Irrweg Bioökonomie - Franz-Theo Gottwald - E-Book

Irrweg Bioökonomie E-Book

Franz-Theo Gottwald

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Beschreibung

»Bioökonomie« klingt zunächst harmlos. Unter dieser Bezeichnung arbeitet jedoch ein Bündnis aus Biotechnologie-, Pharma-, Chemie-, Nahrungsmittel- und Agrarunternehmen an der kommerziellen Inbesitznahme alles Lebendigen. Die aktuelle Bundesregierung unterstützt diese Bestrebungen, etwa im Rahmen des Programms »Nationale Forschungsstrategie Bioökonomie 2030«. Anita Krätzer und Franz-Theo Gottwald beleuchten ein Feld an der Schnittstelle von Wirtschaft, Politik und Forschung, das in den Medien noch selten thematisiert wird. Die Autoren machen auf Basis der zentralen Aktionsfelder der Bioökonomie auf Weichenstellungen aufmerksam, die Tiere und Pflanzen erklärtermaßen zur »Biomasse« degradieren – eine Entwicklung, die letztlich auch vor dem Menschen nicht haltmacht.

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Der Begriff »Bioökonomie« klingt zunächst harmlos. Unter dieser Bezeichnung arbeitet jedoch ein Bündnis aus Biotechnologie-, Pharma-, Chemie-, Nahrungsmittel- und Agrarunternehmen an der kommerziellen Inbesitznahme alles Lebendigen. Die aktuelle Bundesregierung unterstützt diese Bestrebungen, etwa im Rahmen des Programms »Nationale Forschungsstrategie BioÖkonomie 2030«.

   Anita Krätzer und Franz-Theo Gottwald beleuchten ein Feld an der Schnittstelle von Wirtschaft, Politik und Forschung, das in den Medien noch selten thematisiert wird. Die Autoren machen auf Basis der zentralen Aktionsfelder der Bioökonomie auf Weichenstellungen aufmerksam, die Tiere und Pflanzen erklärtermaßen zur »Biomasse« degradieren – eine Entwicklung, die letztlich auch vor dem Menschen nicht haltmacht.

 

Franz-Theo Gottwald leitet die Münchener Schweisfurth-Stiftung, lehrt an der HU Berlin und der Hochschule für Politik in München und berät Politiker, Verbände und Unternehmen im Bereich nachhaltige Entwicklung.

 

Anita Krätzer arbeitet freiberuflich in den Bereichen integrierter Umweltschutz, Märkte, Führung und Kommunikation, ferner als Wirtschaftsjournalistin, Lektorin und Übersetzerin.

Irrweg Bioökonomie Kritik an einem totalitären Ansatz

 

Franz-Theo Gottwald und Anita Krätzer

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Suhrkamp

Die edition unseld wird unterstützt durch eine Partnerschaft mit dem Nachrichtenportal Spiegel Online. www.spiegel.de

 

 

 

 

 

eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2014

Der vorliegende Text folgt der 1. Auflage der Ausgabe

der edition unseld 51.

© Suhrkamp Verlag Berlin 2014

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.

Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

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Zur Gewährleistung der Zitierbarkeit zeigen die grau hinterlegten Ziffern die jeweiligen Seitenanfänge der Printausgabe an.

Umschlaggestaltung: Nina Vöge und Alexander Stublić

 

eISBN 978-3-518-73380-6

www.suhrkamp.de

Inhalt

Vorwort

7

Begriffsklärung

12

Inhalte, Ziele, Programme und Maßnahmen der Bioökonomie

13

Technologische Aktionsfelder der Bioökonomie

27

Die Hauptakteure in Deutschland

42

Der Bioökonomierat

44

Die Bundesregierung

51

Die bioökonomische Forschung

59

Wozu Bioökonomie? Nutzenversprechen und Realität

64

Gesunde und ausreichende Nahrung für alle

66

Nachhaltige Gestaltung der Agrarproduktion

75

Versöhnung von Ökonomie und Ökologie durch die Biologisierung von Energieerzeugung und Industrie

83

Der Irrweg der Bioökonomie: Denkfehler im System

88

Das Akzeptanzproblem. Wie der Bevölkerung die Bioökonomie schmackhaft gemacht werden soll

