Ist das hier noch Liebe oder kann das weg? - Nadine Backes - E-Book

Ist das hier noch Liebe oder kann das weg? E-Book

Nadine Backes

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Beschreibung

"Prädikat: Extrem lustig. Warum? Nun, ich habe die beiden entdeckt. Ohne Quatsch. Man lobt sich zwar nicht selbst auf dem Klappentext anderer Leute, aber in diesem Fall ist es schwer angebracht. Also: Kaufen, lesen und brüllen: STIMMT, STRÄTER!" - Torsten Sträter  Für alle Ehepubertierchen! Der Mann will ein Sabbatical vor der Konsole, die Frau mal wieder einen neuen Ernährungstrend ausprobieren, beide planen jede Woche ein neues Gartenprojekt und plötzlich ist das Kind groß und man selbst schon seit 15 Jahren verheiratet. Das Newcomer-Autorenpaar Nadine und Mark Backes erzählt in sarkastischen, manchmal grotesken, oft herzerwärmenden, aber immer sehr sehr lustigen Geschichten vom gemeinsamen Älterwerden, Urlaubmachen, Fremdschnuppern, der Midlife-Crisis und vor allem ... von der Liebe.

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Nadine und Mark Backes

Ist das hier noch Liebe oder kann das weg?

LAPPAN

Grandiose Kurzgeschichten mitten aus dem (Ehe-)Leben

„Es ist weg. Gerade eben war es noch da. Auf der Anrichte zwischen den Bananen und den Äpfeln. Wie ein Ausrufezeichen steckte es mittig in der Obstschale. Das Balisto. Ein orangenes. Die Königin unter den Schokoriegeln. Und seit wir dieses Healthy-Food-Ding am Laufen haben, auch die absolut einzige Süßigkeit im Haus. Jetzt ist es weg. Und der Kreis der Verdächtigen ist übersichtlich.

,Wo ist es?‘, rufe ich in Richtung Couch.

Der Mann schaut sehr traurig. Und sehr schuldig. ,Tut mir leid!‘, murmelt er mit hängendem Kopf.

,Du hast es gegessen? An meinem Geburtstag? Das ist so … so schäbig!‘

,Ich weiß, Engelchen. Es war ein Reflex. Ich habe nach einem Apfel gegriffen. Und als ich den Fehler bemerkt habe, hatte ich es schon im Mund …‘

Das Schlimme ist, dass es sich vermutlich genau so zugetragen hat. Er geht ja auch Paprika kaufen und wenn er zurückkommt, sind auch Puddingschnecken in der Einkaufstasche.“

„Prädikat: extrem lustig. Warum? Nun, ich habe die beiden entdeckt. Ohne Quatsch. Man lobt sich zwar nicht selbst auf dem Klappentext anderer Leute, aber in diesem Fall ist es schwer angebracht. Also: Kaufen, lesen und brüllen: STIMMT, STRÄTER!“ (Torsten Sträter)

Vorwort von Torsten Sträter

Es war einer jener Abende, die, obschon es tagsüber mild gewesen war, bereits den rasselnden Atem des Herbstes in sich trugen; ein leichter Wind ging, in sich den Geruch von ferner Wiese; die Blätter hatten noch nicht begonnen, sich sichtbar zu verfärben, aber man hatte das Gefühl, wenn man lange genug stehen bleibt, könnte man ihnen beim Farbwechsel zusehen – was vermutlich auch stimmt, wenn man die Zeit übrig hat, geht das. Aber wer macht das schon? Zudem verfärben sich Blätter auch, wenn man was anderes macht, Laminat verlegen sei da erwähnt, nur eine von einer unbestimmbaren Menge an Tätigkeiten, die aus dem Füllhorn der Geschäftigkeit kollern, ausrollen und still liegenbleiben, regungslos wie die Exponate eines Dorfmuseums, dessen Eintritt selbst mit fuffzig Pfennig skandalös überhöht wäre, denn alles, was man hier sehen kann, liegt auch zu Hause rum und deswegen ist man ja raus da.

Kennen Sie das, wenn Sie einen im Prinzip astreinen Einstiegssatz ab der Hälfte komplett vor die Wand fahren? Ist mein tägliches Brot.

Gut zu schreiben ist schwer. Und wer beurteilt das überhaupt? Ich halte mich mit so was nicht auf. Mein Stil lässt sich sehr gut mit »halbwegs zusammenhängend« zusammenfassen. Ich bin wirklich kein Maßstab für irgendwas. Auf der anderen Seite erkenne ich aber einen guten Text, wenn ich ihn sehe. Oft, indem ich ein Buch kaufe. Seltener, nein eigentlich fast nie, wenn mir jemand Fremdes eine Mappe mit selbst verfassten Texten in die Hand drückt. Es ist eigentlich ein ungeschriebenes Gesetz: Mit eigenen Texten durch die Gegend zu laufen und Menschen anzusprechen, ist eine sehr ungeschmeidige Vorgehensweise, um sein Material an den Mann zu bringen. Zeugen-Jehovas-Vibes breiten sich aus. Die Leute, die mit einem Jutesack voller bedruckter Seiten über die Buchmesse traben, um ihre Manuskripte bei einem Verlag unterzubringen, sind da nicht besonders beliebt. Die meisten Verlagsleute haben auf der Buchmesse schlicht keine Zeit für so was. Wie also kriegt man sein Buch veröffentlicht? Puh. Gute Frage. Glück. Entweder Sie schreiben in einem Café in Edinburgh (Edinbraaah, wie der Schotte sagt) so lange Romane über Zauberschulen und Schurken ohne Nase, bis Ihnen ein Verlag was abkauft und zack: eigener Düsenjäger … oder eben nicht. Ist alles Glück. Fifty Shades of Grey. Guter Titel, Buch Grütze, meiner unmaßgeblichen Meinung nach. Und trotzdem wurde danach der Markt mit Abklatsch-Werken über dominante Feuerwehrmänner, Mafiosi, Zentauren, Schlüsseldienstmitarbeiter, Piloten, Oompa Loompas und ihre devoten Gespielinnen zugeschissen. So kann’s gehen. Was wollte ich sagen?

Genau. Es gibt noch eine Möglichkeit, nämlich die, dass ich SIE ENTDECKE! Ist bis vor Kurzem insgesamt genau null mal vorgekommen. Aber dann, um jetzt mal zum Punkt zu kommen, lernte ich die Verfasser dieses Buches kennen: Nadine und Mark Backes. Ich trat in der Jahrhunderthalle Frankfurt auf, wie üblich zu lang, dann ging das Bühnenlicht aus, Vorstellung vorbei, ich galoppierte hinter den Vorhang und fragte den Veranstalter, wo sich der Büchertisch befände. Hatte ich mich vorher nicht drum gekümmert, und ich bin schon mal auf der Suche nach dem Signiertisch irgendwo im Norden zwanzig Minuten durch den Bereich zwischen Großküche und Wandverkleidung gekrabbelt. Unangenehm. Der Veranstalter wies mir den Weg. Eine längere Schlange hatte sich gebildet, ich fummelte meine Stifte (teure Lackstifte übrigens, die einen fatalen Hang dazu haben, Bücher, Tischdecken und Kleidung in den schillerndsten Farben einzusauen) hervor und begann zu signieren. Dauerte alles in allem eine halbe Stunde. Dann, als letzte »Kunden«, traten Nadine und Mark an den Tisch und drucksten eine Runde herum. Sie hätten was geschrieben.

»Schau an«, sagte ich und musterte sie dabei. Immerhin trugen sie völlig normale Kleidung. Mein letzter Kontakt mit einem Manuskript-Nomaden lag schon ein halbes Jahr zurück. Ein Mann mittleren Alters, schwarzer Rolli, Springerstiefel, so ein seltsamer asymmetrischer Filzmantel, Barett auf dem Schädel, und eine (echt jetzt) viereckige Brille mit orangen verspiegelten Gläsern im Gesicht. Er sprach:

»Hier, Herr Sträter. Nehmen Sie.«

Er reichte mir eine Kladde.

