Interpretationsansätze zu Heinrich von Kleists "Der zerbrochne Krug" - Michael Wadle - E-Book

Interpretationsansätze zu Heinrich von Kleists "Der zerbrochne Krug" E-Book

Michael Wadle

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Beschreibung

Studienarbeit aus dem Jahr 2004 im Fachbereich Germanistik - Neuere Deutsche Literatur, Note: 1,3, Universität des Saarlandes (Germanistisches Institut), Veranstaltung: Hauptseminar: Heinrich von Kleist, Sprache: Deutsch, Abstract: Heinrich von Kleists einziges Lustspiel Der zerbrochne Krug entstand zwischen 1803 und 1806. Die Anregung zu diesem Stück erhielt der Dichter einer Anekdote zufolge 1802 während eines Aufenthalts in Bern. Demnach hat Kleist dort gemeinsam mit Ludwig Wieland und Heinrich Zschokke bei der Betrachtung eines Kupferstichs von Jean-Jacques Le Veau mit dem Titel „Le juge ou la cruche cassée“ beschlossen, einen „poetischen Wettkampf“ zu starten. „Für Wieland sollte dies Aufgabe zu einer Satire, für Kleist zu einem Lustspiele, für mich zu einer Erzählung werden“ 1 , berichtet Zschokke 1842 in seiner Selbstschau. Ob ein solcher Dichterwettstreit wirklich staatgefunden hat, ist in der literaturwissenschaftlichen Debatte umstritten, die Orientierung Kleists an dem Kupferstich von Le Veau, auf die Kleist in seiner „Vorrede“ zum Zerbrochnen Krug selbst hinweist, gilt jedoch als sicher. Auf diesem Stich ist hauptsächlich eine Gerichtsszene abgebildet, mit einem Mädchen im Mittelpunkt, das einen offenbar beschädigten Krug bei sich trägt. Das Original dieses Gemäldes stammte allerdings nicht, wie Kleist in seiner „Vorrede“ vermutet „von einem niederländischen Meister“ 2 , sondern von Louis-Philibert Debucourts. Anhand dieses Gemäldes und unter Verarbeitung anderer Texte, wie die Tragödie König Ödipus von Sophokles und dem biblischen Sündenfall, entstand K leists vieldeutiges Lustspiel rund um den Dorfrichter Adam, der gezwungen ist, über seine eigene Verfehlung zu Gericht zu sitzen.

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Veröffentlichungsjahr: 2004

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Gliederung

 

1.    Einleitung

2.    Das Lustspiel Der zerbrochne Krug und die Tragödie König Ödipus von Sophokles

2.1.    Parallelen zwischen dem Zerbrochnen Krug und König Ödipus

2.2.    Der Zerbrochne Krug als Umkehrung des König Ödipus

2.3.    Warum ist Der zerbrochne Krug trotz seiner Parallelen zur antiken Tragödie König Ödipus eine der größten deutschen Komödien?

3.    Justizkritik im Zerbrochnen Krug

3.1     Kleist als Kritiker der Rechtssysteme und des Justizwesens seiner Zeit

3.2     Der zeitgeschichtliche Hintergrund in Bezug auf die Rechtsprechung

3.2.1    Der zerbrochne Krugals versteckte Kritik am Verfall des Gerichtswesens in Preußen seit Mitte des 18. Jahrhunderts

3.3     Die Repräsentanten der von Kleist kritisierten Justiz

3.3.1     Der Dorfrichter Adam

3.3.2     Der Gerichtsschreiber Licht

3.3.3     Der Gerichtsrat Walter

3.3.3.1  Der Konflikt zwischen althergebrachtem und neuem reformiertem Recht bzw. zwischen Lokaljustiz und der Zentralmacht

3.3.3.2  Der Konflikt zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit im Gerichtsverfahren

4.    Die Problematisierung der Sprache im Zerbrochnen Krug

4.1     Kleists Verhältnis zur Sprache - seine Sprachskepsis

4.2     Missverstehen - Das Aneinandervorbeireden der Figuren im Zerbrochnen Krug

4.2.1     Der Gegensatz zwischen Juristen- und Laiensprache

4.3     Die Mehrdeutigkeit der Sprache - Das Schema des Verdeckens und Aufdeckens der Wahrheit mit dem Medium der Sprache

