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Nina-Sophia Miralles

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Beschreibung

Die Geschichte der VOGUE und der Frauen, die mit ihr Geschichte schrieben Hinter der Hochglanzfassade des weltberühmten Magazins waren es von Anfang an die Redakteurinnen, die mit unkonventionellen Ideen und Unerschrockenheit das Magazin durch etliche Krisen geleitet haben und nebenbei neue Trends vorgaben. Sei es die offen lesbische Dorothy Todd, die das London der zwanziger Jahre unsicher machte, Woolman Chase, die 1914 kurzerhand die Modenschau erfunden hat, Diana Vreeland, die ihre Anweisungen gerne aus der Badewanne gab, oder Anna Wintour, die spätestens seit Der Teufel trägt Prada selbst unter Modemuffeln berüchtigt ist. Inside Vogue wirft nicht nur einen Blick hinter die Kulissen und fördert allerhand Pikantes zutage, sondern erzählt vor allem von den Frauen, die die Modebibel prägten und uns bis heute inspirieren. Das perfekte Geschenk für alle Fashionistas und eine erhellende Lektüre für all jene, die mit Staunen auf die Modewelt blicken.

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Seitenzahl: 491

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Nina-Sophia Miralles

Inside Vogue

Die Geschichte eines Magazins und der Frauen, die es führten

Aus dem Englischen von Christiane Rehagen und Sigrid Schmid

Atlantik

Für Rui mit Liebe, dafür, dass er mich zur Ziellinie gebracht hat

Chefredakteurinnen der US-amerikanischen Vogue

Josephine Redding: 1892–1901

Marie Harrison: 1901–1914

Edna Woolman Chase: 1914–1952

Jessica Daves: 1952–1962

Diana Vreeland: 1963–1971

Grace Mirabella: 1971–1988

Anna Wintour: 1988 bis heute

Chefredakteurinnen und Chefredakteure der britischen Vogue

Elspeth Champcommunal & Dorothy Todd, Interimsredakteurinnen: 1916–1922

Dorothy Todd: 1922–1926

Michel de Brunhoff und Interimsredakteurinnen: 1926–1928

Alison Settle: 1926/28–1934

Elizabeth Penrose: 1935–1940/41

Audrey Withers: 1941–1960

Ailsa Garland: 1960–1964

Beatrix Miller: 1964–1984

Anna Wintour: 1985–1987

Elizabeth Tilberis: 1988–1992

Alexandra Shulman: 1992–2017

Edward Enninful: 2017 bis heute

Chefredakteurinnen und Chefredakteure der französischen Vogue

Cossette Vogel: 1922–1927

Main Bocher: 1927–1929

Michel de Brunhoff: 1929–1954

Edmonde Charles-Roux: 1954–1966

Francine Crescent: 1968–1987

Colombe Pringle: 1987–1994

Joan Juliet Buck: 1994–2000

Carine Roitfeld: 2001–2011

Emmanuelle Alt: 2011–2021

Eigentümer der Vogue

Arthur Turnure und Familie: 1892–1909

Condé Montrose Nast: 1909–1934

Lord Camrose: 1934–1958

Familie Newhouse: 1959 bis heute

Einleitung

Die Zeitschrift Vogue nahm ihren Anfang, wie so viele großartige Dinge, im Gästezimmer eines Privathauses. Aber anders als andere derartige provisorische Projekte, die kurz aufflammen und dann im Sande verlaufen, hat sich die Vogue in unser kulturelles Bewusstsein gebrannt.

Seit Ende des 19. Jahrhunderts ist sie Vorbild für erfolgreiche Zeitschriften, eine Pionierin des schönen Lebens. Heute, mehr als 125 Jahre später, gibt es 25 eigenständige Regionalausgaben der Vogue mit 24,9 Millionen internationalen Leserinnen der Printausgabe pro Monat, 113,6 Millionen Online-Leserinnen pro Monat und 118,7 Followern auf den verschiedenen Kanälen. Sie dominiert den Markt seit mehr als einem Jahrhundert unangefochten, hat weltweit einen der höchsten Erkennungswerte als Marke und ist eine Multimillionen-Geldmaschine. Die Vogue ist nicht nur ein Modemagazin, sondern eine Institution. Eine Bibel. Aber was, und vor allem wer hat die Vogue zu dauerhaftem Erfolg geführt?

In diesem Buch konzentrieren wir uns auf die drei wichtigsten Ausgaben – die US-amerikanische Vogue, das Original und immer noch die Machtzentrale; die britische Vogue, die als zweiter Standort eröffnet wurde und nach der amerikanischen Ausgabe den meisten Einfluss hat; und die Vogue Paris, die für Frankreichs Vermächtnis als Geburtsort der Couture steht. Wir folgen den Spuren einer legendären Organisation von ihrer Gründung in New York als Klatschblatt bis zum glanzvollen Wirtschaftskoloss, den wir heute kennen. Im Rahmen dieser Biographie der Vogue reisen wir durch drei Jahrhunderte und zwei Weltkriege, erleben niederschmetternde Tiefschläge und strahlende Erfolge mit und sehen, welch schwindelerregende Reise die Zeitschrift und jene, die sie machten, unternommen haben. Die Geschichte der Vogue wäre unvollständig ohne die vielfältigen Mitwirkenden, allesamt einzigartige Persönlichkeiten – Eigentümer wie Chefredakteurinnen –, die den Seiten ihren eigenen Stil gegeben haben. Vom snobistischen Gründer Arthur Turnure über den habgierigen Geschäftsmann Condé Montrose Nast bis zu Mitzi Newhouse, der hübschen Milliardärsgattin, die ihren Mann beim Frühstück dazu überredete, die Vogue spontan zu kaufen, hatten alle ihre eigenen Pläne. Die Chefredakteurinnen und -redakteure waren nicht weniger bemerkenswert. Zu ihnen gehörten ein ausgezeichneter Kriegsheld, der in der französischen Widerstandsbewegung aktiv war, und die Tochter einer Hollywood-Größe, die in einem rosafarbenen Palast aufwuchs. Die Redaktion bestand aus einem widerspenstigen, kunterbunten, visionären Haufen, der es ebenso verdient, wieder zum Leben erweckt zu werden, wie die Vogue-Fotografen, von Horst P. Horst über Cecil Beaton bis Helmut Newton. Sie waren manchmal brutal, manchmal preziös, immer Genies. Doch das ständige Machtgerangel zwischen Vorstandsetage und Redaktionen zeigt das knifflige Wechselspiel zwischen Kreativität und Kommerz.

Das Vogue-Universum ist reichhaltiger, als man es sich erträumen könnte. Zu ihren Legenden zählen: die Erfindung des Laufstegs durch die Vogue im Ersten Weltkrieg; ein Skandal in den zwanziger Jahren, als die britische Chefredakteurin, eine bekannte Lesbe, ihre Sekretärin aus der Ehe heraus verführte; der Tanz mit dem Teufel des französischen Chefredakteurs im besetzten Paris, der mit außergewöhnlichen Tricks verhinderte, dass das Vermögen der Vogue von den Nazis beschlagnahmt wurde; und jede Menge Drogengerüchte, aufgrund derer eine Chefredakteurin, die gar keine Drogen nahm, in den achtziger Jahren zu einem längeren Aufenthalt in eine Entzugsklinik musste. Die Vogue konnte eine grausame Herrin sein, und Geschichten von brutalen Entlassungen gab es immer wieder. Aber auch das Gegenteil war der Fall. Günstlinge erhielten als Belohnung zuweilen Münzen aus reinem Gold und kostenlose Häuser.

Heute sind, vor allem durch die sozialen Medien, die Chefredakteurinnen und -redakteure der Vogue selbst zu Berühmtheiten geworden. Sie sind nicht mehr Modekommentatorinnen, sondern richtige Kulturikonen. Die Chefredakteurin der US-amerikanischen Vogue, Anna Wintour, herrscht seit 32 Jahren unangefochten, und jeder in der Branche und darüber hinaus spürt ihre furchterregende, allmächtige Präsenz. Ebenso berühmt ist ihre Kollegin mit den Feuerhaaren, die Kreativchefin Grace Coddington, die den sympathischen Gegenpol zur Despotin Wintour spielt.

Die britische Niederlassung sorgte für genauso viel Aufsehen. Die hitzige Debatte, die nach Alexandra Shulmans Rücktritt als Chefredakteurin im Jahr 2017 aufkam, eskalierte, als Edward Enninful, ehemaliges Model und Stylist aus Ghana, zu ihrem Nachfolger ernannt wurde, was die Frage aufwarf, ob Mode gesellschaftliche Veränderungen bewirken kann – oder sollte.

Der Tod des Vogue-Eigentümers Samuel Irving Newhouse jr. im Jahr 2017 rückte die Vergangenheit der Vogue ins Rampenlicht und befeuerte Spekulationen über die Zukunft der Zeitschrift. Zwei Hollywood-Blockbuster basieren auf den Vorzeigezeitschriften von Newhouse: Der Teufel trägt Prada aus dem Jahr 2006 und New York für Anfänger aus dem Jahr 2008. Diese Verherrlichung, Verehrung, die Gerüchte und der Klatsch betonen nur, was seit 100 Jahren Realität ist: Die Menschen wollen mehr und immer mehr über die Vogue erfahren.

Dieses Buch erzählt eine Geschichte von Leidenschaft und Macht, atemberaubenden Reichtümern und phantastischer Mode, von Findigkeit und Opportunismus, Frivolität und Niedertracht. Es ist die Geschichte der Vogue.