»Was mag dies sein?«, fragte ich.

»Die Wahrheit.«

»Ganz schön dünn dafür.«

»Die Wahrheit übers Universum und wie wir Menschen alle Kriege beenden können.«

»Dafür ist die Dicke genau richtig«, erwiderte ich.

Der Mann nickte. »Lesen Sie es.«

Eine Minute geschah nichts.

»Jetzt, oder was?«

»Ja. Es ist von einer hohen Dringlichkeit.«

»Nun«, sagte ich, »ich kann jetzt nicht. Die elfte Stunde hat bereits geschlagen, das Theater löscht die Kandelaber und ich muss zeitnah aufs Heftigste exkrementieren.«

»Gut. Aber lesen Sie es sehr bald. Wir haben nur diesen einen Planeten.«

»Okay.«

Der Mann fixierte mich.

»Ist noch was?«

Er sagte nichts.

»Wegtreten.«

»Lesen Sie es! Ich beschwöre Sie!«

»Gewiss.«

Der Mann ging. Ich würde es gern anders formulieren, aber ich habe dann das Manifest des Mannes in acht Minuten beim Kacken quergelesen und seine Ideen rechtfertigten nicht unbedingt den Umstand, dass für das Papier ein Baum gefällt worden war.

Da das Pärchen, das nun vor mir stand, allerdings völlig normal wirkte, nahm ich ihnen ihre Mappe ab und begann zu lesen. Ich las mehrere Minuten. Es war ziemlich lustig. Hm, dachte ich. Keine pseudo-lustigen Namen, nicht weitschweifig im Aufbau, pointiert … wo ist der Haken? Ah, dachte ich. Vermutlich die Menge an Material. Die haben bestimmt nur vier gute Texte und dann ist Sense. Nächste Geschichte. Auch lustig. Gibt’s doch gar nicht. Ich las noch zwei. In der Halle wurde das Licht ausgeschaltet.

»Wo habt ihr das her?«, fragte ich.

»Geschrieben.«

»Wichtigere Frage«, setzte ich nach, »wie viel habt ihr davon?«

»Viel. Und wir sind dabei, mehr zu schreiben.«

Es war im Prinzip ein klassischer Breaking-Bad-Crystal- Meth-Dialog.

»Das ist alles sehr gut«, sagte ich. »Ich bin allerdings kein Maßstab.«

»Inwiefern?«, fragte Nadine Backes.

»Das habe ich weiter oben im Vorwort erklärt.«

»Was?«

»Das Vorwort für dieses Buch.«

»Buch?«

»Tenet«, sagte ich.

Stille.

»Egal. Ich höre mich mal um.«

Und das geschah. Ich las alle Geschichten und sie waren sehr lustig. Einige Telefonate, ein paar E-Mails und die Sache war eingetütet.

Ein Buch.

Dieses Buch.

Ich kann Ihnen jetzt erzählen, was ich will, wie witzig dieses Buch ist und wie nah am Leben und wie launig geschrieben, aber das ist gar nicht nötig. Sie müssen nur umblättern, um zu sehen, dass ich recht habe. Darauf bin ich dann doch ein bisschen stolz.

Ich wünsche Ihnen nun viel Spaß beim Lesen … machen Sie es sich gemütlich. Draußen weht ein lauer Wind, füllen Sie Öl in die Lampe und drehen Sie die Flamme etwas herunter, geben Sie dem Butler einen Wink, er möge sich zur Ruhe begeben, alle Tagesgeschäfte wären getan und Sie hätten den Brandy ja in Griffnähe, legen Sie sich die von den Landfrauen in Jahrzehnten zu einer Decke verpunzten Schafe über die Knie, da, Regen prasselt gegen die Butzenscheiben, in der Nähe des Kamins knarren die Dielen, denn sie verziehen sich durch die Diskrepanz von Raumtemperatur und Abstrahlungswärme des Feuers, aber da kann morgen mal der Gärtner schauen, der hat da ein Händchen für, nicht dass da eine Bohle hochkommt und irgendwann bleibt man da barfuß mit dem Zehnagel hängen und bums: Notaufnahme.

Ich hab’s schon wieder gemacht. Entschuldigung.

Torsten Sträter

Jeder kann das

Wie beweist man glaubhaft, dass man etwas wirklich nicht kann? Schwierig.

Man tut es. Es klappt nicht. Und zack: Der Vorwurf, absichtlich zu versagen, steht sofort im Raum.

Beispiel: Der Mann kann nicht singen. Kein bisschen. Für mich nicht zu begreifen. Jeder kann singen. Also lasse ich nicht locker, bis der Mann singt. Es ist tatsächlich nicht so schön. Sogar die Rauchmelder schlagen an. „Ja, klar“, sag ich, „das hast Du doch extra schlecht gemacht. Mach mal richtig jetzt!“

Anderes Beispiel: Ich kann den viel zu großen Wagen des Mannes nicht in die viel zu kleine Garage fahren. Trotz oder gerade wegen der hohen Kosten, die die Beweisführung verursacht, unterstellt der Mann mir stumm Vorsatz. Jedes Mal.

Schwimmen. Auch so eine Sache. Der Mann kann nicht gut schwimmen, sagt er. Nur ein paar Bahnen. Dann ist Schluss. Ich denke, er ist einfach nur zu faul. Tod durch Ertrinken wäre da eigentlich der einzige ernst zu nehmende Beweis. Und selbst dann ist Faulheit nicht völlig vom Tisch. Finde ich.

Es ist Sonntag. Es ist Juni. Der Mann und ich frühstücken auf dem Balkon.

„Das ist der perfekte Tag zum Wandern!“, sage ich.

Der Mann ignoriert mich eine Idee zu auffällig.

„Das ist schön, das machen jetzt alle!“, erkläre ich.

„Das ist das, wo man irgendwo rumläuft, obwohl man nirgendwo hinmuss, richtig?“

„Der Weg ist das Ziel.“

„Aber wenn das Ziel weg ist, wo ist denn dann der Weg hin?“

Mannomann. Er versucht sich aus der Situation zu kalauern. Das hat noch nie funktioniert. Er sollte das wissen. Es steigert nur meine Entschlossenheit.

„Wir wollten doch mehr unternehmen. Und jetzt fangen wir damit an.“

Der Mann schaut sehr ernst: „Ich kann nicht wandern. Echt nicht. Hab ’s mal probiert. Ich kann es einfach nicht. Von der Orthopädie her.“

„Blödsinn. Jeder kann wandern. Punkt.“

Eine Stunde später: Der Mann beginnt damit, seinen Rucksack zu befüllen. Na ja, Rucksack … es ist ein klassischer Turnbeutel. Aus den Achtzigern. Von Puma. Er räumt ihn mehrmals aus und wieder ein. Ich atme hörbar aus und frage: „Kann es sein, dass du Zeit schinden willst?“

„Hast du was zu trinken eingepackt?“, fragt der Mann.

„Ja.“

„Was zu essen?“, fragt der Mann.

„Ja.“

„Sonnenmilch? Mückenspray?“

„Ja.“

„Was gegen Durchfall, Sodbrennen, Schilddrüsenunterfunktion? Rei in der Tube? Die karierte Decke? Regenkleidung? Strandbekleidung? Und was für wenn ’s doch richtig kalt wird? Nachts? Ah. Und was zu spielen. Und was zu lesen. Manchmal dauert es ganz schön lange, bis die Rettungstrupps einen finden.“

Im Auto läuft eine CD: Eine todtraurige Gitarre begleitet eine noch traurigere Stimme. Der Mann kaut dazu Unterlippe und fährt ungewöhnlich langsam. Trotzdem meldet das Navi irgendwann, ,Sie haben ihr Ziel erreicht.‘ „Das bezweifle ich!“, mault der Mann. „Das Gerät hat einen völlig falschen Eindruck von mir und meinen Zielen.“

Die Beschreibung des Weges im Internet verspricht uns herrlichen Wald, Streuobstwiesen, weite Blicke über die Kulturlandschaft sowie einsame Ruhezonen. Kleiner Schönheitsfehler: Wir haben den falschen Parkplatz erwischt und müssen erst mal eine steil ansteigende, stark befahrene Bundesstraße entlanglaufen. Die Sonne knallt. Der Mann schwitzt und schweigt.

„Da vorne ist schon die erste Erlebnistafel.“ Ich versuche, die Stimmung zu pushen.

Der Mann rechnet: „Wenn der Wanderweg an sich vier Kilometer lang ist, der Fußweg zum Wanderweg aber schon zehn Kilometer, dann kriegen wir doch noch was raus, oder?“

Am Beginn des Wanderweges machen wir die erste Pause. Wir sitzen auf einem Baumstamm und trinken Capri-Sonne. Der Mann hat sein Knoppers schon im Auto gegessen. Wir teilen uns meins.

Ein Rentnerpaar rast an uns vorbei. Der Mann schnauft verächtlich: „Wenn sie die blitzen, sind die für drei Monate die Rollatoren los.“

Ich behaupte, dass es auf der Strecke eine Eisbude gibt. Das zieht. Der Mann tappt wieder los.

„Das ist nicht exakt Wandern, was du da machst. Wandern geht irgendwie … schneller.“

Der Mann schnauft. „Dann krieg‘ ich nix mehr von der Landschaft mit.“

Ich versuche den Mann zu motivieren. Ich möchte, dass er seine Wanderblockade löst und sich bewusst auf diese neue Erfahrung einlässt. „Beim Wandern ist es so wie beim Joggen oder beim Schwimmen. Nach einer Weile stellen sich solche Glücksgefühle ein, dass du gar nicht mehr aufhören kannst.“

Der Mann tappt jetzt wie Charlie Brown, wenn er traurig ist.

„Ich hab Heimweh“, sagt er.

„Ich weiß“, sage ich und streichle seinen Hinterkopf.

Ein Schild weist uns den Weg zum Keltenhaus. Dem Höhepunkt des Wanderwegs. Dort, wo es auch das Eis gibt. Also sehr wahrscheinlich. Müsste es eigentlich. Besser wär ’s jedenfalls.

3,4 Kilometer, sagt das Schild.

„Wie kann das sein?“, fragt der Mann. „Wir sind seit fünfzehn Stunden unterwegs!“

„Der Rest geht jetzt ganz fix“, lüge ich. Und schleppe Charlie Brown weitere fünfhundert Meter durch den Wald.

Hilfreich wäre jetzt mal ein abrupt einsetzender Landschaftswechsel. Streuobstwiesen wären schön. Vielleicht auch was mit Tigern. Oder Elefanten. Drachen? Wikinger würden die Situation in jedem Fall beleben. Notfalls auch Kelten.

Der Mann lässt sich auf eine Bank plumpsen.

„Der Vogel lacht mich aus“, sagt er.

„Welcher Vogel lacht?“

Der Mann zeigt irgendwohin nach oben. Stimmt. Ein Vogel lacht. Ich nehme ein Holzstöckchen und werfe es nach dem Spatz. Zwar treffe ich nicht, aber dem Vogel ist der Spaß vergangen. Darin sind sich Vogel und Mann also schon mal einig.

Ich ziehe einen Schoko-Müsliriegel aus meinem Rucksack und eine bewährte Strategie aus meiner Trickkiste: Ich stelle, weil es mir gerade so durch den Kopf geht, interessiert klingende Fragen zu historischen Boxer-Motoren, also luftgekühlten natürlich. Er frisst den Köder. Kaut auf dem Müsliriegel und beginnt zu dozieren. Dabei nimmt er wieder Fahrt auf.

Seit einer Viertelstunde kommen wir gut voran. Wir werden kaum noch von anderen Wandergruppen überholt. Es läuft.

„Da hinten ist übrigens Südamerika“, sagt der Mann nicht ohne Stolz.

„Soll ich dir die Rehe zeigen?“, frage ich den Mann. Laut Routenbeschreibung ist hier irgendwo ein Wildgehege. Vor uns ist eine Familie, die auch ein Kleinkind dabeihat. Wir müssten uns nur dranhängen. Die wollen ja bestimmt auch die Rehe besuchen.

„Was tun Rehe?“, fragt der Mann.

„Schon gut, war ja nur ein Vorschlag.“ Für einen Moment hatte ich vergessen, dass der Mann aus der Eifel stammt. Die Aussicht auf Rehe ist ihm völlig egal. Die haben sie früher mit dem Besen von der Terrasse gejagt.

Ein Paar kommt uns entgegen. Seinem traurigen Gesicht ist zu entnehmen, dass er sein Wochenende lieber für ein „Schlemmer- und Wellness-Arrangement“ genutzt hätte. Der verkniffen-sportliche Blick von ihr verrät, dass diese Option nie bestand. Nun hat er Trekkingsandalen an. Und Hunger.

Die beiden Männer nicken sich im Vorbeischlurfen schweigend zu. Für einen Moment fühle ich mich ertappt. Dann wische ich den Gedanken entschlossen weg. Nein. Bei uns ist das anders. Er möchte es. Er weiß es nur noch nicht.

Wir haben den Wald hinter uns gelassen. Ein herrliches blühendes Panorama liegt vor uns. Wiesen, Sträucher, Bäume. Alles da. Und so hübsch angeordnet.

„Das ist sooo schön hier!“, sage ich. Ich pflücke ein Gänseblümchen und stecke es mir in den Zopf.

Der Mann humpelt jetzt. Eine Blase. Eine Blase? Wie kann man sich in völlig ausgelatschten Turnschuhen eine Blase laufen? Offenbar reine Willenssache.

Die Kuh, deren Weide wir kreuzen, schaut erst den Mann mitleidig, dann mich vorwurfsvoll an. Der Mann lehnt sich an die Kuh, um den Schuh auszuziehen. Er hat tatsächlich eine Blase. Die Kuh sieht es auch.

Das ist zu viel. Ich gebe auf.

„Okay,“, sage ich. „Dann ruf halt an.“

Wir warten. Der Mann. Die Kuh.Und ich. Eine gewisse Anspannung liegt in der Sommerluft.

Die ersten drei Taxen, die den Wanderweg entlangrumpeln, können uns leider nicht mehr mitnehmen. Offensichtlich haben nachfolgende Wanderer diese Gelegenheit nicht an sich vorbeifahren lassen und sich jedes Mal unser Taxi geschnappt.

Der Mann ruft noch mal in der Taxizentrale an und vereinbart ein Codewort: Der lustigste Müller wandert nicht. Nie. Das klappt. Die Kuh trabt zufrieden ab, während wir ins Taxi steigen.

„Direkt zum Parkplatz oder machen wir die Runde fertig?“, will unser Fahrer wissen. Er kennt sich aus.

Der Mann hat offensichtlich wieder neuen Lebensmut: „Sehen wir aus wie Abbrecher? Wir machen natürlich die komplette Runde! Nächster Halt: Keltenhaus.“ Charlie Brown mutiert zu Homer Simpson.

Wir stehen mit dem Taxi mitten im Wald zwischen zwei Rekonstruktionen historischer keltischer Siedlungshäuser. Unbewohnt,versteht sich. Das Keltenhaus ist etwa so spektakulär wie eine Grillhütte der Naturfreunde Bielefeld. Nur das gastronomische Angebot ist noch dürftiger und geht gegen null. Es ist sehr still. Nur die Klimaanlage im Auto surrt.

„Ich bin sicher, die hatten hier Eis“, sagt der Mann. „Wir sind halt einfach vierhundert Jahre zu spät.“

„Nicht meine Schuld!“, sage ich. „Du hast so getrödelt.“

„Zwei Kilometer von hier gibt es einen McDrive“, sagt der Taxifahrer.

„Keltisch?“, fragt der Mann.

„Keine Ahnung. Aber die haben Eis.“

Es ist Sonntag. Es ist September. Der Mann und ich frühstücken.