Integrale Meditation - Ken Wilber - E-Book

Integrale Meditation E-Book

Ken Wilber

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Beschreibung

Zum ersten Mal in der Geschichte führt Ken Wilber hier den östlichen Weg der Meditation und des achtsamen Lebens und den westlichen Weg der Erforschung der menschlichen Psyche und Evolution zusammen. Durch Meditation erreicht der Mensch immer tiefere Schichten des Bewusstseins und kommt schließlich zum "Aufwachen", zur völligen Freiheit von allen persönlichen Grenzen. Doch auch die Persönlichkeit, die emotionalen und mentalen Muster menschlichen Seins, wollen durchdrungen und transparent gemacht werden. Nur so ist eine wirklich integrale Reife möglich. Wilber macht deutlich, dass man seine meist unbewussten inneren "Landkarten" verstehen muss, mit denen man durchs Leben navigiert. Diese Bewusstwerdung nennt Wilber "aufwachsen". Erst beides, "aufwachen" und "aufwachsen", führt zu einem wirklich integralen Bewusstsein. Das zukunftsweisende Schlüsselwerk über den Zusammenhang von Meditation und die Evolution der menschlichen Spezies!

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Seitenzahl: 370

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Ken Wilber

Integrale Meditation

wachsen, erwachen und innerlich frei werden

Aus dem amerikanischen Englisch von Jochen Lehner

Knaur e-books

Über dieses Buch

Inhaltsübersicht

EinleitungWas ist Achtsamkeit?Die Grundform der AchtsamkeitspraxisIntegrale AchtsamkeitWie finden wir die verborgenen Landkarten des Aufwachsens?Zwei Arten der SpiritualitätIhre persönliche Entwicklung1. KapitelErste Stufe: archaisch (Ultrarot)Zweite Stufe – magisch-tribal (Magenta)Dritte Stufe – magisch-mythisch (Rot)Vierte Stufe – mythisch-traditionell (Bernstein)Fünfte Stufe – rational-modern (Orange)Sechste Stufe – pluralistisch-postmodern (Grün)Siebte Stufe – integral (Türkis)Achte Stufe: dritte Schicht – super-integral (Weiß)Ihr Platz in der Geschichte2. KapitelZustände des BewusstseinsGrobstofflich, subtil und kausalTuriya – der ZeugeTuriyatita – nonduales Bewusstsein der EinheitDas »Fließband« der TransformationDas Bewusstsein der Einheit – seine tieferen und umfassenderen FormenGroße Vollkommenheit und Ur-VerneinungUnd weiter …3. KapitelDie vier QuadrantenDie Quadranten im UnternehmensbereichIch, Wir und EsDie Quadranten in BeziehungenIch und EsIch, Du und WirDer Wir-RaumMein Ich und dein IchIch und Wir auf verschiedenen StufenEin spirituelles WirDie Quadranten und das AuftauchenEine Tour durch die vier Quadranten4. KapitelLinien der EntwicklungKognitive IntelligenzEmotionale IntelligenzIntrapersonelle IntelligenzSomatische (körperlich-kinästhetische) IntelligenzMoralische IntelligenzSpirituelle IntelligenzWilleDie Linie des IchsLinien-AchtsamkeitKognitive IntelligenzEmotionale IntelligenzIntrapersonelle IntelligenzKörper-IntelligenzMoralSpirituelle IntelligenzWilleDie Ich-LinieAndere EntwicklungslinienDas integrale PsychogrammEin individuelles Psychogramm erstellenDie AQAL-MatrixEin kurzer Blick auf die Typen5. KapitelDer eine GeschmackWie es weitergehtWeitere Bücher des Autors
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Einleitung

Hallo, meine Freunde, willkommen zu dieser Darstellung der integralen Meditation mit besonderer Berücksichtigung der Achtsamkeit aus der Sicht der integralen Theorie. Ich gehe davon aus, dass Sie diese Praxis nicht nur als anregend, sondern als radikal neuen Ansatz empfinden werden, verbindet er doch eine der ältesten und wohl auch wirksamsten Formen der Meditation mit einem der fortschrittlichsten evolutionären Weltbilder. Daraus ergibt sich ein geradezu atemberaubendes neues Bild von Wachstum, Entwicklung und Transformation oder eben persönlicher Evolution, das sich von allen bisherigen Ansätzen dieser Art unterscheidet. Das mag alles sehr vollmundig klingen, aber wenn Sie die ersten paar Übungen ausprobiert und erlebt haben, werden Sie Ihr Leben anders empfinden und erleben.

Ich will also gleich einsteigen und zunächst ein paar der Fragen beantworten, die mir besonders häufig zur integralen Sicht der Achtsamkeit und Meditation gestellt werden. Ich denke, die Dinge werden bald ein wenig Kontur für Sie gewinnen.

 

»Wenn Sie die Bedeutung der integralen Meditation für Wachstum und Entwicklung herausstreichen, was meinen Sie dann eigentlich mit Wachstum und Entwicklung?«

 

Der Stand der Forschung ist der, dass es für uns Menschen mindestens zwei wohlunterschiedene Arten von Wachstum und Entwicklung und entsprechend zwei Formen des spirituellen Engagements gibt. Erstaunlicherweise hat es noch nie einen Weg des Wachstums und der Entwicklung gegeben (sei er konventionell, spirituell oder wie auch immer geartet), der beide Formen in sich vereinigt hätte, einfach weil eine der beiden erst in neuerer Zeit entdeckt wurde. Ich bezeichne diese beiden Formen kurz als Aufwachsen und Aufwachen. Wie wir noch im Einzelnen sehen werden, sind die beiden Formen bisher in keinem einzigen System weltweit je miteinander verbunden worden, und deshalb bestand die Menschheit über den gesamten Verlauf ihrer Geschichte aus unvollständigen, ja eigentlich beschädigten Individuen. Wir haben uns tatsächlich je nach Weltgegend ganz auf die eine oder die andere Form verlegt und die jeweils andere, tja, verkommen lassen.

So entstehen einerseits Menschen, die durchaus »erwachsen« sein, das heißt, in einer der vielen Intelligenzformen einen hohen Entwicklungsstand erreicht haben können, aber nicht »erwacht« oder erleuchtet sind. Sie haben also nicht das erlebt, was in manchen Traditionen »höchste Identität« genannt wird, worin man sich als eins mit allem erfährt, eins mit der gesamten Realität, eins mit dem Universum, eins mit allen Lebewesen. Wenn Ihnen das zu abgehoben klingt, folgen Sie mir bitte trotzdem noch ein Stückchen weiter, bis Sie zumindest ansatzweise erkennen, was gemeint ist – und besitzt der Gedanke dieses Aufwachens nicht auch einen gewissen Reiz? Tatsächlich wird es in diesem Buch auch darum gehen, dass Sie einen Eindruck davon bekommen, was diese Erfahrung für Sie persönlich bedeuten könnte.

Und andererseits hat die Menschheit Einzelne hervorgebracht, die einen Weg des Aufwachens gingen und tatsächlich Erwachte oder Erleuchtete wurden, aber in anderer Hinsicht relativ unreif blieben. Es konnte sein, dass ihre psychosexuelle Entwicklung unvollständig blieb und sie sich beispielsweise an ihren Schülern vergingen; oder sie blieben trotz ihrer spirituellen Interessen moralisch unreif wie seinerzeit manche in Yoga und Meditation bewanderte Nationalsozialisten. Sie waren homophob, sexistisch, rassistisch, fremdenfeindlich, autoritär, extrem hierarchiegebunden und so weiter, kurz, sie mögen wohl auf einer höheren Erfahrungsebene »eins mit der Welt« gewesen sein, aber ihr Gebaren in der Welt blieb relativ unreif und hatte etwas Gestörtes, wenn nicht Pathologisches.

