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Der Ton in unserer Gesellschaft ist in den letzten Jahren härter geworden. Die Entwicklung begann bereits vor Covid19 und den neuen West-Ost-Konflikten. Die Ursachen sind vielfältig. Eine Tatsache ist, dass besonders Beschäftigte mit direktem Kundenkontakt dieses raue Klima zu spüren bekommen. Unvorbereitet geraten sie häufiger in kritische Situationen mit aggressiven Kunden. In diesem Zusammenhang wird schnell klar, dass das Thema von Gewaltbereitschaft im Kundenverkehr eine viel breitere Beachtung verdient. Nur Mitarbeitende, die sich schon einmal mit Aggression und Deeskalation beschäftigt haben, können in der konkreten Bedrohungssituation einen kühlen Kopf bewahren, an die Sicherheit von sich und anderen denken und zur Beruhigung beitragen. Dieser Ratgeber will für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit direktem Kundenkontakt eine praxisnahe Hilfe im Umgang mit aggressiven Kunden sein. Im Fokus stehen das Verstehen, Vermeiden, Verhindern und Lösen von Situationen, die außer Kontrolle geraten können.
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Seitenzahl: 91
Veröffentlichungsjahr: 2022
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Vorwort
Einleitung
1 Was ist eine Aggression?
2 Was führt zu aggressivem Verhalten?
2.1 Ursachen in der Person des Täters
2.2 Ursachen in der Person des „Opfers“
3 Stufen der Gewalt
3.1 Stufe 0 kontroverse Gesprächssituation:
3.2 Stufe 1 verbale Aggression, unangepasstes Sozialverhalten, Sachbeschädigung
3.3 Stufe 2: körperliche Gewalt, Nötigung, Bedrohung
3.4 Stufe 3: Einsatz von Waffen/Werkzeugen, Amoklauf, Geiselnahme, Überfall
4 Ihre Gefährdung am Arbeitsplatz?
4.1 Baulich-technische Faktoren
4.2 Organisationsbedingte Faktoren
5 Vorbereitung auf Konfliktsituationen
6 Was soll im Vorfeld organisiert werden?
7 Entstehende Konfliktsituation erkennen
8 Ruhe bewahren
9 Eigene Sicherheit und Lageüberblick
10 Suche nach der einfachen Lösung
11 Verlagerung des Konfliktes
12 Distanz zum Aggressor halten
13 Kommunizieren und Zuhören
14 Eigene Selbstbeherrschung behalten
15 Verständnis und Lösungswillen zeigen
16 Vereinbarungen treffen und kontrollieren
17 Konflikt reflektieren und verarbeiten
18 Wiederholungen, Vertiefungen, Erklärungen
18.1 Bedürfnisse
18.2 Motive und Motivation
18.3 Selbstwertgefühl
18.4 Wie begegnen wir Menschen?
18.5 Wahrnehmung
18.6 Diversität und Vorurteile
18.7 Interkulturelles
19 Konfliktsituationen am Telefon
20 Wenn es hart auf hart kommt
20.1 Relevante Artikel des Grundgesetzes
20.2 Notwehr und Nothilfe
20.3 Vorläufige Festnahme
20.4 Verhältnismäßigkeit
21 Schlussbemerkung
Übungen
Quellen und weitere Literatur
Autorenportrait
Liebe Leserinnen und Leser,
dafür, dass es dieses Buch gibt, danke ich all den lieben Menschen, die mich mit Ratschlägen, Erzählungen, Erfahrungen, Diskussionen, Kritik, Feedback und Ermutigung unterstützt haben.
Ganz besonders danke ich meinen Geschäftspartnern. Die ersten Anregungen, ein Buch zum Thema „aggressive Kunden“ zu schreiben, gehen auf sie zurück. Wie zum Beispiel auf einen Energieversorger, den ich zum Thema Servicequalität betreue: Die Mitarbeiter im telefonischen und persönlichen Kundenservice litten unter einer zunehmenden Zahl von Kunden, die auf aggressive Weise ihre Anliegen durchsetzen wollten.
