Is It Wrong to Try to Pick Up Girls in a Dungeon? – Light Novel, Band 02 - Fujino Omori - E-Book

Is It Wrong to Try to Pick Up Girls in a Dungeon? – Light Novel, Band 02 E-Book

Fujino Omori

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Beschreibung

Auf dem Weg in den Dungeon unter der Stadt Orario begegnet der junge Abenteurer Bell einer Supporterin namens Lili, die ihm ihre Dienste anbietet. Mit ihrer Hilfe gelingt es ihm, auf tiefere Ebenen vorzudringen als je zuvor. Und so wird der Ausflug in den Dungeon sehr erfolgreich. Doch es gibt da ein Problem: Lili gehört eigentlich der Soma-Familia an, über die es einige seltsame Gerüchte gibt. Gerüchte über einen göttlichen Wein, der angeblich die Herzen aller stiehlt, die ihn trinken. Und das ist nur die Spitze des Eisbergs …

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Impressum

Prolog: Der Hohn der Schwachen

Beim Erkunden des Dungeons übernahm der Supporter eine wichtige Funktion, die nichts mit Kämpfen zu tun hatte: Ließ ein Monster einen Beutegegenstand oder Magiestein fallen, war seine Aufgabe, den Gegenstand aufzusammeln, zu verwahren und sicher an die Oberfläche zurückzubringen. Während die Gruppe gegen Monster kämpfte, hielt er sich im Hintergrund und bemühte sich, so wenig wie möglich im Weg zu sein. Im Prinzip war man in dieser Rolle also ein Gepäckträger.

»Hey, mach ein bisschen schneller, du Schnecke!«

Abermals flogen ihr durch den Dungeon, dem es dank der phosphoreszierenden Elemente in den Wänden nicht an Licht mangelte, Beleidigungen entgegen. Sie mühte sich mit dem prall gefüllten, schweren Rucksack ab und hinkte darum etwas hinterher. Der Widerhall im Gang schien die Verächtlichkeit der Worte noch zu verstärken.

»Wie kann man so nutzlos sein? Du machst doch nichts weiter, als diesen dämlichen Rucksack zu schleppen!«

Ständig musste sie sich dasselbe Genörgel anhören. Manchmal schlugen die Arroganz und die Ungeduld der Abenteurer auch in Gewalt um. In deren Augen waren Supporter keine Spezialisten, sondern Abschaum und Versager. Grenzenlos war das Ausmaß an Grausamkeit, das sie Schwächeren gegenüber an den Tag legten.

Doch wer kannte sie nicht, berühmte Sätze wie diese:

»Erst durch einen guten Supporter entfaltet ein Abenteurer sein wahres Potenzial!«

»Nur mithilfe eines fleißigen Supporters kann ein Abenteurer tiefer in den Dungeon hinabsteigen!«

»Supporter sind das Rückgrat einer jeden Gruppe!«

Schöne Worte, aber sie ergaben auch Sinn. Als Supporterin war sie durchaus in der Lage, den Abenteurern ihrer Gruppe das Leben leichter zu machen. Nur leider waren die wenigsten von ihnen sich dessen bewusst.

»Wenn du nichts tust und mir nur im Weg rumstehst, gibt’s auch keine Valis für dich!«

Wo waren nur die Abenteurer, die sie als Teil ihrer Gruppe zu schätzen wüssten und ihr keine solche Verachtung entgegenbrächten? Wahrscheinlich gab es sie gar nicht.

»Du könntest deine Arbeit ja auch erledigen, während wir uns mit den Monstern herumschlagen.« Im Zweifelsfall gäbe sie wenigstens einen guten Lockvogel ab, fügte noch einer aus der Gruppe frech hinzu. Sie sah den arroganten Kerl ungläubig an. Leute wie er würden sie, ohne mit der Wimper zu zucken, im Stich lassen, da war sie sicher.

Kapitel 1: Erst ein Date, dann eine Supporterin

Ein hartes, grelles Kratzen hallte durch den quadratischen Raum. Das spärliche Licht von der Decke ließ die Wände mattgrün erscheinen.

Ich richtete das Hestia Knife, das ich von meiner Göttin bekommen hatte, auf das Monster vor mir. Es hatte vier Beine und zwei etwas kürzere Arme. Der Körper war rötlich und erinnerte an eine Ameise. Nur war dieses Monster mindestens so groß wie ich, hielt den Oberkörper aufrecht und starrte mir direkt in die Augen.

Diese »Killerameisen« wurden in der Regel ab der 7. Ebene und darunter gesichtet. Wie die »Mauerschatten« auf der 6. Ebene galten sie als eine der tödlichsten Gefahren für frischgebackene Abenteurer. Sie verfügten über einen harten Panzer, an dem halbgare Hiebe einfach abprallten wie an einer Rüstung. Selbst mit gezielten Schwertstößen durchdrang man ihn nur schwer. Zu allem Überfluss hatten sie am Ende jedes Arms vier scharfe Klauen, die mir in diesem Augenblick entgegenblitzten.

Bei einem übereilten Angriff konnte man sich schwere Verletzungen zuziehen. So erging es vielen Abenteurern, die versuchten, eine Killerameise mit schnellen Attacken zu überrumpeln, wie sie es von den Monster der höheren Ebenen gewöhnt waren.

»Krchhh! Krchhh!«, knirschte das Monster mit seinen Mandibeln. Auf diese Weise schien es eine Art Pheromon zu verströmen, mit dem es seine Artgenossen in Notsituationen herbeirief, neben dem robusten Panzer eine weitere gefährliche Eigenschaft.

Um eine Chance zu haben, musste ich diese Killerameise mit einem einzigen gezielten Angriff töten. Uns trennten nur wenige Schritte, und wir sahen einander in die Augen.

Kurz spannte ich mich an, dann preschte ich los. Es lag mir nicht, passiv auf eine Gelegenheit zum Gegenangriff zu warten.