Noch nie hatten wir ein Entwicklungsmodell, das sowohl unserem Aufwachen als auch dem Aufwachsen diente, das uns also zur Erfahrung unserer höchsten Identität führte und zugleich durch Entfaltung der in uns angelegten Fähigkeiten und »multiplen Intelligenzen« für unsere menschliche Reifung gesorgt hätte. Es fehlte mit anderen Worten eine Praxis, aus der Menschen hervorgingen, die in jeder Hinsicht ganz, vollständig und reif waren. In gewisser Weise haben wir bisher ausschließlich halbe oder kaputte Menschen hervorgebracht.

Vielleicht gehen Sie ja bereits einen spirituellen Weg, den Sie als vollständig betrachten, auf dem für alles gesorgt ist und über den hinaus nach Ihrer Auffassung nichts erforderlich ist. Ich habe großes Verständnis für diesen Standpunkt. Halten Sie sich aber vor Augen, dass der Weg des Aufwachsens wirklich eine Entdeckung der jüngsten Vergangenheit ist. Die Erfahrung des Aufwachens gibt es dagegen schon seit mindestens 50.000 Jahren, seit den ersten Schamanen und Medizinmännern beziehungsweise Medizinfrauen. Wenn Sie also einer spirituellen Praxis nachgehen, befinden Sie sich sehr wahrscheinlich auf einem Weg, der vor Jahrtausenden entstand.

Der Pfad des Aufwachsens dagegen war vor hundert Jahren noch nicht einmal entdeckt, wie wir im weiteren Verlauf noch genauer sehen werden. Es liegt daran, dass dieses Aufwachsen oder Erwachsenwerden mit seinen Stadien nicht unbedingt ins Auge springt, weshalb Sie bei Ihrer Innenschau oder Meditation sehr wahrscheinlich nicht darauf stoßen werden. Diese Stufen oder Stadien zeigen sich einfach nicht der bloßen Innenschau, und deshalb werden Sie (und auch das betrachten wir später noch im Einzelnen) bei keinem einzigen der großen Meditationssysteme der Welt etwas von den Stadien des Aufwachsens finden, sondern nur etwas über die Stufen der meditativen Entwicklung. Sie können da alles über das Aufwachen erfahren, aber praktisch nichts über das Aufwachsen. Es gibt noch keinen vollständigen Pfad des Aufwachsens und Aufwachens.

Die Stadien des Aufwachsens wurden erst von den verschiedenen Schulen der modernen westlichen Entwicklungspsychologie entdeckt, und das begann wie gesagt vor ungefähr hundert Jahren. Heute existieren Dutzende Ansätze der Entwicklungsforschung, und von besonderem Interesse ist hier, dass sie praktisch alle die gleichen sechs bis acht Stadien oder Phasen des Aufwachsens benennen, eine Tatsache, die wir im weiteren Verlauf im Auge behalten werden. Wir besitzen also jetzt Wegbeschreibungen für den Pfad des Aufwachsens, an denen wir uns für den Gang unserer Entwicklung zu vollkommener Reife orientieren können. Was aber wirklich sonderbar ist: So gut wie keine dieser Wegbeschreibungen, so gut wie keines dieser Modelle des Aufwachsens sagt irgendetwas über Erleuchtung, über das Erwachen zu unserer höchsten Identität. Anders gesagt: Diese Schulen des Denkens lehren uns, wie man aufwächst, aber nicht, wie man aufwacht. Man kann demnach sagen, dass »die große Befreiung«, »das Erwachen«, »die höchste Identität« oder »Erleuchtung« in den Schulen des westlichen Denkens so gut wie gar nicht vorkommen.

Entweder oder, entweder aufwachen oder aufwachsen, so sah die Geschichte der Menschheit bisher weitgehend aus. Aber mit dem bereits erwähnten »integralen Ansatz« laufen die beiden Pfade nun erstmals zusammen und geben eine profunde und wirklich umfassende und praktisch umsetzbare Beschreibung dessen, was wir Wachstum und Entwicklung nennen. Der integrale Ansatz lässt sich auf praktisch allen Gebieten menschlichen Handelns anwenden, und das geschieht auch bereits. Die führende Fachzeitschrift zum integralen Ansatz, The Journal of Integral Theory and Practice (JITP), beschreibt die Anwendung auf über sechzig Einzelgebieten, die in der Folge zum Beispiel als integrale Medizin, integrales Management, integrale Erziehung und Bildung sowie integrales Consulting bezeichnet werden.

Die Religion und Spiritualität der Zukunft, darin sind sich die meisten der an diesen Themen Interessierten einig, werden beide Dimensionen, das Aufwachen und das Aufwachsen, in ihre Lehren einbeziehen müssen, wenn sie relevant bleiben und eine nennenswerte Gefolgschaft behalten wollen. Ich nenne das »die Religion von morgen«, aber sie ist natürlich heute schon auf Ihren persönlichen spirituellen Weg anwendbar.[1]

Was ist Achtsamkeit?

Um Ihnen Eindrücke des aus meiner Sicht derzeit weltweit effektivsten Wachstums- und Entwicklungsprogramms zu geben, möchte ich Ihnen im Folgenden eine Reihe leicht anwendbarer Übungen und Praxisformen vorstellen, die das Beste aus den Traditionen des Aufwachens mit den besten Ansätzen des Aufwachsens verbinden. Auch das wird Ihnen vielleicht jetzt noch etwas hochgegriffen erscheinen, aber folgen Sie mir zumindest noch ein paar Schritte, um sich selbst ein Bild machen zu können.

Setzen wir bei einer weiteren Frage an:

 

Was ist Achtsamkeit, und wie unterscheidet sich integrale Achtsamkeit von der Achtsamkeitsmeditation, über die in den Medien berichtet wird?

 

Achtsamkeitspraxis ist eine Form des körperlich-geistigen Trainings, das nachweislich stressreduzierend wirkt, Gefühle von Ruhe, Verbundenheit und Harmonie verstärkt, Ängste und Depressionen lindert, Schmerzen erträglicher macht, den Blutdruck senkt, Lernvermögen, IQ und Kreativität steigert und höhere Bewusstseinszustände auslösen kann, die »höheren Bereiche der menschlichen Natur«, wie sie manchmal genannt werden.[2] Sie ist eine Art Anabolikum für alles, was der Mensch so macht, vom ganz Alltäglichen bis zum Hochspirituellen. Die Praxis ist mindestens 2500 Jahre alt, und sie blieb im Gebrauch, weil sie von überzeugender Wirkung ist (und außerdem eine Zutat zu vielen Methoden des Aufwachens).

Die Medienberichterstattung über Achtsamkeit folgt zumeist einem Muster, das eine Titelgeschichte des Magazins Time aus dem Jahr 2014 erkennbar macht. Hier hat man sich auf den inzwischen sehr umfangreichen Bestand an wissenschaftlichen Untersuchungsergebnissen gestützt, der den Nutzen der Achtsamkeit in praktisch allen Lebensbereichen verdeutlicht und darauf hinausläuft, dass Achtsamkeit die besondere Empfehlung gerade für unsere Zeit mit ihrem wahnwitzigen Tempo und all den technischen Ablenkungen ist, die es immer schwieriger machen, sich auf irgendetwas zu konzentrieren. Und tatsächlich: Schon wenn man sich auf die Grundformen der Achtsamkeitspraxis einlässt, ist mit all den eben erwähnten Nutzeffekten und weiteren zu rechnen.