Die Geschäftsleitung bat mich, einen Workshop zu diesem Thema zu planen. Mitten in die Vorbereitung des Workshops platzte die Covid-19-Krise mit ihren ganzen Folgen und den Einschränkungen des öffentlichen Lebens.
Schnell gab es aus Supermärkten Bilder über Rangeleien um Toilettenpapier. In den Medien wurde von Übergriffen auf Verkaufspersonal berichtet, das Abstandsregelungen und Maskenpflicht durchsetzen sollte.
Um es auf den Punkt zu bringen: Die Nerven liegen bei manchen Menschen in Ausnahmesituationen blank und die Zündschnur ist extrem kurz.
Die wirtschaftlichen und sozialen Langzeitfolgen der Pandemie sind zum heutigen Zeitpunkt noch überhaupt nicht absehbar. Als ob das nicht genügen würde, kommt es in Europa nun wieder zu kriegerischen Auseinandersetzungen. Selbst wenn wir nicht direkt an den Handlungen beteiligt sind, können wir uns der Berichterstattung nur schwer entziehen. Die Folgen militärisch ausgetragener Konflikte erreichen uns im Alltag mit teilweise dramatischen wirtschaftlichen Konsequenzen. Als Beispiele nenne ich nur die explodierenden Energiepreise und die Inflation.
Bereits vor diesen Krisen konnte man feststellen, dass das gesellschaftliche Klima rauer und der Umgang miteinander härter geworden war. Diese Entwicklung hat sich verstärkt und es scheint fast so, als gelte Gewalt wieder als legitimes Mittel zur Konfliktlösung.
In diesem Zusammenhang wird schnell klar, dass das Thema von Gewaltbereitschaft im Kundenverkehr eine viel breitere Beachtung verdient.
Nur Mitarbeitende, die sich schon einmal mit Aggression und Deeskalation beschäftigt haben, können in der konkreten Bedrohungssituation einen kühlen Kopf bewahren, an die Sicherheit von sich und anderen denken und zur Beruhigung beitragen.
Ich wünsche, dass Ihnen kritische Begebenheiten möglichst erspart bleiben. Falls es doch mal dazu kommt, freue ich mich, wenn Sie sich vielleicht an den ein oder anderen Tipp aus diesem Buch erinnern und die Situation ein gutes Ende nimmt.
Grafenau, im September 2022 Peter Höfl
Dieser Ratgeber will für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit direktem Kundenkontakt eine praxisnahe Hilfe im Umgang mit aggressiven Kunden sein. Im Fokus stehen das Verstehen, Vermeiden, Verhindern und Lösen von Situationen, die außer Kontrolle geraten können.
Kundenbeschwerden und Reklamationen können Auslöser für kritische Situationen sein. Oft stecken jedoch völlig andere Ursachen dahinter. Nehmen wir als ein „einfaches“ Beispiel den pöbelnden alkoholisierten Kunden. Das Ziel ist in solchen Fällen keine Lösung einer Fachfrage, sondern die Entschärfung der Konfliktsituation.
Allerdings ist das Buch kein Selbstverteidigungskurs oder ersetzt einen solchen. Extreme Ereignisse wie Amokläufe sind nicht das Thema, ebenso wenig die tägliche Aggression, der Türsteher und Securitypersonal ausgesetzt sind.
Die große Mehrheit aller Kundenkontakte verläuft in einer mehr oder weniger harmonischen Atmosphäre.
Für die Vorbereitung auf unangenehme Situationen ist es ratsam, zuvor einen Blick in diesen Ratgeber zu werfen.
Sie können dieses Buch nutzen, indem Sie es von der ersten bis zur letzten Seite durchlesen. Ebenso können Sie es als Nachschlagewerk verwenden und an jeder beliebigen Stelle einsteigen.
„Gendern“: Zur besseren Lesbarkeit und aus Überzeugung verzichte ich auf das Gendern. Ich verwende weibliche, männliche und neutrale Schreibweisen entsprechend meinem persönlichen Sprachempfinden und dem üblichen Sprachgebrauch. Gemeint sind immer alle Geschlechter, Hautfarben etc.
