Interaktionen zwischen Pflegenden und Personen mit Demenz - Elisabeth Höwler - E-Book

Interaktionen zwischen Pflegenden und Personen mit Demenz E-Book

Elisabeth Höwler

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Beschreibung

Zwischen Pflegenden und Personen mit Demenz laufen Interaktionsprozesse ab, die von den Kranken unbewusst wahrgenommen werden und die sich auf die Pflegesituation auswirken. Diese Aspekte zu pflegerischer Interaktion werden hier diskutiert, anschließend leiten aktuelle Forschungsergebnisse zu Interaktionsmustern von demenziell veränderten Personen über. Die in der Langzeitpflege durchgeführte Beobachtungsstudie identifiziert typische Interaktionssituationen, aus denen fachdidaktische Schlussfolgerungen für die Pflegeausbildung abgeleitet werden. Zahlreiche Beispiele und konkrete Umsetzungsmöglichkeiten bieten eine sichere Grundlage für die Übertragung in die Pflegeausbildung und sollen dazu beitragen, pflegeberufliche Haltungen und Kompetenzen zum Umgang mit Personen mit Demenz herauszubilden.

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Zwischen Pflegenden und Personen mit Demenz laufen Interaktionsprozesse ab, die von den Kranken unbewusst wahrgenommen werden und die sich auf die Pflegesituation auswirken. Diese Aspekte zu pflegerischer Interaktion werden hier diskutiert, anschließend leiten aktuelle Forschungsergebnisse zu Interaktionsmustern von demenziell veränderten Personen über. Die in der Langzeitpflege durchgeführte Beobachtungsstudie identifiziert typische Interaktionssituationen, aus denen fachdidaktische Schlussfolgerungen für die Pflegeausbildung abgeleitet werden. Zahlreiche Beispiele und konkrete Umsetzungsmöglichkeiten bieten eine sichere Grundlage für die Übertragung in die Pflegeausbildung und sollen dazu beitragen, pflegeberufliche Haltungen und Kompetenzen zum Umgang mit Personen mit Demenz herauszubilden.

Elisabeth Höwler, Altenpflegerin, Lehrerin für Pflege, Dipl.-Pflegepädagogin, Fachbuchautorin, Dozentin in der Aus- und Fortbildung.

Elisabeth Höwler

Interaktionen zwischen Pflegenden und Personen mit Demenz

Ein pflegedidaktisches Konzept für Ausbildung und Praxis

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Die Wiedergabe von Warenbezeichnungen, Handelsnamen und sonstigen Kennzeichen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass diese von jedermann frei benutzt werden dürfen. Vielmehr kann es sich auch dann um eingetragene Warenzeichen oder sonstige gesetzlich geschützte Kennzeichen handeln, wenn sie nicht eigens als solche gekennzeichnet sind.

1. Auflage 2007 Alle Rechte vorbehalten © 2007 W. Kohlhammer GmbH Stuttgart Umschlag: Gestaltungskonzept Peter Horlacher Gesamtherstellung: W. Kohlhammer Druckerei GmbH + Co. KG, Stuttgart Printed in Germany

Print: 978-3-17-019399-4

E-Book-Formate

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978-3-17-026501-1

epub:

978-3-17-027904-9

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Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Teil I