1Es war einmal im alten New York …

Die frühe Vogue als Gazette aus dem eigenen Land

Der vornehme Gründer

In den schönsten Märchen schwingt meist eine gute Fee ihren Zauberstab, aber im wirklichen Leben können gut aufgestellte Eltern dieselbe Funktion erfüllen. Für die Vereinigten Staaten von Amerika, wo die Menschen gerne ihr Glück selbst schmieden, gilt das ganz besonders. Es war Winter in New York, und Schnee überzog die Stahlskelette der Wolkenkratzer, die in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts gerade erst in die Höhe geschossen waren. Brandneue Kaufhäuser wie Macy’s lockten mit exquisiten Weihnachtsdekorationen in den Schaufenstern Kundschaft. Die Schlote der Fabriken in den Vororten qualmten, die US-Exporte strömten aus dem Hafen. Die »Stadt, die niemals schläft«, als die sie heute bekannt ist, barst damals bereits vor Energie. Und bei Arthur Turnure war es genauso. Er bereitete sich darauf vor, seine Tochter in die Gesellschaft einzuführen. Er hatte ihr den Namen Vogue gegeben, und sie war die Verkörperung der perfekten Debütantin. Sie war hübsch, eloquent und gut informiert.

Überall in Manhattan warteten die Damen und Herren der guten Gesellschaft begierig darauf, sie in ihren Häusern willkommen zu heißen, sie ihren Nachbarn vorzustellen und herauszufinden, was die modische kleine Schönheit zu bieten hatte. Wer in Privilegien hineingeboren wird, ist oft bestens für Erfolg vorbereitet, und bei der Vogue war das nicht anders, denn ihre Vorteile im Leben waren ihrem aristokratischen Vater zuzuschreiben. Turnure war ein Gentleman mit guten Verbindungen in der Stadt, charmant, stattlich, enthusiastisch und kosmopolitisch – und die Vogue verdankte die Vorfreude der Stadt auf ihr Erscheinen vor allem seiner Popularität. Sogar die Tagespresse, die sich der Aufregung um diese Neuerscheinung bewusst war, verkündete das bevorstehende Ereignis. »Eine der wichtigsten Debütantinnen der Woche wird Vogue sein, die am nächsten Samstag unter der Aufsicht von Arthur Turnure vorgestellt wird«,[1] hieß es in einer Mitteilung. New York hielt den Atem an.

Die erste Ausgabe der Vogue lag am 17. Dezember 1892 zum Preis von zehn Cent in den amerikanischen Kiosken. Mit einer »echten« Debütantin auf dem Cover, illustriert von A.B. Wenzel und in Schwarz-Weiß gedruckt, wirkt die Einführungsausgabe heute immer noch stilvoll. Ein schüchternes, aber zögerliches Lächeln spielt auf dem Gesicht der Debütantin, die in einer Hand einen Blumenstrauß hält, während sie mit der anderen den Saum ihres Kleides anhebt. Ihre Schultern sind geneigt, und ein Fuß zeigt nach vorne, als wäre sie mitten im Schritt eingefangen worden. Ihre Taille ist schmal, ihr Dekolleté offen, das dunkle Mieder wird durch Rüschenspitze am Halsausschnitt betont. Die Ärmel sind gepufft und mit Schleifen besetzt, die Handschuhe passen zu einem langen Abendkleid, und um das Mädchen herum flattert ein Schwarm Schmetterlinge. Über ihr, im oberen Drittel des Covers, prangt das Wort VOGUE auf einem kunstvollen Banner. Es wird auf beiden Seiten von klassischen Musen flankiert, von denen eine Harmonie und Schönheit repräsentiert, die andere literarische Tradition, umgeben von griechischen Säulen und einem Rankenwerk aus weißen Blüten.

In seinem einleitenden Brief an die Leserinnen schrieb Turnure:

Das eindeutige Ziel [dieser Unternehmung] ist die Einführung eines würdevollen, authentischen Journals für Gesellschaft, Mode und die zeremoniellen Aspekte des Lebens.[2]

© A B Wenzell/Condé Nast/Shutterstock

Das Cover der ersten Ausgabe der amerikanischen Vogue, erschienen am 17. Dezember 1892.

Diesen Gesetzen folgt die Vogue seither mehr oder weniger. Die Liebe zu Schönheit, Prunk und Stil ist offensichtlich, aber Turnures Edikt bedeutet mehr als das. Turnure beschrieb das Leben der High Society, ihre Ballkleider und ihre Bälle und muss geglaubt haben – und das zu Recht –, dass auch die Öffentlichkeit allgemein gerne vom Treiben in den oberen Rängen New Yorks lesen wollte. Als einer der wenigen Verleger, die zu dieser gehobenen Gesellschaftsschicht gehörten, war er in der Lage, Insiderwissen zu sammeln. Nicht umsonst hieß es von der Vogue, sie sei »von der eleganten Welt für die elegante Welt geschrieben«.[3]

Arthur Baldwin Turnure, geboren 1857, war gebürtiger New Yorker. Er stammte von den frühesten holländischen Siedlern der Stadt (den sogenannten Knickerbockers) ab und gehörte zu einer der Elitefamilien, die große Teile von Manhattan und Newport aufgekauft hatten und dann über Generationen hinweg zusahen, wie ihr Vermögen beständig wuchs. Er war der perfekte Mann, um der Vogue den Eintritt in die Welt der Mode zu ebnen. Als einziger Sohn einer alten, wohlhabenden Familie studierte Arthur Turnure erwartungsgemäß an einer Eliteuniversität. Im Jahr 1876 schloss er sein Studium in Princeton ab und praktizierte eher desinteressiert als Jurist, bevor er diese Tätigkeit an den Nagel hängte, um sich seinen wahren Leidenschaften zu widmen: Typographie, Verlagswesen und Druck. Eine Zeit lang war er künstlerischer Leiter bei Harper & Brothers (heute HarperCollins), bevor er sich selbstständig machte, zwei aufwendig illustrierte Kunstmagazine herausbrachte und mit acht Freunden den New Yorker Grolier Club gründete, der bis heute für bibliophile Amerikaner da ist. Kein Wunder, dass Turnure den treffenden Beinamen »Typographie-süchtiger Princeton-Absolvent« bekam.[4] Mit Mitte dreißig hatte er sich bereits in einer Reihe von Verlagspositionen versucht, mit wechselndem Erfolg. Doch seinen Höhepunkt hatte er noch nicht erreicht. Nur wenige hätten sich vorstellen können, dass sein nächstes Projekt nicht nur eine internationale Modebibel, sondern auch eine der berühmtesten Zeitschriften der Geschichte werden würde.

Turnure hatte alle Schwächen eines echten Gentlemans. Fotos zeigen einen stämmigen Mann mit fassförmigem Brustkorb und kantigem Kiefer, wegen seiner charmanten Art galt er dennoch als gut aussehend. Er war ein geselliger Mann, der sich gerne vergnügte und finanzielle Risiken einging – eine Kombination, die manch einer als gefährlich bezeichnen und die seine Familie nach seinem Tod noch beschäftigen würde.

Das soll nicht heißen, dass Turnure nur anspruchsvoll und faul war. Er war ein leidenschaftlicher Elitist, legte jedoch Wert auf eine gepflegte Sprache, und zahlreiche Berichte betonen seine Galanterie. Er war ein eifriger und ausgesprochener Verfechter der Frauenrechte, glaubte an das Frauenwahlrecht, unterstützte die Frauenrechtsbewegung und achtete darauf, dass Frauen bei seinen Zeitschriften immer eine faire Anstellung erhielten. In der Tat setzten bereits Art Interchange und dann auch Vogue Präzendenzfälle für Frauen als Redakteurinnen. Frauen wurden sogar Führungsbefugnisse gegenüber männlichen Mitarbeitern zugestanden, damals eine Seltenheit. Ebenso ungewöhnlich war, dass Turnures weibliche Mitarbeiter ausreichend gut bezahlt wurden, um ihren eigenen Lebensunterhalt bestreiten zu können, ohne auf einen Ehemann angewiesen zu sein. Als eine seiner Angestellten ihren Ehemann verließ, konnte sie mit Turnures Gehalt sich selbst und ihr kleines Kind ernähren und sogar eine Haushaltshilfe einstellen. Ein außergewöhnlicher Luxus im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts.

Auch Menschlichkeit gehörte zu Turnures Charaktereigenschaften. Einmal, als die junge Angestellte Woolman Chase schwer erkrankte, brach er mit allen Konventionen, indem er sich in die heruntergekommene Pension wagte, in der sie zu jener Zeit lebte. Als die Vermieterin Woolman Chase mitteilte, dass ihr Arbeitgeber unten sei, fiel die junge Frau vor Schreck fast in Ohnmacht, weil sie dachte, sie würde gleich gefeuert. Stattdessen fand sie einen erschüttert aussehenden Turnure mit einem Topf hausgemachter Suppe auf den Knien in der Stube vor. »Meine Frau und ich dachten, diese Suppe könnte nahrhafter sein als die Kost in der Pension«,[5] erklärte er schüchtern. Dies mag wie eine kleine Geste erscheinen, dennoch war es ein Akt, der die extrem strengen Grenzen der New Yorker Gesellschaft sprengte.

Altes Geld und Neues Geld

Im vergoldeten Zeitalter – ein Begriff, den Mark Twain für den Nordwesten Amerikas im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts prägte – hatten sich die alteingesessenen New Yorker durch verschlungene Familienbande miteinander verwoben. Sie lebten dicht an dicht an der neu entstandenen Fifth Avenue, bauten dort ihre Stadtschlösser und bewohnten Brownstone-Häuser, die, wie die Autorin Edith Wharton beschrieb, die Stadt New York wie kalte Schokoladensoße überzogen.[6] Doch die Welt um sie herum veränderte sich. Achtzehn Jahre vor der Geburt der Vogue fand eine Party statt, die als schlechtes Omen in die Geschichte eingehen sollte. Bei der fraglichen Veranstaltung – später unter dem Namen Bouncer’s Ball bekannt – handelte es sich um einen Kostümball, der im Delmonico’s, der angesagtesten Lokalität der Stadt, veranstaltet wurde. Auf der Gästeliste standen sowohl alter Geldadel als auch Neureiche, eine gewagte Entscheidung, denn die Mischung dieser beiden Gruppen galt bis dahin als Sakrileg. Noch ahnte bei Delmonico’s niemand, dass die mutige Kombination aus New Yorker Aristokratie und reichen Emporkömmlingen einen gesellschaftlichen Krieg auslösen würde.