5.    Zentrale Dingsymbole im Zerbrochnen Krug

5.1     Die Bedeutung des Krugs - Symbol für Eves Mädchenehre oder den niederländischen Staat?

5.2     Die Perücke - Symbol für Adams Richterwürde

6.    Parallelen zwischen dem biblischen Sündenfall und dem Zerbrochnen Krug

6.1     Die sprechenden Namen der Figuren

6.2     Inhaltliche Parallelen zwischen dem biblischen Sündenfall und Kleists Lustspiel

7.    Schlussbetrachtung

8.    Literaturverzeichnis

8.1     Primärliteratur

8.2     Sekundärliteratur

1.                Einleitung

 

Heinrich von Kleists einziges Lustspiel Der zerbrochne Krug entstand zwischen 1803 und 1806. Die Anregung zu diesem Stück erhielt der Dichter einer Anekdote zufolge 1802 während eines Aufenthalts in Bern. Demnach hat Kleist dort gemeinsam mit Ludwig Wieland und Heinrich Zschokke bei der Betrachtung eines Kupferstichs von Jean-Jacques Le Veau mit dem Titel „Le juge ou la cruche cassée“ beschlossen, einen „poetischen Wettkampf“ zu starten. „Für Wieland sollte dies Aufgabe zu einer Satire, für Kleist zu einem Lustspiele, für mich zu einer Erzählung werden“[1], berichtet Zschokke 1842 in seiner Selbstschau. Ob ein solcher Dichterwettstreit wirklich staatgefunden hat, ist in der literaturwissenschaftlichen Debatte umstritten, die Orientierung Kleists an dem Kupferstich von Le Veau, auf die Kleist in seiner „Vorrede“ zum Zerbrochnen Krug selbst hinweist, gilt jedoch als sicher. Auf diesem Stich ist hauptsächlich eine Gerichtsszene abgebildet, mit einem Mädchen im Mittelpunkt, das einen offenbar beschädigten Krug bei sich trägt. Das Original dieses Gemäldes stammte allerdings nicht, wie Kleist in seiner „Vorrede“ vermutet „von einem niederländischen Meister“[2], sondern von Louis-Philibert Debucourts.

 

Anhand dieses Gemäldes und unter Verarbeitung anderer Texte, wie die Tragödie König Ödipus von Sophokles und dem biblischen Sündenfall, entstand Kleists vieldeutiges Lustspiel rund um den Dorfrichter Adam, der gezwungen ist, über seine eigene Verfehlung zu Gericht zu sitzen.

 

Kleists Zerbrochner Krug ist kein leichtes Stück, im Gegenteil, „wer behaupten wollte, einen Interpretationsansatz gefunden zu haben, der alle Elemente des Textes zu einer Bedeutung zusammenfügte, der würde sich - und andere- täuschen.“[3] Dies mag mit dazu beigetragen haben, dass das Lustspiel bei seiner Uraufführung in Weimar 1808 unter der Regie Goethes zu einem großen Misserfolg wurde. Schuld an diesem Scheitern des Zerbrochnen Krugs bei seiner ersten Aufführung vor Publikum war aber mit Sicherheit auch die Tatsache, dass Goethe das ohnehin langatmige Stück auf drei Akte ausgedehnt hatte. Das Verhältnis zwischen Kleist und Goethe war in der Folgezeit der gescheiterten Weimarer Aufführung angespannt. Kleist nahm sich den Misserfolg seines Lustspiels sehr zu Herzen und kürzte schließlich den Schlussteil seines Stücks für die erste Buchausgabe 1811 im Verlag der Reimerschen Realschulbuchhandlung erheblich, fügte jedoch den ursprünglichen Schluss als „Variant“ fragmentarisch hinzu.