Die Killerameise ließ wieder das unangenehme Knirschen hören und schlug mit dem rechten Arm nach mir. Aus dem Augenwinkel sah ich vier weiß schimmernde Klauen auf mich zurasen, doch ich war schneller: Mit einem blitzschnellen Streich trennte ich die Krallen vom Arm ab.

»Krchiii?!«, machte die Killerameise und starrte ihren rechten Arm an, den ich gerade um vier Klauen kürzer gemacht hatte. Ich nutzte die Gelegenheit und bereitete mich, das Hestia Knife erhoben, auf den entscheidenden Moment vor.

Um eine Killerameise zu töten, zielte man am besten auf die Lücken in ihrem harten Panzer – es waren die einzigen Stellen, die ihr verwundbares Fleisch entblößten. Auch darum war dieses Monster für Anfänger so gefährlich: Ihnen fehlte die für solche Angriffe erforderliche Präzision. In der Theorie funktionierte es.

Ich entschied mich jedoch bewusst für einen anderen Weg und hieb mit meiner dunklen Klinge direkt nach dem Hals: Da ein Arm bereits ausgeschaltet war, war der Oberkörper nun wesentlich verwundbarer.

Kurz spürte ich den Widerstand des Panzers, dann war ich durch. Ich führte jenen Schwung mit meiner Waffenhand aus, an den ich mich mittlerweile gewöhnt hatte. Mit einem befriedigenden Geräusch durchtrennte meine Klinge den Hals der Killerameise, und ihr Kopf sauste durch die Luft davon. Aus der Schnittstelle drang eine dicke, violette Flüssigkeit.

Der Kopf landete auf dem Boden, die Augen noch immer schreckgeweitet. Kurz darauf klappte auch der restliche Körper des Monsters in sich zusammen.

»Jawoll!« Mit einer fließenden Bewegung wischte ich das Blut meines Gegners von der Klinge. Dann blickte ich auf das Hestia Knife hinunter. Mir war, als hätte ich noch nie mit einer anderen Waffe gekämpft. Als wäre der Griff mit meiner Handfläche verwachsen.

Die Durchschlagskraft war erstaunlich. Selbst den harten Panzer einer Killerameise durchschnitt sie wie Butter.

Unglaublich, wie mächtig Hephaistos’ Waffen sind! Und meine Göttin hat dieses Messer extra für mich besorgt!

Ich machte mich daran, den Magiestein des Monsters zu erbeuten, und grinste dabei wie ein kleines Kind, das ein neues Spielzeug bekam. Früher hatte mir mein Großvater zu jedem Geburtstag ein Bilderbuch mit Heldengeschichten geschenkt. Diese Bücher waren mir so wichtig gewesen, dass ich kaum gewagt hatte, sie zu öffnen, aus Angst, sie mit meinen Fingern dreckig zu machen. Ich hatte zwar keine solchen Skrupel, das Messer zu benutzen, aber die Aufregung war die gleiche.

Danke, Hestia …

Ich dachte daran, wie beschäftigt sie in letzter Zeit gewesen war – vermutlich meinetwegen –, und ein Lächeln trat auf mein Gesicht.

Ich werde stärker, das verspreche ich. Ich werde deine Bemühungen in Ehren halten und zu einem Abenteurer werden, der dieser Waffe würdig ist!

Ich steckte das Messer in die Scheide an meinem Gürtel und setzte meine Erkundung der 7. Ebene fort.

»D… Die siebte Ebene? Bist du verrückt?!«

»Uwah!«, schrie Bell auf. Einas zusammengezogene Augen-brauen und ihre aufgebrachte Stimme zeigten deutlich, wie wütend sie war.

Kurz zuvor war er noch gut gelaunt ins Gildenhauptquartier marschiert, nachdem er mithilfe seines Geschenks die Erkundung der 7. Ebene erfolgreich abgeschlossen hatte, und hatte seine Beute eingetauscht. Er hatte sich nur noch kurz bei seiner Beraterin blicken lassen wollen, doch dies schien ein Fehler gewesen zu sein, denn sie war keineswegs darüber erfreut, zu hören, dass er heute bis auf die 7. Ebene vorgedrungen war. Mit Bells guter Laune hatte es ein jähes Ende.

»Ich kann einfach nicht fassen, wie unvorsichtig du bist!« Eina knallte beide Handflächen auf den Tisch. Feurig starrte sie ihn aus ihren grünen Augen an, wie eine Schlange, die drauf und dran war, ihre Beute zu erlegen. »Hörst du mir überhaupt zu? Schon die fünfte Ebene war viel zu gefährlich für dich, und jetzt warst du auf der siebten?!«

»T… Tut mir leiiid!«

Sie war erzürnt darüber, dass Bell nicht auf ihren Rat gehört hatte und tiefer in den Dungeon vorgedrungen war, als sie es, gemessen an seinen Fähigkeiten, für sicher und vernünftig hielt. Ein Abenteurer lebte länger, wenn er sich auf möglichst wenig Abenteuer einließ. So lautete ihr Mantra.

»Wer von uns beiden wurde denn vor einer Woche beinahe von einem Minotaurus getötet, hm?«

»I… Ich war das …«

»Und warum dringst du dann noch tiefer in den Dungeon vor? Reicht dir eine Nahtoderfahrung nicht?!«

»Ich hab doch gesagt, dass es mir leidtut!«, sagte Bell mit feuchten Augen. So rügte sie einen nur, wenn es ihr sehr ernst war. Sie konnte es nicht ertragen, wenn Bell sinnlos sein Leben aufs Spiel setzte, darum reagierte sie so.

Gerade einmal vor einem halben Monat hatte er seine Abenteurerkarriere begonnen. Eine Expedition auf die fünfte Ebene und darunter kam einem Selbstmordkommando gleich.

Ab da veränderte sich der Dungeon stark, und der Schwierigkeitsgrad stieg spürbar an. In der siebten Ebene bekam man es mit Monstern wie der Killerameise zu tun, und wenn es einer von denen gelang, Verstärkung zu rufen, war alles vorbei. Mit einer Koboldmeute konnte man es notfalls noch allein aufnehmen, aber ein Schwarm Killerameisen verspeiste Soloabenteurer zum Frühstück.