Die alteingesessenen New Yorker waren angewidert, dass sie plötzlich Seite an Seite mit den »Bouncers«, also den »Prahlern« (ihr Spitzname für die Neureichen) tanzten, die sie als Arrivierte betrachteten, die in New York City nicht verwurzelt waren und kein Recht auf die Stadt hatten. Eine prominente Dame prophezeite gar düster, der Platz in der Gesellschaft werde bald nicht mehr durch das Geburtsrecht bestimmt, sondern danach beurteilt, wer die meisten Millionen besaß.[7] Eine scharfsinnige Vorhersage, wie sich herausstellte, denn die Neureichen – jene Tycoons aus dem Mittleren Westen, die Vanderbilts, Carnegies, Fricks und Mellons – waren oft sehr viel reicher und dynamischer als der alte Geldadel und verfügten über so große Ländereien, dass sie sich über mehrere Bundesstaaten hinweg weit nach Amerika hinein erstreckten und die Grenzen der Vorstellungskraft sprengten. Nachdem sie mit Eisenbahnen und Eisenerzminen großes Geld verdient hatten, strömten sie nach New York, um das letzte amerikanische Grenzland zu erobern – nicht nur Manhattan, sondern das mondäne Leben selbst. In der US-amerikanischen Republik konnte es keinen Adel geben, daher war es nur logisch, dass das Vermögen einer Familie ihren sozialen Status bestimmte. Ohne die starren europäischen Institutionen der sozialen Rangordnung, die hoffnungsvolle Anwärter ausschließen, waren die oberen gesellschaftlichen Ränge in den Vereinigten Staaten für jeden Emporkömmling, der ein Vermögen gemacht hatte, erreichbar. In den Jahren nach dem Bouncer’s Ball nahmen die Ängste der alten New Yorker vor dem neuen Geld stetig zu. Etwas musste unternommen werden, und so wurde Mrs Astor zur selbsternannten Hüterin des alten New York, seiner Bräuche und Launen.

Mrs Astor wurde als Caroline Webster Schermerhorn geboren und war eine Millionenerbin. Nachdem sie ihre fünf Kinder großgezogen hatte, suchte sie nach einer neuen Aufgabe und beschloss, dass ihre wahre Berufung darin bestand, die etablierte Hierarchie vor den brodelnden Horden von Parvenüs zu schützen, die lautstark Einlass forderten. Die dunkelhaarige, energische und dickköpfige Mrs Astor war bereits in ihren Vierzigern, vertrat aber immer noch eine grimmige viktorianische Strenge. Durch ihre Verbindung mit zwei der wichtigsten Familien der Stadt war ihre Position in der Gesellschaft gesichert, und sie versprach, eine formidable Torwächterin zu sein. Im Jahr 1892, in dem auch die Vogue auf den Markt kam, wurde die Presse darüber informiert, dass der Ballsaal der Brownstone-Villa der Astors an der Fifth Avenue nur 400 Personen fasste. Diese Raumkapazität bedeutete, dass die Respekt einflößende Gastgeberin nur die Crème de la Crème New Yorks einladen würde. Gab es einen besseren Weg, um Neuankömmlinge fernzuhalten, als sie buchstäblich von den besten Partys auszuschließen? Schon bald wurde die Vierhundert – von der Zahl in einen Spitznamen verwandelt – zum Symbol für die Grenze, wen der traditionelle Status quo bereit war, als gesellschaftlich relevant anzuerkennen.

Ein Verbündeter von Mrs Astor war Arthur Turnure. Er gehörte selbst zu den Vierhundert und suchte nach Möglichkeiten, um den Klassenunterschied zu stärken. Sein einleitendes »Statement« in der ersten Ausgabe der Vogue ist vielsagend, und Turnure schmeichelt darin den alten New Yorkern, während er auf die Minderwertigkeit der reichen Bouncers und des veralteten europäischen Adels hinweist:

Die amerikanische Gesellschaft kann sich rühmen, die fortschrittlichste der Welt zu sein, die gesündeste sowie die wohltätigste. Sie unterscheidet, nimmt auf und verurteilt rasch. Sie ist nicht durch einen degenerierten und unbeweglichen Adel eingeschränkt. Sie verfügt über eine Aristokratie im besten Sinne, die auf Vernunft gründet und sich gemäß der natürlichen Ordnung entwickelt hat.[8]

Er macht seinen Standpunkt noch einmal deutlich, indem er hinzufügt: »Die treibende Kraft des Magazins ist die soziale Idee.«[9] Entsprechend füllte er die folgenden Seiten mit Geschichten, Profilen und Illustrationen seines Freundeskreises aus den Vierhundert. Bouncers wurden nicht vorgestellt. In gewisser Hinsicht brachte er seine Fähigkeiten als Verleger in den Klassenkampf ein, indem er den Bouncers beim Versuch, die soziale Leiter hinaufzusteigen, auf die Finger trat und in den Augen der Öffentlichkeit deutlich machte, wer die Stadt tatsächlich beherrschte.

Für die Finanzierung der Vogue wandte sich Turnure an seine millionenschweren Freunde aus Manhattan. Auf der ursprünglichen Liste der Anteilseigner aus dem Jahr 1892 standen 250 Namen, darunter die ältesten Titanen der Stadt wie Astor, Stuyvesant, Heckscher, Whitney, Van Rensselaer, Cuyler und Ronalds, die gemeinsam sicherstellten, dass die Vogue mit einem silbernen Löffel im Mund geboren wurde. Sie bildeten auch die Grundlage für einen exklusiven Abonnentenstamm, der den Ruf der Vogue durch finanziell schwierige Jahre trug.

Man könnte sagen, dass die Vogue ihr Dasein als Vehikel für einen kleinlichen Streit zwischen Reichen und Reichen begann. Oder auch, dass die Seiten mit Klatsch und Tratsch gefüllt waren und der Besitzer ein Snob war. Aber das wäre nicht fair. Das Konzept der Vogue ist ebenso sehr das Ergebnis positiver Impulse wie streitender Gruppierungen. Die Vogue wurde Turnures Leidenschaft, und er trieb seine Familie fast in den Ruin, um sie am Leben zu erhalten. Die Vogue war jedoch auch eine Zeitschrift, die von Frauen produziert wurde, zu einer Zeit, in der es nicht üblich war, dass Frauen arbeiteten. Als die Vogue an den Kiosken erschien, war sie nicht nur eine Streicheleinheit für das Ego des Status quo, sie war auch eine heitere, zum sozialen Aufstieg inspirierende Lektüre für die Mittelschicht. Die Vogue war von Anfang an ein zu großes Konzept, um nur ein Ideal zu bedienen. Neben allem anderen wurden die Weitsicht, der Scharfsinn, die Vitalität und die stählernen Nerven von Turnure und den frühen Redakteurinnen und Redakteuren zu Richtlinien für ihre Nachfolgerinnen und Nachfolger bei der Vogue heute.

Die sozialen Turbulenzen, die die junge Vogue erschütterten, zeigen genau, wie viel hinter den Hochglanzseiten vor sich geht. Ein komplexes Geflecht aus Beziehungen, Politik und Glaubenssystemen, die hinter den Kulissen ungesehen die Fäden zogen, gab es immer. Die Intrigen der Vogue weisen alle Kennzeichen eines klassischen Astor-Balls auf: glamouröse Menschen in höllisch teuren Gewändern, elitär, angesehen, begehrt, geheimnisvoll. Doch heute gibt es einen entscheidenden Unterschied: Wir sind alle eingeladen. Und jetzt ist es an der Zeit, in die Welt des Magazins einzutauchen.

Die ersten Ausgaben

Was die Leserschaft betraf, trugen zum frühen Erfolg der Vogue noch einige weitere Faktoren bei. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts kam es in Amerika zu umwälzenden Veränderungen. Es war eine Zeit großer Expansion, von zunehmendem Patriotismus und Massenindustrialisierung, vor allem aber wurden riesige Reichtümer angehäuft. In den letzten drei Jahrzehnten des Jahrhunderts füllten sich bisher unbesiedelte Gebiete endgültig, es bildete sich eine herrschende Schicht heraus, und eine Welle von »neuen Einwanderern« überflutete den Kontinent fast.

In dieser fruchtbaren Landschaft hatte die Vogue, wie viele ihrer Zeitgenossen, eine ordentliche Chance zu gedeihen. Aber einige kluge Entscheidungen zu Beginn hoben sie aus der Masse heraus. Zum einen konsumierte die breite Öffentlichkeit zwar zunehmend das geschriebene Wort, jedoch waren hochwertige Monatszeitschriften wie Harper’s und Scribner’s preislich jenseits ihrer Möglichkeiten und redaktionell jenseits ihres Verständnisses angesiedelt.[10] Am anderen Ende der Skala standen die billigen Wochenzeitschriften und Groschenhefte, schlecht produziert und sensationslüstern.[11] Turnure konzipierte die Vogue als hochwertige Wochenzeitschrift und fand so sein Publikum. Mit einer Publikation verführte er zwei gesellschaftliche Gruppen: Die lesende Mittelschicht kaufte sie, um endlich zu erfahren, was die Reichen und Vornehmen trieben, und die lesende Oberschicht kaufte sie, um ihr Ego zu füttern.

Auch der elegante französische Titel kam der Publikation sehr entgegen. Das Fremdwort »Vogue« verwies nicht nur auf das mondäne Europa, sondern speziell die Verbindung zu Paris, der Hauptstadt der Couture-Mode, es wirkte unwiderstehlich. Laut einer Studie trugen im 19. Jahrhundert 27 von 50 Frauenzeitschriften das Wort »Lady« im Titel, während die restlichen 23 das Wort »Haus« oder »Heim« (etwa Ladies’ Home Journal) oder »das schöne Geschlecht« (zum Beispiel Amusements for the Fair Sex) verwendeten.[12]Vogue fiel im Regal auf, betörend und neuartig.

