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Islam, Geld und Wohlstand - das Finanzbuch aus islamischer Sicht: Warum macht das Zinsverbot Sinn? Wie wirken Schulden für Arme und Reiche? Wie geht ein Muslim mit Schulden um? Wird Vermögen positiv oder negativ gesehen? Wie Geld erwerben, bewahren und ausgeben? Was ist Geld, was sind Kryptotoken? Welche Meinungen vertreten Gelehrte zum Hauskauf? Welche Aktien kommen infrage? Sind Versicherungen islamkonform? Wie wird die Sozialabgabe Zakat berechnet? Welche Aspekte gibt es bei Nachlassplanung und Testament? Für Muslime und alle, die offen und interessiert sind.
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Seitenzahl: 299
Veröffentlichungsjahr: 2022
Copyright © Michael Gassner, 2022
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Autor verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Autors, zu erreichen unter: tredition GmbH, Abteilung »Impressumservice«, Halenreie 40–44, 22359 Hamburg, Deutschland.
Umschlag & Illustration: Priticreative
Lektorat: Ines Balcik, Ines.Balcik.de
Kalligrafie: Haji Noor Deen, HajiNoorDeen.com
Satz: Onur Alka
cover: Kalligrafie von Haji Noor Deen Mi Guang Jiang*
* »Afiya« – Wohlergehen im weiteren Sinne
Aus dem Bittgebet:
اللَّهُمَّ إِنِّي أَسْأَلُكَ الْعَفْوَ وَالْعَافِيَةَ فِي الدُّنْيَا وَالآخِرَةِ
»Allahumma ina asaluka al-Afu wa al-Afiya fi ad-Dunya wa al-Akhira«
»Allah ich frage Dich um Vergebung und Wohlergehen im Diesseits und im Jenseits.«
Druck und Distribution im Auftrag des Autors:tredition GmbH, Halenreie 40–44, 22359 Hamburg, Germany
ISBN: 978-3-347-54256-3
Über den Künstler
Haji Noor Deen Mi Guang Jiang ist ein bekannter Meister der arabischen Kalligrafie.
Er wurde 1963 in Yucheng in der Provinz Shandong in China geboren.
Im Jahr 1997 wurde Haji Noor Deen in Ägypten mit dem Zertifikat für arabische Kalligrafie ausgezeichnet und war damit der erste Chinese, der mit dieser prestigeträchtigen Auszeichnung geehrt wurde.
Im Jahr 2000 initiierte und unterrichtete Noor Deen den ersten regulären und systematischen Kurs für arabische Kalligrafie am Zhengzhou Islamic College in China.
Im Jahr 2005 wurde ein Werk mit dem Titel »Die neunundneunzig Namen Gottes« vom Britischen Museum erworben, um in der Galerie für islamische Kunst ausgestellt zu werden.
Haji Noor Deen wurde von der Georgetown University, USA, in die Liste der »Top 500 einflussreichsten Muslime der Jahre 2009 bis 2020 in der Welt« aufgenommen.
Am 11. Oktober 2016 wurde Professor Haji Noor Deen mit dem Dubai Islamic Economy Development Centre 2016 Islamic Economy Award in der Kategorie Islamische Kunst ausgezeichnet.
2017 wurde Haji Noor Deen von den Meisterkalligrafen Hasan Celebi Hoca, Dawood Bektash, Farhad Kurlu und Ahmed Kocak Hoca in Istanbul, Türkei, mit einem Zertifikat für arabische Kalligrafie, genannt Ijaza, ausgezeichnet. Er war der erste chinesische Kalli-graf, der von der Osmanischen Kalligrafieschule ausgezeichnet wurde.
Er ist der erste chinesisch-arabische Künstler, dessen Werke weltweit ausgestellt und für die ständigen Sammlungen vieler Museen erworben wurden, darunter das British Museum, das San Francisco Asian Museum, das National Museum of Scotland und das Harvard University Art Museum.