»Du hast eindeutig nicht genug Respekt vor dem Dungeon! Schätze, den werde ich dir einbläuen müssen!«

Bell heulte auf, denn er wusste, was ihn erwartete. Im letzten halben Jahr hatte er Einas strenge Predigten oft genug über sich ergehen lassen müssen. Er befolgte ihre Ratschläge nicht immer, wenngleich sie sich größtenteils als nützlich erwiesen hatten.

»J… Jetzt warte doch mal!», rief er. »Du vergisst, dass ich mittlerweile stärker bin!«

»Was heißt hier stärker? Nur, weil deine Statuswerte auf H gestiegen sind, bist du noch lange nicht stark genug für solche Abenteuer!«

»Aber einige sind sogar schon bei E! Wirklich!«

»Wie bitte …? Bei E?!« Eina riss die Augen auf, konnte offenbar nicht fassen, was sie da hörte. »Glaubst du wirklich, dass ich mir solche Lügen auftischen lasse?«

»Aber es stimmt! Warum sollte ich lügen? In letzter Zeit mach ich einfach große Fortschritte, irgendwie steigen meine Meisterschaftsgrade total schnell …«

»Wirklich?«

Bell nickte eifrig, was bei Eina bloß zu noch mehr Verwunderung führte. Sie war noch nicht lange seine Beraterin, glaubte jedoch, mittlerweile beurteilen zu können, wann der Junge sie anlog und wann nicht. Und jetzt gerade schien er die Wahrheit zu sagen.

»Bis auf E? Wirklich?«

»J… Ja …«

Eina hob die rechte Hand, ein Zeichen, dass sie eine kurze Denkpause benötigte. Mit der anderen zählte sie die Stufen der Statuswerte ab. »S, A, B, C, D, E …« Dann noch einmal, um ganz sicher zu gehen. »S, A, B, C, D, E …« Am Ergebnis änderte es nichts.

Sie war verwirrt. Bell hatte sie bestimmt nicht angelogen, und trotzdem war ihr unbegreiflich, wie jemand so schnell die Stufe E erreicht haben könnte.

Sie hatte ihre Gründe gehabt, davon auszugehen, er befinde sich auf Stufe H. Ihrer Erfahrung nach erreichten ein paar Abenteurer diese Stufe in nur einem halben Jahr – das zeigte bereits Talent; die Besten schafften möglicherweise Stufe G; aber Stufe F war bereits die ganz große Ausnahme …

Bei einem Abenteurer, der vor dem Start seiner Karriere bereits Kampferfahrung gesammelt hatte, hätte Eina es ja noch nachvollziehen können, nur war Bell als Enkel eines Farmers aufgewachsen. Aber anlügen würde er sich nicht, davon war sie überzeugt.

»Hmmm …« Eina tippte sich ans Kinn, während Bell unruhig dasaß. »Sag mal …«

»Ja?«

»Dürfte ich mir den Status auf deinem Rücken ansehen?«

»W… Was?!«, rief Bell erschrocken und sprang auf.

»Also, es ist nicht so, als würde ich dir nicht glauben, aber …«

Sie fuchtelte beschwichtigend mit den Händen. An seiner Aufrichtigkeit zweifelte sie nicht, sie fragte sich nur, ob seine Göttin Hestia ihm die richtigen Informationen gegeben hatte. Vielleicht hatte er sie auch einfach falsch verstanden. Dass sie auf solche weit hergeholten Theorien zurückgriff, zeigte, wie sehr Bells Angaben ihrer bisherigen Erfahrung widersprachen. Sie musste es mit eigenen Augen sehen, um es zu glauben.

»A… Aber als Abenteurer soll man seinen Status doch unter allen Umständen geheim halten …«

Es war der Gilde strengstens verboten, Informationen über ihre Abenteurer nach außen dringen zu lassen. Dinge wie Level, Rang oder Stärke einer Familia wurden zwar innerhalb der Organisation weitergegeben, aber Details wie besondere Skills oder Magie waren strikte Privatsache.

Schließlich kam es regelmäßig zu Streitigkeiten unter den Familias, und es wäre fatal, wenn solche kritischen Informationen zu einer der Konfliktparteien durchsickerten.

»Ich verspreche dir hoch und heilig, dass niemand davon erfahren wird. Ansonsten übernehme ich dafür die volle Verantwortung.«

»Aber … kannst du die Hieroglyphen denn überhaupt lesen?«

»Mehr oder weniger. Für die Statuswerte sollte es reichen.«

In der Ausbildung hatte sie sich auf die Götter und ihre Gepflogenheiten spezialisiert. Einfache Hieroglyphen stellten kein Hindernis für sie dar.

»Wenn du mich nicht selbst nachsehen lässt, lasse ich dich nie wieder tiefer als Ebene 5 gehen, verstanden?«

»Na hör mal …«

»Ich guck auch weder auf deine Skills noch auf deine Magie, versprochen!« Eina senkte den Kopf und legte flehend die Hände zusammen. »Okay? Einverstanden?«

»Meinetwegen … Aber Skills oder Magie hab ich sowieso nicht.« Er hatte ihr viel zu verdanken, und er vertraute ihr ja ebenso sehr wie seiner Göttin. Er wäre nicht einmal auf die Idee gekommen, an ihren Worten zu zweifeln. »Ähm, dann mach ich mich … wohl mal frei …«

»Brauchst deswegen aber nicht gleich rot anzulaufen! Für mich ist das genauso unangenehm wie für dich …«

Ruckartig stand sie auf und zog sich diskret in eine Zimmerecke zurück. Beide hatten nun rosa Wangen, doch Bell überwand sich und zog sich rasch die Oberbekleidung aus.