Dennoch war die Vogue kein rein kommerzielles Unterfangen. Sie mag Turnures Opus magnum gewesen sein, aber sie war auch ein ernsthaftes Machtspiel; schon ein flüchtiger Blick in die erste Ausgabe der Vogue zeigt die gesellschaftlichen Verbindungen des Gründervaters. Unter »Bevorstehende Ereignisse« sind seitenweise Party-Ankündigungen aufgeführt, die sich wie private Einladungen lesen. Einige geben keinerlei Hinweise auf die Art des Ereignisses: »Mrs. John Lawrence, 33 West Seventeenth Street«[13] oder »Mrs. F.H. Betts, 78 Irving Place. Donnerstags bis zur Fastenzeit«.[14] Die richtige Leserin verstand, was gemeint war. Andere Ankündigungen geben ein wenig mehr Informationen: »Mrs. Charles G. Francklyn, N. Washington Square. Tanz für die jüngere Gesellschaft«[15] oder »Mrs. Anson Phelps Stokes. Dinner, gefolgt von Cotillon«.[16]

Die Gesellschaftsbeilage der Vogue berichtet ausführlich über vergangene Veranstaltungen, liefert detaillierte Beschreibungen von Dinner-Partys und nennt auch Namen.

Es gab auch stilistische Tipps, obgleich die Vogue als Gesellschaftsgazette konzipiert war und noch nicht die Form einer Modezeitschrift angenommen hatte. Eine Doppelseite mit dem Titel »Floraler Schmuck« gibt absurde Kommentare ab wie: »Die Mode, Dutzende von Rosen zu tragen, ist vorbei, und es ist zweifelhaft, ob sie jemals wieder aufleben wird.«[17] Ein Artikel über Pantoffeln rät derweil: »Zum vollen Ballkostüm werden sie [die Pantoffeln] nur mit einer winzigen Schnalle vollendet.«[18] Das Beste von allem ist eine Notiz über einen Trend mit roten Regenschirmen: »Die junge Dame des Fin de siècle greift rasch eine Idee auf, und diese Mode, einen Regenschirm zu tragen, der einem trüben Tag eine rosige Farbe verleiht, ist äußerst sinnreich.«[19]

Ebenso wie die Vogue noch keine Modezeitschrift war, war sie auch noch keine Frauenzeitschrift. In dieser frühen Ausgabe fanden sich viele Beiträge für männliche Leser, wie »Wie von ihm gesehen« und »Le Bon Oncle d’Amérique«, eine fiktive Fortsetzungsgeschichte, in der ein Mann, der auf Kosten seines amerikanischen Onkels in Paris lebt, sich mit französischen Mädchen allerlei Unsinn erlaubt.

Weiterhin gab es weitschweifige Diskussionen über Literatur und einen Beitrag mit dem Titel »London«, angeblich von einem Korrespondenten in der britischen Hauptstadt. Die Kolumne beginnt mit: »Hunde sind der große Modetrend dieser Zeit. Jeder, der etwas auf sich hält, geht mit einem hündischen ›Mitläufer‹ umher, und sogar die sonntägliche ›Kirchenparade‹ im Park ist den Launen dieser allgegenwärtigen Vierfüßer ausgeliefert.«[20] Dieses inhaltliche Sammelsurium hielt sich über Jahre hinweg. Eine frühe Mitarbeiterin schrieb, die Vogue habe »eine gewisse Nonchalance in dieser Hinsicht … einmal haben wir die Liebesgeschichte eines Mädchens auf einem Armeeposten mit Zeichnungen von prallen, wehrhaften Forellen an Haken illustriert«.[21]

Wie bei einer Zeitschrift aus dem 19. Jahrhundert nicht anders zu erwarten, sind sowohl Texte als auch Schriftarten bieder, konfus und übermäßig kunstvoll. Die Modebeschreibungen stehen nie neben den passenden Illustrationen und fehlen manchmal sogar ganz. Das Layout offenbart sich als planlos: ein Brief des Herausgebers ist neben einem unvollendeten Stück Fiktion, einem Witz und einem herrlich unzusammenhängenden Reimpaar platziert: »Hearts may sometimes rule the land, But diamonds often win a hand« [etwa: Ein Herz regiert so manches Land, Ein Diamant gewinnt oft eine Hand. Anm. d.Ü.].[22]

Auch wenn diese Vogue heute unverständlich erscheint, schimmern gewisse markentypische Qualitäten bereits durch. Es gibt eine Verehrung für Reichtum und Luxus sowie ein Gespür dafür, was modisch ist und was nicht, sei es bei Kleidung, Besteck oder Haarspangen. Sogar einige Anzeigenkunden sind dieselben: Tiffany & Co., Veuve Clicquot und Perrier Jouët hatten alle Anzeigenplätze in der ersten Ausgabe gekauft und finden sich dort gelegentlich in zweifelhafter Gesellschaft neben Marshmallow-Haartonikum oder Allcock’s Gipsverband. Irgendwie ist es tröstlich, dass sich die Gewohnheiten der Ultrareichen nicht allzu sehr geändert haben. Der Londoner Korrespondent schreibt über den verwöhnten Pudel: »Er hat außerdem eine eigene Truhe, mit seinen Initialen versehen, in der sich eine Vielzahl von Bändern in allen Farben und Mustern, verschiedene Armreifen für die verschiedenen Beine und eine Vielzahl von Halsbändern für alle Gelegenheiten befinden«,[23] und das klingt bemerkenswert nach Paris Hiltons berühmten verwöhnten Chihuahuas!

Wenn viele Inhalte der Vogue nach Kumpelei klingen und Insiderwissen darüber erfordern, »wer angesagt ist« und »wer nicht«, dann liegt das daran, dass sie größtenteils von den wohlgeborenen Freundinnen und Freunden Turnures zusammengestellt wurde. In ihren Memoiren Always in Vogue beschreibt Edna Woolman Chase – die als Aushilfe begann und am Ende Chefredakteurin war – die Organisation als informell und unprofessionell, die Mitwirkenden wurden eher ausgewählt, weil sie mit dem Herausgeber befreundet waren, als aufgrund ihrer literarischen Reputation.

Auf jene, die an das glänzende, exquisit inszenierte Produkt von heute gewöhnt sind, mag die erste Vogue im Vergleich dazu ein wenig farblos und chaotisch wirken. Doch der frühe Ruf der Vogue gründete sich vor allem auf das Prestige der Mitwirkenden, nicht auf den Inhalt. Leserinnen überall wollten mehr über die berühmten Vierhundert hören, wobei sie sich wenig darum scherten, was genau sie sagten. Und auch wenn Turnure scheinbar unerfahrene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auswählte, wusste er doch genau, dass ein Büro voller Blaublüter notwendig war, um der Vogue einen gewissen Status zu verschaffen, und er wusste auch, dass er eine Büroleitung finden musste, die den Laden mit Weitblick und Können führen konnte. Daher war seine Gründungsredakteurin eine glückliche Ausnahme vom restlichen dekorativen Personal.

Josephine Redding war eine versierte Journalistin und teilte Turnures Liebe zum Printmedium, hatte sich bereits in zahlreichen Publikationen einen Namen als Autorin und Redakteurin gemacht. Sie hatte als Redakteurin bei Art Interchange mit Turnure zusammengearbeitet und wurde später Eigentümerin dieser Zeitschrift. Sie stammte aus seinen gesellschaftlichen Kreisen, was jedoch ihre Expertise herunterspielt. Redding war eine enorme Bereicherung für Turnure, und die Vogue wird ihr Vermächtnis für immer mit sich tragen. Turnure und sein Team konnten sich auf keinen Titel festlegen und wandten sich in ihrer Verzweiflung an diese beeindruckende Journalistin. Erst bei einer pompösen Veranstaltung, bei der der Name bekannt gegeben werden sollte, erschien Josephine Redding mit einem Wörterbuch, in dem sie das Wort »Vogue« unterstrichen hatte.[24] Das Wort entsprach genau dem, was Turnure gesucht hatte.

Das war ein starker Auftakt für Redding. Sobald sie Chefredakteurin war, betrachtete sie Turnure als niederen Angestellten und behandelte ihn entsprechend. (Redding mochte Männer generell nicht.) Doch sie war nicht nur in dieser Hinsicht exzentrisch. Sie trug einen breitkrempigen Hut, selbst wenn sie krank im Bett lag (ein Umstand, der zu endlosem Klatsch und aufgeregten Spekulationen im Büro führte),[25] und fuhr abends im Dunkeln Fahrrad. Sie schrieb viele provokante Leitartikel, die das Themengebiet der Vogue deutlich überschritten, darunter Texte über das Frauenwahlrecht, über Rassismus und Tierrechte. Letzteres war eines ihrer Lieblingsthemen, und sie füllte regelmäßig endlose Seiten mit Berichten über das Leben verschiedener wilder Tiere sowie Rinder. Die Geschichte eines Dinnergastes, der mit einer Hausgans aufgewachsen war, gefiel ihr so gut, dass sie einen Künstler beauftragte, eine Illustration davon anzufertigen, die sie ohne Kontext in der Vogue veröffentlichte.[26] Ihre Kolumne »Über Tiere« blieb bis in die vierziger Jahre in der amerikanischen Vogue erhalten.

Reddings Beiträge zeigen, dass die früheste Version der Vogue über mehrere Dimensionen verfügte, die über Ballbesprechungen und Klatsch und Tratsch hinausgingen. Viele von Reddings bevorzugten Themen milderten den Elitismus der anderen Beiträge ab und machten die frühe Vogue für ein breiteres Publikum zugänglich. Ihre Tierliebe und feministischen Anliegen ließen das Magazin bereits ansprechender erscheinen, dennoch traf sie weitere Maßnahmen, um eine Leserschaft außerhalb der High Society zu erschließen. Die Rubrik »Elegante Mode für begrenzte Einkommen« räumte stillschweigend ein, dass nicht alle Abonnentinnen in Geld schwammen. Redding förderte auch die Idee von Vogue-Schnittmustern und anerkannte damit, dass ein Teil der Leserschaft ihre Kleidung zu Hause selbst herstellen musste.