Wenn wir darüber sprechen, wie wir mit Aggressionen umgehen, ist es sinnvoll, dass wir uns zunächst ein gemeinsames Verständnis verschaffen:
Was wollen wir unter einer Aggression im täglichen Miteinander verstehen?
Aggression oder Aggressivität ist nichts Neues, sondern ein uraltes Verhaltensmuster von Tieren und Menschen zur Verteidigung oder allgemeiner gesagt, zum Überleben. Man kann daher nicht sagen, dass ein gewisses Maß an aggressivem Potenzial grundsätzlich negativ ist. Im Gegenteil: Für die Durchsetzung der eigenen Interessen kann aggressives Verhalten sehr wirksam sein. Schwierig wird es immer dann, wenn andere Menschen mit ins Spiel kommen, die Ziel der Aggression sind. Das sind dann die Situationen, in denen Konflikte und Gewalt entstehen.
Aus einer psychologischen oder soziologischen Perspektive kann man sehr lange allein über den Begriff debattieren und diskutieren.
Das will ich Ihnen und mir hier ersparen und schlage deshalb eine einfache und praxisbezogene Definition vor, die wir für unsere Situationen im Kundenverkehr verwenden können. Versuchen wir es mit folgender Definition:
Eine Aggression stellt eine Handlung dar, die auf Beschädigung, Zerstörung oder Verletzung ausgerichtet ist.
Das umfasst ein sehr breites Spektrum. Ist Ihnen bei dieser Definition schon aufgefallen, dass sich Aggression sowohl gegen Sachen als auch gegen Menschen richten kann?
Eine Aggression gegen Sachen ist beispielsweise dann gegeben, wenn der tobende Kunde gegen Ihr Mobiliar tritt, die Glasscheibe einer Vitrine zerschlägt oder vor Ihren Augen die Zahlungsaufforderung zerreißt.
Zu der Aggression gegen Personen zählen, wie Sie richtig vermuten, solche unschönen Dinge wie Beschimpfungen, Beleidigungen, Bedrohungen und Tätlichkeiten. Jeder von uns wird da seine eigenen Beispiele im Kopf haben.
Wir beschäftigen uns in diesem Ratgeber hauptsächlich mit der Aggression im direkten Kundenkontakt. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Aggression, die vom Kunden ausgeht. Eines dürfen wir dabei nicht vergessen: Das ist nur ein Teilbereich dessen, was man mit dem Begriff „Gewalt am Arbeitsplatz“ umschreiben kann. Je nach den beteiligten innerbetrieblichen oder außerbetrieblichen Akteuren ist Aggression mit ihren vielfältigen Facetten öfter ein Thema, als man vielleicht annimmt.
Und es gibt noch ein paar Dinge, auf die ich Sie gerne bereits zu Beginn unserer Betrachtungen aufmerksam machen möchte:
Aggression kann auch zeitversetzt ausgeübt werden. Das heißt, dass der Kunde sich während seines Aufenthalts im Büro oder Laden zwar noch mühsam beherrscht, jedoch noch zu einem späteren Zeitpunkt die aufgestaute Aggression ablädt, indem er beispielsweise die Reifen des Firmenfahrzeugs schlitzt oder Mitarbeitende belästigt oder stalkt.
Denkbar ist ebenfalls, dass die Aggressionen umgeleitet werden. Das ist häufig dann der Fall, wenn sich der Täter unterlegen fühlt und sich dann ein anderes, schwächeres Opfer sucht. Das muss nicht einmal in einem Zusammenhang mit dem ursprünglichen Anlass stehen. Wenn ein Täter mit seinem Anliegen keinen Erfolg hatte, kann es sein, dass er vielleicht an der Bushaltestelle ersatzweise andere Wartende anpöbelt oder anrempelt. Wenn man noch einen Schritt weiterdenkt, ist es gut möglich, dass der Täter die Wut mit nachhause nimmt und es dann zu häuslicher Gewalt in seiner Familie kommt.