Als Erstes fiel Einas Blick auf seinen überraschend durchtrainierten Oberkörper. Dann wurde ihr bewusst, dass sie ihn anstarrte, und sie schüttelte heftig den Kopf, um sich wieder zu fangen. Mit leicht geröteten Ohren machte sie sich daran, die schwarzen Schriftzeichen zu lesen, die in Bells Rücken geritzt waren.

Bell Cranel

Level 1

Stärke: E 403

Ausdauer: H 199

Geschicklichkeit: E 412

Beweglichkeit: D 521

Zauberkraft: I 0

Das kann nicht sein …

Auch wenn sie in gewisser Weise darauf vorbereitet gewesen war, traf sie das, was sie sah, wie ein Schlag. Abgesehen von der Zauberkraft sprachen alle Werte dafür, dass Bell es problemlos mit den Monstern auf Ebene 7 aufnehmen konnte.

Für Einas Geschmack ließ seine Ausdauer noch etwas zu wünschen übrig: Sie legte viel Wert auf Verteidigung. Da sein Kampfstil jedoch weniger auf Abwehren und mehr auf flinkes Ausweichen ausgelegt war, konnte sie sich damit arrangieren. Die Statuswerte spiegelten Bells Tendenz wider, gegnerischen Attacken auszuweichen, sie mit einem Konter abzustrafen und sich dann zügig zu entfernen. Insofern war es nachvollziehbar, dass seine Beweglichkeit auf D angestiegen war. Sprachlos machte es sie dennoch.

Wie ist das nur möglich?! Sie schluckte. Ihr war, als bräche gerade alles in sich zusammen, was sie je über den Fortschritt von Abenteurern gelernt hatte. Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken. Wenn jemand wusste, wie außergewöhnlich dieser Anblick war, dann sie. Schließlich beschäftigte sie sich tagein, tagaus mit den verschiedensten Abenteurern und erlebte ihren Werdegang mit.

Bells Fortschritte waren in jeder Hinsicht außergewöhnlich. So sehr sie sich auch den Kopf zerbrach, ihr wollte nicht einfallen, wie so etwas sein konnte. Dann kam ihr ein Geistesblitz.

Ein kurzer Blick wird ja erlaubt sein …

Ihr Blick folgte den Hieroglyphen auf Bells Rücken weiter nach unten, dorthin, wo seine Magie und Skills verzeichnet waren.

Sie hatte ihm zwar versprochen, diesen Teil auszulassen, aber nach dem, was sie eben gesehen hatte, siegte ihre Neugier über ihr Pflichtgefühl. Es war, als hätte sie eine große Schatztruhe vor sich stehen und könnte nicht anders, als einen Blick hineinzuwerfen. Verflixt, ich kann das nicht lesen …

Trotz ihres Wissens war sie nicht in der Lage, die komplexe Aneinanderreihung von Hieroglyphen in den Magie- und Skill-Spalten zu entziffern. Das hatte einen guten Grund: In ihrer Überfürsorge hatte Hestia den Status mit einem Schutz versehen. Für Eina sah es jedoch so aus, als könnte sie lediglich Hestias eigenwillige Handschrift nicht lesen. So gelang es Bells Göttin, sein wahres Potenzial vor Eina zu verbergen.

»Ähm, Eina …? Dauert es noch lang?«

»Oh …« Ihre spitzen Ohren zuckten. Ihr wurde wieder bewusst, in was für einer Situation sie sich gerade befanden. »Nein, ich bin fertig!«

Mit roten Wangen und einem verlegenen Lachen wandte sie sich ab. Während er sich eilig wieder anzog, murmelte sie eine Entschuldigung.

Hab ich das gerade wirklich gesehen?

Bei diesen Werten konnte sie ihm unmöglich verbieten, auf Ebene 7 hinabzusteigen, selbst wenn er sich dort alleine herumtreiben wollte. Allerdings machte sie sich schon jetzt Sorgen, was passieren würde, wenn ihm das irgendwann nicht mehr reichte.

»W… Was hast du?«, fragte Bell nervös, als die Halbelfin ihn von Kopf bis Fuß musterte. Sie starrte ihn eine gefühlte Ewigkeit an. Sorgen bereitete ihm vor allem ihr ungewohnt abschätziger Blick.

Sie begutachtete jedoch nicht seinen Körper, sondern die Ausrüstung, die er trug. Sie war schäbig.

»Bell?«

»J… Ja …?«

»Hast du morgen schon was vor?«

Am nächsten Tag wartete ich allein auf einem großen, halbkreisförmigen Platz im Norden Orarios, der an die zentrale Straße angrenzte. Dort sollte ich mich mit Eina treffen. Ich wusste, die Chance war verschwindend gering, aber …

Ist das hier etwa ein … Date?

Gestern hatte sie mich dazu eingeladen, gemeinsam neue Ausrüstung einkaufen zu gehen. Gemessen an meinen Fortschritten hatte sie wohl meine jetzige Ausstattung für unbrauchbar befunden und angenommen, sie müsse sich wie üblich um meine Probleme kümmern. Bestimmt will sie einfach nur nett sein und mir helfen. Mehr steckt nicht dahinter. Aber es wirkt schon alles wie ein Date: Wir treffen uns morgens um zehn an der Bronzestatue auf dem Platz, nur wir beide …

»Guten Morgen, Bell!«, rief sie mir plötzlich entgegen und näherte sich schnellen Schrittes – es war so weit. »Du bist ja überpünktlich! Kannst es wohl kaum erwarten, neue Ausrüstung zu kaufen?«

»Ähm, nein, ich …« Plötzlich machte mich der Gedanke nervös, Zeit allein mit ihr zu verbringen. Natürlich konnte ich ihr das nicht sagen. Stattdessen blickte ich unruhig umher.

»Ehrlich gesagt habe ich mich auch darauf gefreut, mit dir einkaufen zu gehen, he he!«

Normalerweise bekam ich Eina nur in ihrer Gildenuniform zu Gesicht, aber heute trug sie eine hübsche weiße Bluse mit Rüschen und einen kurzen Rock. Schlicht und doch elegant. Ihre Brille hatte sie heute auch nicht auf.

Ich war so daran gewöhnt, sie in Uniform zu sehen, dass sie mir völlig verändert vorkam. Irgendwie … erwachsener. Und attraktiv. Mit ihrem plötzlichen Wandel zog sie mich in ihren Bann.

»Findest du es seltsam, dass ich mich darauf freue, blöde Ausrüstungsgegenstände zu kaufen?«

»N… Nein, ganz und gar nicht!«, antwortete ich so nach-drücklich, dass sie lachen musste. Es wunderte mich nicht, dass Eina unter den Abenteurern so beliebt, vielleicht sogar die beliebteste Gildenmitarbeiterin überhaupt war.

Ob alle Halbelfen so sind wie Eina?

»Ähem … Bell?«

»Was ist?«

»Na, was sagst du zu meinem Freizeit-Outfit?«

»Du, öh, du siehst damit … viel jünger aus als sonst!«

»Unverschämtheit! Ich bin gerade mal neunzehn, klar?!« Wütend schlang sie ihren dünnen Arm um meinen Hals und zog mich gefährlich nah an ihre Brust. »Los, entschuldige dich!«

»E… Es tut mir leeeid!«, schrie ich. »Bitte lass mich gehen!«

»Es ist schon eine Weile her, dass ich so mit jemandem einkaufen gegangen bin.«

»Wirklich? Ich kann mir kaum vorstellen, dass irgendjemand dir eine Einkaufstour abschlagen würde … vor allem kein Mann.«

»He he, du kleiner Charmeur! Aber es ist wahr. Seit ich meine Stelle in der Gilde angenommen habe, hab ich mich voll und ganz auf die Arbeit konzentriert.«

Der Himmel war klar, und die Sonne schien. Perfektes Wetter für ein Date, auch wenn ich es immer noch nicht so nennen wollte. Zusammen gingen wir auf der zentralen Nordstraße in Richtung Süden. Ich genoss den angenehmen Wind, der durch die Stadt wehte.

Um diese Zeit waren auf der Straße wie üblich viele Leute unterwegs. Etwas zu viele für meinen Geschmack. Aus den großen und kleinen Läden am Straßenrand riefen Angestellte den Passanten zu und versuchten, sie zum Einkauf zu bewegen. Die Stimme eines Zwergs stach besonders hervor, donnernd wie ein Erdbeben. Auch Eina wurde angesprochen: Ein Ladenangestellter fragte sie, ob ich ihr kleiner Bruder sei. Freundlich, aber bestimmt wimmelte sie den Tiermenschen ab.

»Ähm, wie weit gehen wir denn noch? Wir sind ja schon bald beim Dungeon.«

»Ich dachte, ich überrasche dich damit … aber wahrscheinlich ist es gemein, dich so lange zappeln zu lassen. Na gut, dann verrat ich es dir.«

Von der Mitte Orarios liefen insgesamt acht zentrale Straßen zu den Stadtmauern: Richtung Norden, Nordosten, Osten, Südosten, Süden, Südwesten, Westen und Nordwesten. Dort, wo die etwas größeren Straßen der vier Hauptrichtungen sich trafen, ragte majestätisch der Himmelsturm empor. Und auf den bewegten wir uns zu.

»Wir wollen zum Dungeon«, sagte Eina bestimmt.

»Was?!«

»Wir steigen aber nicht hinunter, sondern hinauf – in den Turm Babel.«

Die Funktion des riesigen Himmelsturms war, den Eingang des Dungeons wie ein Deckel zu verschließen und somit zu kontrollieren, wer ein- und ausging. Mit wenigen Gebäuden waren die Abenteurer der Stadt so vertraut wie mit diesem.

»Aber … Sind da nicht nur die Duschen und Gemeinschafts-räume für Abenteurer?«

»Du weißt wirklich gar nichts, oder? Na ja, bist ja auch erst seit knapp einem Monat dabei. Dann werden wir den Tag mal nutzen und dir ein paar nützliche Infos eintrichtern!«

Beim Anblick ihres selbstsicheren Lächelns bekam ich es mit der Angst zu tun: Ihre Lektionen über den Dungeon hatten mich schon oft ins Schwitzen gebracht. In der Hoffnung, dass sie diesmal weniger streng mit mir sein würde, spitzte ich die Ohren.

»Babel wird, wie du weißt, von der Gilde verwaltet«, erklärte sie. »Es stimmt, dass sich darin Gemeinschaftseinrichtungen für Abenteurer befinden. Aber wusstest du, dass es dort auch eine Mensa, eine Krankenstation und ein Tauschbüro gibt?«

»Was, wirklich? Ich dachte, das alles gibt’s nur im Hauptquartier und in den Zweigstellen der Gilde!«

»Siehst du? Schon hast du was gelernt! Allerdings gibt’s dort nicht so viel Personal, deshalb können die Schlangen manchmal etwas länger werden … Gut, weiter zum nächsten Punkt. Ein bestimmter Bereich Babels wird von der Gilde an Händler vermietet. Und da wollen wir heute hin.«

Darum waren wir also auf dem Weg nach Babel: Eina wollte mit mir in dessen Läden nach neuer Ausrüstung stöbern.

»Wegen der besonderen Lage des Turms sind all diese Läden auf Angebote für Abenteurer spezialisiert. Viele werden von Familias geführt. Den Namen Hephaistos hast du in diesem Zusammenhang bestimmt schon mal gehört, oder?«

»Ähm, ja!« Unwillkürlich tastete ich nach dem Messer an meiner Hüfte.

»Nun, was weißt du denn alles über sie?«

»Na ja, ich weiß, dass sie berühmt für ihre hochwertigen Waffen sind und jeder Abenteurer gern eine hätte …«

»So kann man es ausdrücken. Wir gehen heute zu einem Laden der Hephaistos-Familia.«

»W… Waaas?!«

Als Eina meinen Aufschrei hörte, den lautesten bisher, grinste sie wie ein Kind, dem ein Streich geglückt war. Ich wollte sie an den Schultern packen und fragen, was das zu bedeuten hatte, aber sie entzog sich mir, flatterhaft wie eine Fee, und schritt weiter auf den Turm zu, der nun mein gesamtes Gesichtsfeld einnahm.