Reddings egalitäre Einstellung glich den Snobismus Turnures aus, obwohl ihre Inhalte nie jene New Yorker Gesellschaftsschichten verprellten, die die Vogue hauptsächlich ansprechen wollte. Redding schuf die Blaupause für eine aufstrebende Zeitung, indem sie für ein fein austariertes Gleichgewicht der Inhalte sorgte, die alle Schichten ansprachen und so die Reichweite der Vogue vergrößerten. Jede Frau, von der modernen Suffragette über die Hutmacherin bis hin zur verwöhnten Braut eines Generals, konnte die Vogue in die Hand nehmen, wenn bekannt war, dass Mrs Astor sie las. Zwar bekam sie dank Turnures Verbindungen zu den Vierhundert ihren Platz an den Zeitungsständen, Redding machte die Zeitschrift jedoch zu einem gewissenhaften Spiegel von »Gesellschaft und Mode der neunziger Jahre«,[27] und als sie sich im Jahr 1901 zurückzog, stand die Vogue führungslos da.

Nach Reddings Weggang übernahm Turnure die gesamte Zusammenstellung und Redaktion des Magazins selbst, zusätzlich zu seinen anderen geschäftlichen Aufgaben und der Werbung, was dazu führte, dass seine jüngeren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einfach Artikel einfügten, die ihnen gefielen. Er brauchte dringend eine neue Frau an der Spitze der Zeitschrift. Bei der Suche nach einer Kandidatin in seinem persönlichen Bekanntenkreis stieß er auf eine äußerst sympathische Persönlichkeit, eine Golferin, die er trotz fehlender Erfahrung im Verlagswesen auswählte. Marie Harrison war Turnures Schwägerin, und obwohl sie nicht über Reddings Know-how verfügte, schafften es Turnure und Harrison gemeinsam, immer wieder eine neue Ausgabe der Vogue zusammenzuschustern. Mangelnde Fachkenntnisse glich Harrison dadurch aus, dass sie ein gutes Verhältnis zu Turnures Belegschaft aufbaute und dabei Führungsqualitäten bewies. Das hätte vielleicht ausgereicht, um die Zeitschrift zu erhalten, wenn es andere seriöse Journalistinnen und Journalisten im Team gegeben hätte, aber auch hier war das Problem ein Mangel an kompetenten Autorinnen und Autoren und finanzstarken Werbeleuten.

Doch nicht nur beim vornehmen Personal herrschte eine lockere Atmosphäre. Turnure selbst hatte auch keine Ahnung davon, wie man Geld verdienen konnte, und das war ein großes Problem. Wenn Abbildungen von Kleidern gedruckt wurden, standen die Namen der Schneiderateliers oft nicht dabei, sodass die Unternehmen nicht angesprochen und ihnen keine Anzeigen verkauft werden konnten. Turnure nutzte seine Verbindungen zwar, um an Exklusivnachrichten heranzukommen – so bekam er etwa das Hochzeitskleid von Consuelo Vanderbilt vor ihrer Jahrhunderthochzeit mit dem neunten Duke of Marlborough zu sehen –, aber er hatte keine Ahnung, wie er dies in höhere Profite ummünzen konnte.

Gerade als Turnure verzweifeln wollte, wurde ihm der unerfahrene Tom McCready von einem gemeinsamen Bekannten empfohlen. McCready stolzierte herein und schnappte sich den Job als Anzeigenleiter einer Zeitschrift, in der es so gut wie keine Anzeigen gab. Er verlangte 9 Dollar pro Woche, Turnure versprach ihm stattliche 20 Dollar. Auf seinem ersten Gehaltsscheck standen dann 25 Dollar – Turnure liebte es, seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern derlei angenehme Überraschungen zu bereiten. McCready, obwohl kaum 20 Jahre alt, redete aber nicht nur. Er machte sich mit Turnure daran, eine bahnbrechende Strategie für die Vogue auszuarbeiten. Sie schafften den bis dato üblichen Verkauf von Anzeigen pro Zeile ab und boten stattdessen Anzeigenblöcke zu einem günstigeren Preis an. Damit wollten sie Anzeigenkunden dazu ermutigen, den Platz auf einer Seite großzügig zu nutzen und gleich ihre eigenen Illustrationen beizusteuern. Wenn die Anzeigen schön und ästhetisch waren, ersparte dies der Vogue die Kosten für eine eigene Bildproduktion. Unglücklicherweise erlebten sie die langfristigen Ergebnisse dieser Herangehensweise nie, denn ihr Vorgehen, sich auf diese Weise durchzuschlagen, konnten sie nicht mehr lange weiterverfolgen.

Im Jahr 1906 verstarb Turnure plötzlich, und die Vogue stellte auf Lebenserhaltung um. Nach Turnures Tod wurde deutlich, dass die Zeitschrift erhebliche Verluste einfuhr. Die Herausgeberin Marie Harrison und die junge Mitarbeiterin Edna Woolman Chase klammerten sich an die Vogue, entschlossen, sie nicht untergehen zu lassen, denn sie war der Broterwerb von Turnures Witwe und jungem Sohn.[28] Harrison schaffte es nie, den frühen Ruhm der Vogue wiederherzustellen oder sich gar an die veränderten Zeiten anzupassen, aber sie hielt das Interesse ihrer reichsten Leserschaft aufrecht. Dieser illustre Abonnentenstamm wiederum erregte die Aufmerksamkeit eines Verlagsunternehmers, der schon in den Startlöchern stand.

2Der zweite Akt

Ankunft von Condé Nast: Der Aufbau eines Verlagsimperiums

Der unsichtbare Mann

Bevor Condé Montrose Nast zu einem Unternehmen wurde, das monatlich mehr als 100 Zeitschriften herausbringt, war er ein Mann, der sich Hals über Kopf verliebte. Das Objekt seiner Begierde war eine hübsche kleine Nummer, die er eines Tages in einem Zeitungsladen sah, und er ruhte nicht, bis er sie in die Finger bekam. Ihr zufälliges Zusammentreffen war der Beginn einer Liebesbeziehung, die sein ganzes Leben und bis zu seinem Tod andauern sollte. Ihr Name ist unschwer zu erraten: Vogue.

Die Zeitschrift hatte Nast schon seit einiger Zeit im Visier gehabt; er war auf der Suche nach einem gehobenen Periodikum, und obwohl die Vogue etwas von ihrem Glanz eingebüßt hatte, verfügte sie immer noch über wertvolle Verbindungen zur guten Gesellschaft. Nast hatte sich bereits ein Jahr vor Turnures Tod an diesen gewandt und sein Interesse bekundet, ihm seine Anteile abzukaufen,[29] und nachdem Turnures Schuldenberg bekannt geworden war, trat Nast an dessen Witwe heran.[30] Diesmal sah sie ein, dass die Familie die Zeitschrift nicht allein weiterführen konnte. Vier Jahre hatte es gedauert, bis Nast seinen lang gehegten Masterplan in die Tat umsetzen konnte.

Im Jahr 1909, als Condé Montrose Nast die Vogue kaufte, war sie ein marodes kleines Unternehmen, das in ein paar wenigen kistenartigen Räumen untergebracht war und dessen Belegschaft auf billigen Möbeln, die sie im Großhandel für Büroausstattung gekauft hatten, friedlich vor sich hin kritzelten.[31] Nast schlich sich in ihr Leben, als wäre er aus dem Nichts aufgetaucht. Um seine Anonymität in den Büroräumen in der 24th Street zu wahren, wählte er ein Zimmer mit einem separaten Eingang, damit ihn niemand kommen und gehen sah.[32] Sein Name erschien auf der Seite mit der Inhaltsübersicht direkt unter »The Vogue Company« und unmittelbar über dem Namen der Herausgeberin Marie Harrison, doch blieb dies der einzige Hinweis auf den Besitzerwechsel in der Zeitschrift. Weder gab es eine Ankündigung in der Presse noch einen Einführungsbrief des neuen Eigentümers. Das Personal der Vogue verlieh ihm bald den Spitznamen »Der unsichtbare Mann« und lebte stets in extremer Anspannung, wartete auf die gelegentlichen plötzlichen Entlassungen, die er aussprach, und alle beteten, dass sie nicht die Nächsten waren.

Die Gerüchte, die zu seinen nervösen Beschäftigten durchsickerten, zeichneten ein erschreckendes Bild von Nast als Machiavellist, und sie verbrachten Stunden mit nervenaufreibenden Spekulationen und fragten sich, ob sie alle auf der Straße landen würden.[33] Doch Nast war weit davon entfernt, Massenentlassungen zu planen, sondern konzentrierte sich auf die Einnahmen und Gewinne und legte seine Strategie für die Zukunft fest. Seine Liebe für Zahlen war schon immer kennzeichnend für seinen Geschäftsansatz gewesen, und das kam ihm bei Vogue ebenso zugute wie bei seiner vorherigen Position bei Collier’s Weekly, wo er seinen ersten kometenhaften Erfolg verbucht hatte.

Nast stammte keineswegs aus wohlhabenden Verhältnissen und hatte dank der Zuwendungen einer Tante an der Georgetown University Jura studiert. Dort hatte er Robert Collier kennengelernt, dessen Freundschaft sich als ebenso wertvoll erwies wie alle Abschlüsse der Welt. Als er im Jahr 1895 sein Studium mit einem Bachelorabschluss in Jura abschloss und nach St. Louis, Missouri, zurückkehrte, strebte er keine juristische Laufbahn an, sondern interessierte sich mehr für ein Familienunternehmen. Einige Verwandte besaßen Anteile an einer Druckerei, die kurz vor dem Konkurs stand – und der junge Absolvent Nast wollte sie sanieren.