Noor Deens außergewöhnliche Meisterschaft und Genialität sowie seine einzigartige Fähigkeit, sein Handwerk dem Publikum auf spektakuläre Weise zu präsentieren, haben ihm Einladungen zu Vorträgen und Workshops von einigen der renommiertesten Institutionen in aller Welt eingebracht, darunter: Peking University, Harvard University, Cambridge University, University of California, Berkeley, Boston University, Kuwait Islamic Arts Center (KIAC), King Fahd Glorious Quran Printing Complex, Al-Madinah Al-Munawwarah und Qatar Islamic Cultural Centre (FANAR). Er hat seine Werke in den USA, dem Vereinigten Königreich, Kanada, Irland, Australien, Singapur, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Katar, Mauritius, Kuwait, Algerien, Ägypten, der Türkei, Italien, Saudi-Arabien, Südafrika, Indien, Pakistan, Malaysia, Usbekistan, Thailand, Russland, Sri Lanka und Bangladesch ausgestellt.
Haji Noor Deen hat die meiste Zeit damit verbracht, Studenten in arabischer Kalligrafie auszubilden. Im Laufe der Jahre sind viele seiner Schüler zu erfolgreichen Kalligrafen geworden. Haji Noor Deen hat die folgenden Bücher geschrieben: ein Copybook der arabischen Kalligrafie, Arabische Kalligrafie-Korrespondenz, Appreciation of Arabic Calligraphy – 600 Types of Familiar Bismillah, Arabic Calligraphy in the Chinese Tradition, Q&A of Islamic Art und The Study of Arabic Calligraphy in Chinese Tradition.
Derzeit konzentriert er sich auf die Erforschung von Koranhandschriften und die Theorie der arabischen Kalligrafie.
Er bringt einem modernen Publikum eine immense Menge an Wissen über islamische Kunst und traditionelles Denken nahe. Der Schwerpunkt seiner Arbeit liegt auf einer meisterhaften kalligrafischen Technik, die auf einzigartige Weise die chinesische und die arabische Kunst miteinander verbindet.
Haji Noor steht für Workshops, Vorträge, Kunstausstellungen und Ausstellungen zur Verfügung.
www.hajinoordeen.com – E-Mail: [email protected]
