Istanbul backstage... oder alles nur getürkt - Sophie von Krapf - E-Book

Istanbul backstage... oder alles nur getürkt E-Book

Sophie von Krapf

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Beschreibung

Gibt es Schnee in Istanbul? Wie und wo kauft man dort ein? Oder auch: Wieso wissen Türken immer auf alles eine Antwort? Zwei Jahre lang arbeitete mein Lebensgefährte in Istanbul und wir lebten als deutsche Gastarbeiter in der Stadt. Die markantesten Erlebnisse, die uns während dieser Zeit tagtäglich begegneten, habe ich in der vorliegenden Kurzgeschichten-Sammlung verarbeitet. Gemeinsam erkunden wir die Unterschiede des Alltagslebens in Deutschland und in der Türkei und untersuchen die Wirkung der 'typisch türkischen' Verhaltensweisen auf einen durchschnittlichen Mitteleuropäer und erleben dabei eine neue Gesellschaftsstruktur und ein vollkommen anderes Wertesystem abseits des unbeschwerten sonnigen Urlaubsparadieses.

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Seitenzahl: 378

Veröffentlichungsjahr: 2020

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17 kleine Geschichten

Ein Wort vorneweg

Das Abenteuer beginnt

Utopia oder alles nur „getürkt“

„Taksi bitte!“

Die Ausländerpolizei, dein Freund und Helfer...?!

Einkaufen auf Türkisch

Drum prüfe, wer sich vertraglich bindet

Verloren in Babylon

Nächster Halt: Istanbul

Beyaz Istanbul

Das Geburtstagsgeschenk

Nepper, Schlepper, Bauernfänger

Seine Hoheit, der Stempel

„Tamam“...

Auf der Jagd nach dem Phantom

Zukunft? – Keine Chance!

Jeder nach seiner Façon...

Der Kalif vom Bosporus

Ein Wort zum Schluss

Ein Wort vorneweg...

Zwischen Anfang 2014 und 2016 lebten mein Partner und ich in Istanbul. Wir stammen beide aus Bayern, wo wir uns wohl und zu Hause fühlen. Trotzdem hat es uns berufsbedingt für einige Zeit in die Türkei verschlagen. Das kam so:

Wir waren beide über viele Jahre bei einer deutschen Regionalfluggesellschaft beschäftigt: mein Lebensgefährte als Flugkapitän, ich als Flugbegleiterin. Wir haben all die Jahre sehr gerne für diese Firma gearbeitet und haben es deshalb sehr bedauert, als sie Ende 2013 aus unternehmerischem Kalkül heraus, jedoch ohne wirtschaftliche Notwendigkeit, geschlossen wurde.

Damit waren wir in der Situation, dass wir beide eine neue Anstellung brauchten. Die Fliegerei ist eine Branche, in der, vor allem für Piloten, die Jobs nicht allzu reich gesät sind. Bei einer deutschen Fluggesellschaft unterzukommen, war zum damaligen Zeitpunkt aussichtslos, aber diese Branche ist ein internationales Geschäft. Deshalb waren wir sehr froh und erleichtert, als sich für meinen Partner die Möglichkeit bot, bei der türkischen Staats-Airline „Turkish Airlines“, ebenfalls in der Position eines verantwortlichen Kapitäns, anzufangen. Allerdings bedeutete dies für uns einen Umzug nach Istanbul, denn dort würde er von nun an stationiert sein. Dass ich ihn dorthin begleiten würde, stand außer Frage.

Also packten wir Anfang 2014 unsere Koffer und machten uns auf in unsere neue Heimat: Istanbul! Ein Name, der große Geschichte in sich trägt, eine Menge Vorstellungen und Emotionen auslöst und die Phantasie anregt: Brücke zwischen zwei Kontinenten, Schmelztiegel der Kulturen, Tor zum Orient, Ende der Seidenstraße, ehemals Hauptstadt des prachtvollen Weltreiches Byzanz ... Welch verheißungsvolle Aussicht, dort zu leben! All diese Erwartungen erfüllt Istanbul ganz sicher und wird damit auch dem Anspruch des Mitteleuropäers gerecht, ihm bei einem Besuch einen Einblick in die Welt von 1001 Nacht zu gewähren.

Istanbul ist, früher wie heute, eine wichtige Handelsmetropole am Bosporus. Es ist aber auch eine moderne Großstadt mit all ihren Problemen und Nöten und in vielen Belangen zerrissen zwischen Tradition und Fortschritt.

Eine unglaublich spannende, aufregende und ereignisreiche Zeit lag also vor uns - und wir waren neugierig. Was für den Touristen interessant und spannend ist, gestaltet sich für den Westeuropäer, der versucht, dort zu leben, zu arbeiten und seinen Alltag zu meistern, teilweise schwierig, anstrengend und nervenaufreibend.

Die herausragendsten Erlebnisse unserer Zeit in Istanbul, habe ich hier in ein paar kleinen Geschichten zusammengefasst, die manchmal zum Schmunzeln oder vielleicht auch zum Kopfschütteln anregen. Dabei geht es nicht darum, die Schönheit der Stadt zu preisen, oder die Vielfalt ihrer touristischen Sehenswürdigkeiten zu beschreiben, die ohne Frage jederzeit einen Besuch lohnen. Es soll vielmehr der Versuch unternommen werden, aufzuzeigen, was einen Ausländer erwartet, der für längere Zeit in dieser Stadt leben und arbeiten möchte. Außerdem soll ein Eindruck der türkischen Metropole abseits ihres oberflächlichen touristischen Gesichts vermittelt werden.

Anhand der Schilderung von größeren wie kleineren Alltagsproblemen und Schwierigkeiten verschiedenster Art, auf die wir bei unserem Vorhaben gestoßen sind, als deutsche Gastarbeiter in der Türkei zu leben, habe ich versucht, die auffälligsten Unterschiede zwischen dem türkischen und dem deutschen Alltagsleben aufzuzeigen und so die charakteristischsten Grundzüge der türkischen Mentalität herauszustellen und zu benennen.

Dazu gebe ich einzelne persönliche Erlebnisse wieder, die uns aus unserer Zeit in Istanbul immer im Gedächtnis bleiben werden. All dies können selbstverständlich nur subjektive Eindrücke und Erfahrungen sein, die keinesfalls Anspruch auf Allgemeingültigkeit stellen.

Immer wieder wurde ich ermutigt, die Geschichten aufzuschreiben, wenn wir sie Bekannten und Verwandten in Deutschland erzählt haben... und das habe ich jetzt getan.

Das Abenteuer beginnt...

Nun, da die Entscheidung für einige Jahre nach Istanbul zu gehen einmal gefallen war, hieß es, sich über die Organisation dieses Abenteuers Gedanken zu machen. Es galt zu überlegen, welche Dinge wir dorthin mitnehmen wollten, welche wir in Deutschland zurücklassen würden und welche wir vor Ort neu anschaffen würden. Da es sich bei unserem Aufenthalt um einen überschaubaren Zeitraum handeln würde, war schnell entschieden, dass wir keinen großen Umzug organisieren wollten. Über den Transport von Möbeln mussten wir uns also keine Gedanken machen. Was diesbezüglich notwendig war, würden wir uns in Istanbul besorgen.