1 Theoretische Aspekte zur pflegerischen Interaktion

2 Demenzpflege als positive Arbeit an der Person

2.1 Der personzentrierte Ansatz von Kitwood

2.2 Das Triadenmodell

2.3 Positive Interaktionen

3 Einflussfaktoren auf die Interaktion

3.1 Neurologische Einflussfaktoren

3.2 Biographische Einflussfaktoren

3.3 Personelle Einflussfaktoren

3.4 Institutionelle Einflussfaktoren

4 Herausforderndes Verhalten als Antwort auf gestörte Interaktionsprozesse

5 Forschungsstand über Interaktionsprozesse mit dementen Personen

Teil II

6 Empirischer Teil

6.1 Nicht-teilnehmende Beobachtung

6.2 Ablauf der Untersuchung

6.3 Ethische Aspekte

6.4 Beschreibung des Personenkreises

6.5 Die Untersuchungssituation

6.6 Datenerhebung

6.7 Datenauswertung

6.8 Grenzen der qualitativen Untersuchung

7 Darstellung und Interpretation der Ergebnisse

7.1 Nonverbale Kommunikation

7.2 Wertschätzende, empathische Haltung

7.3 Beachtung von Autonomie

7.4 Sensorische Wahrnehmung

7.5 Reaktionen der Bewohnerinnen auf personuntergrabende Interaktionen

7.6 Reaktionen der Bewohnerinnen auf personzentrierte Interaktionen

7.7 Zusammenfassende Darstellung der Untersuchungsergebnisse

Teil III

8 Pflegedidaktische Entwicklungslinien für die praktische Pflegeausbildung

8.1 Grundlegende Struktur des Konzepts

8.2 Pflegerelevante Inhalte für den fachpraktischen Einsatz

8.3 Persönliche Anforderungen an Auszubildende

8.3.1 Selbstbildung

8.3.2 Suchhaltung und Abwehrverhalten

8.3.3 Wertschätzende, empathische Haltung

9 Lernziele für den fachpraktischen Einsatz Sag es mir und ich werde es vergessen.

10 Didaktische Methoden für das Lehren und Lernen

10.1 Die Beobachtungsaufgabe

10.2 Die nicht-teilnehmende Beobachtung

10.3 Die Videointerpretation

10.4 Der klinische Unterricht

11 Die pädagogische Aufgabe der Fachlehrenden im Lernprozess

12 Ausblick und weiterführende Fragen

13 Glossar

14 Literatur

15 Anhang

Für Salem

Vorwort

Wenngleich in den letzten Jahren einige Konzepte zur pflegerischen Begleitung dementer Menschen entwickelt wurden, so stößt die Versorgung durch Angehörige, aber auch durch professionell Pflegende, an ihre Grenzen, wenn sich die von Demenz betroffenen Menschen verändern und Verhaltensweisen zeigen, die nur schwer zu verstehen sind. Die Lebenswelt und die Bedürfnisse der Betroffenen scheinen hier von besonderer Bedeutung zu sein. Genau diesen Blick der „Mikroperspektive‘‘ greift die Autorin auf, indem sie sich eingehend mit Interaktionsprozessen auseinandersetzt, die zwischen Bewohnern mit Demenz und Pflegenden während der pflegerischen Situation der Körperpflege stattfinden. Aus diesen Erkenntnissen werden im zweiten Teil der Arbeit pflegedidaktische Perspektiven für die praktische Pflegeausbildung dargelegt.

Im Mittelpunkt dieser Studie steht der Lebens- und Versorgungsalltag der betroffenen Menschen, die auf Pflege angewiesen sind. Dabei werden typische Interaktionssituationen der Pflegerealität mittels einer Beobachtungsstudie identifiziert. Interaktionen mit dementen Menschen erleben Pflegende als besondere Belastung, die zudem durch einen Mangel an Zeit, Anerkennung und unzureichenden strukturellen sowie organisatorischen Rahmenbedingungen verstärkt wird. Die Ergebnisse zeigen teilweise starre Pflegeabläufe, in denen der Bewohner zum Objekt der Pflege, ihrer Organisation und Zeiteinteilung wird. Aus diesen Erkenntnissen und unter Berücksichtigung des personzentrierten Ansatzes von Kitwood werden pflegedidaktische Perspektiven für die praktische Pflegeausbildung erarbeitet.

Die bislang vertrauten funktional ausgerichteten Pflegeausbildungskonzepte erscheinen unter dieser Perspektive fragwürdig. Die Autorin entwickelt ein erfahrungs- und theoriegeleitetes Konzept, in dem komplexe, pflegerische Interaktionsverläufe für nachhaltige Lernprozesse genutzt werden. Der Anspruch, den Menschen in seiner Würde zu achten, schlägt sich entsprechend in dem entwickelten pflegedidaktischen Konzept und

dem darin verhandelten Rollenverständnis von Bewohner und Pflegeperson nieder. Dabei spielt die Reflexion eigener Haltung und das Verständnis der Perspektive für die Bewohner eine bedeutende Rolle.

Junge Menschen in der Ausbildung auf pflegerische Handlungsfelder kompetent vorzubereiten, dazu bedarf es der Sensibilisierung für diese Thematik nicht nur am Lernort Schule, sondern insbesondere auch am Lernort Praxis, in dem problemhaltige Pflegesituationen reflektiert werden. Dabei geht es um die allmähliche Hin- und Einführung der Auszubildenden in eine Pflegekultur, in der die Bewohner als Personen geachtet werden und diese Haltung im Pflegealltag gelebt wird. Inwieweit dies möglich wird, ist u. a. davon abhängig, wie es gelingt, das Vermögen zur bewussten Ausbalancierung von Distanz und Nähe zu fördern, so dass die Sensibilität für die Spannung von Nähe und Distanz zum pflegerischen Habitus wird. Genau darauf zielt das hier entwickelte pflegedidaktische Konzept, in dem berufliche Handlungssituationen zu nachhaltigen Lernsituationen werden, mit dem Ziel, Auszubildende für die komplexen pflegerischen Interaktionen vorzubereiten, damit sie zum Wohlbefinden dementer Menschen beitragen können und darüber hinaus Berufszufriedenheit erfahren.

Auch wenn heute weitgehend ungeklärt ist, wie sich pflegeberufliche Haltungen und Kompetenzen einüben und umsetzen lassen, so werden hier zahlreiche Anregungen, Beispiele und konkrete Umsetzungsmöglichkeiten aufgezeigt, die für die Weiterentwicklung pflegedidaktischer Modelle von Bedeutung sein werden und einen Beitrag zum pflegedidaktischen Diskurs leisten. Für Lehrende in Theorie und Praxis der Pflegeausbildung und Studierende im Bereich Gesundheit und Pflege wird dieses Buch von besonderer Relevanz sein.

Ich wünsche den Lesern erhellende Erkenntnisse, vor allem aber ein Nachdenken und Nachspüren der eigenen Haltung im Umgang mit dementen Menschen.

Berlin, im Sommer 2006 .