Mobil: +86 1365 3833 753
Vorwort
Danksagung
Hintergrund
1. Schulden, Zinsen, Ungleichheit
1.1. Vorstellungskraft und Exponentialwachstum
1.2. Argumente der Zinsbefürworter
1.3. Werden die Reichen reicher und die Armen ärmer – und wodurch?
2. Banken ohne Geldzins: Deutschland als Geburtsort des Islamic Finance
3. Perspektive und Planung
3.1. Was ist Vermögen aus islamischer Sicht?
3.2. Optimismus?
3.3. Planen und Handeln – Tadbir al-Mal
3.4. Avicenna & Co: Vermögenszyklus – Erwerb, Bewahren und Ausgeben
3.5. Erwerb (Kasb) – angestellt oder Unternehmer?
3.6. Bewahren (Hifz al-Mal) – Absichern
3.7. Vermögen ausgeben (Infaq)
3.8. Finanzpläne – Rechenbeispiele
4. Erfolg: Vom Einkommen zum Vermögen – Früchte tragen
4.1. Das Einmaleins der Grundregeln und nicht jeder Kredit ist ein Darlehen
4.2. Vermögensaufteilung im Islam (Asset Allocation)
4.3. Euros, Gold, Silber und Digitalwährung im Islam
4.4. Unternehmensbeteiligungen und Aktien
4.5. Sukuk
4.6. Immobilien
4.7. Rentenversicherung und kapitalbildende Lebensversicherung
5. Was der eine gewinnt, verliert der andere – schlechte Geschäfte
5.1. Nullsummenspiele im Internet: CFD, Binary Options & Co
5.2. Anlagebetrug
6. Werkzeugkasten: Ordnen, Planen, Gestalten
6.1. Wie ordnen?
6.2. Welche Ziele setzen?
6.3. Wie budgetieren?
6.4. Wie Schulden regeln?
6.5. Wie investieren?
6.6. Wie absichern, was absichern?
6.7. Welche Aspekte sind bei der Nachlassplanung zu beachten?
Bittgebete
Quellenverzeichnis
Glossar
Stichwortverzeichnis
Vorwort
بِسْمِ اللَّهِ الرَّحْمَنِ الرَّحِيم
»Wenn Islam Gottergeben heißt,
Im Islam leben und sterben wir alle.«
Johann Wolfgang von Goethe, West-östlicher Divan
Islam, Geld und Wohlstand: Was haben diese Themen miteinander zu tun? Muslimen fällt zuerst das Stichwort Zinsverbot ein und wie sie damit umgehen. Für Christen ist das Thema Zinsverbot nicht mehr präsent, aber seit Nullzins oder Negativzins stehen sie vor derselben Herausforderung: Wie können wir investieren ohne Zinsen?
Warum das Zinsverbot und andere islamische Regeln sinnvoll sind, wird erklärt. Vorweggenommen sei gesagt: Ja, es ergibt Sinn – und der wird gern verdrängt. Die schädlichen Auswirkungen des Zinses und wie wir damit umgehen können, zieht sich als roter Faden durch das Buch. Dies richtet sich vorwiegend – aber nicht ausschließlich – an Muslime in deutschsprachigen Ländern. Letztlich betrifft das Problem alle.
Aus muslimischer Sicht ist klar, dass jeder Einzelne seine Aufgaben zu erfüllen hat, und das können wir nur gemeinsam anpacken, mit allen unseren Stärken, Schwächen und Unterschieden. Denn all dies hat einen Sinn:
»[…] Einem jeden von euch haben Wir eine klare Satzung und einen deutlichen Weg vorgeschrieben. Und hätte Allah gewollt, Er hätte euch alle zu einer einzigen Gemeinde gemacht, doch Er wünscht euch auf die Probe zu stellen durch das, was Er euch gegeben. Wetteifert darum miteinander in guten Werken. […]«
Quran 5:48
Wir werden herausarbeiten, was jeder Einzelne tun kann und welche Regeln wir zur Förderung des Gemeinwohls benötigen. All dies gehört zum Sinn unseres Daseins. Um diese Fragen geht es im ersten Kapitel beim Thema »Schulden, Zinsen und Ungleichheit«.
Das dritte Kapitel »Perspektive und Planung« widmet sich dem einzelnen Menschen. Wie prägen uns unsere Gedanken oder der »Mindset« für Erwerb, Bewahren und Ausgeben von Vermögen und wie kann man sich Finanzpläne erarbeiten? Welche Perspektive vertreten wir im Islam zum Thema Vermögen und welche Einstellungen zeigen Millionäre? Kann man reich sein und gleichzeitig besonders verdienstvoll zugunsten Dritter?
Das vierte Kapitel »Erfolg: Vom Einkommen zum Vermögen – Früchte tragen« vermittelt, wie Finanzprodukte islamisch bewertet werden, und Grundwissen zur Vermögensaufteilung. In diesem Zusammenhang geht es um das rechte Investieren, die Rolle von Krediten und um Ausnahmen von Verbotenem (Rukhsa) bei Notwendigkeit. Unter anderem werden die Meinungen der islamischen Gelehrten zum Investieren in Aktien und zum Finanzieren von Immobilien erläutert. Was ist Geld und was Krypto?
Das Kapitel »Werkzeugkasten: Ordnen, Planen, Gestalten« greift die Erkenntnisse der vorhergehenden Kapitel auf und bietet praxisorientierte Checklisten zur Ordnung der eigenen Finanzen an. Hieraus entsteht der Finanzplan – Berater können und sollen helfen, den Plan zu optimieren.