Die Grundform der Achtsamkeitspraxis

Worin besteht nun diese Praxis? Grundsätzlich einfach darin, dass Sie sich bequem hinsetzen und entspannen, um mit Ihrer Aufmerksamkeit ganz im gegenwärtigen Augenblick zu bleiben – bei dem, was jeweils gerade auftaucht.

Setzen Sie sich mit locker verschränkten Beinen auf den Boden. Sie können auch die Lotoshaltung einnehmen, wie sie im Yoga und bei vielen Formen der Meditation gebräuchlich ist. Die Hände können Sie entweder mit den Innenflächen nach oben ineinanderlegen und locker im Schoß ruhen lassen oder mit den Handflächen nach unten auf den Knien ablegen. Auch ein Stuhl ist geeignet, achten Sie aber darauf, dass die Füße flach auf dem Boden stehen und der Rücken gerade gehalten wird; die Hände können eine der beiden genannten Haltungen einnehmen.

In dieser Haltung richten Sie Ihre Aufmerksamkeit auf den gegenwärtigen Augenblick und verfolgen mit ruhiger Klarheit, was sich innen und außen jeweils gerade abspielt. Meist bekommen Sie die Anweisung, sich auf eine einzige Sache zu konzentrieren, und das ist in den allermeisten Fällen Ihr Atem. Wir werden uns das noch im Einzelnen ansehen, aber im Moment geht es einfach darum, dass Sie beim Einatmen den Atem wahrnehmen, dann die kleine Pause am Ende des Einatmens, dann das Ausatmen und erneut die Pause am Ende und wieder das Einatmen und so weiter. Wenn Sie den Faden verlieren und irgendwelchen Gedanken an Vergangenes, Zukünftiges oder Aktuelles nachgehen (etwas Ärgerliches bei der Arbeit letzte Woche, Vorfreude auf etwas für morgen Geplantes, aktuelle Beziehungsprobleme), machen Sie sich bei erster Gelegenheit darauf aufmerksam und lassen die Gedanken einfach fallen, um sich wieder dem Atem zuzuwenden. Das üben Sie ein- bis zweimal am Tag zehn bis vierzig Minuten lang.

Das klingt einfach und ist auch im Prinzip einfach, aber wenn Sie es ausprobieren, werden Sie sehen, wie hinderlich Ihr Denkapparat hier ist und wie wenig Sie ihn tatsächlich beherrschen. Sie werden den Atem immer wieder aus den Augen verlieren, krause Gedanken und Bilder werden Sie bedrängen, manchmal rauben Ihnen heftige und unangenehme Gefühle und Empfindungen den letzten Nerv, dann wieder schwelgen Sie in Wogen von wonnigen, köstlichen Gefühlen. Nach und nach kommen Sie darauf, dass Sie von Ihrem eigenen Innenleben bisher noch nicht gar so viel mitbekommen haben. Und es dämmert Ihnen mit Macht: Wenn Gedanken Ihr Verhalten leiten, muss dieses verworrene und sprunghafte Denken, das jetzt noch Ihr Normalzustand ist, ein ebenso wirres, unberechenbares und wahrscheinlich problematisches Handeln hervorbringen. In Ihrem Leben sind weitaus weniger Erfolg, Zusammenhang, Qualität, Harmonie, Warmherzigkeit und Kompetenz zu erkennen als möglich – und das gilt für buchstäblich alle Bereiche, weil dieser »Affengeist« Sie ja überallhin begleitet und Ihr Verhalten steuert. Wenn Sie sich Gebiete ansehen, auf denen Sie bereits erfolgreich sind, stellt sich bei näherer Betrachtung in den allermeisten Fällen heraus, dass Sie es hier schon zu klarer, beständiger und müheloser Konzentration gebracht haben, vielfach in einer Fassung, die heute gern als »Flow« bezeichnet wird. Solche kohärenten Flow-Zustände erlauben Ihnen, das, was Sie darin tun, auf die denkbar beste Weise und daher in der Regel erfolgreich zu bewältigen, sei es bei Ihrer beruflichen Tätigkeit, in Beziehungen, bei der Kindererziehung oder auch einfach beim Ausspannen. Und Achtsamkeitsmeditation ist der Weg, auf dem Sie Ihr gesamtes Leben in einen Flow-Zustand verwandeln können.

Integrale Achtsamkeit

Worin liegt nun der große Unterschied zwischen gewöhnlicher und integraler Achtsamkeit? Integrale Achtsamkeit bedient sich der Achtsamkeit im herkömmlichen Sinne, erweitert sie jedoch um viele der bahnbrechenden neuen Einsichten des erwähnten fortschrittlichen Modells, das meist als »integrale Theorie und Praxis« bezeichnet wird. Dadurch werden die Bereiche Ihres Lebens, die durch Achtsamkeit gewinnen können, schärfer und präziser in den Fokus gerückt, so dass Sie auf immer mehr Gebieten Flow-Zustände erreichen können. Es sind Gebiete wie beispielsweise die Beherrschung der Regeln einer Sprache, die bei jedem Menschen implizit gegeben sind, nur dass sie den allermeisten nicht explizit bewusst sind. Dazu zählen übrigens auch die Stadien des Aufwachsens. Sie sind präsent, aber sehr wahrscheinlich sind sie Ihnen nicht bewusst präsent.

Aber bleiben wir zunächst beim Beispiel der Sprache. Nehmen wir Ihre Muttersprache. Jedes Kind, das in einer Umgebung aufwächst, in der diese Sprache gesprochen wird, erlernt den mehr oder minder korrekten Gebrauch dieser Sprache: Es stellt Subjekt und Prädikat korrekt zusammen, es kann Adjektive und Adverbien richtig zuordnen, die Wörter so zusammenstellen, dass sich sinnvolle Sätze ergeben – mit anderen Worten, es kann die Regeln der Grammatik im Großen und Ganzen richtig anwenden. Aber fordern Sie irgendjemanden auf, diese grammatischen Regeln zu formulieren, und Sie werden erleben, dass kaum jemand dazu in der Lage ist. Alle halten sich an diese zu einer Art Instinkt gewordenen Regeln, aber keiner kennt sie und kann sie benennen!

Auf Sachverhalte dieser Art also macht uns die integrale Theorie in allen Bereichen unseres Lebens aufmerksam. Es handelt sich dabei um so etwas wie Pläne oder Landkarten, nach denen wir uns in »Geländeformen« jeglicher Art zurechtfinden: bei der Arbeit, in Beziehungen, im künstlerischen Schaffen, bei der Kindererziehung, beim Lernen von etwas Neuem, beim Spielen, im Sport und so gut wie überall sonst. Wir legen Landkarten dieser Gebiete an, und diese Karten legen fest, als was wir das jeweilige »Gelände« betrachten und wie wir uns darin bewegen, aber in aller Regel ist uns nicht bewusst, dass wir nach solchen Karten agieren – und das gilt auch für alle Stadien des Aufwachsens, auch Sie sind wie implizite, das heißt nicht bewusst wahrgenommene Landkarten. Wir halten uns an diese Karten, wie wir uns an die Regeln der Grammatik halten, aber wir wissen nichts davon.

