Adjektivierung mutiert z.B. der Genitiv de Nebrija zu nebrisense; diese Form taucht im Titel oder Text zahlloser Publikationen auf; ein Blick ins Internet schafft ein riesiges Korpus: tutela nebrisense, discípulo nebrisense, obra nebrisense – diese Beispiele sind alte Bekannte, sie gehen alle auf den Genitiv de Nebrija zurück, und dieser ist deriviert aus Sätzen, jeweils mit dem Verb tutelar, bzw. mit den erschlossenen Verben tener, escribir; man könnte von einem ADJECTIVUS SUBJECTIVUS, POSSESSIVUS, AUCTORIS sprechen. Etwas anders steht es mit dem Nexus bibliografía nebrisense: Dieser Ausdruck setzt zwar auch einen Genitiv voraus: bibliografía de la obra nebrisense, aber mit einem „Zwischennomen“ (obra) zwischen N1 und dem Rela­tions­adjektiv. Für das „Zwischennomen“ gilt die fakultative, aber all­gemeine Regel: Das „Zwischennomen“ kann getilgt werden. Diese zusätzliche Regel potenziert die vom Genitivattribut übernommene Polysemie, und erklärt sie. Für das Relationsadjektiv gilt – mehr noch als für das Genitivattribut: Es ist extrem polysem, es spiegelt eine Fülle von propositionalen Argumentstrukturen; es ist nicht „vage“, die Basis enthält nie das Verb „betreffen“;11 der linguistischen Literatur ist allerdings die Diagnose Polysemie oft ebenso wenig geheuer wie Nebrija der EXPLICATIVUS. Und diese Abneigung ist ebenso wenig fundiert: Die strukturale Polysemie ist vorhanden; es ist nicht Aufgabe des Linguisten, diese zu kaschieren.

Derselbe Regelset (Genitiv-Derivation plus Tilgung12) gilt noch allgemeiner, er gilt auch für die – inzwischen auch in romanischen Sprachen etablierte – (deter­minative) Nominalkomposition [ N1 N2 ], z.B. espacio Schengen, auch für die Konfigierung (gelehrte Komposition), z.B. eurozona. Dieser Hinweis mag hier genügen. Die Polyvalenz der Nominalkomposition hatte schon Darmesteter (1875, 4) – ohne übrigens Noam Chomsky rezipiert zu haben – völlig richtig gesehen: „La composition est une proposition en raccourci.“

Noch ein Wort zur „Kosten-Nutzen-Rechnung“: Die Derivation des nomi­nalen Genitivsyntagmas aus einer propositionalen Argumentstruktur ‚kostet’ nichts, denn sie ist bei den Deverbativa ohnehin gegeben; sie gilt auch für die Tochter-Strukturen, hat also einen maximalen Allgemeinheitsgrad. Sie erspart bei jeder der drei Strukturen lange ad hoc-Kataloge der Oberflächen­funktionen13, denn diese sind aus der Basis „geerbt“. Sie erklärt die vielfältige Semantik/Pragmatik der Oberfläche aus der Vielfalt der möglichen proposi­tionalen Basen.

4. Erscheinungsformen des Explicativus

Der Explicativus unterscheidet sich von den übrigen adnominalen Genitiv-Typen durch seine Herleitung aus [ESSE + Prädikatsnomen]. Deshalb landen bei Nebrija sowohl die burla als auch die definitorischen Verbindungen (mes de enero, ciudad de Sevilla) zu Recht in derselben Schublade. Die semantische Diver­genz ist Frucht der Basis: Das Prädikatsnomen der Basis lässt viele Bedeu­tungs­typen zu, dazu gehören einerseits affektive Interpretationen des Subjekts, übrigens neben Beleidigungen („Sancho ES un asno“) auch Preisungen (z.B. „el niño ES un cielo“ {MISSING SYMBOL Wide-headed rightwards arrow} „el cielo del niño“); andererseits auch nicht-affektive Einordnungen in intellektuelle Welten, wie z.B. in administrativen Klassifi­kationen („Sevilla ES una ciudad“). In beiden Fällen handelt es sich um klassifizierende Einordnungen.14 Klassifikatoren dienen dazu, alternative Klassi­fi­kationen auszuschließen: Mit Sevilla