Dieses Ratgeberbuch geht über eine reine Sammlung islamischer Rechtsmeinungen (Fatwas) hinaus. Eine Fatwa ist die Rechtsmeinung eines qualifizierten islamischen Gelehrten – der gute Rat (Nasiha) geht weiter. Es reicht nicht festzustellen, ob ein Handelsgeschäft vor einem islamischen Richter rechtsgültig wäre, sondern vielmehr geht es darum, wie ein Muslim konkret Vorsorge betreibt, Vermögen erwirbt und verwendet in Hinblick auf die besten Ergebnisse im Diesseits und Jenseits. Das islamische Recht (Fiqh) wird dafür mit Charakter (Akhlaq) und gutem Benehmen (Adab) betrachtet. Es geht um Ihsan, das Streben nach Gutem.
Das schmälert nicht die Wissenschaft des Fiqh, welche weitere Wissenschaften immer heranzieht, um Entscheidungen treffen zu können. Die Grundgedanken des Fiqh sind unersetzlich bei der Vertragsprüfung bezüglich der Rechte und Pflichten, die wir eingehen. Der gute Rat hilft, den Blick zu öffnen, über Ja oder Nein hinauszugehen und sich weiterzuentwickeln. Die verhaltensorientierte Arbeit, die dem Islam innewohnt, tazkiyya genannt, macht vor Gelddingen nicht halt, sondern ist Teil der Verantwortung gegenüber Mitmenschen, Umwelt und Schöpfer.
Da bei diesem Ansatz verschiedene Wissensdisziplinen zum Tragen kommen, erhält nicht jede die Präzision und Tiefe, die ihr zusteht. Um Interessierten den Weg zum Wissen zu erleichtern, finden sich Literaturhinweise in eckigen Klammern im laufenden Text. Ein Glossar am Ende des Buchs dient dazu, arabische Wörter sowie finanztechnische Begriffe und ihre ungefähre Bedeutung verständlicher und leicht auffindbar zu machen.
Da während der Arbeit am Buch und in Gesprächen darüber die Frage aufkam, wie ein Deutscher zu Islamic Finance und wie zum Islam kommt, gibt es vor dem Finanzinhalt ein Kapitel zum Hintergrund des Autors. Es darf gern übersprungen werden.
Bei jeder Durchsicht des Manuskripts fand ich inhaltliche und sprachliche Fehler und noch mehr haben Lektorin und Testleser gefunden. Es werden nicht die letzten sein. Daher bitte ich etwaige Fehler mir mitzuteilen unter [email protected]. Erst durch Mithilfe der Leser werden zukünftige Auflagen besser.
Für Fragen und Diskussionen zwischen Autor und Lesern steht eine Facebook Gruppe bereit:
facebook.com/groups/islamicwealthmanagement
Genf, im Dezember 2021
Michael Gassner
Danksagung
Alhamdulilah. Kein Buch entsteht allein. Mein Dank gilt allen, die halfen, und allen, die das Buch lesen und davon Gewinn tragen – erst dadurch wird die Arbeit den Aufwand wert.
Ein Sachbuch lesbar zu gestalten ist gerade für Fachleute eine besondere Herausforderung. Mein Dank gilt deswegen meiner Lektorin Ines Balcik. Im gleichen Maße sind Testleser unverzichtbar: Sohn und Neffe hatten eine schwere Zeit mit den ersten 20 bis 30 Seiten, von denen jetzige Leser verschont blieben. Es gab viele weitere Baustellen, die Soylu, Pascal, Kerim, Sara, Ibrahim, Tugba, Ramazan, Kinga und mein Bruder Gerald aufspürten.
Fachthemen müssen zudem passen für die Leserschaft und ihre Fragestellungen, statt nur Theorien zu präsentieren. Hier war es immens hilfreich, an der WhatsApp Gruppe von Arman »Money Matters« teilzuhaben und den Teilnehmern das Buchkonzept in drei Online-Vorträgen zu präsentieren – ohne Barbaras Feedback gäbe es das Kapitel »Werkzeugkasten: Ordnen, Planen, Gestalten« nicht. Weitere Fragen fand ich in der englischsprachigen Gruppe »New Muslims Al Manaar« von Kristiane und dem Subreddit »Islamic Finance« während eines »Ask me Anything«.