Fügen wir aber hinzu, dass viele dieser Landkarten ziemlicher Schrott sind, irreführende Überbleibsel der Kindheit oder schlichtweg falsch. Da sie uns aber so wenig bewusst sind wie die Regeln der Grammatik, kommen wir nicht auf die Idee, sie zu überarbeiten und auf den neuesten Stand zu bringen, das heißt Karten anzulegen, die tatsächlich dem Gelände entsprechen, auf dem wir uns bewegen. Was passiert, wenn Sie nach einer fehlerhaften Landkarte von A nach B zu fahren versuchen? Richtig, Sie landen irgendwo, nur nicht da, wohin Sie wollten. Klingt das nicht allzu vertraut? Für mich schon.

Nun bekommen wir diese Karten aber nicht durch bloße Innenschau, durch Erforschung unseres Bewusstseins, zu Gesicht – wie wir ja auch die Regeln der Grammatik nicht in uns vorfinden, wenn wir nur lange genug suchen. Da sehen wir allenfalls Wörter, Bilder, Zeichen und Symbole, aber nicht die verborgenen Regeln, nach denen sie zu verbinden sind. Dazu müssten wir viele Sprecher der betreffenden Sprache genau beobachten, um Gemeinsamkeiten in ihrem Sprachverhalten zu isolieren und daraus die Regeln abzuleiten, denen ihr sprachlicher Ausdruck folgt. Das gilt auch für diese impliziten oder verborgenen Landkarten, nach denen sich unser Leben in weiten Teilen richtet. Sie sehen sie einfach nicht, wenn Sie den Blick nach innen wenden. Diese Landkarten oder »Strukturen des Bewusstseins« wurden wie gesagt erst vor relativ kurzer Zeit entdeckt. Wir leben seit über einer Million Jahren auf dieser Erde, aber erst vor ungefähr hundert Jahren sind wir auf diese verborgenen Landkarten gestoßen, weshalb auch die Stadien des Aufwachsens eine Entdeckung dieser jüngsten Vergangenheit sind.

Was unterscheidet nun Bewusstseins-Zustände von Bewusstseins-Strukturen? Wie wir schon kurz erwähnt haben, kann Meditation Ihnen zu höheren Bewusstseinszuständen verhelfen, auch zu »veränderten Bewusstseinszuständen«, wie sie häufig genannt werden. Das können tiefere Liebe und Freude sein, mehr Durchblick, geschärfte Wahrnehmung, ein umfassenderes Identitätsgefühl (bis hin zur höchsten Identität als dem Gefühl, eins mit allem zu sein) und generell mehr Erfahrungen vom Flow-Typ – all das also, was die Wege des Aufwachens eigentlich ausmacht. Alle diese Erfahrungen und Zustände sind uns zugänglich, wenn wir den Blick nach innen wenden. Wenn die große Liebe zu allen Wesen über Sie kommt und Sie nur noch »Ich liebe alle!« jubeln können, ist Ihnen dieser Zustand unmittelbar gegenwärtig, ob Sie die in diese Aussage eingehenden Grammatikregeln kennen und benennen können oder nicht. Zustände dieser Art wurden, wie bereits angemerkt, vor mindestens 50000 Jahren von den Menschen entdeckt, insbesondere bei der schamanischen Visionssuche. Strukturen dagegen, diese impliziten unsichtbaren Landkarten, werden bei der Innenschau nicht sichtbar und wurden deshalb erst vor rund hundert Jahren mit dem Beginn der modernen Entwicklungspsychologie entdeckt.

Deshalb kommen diese verborgenen Landkarten – die wir den in der integralen Theorie zusammengefassten gewaltigen Anstrengungen der Entwicklungsforschung verdanken[3] – in keiner der großen meditativen Traditionen der Welt vor, in keiner einzigen. Folglich stieß keine dieser Traditionen des Aufwachens, denen wir Systeme der Meditation und Kontemplation wie etwa die Achtsamkeitspraxis verdanken, auf die verborgenen Landkarten des Aufwachsens oder Erwachsenwerdens, die dann natürlich auch nicht aktualisiert werden konnten. Die meisten heute noch gebräuchlichen Meditationsformen sind mindestens tausend Jahre alt, und da wir auf die verborgenen Landkarten des Aufwachsens erst vor rund hundert Jahren gestoßen sind, können sie in keinem dieser Meditationssysteme vorkommen. Wenn man es durch Meditation zu sehr hohen Bewusstseinszuständen bringt, bis hin zur Erleuchtung, bis zum Erwachen, unterliegt man doch noch unwissentlich den verborgenen Landkarten, die die Stufen des Aufwachsens vorgeben. Deshalb finden sich manchmal auch bei sehr hochstehenden Meditationsmeistern noch die sonderbarsten geistigen Verirrungen, zum Beispiel Homophobie, autoritäres Denken, Sexismus und starres Hierarchiebewusstsein. Das liegt daran, dass sie nach wie vor dem Einfluss unbewusster und falscher verborgener Landkarten des Aufwachsens unterliegen.

Um es auf einen kurzen und einprägsamen Nenner zu bringen: Der Unterschied zwischen Bewusstseinsstrukturen und Bewusstseinszuständen liegt darin, dass die Stadien des Aufwachsens in den Strukturen, das heißt in der verborgenen Grammatik beziehungsweise den verborgenen Landkarten vorgegeben sind, während die Zustände den Weg zur Erleuchtung vorzeichnen, den Weg des Aufwachens. Beim Aufwachsen bewegen wir uns im Idealfall von Stadien und Landkarten einer niedrigen Entwicklungsstufe zu stimmigeren, reiferen und höher entwickelten Stadien und Landkarten, und das ist dann ein echtes Erwachsenwerden. Beim Aufwachen dagegen bewegen wir uns von Bewusstseinszuständen einer niederen Entwicklungsstufe zu immer höheren und schließlich zur höchsten Stufe dieses Weges, die Erleuchtung, Erwachen, große Befreiung, Metamorphose, Satori oder höchste Identität genannt wird.

Wie finden wir die verborgenen Landkarten des Aufwachsens?

Betrachten wir zunächst das Aufwachsen. Es besteht darin, dass wir gröbere, unvollständige und irreführende verborgene, also unsichtbare Landkarten durch immer genauere, vollständigere und reifere ersetzen. Wie das genau aussieht, werden wir uns an einigen Beispielen vor Augen führen. Danach wenden wir uns dann dem Aufwachen zu (bis hin zum höchsten Zustand des »wahren Ichs« und dessen, was »Bewusstsein der Einheit« genannt wird) und führen uns anhand einiger Übungen unmittelbar vor Augen, was damit gemeint ist.

Für das Aufwachsen gilt natürlich, dass wir den Einfluss falscher und irreführender verborgener Landkarten nur ausschalten können, wenn wir sie ans Licht holen und bewusst machen. Darin kann Sie die integrale Theorie unterstützen, wie wir noch im Einzelnen sehen werden. Wenn Sie dann auf solch eine versteckte Landkarte stoßen und sie ein bisschen angestaubt und überholt finden, Ihrem Alter nicht mehr angemessen oder schlichtweg falsch, dann müssen Sie sie ausgraben und durch eine neue ersetzen. Bei diesem Ausgraben kann Ihnen die Achtsamkeit ein mächtiger Verbündeter sein. Sie ist in diesem Fall das, was wir landläufig unter Achtsamkeit verstehen – stetige, ungeteilte Aufmerksamkeit, die wir dem zuwenden, was sich jeweils gerade zeigt. Aber bei dem, was sich hier zeigt, handelt es sich um etwas, wovon die meditativen Traditionen nichts wussten, während die integrale Theorie es Ihnen direkt vor Augen führt: ein Stadium des Aufwachsens.

Wenn wir uns immer wieder bewusst diesen verborgenen Landkarten zuwenden, treten sie schließlich klar hervor. Die bisher unbewussten Landkarten werden bewusst, und die bisher subjektiven Strukturen werden objektiv, so dass Sie gezielt Einfluss auf sie nehmen können. Wenn wir alte, irreführende Karten ablegen und durch neue ersetzen, die das Gelände besser abbilden, wirkt sich das sofort und tiefgreifend auf alle Bereiche des Lebens aus – und zwar einfach so! Wir haben uns bis dahin von mangelhaften Karten in allen Bereichen des Lebens leiten lassen, ohne es auch nur zu merken, und das Ergebnis war ähnlich unbefriedigend wie der Versuch, sich mit einem fehlerhaften Stadtplan in einer Stadt zurechtzufinden. Da ist nur mit Fehlschlägen von teils katastrophaler Art zu rechnen. So gut wie alles in unserem Leben orientiert sich an diesen Landkarten, diesen Bezugsrahmen, diesen Eindrücken, die Sie von allen Situationen und Zusammenhängen gewinnen, in denen sich Ihr Leben abspielt. Und wenn Sie durch die integrale Theorie auf diese Landkarten aufmerksam geworden sind und sie mit Achtsamkeit unter die Lupe genommen haben, wird sich das auf Ihr gesamtes Leben auswirken, und das sofort oder mit etwas Übung, jedenfalls aber zuverlässig.

Das also haben wir jetzt vor. Wir führen uns ein paar der Landkarten, Bezugsrahmen und Eindrücke vor Augen, nach denen Sie sich in Ihrem Leben orientieren. Dann richten wir mit Achtsamkeit unser Augenmerk auf sie, um sie aus ihrer Verankerung zu lösen und praktisch zu zerlegen, damit Raum für stimmige neue Karten entsteht. Das wird sich sofort auf praktisch alle Aspekte Ihres Lebens auswirken. Sie müssen mir das nicht glauben, machen Sie einfach ein paar Versuche mit und sehen Sie selbst – ich kann Ihnen versprechen, dass es nicht schwer zu sehen sein wird. Sie kommen damit nicht nur in der Genuss aller Vorzüge der traditionellen Achtsamkeit – bessere Gesundheit, klareres Denken, ein ausgeglichenes Seelenleben, bessere Beziehungen oder auch ein besseres Verhältnis zu Ihrer Elternrolle –, sondern werden außerdem überholte und hinderliche bis gefährliche Bezugsrahmen und Landkarten los. Neue und stimmigere geben das Gelände Ihres Lebens akkurater wieder und zeichnen ein gesünderes, glücklicheres und intelligenteres Bild Ihres Lebens mit vielen überschwenglichen Flow-Zuständen.

Aber schon ein Kind kann in überschwenglichen Flow-Zuständen sein, nicht wahr? Wir müssen also dafür sorgen, dass wir diese Flow-Zustände auf der höchstmöglichen Stufe der Entwicklung und Reife erleben. Schließlich wollen wir keine erleuchteten Nerds sein, und Sie können mir glauben, dass das eine sehr reale Gefahr ist. Wir möchten vielmehr die Hauptstadien des Aufwachsens mit denen des Aufwachens verknüpfen, um die beste und schönste aller möglichen Welten zu schaffen. Diese Möglichkeit bietet sich uns erst neuerdings, nämlich seit wir das Beste der alten Weisheitstraditionen (etwa die Achtsamkeitsmeditation) mit den Erkenntnissen und Techniken der fortschrittlichsten Entwicklungsforschung (etwa in Gestalt der integralen Theorie) verbinden können. Hier finden Aufwachsen und Aufwachen, Strukturen und Zustände, Fülle und Freiheit, geschickte Mittel und Weisheit erstmals wirklich zueinander. Das ist der Kern und zugleich das Anliegen der integralen Achtsamkeit.

 

Wie werde ich durch integrale Achtsamkeit gesünder, glücklicher und produktiver?

 

Wir haben einiges bereits kurz angesprochen, und ich möchte hinzufügen, dass es der integralen Theorie gelungen ist, viele dieser verborgenen Landkarten durch »integrale Methodik« aufzudecken – ein eindrucksvoller Name für etwas ganz Einfaches. (Und falls Ihnen noch nicht ganz klar ist, was »verborgene Landkarten« eigentlich sind, werden wir das im weiteren Verlauf an zahlreichen Beispielen sehr deutlich machen, versprochen.) Diesem integralen Ansatz zufolge sind auf fast allen menschlichen Tätigkeitsfeldern – von Wissenschaft und Moral über Literatur und Wirtschaftswissenschaft bis hin zur Spiritualität – gewisse Teilwahrheiten oder »zutreffende, aber einseitige« Ideen anzutreffen. Nehmen wir als Beispiel die Literatur. Sie wird oft als Gegensatz zur Naturwissenschaft angesehen, der man nachsagt, sie bringe nur reine Tatsachen oder eben Wahrheit ans Licht, während es in der Literatur um erdachte oder fiktive Realitäten gehe, die nicht im wissenschaftlichen Sinne real seien. Ist Literatur dann »unwahr«? Keineswegs. In der Literatur geht es auch darum, wie Menschen die Welt deuten oder interpretieren, und Deutungen gehören zum Grundbestand unseres Menschseins, nicht einmal Wissenschaft wäre ohne sie möglich. Demnach ist Literatur nicht einfach reine Fantasie, sondern »zutreffend, aber einseitig«. Und das gilt für so gut wie alles, womit sich Menschen befassen. Deshalb kann die Frage nicht mehr lauten »Welcher dieser Ansätze liefert uns Wahrheit?«, sondern wir müssen fragen: »Wie kann unsere Welt so eingerichtet sein, dass sich in allen Ansätzen Teile der Wahrheit finden?« Wir könnten auch sagen: »Jeder hat recht« – mehr oder weniger. Integrale Theorie interessiert sich demnach nicht dafür, wer recht hat, sondern fragt, wie wir das alles zu einem Ganzen fügen können. »Integral« bedeutet ja umfassend, einbeziehend, übergreifend – alles fügt sich zu einem Ganzen.

Die Vertreter der integralen Theorie fingen also an, sich all die Landkarten anzusehen, die von Menschen in vormoderner, moderner und postmoderner Zeit angelegt worden sind. Dann unternahmen sie es, eine Misch-Karte daraus zu erstellen, eine alles umfassende Karte, eine Super-Karte, wenn Sie so wollen, in die die zutreffenden, aber einseitigen Anteile aller Einzelkarten eingehen sollten, und zwar so, dass sie sich gegenseitig ergänzen würden. Diese »Super-Karte« enthält die wesentlichen Elemente praktisch aller großen Landkarten, die je von Menschen geschaffen wurden. Es ist keine Karte, die bis ins kleinste Detail alles zeigt (so etwas dürfte kaum möglich sein), sondern wir müssen uns das ähnlich einem Übersichtsbild aus fünfzehn Kilometern Höhe vorstellen, das alle Umrisse und Strukturen akkurat wiedergibt, das heißt, die Grundzüge des menschlichen In-der-Welt-Seins erfasst. Diese integrale Karte oder Super-Karte haben wir AQUAL genannt – das Kürzel steht für »Alle Quadranten, alle Levels«, aber Sie müssen das jetzt nicht auswendig lernen, wir werden alles an geeigneter Stelle genau betrachten und erklären. Im Moment geht es darum, dass sich die integrale Theorie mit dieser neuen übergreifenden Karte in der Hand gezielt auf die Suche nach Fehlern in den einzelnen Landkarten machen konnte. Die waren wie gesagt alle in die neue Super-Karte eingearbeitet worden, so dass Fehler und Mängel geradezu überdeutlich herausstachen.