»W… Wir sind da …«

Wir standen auf dem großen, kreisrunden Platz, in dessen Mitte der gigantische weiße Turm aufragte. Bei all den Bäumen und Wasserfontänen ringsum konnte ich sehr gut nachvollziehen, warum man diesen Ort den Zentralpark nannte.

Zwar strömten auch gewöhnliche Bürger hierher, doch die meisten trugen Schilde, Schwerter und andere Ausrüstungsgegenstände bei sich, die sie als Abenteurer auswiesen. Die Tatsache, dass der Platz sich trotz der vielen Besucher nicht zu füllen schien, sprach Bände über seine schiere Größe.

»Aber Eina, was soll ich denn da? Ich hab nicht ansatzweise genug Geld, um mir die Ausrüstung der Hephaistos-Familia leisten zu können …«

»Darüber kannst du dir Sorgen machen, wenn wir da sind!«

»Du spannst mich heute aber auf die Folter …«

Eina schnaubte nur amüsiert und ging schnellen Schrittes weiter. Als sie bemerkte, dass ich kaum hinterherkam, ergriff sie mit ihren zarten Fingern meine Hand. »Jetzt komm schon! Du willst doch ein Mann sein, oder? Dann jammer nicht so viel!«

Ich ließ mich mitschleifen und wurde erst bleich und dann rot. Meine Hände waren rau von der Arbeit auf dem Feld, ihre hingegen weich und warm, das genaue Gegenteil. Das Gefühl machte mich völlig verrückt. Allerdings holten mich die geradezu neidischen Blicke der männlichen Abenteurer um mich her rasch wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Gut, dass Blicke nicht töten konnten.

»Eina, würde es dir was ausmachen, meine Hand loszulassen? B… Bitte?«

Doch sie ignorierte mein Flehen. »Wir gehen zur berühmtesten Schmiede-Familia Orarios, da sollten wir sicherstellen, dass du auch genügend übers Schmieden weißt. Hast du schon mal von Entwicklungswerten gehört, Bell?«

»Nein, noch nie …«

»Das sind Werte, die sich bei einem Levelaufstieg willkürlich manifestieren können, als Bonus sozusagen«, erklärte sie. »Verglichen mit den normalen Statuswerten stellen sie eine Art Spezialisierung dar. Die Excelia, die ein Abenteurer sammelt, bestimmen, welche Entwicklungswerte sich bei ihm ausbilden können. Zum Beispiel existiert ein Entwicklungswert namens ›Schmiedekunst‹.«

Entwicklungswerte, Schmiedekunst … Das alles war mir neu. Laut Eina galt der Entwicklungswert Schmiedekunst bei den heutigen Schmieden als unerlässlich, und die meisten Hephaistos-Schmiede besaßen ihn. Die mussten also mindestens Level 2 erreicht haben, was viel über die Kampfkraft der Familia aussagte.

»Schmiede gab es natürlich auch schon vor der Zeit der Götter. Die meisten ihrer Werke taugen heute nur noch als Antiquitäten; ein paar kann man noch verwenden. Aber die Schmiede der heutigen Zeit, die den Segen der Götter genießen und über den Entwicklungswert Schmiedekunst verfügen, können ihre Waffen und Rüstungen mit Attributen versehen.«

»Attributen?«

»Das sind besondere Eigenschaften. Du kannst sie dir wie die Skills vorstellen, die manche Abenteurer besitzen, nur gehören sie zu einem Ausrüstungsgegenstand. Ein Schwert könnte zum Beispiel die Eigenschaft haben, dass es nicht zerbricht, oder die Klinge wird niemals stumpf. Bei einem gewöhnlichen Schmiedeprozess würde so was nicht zustande kommen, oder?«

Ich nickte.

»Manche Waffen bringen magische Phänomene hervor, wenn man sie schwingt, zum Beispiel Flammen.«

»Was, wirklich?!«

»Als Abenteurer solltest du so was eigentlich wissen … Jedenfalls nennt man solche Waffen auch Magiewaffen. Nur wenige Schmiede können sie überhaupt herstellen.«

Ich schluckte. Mithilfe einer solchen Magiewaffe konnte man sicher selbst erfahrene Kämpfer besiegen.

»Das Ganze hat allerdings einen Haken: Magiewaffen werden durch ihre Verwendung verbraucht, bis sie schließlich zerbrechen. Außerdem ist ihre Magie nicht so stark wie ein gewöhnlicher Zauber, den ein Magier spricht.« Sie lächelte säuerlich. »Im Prinzip sind’s also sündhaft teure Wegwerfwaffen.«

Demnach konnte ich davon ausgehen, dass nicht viele Abenteurer über so etwas verfügten. So eine Magiewaffe war zwar attraktiv, aber eben auch unverlässlich: Was, wenn sie einem mitten im Dungeon plötzlich auseinanderfiel? In so einer gefährlichen Umgebung, in der mit allem zu rechnen war, musste man sich auf sein Ausrüstung verlassen können. Und dann waren diese Dinger auch noch unverschämt teuer!

»Was gibt es denn sonst noch für Entwicklungswerte?«, fragte ich neugierig. Vielleicht manifestiere ich ja auch einmal so was. Ach was, ganz bestimmt werd ich das!

»Hm, mal sehen … Was man bei Abenteurern oft sieht, sind Werte wie Leidensresistenz, Zauberei oder Mystik.«

»Mystik?«

»Genau. Damit kann man sich die Macht der Götter zunutze machen und im wahrsten Sinne des Wortes Wunder bewirken. Kennst du die Geschichte vom Stein des Weisen?«

Natürlich nicht, dachte ich und schüttelte den Kopf.