Genauso hilfreich waren die Veranstaltungen mit Souheil von »SalamFM«, Tugbas »IslamicMediaClub« und Saad von der »Schweizer Zakatstiftung«.
Ein Dank auch an den Verlag Tredition, der die Publikation unkompliziert ermöglicht.
Für den Blickfang auf dem Cover geht ein ganz spezieller Dank an Bruder Hajji Noordeen aus China! Für die ästhetische Detailarbeit beim Coverdesign gilt Priticreative und für den Buchsatz Onur Alka mein besonderes Dankeschön.
Und jedes Buch kostet viel Familienzeit – für die Unterstützung und Geduld ganz lieben Dank meiner Frau Bilgehan und Sohn Yaqub!
Allah yubarik fikum!
Hintergrund
Wie kommt ein solches Buch zustande und was ist die Motivation des Autors? Mein Wunsch ist es, Finanzbildung zu vermitteln. Gleichzeitig ist dieses Anliegen das Resultat meines Lebenswegs oder, wie ein Psychologe vermuten würde: Die Erklärung liegt in der Kindheit.
Mein Vater reparierte Schreibmaschinen und arbeitete als Mechanikermeister. Eines Tages beschloss er, im Bereich Schul- und Bürobedarf mit einem Laden direkt neben der Schule zu expandieren. Die mündliche Zusage der Bank für ein Existenzgründerdarlehen hatte er erhalten. Das günstige Darlehen für Existenzgründer scheiterte an einem Beratungsfehler: Er war bereits selbstständig tätig und kein »Neugründer«, was der Hausbank bekannt war – die Zusage erwies sich als wertlos. Die Ausgaben mussten über einen Überziehungskredit laufen, und das mitten in der Hochzinsphase mit deutlich über zehn Prozent pro Jahr. Das Ladengeschäft erwirtschaftete nicht genug Umsatz, um Miete und Zinsen zu tragen. Die Schulden wuchsen schneller als die Erträge. Exponentialwachstum von Schulden und neuer Technologie (Computer ersetzten in wenigen Jahren Schreibmaschinen), die gegen einen arbeiten, sind eine schwere Prüfung.
Für mich als jungen Menschen stellte sich die Frage, warum das alles passiert war. Wieso reicht harte Arbeit nicht, um vernünftig zu leben, welche Gründe gibt es, warum Unternehmen gut oder schlecht laufen? Wie funktionieren Finanzen?
Fachbücher las ich als Teenager und abonnierte Handelsblatt und Wirtschaftswoche. Als das Geld dafür noch nicht reichte, studierte ich den Wirtschaftsteil in der Stadtbücherei, las die neuesten Nachrichten am Nachrichten-Ticker der Bank (ja, Internet gab es noch nicht) und bestellte Fachbücher über Fernleihe. Mein Interesse an Finanzfragen fiel in der Bank auf, ein Kundenbetreuer wollte mir einen Überziehungskredit von 1.000 D-Mark einräumen, um an der Börse zu investieren – als 16-Jähriger war ich glücklicherweise nicht kreditfähig. Stattdessen gründete er zusammen mit mir und einem seiner Kollegen einen Investmentklub, die beiden Bankmitarbeiter vertrauten mir jeweils 500 D-Mark an, die ich investierte. Der Crash von 1987 war der größte Kurssturz seit 1929. Ich hatte Glück im Unglück und verlor nur 15 statt der verbreiteten 30 Prozent. Eine nachdrückliche Erfahrung.
Mein großes Interesse am Themengebiet Bank und Börse ermöglichte mir einen Ausbildungsplatz bei der Volksbank. Nach Abschluss der Ausbildung entschloss ich mich, über den zweiten Bildungsweg Wirtschaftswissenschaften zu studieren. Vorab musste ich Zivildienst leisten und gegen die Langeweile dort wechselte ich von Schach zu Backgammon als Hobby. Mit dem Glücksspiel um Geld konnte ich im kleinen Rahmen gelegentlich meinen Sold als Zivildienstleistender aufbessern, was meinem Vater unangenehm auffiel. Mit Beginn des Studiums war der Kopf wieder voll ausgelastet und Fjodor Dostojewskis Buch »Der Spieler« brachte mich zum Lachen und zur Besinnung. Echte Spielsüchtige kannte ich da bereits – Dostojewski beschrieb sie meisterhaft.