Anders verhielt es sich mit dem vielen Kleinkram und allen möglichen Haushaltsartikeln, aus denen ein Hausstand nun einmal besteht. Natürlich gab es das meiste davon sicher auch in der Türkei zu kaufen, so dass wir wohl auch nur mit einigen Kleidungsstücken im Koffer hätten umziehen können. Aber wie in den meisten durchschnittlichen Haushalten fanden sich auch in unserem die meisten Gegenstände des täglichen Gebrauchs in mehrfacher Ausfertigung. Warum also alles noch einmal kaufen, was schon mehr als ausreichend oft vorhanden war? So beschlossen wir, möglichst viele Dinge, wie Heimtextilien und Kochgeschirr, aus unserem Fundus zu bestreiten und mitzunehmen.

Von diesem Moment an überlegten wir bei jedem Teil, das wir zur Hand nahmen, was damit geschehen sollte. Die Folge war, dass es von nun an in unserer Wohnung einen Stapel gab, auf dem wir all die Dinge sammelten, die mit uns in die Türkei reisen sollten. Dieser Stapel wuchs von Tag zu Tag und hatte binnen kürzester Zeit eine Dimension erreicht, die mich an der Genialität und Umsetzbarkeit unseres Plans zweifeln ließ.

Was wir bei all dem bedenken mussten, war die Art und Weise, wie unser Umzug vonstatten gehen würde. Ein Wohnungswechsel ist eine Sache, wenn man all sein Hab und Gut in einen Umzugswagen packen kann, und es so vom alten zum neuen Wohnort transportiert. Bei uns stellte sich die Situation ein klein wenig anders dar: Wir würden mit dem Flugzeug umziehen, und das mit zwei ganz normalen Koffern ohne Sperrgepäck. Die Anforderungen an die uns begleitenden Dinge waren also klar durch die Koffermaße und die Gepäckvorgaben der Airline definiert.

Die Aufgabe dieser Vorbereitungen zu Hause in Deutschland fiel im Wesentlichen mir zu. Denn mein Partner befand sich bereits zur Ausbildung in Istanbul. Der genaue Termin für unseren gemeinsamen Umzug stand noch nicht fest. Er hing von mehreren Faktoren ab. Vor allem aber davon, wann wir eine geeignete Wohnung für uns finden würden. Wir stellten uns darauf ein, dass dies eine Zeit lang dauern konnte. Umso überraschter war ich, als mein Partner mir bereits zu Beginn der dritten Ausbildungswoche erzählte, er habe eine schöne Wohnung gefunden.

Jetzt mussten wir sozusagen eine Prioritätenliste erstellen. Es war klar, dass wir nicht alles auf einmal mitnehmen konnten. Deshalb galt es genau zu überlegen, was wir unbedingt sofort benötigten - und was bis zum nächsten Flug nach Istanbul warten konnte. Das war nicht ganz leicht zu entscheiden, da wir nicht wussten, wie lange wir mit den Dingen auskommen mussten, die wir direkt mitnahmen. Wann wir wieder in Deutschland sein würden, stand noch nicht fest. Eine gute Planung war also gefragt – und platzsparendes Packen. Über jedes einzelne Teil musste genau nachgedacht und entschieden werden.

Es ist wirklich bemerkenswert, wie pragmatisch man, derart limitiert, plötzlich zu denken beginnt. Erstaunlich, wie wenige Dinge man tatsächlich benötigt und wie viel unnötigen Ballast man in seinem Leben anhäuft. Sicherlich ist es kein Fehler, sich dessen einmal bewusst zu werden.

Irgendwann war der Tag „X“ gekommen. Am darauffolgenden Tag wollten wir endgültig in die Türkei aufbrechen. Nun kam die Stunde der Wahrheit und es würde sich zeigen, ob der bewusste Stapel, den wir über die letzten Wochen zusammengetragen hatten, in unsere beiden Koffer passen würde. Im Prinzip hatten wir sogar nur einen großen Koffer zur Verfügung. In ihn mussten alle Utensilien des täglichen Gebrauchs, Heimtextilen, das notwendigste Koch- und Essgeschirr und etwas Werkzeug. Nebenbei brauchten wir noch unsere jeweiligen Toilettenartikel und ein wenig Kleidung konnte auch nicht schaden. Dies alles wollten wir nun in unserem einen, zugegeben großen, Koffer unterbringen. Unser zweiter Koffer war unserem Luftbett nebst Bettzeug vorbehalten, das wir uns für die erste Zeit besorgt hatten. Mit ihm wollten wir die Zeit, bis wir uns die notwendigsten Einrichtungsgegenstände besorgt haben würden, überbrücken. Es war also der vordringlichste Gegenstand, den wir in Istanbul sofort brauchen würden. Damit war allerdings die Kapazität des ersten Koffers erschöpft und all die anderen Dinge mussten wohl oder übel in den anderen passen.

Wir machten uns also ans Einpacken und entwickelten dabei erstaunliche Techniken, verschiedene Dinge ineinander zu schachteln, beziehungsweise, die einzelnen Sachen möglichst platzsparend im Koffer unterzubringen. Kein Kubikzentimeter des Koffervolumens blieb ungenutzt. So landete das Besteck irgendwo zwischen der Kleidung, die wiederum als Füllmaterial für Hohlräume diente. Ein ordentlicher Teil unserer Unterwäsche fand sich im Inneren der Töpfe wieder, die ihrerseits wieder im Putzeimer steckten. Das System erinnerte ein wenig an das einer russischen Matruschka-Puppe. Für den Fall, dass wir den Koffer am Zoll würden öffnen müssen, ergäbe das mit Sicherheit auch für den Beamten kein alltägliches Bild und wir waren unsererseits nicht unbedingt wild darauf, einem türkischen Zollbeamten zu erklären, weswegen wir unter anderem Küchenmesser verschiedener Größe mit uns führten.

Nachdem sich der Koffer hatte erfreulich leicht schließen lassen, erwies er sich jedoch leider als zu schwer. Das hatte zur Folge, dass wir unseren so kunstvoll in mühevoller Kleinarbeit vollgestopften Koffer wieder auspacken mussten. Es dauerte nicht lange, da stellten wir fest, dass uns das System, zwei Paar Socken hier und ein T-Shirt da weniger, nicht zum erforderlichen Erfolg führten. Die notwendigen fünf Kilogramm konnten wir dadurch nicht einsparen. Also durften Socken und T-Shirt wieder zurück in den Koffer und der Akku-Schrauber musste in Deutschland bleiben.

Dass unser Handgepäck zwar die erlaubte Größe nicht überstieg, ziemlich sicher aber das zulässige Gewicht von acht Kilogramm pro Person, ist eine andere Geschichte, die wir hier nicht weiter verfolgen wollen. Wir haben es sicherheitshalber nicht gewogen. Wir vermuten aber, dass wir schließlich mit insgesamt achtzig bis neunzig Kilogramm Gepäck in Istanbul angekommen sind. Bedenkt man, dass es sich um einen Umzug handelte, ist das gar nicht so viel.

Die Unterzeichnung des Mietvertrages war bisher noch nicht zu Stande gekommen. Fest stand allerdings bereits, dass wir die Wohnung ab 01. März mieten würden. Deshalb hatten wir versucht, die Unterzeichnung des Vertrages so nahe wie möglich an diesen Termin zu legen. Unsere Hoffnung war, den Schlüssel bereits zu erhalten und eventuell schon einen Tag vor Vertragsbeginn in die Wohnung einziehen zu dürfen. So würden wir uns eine zusätzliche Nacht im Hotel sparen. Das Kalkül ging auf. Wir schafften es, den Termin mit unserem zukünftigen Vermieter für den Spätnachmittag des 28. Februar zu vereinbaren. Damit war es äußerst unwahrscheinlich, dass er verlangen würde, wir müssten die letzte Nacht noch im Hotel verbringen und wir waren stolz auf unseren Coup.