 

Für heutige Interpreten stellt sich deshalb ganz zu Beginn die Frage, welche Fassung des Zerbrochnen Kruges sie ihren Ausführungen zu Grunde legen. Im Folgenden soll die gekürzte Fassung des Lustspiels von 1811 betrachtet werden, die nach dem Tod Kleists letztlich doch zu einem großen Erfolg auf der Bühne wurde und bis heute als eine der größten deutschen Komödien gilt. Da der Zerbrochne Krug ein sehr vieldeutiges Stück ist, sollen in der vorliegenden Arbeit die unterschiedlichen Problemfelder und Bedeutungsebenen des Lustspiels aufgezeigt und beschrieben werden, was dem Charakter des Dramas eher gerecht werden kann, als der lückenhafte Versuch einer Gesamtinterpretation.

2.                Das Lustspiel Der zerbrochne Krug und die Tragödie König Ödipus von Sophokles

 

Der Zusammenhang zwischen Heinrich von Kleists Lustspiel im Bauernmilieu und der antiken Tragödie König Ödipus scheint zunächst erstaunlich, doch Kleist weist selbst auf die Beziehung zwischen seinem Zerbrochnen Krug und dem Meisterwerk von Sophokles hin. In seiner zunächst ungedruckt gebliebenen Vorrede zum Zerbrochnen Krug beschreibt er, wie ihn der Kupferstich eines Gemäldes „von einem niederländischen Meister“[4] zu seinem Drama inspiriert hat. Auf diesem Kupferstich waren Kleist zufolge der gravitätisch auf dem Richterstuhl sitzender Richter, eine alte Frau mit dem zerbrochenen Krug, der Beklagte, „ein junger Bauernkerl“[5], ein verlegenes junges Mädchen und der Gerichtsschreiber abgebildet. Über den Gerichtsschreiber heißt es in Kleists Vorrede weiter: „Der Gerichtsschreiber sah (er hatte vielleicht kurz vorher das Mädchen angesehen) jetzt den Richter misstrauisch zu der Seite an, wie Kreon, bei einer ähnlicher Gelegenheit, den Ödip“[6]. Es ist naheliegend, dass „dieser Hinweis des Dichters selbst den Betrachter geradezu auffordert, die beiden Handlungen des Zerbrochnen Krugs und des König Ödipus einmal auf ihre Verwandtschaft hin näher anzusehen“[7].

 

Dennoch scheint es ungewöhnlich, dass Kleist sich seinen eigenen Angaben zufolge beim Schreiben des Zerbrochnen Krugs sowohl an der klassischen Mustertragödie König Ödipus, als auch an einem niederländischen Gemälde orientiert hat. Die niederländische Malerei galt zur Zeit Heinrich von Kleists als Inbegriff einer abgewerteten realistischen Kunst. Durch die Adaption dieses Genres verstärkt Kleist freilich die Gattungstradition, wonach in der Komödie, im Gegensatz zur Tragödie, nur Figuren niederen Standes auftreten durften. Dass der Dichter jedoch zugleich die griechische Tragödie König Ödipus in seinem Lustspiel verarbeitet, ist vor dem Hintergrund des zeitgenössischen Klassizismus bemerkenswert.[8]

 

2.1.         Parallelen zwischen dem Zerbrochnen Krug und König Ödipus

 

Bei näherem Hinsehen finden sich eine Vielzahl an Parallelen und Entsprechungen zwischen dem Zerbrochnen Krug und der griechischen Tragödie.

 

Kleist übernahm aus König Ödipus das dramaturgische Grundschema, die analytische Struktur. In beiden Dramen liegt eine Enthüllungshandlung vor, das heißt, die Gegenwartshandlung dient dazu, bereits in der Vergangenheit geschehene Ereignisse aufzudecken. In Kleists Lustspiel ist ein Krug zerbrochen worden und das Geschehen des Stücks enthüllt nach und nach, wie es dazu kam. Auch in der Tragödie von Sophokles geht es von Beginn an darum, einen unbekannten Täter zu finden. Der König von Theben ist ermordet worden und sein Mörder muss gefasst und bestraft werden, um den auf der Stadt lastenden Fluch aufzuheben. Dazu wird nun das frühere Geschehen enthüllt.