»Die soll sich vor laaanger Zeit zugetragen haben. Einem weisen Mitglied einer Familia, das über den Entwicklungswert der Mystik verfügte, gelang es, den sogenannten Stein des Weisen zu erschaffen. Der Effekt: Er verlieh seinem Träger das ewige Leben.«

»Ich glaube, viel weiter kann mir die Kinnlade nicht runter-klappen.«

»He he, verständlich. Aber die Geschichte geht weiter. Als eine Gottheit davon Wind bekam, nahm sie dem Weisen den Stein weg und zerschmetterte ihn vor seinen Augen – und damit auch seine Chance auf ein ewiges Leben. Der Weise war am Boden zerstört: Mit einem Wimpernschlag waren ihm sein Lebenswerk und sein Leben genommen worden. Doch die Gottheit zeigte nur mit dem Finger auf ihn und lachte.«

Ich hatte schon viele Göttermythen gehört, doch dieser gehörte zu den gemeinsten. Andererseits ging es in solchen Mythen ja oft um Götter, die ihren »Schützlingen« eine fiese Lektion erteilten. Ich konnte mich glücklich schätzen, dass ich als Erstes Hestia über den Weg gelaufen war.

»Offenbar hatte der Weise den Stein nur durch Zufall erschaffen, deshalb konnte er keinen neuen herstellen. Und weil nach ihm nie wieder ein Weiser einen so hohen Mystik-Wert erlangte, war der Stein irgendwann nur noch eine Legende.«

»Das verstehe ich nicht. Lassen sich Entwicklungswerte denn nicht durch den Meisterschaftsgrad steigern wie normale Statuswerte?«

»Nein«, entgegnete Eina. »Sie haben bloß die Stufen von S bis I, und es soll extrem schwierig sein, sie zu erhöhen. Kein Vergleich mit den regulären Statuswerten.«

Sie hielt es also für unmöglich. Ich selbst konnte von solchen Fähigkeiten ohnehin nur träumen.

Unterdessen erreichten wir den Eingang. Eigentlich war es nicht mehr als ein großes Loch, von denen es am Fuß des Turms mehrere gab. So konnten ihn viele Abenteurer gleichzeitig betreten. Im Inneren erstreckte sich ein Saal, dessen Wände in weißer und hellblauer Farbe leuchteten. Und hier, genauer gesagt darunter, befand sich der Eingang zum Dungeon.

»Und wir beide …«

»Wollen nach oben«, beendete Eina den Satz. »Die Händler finden wir ab der dritten Etage.«

Das Erdgeschoss des Turms war so etwas wie ein riesiges Foyer. Die Gemeinschaftseinrichtungen befanden sich im ersten Stock. Im zweiten fanden wir an einer Stelle der Außenwand das besagte Tauschbüro. Hier endete die Treppe. Ich suchte noch nach Stufen, die uns weiter hinauf führen würden, da zog mich Eina plötzlich an der Hand ins Zentrum der Etage.

Wir betraten eines von den vielen kreisförmigen Podesten, und eine durchsichtige Wand schloss sich um uns, aus einem Material, das wie Glas aussah, aber keines war.

Eina betätigte die Konsole neben uns … und das Podest begann sich zu bewegen. Wir lösten uns vom Boden und schwebten aufwärts.

»Was zum …«

»Ha ha, mir ging es beim ersten Mal genauso!«

Bei diesem Ding schien es sich um ein Transportmittel zu handeln, mit dessen Hilfe wir uns zwischen den Etagen hin- und herbewegen konnten. Es wurde von Magiesteinen angetrieben, die an der Unterseite angebracht waren und uns mithilfe magischer Kraft nach oben beförderten.

Während ich noch über die Vielseitigkeit der Magiesteine staunte, erzählte Eina mir, man müsse sie nach einer gewissen Zeit austauschen, sonst verlören sie ihre Antriebskraft.

Nach kurzer Zeit kamen wir in der vierten Turmetage an.

»Der Laden, zu dem ich mit dir will, ist weiter oben, aber wo wir schon mal hier sind, willst du dich bestimmt kurz umsehen, oder?«

Ich nickte enthusiastisch. Dann ließ ich meinen Blick über all die Waffen- und Ausrüstungsläden schweifen. Ein vertrauter Schriftzug sprang mir ins Auge: Ἥφαιστος. Gehörten denen etwa all diese Läden?

»Ach ja: Von Etage vier bis Etage acht gehören alle Geschäfte der Hephaistos-Familia.«

Alle? Vier komplette Stockwerke?!Diese Familia ist einfach unglaublich.

Übrigens hatten sie auch in der Nähe meines Zuhauses einen Laden, auf der zentralen Nordweststraße. Dort wurde der Dolch verkauft, dessentwegen ich mir immer die Nase am Schaufenster plattgedrückt hatte – für schlappe 8 Millionen Valis, den Preis eines erstklassigen Einfamilienhauses.

Zufälligerweise erspähte ich auch im Schaufenster dieses Ladens sogleich eine interessante Waffe: ein glänzendes blutrotes Schwert. Ich sah mir das Preisschild genauer an.

30 Millionen Valis?!

Bei diesem Anblick wurde mir etwas schwindelig. Ich legte mir die Hand auf die Stirn und torkelte davon, während Eina nur daneben stand und lachte.

Hestia meinte doch, es gebe von dem Dolch, den sie mir geschenkt hat, nur ein einziges Exemplar auf der ganzen Welt … Wenn dieses Ding hier schon so teuer ist, wie viel ist dann erst das Hestia Knife wert?! Ich schluckte.

»Hereinspaziert, werte Kunden! Wie darf ich Euch heute behilflich sein?« Durchs Fenster hatte mich eine Angestellte erspäht. Sie war ziemlich klein, hatte ein hübsches, rundes Gesicht und lächelte förmlich und freundlich zugleich. Als sie auf mich zukam, hüpften ihre beiden schwarzen Pferdeschwänze rechts und links – so wie auch die üppigen Brüste unter ihrer dunkelroten Schürze …

»Göttin, du?!«

Augenblicklich fiel ihr Lächeln in sich zusammen.