97

Scheinoffenheit und Infiltration

100

Angsterzeugung und Suggerieren von Alternativlosigkeit

108

Neusprech: Desorientierung durch Umbenennung

111

Wirtschaftliche, wissenschaftliche und politische Alternativen zur Bioökonomie

116

Zukunftsfähige Alternativen für die Wirtschaft

121

Alternativen in der Wissenschaft: ökologisch-systemische Forschung

138

Politik als Förderer nachhaltiger Alternativen

147

Literatur

161

7Vorwort

»Je mehr man in der Lage sein wird, die Bausteine bzw. Baupläne von biologischen Systemen in ihrer Komplexität quantitativ zu beschreiben, zu verstehen sowie ihre Reaktion auf äußere Einflüsse vorherzusagen, desto mehr wird man sie auch zum Vorteil von Mensch und Umwelt technisch nutzen können. Diese Perspektive ist die Basis für den Aufbau einer wissensbasierten Bioökonomie, in der interdisziplinär in Kooperationen und Netzwerken zusammengearbeitet, Wissen ganzheitlich (systemisch) integriert und zu Innovationen geführt wird.«

Bundesministerium für Forschung und Bildung,

Nationale Forschungsstrategie BioÖkonomie 2030

 

»[…] Aufklärung ist totalitär wie nur irgendein System. Nicht was ihre romantischen Feinde ihr seit je vorgeworfen haben, analytische Methode, Rückgang auf Elemente, Zersetzung durch Reflexion ist ihre Unwahrheit, sondern daß für sie der Prozeß von vornherein entschieden ist. […] [D]ie Weltherrschaft über die Natur wendet sich gegen das denkende Subjekt selbst, nichts wird von ihm übriggelassen […]«.

Max Horkheimer und Theodor W. Adorno,

Dialektik der Aufklärung

 

Bislang weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit und von den Medien kaum kommentiert, bildet sich derzeit unter dem Label »Bioökonomie« eine mächtige Allianz aus Industrie, Großinvestoren, Politik und Forschung heraus, die sich einem erschreckenden Ziel verschrieben hat: der grenzenlosen kommerziellen Nutzung allen Lebens. Im Windschatten der Finanz- und Wirtschaftskrise werden mit einem beispiellosen Aufwand an Lobbyismus, Forschungs- und Investitionsförderung, gesetzlichen Verordnungen, Landkäufen und gezielter Unterminierung alternativer Wege globale Weichenstellungen vorgenommen, die 8schon jetzt grundlegende Auswirkungen auf Mensch, Tier und Umwelt haben.

Bereits heute wirft die Bewertung von Leben nach seinem an kurzfristigen Renditezielen gemessenen Marktwert ihre Schatten voraus: Ob es nun die brachiale Treibnetzfischerei, die gedankenlose Ausrottung unzähliger Arten zugunsten von Monokulturen, das unaussprechliche Leid der Tiere in den Tierfabriken oder das Elend als nutzlos ausgegrenzter alter und behinderter Menschen ist – in einer Welt, die das Eigenrecht von Leben negiert und keine »Nutzlosigkeit« mehr zulässt, wird alles Lebendige und damit auch der Mensch zur normierten Ware. Da ist es nur konsequent, dass diese Ware Leben, sobald sie ihren Marktwert verloren hat, nur noch als Kostenfaktor betrachtet und im Falle der Tiere (man denke nur an die bei vollem Bewusstsein geschredderten männlichen Küken) als störender Ausschuss entsorgt wird. In welch hohem Maß diese Grundhaltung in unserer westlichen Gesellschaft nicht nur gegenüber den bedauernswerten Tieren in der industriellen Landwirtschaft, sondern auch gegenüber dem einzelnen Bürger akzeptiert wird, zeigt etwa die hohe Bereitwilligkeit junger Menschen, sich selbst als Ware zu definieren und den eigenen Marktwert durch immer bizarrere Schönheitsoperationen zu steigern. Dem entspricht der florierende Organ-, Kinder- und Frauenhandel, über den sich die Gesellschaft zwar halbherzig empört, gegen den sie jedoch nicht wirklich entschlossen vorgeht.