Roswitha Ertl-Schmuck

Was ist Pflege? Pflege ist nicht das, was Pflegende tun. Pflege ist auch nicht das, wovon Pflegende denken, dass sie es tun. Pflege ist das, was geschieht, wenn Pflegende tun, was sie Pflege nennen. (Francis Biley, Prof. an der Universität von Cardiff in Wales)

Einleitung

Interaktionsprozesse zwischen Bewohnerinnen1 mit einer demenziellen Erkrankung2 und Pflegenden in stationären Langzeitpflegeeinrichtungen3, die das Person-Sein der Kranken stärken und fördern, bedingen eine personzentrierte Pflege. Für diese spezifische Pflege werden von Pflegenden zukünftig hohe interaktive Fähigkeiten, Kreativität und Empathie verlangt. Die Pflegebereiche von stationären Einrichtungen der Altenhilfe werden inzwischen vorwiegend durch demenziell erkrankte Menschen geprägt (vgl. Füsgen 2004, S. 36). Nach Erhebungen der Berliner Altersstudie sind 71,1 % aller Personen mit Demenz in Pflegeheimen untergebracht (vgl. Mayer/Baltes 1999). Für diese Personengruppe wird die intramurale Pflege im weiteren Krankheitsverlauf zu 80 % unumgänglich, weil aufgrund gesundheitlicher Belastungen der pflegenden Angehörigen die häusliche Versorgung nicht mehr aufrecht gehalten werden kann (vgl. Bickel 1996; Hirsch/Kastner 2004). Die Praxis der Demenzpflege gestaltet sich derzeitig als eine Angelegenheit des Sich-Kümmerns, vorwiegend um körperliche Bedürfnisse. Eine neue Demenzpflegekultur, die u. a. aus Interaktionsprozessen zur Förderung des Person-Seins entwickelt werden sollte, brächte dieser Klientel entscheidende Vorteile. So wäre es den Pflegenden kaum mehr möglich, die psychische Vernachlässigung von Bewohnerinnen zu rechtfertigen. Das folgende Zitat von Frau S. bei der morgendlichen Körperpflege verdeutlicht die Notwendigkeit einer solchen Demenzpflegekultur:

„Ich kann nicht mehr machen, was ich will. Ich muss das machen, was andere wollen!“ (8. Beobachtung)

Kann eine Bewohnerin mit Demenz ihre eigenen Bedürfnisse nicht mehr erfüllen, so wird Pflege4 notwendig. Diese Pflege besteht darin, erkrankten Bewohnerinnen in einer Langzeitpflegeeinrichtung bei der Erfüllung ihrer Bedürfnisse zu helfen, damit sie Wohlbefinden und eine Maximierung der Lebensqualität erfahren können. Der personzentrierte Ansatz nach Kitwood eignet sich gut, um das relative Wohlbefinden und die Lebensqualität der Klientel zu verbessern und beachtet, dass Pflegende nicht als die letztendlichen Entscheidungsträger fungieren. Der niedrige Demenzpflegeindex in deutschen Pflegeheimen5 ist möglicherweise nicht primär ein Ergebnis struktureller Unzulänglichkeiten, sondern begrenzter interaktiver Fähigkeiten des examinierten Pflegepersonals. Es kann davon ausgegangen werden, dass die praktische Pflegeausbildung nicht ausreicht, um eine personzentrierte Pflege umzusetzen. Auszubildende werden bereits vom ersten Praxiseinsatz an real mit der Pflege von demenziell erkrankten älteren Menschen konfrontiert. Bei der praktischen Altenpflegeausbildung wird vermutlich zurzeit versäumt, den Interaktionsprozess bei Personen mit Demenz verstärkt in den Mittelpunkt zu stellen. Aus diesem Grunde können beruflich Pflegende sich den täglichen Anforderungen dieser anspruchsvollen Pflege nicht ausreichend stellen und zu einer neuen Demenzpflegekultur beitragen.

Um die Bedingungen einer personzentrierten Pflege zu klären, sollen folgende Fragen in diesem Buch beantwortet werden:

Welche personzentrierten Interaktionen sind für Bewohnerinnen mit moderater Demenz in der Situation der Körperpflege wichtig und welche Bedeutung räumen Pflegende diesen ein?

Wie reagieren die Bewohnerinnen auf personuntergrabende Interaktionen?

Wie reagieren die Bewohnerinnen auf personzentrierte Interaktionen?

Welche fachdidaktischen Perspektiven ergeben sich aus den Erkenntnissen für die praktische Pflegeausbildung?

Damit fachdidaktische Perspektiven für die praktische Pflegeausbildung, ausgehend von einem Ist-Zustand, für die Dementenpflege abgeleitet werden können, ist dieses Buch wie folgt aufgebaut:

Teil I gibt einen Überblick über theoretische allgemeine Aspekte zur Pflege als Interaktion und zeigt Interaktionen auf Grundlage des personzentrierten Ansatzes nach Kitwood auf, die dazu beitragen, das Person-Sein bei Demenzkranken zu erhalten und zu fördern. Die wichtigsten Faktoren, die Interaktionen beeinflussen und den Prozess empfindsam beeinträchtigen können, werden auf neurologischer, lebensweltlicher, personeller und institutioneller Ebene betrachtet. Im Anschluss wird herausforderndes Verhalten von demenziell erkrankten Menschen in den Kontext von Interaktionsstörungen gestellt. Der Schlussteil des Kapitels gibt einen Überblick über qualitative Forschungen zum Thema. Forschungsarbeiten zu Interaktionen zwischen Pflegenden und demenziell erkrankten Menschen kommen überwiegend aus Schweden. Hier sind besonders die Autoren Kihlgren, Norberg, Edberg, Sandgren und Hallberg zu nennen. Eine klassische Kontakt- und Interaktionsstudie von Altschul (Universitätsklinik Edinburgh) aus den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts hat Schröck 2003 aufgegriffen und deren Relevanz für die psychiatrische bzw. gerontopsychiatrische Pflege aufgezeigt. Drei deutsche Studien neueren Datums von Schilder, Arens und Renneke werden vorgestellt.