Am Morgen des 28. Februar 2014 saßen wir schließlich in der Maschine. Jetzt konnte im Prinzip nichts mehr schief gehen. Es war sichergestellt, dass wir auf jeden Fall rechtzeitig zur Vertragsunterzeichnung in Istanbul waren. Das Schlimmste, was jetzt noch passieren konnte war, dass der Vermieter es ablehnte, uns schon eine Nacht früher in die Wohnung zu lassen. Das war zwar unwahrscheinlich, aber selbst wenn, war es nicht tragisch. Das Unternehmen Istanbul lief gut an.

Als das Flugzeug abhob und München verließ, war es ein seltsames Gefühl. Eine Mischung aus Vorfreude, Aufregung, Neugierde, Spannung, Unsicherheit und auch ein paar Bedenken vertäuten sich in meiner Magengegend zu einem deutlich spürbaren Knoten. Wir verließen Deutschland auf unbestimmte Zeit und hatten keine konkrete Vorstellung davon, was uns erwartete. Wir flogen unserem neuen Leben entgegen.

Bei der Einreise in die Türkei am Flughafen Istanbul schlug unser Herz dann für ein paar Augenblicke etwas schneller. Auch wenn wir nichts zu verbergen hatten, so war es uns doch lieber, unseren Koffer mit seinem zugegeben etwas unüblichen Inhalt nicht öffnen und denselben einem türkischen Zollbeamten erklären zu müssen.

Hier kam uns ein typischer Bestandteil der türkischen Mentalität äußerst gelegen und wir nutzten ihn ganz bewusst aus. Das Ansehen einer Person ist in der Türkei untrennbar mit ihrem Beruf verbunden. Wie in Deutschland gibt es Berufe, die ein sehr hohes Ansehen genießen. Anders als in Deutschland bedingt dies automatisch ein extrem hohes Maß an Respekt, das dem Inhaber der hoch angesehenen oder hierarchisch höher stehenden Position von allen übrigen Mitgliedern der Gesellschaft entgegen gebracht wird. Kein Inhaber einer niedriger angesiedelten Position wird offen anzweifeln, dass der höher stehende Gesprächspartner im Recht ist oder ihn auf einen Fehler aufmerksam machen.

Der Beruf eines Flugkapitäns der staatlichen Airline „Turkish Airlines“ gehört zu den Positionen mit dem höchsten Angesehen überhaupt. Auf dieses hohe Prestige verließen wir uns. Also trug mein Partner seinen Dienstausweis beim Durchschreiten der Zollkontrolle deutlich sichtbar auf seiner Jacke. Wir wurden nicht enttäuscht. Keiner der für den Bereich „Nothing to declare“ zuständigen Zöllner sprach uns an und wir waren inklusive unseres gesamten Umzugsgutes in unserer neuen Heimat angekommen.

Nach einer kurzen Wohnungsbesichtigung fanden wir uns zur Unterzeichnung des Mietvertrages im Maklerbüro ein. Wir wurden aufgefordert, uns zu setzen und einen Tee zu trinken. An diesem Nachmittag machten wir das erste Mal Bekanntschaft mit dem türkischen Verständnis von Zeit. Dieses unterscheidet sich grundlegend von unserem. Zeit für einen Tee ist in der Türkei grundsätzlich immer und zu jeder Gelegenheit. Wir hatten zwar einen fixen Termin und der war vor circa einer halben Stunde gewesen, aber das störte niemanden. Unser Vermieter war noch nicht da, und so lange versuchte der Makler, sich mit uns auf Englisch zu unterhalten. Wir verstanden nicht immer alles, aber lächelten freundlich. Ihm erging es vermutlich ebenso.

Im Laufe des Gesprächs ließen wir beiläufig einfließen, wir hätten vor, unseren Vermieter zu fragen, ob wir schon in dieser Nacht in der Wohnung übernachten könnten und wollten wissen, wie er die Chancen für eine Zustimmung seitens des Besitzers einschätzte. Die Wohnung war leer, von der Küche und dem Badezimmer abgesehen. Wohl deshalb spiegelte sich pure Verständnislosigkeit im Gesicht des Maklers. Er dachte zunächst wahrscheinlich, er hätte falsch verstanden. Doch dann beantwortete er die Frage mit einer nur äußerst zurückhaltend vorgebrachten Gegenfrage: „Where do you want to sleep?“ Sein offensichtliches Unbehagen und Unverständnis ließ uns schmunzeln. Er konnte schließlich nicht wissen, dass wir ein Luftbett im Koffer mitgebracht hatten! Vorstellen konnte er sich das wahrscheinlich schon gar nicht. Wir gaben ihm wahrheitsgemäß und vollkommen selbstverständlich zur Antwort, er solle sich keine Sorgen machen, das sei kein Problem, unser Bett befände sich im Koffer. Auch wenn er einen fragenden Blick in Richtung unseres Koffers warf, weiter fragte er zu diesem Thema nichts mehr und ließ unsere Antwort unkommentiert. Ein Themenwechsel war angesagt.

Als die Zeit voranschritt und der Tee ausgetrunken war, schien der Makler nervös zu werden. Nach einem Telefonat bedeutete er uns, dass es Zeit zum Aufbruch wäre. Er würde uns mit seinem Wagen zu unserem Vermieter bringen. Nun waren wir es, die leicht verständnislos drein schauten. Hatte er nicht gesagt, der Besitzer unserer Wohnung wäre noch bei der Arbeit? Wie sich herausstellte, hatten wir beides richtig verstanden. Kein Problem. Unser Vermieter war Arzt und noch bei der Arbeit im Krankenhaus. Der Makler würde uns jetzt zu ihm dorthin bringen, um den Vertrag zu unterschreiben. Das wiederum konnten wir uns nicht vorstellen.

Der Makler parkte sein Auto auf eine Weise, die mich zum ersten Mal Bekanntschaft mit dem türkischen Straßenverkehr machen und daran zweifeln ließ, ob wir es je wiedersehen würden - und falls ja, ob dann in einem Stück.

Im Krankenhaus empfing uns eine Dame an einem Informationsschalter. Als unser Makler sie bat, uns bei unserem Vermieter anzumelden, griff sie zum Telefon und tat dies ohne ein Anzeichen von Verwunderung. Scheinbar war es in der Türkei nicht unüblich private Geschäfte am Arbeitsplatz zu erledigen. Es schien, als müssten wir noch viel lernen!

Zurück im Büro des Maklers, erhielten wir die Schlüssel zu unserer Wohnung. In der Annahme, dass nun alles erledigt sei, wollten wir das Büro gerade verlassen, als der Makler uns wie selbstverständlich informierte, dass wir am nächsten Tag das Schloss tauschen lassen müssten. Gleichzeitig erbot er sich, hierfür einen Termin für uns mit der zuständigen Firma zu vereinbaren. Als er den leicht irritierten Blick sah, den wir wechselten, erklärte er uns, dass innerhalb der Wohnanlage bis zum Einzug alle Wohnungen mit dem gleichen Schloss ausgestattet waren. Erst wenn die Wohnungen vermietet waren, wurden sie mit einem individuellen Schloss versehen. Dachte man die Sache zu Ende, bedeutete dies, dass wir in einer Wohnung übernachten würden, für die mindestens ein Fremder einen Schlüssel besaß. Wie viele andere Menschen auf diese Weise wohl sonst noch Zugang zu unserer Wohnung hatten, wollte ich besser erst gar nicht wissen. Ich beschloss, nicht weiter darüber nachzudenken, aber vorsichtshalber das Sicherheitsschloss zu verriegeln.

Nun endlich war der große Moment gekommen und wir bezogen unser neues Appartement. Unser gesamtes Umzugsgut war verteilt auf zwei große Koffer und zwei Handgepäckstücke. Das Auspacken dauerte daher nicht lange und beschränkte sich auf unser Luftbett, einige Küchenutensilien und die Toilettenartikel. Da die Wohnung bis auf eine mehrere Millimeter dicke Staubschicht am Boden leer war und wir noch keinen Schrank oder etwas Ähnliches besaßen, war der Rest unserer Habseligkeiten für den Moment im Koffer am besten aufgehoben.

Jetzt hieß es, die notwendigsten Dinge einkaufen zu gehen. Neben den elementaren Dingen des täglichen Gebrauchs stand Bettzeug ganz oben auf unserer Einkaufsliste. Das hatten wir nicht aus Deutschland mitgebracht. Schnell trafen wir auf einen weiteren Unterschied zwischen Deutschland und der Türkei: Die Standardgrößen für Bettzeug waren komplett unterschiedlich und damit waren die aus Deutschland mitgebrachten Überzüge unbrauchbar. Schade um den Platz im Koffer! Die Antwort auf unsere Versuche, in einschlägigen Geschäften danach zu fragen war stets ein freundliches Lächeln, das uns deutlich zeigte, dass das Verkaufspersonal nicht die leiseste Ahnung hatte, wovon wir sprachen. Ein echtes Kundengespräch kam nicht zustande, weil die Verkäufer kein Wort verstanden hatten. Ich scheiterte damit zum ersten Mal bewusst an der Sprachbarriere. So waren wir schließlich nach dem Besuch von vier Geschäften und mindestens ebenso vielen erfolglosen Verkaufsgesprächen um zwei Kopfkissen und zwei Matratzenschoner reicher. Bei den beiden letzteren handelte es sich um eine Zufallserrungenschaft. Wir hatten sie in dem Glauben gekauft, es handele sich um Zudecken. Ihr wahres Wesen offenbarten sie erst beim Auspacken zu Hause. Allerdings war zu diesem Zeitpunkt unser Tatendrang und Abenteuergeist für diesen Tag erschöpft und so wurden sie, zumindest vorübergehend, zu Bettdecken umfunktioniert.

Was wir dabei allerdings nicht bedacht hatten, waren die Temperaturen Anfang März in Istanbul. Es wurde die kälteste Nacht, die wir insgesamt in der Türkei verbracht haben. Es war nicht ganz klar zu entscheiden, was in dieser Nacht lauter war, das Klappern unserer Zähne oder der Lärm der Flugzeuge, die 24 Stunden ohne Unterlass den Flughafen Atatürk über unsere Wohnanlage hinweg verließen. Auch daran mussten wir uns erst gewöhnen: So etwas wie Nachtflugverbot gibt es in der Türkei nicht. Nur gut, dass es ein langer und anstrengender Tag gewesen war, so trug der Schlaf den Sieg über den Lärm und die Kälte davon.

Aber noch nicht gleich. Denn bei unserer Rückkehr nach dem Einkauf erwartete uns die nächste Überraschung. In der Zwischenzeit war es dunkel geworden und in unserer Wohnung empfing uns Disco-Beleuchtung. Die eingebauten Lampen im Küchenbereich flackerten und das grelle kalte Licht der Halogenstrahler erhellte mit stroboskopartigem Zucken gefühlte zwanzig Mal pro Sekunde den Raum. Es war zu wenig Licht, um etwas Genaues zu erkennen, aber es reichte aus, um festzustellen, dass alle Sicherungen an ihrem Platz waren. Daran konnte es also nicht liegen. Auch unsere zufällige Entdeckung, dass sich das Licht mit dem Lichtknopf der Dunstabzugshaube permanent einschalten ließ, half uns nicht, die Ursache für die Störung herauszufinden. Sobald es wieder ausgeschaltet wurde, kehrte das Licht-Stakkato zurück. Kälte, Fluglärm und Discolicht: das war zu viel des Guten. Wir konnten uns beim besten Willen nicht vorstellen, dass wir so auch nur ein Auge zu tun würden.

In unserer Not wandten wir uns ein weiteres Mal an diesem Tag an unseren Makler und baten um Hilfe. Danach konnten wir nur warten. Mangels Stühlen oder einer anderen Sitzgelegenheit standen wir etwas verloren im zuckenden Licht unserer Küchenlampen. Doch unsere Ratlosigkeit wurde schon ein paar Minuten später vom schrillen elektronischen Klang von „Jingle Bells“ unterbrochen. Nun kannten wir auch den Ton unserer Türklingel - und wir hatten keine Ahnung, wie man ihn wieder abstellte. „Jingle Bells“, Jingle Bells“ schallte es in ohrenbetäubender Lautstärke in den Hausflur. Es war Freitag Abend, 20:15 Uhr und vor der Tür standen tatsächlich zwei Handwerker, die sich sogleich daran machten, den Schaden zu beheben. All mein hilfloses Drücken auf sämtliche Knöpfe der Gegensprechanlage half nichts: „Jingle Bells“ hallte erbarmungslos in den Flur und ich war froh, dass wir noch keine Nachbarn hatten.

Um etwas sehen zu können, nutzten die Handwerker das Licht im Bad. Dadurch fiel uns eine kleine Wasserpfütze unterhalb des Handtuchwärmers auf. Zwischenzeitlich hatte ich es endlich geschafft, die Türklingel zum Verstummen zu bringen, auch wenn ich nicht wusste, wie ich das gemacht hatte. Offensichtlich war auch der Handtuchwärmer nicht vollkommen dicht. Aber kein Problem, die Handwerker waren ja schon da. Allerdings handelte es sich bei ihnen um Elektriker und sie waren daher für das Leck am Handtuchhalter nicht zuständig. Aber sie waren im Besitz eines Walkie-Talkies. Damit beorderten sie sofort auch ihren Kollegen, den Klempner, in unser Appartement. Wieder ertönte „Jingle Bells“ als der sich nach wenigen Augenblicken ebenfalls wie selbstverständlich bei uns einfand. Als er mein hilfloses Deuten auf die Klingelanlage sah und das Weihnachtslied wieder nicht verstummen wollte, erbarmte er sich und zeigte mir den richtigen Schalter. Ruhe. Auch der Klempner war nicht allein gekommen. Ihm stand ein weiterer Kollege zur Seite, der seinerseits von einem Kehrbesen und dazugehöriger Schaufel begleitet wurde. Er war gekommen, um eventuell entstehenden Schmutz sogleich zu entfernen. Dies erschien mir reichlich absurd, angesichts einer geschätzt fünf Millimeter dicken Staubschicht, die den Boden der gesamten Wohnung bedeckte. Fußabdrücke im Staub ließen exakt verfolgen, wo vorherige Interessenten für die Wohnung entlang gegangen waren. Auch im Badezimmer fanden sich noch deutliche Spuren der letzten Bauarbeiten. Hier brauchte es definitiv größeres Gerät als eine kleine Kehrichtschaufel. Trotzdem, der gute Wille entlockte mir unwillkürlich ein wohlwollendes Lächeln.