Im Studium entdeckte ich schnell, dass ich nicht der einzige Student mit Bankausbildung war. Während einer Flasche Frankenwein mit einem Kommilitonen entschloss er sich für einen Kurs in Japanisch und ich für Arabisch. Etwas gespartes Geld erlaubte mir den dreiwöchigen Intensivkurs beim Landesspracheninstitut NRW in Bochum. Mit dieser Grundlage ging ich in den Semesterferien nach Damaskus für sechs Wochen Privatunterricht, es folgten ein Stipendium für einen Sommerkurs in Tunis und Privatunterricht in Kairo. Damit war das Vermögen für Reisen ausgegeben. Eine Förderung durch Auslands-BAföG erlaubte es mir, für acht Monate in Damaskus zu leben und mein Arabisch zu vertiefen.
Da die arabische Sprache keine kurzen Vokale schreibt außer in Kinderbüchern und im Quran, blieb nur Letzterer, um lesen zu üben. Später kam ergänzend die leichtere Sprache der Aussprüche des Propheten ﷺ in Sahih al-Bukhari hinzu. So befasste ich mich im Rahmen meiner Reisen und durch weitere Sekundärliteratur mit dem Islam und stellte dabei fest, dass Lehren wie die Dreieinigkeit meiner Glaubensauffassung widersprachen. Es dauerte noch einige Zeit, bis ich eine so intensive Religion mit Beten, Fasten und dergleichen wirklich annehmen konnte. Das war vor etwa 25 Jahren. Gott leitet, wen er will, alhamdulillah.
Als das BAföG vor dem Abschluss zu Ende war, jobbte ich teils im Außenhandel, teils vermittelte ich Restposten – vor allem Textilgarne – nach Syrien und Sekundärrohstoffe – vornehmlich für Plastikmüll – nach Indien und China. Leider ohne Kapital nicht ertragreich genug, um daraus einen Beruf für die Zeit nach dem Studium zu entwickeln.
Auf der Computermesse CeBIT 1999 verteilte ich meinen Lebenslauf und bekam im Boom der New Economy einen guten Einstieg in ein Start-up für elektronische Marktplätze, das von Lieferanten, Zahlungs- und Transportentwicklung bis hin zur Verzollung inklusive Anbindung an das Warenwirtschaftssystem alles für Unternehmen zur Verfügung zu stellen plante. Im Jahr 2000 rechneten die Akteure in der Weltwirtschaft mit einer Rezession, sodass die amerikanische Großbank von ihrem Interesse absah, mit weiteren erstklassigen Partnern zu investieren. Das Unternehmen wurde neun Monate nach meinem Berufseinstieg geschlossen. Jobs waren Mangelware, weil viele New-Economy-Firmen unter die Räder kamen. Was tun: ein gutes Gespräch in einer anderen Firmengruppe in Bonn nutzen oder wiedereinsteigen in dieselbe Firmengruppe für ein neues Start-up in Private Equity? Ich entschied mich dabeizubleiben und begann, mich im Büro einzurichten. Allerdings wurde vier Wochen später klar, dass die Firma nicht gegründet wurde – ein weiteres Gespräch über Kündigung, gefolgt von einem weiteren Angebot, das ich annahm. Nur drei Tage später zeigte sich, dass es keine freie Stelle gab. Erneut ein Kündigungsgespräch. Dreimal in drei Monaten. Rekordverdächtig.