In der Beobachtungsstudie, die im Teil II erläutert wird, werden die Interaktionsmuster von Pflegenden bei der Körperpflege und dadurch bedingte Reaktionen von Personen mit Demenz untersucht. Dabei sollen Interaktionsmuster auf Grundlage des personzentrierten Ansatzes nach Kitwood analysiert werden, die eine Erhaltung und Stärkung des Person-Seins bei der Körperpflege erwirken und Reaktionen der Bewohnerinnen auf eine personuntergrabende Pflege die letztendlich das Person-Sein gefährden. Es bleibt anzumerken, dass es aufgrund der Komplexität nicht möglich gewesen ist, alle Aspekte von Interaktionen aus dem Datenmaterial der Beobachtungen aufzunehmen.

In Teil III werden die Ergebnisse der Beobachtungsstudie für die Erstellung einer fachdidaktischen Konzeption in der praktischen Pflegeausbildung entfaltet. In der Konzeptentwicklung, u. a. auf Grundlage des fachdidaktischen Modells nach Holoch, soll versucht werden, Auszubildende durch Beobachtung, Wahrnehmung, Interpretation und Reflexion im klinischen Unterricht zu befähigen, eine personzentrierte Interaktion, z. B. bei Durchführung der Körperpflege, anwenden und analysieren zu können. Auszubildende müssen auf die anspruchsvollen Interaktionen bei Personen mit Demenz in der stationären Langzeitpflege vorbereitet werden, damit sie zum Wohlbefinden dieser erkrankten Menschen beitragen können und Berufszufriedenheit erfahren.

Im Ausblick werden fachdidaktische Erkenntnisse in einem Kontext einer innovativen praktischen Pflegeausbildung gestellt.

Begriffe aus der (geronto-)psychiatrischen Pflege sind in einem Glossar im Anhang definiert. Für das Thema weitere bedeutsame Begriffsdefinitionen u. a. aus angrenzenden Bezugswissenschaften werden im Text oder in Fußnoten erläutert.

1 Da die Mehrzahl der betroffenen Personen mit Demenz in stationären Altenhilfeeinrichtungen Frauen sind, wird hier die Bezeichnung „Bewohnerin“ und „Pflegende“ aufgenommen; die männliche Bezeichnung ist aber stets mit eingeschlossen.

2 Die häufigste Form einer organischen Demenz ist nach epidemiologischen und klinischen Untersuchungen die Alzheimer Demenz mit einem Anteil von ca. zwei Dritteln an allen Demenzerkrankungen, was einer Krankenanzahl von ca. 650.000 in Deutschland entspricht (vgl. Hülshoff 2000; Bickel 2001). In diesem Buch wird ausschließlich der Begriff Demenz verwendet; damit sollen verschiedene Demenzformen mit eingeschlossen sein. Der pflegerische Umgang mit den Erkrankten richtet sich nach dem Individuum; pflegerische Grundsätze sind bei allen Demenzformen gleich zu berücksichtigen.

3 Pflegeheime stehen am Ende der Versorgungskette von alten pflegebedürftigen Menschen. Gröning bezeichnet sie als „einen Container, der all jenes auffängt, was durch die Versorgungslücken fällt, (...), sie sind ein Container für den Altersstrukturwandel insbesondere in Bezug auf die Singularisierung alter Menschen“ (Grönig 2000, S. 85). Auf die Versorgung von Personen mit Demenz sind etliche Heime konzeptionell noch nicht ausreichend ausgerichtet.

4 In der Arbeit wird auf den Begriff „Betreuung“ verzichtet, da pflegerische Handlungen, insbesondere in der direkten Pflege, stets personenbezogene Handlungen sind und der Begriff der Pflege ohne psychosoziale Aspekte unvollständig ist.

5 Ein sehr guter Demenzpflegeindex der stationären Altenpflege liegt bei 75–100; in Deutschland beträgt er zurzeit 10–30. (Dementia Care Mapping Personzentrierte Pflege & Abbildungen der Demenzpflege „Basis User“, Teilnahme der Verf. am Seminar vom 06. bis 08. April 2001, Meinwerkinstitut in Paderborn, Leitung C. Müller-Hergl)

Teil I

1 Theoretische Aspekte zur pflegerischen Interaktion

Wird der Begriff „Interaktion“6 betrachtet, kann festgestellt werden, dass in der Literatur eine Vielfalt und Ungenauigkeit auffällt. Die Definitionen weisen auf eine Bandbreite des Verständnisses von Interaktion sowie von interpersonellen Kontakten bis hin zur Kommunikation zwischen Systemen. Interaktion hat mit Sprache zu tun. Der Begriff ist von dem der Kommunikation kaum zu trennen. Im Rahmen der Pflegewissenschaft fällt der Interaktionsbegriff zurzeit unbefriedigend aus (vgl. Wied 1999, S. 136).

Interaktion (neulat.: Wechselspiel, Wechselbeziehung) ist ein Grundbegriff aus der Sozialpsychologie und bezeichnet das komplexe Wechselspiel zwischen Personen, mit denen Beziehungen ausgedrückt, Erwartungen signalisiert und gedeutet, Regeln ausgehandelt, Werte berücksichtigt und erwartet, Symbole ausgetauscht, Konflikte analysiert und zu einer Lösung gebracht sowie Handlungskonzepte und Zukunftsperspektiven geplant und Situationen strukturiert werden (vgl. Ottomeyer 1990, S. 503). Als ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal zwischen Kommunikation und Interaktion kann die gegebene bzw. nicht gegebene Wechselseitigkeit betrachtet werden: Interaktion ist ein Prozess, der Gegenseitigkeit voraussetzt, während Kommunikation (z. B. Theorien von Watzlawick oder Schulz von Thun) auch in einer Richtung stattfinden kann. (Watzlawick et al. stellen heraus, dass „man nicht nicht-kommunizieren kann“ Watzlawick et al. 1996, S. 53), d. h. jeder handelt unbewusst oder bewusst kommunikativ.

Die Fähigkeit zur Interaktion ist als eine erlernte soziale Kompetenz zu bezeichnen. Als ein grundlegendes menschliches Bedürfnis erfordert Interaktion die Fähigkeit, Botschaften und soziale Situationen wahrzunehmen und zu interpretieren. Interaktionsprozesse bestehen aus verbalen und nonverbalen Dimensionen. Die verbale Ebene beinhaltet die Lautsprache, die nonverbale Ebene die Körpersprache wie z. B. Mimik, Gestik, Körperhaltung, Verhalten, sinnlichen Wahrnehmungen und Berührungen (vgl. Kollak et al. 1999, S. 130). Durch Interpretation erhalten beide Ausdrucksformen ihre jeweilige Bedeutung. Nach Watzlawick besitzen kommunikative Handlungen einen inhaltlichen und einen Beziehungsaspekt. Durch die verbale Sprache wird eine Botschaft vermittelt, nonverbale Signale unterstreichen oder betonen das Gesagte; beide Dimensionen können aber auch in einem Widerspruch stehen. Die nonverbale Dimension definiert mehr den Beziehungsaspekt in einer Interaktion und repräsentiert somit die persönliche Haltung eines Kommunikationspartners (vgl. Watzlawick 1996, S. 55). Bei einer verständnisvollen Kommunikation befinden sich Inhaltsebene und Beziehungsebene im Gleichklang. Interaktionspartner müssen in der Lage sein, Informationen in Worte zu fassen und nonverbale Botschaften zu interpretieren. Kommunikatives Verständnis ist auch abhängig von der Lebenswelt der interpretierenden Personen sowie von deren kulturellen und normativen Bezugsrahmen. Diese Axiome der Kommunikationspsychologie nach Watzlawick sind für das Verständnis von Interaktionsprozessen besonders wichtig. Mit ihnen steht für die Pflege ein strukturiertes Instrument zur Verfügung, um Interaktionen zunächst zu beobachten, bevor sich Pflegende „in Interpretationen verstricken, die eine zielgerichtete Interaktion erschweren“ (Wied 1999, S. 138).

Anderson et al. definieren Interaktionsprozesse wie folgt: „Komponente der Theorie einer effektiven Pflegepraxis. Die Prozesse bestehen aus einer Reihe von Interaktionen zwischen Pflegenden und einem Patienten. Die Reihe läuft in einer Aufeinanderfolge von Handlungen und Reaktionen ab, bis der Patient und Pflegende gemeinsam verstanden haben, welche Verhaltensweisen oder Maßnahmen gewollt und erwünscht sind und ob so das Ziel erreicht werden kann“ (Anderson et al. 2002, S. 487). Die Definition kann in ihren Kernaussagen auf das Triadenmodell von Kitwood (siehe Kap. 2.2) übertragen werden. In beiden Deskriptionen geht es um das gemeinsame Ziel einer schrittweisen, positiven Verständigung.

Die Interaktionstheorien u. a. von Peplau (1963, 1995, 1997) und von King (1981, 1990, 1997) stellen ein Interaktionskonzept in den Mittelpunkt des pflegerischen Handelns. Die zentrale Aussage von Peplau im Modell der interpersonalen Beziehungen in der Pflege „Pflege den Kranken und nicht die Krankheit“ (Arets et al. 1996, S. 126) trifft besonders auf die Pflege von alten Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen zu.

Pflegende richten ihre Tätigkeit bei der Pflegediagnose „chronische Verwirrtheit“ (Doenges et al. 2002, S. 850) mehr an der Krankheit, an den damit verbundenen Defiziten aus und orientieren sich zu wenig an verbliebenen emotionalen Ressourcen des alten Menschen. Das Herausstellen einer defizitorientierten Pflege wird erkenntlich an den vorwiegend negativen Erlebnisberichten, die in Pflegedokumentationen nachzulesen sind. Pflege ist nach Peplau therapeutisch erst dann wirksam, wenn zwischen einem Patienten und einer Pflegenden neben Nähe auch Kontakt hergestellt werden kann und zwischen beiden Personen Verbundenheit besteht. Eine interpersonale Beziehung kann nach Peplau erst hergestellt werden, wenn sich die Pflegende in den Patienten einfühlt, was letztlich Ziel der Pflege sein sollte. Das bedeutet, dass Pflegende lernen müssen, stets die Situation aus dem Blickwinkel des Patienten zu sehen anstatt von Standpunkten festgelegter Begriffe aus (vgl. Peplau 1995, S. 34).