Sie werden im weiteren Verlauf nach und nach mit dieser übergreifenden Landkarte vertraut werden und mit ihrer Hilfe die versteckten Landkarten und Bezugsgrößen erkennen können, nach denen Sie derzeit Ihr Leben ausrichten. Anschließend können Sie Ihre Karte gegen die integrale Karte halten, um zu erkennen, wo Unstimmigkeiten sind, um sich schließlich Ihrer alten Landkarte achtsam zuzuwenden, bis ihr Einfluss nachlässt und Sie eine dem »Gelände« angemessene, vollständigere und gesündere Karte an ihre Stelle setzen können.

In der Computerwissenschaft gibt es seit den sechziger Jahren das Kürzel GIGO. Es steht für »garbage in, garbage out« und besagt, dass ein Computer, der fehlerhaft – oder eben mit »Müll« – gefüttert wird, aufgrund seiner strengen Logik auch nur Müll auswerfen kann. Das gilt auch für die versteckten und unerkannten Landkarten. Die integrale Achtsamkeit spürt den »Müll« in diesen Landkarten auf, setzt ihn der Sonne des reinen Bewusstseins aus und räumt ihn schließlich beiseite, um neue, dem Gelände entsprechende Karten zu erstellen – und dieses Verfahren lässt sich auf alle Bereiche Ihres Lebens übertragen. Auf diese Art, um auf die letzte Frage zurückzukommen, trägt der integrale Ansatz dazu bei, dass Sie sich ein gesünderes, glücklicheres und produktiveres Leben schaffen können.

Zwei Arten der Spiritualität

Ist Achtsamkeit eine spirituelle oder religiöse Praxis? Falls ja, in welchem Sinne?

 

Das hängt davon ab, was Sie unter »spirituell« verstehen. Gehen wir langsam, entspannt und schrittweise vor. Tatsächlich haben wir noch zu klären, was genau wir mit Religion und Spiritualität meinen (und weshalb manche Leute sagen, sie seien »spirituell, aber nicht religiös«). Und wenn Sie zu denen gehören, die überhaupt keinen Sinn für das haben, was man heute gemeinhin unter Spiritualität oder Religion versteht, werden Sie die Definitionen, die wir jetzt erarbeiten wollen, besonders interessant finden. Sehr wahrscheinlich gibt Ihr Begriff von Spiritualität nicht das wieder, was Spiritualität eigentlich sein soll, nämlich ein Weg zum Aufwachen; und sehr wahrscheinlich wird Ihr Interesse erwachen, wenn Sie eine Vorstellung von dieser echten Spiritualität bekommen haben.

Einleitend möchte ich noch einmal hervorheben, dass es mindestens zwei Arten von Spiritualität und Religion sowie deren Zielvorstellungen gibt. Die erste Form wird von den Fachleuten gern »narrativ« genannt; sie tritt besonders häufig in »mythisch-wörtlicher« Gestalt auf. Gemeint ist damit, dass solch eine Religion aus Erzählungen, Geschichten und Mythen besteht, die von der Beziehung der Welt und des Menschen zu einem göttlichen Wesen handeln (und von Regeln oder Gesetzen, nach denen sich der Mensch zu verhalten hat, damit die Beziehung zum Göttlichen stimmt). Wichtig ist hier, dass die mythischen Berichte als buchstäblich wahr angesehen werden und demnach ganz wörtlich genommen werden sollen (daher die Bezeichnung »mythisch-wörtlich«). Fundamentalistische Auffassungen von Religion sind meist von diesem Typus. Fundamentalistische Christen beispielsweise glauben, Moses habe wirklich das Rote Meer geteilt und Gott habe wirklich alle Menschen außer Noah und den Seinen in der Sintflut ertränkt. Ja, und Noah habe tatsächlich ein Pärchen sämtlicher Tierarten an Bord der Arche gebracht (darunter die 180000 Insektenarten und sicher doch auch Bakterien und Viren). Weiter gehört zu dieser Art von mythischer Religionsauffassung meist auch ein Repräsentant des höchsten göttlichen Wesens, der als Erlöser der Menschheit angesehen wird, und wenn Sie das alles glauben, winkt Ihnen die himmlische Ewigkeit in der Gegenwart dieses göttlichen Wesens höchstselbst. Glauben Sie aber weder die Storys noch an den einen wahren Erlöser, werden Sie für immer und ewig in der Hölle schmoren (oder sehen entsetzlichen Wiedergeburten in endloser Folge entgegen).

Bei diesem Typ Religion geht es um Strukturen des Bewusstseins, und das sind in der Regel nicht übermäßig hoch entwickelte Strukturen oder sie repräsentieren frühkindliche Entwicklungsstufen mit den zugehörigen verborgenen Landkarten – der Entwicklungsstand entspricht den frühen Stadien des Aufwachsens.

Die andere Art von Spiritualität ist kein Glaubenssystem, sondern eine im Grunde psychologisch ausgerichtete Technik der Bewusstseinstransformation. Hier geht es um die Zustände des Bewusstseins und ihre Veränderung. Es werden meditative und kontemplative Praktiken eingesetzt, die eine Öffnung für höhere Bewusstseinszustände bewirken sollen, und zu diesen gehört auch ein Gefühl des Einsseins mit allem. Anders gesagt: Hier wird das reine Aufwachen angestrebt. Eine dieser Praktiken ist die Achtsamkeitspraxis, ursprünglich eine Form der buddhistischen Meditation, mit der ein Nirwana genannter höchster Zustand angestrebt wird. Durch Achtsamkeitspraxis im zeitlosen Jetzt, sagen die Lehren, kann unser Bewusstsein in die Erfahrung der Einheit mit dem höchsten, grenzenlosen, eigenschaftslosen, grundlosen Grund allen Seins eintreten, in einen Zustand, der Erleuchtung, Befreiung oder Erwachen genannt wird. Man erwacht dabei aus dem Wirrwarr pausenloser unzusammenhängender Gedanken und Realitätsvorstellungen, die praktisch alles menschliche Handeln leiten und endlose Leiden nach sich ziehen, und man erwacht zu seiner reinen, lichtvollen, offenen und klaren Bewusstheit, in der es keine zerfahrenen und kaputten Gedanken und Weltbilder gibt.

Manchmal wird hier auch von der Entdeckung unseres höchsten Ichs oder unseres wahren Wesens gesprochen, und dieses Entdecken hat viel mehr mit Psychologie als mit Religion zu tun. Wenn Sie das unter Spiritualität verstehen, ist Achtsamkeit spirituell und war von Anfang an eine spirituelle Praxis. Es hat sich nur gezeigt, dass sie eine ganze Reihe anderer Wirkungen hat, die von untergeordneter Bedeutung sein mögen, aber trotzdem wertvoll sind – bessere Gesundheit, mehr seelisches Wohlbefinden, bessere Beziehungen beispielsweise. Viele heutige Achtsamkeit-Praktizierende lassen die spirituelle Seite der Achtsamkeitspraxis deshalb lieber unerwähnt, einfach weil sie befürchten, dass sie dann mit den immer noch vorherrschenden mythisch-wörtlichen Strömungen der gegenwärtigen Religiosität konfrontiert werden, also mit der erwähnten narrativen Form der Religion oder Spiritualität. Sollten Sie das mit »spirituell« meinen, wäre Achtsamkeit in der Tat kein bisschen spirituell.