Er suchte vergeblich nach einer Lösung für die finanzielle Misere der Druckerei, bis ihm auffiel, dass sich die Einwohnerschaft von Missouri auf die jährliche St. Louis-Ausstellung vorbereitete. Nast erstellte in aller Eile eine Liste von Unternehmen, die Druckaufträge für die Ausstellung benötigten, und bot ihnen Sonderkonditionen, wenn sie bei seiner Druckerei bestellten.[34] Die Aktion war ein voller Erfolg, und das Geld floss in Strömen. Währenddessen stattete Robert Collier, der von den Taten seines Freundes und dem unwahrscheinlichen Aufschwung der Druckerei gehört hatte, Nast einen Besuch ab. Colliers Vater besaß einen florierenden Buchverlag sowie eine Zeitschrift namens Collier’s Weekly, die vor sich hin dümpelte. In den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts war diese langweilige Publikation voll von Kriegsfotos, Nachrichten zum College-Sport und schlechter Belletristik. Collier beobachtete seinen alten Studienfreund und seine Werbearbeit für die Druckerei genau und bot Nast dann einen Job in New York als Werbeleiter von Collier’s an. Er hätte keine bessere Geschäftsentscheidung treffen können, denn bei Collier’s reifte Nasts Talent für Marketing zu einer echten Superkraft heran.

Bei seiner Ankunft in New York bekam der mittellose Nast 12 Dollar Gehalt pro Woche und den Auftrag, die Einnahmen des Magazins mit allen Mitteln, die er für geeignet hielt, zu steigern.[35] Er entschied sich für eine gewagte Strategie: Er schrieb einen mutigen Brief an potenzielle Kunden, in dem er sich vorstellte und ihnen versicherte, er wolle ihr Geld nicht. Er erklärte, Collier’s sei unbeliebt und unbeachtet, unterbewertet und unterschätzt. Er beendete dieses kryptische Schreiben mit der Aufforderung an die Geschäftsinhaber, ihm ihre Adresse zu schicken, um ein kostenloses Abonnement zu erhalten, und deutete in der letzten Zeile an, bei Collier’s stünde Großes bevor, sie sollten die Zeitschrift im Auge behalten.[36] Mit diesem genialen Trick umgekehrter Psychologie weckte er das Interesse der von ihm angesprochenen Unternehmen und Gewerbetreibenden. Und sie konnten zusehen, wie sich Collier’s vor ihren Augen verwandelte.

Nast heuerte Top-Autorinnen und -Autoren an und nutzte deren Referenzen, um die Leserschaft zu steigern. Er führte Farbfotografien ein, passte das Design an und erweiterte die Inhalte, um der Zeitung ein vollständigeres, luxuriöseres Erscheinungsbild zu verleihen. Seine andere große Erfindung war das Konzept der limitierten Auflagen, mit dem er den Massenabsatz ankurbelte. Im Jahr 1887 hatte Collier’s eine verstaubte Auflage von 19159 Exemplaren und Werbeeinnahmen von insgesamt 5.600 Dollar.[37] Nach zehn Jahren unter Nasts Leitung war die Auflage auf 568073 Exemplare mit Einnahmen von einer Million Dollar angestiegen.[38] Er erstellte detaillierte Abrechnungen und überprüfte die Daten in stundenlanger Arbeit, um festzustellen, was funktionierte und was nicht. Er suchte sogar nach Korrelationen zwischen redaktionellen Änderungen und Einnahmespitzen oder -rückgängen. Seine Mühen zahlten sich für ihn durch ein ständig steigendes Gehalt aus, das im Jahr 1907 bereits mehr als 40.000 Dollar pro Jahr betrug.[39] Eine Zeitung in St. Louis bezeichnete das als das höchste Gehalt, das ein 35-jähriger Mann je erhalten hatte, fast so hoch wie das Gehalt des Präsidenten der USA.[40] Auf dem Höhepunkt seines Triumphs ging Nast zu Robert Collier und kündigte. Er hatte beschlossen, sich selbstständig zu machen.

Sein nächster Schritt war der Erwerb der Home Pattern Company, über die er mit dem Franchising von Mustern für das Ladies’ Home Journal begann. Schnittmuster waren ein noch weitgehend unerschlossener Markt, der Nast faszinierte. Es kam nicht zum erhofften großen Durchbruch, doch er wurde dadurch auf die Bedürfnisse der Konsumentinnen aufmerksam. Die amerikanischen Zeitschriften jener Zeit ignorierten Frauen meist. Die Entdeckung der weiblichen Käuferschaft war einer von Nasts Aha-Erlebnissen – und er begann, über andere unerschlossene Marktbereiche nachzudenken.

Im Verlagswesen der frühen nuller Jahre des 20. Jahrhunderts konzentrierten sich die Verleger vor allem auf große Auflagen. Die Publikationen versuchten, Geld zu verdienen, indem sie ihren Abonnentenstamm so weit vergrößerten, dass die örtlichen Gewerbetreibenden gezwungen waren, Anzeigen zu schalten. Nast sah jedoch enorme Möglichkeiten für eine Zeitschrift, die sich an einen engeren Markt richtete und den Anzeigenkunden einen direkten Zugang zu einer spezifischen Zielgruppe ermöglichte – die daraufhin bereit wären, für dieses Privileg höhere Preise zu zahlen. Eine Wochenzeitschrift, die sich auf Jagdthemen konzentriert, wäre zum Beispiel ein logischer Ort für die Werbung von Gewehrproduzenten. Frauen waren immer noch eine große Gruppe, also beschloss er, sie nach demographischen Gesichtspunkten zu unterteilen. Was war mit den Anzeigenkunden, die nur extrem reiche Frauen ansprechen wollten? Maßschneider, spezialisierte Schuhmacher und Juweliere hatten es weitaus schwerer, ihr Publikum zu finden, als Seifenmarken. Nast sah darin eine Goldgrube, wenn man diesen Unternehmen direkten Zugang zu dem begehrten einen Prozent der wohlhabenden Amerikaner verschaffte. So kam er auf seine berühmte Formel: das an Frauen gerichtete, klassenbezogene Luxusmagazin. Er erklärte seine Philosophie:

Wenn Sie ein Tablett mit zwei Millionen Nadeln hätten, Sie wollten aber nur die 150000 davon, die goldene Spitzen haben, wäre es ein endloser und kostspieliger Prozess, sie auszusortieren. Aber wenn Sie einen Magneten bekommen könnten, der nur die goldenen Nadeln herauszieht, was für eine Ersparnis wäre das![41]

Seine große Idee, dass alles, was einen hohen Wert hat – Konzertflügel, Smaragdbroschen, schicke Autos –, am besten in einer Zeitschrift präsentiert werden sollte, die von denjenigen gelesen wurde, die Geld zur Verfügung haben, hatte sich herauskristallisiert. Jetzt musste er nur noch eine Qualitätszeitschrift finden, die als Versuchskaninchen für diese Idee herhalten konnte. In diesem Moment fiel sein Blick auf die Vogue, und obwohl es noch Jahre dauern sollte, bis sie ihm gehörte, hatte er den perfekten Partner gefunden.

Vogue 2.0

Nast brauchte fast ein Jahr, um die Vogue zu bewerten und Änderungen vorzunehmen. Die Überreste von Turnures unübersichtlicher Herrschaft waren nicht leicht zu entwirren. Nast musste aus dem Mischmasch, aus dem die Vogue bestand, ein standardisiertes Format schaffen und ihr größtes Kapital konsolidieren: die exklusive Leserschaft aus wohlhabenden Amerikanern. Erst im Jahr 1910 machte er seine Absichten öffentlich; die Ausgabe von Mitte Februar enthielt die folgende Ankündigung:

Beginnend mit der Ausgabe mit den Ausblicken auf die Frühjahrsmode vom 15. Februar wird die Vogue nach einem Plan herausgegeben, der eine größere, bessere und noch attraktivere Vogue hervorbringen wird.

[Die Vogue] wird ab sofort die aktuellen Berichte über Mode, Gesellschaft, Musik, Kunst, Bücher und Theater in zwei prächtigen, vierzehntägigen Ausgaben präsentieren, die jeweils mehr als doppelt so umfangreich sein werden wie die derzeitige gewöhnliche Wochenausgabe.[42]

Von da an waren alle Titelseiten farbig, und die Zeitschrift wurde von einer wöchentlichen auf ein zweiwöchentliches Erscheinen umgestellt.[43] Die folgende Ausgabe enthielt 14 Seiten mehr Werbung als die entsprechende Ausgabe des Vorjahres, und der Preis stieg von 10 auf 15 Cent (die Abonnentenpreise blieben gleich). Nast machte es sich zur Aufgabe, die internen Abläufe aller Abteilungen zu verstehen,[44] aber sosehr er sich mit jedem Bereich beschäftigte, waren doch die Werbeleute seine Seelenverwandten, und durch seine eigene Vergangenheit als Werbefachmann passte er zu ihnen besonders gut. Da Nast plante, die Werbung zur Haupteinnahmequelle zu machen, noch vor den Abonnements, wurde die Werbeabteilung doppelt wichtig. In Nasts Geschäftsmodell sollte die Auflage letztendlich lediglich eine Zahl sein, mit der man die Anzeigenkunden locken konnte, damit sie viel Geld ausgaben. Diese Strategie wird heute überall angewandt, doch Nast war ihr Pionier. Die Verkäufe stellten einen immer kleineren Anteil an den Einnahmen dar.

Gelegentlich geriet die Werbeabteilung, die zunehmend an Bedeutung gewann, mit der Redaktion aneinander. Es kam vor, dass die Werbeleute in die Redaktionsräume marschierten und darauf drangen, gefälschte Aussagen über Waren zu erzwingen, die die Redaktion für minderwertig hielt, um Marken zu ermutigen, für große Werbeanzeigen Geld auszugeben. Was sprach dagegen, ein paar nette Worte über einen großen Kunden einzufügen? Die Redakteurinnen und Redakteure waren der Meinung, dies beeinträchtige stark die Qualität der Ratschläge, die sie den Leserinnen gaben. Als ein Werbefachmann eine Redakteurin anbrüllte, seine Abteilung bezahle ihr Gehalt, erwiderte diese gelassen, die Vogue werde ihren guten Ruf verlieren, wenn sie die Seiten mit Ramschprodukten füllte, und dann hätten sie beide keinen Job mehr.[45] Wenn die Vogue ihre Seiten mit bezahlten Produkten vollstopfte, verlor sie das Vertrauen ihrer Kundschaft, aber wenn sie nicht genug Anzeigenplatz verkaufte, verlor sie wertvolle Einnahmen.