Nachdem nun auch die Grundbausteine allen Lebens, die Gene, durch Patentierung zur Vermarktung freigegeben wurden, erscheint die Umwertung alles Lebendigen zum Rohstoff »Biomasse« nur als folgerichtiger letzter Schritt auf einem verhängnisvollen Weg, den die Vertreter der Bioökonomie als Rettung vor jenen Problemen ausgeben, die größtenteils gerade durch die 9Ausrichtung auf kurzfristige Renditeziele erzeugt wurden. Wir werden darlegen, dass und warum die Bioökonomie in den meisten Bereichen eine Fortsetzung und Ausweitung dieses an schnellen Gewinnen orientierten Systems darstellt und ihr Weg daher nicht die Rettung bringt, sondern im Gegenteil die Vernichtung der physischen und psychischen Existenzgrundlagen der Menschheit nur noch beschleunigt.

Die durch die Bioökonomie erstmals auf den Begriff gebrachte Umwertung von Leben in eine beliebig handel- und verhandelbare Ware findet vor unseren Augen in aller Öffentlichkeit statt, und wir alle sind direkt und indirekt daran beteiligt. Das heißt aber auch, dass es an uns liegt, dieser unheilsamen Entwicklung Einhalt zu gebieten. Hierauf wollen wir aufmerksam machen in der Hoffnung, einen längst überfälligen gesamtgesellschaftlichen Bewusstwerdungsprozess anzustoßen, der dann zu einem entschiedenen Gegensteuern in Richtung tatsächlich intelligenter, weil systemisch nachhaltiger Lösungen führt.

Um zu verdeutlichen, worum es genau geht und welche Einflussmöglichkeiten der Einzelne hat, werden wir zunächst einmal klären, was sich hinter dem Begriff »Bioökonomie« verbirgt. Dann werden wir Ross und Reiter nennen, indem wir darlegen, welche Hauptakteure die Bioökonomie mit welchen Nutzenversprechen und vor dem Hintergrund welcher Interessen vorantreiben. Im nächsten Schritt werden wir das gesellschaftlich-technologische Heilsversprechen der Bioökonomie auf seinen Wirklichkeitsgehalt und seine Lösungskompetenz für die großen Menschheitsprobleme der Zukunft überprüfen und die der Bioökonomie zugrunde liegenden Denk- und Handlungsmuster analysieren. Danach beschreiben wir, mit welchen Mitteln und Methoden versucht wird, die Bioökonomie der Bevölkerung schmackhaft zu machen, wie sich die Bioökonomie zu diesem Zweck Gegenmodelle einver10leibt bzw. diese pervertiert und wie mit Bedenken und Einwänden umgegangen wird. Abschließend werden wir auf bereits erfolgreich praktizierte, aber immer wieder ins Abseits gedrängte Alternativen verweisen, denen durch die Schaffung totalitärer Umfeldbedingungen und die Zerstörung überlebenswichtiger Voraussetzungen zunehmend die Existenzbasis entzogen wird.

Die vorliegende Streitschrift versteht sich als Anfangs-, nicht als Endpunkt einer überfälligen Debatte über die praktischen Folgen unseres Umgangs mit dem Lebendigen und mit unseren natürlichen Lebensgrundlagen, der in der Bioökonomie einen besonders krassen Ausdruck findet. Wir werden dabei auch immer wieder ethische Grundpositionen ansprechen. Es geht uns jedoch nicht um eine Wiederholung der bekannten Grundsatzdebatten, sondern um eine konkrete Auseinandersetzung mit den Hintergründen und Folgen des Schulterschlusses von Biotechnologie, Chemie-, Pharma-, Agrar- und Nahrungsmittelindustrie mit Politik und Forschung. Dabei vertreten wir weder einen rückwärtsgewandten technikfeindlichen noch einen antikapitalistischen Standpunkt. Im Gegenteil: Wir halten technische Neuerungen und die Befolgung marktwirtschaftlicher Prinzipien für unabdingbare Voraussetzungen für eine nachhaltige Beantwortung der großen Zukunftsfragen. Unsere Kritik richtet sich vielmehr gegen den unreflektierten Einsatz von Technologien mit kaum beherrschbaren Folgewirkungen und gegen die Förderung von Monopolbildungen durch die Politik, die den freien Wettbewerb als Grundprinzip der Marktwirtschaft unterbindet, die Forschung zum Dienstleister dieser Monopole degradiert und damit gegen das Verfassungsgut Freiheit der Wissenschaft verstößt sowie zu einer weiteren Beschleunigung der globalen Vernichtung unserer natürlichen Mitwelt führt.