Wir müssen unsere Begriffe hier also mit Bedacht wählen. Wenn Sie mit »spirituell« eines der früheren Stadien des Aufwachsens meinen, also etwa die mythisch-wörtliche Stufe, dann ist Achtsamkeit überhaupt nicht spirituell. Eine zutiefst spirituelle Praxis ist Achtsamkeit dagegen dann, wenn Sie den höchsten Bewusstseinszustand im Sinn haben, nämlich reines Bewusstsein der Einheit oder der höchsten Identität.

Ihre persönliche Entwicklung

Wie kann ich die integrale Achtsamkeit für meine persönliche Entwicklung nutzbar machen?

 

Anhand dieser Frage kann man den Stellenwert der integralen Theorie sehr schön verdeutlichen. Sie wissen, dass ein Mensch bei seiner Geburt noch nicht voll entwickelt ist, sondern dass wir alle mit Anlagen zur Welt kommen, die sich erst mit den Jahren und schließlich bis zur Reife entwickeln. Wie Eicheln zu Eichen werden und aus Eiern Küken schlüpfen, so wächst der Mensch vom Embryo zum reifen Organismus heran. Es gibt Dutzende Modelle dieses Entwicklungsgangs und seiner Stadien, die unsere Anlagen bei ihrer Entfaltung durchlaufen – Modelle des Aufwachsens also.

So zahlreich die Modelle auch sein mögen, erstaunlicherweise zeigen sie alle sechs bis acht Hauptstufen der Entwicklung auf. Noch erstaunlicher ist, wie wir bereits erwähnt haben, dass diese Hauptstufen überall auf der Welt gleich benannt werden. In meinem Buch Integrale Psychologie habe ich mehr als hundert dieser Entwicklungsmodelle in Diagrammen dargestellt, und es ist wirklich auffallend, wie ähnlich die Stadien oder Ebenen bei näherer Betrachtung formuliert werden. Manche Darstellungen fassen die Stadien zu fünf Hauptebenen zusammen, andere fächern sie auf und geben sechzehn oder mehr Ebenen an, aber alles in allem tauchen immer wieder die gleichen sechs bis acht Ebenen auf.

Diese Ebenen oder Stufen sind die Landkarten, nach denen wir Menschen uns die Welt zurechtlegen. Wir haben sie bereits als Strukturen, verborgene Grammatik oder verborgene Landkarten bezeichnet, nach denen wir die Welt von jeder der sechs bis acht Hauptebenen unserer Entwicklung aus sehen, fühlen und deuten. Wir gehen in der Regel davon aus, dass alles, was wir »da draußen« wahrnehmen, wirklich da draußen ist und jedem anderen so erscheint wie uns: Man braucht doch nur hinzuschauen. Die Entwicklungsforschung macht jedoch zweifelsfrei erkennbar, dass wir die Welt auf jeder Entwicklungsstufe vollkommen anders wahrnehmen und auslegen. Jede Entwicklungsstufe besitzt ihre eigene Grammatik, ihre eigene Struktur, ihre eigene Karte des Geländes ihrer Erfahrung. Die Abweichungen sind so beträchtlich, dass manche Entwicklungsforscher sagen, jedes dieser Stadien sei eigentlich eine Welt für sich. Jedenfalls sind sie aber sehr unterschiedlich, und wenn man einmal ein Auge dafür bekommen hat, erkennt man sie überall.

Beginnen wir also mit der Betrachtung dieser Stadien oder Ebenen als eine Art Einführung in die Anwendung der integralen Meditation für Ihre persönliche Entwicklung. Sie werden ohnehin Gegenstand Ihrer bewussten Achtsamkeit sein und Ihnen – vermutlich erstmals – die verborgene Landkarte oder Grammatik vor Augen führen, die Ihr Leben in weiten Teilen bestimmt, ohne dass Sie es auch nur merken.

Das bedeutet, dass wir uns zum eigentlichen Beginn unserer integralen Achtsamkeitspraxis ein paar der neueren und aktuellen Entdeckungen ansehen, die Gegenstände unserer Achtsamkeitsmeditation sein werden, und zwar eben diese sechs bis acht verborgenen und unbemerkten Landkarten oder Grammatiken, die unsere Wahrnehmung der Welt so weitgehend bestimmen. Wir sind schon über eine Million Jahre auf dieser Erde, und die verborgenen Landkarten wurden erst im Laufe der letzten hundert Jahre entdeckt. Ich erwähne das noch einmal, weil sie wirklich zu den gewaltigsten Entdeckungen der Menschheit gehören.

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Aufwachsen: die verborgenen Landkarten der Entwicklung

Es folgt jetzt eine kurze Führung durch die sechs bis acht Stadien der Entwicklung oder des Aufwachsens, die in praktisch allen Schulen der Entwicklungsforschung ungefähr gleich gesehen und benannt werden. Es sind Stadien oder Stufen, die sich historisch gesehen nacheinander herausbildeten. Jede neu entstandene Stufe, die ihre Form gefunden hatte, blieb dann bestehen, und alle von da an geborenen Menschen durchliefen sie bei ihrer individuellen Entwicklung – wie sie auch alle früheren Stufen der Menschheitsevolution durchliefen, und zwar in der Reihenfolge, in der sie ursprünglich aufgetreten waren. Es entstand so etwas wie eine Sedimentschichtung menschlichen Seins und Bewusstseins. Wir werden uns im weiteren Verlauf zahlreiche Anhaltspunkte für diese Sicht der Dinge vergegenwärtigen, aber jetzt wollen wir einfach mal mit der frühesten und ältesten dieser Stufen oder Ebenen des Seins, Erkennens und Fühlens beginnen. Sie wird gelegentlich »primitiv« genannt, jedenfalls ist es die ursprüngliche Stufe, die wir »archaisch« nennen und mit der Zusatzbezeichnung »Ultrarot« markieren.

Erste Stufe: archaisch (Ultrarot)

Ein Mensch kommt ohne das Gefühl, ein gesondertes, eigenständiges Ich zu sein, auf die Welt. Ein Neugeborenes weiß nicht, wo sein Körper aufhört und die übrige Welt anfängt. Es ist vollkommen mit seiner Mutter und der Umgebung verschmolzen, eins mit allem. Man spricht hier von der archaischen Stufe, der symbiotischen Stufe, der Stufe der Verschmolzenheit oder der sensomotorischen und physiologischen Grundstufe, der die Farbe Ultrarot zugeordnet wird. (Wir verwenden hier manchmal lieber Farben oder Zahlen zur Bezeichnung, weil Namen wie »archaisch« oder »symbiotisch« längst nicht alles wiedergeben, was eine Stufe ausmacht, und deshalb irreführend sein können. Das kann man durch neutrale Bezeichnungen mit Farben oder Zahlen umgehen. Ich denke, Sie werden sich daran gewöhnen und dann auch mühelos damit umgehen können.) Sie müssen sich das jetzt nicht einprägen, Sie werden im Weiteren jederzeit alle erforderlichen Informationen bekommen.

Mit etwa vier Monaten, in einer Unterphase, die man gern als »Schlüpfen« bezeichnet, lernt der Säugling, seinen Körper von der physischen Umwelt zu unterscheiden, aber im Gefühlsbereich kann er dann noch nicht zwischen seinem eigenen emotionalen Ich und dem der Mutter oder anderer Personen unterscheiden. Das Kind erlebt sich und seine Mutter als eine Art »duale Einheit« mit einem übergreifenden oder eben verschmolzenen Ich-Gefühl. In der Psychoanalyse wird das »orale Phase« genannt, in der Bedürfnishierarchie Abraham Maslows ist es die Stufe der »physiologischen Bedürfnisse« wie Nahrung, Wärme, Wasser und Geborgenheit; in der Entwicklungspsychologie Jean Piagets ist es der Beginn der sensomotorischen Unterphasen, und der Philosoph Jean Gebser verwendet den Ausdruck »archaische Phase«. Mindestens das erste Lebensjahr ist von diesem undifferenzierten Zustand der Verschmolzenheit geprägt.