Marie Harrison blieb in den ersten fünf Jahren von Nasts Amtszeit als Chefredakteurin. Doch Nast war sich bewusst, dass die Vogue immer noch untergehen konnte, und er wusste, dass seine nächste Wahl in der Chefredaktion den Ausschlag geben würde. Edna Woolman Chase stammte aus New Jersey und wurde von strengen Großeltern als Quäkerin erzogen. Mit 18 Jahren war sie nach New York gezogen und hatte dringend einen Job gesucht. Der Wettbewerb war hart, und viele junge Bewerberinnen und Bewerber verhungerten in Pensionen. Zur Rettung kam ihr ein Freund, der in niedriger Funktion bei der Vogue arbeitete, und sie wurde eingestellt, um Adressen auf Briefumschläge zu schreiben.[46] Von Anfang an erledigte sie alle möglichen Aufgaben für ihre privilegierten Kollegen, die ihre Pflichten gerne auf den eifrigen, fleißigen Teenager abwälzten. »Ich saugte die Vogue in mich auf, und die Vogue saugte mich auf«,[47] schrieb sie später. Inzwischen war sie seit fast 20 Jahren bei der Vogue und wusste wahrscheinlich mehr als sonst irgendwer über die Zeitschrift. Obwohl sie technisch gesehen immer noch eine kleine Angestellte war, katapultierten sie die folgenden Ereignisse schnell nach oben.

Beim Verkauf der Vogue an Nast ging Turnures Witwe auf Nummer sicher und behielt ihre Vorzugsaktien, weil sie dachte, so ein stabileres Einkommen für ihre Familie zu erzielen.[48] Als jedoch die Gewinne der Zeitschrift unter Nasts Leitung in die Höhe schossen, fühlte sich die Witwe betrogen. Sie verklagte Nast, und der daraus resultierende Streit schwappte aus den Gerichten in die Korridore des Unternehmens. Die amtierende Herausgeberin, Marie Harrison, war die Schwester der Witwe, und entsprechend eisig wurden die Beziehungen zwischen Harrison und Nast. Jetzt war die richtige Zeit für jemand Kluges und Unternehmungslustiges, um auf der Bildfläche zu erscheinen. Woolman Chase wurde zur Vermittlerin, die Nachrichten zwischen den beiden sich bekriegenden Chefs hin- und hertrug. Sie war direkt vor Nasts Nase.[49]

Nach Harrisons Abschied manövrierte sich Woolman Chase geschmeidig auf ihre Position. Sie liebte die Vogue, durch Turnures Tod und das darauf folgende Durcheinander hatte sie lange auf eine Beförderung gewartet. Tatsächlich hatte sie gerade zum ersten Mal mit dem Gedanken gespielt, die Zeitschrift zu verlassen,[50] als Nast sie zu Harrisons Nachfolgerin ernannte und sich so die stärkste Verbündete sicherte, die ein Verleger je hatte.

Nast und Woolman Chase verstanden sich auf Anhieb, vertrauten einander völlig und teilten dieselben Werte, bei der persönlichen Moral ebenso wie beim Geschäft. Sie bauten die Vogue, wie wir sie heute kennen, Seite an Seite auf. Dass Eigentümer und Chefredaktion relativ gleichberechtigt zusammenarbeiten, ist selten, aber die enorm erfolgreichen Jahre und die stürmische Expansion bewältigten die beiden gemeinsam. Ihr behagliches Miteinander hatte etwas Banales, wie zum Beispiel einen »schnellen und schmutzigen«[51] Happen in ihrem Lieblingsrestaurant zu essen, aber auch etwas Abwegiges, wie zum Beispiel ihre stillschweigende Übereinkunft, über die Schwächen des anderen bei der Personalauswahl hinwegzusehen.

Nast besetzte Stellen bei der Vogue oft mit attraktiven jungen Frauen, die er auf Partys kennenlernte und für die er eine Vorliebe hatte; einige von ihnen wechselten selbstverständlich von der Redaktion in die romantische Abteilung.[52] Woolman Chase akzeptierte diese Neuzugänge, obwohl ihr einziger Beitrag darin bestand, im Weg herumzustehen. Im Gegenzug respektierte Nast Woolman Chase’ Auswahl neuer Angestellter.

Woolman Chase’ fanatische Treue zur Vogue war so stark, dass jene, die der Publikation den Rücken kehrten, es oft büßten. Künstler, die zu Harper’s Bazaar überliefen, bekamen das nachgetragen und wurden öffentlich brüskiert. De Meyer war einer der besten Fotografen der Vogue gewesen, doch als er zurückkehren wollte, weigerte sich Woolman Chase, ihn wieder einzustellen.[53] Er starb letztendlich mittellos. Beschäftigte, die gekündigt hatten, konnten derart harsch formulierte Briefe von ihr erhalten, dass sie Angst hatten, ihr auf der Straße zu begegnen.[54]

Edna Woolman Chase war kompakt und vogelartig, mit kurzen, vorzeitig ergrauten Haaren, und bereits auf bestem Weg zu einem furchterregenden Erbe. »Anspruchsvoll«[55] und »hart«[56] sind Adjektive, mit denen sie beschrieben wurde. Ein Biograph von Condé Nast wirft ihr gar Sadismus vor.[57] Auf dem Höhepunkt ihrer Karriere bei der Vogue war Woolman Chase Chefredakteurin von vier verschiedenen Ausgaben (der amerikanischen, der britischen, der französischen und der deutschen Ausgabe) und verantwortlich für rund 150 festangestellte Mitarbeiter sowie freiberufliche Autoren, Fotografen, Künstler und Illustratoren.[58] Von ihr zu erwarten, informell, gesprächig oder nachsichtig zu sein, war zu viel verlangt. Sie war genau so, wie sie sein musste: präzise, effizient, effektiv.

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Die Chefredakteurin Edna Woolman Chase in einer Besprechung mit ihrer Redaktion bezüglich der Pariser Modeschauen 1937.

Zugegebenermaßen zeigte sie auch eine strenge Seite. Sie machte es für die Mitarbeiterinnen der Vogue zur Pflicht, schwarze Seidenstrümpfe mit weißen Handschuhen und Hüten zu tragen, was für die ärmeren Mädchen, die sich diese Kleidungsstücke von ihrem mageren Gehalt nicht leisten konnten, schwierig war.[59] Nachdem eine ihrer Redakteurinnen bei einem Selbstmordversuch auf die U-Bahn-Gleise gesprungen war, teilte Woolman Chase ihr mürrisch mit: »Wir von der Vogue werfen uns nicht vor eine U-Bahn, meine Liebe. Falls notwendig, nehmen wir Schlaftabletten.«[60] Dennoch glich sie ihre gelegentliche Kälte durch unzählige Momente der Wärme und Großzügigkeit aus. Viele ihrer Mentees waren ihr dafür ewig dankbar. Die zukünftige Moderedakteurin Bettina Ballard erinnert sich an ihr erstes Zusammentreffen:

Alles an ihr ist mir jetzt, nach Jahren des Vertrauens und der Zuneigung, so wohlbekannt, dass ich meinen ersten Eindruck nicht vom Gesamtbild trennen kann. Ich erinnere mich nur daran, dass sie nicht Furcht einflößend war und dass sie sagte: »Du hast eine leichte Feder, mein Kind, und dafür gibt es in einer Zeitschrift immer einen Platz.«[61]

Das deckt sich mit anderen Berichten: Edna Woolman Chase gab, wie Condé Nast, Menschen Chancen. Sie bevorzugte kluge Köpfe – er dagegen weiche Körper (es kursierte sogar das Gerücht, dass Nast gelegentlich in der Grand Central Station vorbeiging, um nach hübschen Mädchen, die in die Stadt zogen, Ausschau zu halten und ihnen Jobs anzubieten).[62]

Neben ihrer Rolle als Glucke von aufstrebenden Schriftstellerinnen und Schriftstellern und persönliche Vertraute von Nast war Woolman Chase auch kreativ, wie ihre zahlreichen cleveren redaktionellen und geschäftlichen Entscheidungen beweisen. Mit der Vogue betrat sie immer wieder Neuland und war nicht unwesentlich für deren Ruhm in den späten zehner und frühen zwanziger Jahren verantwortlich. Woolman Chase glaubte, ihr sei das Talent zum Redigieren angeboren. Sie hatte den Eindruck, dass sie ihr ganzes Leben lang insgeheim alles kritisierte, auch ihren Freundeskreis und ihr Haus, was so weit ging, dass sie während der Geburt ihres einzigen Kindes die Stunden der Wehen damit verbrachte, durch das Krankenhausfenster auf eine Baustelle zu starren und darüber zu phantasieren, wie man die Abläufe dort verbessern könnte.[63] In ihren Memoiren räumt sie ein, dies sei keine liebenswerte Eigenschaft und sie führe dazu, dass sie ständig mit der Welt um sie herum unzufrieden sei.[64] Aber dieser Hang zum Perfektionismus, der für ihr Privatleben schlecht sein mochte, ließ sie die Vogue zu immer neuen Erfolgen treiben.