Pflegerisches Handeln ist nach King ein Interaktionsprozess. King bezeichnet in ihrer Pflegetheorie, die im Einklang mit dem sozialpsychologischen Ansatz des Person-Seins von Kitwood steht, die Interaktion als einen zentralen Begriff, als Wechselwirkung und gegenseitige Beeinflussung zwischen Pflegenden und dem Patienten. Die Theorie konzentriert sich auf die intrapersonale sowie auf die verbale und nonverbale Kommunikation (vgl. King 1981, S. 145). Interaktion versteht King als einen Prozess, wie eine Person über einen anderen denkt oder fühlt, wie einer den anderen wahrnimmt, wie der eine auf den anderen reagiert, welche Erwartungen er an den anderen stellt, wie beide auf die Handlungen des anderen reagieren. Die Kommunikation ist bei der Pflegetheoretikerin die informative Komponente der Interaktion und als „Vehikel zur Entwicklung und zum Erhalt zwischenmenschlicher Beziehungen“ zu betrachten (King 1981, S. 79). King geht davon aus, dass der verbale und nonverbale Austausch, besonders in Form von Symbolen, in der Pflegebeziehung zwischen Pflegendem und Patient oder zwischen dem Patienten und seiner unmittelbaren Umgebung stattfindet und stellt heraus, dass „jedes Verhalten als Kommunikation“ zu deuten ist (King 1981, S. 80). Die Pflegetheoretikerin bezieht sich damit u. a. auf die Theorie von Watzlawick (vgl. King 1981, S. 82, 1990, S. 81; Arets et al. 1996, S. 133; King 1997, S. 24 f.). Bei einem interaktionszentrierten Ansatz in der Pflege steht bei Fawcett die Beziehung zwischen Klient und Umwelt im Mittelpunkt (vgl. Fawcett 1996, S. 36). Meleis definiert den Interaktionsbegriff nicht kommunikationstheoretisch, sondern wie Fawcett humanistisch. In ihrem entwickelten Ansatz stehen drei Kategorien im Vordergrund: Klient, Interaktion und Pflegetherapeutik (vgl. Meleis 1991, S. 11). Die Kategorie des Klienten bezieht sich aus pflegerischer Sicht auf die besondere Situation, z. B. der Person mit Demenz. Die zweite Kategorie ist die Beziehung zwischen der Person mit Demenz und der Pflegenden. Die dritte Kategorie beschreibt, was Pflegende interaktiv tun und unter welchen Umständen sie handeln sollten. Interaktion ist nach Gröning eine ethische Erfahrung, weil „mir der andere stets als eine Person gegenüber tritt, die grundsätzlich des Schutzes und der Anteilnahme bedürftig ist“ (ebd., S. 90). Durch den Blickkontakt zwischen pflegebedürftigen alten Menschen und Pflegende entsteht die ethische Begegnung und die ethische Verpflichtung, welche die Pflegenden durch ihren Fürsorgeauftrag einlösen müssen.

Der britische Sozialpsychologe Kitwood definiert Interaktion als „das Erfassen von Bedeutungen, die von anderen übermittelt werden. Es beinhaltet Reflexion, Antizipation, Erwartung und Kreativität“ (ebd., S. 130). Kitwood bezieht sich bei seiner Definition auf die Theorie des Symbolischen Interaktionismus7, welche ein umfassendes Abbild des menschlichen Soziallebens entwickelt. Menschen handeln aufgrund von Bedeutungen, die sie ihrer Umwelt zuweisen. Diese Bedeutungen entstehen und verändern sich in sozialer Interaktion und werden mit anderen Menschen ausgehandelt. Der soziale Umgang mit anderen wird beherrscht von Symbolen, die sich als sprachliche oder schriftliche Zeichen, als Gestik oder mimischer Ausdruck oder auch als taktile, vestibuläre, olfaktorische und gustatorische Erscheinungen darstellen (vgl. Myschker 1998, S. 102).

Diese auf Mead zurückgehenden Vorstellungen zur kommunikativen Verständigung besagen, dass Kommunikation nur möglich ist, wenn es gelingt, sich wechselseitig in die Rolle des anderen zu versetzen (vgl. Mead 1973, S. 24). Ein wechselseitiges Hineinversetzen in Personen mit Demenz können Pflegende aber nur dann, wenn sie Wissen über die Krankheit und interaktive Kompetenzen für eine gelingende Verständigung beherrschen. Personen mit Demenz, die sich in einem kognitiven Abbauprozess befinden, verständigen sich mit ihren Interaktionspartnern überwiegend auf der körpersprachlichen Ebene und können daher ihre Interaktionspartner leicht missverständlich interpretieren.

Interaktionsfaktoren und Verhalten beeinflussen sich gegenseitig, d. h. Pflegende und Personen mit Demenz sind ständig in ihrer Interaktion mit allen Sinnen gefordert. Somit wird Interaktion beeinflusst durch Umgebungsgestaltung, Atmosphäre, Akustik etc. (vgl. Wied 1999, S. 142; Kitwood 2000, S. 32). Diese Sichtweise ist ein entscheidender Grund, warum in diesem Buch der Interaktionsbegriff nach Kitwood verwendet werden soll. Es reicht in der Pflege von Personen mit Demenz nicht aus, sich auf verbale und nonverbale (Mimik, Gestik) Kommunikation zu beschränken. Interaktion als Beziehungsbegriff darf nicht nur die Beziehung zweier Personen in den Blick nehmen, sondern die Beziehung zwischen den Mitteilungen zweier oder mehrerer Personen definieren und sollte interaktive Umgebungsfaktoren mit berücksichtigen. Dieser Perspektivenwechsel hat Auswirkungen auf die Pflegepraxis. Füllen Pflegende den Interaktionsbegriff bei Personen mit Demenz nur in dem Maße, wie sich die Menschen verhalten, d. h. wie sie ihre Körper bewegen oder sich verbal mitteilen, so geht ein essenzielles Merkmal ihres Person-Seins verloren (vgl. Kitwood 2000, S. 131). Positive Interaktionen, die z. B. bei der Körperpflege eingesetzt werden, nehmen nicht viel Zeit in Anspruch. In der Regel dauern sie weniger als zwei Minuten; sie sind sehr kurzlebig und scheinen auf den ersten Eindruck ineffektiv zu sein. Sie können z. B. aus einem Lächeln oder einer freundlichen Namensansprache bestehen.

In der Pflege laufen Interaktionsprozesse in der Regel unbewusst ab (vgl. Wied 1999, S. 135; Kitwood 2000, S. 132). Nach Kitwood sind die Grenzen, auf die Pflegende immer wieder stoßen, die der zwischenmenschlichen Bewusstheit und Befähigung. Diese treten erst an die Oberfläche, wenn es Probleme gibt, die besonderer Aufmerksamkeit bedürfen, z. B. eine plötzliche Unterbrechung der Pflegehandlung oder ein Missverständnis, das dazu führt, dass die Interaktion abbricht (vgl. Kitwood 2000, S. 130). Eine Bewusstheit tritt bei Pflegenden auch an die Oberfläche, wenn es Probleme mit einer Bewohnerin gibt, wenn sie z. B. herausforderndes Verhalten zeigt.

Zentrales Anliegen für Pflegepädagogen wird es sein, die Interaktionsqualität in der Grundausbildung bei Auszubildenden anzuheben, damit schließlich das Person-Sein von chronisch verwirrten alten Menschen gestärkt und die Demenzpflegequalität verbessert werden kann. Holoch setzt sich ebenfalls für diese Sichtweise ein. Sie stellt in ihrer Dissertation heraus, dass Interaktion den Kern pflegerischen Handelns darstellt und zurzeit unzureichend in der Grundausbildung zum Lerngegenstand gemacht wird. Der Schwerpunkt der theoretischen sowie praktischen Pflegeausbildung sollte nicht nur auf Pflegetätigkeiten liegen, die zur Unterstützung der Lebensaktivitäten erforderlich sind, sondern mehr die pflegerische Interaktion in den Mittelpunkt rücken (vgl. Holoch 2002, S. 81). So werden Beratungsgespräche in der Pflegepraxis mit pflegenden Angehörigen oder psychotherapeutisch ausgerichtete z. B. validierende Interaktionen mit chronisch verwirrten alten Menschen in Langzeitpflegeeinrichtungen zukünftig bedeutsamer und fordern Wissen und Können von Auszubildenden, u. a. auch institutionelle Gestaltungsräume, ein.

2 Demenzpflege als positive Arbeit an der Person

Die Pflege von Bewohnerinnen mit demenziellen Erkrankungen in stationären Langzeitpflegeeinrichtungen beruht nicht nur auf der Befriedigung von somatischen Bedürfnissen, sondern stellt den psychisch kranken alten Menschen mit seinen geistig-seelischen Belangen in den Mittelpunkt des pflegerischen Arbeitsbündnisses.

2.1 Der personzentrierte Ansatz von Kitwood

Historischer Begründungsrahmen

Die Ursprünge der personzentrierten Pflege gehen auf die Theorie und Praxis der klientenzentrierten Psychotherapie des Psychologen Carl Rogers zurück. Erste Einflüsse des Ansatzes von Rogers im Bereich der Arbeit mit Personen mit Demenz finden sich in einem Aufsatz von Feil, der Begründerin der Validation (vgl. Feil 1967). Der Sozialpsychologe Kitwood nutzt das Wissen der genannten Autoren für die Entwicklung seines personzentrierten Ansatzes für die Pflege von Personen mit Demenz. Dem medizinischen Krankheitsmodell mit seinen „extrem negativen und deterministischen Ansichten über den Prozess der Demenz (...)“ (Kitwood 2000, S. 18) widerspricht er und entwickelt in der Folge seine Theorie des Demenzprozesses, in deren Mittelpunkt er die Person als Subjekt aller Betrachtungen stellt. Kitwood versteht demnach unter dem Krankheitsbild Demenz eine Behinderung, die selbstständiges Leben einschränkt und aus diesem Grund die Anerkennung des Person-Seins als bedeutsamen Aspekt der Pflegebeziehung und Interaktion sieht (vgl. Bradford Dementia Group 1997, S. 9). Der personzentrierte Ansatz fand 1997 seinen Höhepunkt in Kitwoods Werk „Dementia Reconsidered: The Person Comes First“ (dt. Titel: Demenz. Der personzentrierte Ansatz im Umgang mit verwirrten Menschen). In dieser Veröffentlichung werden der soziale Kontext von Pflege und die Faktoren untersucht, welche zu Wohlbefinden und Unwohlsein von Personen mit Demenz beitragen (vgl. Capstick 2004, S. 31). Das Person-Sein impliziert das, was für eine menschenwürdige Pflege bedeutsam erscheint: Personen mit Demenz in ihrem Menschsein anzuerkennen.