Erwachsene bleiben normalerweise nicht in diesem Stadium, es sei denn, sie erleiden Gehirnschäden oder fallen durch Krankheiten wie Alzheimer in dieses Stadium zurück. Es kommt aber vor, dass irgendein Aspekt unseres Bewusstseins an dieses Stadium gebunden bleibt; die Psychoanalyse spricht dann beispielsweise von einer »oralen Fixierung«, und das ist ein Gebiet, das wir im Auge behalten müssen, einfach weil solche Möglichkeiten immer bestehen. Orale Fixierung und ihr Gegenteil, orale Dissoziation, sind weit verbreitet, und sie führen gern zu »oralen Süchten« beziehungsweise »oralen Allergien«. Wir sprechen von Problemen, die mit unseren Grundbedürfnissen und Grundantrieben in Zusammenhang stehen. Hier also wollen wir mit der integralen Achtsamkeit ansetzen.

 

Ich möchte an dieser Stelle noch auf ein paar grundsätzliche Gesichtspunkte zur Dynamik der Entwicklung aufmerksam machen. Wir werden uns das später noch an vielen Beispielen verdeutlichen. Jede nächsthöhere Entwicklungsstufe geht über die vorherige hinaus, schließt sie jedoch ein, sie behält also alles in der vorhergehenden Stufe Erreichte bei, »transzendiert« sie jedoch in dem Sinne, dass sie etwas hinzufügt, was vorher noch nicht da war, etwas Neues, Neuartiges oder »Emergentes«, das sie zu einer mehr umfassenden und in diesem Sinne höheren Stufe macht. Wenn wir uns etwa die Evolutions-Sequenz Atom–Molekül–Zelle–Organismus ansehen, geht jede neue Stufe über die vorhergehenden hinaus, indem sie etwas Neuartiges, also vorher nicht Vorhandenes einführt, sie transzendiert ihre Vorgänger, wie beispielsweise Moleküle über Atome hinausgehen. Aber jedes Stadium nimmt auch seine Vorgänger in sich auf und schließt sie ein: Die Atome bleiben im Molekül erhalten. Dieser Prozess des Transzendierens und Einschließens erstreckt sich auf die gesamte Sequenz der sechs bis acht Stufen menschlichen Wachstums und menschlicher Entwicklung, die wir hier betrachten. Und bei diesen Übergängen von jeder Stufe zur nächsthöheren kann etwas schiefgehen. Wenn das Transzendieren nicht ganz klappt, wenn also die nächsthöhere Stufe nicht klar und vollständig über die vorherige hinausgeht, werden Teile der neuen Stufe auf die vorhergehende »fixiert« bleiben, und es entsteht ein entsprechendes »Suchtpotenzial«. Geht andererseits beim »Einschließen« etwas schief, so dass die neue Stufe die vorherige nicht wirklich in sich aufnimmt und integriert, sondern sie stattdessen dissoziiert, das heißt sie verneint, verleugnet und abspaltet, wird sie »Allergien« gegen diese zurückgewiesenen Anteile entwickeln. Sucht und Allergie sind demnach die beiden Gefahren, die bei jedem Evolutions- oder Entwicklungsschritt gegeben sind, weil es immer darum geht, das Alte zu transzendieren und einzubeziehen. Wir werden uns das im weiteren Verlauf an zahlreichen Beispielen verdeutlichen.

 

Wenn wir bei den Grundbedürfnissen und Grundantrieben mit der integralen Achtsamkeit ansetzen wollen und als Beispiel den Hunger und das Verlangen nach Nahrung nehmen, müssen wir vom Bewusstsein des eben jetzt vorhandenen Hungers ausgehen. Wenn Sie also Hunger haben, dann richten Sie sich jetzt auf dieses Verlangen aus, und wenn Sie satt sind, stellen Sie sich einfach vor, Sie hätten Hunger. Da ist dieses tiefe Verlangen, ein primitiver und sehr starker Antrieb, dieses Grundbedürfnis zu befriedigen, nämlich bis zur Sättigung zu essen und keinen Hunger mehr zu verspüren. Wenn dieses Verlangen in Ihnen wach wird und Sie die Stufe der Grundbedürfnisse und Grundantriebe nicht beim Übergang zur nächsthöheren Entwicklungsstufe gänzlich transzendiert und einbezogen oder integriert haben – wenn Sie also irgendwie an dieser Stufe hängengeblieben sind und jetzt nicht einfach ein orales Bedürfnis verspüren, sondern eine orale Fixierung haben –, wird dieser Antrieb Sie beherrschen, sobald er sich meldet: Sie haben nicht Hunger, sondern der Hunger hat Sie. Das bedeutet, dass er in Ihrem Bewusstsein, in Ihrer Identität weiterhin als »verstecktes Subjekt« vorhanden ist. Etwas in Ihnen ist noch mit dieser Stufe identifiziert.

Sollte das bei Ihnen in irgendeinem Grad der Fall sein, werden Sie jede Regung von Hunger (oder irgendeines anderen der genannten Grundantriebe) als zu sich gehörig empfinden, als das, was Sie sind. Sie haben dann nicht dieses Grundbedürfnis, sondern sind es – Sie sind Hunger und wollen nichts als Sättigung. Nichts anderes ist jetzt wichtiger, die Welt ist ganz Futter, und Sie sind ganz Mund. Der Hunger beherrscht Ihr Bewusstsein, Ihre Wahrnehmung, alles andere ist jetzt zweitrangig. Sie wollen nur noch eins: dieses peinigende Unbefriedigtsein loswerden, zumindest für jetzt (denn es wird sich natürlich wieder melden und Sie dann genauso mitreißen).

Als Sie im Verlauf Ihrer frühkindlichen Entwicklung diese Phase durchliefen, waren Sie ganz und gar damit identifiziert, sie hatten nicht Hunger, sondern waren Hunger – die Welt war tatsächlich nur Nahrung, und Sie waren tatsächlich ganz Mund. Daher der Ausdruck »orale Phase«. Und in dem Maße, in dem Sie jetzt noch mit dieser Stufe identifiziert sind, leiden Sie an einer Sucht, und zwar an Fresssucht, wie das volkstümlich und sehr unzart genannt wird. Möglicherweise sind Sie dann übergewichtig oder leiden sogar an Fettsucht im klinischen Sinne, und das ist eine wirklich ernste Krankheit. In den USA sind rund 60 Prozent der Erwachsenen übergewichtig und ein Drittel ist im klinischen Sinne adipös oder fettleibig. In dieser Hinsicht befindet sich das Bewusstsein des Landes auf der archaischen Stufe, getrieben von den ältesten Grund- oder Ur-Trieben lebender Organismen nach Nahrung, Wasser, Wärme und Unterkunft.

In der integralen Theorie verwenden wir den von Arthur Köstler geprägten Begriff Holarchie für eine geschachtelte Hierarchie von Wachstumsschritten, in der jede nächsthöhere Entwicklungsstufe alle vorangehenden transzendiert und einschließt, so dass alle niederen Stufen in der höheren enthalten sind. Die früheren oder niederen Stadien sind insofern grundlegend, als alle höheren Entwicklungsstufen von ihnen abhängig sind. Atome, um bei der eben genannten Holarchie zu bleiben, sind auch in Molekülen, Zellen und Organismen enthalten und müssen