Unabhängig von Woolman Chase’ persönlicher Leistung verfolgte die Zeitschrift im Allgemeinen eine recht eigenwillige Unternehmenspolitik. Eine Taktik, die sowohl Nast als auch Woolman Chase anwandten, bestand darin, Rivalitäten unter den Beschäftigten zu fördern, um zu verhindern, dass sie nachlässig wurden.[65] Sie gaben nur vage Anweisungen und warteten dann ab, was sich neues Personal einfallen ließ,[66] und obwohl einige Persönlichkeiten unter dieser Behandlung aufblühten, konnte diese Strategie auch nach hinten losgehen. Nast bemerkte das und leitete daraus ab, die Welt sei in »Sammler« und »Streuer« gespalten.[67] Die Sammler würden immer etwas Nützliches zu tun finden, während die Streuer nie eine Funktion für sich selbst annahmen und bald ausstiegen.

Eine weitere von Nasts Methoden war sein berühmtes Prinzip der offenen Tür. Er ermutigte die Leute, jederzeit vorbeizukommen, ihn mit einer Frage anzurufen, ihn um Rat zu bitten.[68] Er selbst hielt es genauso. Er sprach ahnungslose Passanten im Korridor an und plauderte mit ihnen – selbst wenn er keine Ahnung hatte, wer sein Gesprächspartner war oder ob er oder sie überhaupt für ihn arbeiteten.[69] So machte er sich zugänglicher und regte seine eigenen Denkprozesse an, indem er Ansichten von außen einholte. Nast behielt dies auch noch bei, als das Unternehmen bereits zu einem millionenschweren Erfolg geworden war.

Ende der zehner Jahre und in den zwanziger Jahren nahm die Vogue eine neue und erkennbare Form an. Die Zeitschrift erwirtschaftete nun ungeahnte Gewinne – das Geld strömte mit der Wucht eines Monsuns herein –, und es war an der Zeit, dass sich dies auch in der Umgebung widerspiegelte. Nach der Übernahme der Vogue versuchte sich Nasts gelangweilte, aber gesellschaftlich bedeutende Frau Clarisse Coudert Nast an der Innengestaltung des neuen Hauptsitzes der Zeitschrift in der Fourth Avenue 443. Sie setzte bei der Umgestaltung der Büros auf Pastellfarben. Zu den weiteren Modernisierungsbemühungen gehörte die Einstellung eines kleinen, schicken Dienstmädchens, das täglich um 16.30 Uhr einen Wagen mit Tee und Keksen durch den Betrieb schob.[70] Edna Woolman Chase schaffte diesen kuriosen Brauch so schnell wie möglich wieder ab, da er angeblich alle von der Arbeit ablenkte. »Nur die Briten können während der Geschäftszeiten Tee servieren, ohne dass die Arbeitsmoral leidet«, lautete ihr abschließender Kommentar.[71]

Einige Jahre später wurden die Büroräume von der berühmten Raumausstatterin Elsie de Wolfe neu gestaltet – ein sicheres Zeichen dafür, dass die Vogue ihren Weg machte. Die Vogue-Büros von Elsie de Wolfe waren größer und heller, mit Vorhängen aus Rohseide und Räumen voller Originalkunst und Glas. Der Empfang bekam eine Wand mit Bücherattrappen, doch das Büro von Woolman Chase, die seit 1914 als Chefredakteurin fungierte, behielt das von Mrs Nast gewählte Hellgrün. Die Satirikerin Dorothy Parker (damals noch Dorothy Rothschild), die 1915 zur Vogue kam, urteilte schelmisch, die Einrichtung erinnere sie an ein Bordell.[72]

Während das Unternehmen wuchs und sich in eine opulente Höhle voller fleißiger Beschäftigter verwandelte, bildeten die Stammredakteurinnen und -redakteure Gruppen, und Arbeitspläne wurden formalisiert. Trotz Nasts Vorliebe dafür, Neue einfach ins kalte Wasser zu werfen, bildete sich eine Personalabteilung heraus, und es wurden Regeln aufgestellt. Nach Absprache mit der Führungsetage der Vogue mussten plötzlich alle um Punkt 9 Uhr an ihrem Arbeitsplatz sitzen. Wer zu spät kam, musste eine Karte ausfüllen und darin den Grund für die mangelnde Pünktlichkeit erklären … was nach hinten losging, als ein frecher Illustrator, der gegen Mittag eintraf, angab, er sei zu spät gekommen, weil ihn eine Elefantenherde die Sixth Avenue hinuntergejagt habe. Das sorgte für große Heiterkeit, und anstelle einer Disziplinarstrafe für den Illustrator wurden die Verspätungskarten abgeschafft.[73] Es herrschte immer noch eine kameradschaftliche Atmosphäre, und die Belegschaft jener Zeit erinnerte sich voller Zuneigung an ihre »Vogue-Familie«.[74] Ein ehemaliger Assistent beschrieb die Situation so: »Es war eine Familie, in der Mr Nast der Vater und Mrs Chase die Mutter war … Vogue war eine Demokratie, in der jeder eine Stimme hatte – selbst das geringste Mitglied, das ich sicherlich war.«[75]

Für viele wurde die Vogue-»Familie« auch jenseits des Firmengeländes zu einer echten Familie. Erstaunlich viele Angestellte der Vogue heirateten untereinander, ließen sich scheiden und heirateten wieder, wobei sie sich oft mit Kolleginnen und Kollegen der ausländischen Büros zusammentaten.[76] Eine weitere Folge davon war eine große Anzahl von Vogue-Babys, auf die man großzügig als Quelle für Kindermodelle zurückgriff. Töchter im Teenageralter wurden oft als zurückhaltende Bräute fotografiert, und Condé Nasts Tochter Natica modelte 1920 im Alter von 15 Jahren für Hochzeitsschleier.[77]

Ein Leben bei der Vogue bot noch andere verlockende Vorzüge. Das Unternehmen förderte Reisen, finanzierte sie häufig und gewährte seinen Mitarbeitern lange und ausgiebige Freistellungen für Abenteuer und Erkundungen. Dahinter stand die Theorie, dass Reisen den Horizont erweiterten und mit anderen Kulturen, neuen Trends und Klatsch und Tratsch in Berührung brachte. Man schloss folgenden Kompromiss: Jede wirklich wertvolle Entdeckung musste sofort an die Vogue weitergeleitet werden, falls sie es wert war, in die Zeitschrift aufgenommen zu werden. Nur wenige hatten damals die Möglichkeit, weit entfernte Länder zu besuchen, daher waren die Mitarbeiter Augen und Ohren, eine Art menschliche Datenbank, die über die Modewelt verteilt war und Informationen sammelte und an die Zentrale weiterleitete. So blieben die Inhalte der Vogue frisch und der Zeit voraus.

Harte Arbeit wurde geschätzt, und niemand war so engagiert wie Woolman Chase. Nast war ihr aufrichtig dankbar und überhäufte sie mit großzügigen Geschenken. Zu Weihnachten in den frühen zehner Jahren schickte er ihr eine Pralinenschachtel, in der sich unter jeder Praline eine massive Goldmünze verbarg, zusammen mit einem Brief, in dem er sie über eine großzügige Gehaltserhöhung informierte.[78] Einige Weihnachten später, nachdem Woolman Chase ein Haus in Brookhaven gekauft hatte, schickte Nast ihr eine Notiz, in der er ihr mitteilte, dass er ihre gesamte Hypothek abbezahlt hatte, und fügte einen Scheck bei, mit dem er ihr den Betrag erstattete, den sie bereits selbst angezahlt hatte.[79] Ein paar Weihnachten später schickte er ihr zudem ein Aktienzertifikat mit dem Vermerk: »In Anerkennung all dessen, was Sie für mich und die Vogue getan haben.«[80] In ihrem zweiten Leben war die Vogue ein fröhlicher, geschäftiger Ort mit echten Möglichkeiten. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter waren glücklich, klug, kreativ, fröhlich, extravagant, gut vernetzt, tadellos gekleidet und hatten einen ausgeprägten Sinn für Teamgeist.

Der echte große Gatsby

Was Condé Nast in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts für sein Unternehmen erreichte, wirkt sich, was Ansehen und Einnahmequellen betrifft, bis in das Jahr 2020 aus. Seine persönliche Biographie wird jedoch von seinem Nachlass in den Schatten gestellt: Er hat die Verlagslandschaft so aufgemischt, dass er seine eigenen Spuren daraus weggebrannt hat. Und doch war Nast einst so berühmt, dass man ihn auf der Straße erkannte. Nast war von Natur aus ein unaufdringlicher Mensch, ein Widerspruch, da sein Erfolg auf aggressiven Verkaufstechniken beruhte. Akkurat gekleidet in Anzug und Weste, mit Hut und randlosem ovalem Zwicker und dem Auftreten eines Bankers, war der Eindruck eines Finanziers nicht ganz falsch. Doch hinter dieser ernsten Fassade verbarg sich die andere Seite von Nast: der Lebemann und Verführer. Trotz seiner zurückhaltenden Art liebte er schöne Frauen und gab ein Jahrzehnt lang die verschwenderischsten Partys von New York. Seine Gäste kannten ihn kaum, aber das war nebensächlich, denn er war damit zufrieden, aus dem Hintergrund heraus den Gastgeber zu spielen.

Nast zeichnete akribisch auf, wer zu den Feiern in seinem 30-Zimmer-Penthouse in der Park Avenue 1040 eingeladen wurde, wer teilnahm, welche Kommentare die Gäste machten, warum sie nicht kamen und wie hoch die Kosten waren – bis auf den letzten Cent. Nast teilte die potenziellen Gäste in Gruppen ein, A, B und C: feine Gesellschaft, Kunstschaffende und Prominente. Diese Listen mussten stets auf ihre Richtigkeit hin überprüft und aktualisiert werden, und seine Sekretärinnen notierten jedes Hörensagen, jedes Heiratsgerücht und jede bestätigte Scheidung, eben alles, was die Sitzordnung beim Abendessen stören konnte.[81] Für mehrere seiner Sekretärinnen war dies ein Vollzeitjob. Nast war entschlossen, einen Fünf-Sterne-Service in seinem Haus zu bieten, das gleichzeitig eine Bühne war, die sich bewegende, atmende, tanzende Version dessen, was auf den Seiten der Vogue