Der Begriff „Person-Sein“

Der zugrunde liegende Personbegriff wird sehr umfassend definiert. Nach der Bradford Dementia Group beinhaltet er neben Kognition, Emotionen, Handlung und Zugehörigkeit auch Bindungen an andere Personen und Identität (vgl. ebd., S. 10). Kitwood ist nicht der Ansicht, dass der begriffliche Rahmen des Person-Seins von Autonomie und Rationalität bestimmt sein sollte. Die primären Assoziationen des Begriffes verbindet er mit einem „Stand oder Status, der dem einzelnen Menschen im Kontext von Beziehung und sozialem Sein von anderen verliehen wird. Er impliziert Anerkennung, Respekt und Vertrauen“ (ebd., S. 27). Kitwood beschreibt eine Person mit Demenz als eine Person im ganzen Sinne, die Dinge geschehen lassen kann, als ein empfindungs- und beziehungsfähiges sowie historisch wirkendes Wesen (vgl. Brooker 2004, S. 4).

Was ist „Personzentrierte Pflege“?

In diesem Buch soll der personzentrierte Ansatz von Kitwood Grundlage dafür sein, was eine personzentrierte Pflege bei Bewohnerinnen mit Demenz leisten kann. Kitwood verwendete den Begriff, um Ideen und Wege zusammenzutragen, die Beziehungen und Interaktion betonen. Der Begriff wird zwar oft benutzt, aber selten definiert. Er steht für ein Synonym einer qualitativ guten Pflegepraxis. Als eine direkte Referenz zu Rogers’ Psychotherapie wird der Begriff aus phänomenologischer Perspektive, als die Summe von insgesamt vier Teilen definiert, wobei der Interaktionsaspekt betont wird.

Die Elemente einer personzentrierten Pflege sind (nach Brooker 2004, S. 3):

Die Wertschätzung der Person mit Demenz und ihrer Pflegepersonen.

Die Behandlung der Person als Individuum.

Die Sichtweise aus der Perspektive der Person mit Demenz.

Eine positive soziale Umgebung, in der die demenziell erkrankte Person sich selbst bewusst sein kann.

Diese vier Elemente sollen nachfolgend näher erläutert werden:

1. Unter einem wertschätzenden Umgang versteht Rogers die Akzeptanz einer jeden individuellen Person. Die Wertschätzung findet ihre Umsetzung in bedingungsloser Aufmerksamkeit gegenüber der Person, d. h. dass mit demenziell erkrankten Personen genauso wie mit jeder anderen Person in würdevoller Weise umgegangen werden muss. In erster Linie sollte eine ethische und moralische Basis für eine personzentrierte Pflege selbstverständlich sein (vgl. Rogers 2003, S. 35).

2. Personen mit Demenz sind Individuen. Die Demenzerkrankung wird als Teil von ihnen angesehen und ihre Identität nicht darauf reduziert. Dieser Ansatz geht wieder auf Rogers zurück, für den jeder Klient eine einzigartige und ganze Persönlichkeit ist (vgl. Rogers 2003, S. 36). Personen bringen immer unterschiedliche Lebenserfahrungen, Copingstrategien, Ressourcen und soziale Netzwerke mit. Aus diesem Grund erlebt jede Person ihren Weg durch die Krankheit anders und hat somit auch andere Pflegebedürfnisse, die individuell zu befriedigen sind.

3. Rogers’ Sicht eines personzentrierten Umgangs geht immer von der Sicht des Individuums aus. Ähnlich wie Rogers nimmt auch Feils Validationstherapie (1992) die subjektive Sicht der erkrankten Person als Ausgangspunkt und unterstreicht damit das Verstehen des subjektiven Erlebens als ein Schlüssel zu einer Definition für personzentrierte Pflege.

4. Rogers betont die Wichtigkeit einer positiven sozialen Umgebung, die durch eine therapeutische (Pflege-)Beziehung und eine persönliche Beratung des Betroffenen sowie seiner Angehörigen zum Tragen kommt (vgl. Rogers 2003, S. 73 f.). Wenn verbale Kompetenzen durch den demenziellen Krankheitsprozess verloren gehen, werden menschliche Wärme und eine nonverbale Interaktion besonders wichtig. Der demenzielle Prozess macht die Betroffenen sehr verletzlich, da ihre Copingstrategien angegriffen werden und zusammenbrechen. Die philosophische Orientierung des vierten Elements liegt darin, wenn der Sinn des Seins zusammenbricht, es um so bedeutsamer wird, dass dieser Sinn durch positive Interaktionen aufrechterhalten wird (vgl. Brooker 2004, S. 8).

Mit der Summe dieser vier Elemente lässt sich das Ziel einer personzentrierten Pflege erreichen.

Das Ziel einer personzentrierten Pflege

Das übergeordnete Ziel einer personzentrierten Pflege besteht darin, das Person-Sein von Menschen mit Demenz zu erhalten, zu fördern und/oder wiederherzustellen, damit relatives Wohlbefinden erreicht werden kann. Durch eine personzentrierte Pflege wird ein neues Gleichgewicht von Macht, Kontrolle und Verantwortung zwischen Pflegenden und Personen mit Demenz geschaffen, d. h. Pflegende helfen Personen mit Demenz ihre eigenen Ressourcen zu entfalten und überlassen ihnen so viel Kontrolle und Autonomie, wie es ihre Krankheitsstadien zulassen.

Die Rolle der Pflegenden

Pflegende nehmen bei der Umsetzung einer personzentrierten Pflege eine helfende und unterstützende Rolle ein; sie nutzen eine personzentrierte Grundhaltung, die geprägt ist von den drei Komponenten Echtheit, Akzeptanz und Empathie (vgl. Rogers 2003, S. 34). Diese Merkmale geben einen wesentlichen Teil einer personzentrierten Haltung wieder.

Entwicklung und Erhalten des Person-Seins