Während dieser New-Economy-Zeit hatte ich zudem geheiratet – wir lernten uns beim Internetprojekt Islam.de kennen, der Webseite des Zentralrats der Muslime, die es heute noch gibt. Nun war ich verheiratet und ohne Job. Die Arbeitsmarktlage in der New Economy war derweil schlechter als einige Monate zuvor. Daher besann ich mich auf meine Bankausbildung und durchlief das Existenzgründungsverfahren für eine Tätigkeit als MLP-Berater. Der provisionsorientierte Finanzvermittler vermittelt in der Corporate University eine solide Ausbildung in der Finanzplanung, von reinen Bankprodukten bis hin zu Details des Versicherungswesens. Die Finanzplanung setzt wichtige Akzente. Der wichtigste Rat für Berufseinsteiger ist, eine Notreserve aufzubauen, und dies birgt einen Interessenskonflikt: Der Berater verdient nichts, er wird vom Anbieter der Lebens-, Renten- und Krankenversicherungen bezahlt. Daher der Rat im Buch zu Honorarberatern und Verbraucherzentralen: Man muss etwas bezahlen, damit die Berater auf der eigenen Seite sein können. Nach einem Jahr entschloss ich mich auszusteigen – mit Hoffnung auf ein Consultingbusiness als Angestellter, das wiederum scheiterte.
Aufgeben galt nicht. Nach all den Rückschlägen und ohne Jobaussichten mit derweil kaputtem Lebenslauf gründete ich ein Beratungsgeschäft. Zum einen zur Unterstützung kleiner und mittelständischer Unternehmen – was keine Kunden brachte – und zum anderen für Islamic Finance – wo keine Kunden zu erwarten waren. In der Unibibliothek Köln verglich ich die deutsche Finanzregulierung mit den Anforderungen des Islamic Finance anhand des Buchs von Sheikh Taqi Usmani [Usmani 2012].
Die Erkenntnisse aus diesem Vergleich ergänzte ich um Marktzahlen zu deutschen Muslimen und schrieb darüber. Es folgten eine Einladung von Nazim Ali, an der Harvard Law School auf der Islamic-Finance-Konferenz zu sprechen, zwei Titelgeschichten in der Fachzeitschrift »Die Bank« des Bundesverbandes Deutscher Banken und in internationalen Branchenmagazinen. In dieser Zeit lernte ich Rushdi Siddiqui kennen, der dem Dow Jones Islamic Index zum Durchbruch verhalf, außerdem Sheikh Nizam Yaquby, der im Sharia-Beirat von Dow Jones wirkte, und Abdulkader Thomas, einen bekannten Islamic Finance Consultant aus den USA in Kuwait.
Viel Geld floss noch nicht – meine Haupteinnahmequellen waren Seminare und Workshops in Frankfurt, London und Dubai über die Grundlagen des islamischen Finanzwesens sowie meine Fachkonferenz für 50 bis 60 Teilnehmer im Mandarin Oriental in Genf über »Islamic Wealth Management« von 2005 bis 2007. Viel Onlinemarketing über meinen Branchennewsletter »IslamicFinance.de«, Kaltanrufe bei Banken und Vermögensverwaltern hatten das erste Seminar erfolgreich gemacht. Verkaufen ist der Schlüssel zum Geldverdienen.
In den Golfstaaten fragten Geschäftspartner mich öfter, warum ich in Deutschland lebe und nicht dort – obwohl es kein Islamic Finance in Deutschland gebe. Worauf ich erwiderte, dass Deutschland, insbesondere Köln, ja der Geburtsort sei (mehr hierzu im Kapitel »Banken ohne Geldzins«). Letztlich bot mir Abdulkader Thomas an, für ihn als Berater bei der Bank AlJazira einzusteigen mit dem Ziel, der kleinsten islamischen Bank in Saudi-Arabien die Produktentwicklung voranzubringen. So zog ich 2007 nach Jeddah und meine Familie (mein Sohn wurde 2004 geboren mitten in der größten Finanzmisere meines Lebens) besuchte zunächst andere Länder, weil sie nicht direkt mitkommen konnte auf Basis eines Beratungsvisums – diese Erschwernis trugen wir gemeinsam. Im selben Jahr 2007 fragte der Bank-Verlag an, ob ich ein Fachbuch schreiben wollte – genau als die Umzugskartons gepackt wurden. Mit einem englisch geschriebenen Manuskript besprach ich das Angebot mit Dr. Philipp Wackerbeck, der bei Booz unter anderem islamische Banken beriet. Wir kamen überein, dass er das englische Manuskript ins Deutsche überträgt und weitere Kapitel aus seiner Erfahrung heraus ergänzt. So entstand 2007 das erste Fachbuch über Islamic Finance auf Deutsch für Finanzfachleute. 2010 erschien die zweite Auflage und 2012 die chinesische Übersetzung.