Circa eine Viertelstunde später zuckten die Lampen in der Küche nicht mehr, sondern sie brannten ruhig und gleichmäßig, und sie konnten mit dem dafür vorgesehenen Lichtschalter bedient werden. Auch das Leck am Handtuchhalter war abgedichtet. Allerdings funktionierte die Dunstabzugshaube nun überhaupt nicht mehr. Egal. Wir waren allein, „Jingle Bells“ schwieg, wir hatten jetzt Licht, das wir auch wieder ausschalten konnten, dazu ein Luftbett mit notdürftigem Bettzeug - und Schlaf nötig.

Bereits der heutige Tag hatte uns gezeigt, dass sich unser zukünftiges Leben hier in der Türkei deutlich von dem in Deutschland unterscheiden würde. Aber für heute war unser Bedarf an neuen Erlebnissen erst einmal gedeckt und wir schliefen dem nächsten Tag in unserer neuen Heimat entgegen.

Nachdem wir unsere neue Wohnung in Istanbul bezogen hatten, war eine unserer vordringlichsten Anschaffungen ein Kühlschrank. Die Küche war zwar ausgestattet, doch ohne Kühlschrank. Die erste Zeit nutzten wir daher unseren Balkon als vorübergehenden Kühlschrank. Wir packten alle Dinge, die kühl gelagert werden mussten, in eine Vorratsdose und platzierten sie auf dem Balkon. Immer am Spätvormittag siedelten wir die Dose von der Westseite des Balkons, wo sie übernachtet hatte, auf dessen Südostseite um. Stets bemühten wir uns so, um eine Lagerung auf der sonnenabgewandten Seite. Es war zwar erst März und die Sonne hatte daher noch längst nicht ihre volle Kraft erreicht, doch waren wir überzeugt, Milch, Butter, Eier und Käse würden einen schattigen Aufenthaltsort vorziehen und einen solchen mit einer längeren Haltbarkeit danken. Das System war sicher nicht ideal, aber wir waren froh, im zeitigen Frühjahr eingezogen zu sein. Im Sommer hätte unser Balkon als Kühlschrankersatz vollkommen versagt.

Folgerichtig betrieben wir keinerlei Vorratshaltung und bestritten unser tägliches Abendessen in einem der Schnellrestaurants im Einkaufszentrum auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Es widerstrebte uns jedoch, uns länger als unbedingt notwendig von Fast Food zu ernähren. Das bedeutete: Ein Kühlschrank musste her!

Der räumliche Spielraum dafür war äußerst begrenzt, da das Gerät exakt in den dafür ausgesparten Platz in unserer Küche passen musste. Wie schwierig es tatsächlich war, eine in diese Lücke passende Kühl-/Gefrierkombination zu finden, stelle sich jedoch erst heraus, als wir mit unserer Suche begonnen hatten.

Zusätzlich gab es ein weiteres Kriterium, das unsere Auswahl mitbestimmte: der Preis. Unser Aufenthalt in Istanbul sollte nur eine Dauer von maximal vier Jahren haben. Danach würden wir wieder nach Deutschland zurückkehren. Es war äußerst unwahrscheinlich, dass wir den Kühlschrank dann mit umziehen würden. Außerdem war nicht davon auszugehen, dass er von unserem Vermieter abgelöst würde. Deshalb war unser Ziel ein gutes leistungsfähiges Gerät auf technisch möglichst aktuellem Niveau zu einem annehmbaren Preis.

Aus unerklärlichen Gründen waren die meisten Kühl-/Gefrierkombinationen umgekehrt angeordnet wie wir es aus Deutschland kannten. Der Gefrierschrank befand sich oben, der Kühlschrank unten. Für diese Aufteilung konnte vor allem ich mich nicht begeistern. Sie hatte zur Folge, dass sich das Obst- und Gemüsefach des Kühlschranks nicht auf angenehmer, griffbereiter Arbeitshöhe befand, sondern ganz am Boden angesiedelt war. Da abzusehen war, dass dieser Bereich des Kühlschranks von uns recht häufig genutzt werden würde, ein nicht ganz zu vernachlässigendes unbequemes Detail. Gerne hätte ich diesen Punkt ebenfalls zur Liste unserer Ausschlusskriterien hinzugefügt. Doch es stellte sich heraus, dass weitaus die meisten Kühl-/Gefrierkombinationen über diese Aufteilung verfügten. Im für uns in Frage kommenden Größensegment nahezu alle. Benutzten die Türken den Gefrierschrank häufiger als den Kühlschrank?

Das hieß, entweder wir würden in diesem Punkt einlenken oder wir mussten deutlich mehr Geld als beabsichtigt investieren. Zähneknirschend war ich schon beinahe bereit, mich mit einem Gemüsefach am Boden abzufinden, als wir plötzlich vor unserem Kühlschrank standen.

Vor uns stand eine weiße Kombination mit klassischer Aufteilung von Kühl- und Gefrierschrank in der passenden Größe für unsere Küche. Es handelte sich um ein technisch erfreulich fortschrittliches deutsches Fabrikat zu einem verhältnismäßig günstigen Preis. Da stand er, völlig unscheinbar und selbstverständlich, als wäre es das Natürlichste der Welt und so, als hätten wir nicht schon stundenlang nach ihm gesucht. Wir waren uns sicher: dieser Kühlschrank hatte nur auf uns gewartet! Nachdem wir alle Eigenschaften mehrfach überprüft und alle Maße doppelt nachgemessen hatten, suchten wir nicht mehr lange den Haken am Gerät, sondern stattdessen lieber einen Verkäufer, der uns das Modell verkaufte. Aber damit standen wir schon vor dem nächsten Problem: Wie das Verkaufsgespräch führen, ohne des Türkischen mächtig zu sein, wenn der Verkäufer wiederum keinerlei Englisch spricht. Mit viel gutem Willen, der zu Hilfenahme von Händen und Füßen und der Unterstützung eines weiteren Kollegen, der zumindest ansatzweise über Englischkenntnisse verfügte, meisterten wir auch diese Hürde. Nach nicht einmal fünfzehn Minuten hatten wir unseren neuen Kühlschrank samt Gefriertruhe gekauft, ihn bezahlt und dem Verkäufer sogar noch verständlich gemacht, wohin das Gerät geliefert werden sollte. Zu unserem allergrößten Erstaunen wurde uns die Lieferung bereits für den darauffolgenden Tag zugesagt.

Und tatsächlich: circa zwanzig Minuten nach dem vereinbarten Termin klingelte am nächsten Tag das Mobiltelefon. Am anderen Ende jemand, der ausschließlich Türkisch sprach. Was wir verstanden, war ein Schwall von „u“s und „ü“s, die durch noch mehr „y“s zu einem einzigen unendlichen Wort verbunden und in einer unvorstellbaren Geschwindigkeit aneinander gereiht wurden. Das einzige Wort, das beide Seiten verstanden hatten, war der Firmenname gewesen.

Nochmals wenige Augenblicke später öffnete sich der Lastenaufzug und ein über mannshoher Pappkarton auf zwei Beinen schwankte auf unsere Wohnungstür zu. Als er näher kam, erkannten wir zwei Personen dahinter, die ihn mit vier Händen umklammerten. Schnell machten wir den Weg frei, um die Männer mit ihrer schweren Last in unsere Wohnung zu lassen. Doch vor unserer Wohnungstür blieben sie stehen, balancierten den überdimensionalen Karton, ohne ihn abzusetzen, ein wenig hin und her, und bemühten sich, noch im Hausflur ihre Schuhe auszuziehen. Sie verlagerten dabei das Gewicht des riesigen Paketes, parallel zu ihrem eigenen, von einer Seite auf die andere, während sie auf einem Bein stehend versuchten, sich mit dem rechten Fuß, den Schuh vom linken zu streifen und umgekehrt. Erst als dies erfolgreich gelungen war, wuchteten sie den mächtigen Karton in unsere Wohnung.

Wir hörten aus den gestenreichen Erklärungen, die dann folgten, immerhin soviel heraus, dass wir den Kühlschrank noch mindestens zwei Stunden an Ort und Stelle belassen sollten, bevor wir ihn endgültig anschlossen. Soweit konnten wir den Herren folgen, da die Argumentation für uns Sinn ergab. Durch den Transport war der Kühlschrank starken Bewegungen ausgesetzt gewesen und nun musste sich das Kühlmittel erst wieder setzen. Den zweiten Teil der Mitteilung verstanden wir so, dass wir nach Ablauf der zwei Stunden, den Technik-Service der Hersteller-Firma anrufen sollten, um mit diesem innerhalb der nächsten ein bis zwei Tage einen Termin für das Anschließen unseres Kühlschranks zu vereinbaren. Dieser Teil der Argumentation blieb uns dagegen ein Rätsel. Wozu brauchten wir einen Techniker um unseren Kühlschrank anzuschließen? Unseres Wissens war alles, was zu tun war, sobald das Gerät an seinem endgültigen Bestimmungsort stand, den Netzstecker in die dafür vorgesehene Steckdose zu stecken. Diese Aufgabe war technisch wohl kaum so anspruchsvoll, dass sie einen Techniker erforderte.

Viele Dinge liefen hier in der Türkei anders als zu Hause in Deutschland. So viel hatten wir bereits gelernt! Da wir somit nicht hundertprozentig ausschließen konnten, dass die Hausverwaltung den Anschluss technischer Großgeräte durch qualifiziertes Personal verlangte, beschlossen wir, wieder einmal Hilfe bei unserem Makler zu suchen. Falls es eine solche Vorschrift gab, würde er es wissen. Falls es einen anderen Grund für diese Maßnahme gab, würde er ihn uns immerhin darlegen können, da er sich im Englischen zumindest einigermaßen verständigen konnte. Ein Besuch bei ihm war also mit Sicherheit kein Fehler.

Er bedauerte es sehr, aber nach etlichen Anläufen, sich telefonisch zu informieren, musste er den Versuch, uns zu helfen, schließlich aufgeben. Die einzige Auskunft, die er uns geben konnte, war, dass es sich nicht um eine Vorgabe der Hausverwaltung handelte, dass Elektrogeräte durch Fachpersonal angeschlossen werden mussten. Er vermutete, dass sich die Hersteller-Firma dadurch gegen unsachgemäßes Anschließen der Geräte absichern wollte.

Er dachte einen Moment nach und schien alle ihm bekannten Informationen und Details abzuwägen. Dann ließ er uns wissen, zu welchem Ergebnis ihn seine Überlegungen geführt hatten. Er sah meinen Partner bedeutungsvoll an, holte tief Luft und teilte uns in ernstem Ton seine Schlussfolgerung mit: „Sie wissen, wie man ein Flugzeug fliegt...“ - Denkpause - „...dann, glaube ich, wissen Sie auch, wie man einen Stecker in eine Steckdose steckt.“ Wir sahen uns an und mussten aufpassen, dass wir nicht spontan laut losprusteten. Doch unser Makler hatte sich offenbar nur schweren Herzens zu dieser Aussage durchringen können und so widerstanden wir dem Impuls, in schallendes Gelächter auszubrechen. Ein amüsiertes Schmunzeln konnten wir uns jedoch nicht verkneifen.

Egal, was unseren Makler zu seiner Einschätzung veranlasst hatte, wir waren sehr froh über dieses Ergebnis des Gesprächs. Also bedankten wir uns freundlich für seine Hilfe und kehrten kopfschüttelnd in unsere Wohnung zurück. Dort stellten wir unseren Kühlschrank an seinen endgültigen Platz. Dann steckten wir den Anschlussstecker in die Steckdose. – Kein Kurzschluss, nichts. Nur ein bemerkenswert leises Brummen unseres Kühlschranks quittierte die Stromzufuhr und zeigte an, dass er seinen Betrieb aufnahm. Auch wenn es die Lieferanten vielleicht erstaunen würde, doch es sind keine größeren Katastrophen eingetreten und unser Kühlschrank lief seitdem einwandfrei bis zu dem Tag, an dem wir die Türkei wieder verließen... und das obwohl wir ihn selbst angesteckt haben....

Da kein Schrank vorhanden war, funktionierten wir in der ersten Zeit einen der Koffer vorübergehend zum Schrank um. Alles was Kleidung war, blieb im einen Koffer, alles andere wanderte in den zweiten Koffer. Wer schon einmal versucht hat, mehr als drei Tage am Stück Ordnung in einem Koffer zu halten, aus dem er gleichzeitig lebt, kann sich in etwa vorstellen, wie oft wir in den ersten Tagen auf der Suche nach irgendwelchen Dingen waren. Auch wenn wir uns im Prinzip sicher waren, das bewusste Teil mitgenommen zu haben, so blieb stets ein kleiner Zweifel, ob es nicht doch dem zunächst zu hohen Gewicht unseres Koffers zum Opfer gefallen waren. Bis wir es schließlich fanden und es sich immer wieder herausstellte, dass sich unsere jahrelange Routine im Kofferpacken ausgezahlt hatte.

Abhilfe für dieses Problem schafften schließlich mehrfache Besuche bei der Istanbuler Filiale eines großen schwedischen Möbelhauses und nachdem wir die Hürde des „Puzzle für Erwachsene“ in Form von Sofa, Schreibtisch, Kleiderschrank und „Billy“ erfolgreich gemeistert hatten, fand darin jedes einzelne Ding so langsam seinen Platz. Endlich wieder über einen ordentlichen Kleiderschrank zu verfügen, war dabei die größte Erleichterung.

Wir waren also tatsächlich mit nur zwei Koffern erfolgreich ausgewandert und waren richtig stolz auf uns. Das musste uns erst einmal jemand nachmachen!

Wir für unseren Teil waren so begeistert, wie gut dieses Prinzip funktioniert hatte, dass wir es knappe zwei Jahre später, bei unserem Rückumzug nach Deutschland einfach noch einmal angewandt haben: Wir reisten im letzten halben Jahr bei jedem Heimatbesuch mit maximal gefüllten Koffern nach Deutschland und mit leeren wieder zurück nach Istanbul. Es funktionierte erneut!

Diesmal hatten wir jedoch noch leicht erschwerte Bedingungen, die eine noch genauere und bessere Organisation und Planung erforderten. Einerseits gab der Auszugstermin den Zeitpunkt konkret vor, zu dem wir endgültig wieder alles nach Deutschland geschafft haben mussten. Andererseits hatten wir uns in den Kopf gesetzt, unseren in Istanbul erworbenen bequemen Lümmelsessel mit nach Deutschland zu bringen. Er war selbst in zerlegtem Zustand noch etwas sperrig. So musste er auf zweimal reisen und bescherte mir außerdem bei der Einreise nach Deutschland am Flughafen ein amüsantes Gespräch mit einer freundlichen Zollangestellten. Doch auch er steht heute wieder in einem Stück in unserem Büro.

So haben wir auch in punkto Umzug das „Kapitel Istanbul“ erfolgreich abgeschlossen und verbuchen es insgesamt als eine äußerst lohnende und interessante Erfahrung, für die wir sehr dankbar sind und die wir nicht missen möchten.

Utopia,

oder alles nur „getürkt“

Ein Ausdruck, der als feste Redewendung in die deutsche Sprache eingegangen ist. Was damit gemeint ist, versteht jeder Deutsche problemlos. Woher der Begriff, etwas sei „getürkt“ aber kommt, ist im Allgemeinen nicht bekannt und wird auch nur selten hinterfragt. Auch wir wissen es nicht und wollen dazu auch gar keine wissenschaftlich fundierte Erklärung abgeben. Allerdings haben wir zur Entstehung dieser deutschen Redewendung, seit unserer Zeit in der Türkei, so unsere eigene Theorie.

Sie basiert im Wesentlichen auf unseren Erfahrungen mit türkischen Handwerkern und ihren Produkten, beziehungsweise der Qualität der erbrachten Arbeitsleistung.

Um es gleich vorneweg zu sagen: Nicht alle türkischen Handwerker sind schlecht und nicht jede ihrer Arbeiten ist qualitativ fragwürdig. Im Gegenteil, in manchen Bereichen wäre es wünschenswert, der ein oder andere deutsche Handwerker würde sich eine kleine Scheibe von seinem türkischen Kollegen abschneiden. Dies betrifft vor allem die Zeit, die vergeht, bis eine Arbeit ausgeführt wird. Während es nahezu unmöglich ist, bei türkischen Behörden zeitnah den für die Bearbeitung der eigenen Angelegenheit zwingend erforderlichen Termin zu erhalten, scheint dieses Problem bei der Koordination von Handwerkern so gut wie unbekannt zu sein.

Das erste Erlebnis dieser Art hatten wir bereits an unserem ersten Abend in Istanbul. Beim Einzug in unsere Wohnung hatten wir mit mehreren kleineren Defekten zu kämpfen. Das Licht flackerte, der Handtuchwärmer tropfte und die Dunstabzugshaube funktionierte nicht. Wie wir heute wissen, hätte uns all das nicht allzu sehr verwundern müssen. Wir machten lediglich das erste Mal Bekanntschaft mit der – wie wir sie inzwischen leicht ironisch nennen – „typisch türkischen Wertarbeit“.

Was uns allerdings sehr wohl verwunderte war, wie schnell nicht nur ein, sondern insgesamt drei Handwerker zur Stelle waren und die Schäden beseitigten. Innerhalb von zehn Minuten rückten ein Elektriker, ein Klempner und eine Putzhilfe an und brachten die Sache, zumindest oberflächlich und vorübergehend in Ordnung. In Deutschland in dieser Form vollkommen undenkbar und unvorstellbar, schon gar nicht an einem Freitagabend um 20:15 Uhr. In der Türkei dagegen ist es anscheinend völlig normal, dass auch das technische Hauspersonal vierundzwanzig Stunden verfügbar ist.

Dass es sich tatsächlich um eine Vierundzwanzig-Stunden-Bereitschaft handelte, haben wir bei anderer Gelegenheit festgestellt. Wir waren über die Weihnachtsfeiertage nach Deutschland geflogen. Für den Rückflug hatten wir uns für die letzte Maschine spät am Abend entschieden, so dass wir erst in den frühen Morgenstunden in unsere Wohnung in Istanbul zurückkehrten. Schon als wir die Tür aufschlossen, erkannten wir die Bescherung: Wir hatten keinen Strom. Auch nach mehrfacher Betätigung diverser Lichtschalter blieb es in der Wohnung dunkel. Dieser Umstand an sich war noch nichts Besonderes, da wir in unserer Wohnanlage beinahe täglich mindestens einen Stromausfall zu verzeichnen hatten. Allerdings wurde dieser normalerweise binnen Sekunden vom hauseigenen Notfall-Generator aufgefangen. Außerdem würde bei einem allgemeinen Stromausfall weder der Lift funktionieren, noch das Licht im Hausflur brennen. Beides war aber der Fall. Nur in unserer Wohnung war und blieb es stockdunkel. Und das war allem Anschein nach schon längere Zeit so, wie uns ein Kontrollblick in den Kühlschrank verriet: Er hatte Zimmertemperatur. Allein in der Gefriertruhe herrschte noch leichte Kühle. Nur gut, dass wir lediglich eine überschaubare Vorratshaltung betrieben hatten. Aus irgendeinem Grund hatte nur unsere Wohnung keinen Strom.

Die einzige Möglichkeit, etwas zu unternehmen war, bei unserer Zugangs-Security im Haus Bescheid zu sagen. Die Schwierigkeit erwies sich als kleiner als gedacht. Der Wachmann überprüfte zunächst routinemäßig die Liste der säumigen Stromzahler. Als er feststellte, dass die Ursache unseres Problems hier nicht zu finden war, telefonierte er und auch diesmal stand zehn Minuten später ein Elektriker vor der Tür, der die Sache in Ordnung brachte. Am 27. Dezember morgens um zwei Uhr. In Deutschland hätten wir entweder die Zeit bis zum Dreikönigstag bei romantischem Kerzenschein verbracht oder ein kleines Vermögen für den Notdienst bezahlt. Hier war der Service kostenlos, da das monatliche Hausgeld auch den permanenten hauseigenen Handwerker-Service beinhaltete.

Dass diese beiden Events keine Einzelfälle waren, haben wir im Lauf der Zeit bei mehreren Gelegenheiten festgestellt. Wann immer wir ein technisches Problem hatten, war meist innerhalb weniger Minuten, sicher aber noch am selben Tag ein Handwerker verfügbar. Dass man sich dabei im Regelfall nicht auf die angegebenen Termine verlassen konnte, sondern meist noch ein wenig Zeit zugeben musste, ist eine andere Sache. Schreiben wir sie, ohne klischeehaft klingen zu wollen, der südländischen Mentalität im Allgemeinen zu. Wer schon öfter in Spanien war, kennt das „Mañana-Prinzip“. Trotzdem ist es eine sehr angenehme Sache, ohne Rücksicht auf Wochentag oder Uhrzeit ständig einen Handwerker verfügbar zu haben. Dass wir diesen Service allerdings innerhalb relativ kurzer Zeit verhältnismäßig oft in Anspruch nehmen mussten, spricht wiederum nicht unbedingt für die Qualität der Arbeitsleistung. Schon gar nicht, wenn man bedenkt, dass wir eine Neubauwohnung bezogen haben.

Aber nicht nur die Handhabung handwerklicher Probleme innerhalb unserer Wohnanlage stellte für uns eine äußerst positive Überraschung dar. Auch unsere Erfahrung mit Lieferterminen für gekaufte Möbel oder Elektro-Großgeräte übertraf all unsere Erwartungen. Oder wer hat in Deutschland einen dieser im Laden gekauften und bestellten Artikel schon jemals am darauffolgenden oder spätestens am übernächsten Tag geliefert bekommen? In der Türkei völlig normal. Egal ob Kühlschrank, Waschmaschine, Klimaanlage oder Möbel eines großen schwedischen Möbelhauses; alles, worauf wir in Deutschland wahrscheinlich sechs bis acht Wochen gewartet hätten, stand in der Türkei spätestens zwei Tage nach dem Kauf in unserer Wohnung. Auch das ist eine Sache, an die man sich gerne gewöhnt.

Zudem kann man sich über die Qualität der Leistung hier zumeist nicht beschweren. Anders als einige unserer Kollegen, haben wir immer das bekommen, was wir bestellt hatten, die Liefertermine wurden mehr oder weniger eingehalten und das Personal war durchgehend sehr freundlich. Die meisten schafften es, ein freundliches Wort zu übermitteln, auch wenn sie kein Wort Englisch sprachen. Mit einem freundlichen Lächeln und netten Gesten erreicht man sehr viel.