Deshalb war sie also in letzter Zeit immer so beschäftigt: Offenbar arbeitete sie hier.

»Was machst du denn hier? Hast du etwa noch einen Job angenommen? Ich hab dir doch gesagt, du musst nicht mehr so hart arbeiten, jetzt, wo ich tiefer in den Dungeon kann und mehr Geld verdiene!«

»Bell, hör mir gut zu: Tu einfach so, als hättest du nichts gesehen oder gehört, und geh wieder nach Hause, verstanden? Du hast hier doch nichts verloren.«

»Das sagt die Richtige! Bisher hattest du doch nur einen Stundenlohn von 30 Valis?!«

»Mach dich nicht über meine Arbeit beim Verkaufsstand lustig!«

»Komm schon, lass uns nach Hause gehen! Du bist eine Göttin. Was, wenn dich die Leute so sehen? Dann machen wir uns wieder zum Gespött!«

»Lass mich sofort los, Bell! Eine Göttin muss tun, was eine Göttin tun muss!«

»Ach ja? Und was muss sie denn so Dringendes tun?! Bitte, komm einfach mit nach Hause!«

Ich hielt sie mit beiden Händen fest, aber sie versuchte unter Aufgebot aller Kräfte, mir zu entfliehen. Was hatte sie sich jetzt wieder in den Kopf gesetzt?

Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Eina einfach dastand und uns mit großen Augen ansah. Aber ich hatte gerade keine Zeit, mich mit ihr zu befassen.

»He, Neue!«, schallte es plötzlich aus dem hinteren Teil des Ladens. »Trödel nicht rum, sondern kümmer dich um die Arbeit!«,

»S… Sofort!«

»Hey!!«

Plötzlich war mir Hestia entwischt und verschwand eilig irgendwo zwischen den Regalen.

»Aber … Göttin!«

»Wie immer nicht ganz einfach mit ihr, was?«, fragte Eina mitleidig und lächelte schief.

Einen Augenblick lang war ich niedergeschlagen, doch dann ermahnte ich mich, dass ich nicht allein hier war, und riss mich zusammen. Um Hestia konnte ich mir später Gedanken machen.

»Tut mir leid, dass du das mitansehen musstest …«

»Mach dir da mal keine Sorgen. Wollen wir weiter nach oben?«

Ich nickte. Abermals stiegen wir in den Magiesteintransporter und fuhren zur achten Etage des Turms hinauf.

»Da wären wir!«

»Sieht ganz so aus …«

Nachdem das Podest zum Stehen gekommen war, öffneten wir die Tür, und uns bot sich ein ähnlicher Anblick wie auf der vierten Etage. Ein Laden reihte sich an den nächsten, und in den Schaufenstern sah man alles, was das Abenteurerherz begehrte: Schwerter, Speere, Äxte, Hämmer, Dolche, Bögen, Schilde, Rüstungen, andere Ausrüstungsgegenstände …

Hier oben tummelten sich viel mehr Abenteurer als auf der vierten Etage. Sie schienen alle wesentlich erfahrener und wohlhabender zu sein als ich, was mich ein wenig abschreckte.

Als Eina das sah, kicherte sie. »Du denkst bestimmt, die Hephaistos-Familia produziert nur hochwertige und teure Gegenstände, die du dir nicht leisten kannst, oder?«

Ich fühlte mich ertappt.

»Das stimmt aber nicht. Am besten, du siehst es dir selbst an. Komm!«

Sie führte mich in den nächstgelegenen Laden, der hauptsächlich Speere zu verkaufen schien. Wir gingen etwas tiefer hinein und gelangten zu einem Ständer an der Wand, in dem mehrere Speere hingen, die qualitativ hochwertig aussahen. Von meinen bisherigen Erfahrungen entmutigt, machte ich mir keine Hoffnungen, als ich auf das Preisschild sah …

12.000 Valis. Moment, wirklich? Das könnte sogar ich mir fast leisten …

»He he. Na? Überrascht?«

»Ja, ziemlich … Aber wie kann das sein?«, fragte ich erstaunt. Mein Blick klebte an dem hervorragend gearbeiteten Speer vor mir.

»Das unterscheidet die Hephaistos-Familia von den anderen Schmiede-Familias: Sie bieten auch die Waren ihrer weniger begabten Schmiede in ihren Läden an.«

»Ist das eine gute Idee? Schreckt das nicht anspruchsvollere Käufer ab?«

»Wirklich exklusive Waren findest du in solchen Läden natürlich nicht! Aber für unerfahrene Schmiede ist es viel wert, dass ihre Kreationen hier einen konkreten Preis zugewiesen bekommen und Abenteurer sie direkt in die Hand nehmen und kaufen können. Da gibt’s sowohl große Lobeshymnen als auch knallharte Kritik – ein Anreiz für die Schmiede, über sich hinauszuwachsen und bessere Waren anzufertigen.«

Ich war zwar überrascht, aber eigentlich klang es ganz logisch. Auf diese Weise lernten Neulinge nicht abgeschottet in irgendeiner Schmiede, sondern konnten ihre Erzeugnisse in die Welt hinaustragen und bekamen Anregungen, wie sie sich verbessern konnten.

»Und für die Anbieter rentiert es sich auch«, erklärte Eina weiter. »Mit solchen Läden sichern sie sich auch die allerärmsten Abenteurer. Hat ein Anfänger sich einmal an die Hephaistos-Produkte gewöhnt, dann wird er sie auch kaufen, wenn er irgendwann mal zu einem erfolgreichen Abenteurer aufgestiegen ist. So fängt die Kundenbindung früh an! Es muss den Anbietern nur gelingen, möglichst viele Anfänger für sich zu gewinnen. Ein paar von denen werden zwangsläufig erfolgreich sein, und die kaufen dann die richtig teuren Produkte.«