In der Zwischenzeit lernte ich Bruder Murad Wilfried Hofmann kennen, ehemaliger Diplomat im Auswärtigen Amt. Er war zudem Mitglied des Sharia-Boards der Bosna Bank International. Mit 80 Jahren entschloss er sich, mich als seinen Nachfolger vorzuschlagen – und die Gesellschafter der Bank stimmten dem Vorschlag zu. Möge Gott seine guten Taten und Werke annehmen. Murad ist heute noch weltweit durch seine Bücher und Vorträge Muslimen wie Nichtmuslimen ein Begriff und in bester Erinnerung.
In Saudi-Arabien dauerte es gut ein Jahr, bis mein Status auf angestellt wechselte und meine Familie einreisen konnte – für viele Monate hatten wir eine Wochenendehe in Üsküdar, Istanbul geführt. Das Arbeitsleben in Saudi-Arabien war recht gelassen, zum erfolgreichsten Projekt wurde die Strukturierung der Erweiterung des Hajj-Terminals im Konsortium mit Credit Suisse. Der Kollege forderte eine Struktur, die inhaltlich mit dem Islam übereinstimmt ohne zweifelhafte Rechtskniffe. Nach Diskussionen mit meiner Frau zu Hause und mit dem Sharia-Auditor in der Bank gelang es, ein neues Verfahren zu entwickeln auf Basis des Imtiaz, der Baugenehmigung, die Gegenstand des Finanzierungswerks wurde. Diese neuartige Art der Finanzierung gewann sogar einen Innovationspreis und Wettbewerber kopierten das Verfahren.
Als die Geschäftsleitung der Bank AlJazira wechselte, beschränkte sich mein Aufgabengebiet auf Forschungsfragen. Daher fragte ich Fares Mourad, was er jetzt mache. Ich kannte ihn, weil ich die Credit Suisse als Sponsor für meine Islamic-Wealth-Management-Veranstaltungen in Genf gewinnen wollte. Dort war er zuständig für Islamic Finance. Gerade hatte er begonnen, für eine mittelgroße, auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Schweizer Privatbank das Islamic Private Banking aufzubauen. Was ihm fehle, sagte er, sei ein Strukturierer, ein Produktentwickler. Ein glücklicher »Zufall« oder Schicksal. So wechselte ich von Jeddah nach Zürich, um eine Reihe von Produkten für die Privatbank aufzubauen, mit externen und internen Juristen zu sprechen, die Bankensoftware anzupassen und dergleichen. Fünf Jahre später wechselten die Eigentümer der Bank, Fares machte sich als unabhängiger Vermögensverwalter selbstständig, und ich betreute das Angebot weiter – nunmehr vom Standort Genf aus. Insgesamt lebe ich seither über zwölf Jahre in der Schweiz.
Nach all den Finanzkrisen seit 1987 – New Economy 2000, 2008 und zuletzt die Coronakrise – ist es Zeit, meine Erfahrungen und Gedanken zu sammeln und Wissen weiterzugeben.
Wieso kommt es zu Überschuldung, was ist aus wirtschaftlicher Sicht neu am technischen Wandel und warum macht das Verbot des Geldzinses als regulatorische Maßnahme Sinn? Bei all diesen Überlegungen steht eine zentrale Frage im Mittelpunkt: Wie kann ein Muslim sein Vermögen islamkonform erwerben, bewahren und ausgeben?