Vor allem eine der in der Türkei üblichen Höflichkeitsgesten fällt auf: Egal wie schwer ein Lieferant bepackt sein mag und unwichtig, wie schwer er an seiner Last zu tragen hat, bevor er die Wohnung eines Kunden betritt, wird er die Schuhe ausziehen. Meist geschieht dies mit einer automatischen, reflexartigen Bewegung quasi gleichzeitig mit dem Überschreiten der Schwelle. Je nach Größe und Gewicht des Liefergutes wirkt dies auf den ungeübten Beobachter manchmal vielleicht eher wie ein Balanceakt, doch für den Lieferanten ist es eine Selbstverständlichkeit, über die er überhaupt nicht nachdenkt.

Gleiches gilt auch für Handwerker. Keiner wird die Wohnung eines Kunden mit Straßenschuhen betreten. Dies gebieten die Höflichkeit und der Respekt vor der Hausfrau und ist fester Bestandteil der türkischen Etikette. Um die Schuhe nicht mehrfach an und ausziehen zu müssen, ziehen sich manche Handwerker auch Plastikschoner über die Schuhe. So sind Höflichkeit und Freundlichkeit auch bei den Handwerkern eher die Regel als die Ausnahme.

Das eindrücklichste Beispiel eines freundlichen Handwerkers stellte der Installateur unserer Spülmaschine dar. Bei unserem Einzug hatte man uns gesagt, das Gerät müsse erst noch fachgerecht angeschlossen werden. Dazu sollten wir mit dem Service der Herstellerfirma einen Termin vereinbaren, was auch problemlos funktionierte, nachdem das allgegenwärtige Türkisch-Deutsch-Englische-Kommunikationsproblem einmal gelöst war.

Wir riefen dort am Nachmittag an und - aus heutiger Sicht betrachtet selbstverständlich - kam der Installateur am darauffolgenden Vormittag. Damals waren wir darüber noch genauso überrascht wie hoch erfreut. Sofort machte er sich an die Arbeit, allerdings nicht ohne vorher die obligatorischen mitgebrachten Plastikschoner über seine Schuhe zu ziehen. Das Anschließen des Gerätes selbst war in wenigen Augenblicken erledigt. Doch was dann kam, wäre es wert gewesen, per Videodokumentation festgehalten zu werden. Ich bekam die perfekte Einweisung in Funktionsweise und Handhabung des Küchengerätes. An und für sich ist das noch nicht so sehr verwunderlich. Da auch unser Installateur kein Wort Deutsch oder Englisch konnte, sollte man meinen, wir hätten auch hier unser übliches Kommunikationsproblem. Weit gefehlt! Die Verständigung funktionierte einwandfrei. Der junge Handwerker klappte die Tür der Spülmaschine auf und begann, auf pantomimische Art und Weise die Details und richtige Bedienung derselben zu erklären. Er demonstrierte, dass und wie die Geschirrkörbe höhenverstellbar waren, zeigte, wo welches Pflegemittel einzufüllen war, ging die einzelnen Spülprogramme durch und wies zum Schluss auf die notwendigen Wartungsarbeiten hin. Alles, ohne auch nur ein Wort zu sprechen. Er zeigte die entsprechenden Fächer beziehungsweise Mechanismen und deutete die durchzuführenden Handgriffe an. Als er fertig war, legte er den Kopf ein wenig schief, lächelte freundlich und sah mich fragend an. Keine Frage, er war sichtlich stolz auf sich und ich hatte noch nie zuvor eine bessere Einweisung in eine Spülmaschine erhalten. Also bestätigte ich ihm mit einem nach oben gerichteten Daumen, dass ich keine weiteren Fragen hatte und alles in Ordnung war. Er nickte freundlich und verließ uns, diesmal allerdings mit den gängigen türkischen Verabschiedungsfloskeln. Als er seine Schuhe wieder von ihrem Plastiküberzug befreit hatte und den Hausflur entlang ging, sah ich ihm noch einen Moment lang nach, schüttelte schmunzelnd den Kopf und konnte nicht verhindern, dass ich laut aussprach, was ich nicht einmal bewusst gedacht hatte: „War der süß!“

Die Freundlichkeit der Handwerker und die im Allgemeinen sehr zeitnahe Erledigung von Aufträgen ist eine Sache. Eine andere ist es, wenn Handwerker kommen, ohne dass man sie gerufen hat. Auch diesen Fall haben wir erlebt und das kann manchmal zu unangenehmen Situationen führen.

Eines Vormittags war ich allein zu Hause und stand unter der Dusche. Just in dem Moment, in dem ich mir die Haare shampoonierte, fiel wieder einmal der Strom aus. Inzwischen waren wir lange genug in der Türkei, um uns dabei nichts mehr zu denken. Kurzfristigen Stromausfall hatten wir mehrmals die Woche, manchmal auch täglich. Kein Grund zur Beunruhigung also. Ärgerlich war es allerdings doch. Da unser Bad innen liegend war, war es darin mit einem Mal stockdunkel. Erst war ich überzeugt, dass es sich um eine Angelegenheit von wenigen Sekunden handeln würde, da der Notstromgenerator unseres Hauses, wie üblich, gleich anspringen würde. Als auch nach einiger Wartezeit nichts passierte, wurde die Sache ein wenig nervig. Es ließ sich aber leicht Abhilfe schaffen. Ich tappte aus der Dusche und öffnete die Badtüre. Damit hatte ich genügend Licht, um das Shampoo aus meinen Haaren zu waschen und mich in aller Ruhe fertig zu machen, bevor ich hinunter zur Security gehen und Bescheid sagen würde, dass wir keinen Strom hatten. Hatte ich gedacht. Doch als ich die Dusche eben verlassen hatte und dabei war, mich abzutrocknen, klopfte es an unserer Wohnungstür. Jetzt fluchte ich einmal leise vor mich hin, bevor ich hinaus rief: „One Moment!“ Das würde, wer auch immer jetzt vor unserer Tür stand, schon verstehen. Zu fragen, wer draußen stünde, hatte wenig Sinn, denn weder würde derjenige die Frage, noch ich die Antwort verstehen. In Windeseile schlüpfte ich in die nächstbesten Kleidungsstücke und riss mir das Handtuch vom Kopf. Ob letzteres meine Optik wesentlich verbesserte, sei dahin gestellt. Aber es half nichts, ich öffnete die Tür. Draußen stand, wie vermutet, ein Handwerker, der gekommen war, um den Stromausfall zu beseitigen. Dazu musste er an unseren Sicherungskasten und deshalb in die Wohnung. Dankenswerterweise verlor er weder ein Wort, noch verzog er eine Miene ob meiner Optik. Er hantierte einige Minuten an unseren Sicherungen, woraufhin nicht nur das Licht im Badezimmer, sondern auch die Stromversorgung der restlichen Wohnung zurückkehrten. Als sämtliche elektronischen Geräte in unserer Wohnung durch piepen, klicken oder ähnliche Laute bestätigten, dass sie alle wieder ausreichend mit Strom versorgt waren und somit ihren Dienst wieder aufnahmen, lächelten wir beide leicht verschämt, verabschiedeten uns und ich war dankbar, dass ich nicht zum Concierge-Schalter hatte gehen müssen. Denn schließlich war der Elektriker automatisch gekommen, ohne dass ich ihn gerufen hatte.

Nun könnte man den Eindruck gewinnen, die Türkei sei in punkto Handwerker eine Art Wunderland. Doch auch das sollte differenziert betrachtet werden.