Unser Ziel ist es, überhaupt erst einmal auf die Brisanz des 11Themas Bioökonomie aufmerksam zu machen und Grundlagen für eine weiterführende Diskussion zu schaffen. Diskussionswürdig erscheint uns sowohl die durch führende Vertreter der Bioökonomie explizit ausgesprochene Missachtung des lebenserhaltenden Vorsorgeprinzips als auch die Erosion der Grundpfeiler einer zukunftsfähigen modernen Zivilisation: Respekt vor und Mitgefühl mit aller Kreatur sowie Schutz des Schwächeren. Beachtenswert finden wir auch die Tatsache, dass die Bioökonomie Monopolbildungen fördert und forciert, die Hürden für einen Einstieg neuer Marktteilnehmer durch Verfestigung bestehender Machtverhältnisse und Netzwerkstrukturen sowie durch die Inbesitznahme der Forschung weiter systematisch erhöht, existenzielle Abhängigkeiten erzeugt sowie Alternativen blockiert und aushebelt und so die Grundlagen für eine freie Marktwirtschaft zerstört.

Dem korrespondiert die sich permanent ausweitende Einschränkung der Handlungs-, Wahl- und Einflussmöglichkeiten des Einzelnen. Sie spricht nicht nur jedem Verständnis von Demokratie und Selbstbestimmung Hohn, sondern lässt auch die Störanfälligkeit und die Reibungsverluste des sich verhärtenden Gesamtsystems exponentiell wachsen und seine Überlebensfähigkeit schrumpfen: Durch das Aushebeln der Selbstregulations- und Selbstreparaturmechanismen der Systemteile der natürlichen Mitwelt wird ein auf Selbstvernichtung gerichteter Mechanismus in Betrieb gesetzt. Diesen Mechanismus gilt es, durch die Beseitigung der systemischen Blindstellen in Wirtschaft, Politik und Kultur schleunigst zu stoppen. Einige zentrale Blindstellen werden wir im Folgenden aufzeigen, weitere müssen in anschließenden Diskussionen entdeckt und bewertet werden, damit gesellschaftliche Diskurse über die wünschenswerte Zukunft einer Wissensgesellschaft angemessen und ohne Scheuklappen geführt werden können.

12Begriffsklärung

»Mehr als 80 Prozent der Landfläche in der EU sind entweder Wald oder landwirtschaftliche Nutzfläche. Darüber hinaus hat die EU große Meeresgebiete und eine weltweit bedeutende Fischereiwirtschaft. […] In allen drei Bereichen kann sie große Mengen an Rohstoffen für die Bioökonomie bereitstellen.«

BIOPRO Baden-Württemberg GmbH

»Erst wenn der letzte Baum gerodet, der letzte Fluss vergiftet, der letzte Fisch gefangen ist, werdet ihr merken, dass man Geld nicht essen kann.«

Weissagung der Cree

Der Begriff »Bioökonomie« bezeichnet nicht etwa eine Ökologisierung der Ökonomie, sondern eine Ökonomisierung des Biologischen, also des Lebendigen. Geprägt wurde der Begriff 1997 von den Genetikern Juan Enríquez-Cabot und Rodrigo Martínez während einer Veranstaltung der American Association for the Advancement of Science. In einer Zusammenfassung ihres Beitrags über die wirtschaftlichen Potenziale der Genomik definierte Juan Enríquez-Cabot Bioökonomie als den »Bereich der Wirtschaft, der neues biologisches Wissen zu kommerziellen und industriellen Zwecken« nutzt (Enríquez-Cabot , S. f.; Enríquez-Cabot/Martínez ).

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