Sogar im „Raum“ kann sich eine Aggression verlagern. Heutzutage bedeutet das, dass Sie eine Aggression unvermutet im virtuellen Raum, also dem Internet und den sozialen Medien treffen kann. Die Möglichkeiten dazu sind vielfältig und können sich gegen Unternehmen und Personen richten. Es fängt mit der ungerechten, schlechten Bewertung an und der Shit-Storm hört bei übler Nachrede und beleidigenden Kommentaren nicht unbedingt auf.
Am Anfang habe ich ausgeführt, dass aggressives Verhalten seit Urzeiten in uns steckt. Zum Glück wird es durch unser soziales Verhalten und die geltenden Normen und Gesetze meistens in Schach gehalten.
Ein friedliches Zusammenleben wäre sonst kaum vorstellbar. Es funktioniert jedoch nicht immer, wie wir alle wissen und fragen uns deshalb: Was führt dazu, dass sich Menschen aggressiv verhalten?
Nur bei sehr wenigen Menschen ist das angeborene Aggressionspotenzial so hoch, dass sie ständig geladen, gespannt und entsichert als gewaltbereite Waffe herumlaufen. Viel häufiger ist es so, dass aggressives Verhalten in irgendeiner Phase des Lebens gelernt wurde. In bestimmten Situationen bricht es sich dann Bahn.
Die Ursprünge dafür liegen sehr oft schon in der Familie. Familiäre Gewalt in den unterschiedlichsten Formen ist auch heute leider keine Seltenheit. Die Mitarbeitenden in Hilfsorganisationen und Jugendämtern wissen ein Lied davon zu singen.
Sehr oft wird Gewalt als eine Form der Bestrafung erlebt. Ob als psychische oder physische Gewalt:
Die Opfer tragen die Erfahrung ein Leben lang mit sich. Häusliche Gewalt kann in allen gesellschaftlichen Milieus stattfinden. Mal ist sie mehr und mal weniger sichtbar.
Die Neigung zu aggressivem Verhalten kann auch durch positive Erfahrung gelernt und gefördert werden. Wer die Erfahrung macht, dass in seinem Umfeld das Faustrecht regiert und der Stärkere gewinnt, wird schnell erkennen, wie man seine Interessen aggressiv und offensiv durchsetzt.
Ganz besondere Gewalterfahrungen haben oft Menschen gemacht, die als Flüchtende aus Kriegsoder Bürgerkriegsgebieten gekommen sind. Wenn man tagtäglich mit Gewalt konfrontiert ist, wird sie irgendwann zur einer Art Normalität. Wer Grausamkeit und Töten hautnah erlebt hat, ist nachhaltig traumatisiert und oft auch abgestumpft.
Neben diesen grundsätzlichen Erfahrungen mit Aggression, bedarf es in der konkreten Situation immer noch eines Anlasses oder eines Auslösers.
Dabei fällt häufig der Begriff der Frustration.
Frustration kann dann entstehen, wenn Menschen mit ihrem Handeln und Denken auf Hindernisse stoßen und es nicht gelingt, die eigenen Bedürfnisse zu befriedigen oder die gesteckten Ziele zu erreichen. Aggression ist dann eine mögliche Folge.
Es kann aber auch in andere Richtungen gehen, wie Depressionen oder zu einer „jetzt erst recht“-Einstellung.
Einigen der Leserinnen und Leser ist vielleicht die „Bedürfnispyramide nach Maslow“ bekannt. An der obersten Stufe steht dort die Selbstverwirklichung. Je tiefer wir jedoch gehen, desto stärker landen wir bei existentiellen Bedürfnissen, wie dem Sicherheitsbedürfnis und Grundbedürfnissen wie Essen und Trinken. Je grundlegender die Bedürfnisse sind, desto größer werden die Ängste, wenn sie nicht erfüllt werden können. Damit steigt dann die Bereitschaft, um die Erfüllung dieser Bedürfnisse zu kämpfen.
Je grundlegender die Bedürfnisse, desto größer die Ängste bei Nichterfüllung, desto größer die Bereitschaft zu kämpfen
Im wahren Leben kann das dann so aussehen: