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Amerika, 1874. Der Krieg ist lange vorbei – doch der Frieden ist trügerisch. U.S. Marshal Jake Rawlins hatte geschworen, nie zurückzukehren. Doch als man ihn bittet, einem Verdacht von höchster Tragweite nachzugehen, stößt er auf eine Verschwörung, die das Fundament der Union erschüttern könnte: ein geheimes Netzwerk aus Politikern, Militärs und Geschäftemachern – vereint in dem Plan, die Regierung zu stürzen. Ein Prozess beginnt. Gegen Männer mit Macht. Gegen die Lügen der Vergangenheit. Und Jake erkennt: Der schwerste Kampf wird nicht mit dem Colt geführt – sondern in Sitzungssälen, zwischen Akten und im eigenen Gewissen. Kein Revolverheld, kein Showdown auf staubiger Straße – sondern ein stiller Held, der für das Richtige kämpft. Im Schatten von Korruption und Machtmissbrauch. Ein fesselnder Roman über Pflicht, Verrat und die Würde der Aufrechten – wenn andere längst gefallen sind.
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Seitenzahl: 315
Veröffentlichungsjahr: 2025
Ralph Pape
Jake Rawlins
Die Verschwörung
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Inhaltsverzeichnis
Titel
1.Kapitel - Prolog
2.Kapitel- Eine schwere Entscheidung
3.Kapitel- Ein Versprechen
4.Kapitel - Huntsville/Texas
5.Kapitel- Der Informant
6.Kapitel- In der Höhle des Löwen
7.Kapitel- Infiltration
8.Kapitel- Im Sumpf der Verschwörung
9.Kapitel- Korruption und Erpressung
10.Kapitel- Undercover
11.Kapitel- Der innere Kreis
12.Kapitel-Der Kopf der Verschwörung
13.Kapitel- Harte Bandagen
14.Kapitel- Law&Order
15.Kapitel- Der erste Schlag
16.Kapitel - In den Fängen der Justiz
17.Kapitel- Wieder Zuhause
18.Kapitel- Washington Das Herz des Landes
19.Kapitel -Vorbesprechung
20.Kapitel- Der Prozess
21.Kapitel – Zeugen der Anklage
22.Kapitel- Agentin Marlow
23.Kapitel- Die Plädoyers
24.Kapitel- Urteilsverkündung
25.Kapitel. Nachbesprechung
26.Kapitel- Epilog
Impressum neobooks
Nach dem Bürgerkrieg liegt der Süden in Trümmern.
Plantagen niedergebrannt, Städte geplündert, Familien zerschlagen.
Doch während die Gewehre schweigen, schwelt der Hass weiter – wie Glut unter Asche.
Viele der einstigen Offiziere wollen die Niederlage nicht akzeptieren.
Sie sprechen von Verrat, von einem gestohlenen Erbe.
Im Verborgenen sammeln sie sich – verbittert, entschlossen, bereit.
Ihr Ziel: die Bundesregierung stürzen und den Süden neu erstehen lassen. Diesmal für immer.
Ein geheimes Netzwerk wächst heran.
Männer mit Einfluss. Mit Gold. Mit Waffen.
Getrieben von dem Glauben, dass der Krieg nie geendet hat.
Für sie ist der Frieden nur eine Pause – nichts weiter.
Während das Land nach vorn schaut, planen sie im Schatten den nächsten Aufstand.
Und sie sind entschlossen, diesmal nicht zu verlieren.
Man schreibt das Jahr 1874.
Ein Jahr ist vergangen, seit Jake Rawlins seinen letzten Kampf führte und der Gesetzlosigkeit im County ein Ende setzte.
Dry Creek verändert sich. Neue Häuser säumen die Hauptstraße, ein Sattler hat sich niedergelassen, und am Rand des Marktplatzes steht jetzt ein Telegrafenposten. Der Handel blüht. Geld, Vieh und Menschen finden wieder ihren Weg in diese Ecke des Landes, die einst dem Vergessen nahe war. Town Marshal Jack Sullivan hat die Stadt fest im Griff. Außer ein paar Diebstählen und kleineren Vergehen hat er nichts zu verfolgen. Er ist ein angesehener Bürger geworden.
Auch die Ranch von Jake Rawlins wandelt sich. Die Herde wächst, zwei neue Cowboys arbeiten auf dem Hof. Es gab wieder ein großes Fest – als Mae und Jake sich das Ja-Wort geben. Mae kümmert sich um das Haus, stark und liebevoll wie eh und je. Nach außen sieht alles friedlich aus. Fast schon idyllisch.
Doch Jake spürt die Unruhe. In den frühen Morgenstunden, wenn die Kälte noch in den Knochen sitzt. In den stillen Minuten, wenn der Wind vom Süden herüberweht.
An diesem Morgen sind einige Männer bei der Herde. Neue Kälber sind geboren, und er steht am Roundpen, wo ein Cowboy ein Wildpferd einreitet, den Blick auf die Hügel gerichtet.
Dann hört er das Hufgetrappel. Ein Reiter nähert sich im Galopp.
Staub wirbelt auf, der Rhythmus der Hufe kündigt etwas an – etwas, das Jake beunruhigt.
Es ist Tom Braddock aus Dry Creek, der für den neuen Telegrafenposten arbeitet.
«Ein Telegramm, Mister Rawlins», sagt er und reicht Jake den gefalteten Zettel mit ernster Miene. «Kam heute früh. Aus Fort Smith.»
Jake nimmt das Telegramm, dreht es langsam in den Händen, als wüsste er schon, dass es nichts Gutes verheißt. Seine Augen gleiten über die wenigen Zeilen, und sein Körper spannt sich an. Die Kiefer mahlen aufeinander.
«Marshal Witherspoon schwer verletzt. Zustand kritisch. Richter Parker bittet dringend um Ihr Erscheinen in Fort Smith.»
Ein kalter Stich fährt ihm durch den Magen. Witherspoon – sein alter Freund, sein Lehrer und Förderer aus den Tagen als Deputy U.S. Marshal.
«Alles in Ordnung, Mister Rawlins?» fragt Tom besorgt.
Jake nickt langsam. «Ja … alles in Ordnung, Tom.»
Er steckt das Telegramm in die Brusttasche seiner Weste. Sein Blick bleibt einen Moment auf dem Horizont, wo sich die Hügel gegen das Morgenlicht abzeichnen. Dann dreht er sich um und geht schweren Schrittes zurück zum Haus.
In der Küche riecht es nach frischem Kaffee und Maisbrot. Mae steht am Fenster, die Ärmel ihres Kleides hochgekrempelt, während sie Kräuter in einer Schale zerreibt. Als sie ihn sieht, lächelt sie kurz – doch der Ausdruck in seinen Augen lässt das Lächeln erlöschen.
«Jake?» fragt sie leise.
Er setzt sich an den Tisch, legt den Hut neben sich ab und reibt sich übers Gesicht. Einen Moment lang sagt er nichts, und der Sekundenzeiger der alten Standuhr an der Wand wird zur einzigen Stimme im Raum.
«Ein Telegramm», beginnt er. «Aus Fort Smith.»
Sie erstarrt. «Was ist passiert?»
«Witherspoon … ist verletzt. Schwer. Vielleicht stirbt er. Richter Parker bittet mich, zu kommen.»
Mae lehnt sich an den Rahmen der Küchentür, die Augen auf ihn gerichtet.
«Und du wirst gehen.»
Es ist keine Frage, sondern eine Feststellung.
Jake antwortet nicht sofort. Dann nickt er.
«Ich muss. Ich verdanke ihm viel.»
«Und ich?» Ihre Stimme zittert kaum hörbar. «Was verdanke ich ihm? Dass du vielleicht nie zurückkommst? Dass ich jeden Morgen aufwache und nicht weiß, ob du noch lebst?»
Jake steht langsam auf, geht zu ihr.
«Aber Mae … ich weiß ja nicht, was dort los ist. Ich weiß nur, dass ich einen alten Freund besuchen muss, der im Krankenbett liegt. Vielleicht ist alles nicht so schlimm. Aber vielleicht ist es auch das letzte Mal, dass ich ihn sehe.»
«Ich weiß», flüstert sie. «Ich kann es dir nicht verdenken, dass du ihn besuchst …»
Jake legt eine Hand an ihre Wange. Für einen Moment schließt sie die Augen und lehnt sich in seine Berührung. Dann tritt sie zurück – nicht aus Ablehnung, sondern aus Stärke. Weil sie ihn gehen lassen muss, auch wenn es ihr das Herz schwer macht.
«Wann wirst du aufbrechen?» fragt sie.
«Heute noch», sagt er leise.
Für einen Augenblick bleibt es still in der Küche. Nur draußen, irgendwo in der Ferne, erschallt das Heulen von Kojoten.
Der Morgen ist kühl, ein milchiger Dunst liegt über dem Land, als Jake den Stall betritt. Kein Wort, kein Zögern. Nur das leise Schnauben seines Pferdes und das Knirschen von Leder, als er den Sattel vom Haken hebt.
Er legt den Revolvergurt an, zieht ihn fest. Ein neuer .45er Colt sitzt darin – blank poliert, kaum benutzt, doch mit dem vertrauten Gewicht, das beruhigt.
Jake schnürt die Satteltaschen hinter dem Sattel, zieht den Gurt noch einmal fest. Das Tier schnaubt leise, als spüre es, dass dieser Ritt kein gewöhnlicher wird.
Er wirft einen letzten Blick zum Haus. Wahrscheinlich steht Mae am Fenster, verborgen hinter dem Vorhang. Vielleicht auch nicht.
Dann schwingt er sich in den Sattel.
Er weiß nicht, was ihn in Fort Smith erwartet.
Aber egal, was kommt – er wird ihm entgegentreten wie immer: aufrecht im Sattel.
Die Sonne ist längst hinter den Hügeln versunken, als Jake sein Lager aufschlägt – ein kleiner Talkessel, halb umgeben von Wacholderbüschen, windgeschützt und still.
Er bindet das Pferd an einen niedrigen Stamm, wirft ein paar dürre Zweige ins Feuer und beobachtet, wie die Flammen aufflackern und züngelnd in die Dunkelheit greifen.
Auf der zusammengerollten Decke sitzt er, die Beine ausgestreckt, den Revolver in Reichweite. Die Stille der Prärie legt sich wie ein Mantel um ihn. Nur das Knistern des Feuers und das gelegentliche Schnauben seines Pferdes durchbrechen die Nacht.
Mit einem Zweig stochert er in der Glut, starrt in das orangefarbene Leuchten, als könne er dort Antworten finden. Seine Gedanken kreisen um Fort Smith. Um Witherspoon. Um das, was war – und das, was vielleicht kommt.
Er zieht ein Stück Trockenfleisch aus der Tasche, kaut langsam, ohne wirklich Geschmack zu spüren. Der Colt an seiner Seite ist ein Werkzeug, kein Schmuckstück. Er hat ihn gewählt, weil er zuverlässig ist. So wie Jake selbst sein muss.
Der Wind streicht über die Ebene, trägt Rauch und den Geruch der Nacht mit sich. Irgendwo ruft ein Kojote – einsam, klagend. Jake hebt kurz den Kopf, lauscht, sagt nichts.
Dann legt er sich auf die Decke, zieht den Hut tief in die Stirn und lässt den Blick über die Sterne wandern.
«Verdammt, Witherspoon», murmelt er leise. «Was hast du da wieder angerichtet?»
Nach zwei Tagen erreicht Jake Fort Smith und steuert direkt auf das Gerichtsgebäude zu.
Das Büro von Richter Parker liegt im Halbdunkel. Die Luft steht – schwer vom Staub, durchzogen vom alten Geruch nach Papier, Tinte und Schweiß. An der Wand hängt ein Porträt von Abraham Lincoln, das Gesicht im Schatten – als lausche der alte Präsident stumm den Gesprächen, die hier geführt werden.
Parker sitzt hinter seinem massiven Schreibtisch. Die Schultern hängen schwer, vor ihm ein Glas Bourbon – unberührt. Sein Blick ist ernst. Tiefer, als Jake ihn je gesehen hat.
«Jake … ich bin froh, dass Sie gekommen sind», sagt er schließlich.
Jake bleibt stehen, legt den Hut auf einen Stuhl neben sich, nickt knapp. «Richter.»
Ein Moment vergeht. Nur das Summen der Fliegen erfüllt den Raum. Parker starrt auf die Tischplatte, als suche er dort nach den richtigen Worten. Dann hebt er langsam den Kopf.
«Ich hab Sie nicht gerufen, weil ich Sie gern wiedersehen wollte. Witherspoon hat zwei Kugeln abbekommen. Eine davon sitzt gefährlich nah am Herzen. Es sieht nicht gut aus.»
Jake sagt nichts. Sein Blick verengt sich leicht, doch er bleibt reglos.
‹‹Er war mit Tomlinson unten in Texas unterwegs. Geheimauftrag. Sie sollten Richter Davis in Huntsville aufsuchen. Übrigens ein alter Freund von mir, der mich um Hilfe gebeten hat. Wir haben dort offiziell keine Zuständigkeit, das wissen Sie. Aber das hier geht über gewöhnliche Gesetzesbrüche hinaus.››
Parker greift nach dem Glas, hält es umschlossen, trinkt aber nicht.
‹‹Es geht um eine Verschwörung. Ehemalige Konföderierte, die nicht nur die alte Sache hochhalten, sondern planen, die Regierung zu stürzen. Der Süden soll sich abspalten. Diesmal endgültig. Ein Netzwerk, gut organisiert, gefährlich. Und offenbar wusste jemand von dem Einsatz. Witherspoon und Tomlinson gerieten in einen Hinterhalt – bevor sie überhaupt nach Huntsville kamen und Richter Davis treffen konnten. Einige Ranger fanden sie nahe der Stadt. Witherspoon – lebend. Gerade so. Tomlinson war tot.››
Jake atmet schwer. Sein Blick bleibt auf Parker gerichtet, doch innerlich wirbelt alles durcheinander. Witherspoon – schwer verletzt. Tomlinson – ermordet. Wieder steigen die alten Bilder auf: Rauch. Schreie. Schüsse. Erinnerungen, die nie verblasst sind, nur geschlummert haben – bis jetzt.
‹‹Was soll das für eine Verschwörung sein?›› fragt er rau. ‹‹Der Krieg ist seit neun Jahren vorbei. Warum jetzt? Wie wollen die das anstellen?››
Parker schüttelt den Kopf.
‹‹Noch ist vieles unklar. Bevor meine Männer oder Marshals aus Texas weiter graben konnten, kam der Anschlag. Jemand wusste, wo sie langreiten würden. Wir vermuten einen Spitzel – vielleicht sogar innerhalb der Polizei.››
Er lehnt sich zurück. Die Stimme wird noch ernster.
‹‹Und das andere Problem: Viele Gesetzeshüter sind mit der James-Younger-Bande beschäftigt. Selbst die Pinkertons jagen diese Teufel. Es fehlt an Männern, die sich um diese Sache kümmern könnten. Die, die es könnten – wie Sie – sind entweder tot, alt … oder zu bekannt.››
Jake hebt leicht die Brauen. ‹‹Zu bekannt?››
‹‹Ja. Wer sich da einschleichen will, braucht einen Mann mit Erfahrung. Einen, der den Dreck kennt. Einen, den niemand so schnell durchschaut. Die Marshals … die Ranger … selbst die Pinkertons – sie alle sind zu auffällig. Aber Sie, Jake … Sie sind lange raus aus dem Geschäft. Keiner rechnet mit Ihnen. Und keiner kennt Ihre Geschichte so gut wie ich.››
Stille. Parker mustert ihn. Jake sagt nichts. Seine Kiefermuskeln arbeiten. Die Vergangenheit hat ihn eingeholt – und mit ihr ein neues Kapitel, das genauso dunkel werden könnte wie das letzte.
‹‹Sorry, Sir …›› Jake fährt sich mit der Hand durchs Haar, als suche er nach den richtigen Worten. ‹‹Das ist starker Tobak. Das muss ich erst verdauen.›› Er senkt den Blick, atmet tief durch. ‹‹Zudem will ich zu James. Weswegen ich überhaupt hier bin. Und …››
Er pausiert, wägt die Schwere seiner Worte ab. Die Sekunden ziehen sich, als fülle sich der Raum mit Spannung.
‹‹Ich kann das nicht mehr, Sir. Ich habe eine Ranch, eine Frau … mir ein Leben aufgebaut. Ein Leben, das mit meiner Vergangenheit nichts mehr zu tun hat. Es muss einen anderen Weg geben. Ich bin nicht der Mann, den Sie suchen.››
Sein Blick wird hart, als er sich aufrichtet. ‹‹Es gibt bestimmt Männer, die besser für diese Aufgabe geeignet sind. Ich … ich bin es nicht mehr. Nicht nach all dem, was ich hinter mir gelassen habe.››
Parker nickt und sieht Jake direkt an.
‹‹Das verstehe ich gut, Jake. Nur haben wir keinen geeigneten Mann. Und ich habe viele Kontakte – das wissen Sie. Und Sie haben solche heiklen Aufgaben schon öfter mit Bravour gemeistert. Ich erinnere nur an die Sache mit der Liste … oder den Überfall auf den Goldtransport damals. Gehen Sie erst mal zu Ihrem Freund. Der wird Sie jetzt mehr brauchen. Wir können später weiterreden – wenn Sie wollen.››
Jake presst die Lippen zusammen, nickt nur. Dann nimmt er seinen Hut und verlässt mit einem kurzen Gruß das Büro.
Das «Krankenhaus» liegt etwas abseits der Stadt.
Jake betritt es mit langsamen Schritten. Der Geruch von Schweiß, verbranntem Fleisch und abgestandener Luft schlägt ihm entgegen. Für einen Moment hält er inne, als der rauchige Dunst in seinen Lungen kratzt. Einige mager aussehende Männer in verschlissenen Hemden sitzen in der Ecke, ihre Blicke leer, abwesend. Es riecht nach alten Bandagen, Medizinöl und Urin.
Der Gang ist schmal und düster. Nur schwach fällt Licht durch ein schmutziges Fenster. Kein Teppich dämpft die Schritte – nur nackte Dielen, die bei jedem Tritt knarren. Aus einem Zimmer dringen gedämpfte Stimmen. Eine Krankenschwester, auf einem abgewetzten Stuhl sitzend, blickt kurz auf, als er vorbeigeht. Ihre Uniform ist alt, fleckig. Das Fenster lässt kaum frische Luft herein. Die Wand dahinter ist mit verblassten Papierzetteln und dunklen Flecken bedeckt.
Der Geruch von Karbol, Schweiß und altem Blut liegt schwer in der Luft. Ein Fliegenvorhang aus schmutzigen Tüchern hängt schief im Türrahmen. Jake tritt ein – und weiß sofort: Hier wird kaum jemand gesund.
James liegt auf einem Feldbett. Bleich, schweißnass, schwach. Er versucht, den Kopf zu heben. Jake hebt abwehrend die Hand.
«Bleib liegen, alter Freund.»
Die Dunkelheit im Raum drückt schwer. Nur das flackernde Licht einer Kerze auf dem Tisch wirft einen matten Schein auf James Witherspoons Gesicht. Der Marshal liegt auf einer dünnen Matratze, bedeckt mit einem groben, durchlöcherten Laken.
«Jake …», murmelt Witherspoon. Seine Stimme ist kaum mehr als ein Hauch. Es dauert einen Moment, bis er den Kopf zur Seite dreht. Die Wange blutverschmiert, die Augen glasig. Die Wunde in seiner Brust notdürftig verbunden, Blut sammelt sich im Verband – so dünn, dass man die Haut darunter sieht.
Jake nimmt den Hut ab, beugt sich über ihn.
«Ich bin hier, James», sagt er leise und legt die Hand auf seine Schulter.
«Es … tut weh, Jake», flüstert Witherspoon. Jake sieht, wie sein Freund sich müht, den Blick zu halten. Doch Erschöpfung und Fieber haben ihn fest im Griff.
Das Zimmer ist still. Der Schmerz hängt in der Luft wie ein bleierner Schleier. Jake spürt, wie sich in ihm etwas regt – eine alte Entschlossenheit. Dieses «Krankenhaus» mag so heißen – für ihn ist es ein Ort des Sterbens.
«Verdammt, James. Was machst du für Sachen, alter Freund?»
«So ein Mist … so ein verdammter», krächzt James. «Hätte mich das Ding gleich erwischt … damit wäre ich klargekommen. Aber hier, in diesem Dreckloch zu verrecken … das ist schlimmer als im Kampf zu sterben.»
Jake verzieht den Mund. Es liegt ihm auf der Zunge, etwas Tröstendes zu sagen – aber es wäre gelogen.
«Was redest du da? Du bist doch kein Weichei. Du wirst das überstehen – und bald wieder deinen Arsch auf einen Gaul setzen.»
James versucht zu grinsen. Doch es bleibt bei dem Versuch.
«Verdammter Lügner. Die haben die Kugel nicht rausbekommen. Sie sagen, es könnte mich das Leben kosten. Diese Narren … Als ob das noch eine Rolle spielt.»
Jake schweigt. Beide wissen, wie es ausgehen wird.
James windet sich, deutet Jake heran. Der beugt sich über ihn.
«Jake … ich … du musst mir zuhören. Tu mir den letzten Gefallen. Du bist der Einzige, der … der diese Verschwörung aufdecken kann. Es ist wichtig. Sie wollen … sie wollen ein Komplott schmieden. Die Regierung stürzen. Bitte, Jake … tu’s. Meinetwegen. Wegen Ted. Das Land wird sonst im Chaos versinken … bitte, Jake!»
James’ Kopf sinkt erschöpft zurück aufs Kissen. Jake verzieht schmerzlich das Gesicht.
«James … ich hab’s dem Richter schon gesagt. Ich kann sowas nicht mehr. Versteh das, mein Freund. Auch er hat mich schon bearbeitet.»
James blickt ihn flehend an.
«Jake … das ist mein letzter Wille. Wenn du es nicht tust – wer sonst? Versprich es mir … Jake. Einem alten Freund zuliebe.»
Jake ringt mit sich. Kann er einem Sterbenden den letzten Wunsch abschlagen?
James Witherspoon war der erste Mensch, der ihm nach dem Krieg die Hand reichte – als er selbst noch ein Wrack war, zerrissen und verloren.
James deutet mit einer matten Geste auf den Stuhl. Eine Jacke hängt darüber.
Jake greift hinein. Seine Finger stoßen auf etwas Kaltes, Metallisches. Er zieht eine silberne Taschenuhr hervor – alt, aber gepflegt.
Er klappt sie auf.
Im Deckel, sauber eingraviert:
«Ein Mann kann vieles verlieren – aber nicht das, wofür er lebt.»
Jake schluckt.
Er sieht zu James.
Der hat die Augen geöffnet – schwach, aber klar.
«Ich wollte, dass du sie bekommst...», flüstert er. «Jetzt... weißt du, warum.»
Ein schwaches, dankbares Lächeln huscht über sein Gesicht.
Jake atmet tief durch, dann ergreift er die Hand seines Freundes.
«Okay, mein Freund», sagt er leise. «Ich tue es... ich versprech’s dir. Aber eines sage ich dir: Komm mir in Zukunft nicht noch mal mit so einer Wahnsinnsbitte.»
Jake öffnet den Mund, hält inne.
James hat seine letzten Worte nicht mehr gehört.
Er hat die Augen für immer geschlossen.
Jake schluckt schwer.
Er sitzt still, hält die Uhr in der einen, die Hand seines Freundes in der anderen.
Dann legt er James’ Hand sanft auf dessen Brust, erhebt sich – und geht schweren Schrittes hinaus.
Draußen bleibt er einen Moment lang stehen, atmet tief durch.
Der kühle Wind trägt den beißenden Geruch des Lazaretts mit sich fort, doch der Druck auf seiner Brust bleibt.
Einen Freund im Kampf zu verlieren – das ist hart, aber irgendwie zu ertragen.
Ihn langsam und würdelos in einer Dreckshöhle sterben zu sehen – das ist etwas anderes.
Jake geht los. Ohne Umweg.
Geradewegs zum Gerichtsgebäude.
Richter Isaac Parker erwartet ihn bereits.
Der Mann, dessen Auftreten sonst von Strenge und unerschütterlicher Autorität geprägt ist, stützt sich auf die Hände, die auf dem massiven Schreibtisch ruhen. Sein Blick ist gesenkt, starr, als hielte er etwas in sich zurück, das nicht nach außen dringen darf.
Dann murmelt er, fast mehr zu sich selbst als zu Jake:
«Es ist schlimm, einen so guten Mann zu verlieren. Und um den jungen Tomlinson tut es mir nicht weniger leid.»
Langsam hebt er den Kopf. Jake erkennt eine Traurigkeit in Parkers Gesicht, wie er sie noch nie bei ihm gesehen hat. Nicht gespielt. Nicht öffentlichkeitswirksam. Echte Trauer – sie steht dem Richter nicht, oder besser gesagt: Man ist sie nicht von ihm gewohnt.
Doch der Moment vergeht.
Parker richtet sich auf, sammelt sich innerlich, und seine Stimme ist wieder fest:
«Also haben Sie sich entschlossen, diesen verdammten Miststall auszumisten?»
Jake nickt. Ruhig.
«Ja. Aber nicht für die Sache. Ich habe einem sterbenden Freund ein Versprechen gegeben. Nur deshalb nehme ich es auf mich.»
Parker hält seinem Blick stand, sagt nichts – dann ein knappes, anerkennendes Nicken.
«Gut. Ich nehme an, Sie wollen zuerst nach Hause zurück. Das wäre klug. Eine Ranch, eine Frau, die auf Sie wartet … Ich verstehe Ihre Lage, Rawlins. Regeln Sie, was zu regeln ist. Und wenn Sie zurückkehren – wirklich zurück –, dann bekommen Sie alles, was Sie brauchen. Namen. Orte. Hinweise. Aber die Entscheidung … liegt bei Ihnen.»
Jake antwortet nicht.
Doch sein Blick sagt mehr als Worte. Entschlossen. Still. Endgültig.
Die Ranch liegt still im dämmrigen Abendlicht, als Jake die Anhöhe erreicht. Unten beim Stall sieht er Mae. Sie wirft Heu in die Raufe. Noch hat sie ihn nicht bemerkt. Am Roundpen sind ein paar Cowboys zugange, zwei andere wechseln ein Wagenrad.
Langsam reitet Jake den Hang hinunter. Vor dem Stall hält er an und steigt ab.
Mae hört das Geräusch, dreht sich um – und bleibt stehen. Für einen Moment sagt keiner etwas. Der Wind streicht über den Boden, wirbelt Staub auf.
«Du bist zurück», sagt sie leise. Keine Freude in der Stimme – nur Erleichterung. Und Müdigkeit.
Jake nickt. «Ja.»
«Wie schlimm war’s?»
Er zieht sich die Handschuhe aus. «Schlimm genug.»
Mae tritt näher. Das letzte Licht des Tages fällt auf ihr Gesicht, wirft feine Schatten unter ihre Augen. Sie sieht erschöpft aus. Und bereit für einen Sturm.
«Willst du es mir erzählen?»
Jake zögert. Dann, leise: «James ist tot.»
Er nimmt sie in die Arme und führt sie ins Haus.
«Tot ... Wie ist das passiert?»
Jake nickt. Die Stimme ruhig, aber schwer.
«Ich war bei Richter Parker. Er hat mir gesagt, was geschehen ist – dass James und sein Deputy überfallen wurden. Ted Tomlinson wurde erschossen. James hat’s zweimal erwischt. Schwer verletzt. Sie haben ihn nach Fort Smith gebracht. Ich war bei ihm, im Krankenhaus …»
Er senkt den Blick.
«Das, was sie dort ein Krankenhaus nennen, ist ein Höllenloch. James war kaum noch bei Bewusstsein. Aber er hat mich erkannt.»
Mae sagt nichts.
Jake fährt fort:
«Ich hab ihm versprochen, mich um das zu kümmern, was er und Ted nicht zu Ende bringen konnten. Es war sein letzter Wunsch.»
Er sieht sie an – ruhig, ernst.
«Deshalb bin ich hier. Ich musste dich zuerst sehen. Mit dir reden. Bevor ich mich wieder in etwas hineingebe, das auch uns betrifft.»
Mae atmet schwer.
«Und du willst es wirklich tun?»
Jake nickt.
«Ich hab’s versprochen. Und das zählt.»
Mae dreht sich ab, geht ein paar Schritte durchs Zimmer. Ihre Hände streifen über die Lehne eines Stuhls, dann stützt sie sich ab – als müsse sie Halt suchen.
«Schon wieder», sagt sie leise. «Schon wieder reitest du los, in irgendein verdammtes Höllenloch. Um die Welt zu retten – oder was auch immer. Aber diesmal ist es nicht mehr wie früher. Du hast eine Ranch, Jake. Und eine Frau.»
Sie sieht ihn an – dieser Blick, der nicht laut werden muss, um alles zu sagen.
«Glaubst du, ich hab nicht gesehen, wie du dich verändert hast? Wie du ruhiger geworden bist? Wie du morgens aufstehst, deine Arbeit machst, als wär das hier dein Zuhause geworden?»
Ihre Stimme wird rauer.
«Und jetzt soll ich das alles wieder aufgeben – nur damit du ein Versprechen einlöst, das dich vielleicht das Leben kostet?»
Jake will etwas sagen, doch sie hebt die Hand.
«Ich weiß, wer du bist. Ich hab dich nicht geheiratet, weil ich dachte, du wärst ein Farmer. Aber verdammt, Jake – ich hab gehofft, dass wir hier endlich ein Leben aufbauen. Und jetzt stehst du da und sagst: Ich muss los. Weil du es jemandem versprochen hast, der nicht mehr lebt.»
Stille. Nur der Wind draußen, der über die Veranda streicht.
Dann, leiser:
«Was ist mit mir, Jake? Was ist mit uns?»
Jake steht still. Er lässt sie sprechen. Dann tritt er näher, legt ihr die Hände auf die Schultern.
«Ich weiß, was du fühlst, Mae. Und ich wünschte, es gäbe einen anderen Weg. Aber ich habe James ins Gesicht geschaut, bevor er starb. Und ich habe ihm mein Wort gegeben.»
Ein Moment vergeht. Dann, leise:
«Ich komme zurück. Das verspreche ich dir.»
Mae senkt den Blick, presst die Lippen aufeinander. Ihre Stimme bricht fast:
«Immer ziehst du los, wenn’s ernst wird. Und ich bleibe hier – mit der Angst, dass du eines Tages nicht wiederkommst.»
Jake sagt nichts. Was sollte er auch sagen?
«Ich weiß, was du bist, Jake. Ein Mann, der zu seinem Wort steht. Der sich nicht wegduckt, wenn’s brennt. Genau deshalb liebe ich dich. Und genau deshalb hasse ich dich auch.»
Sie blickt ihn an – Tränen in den Augen, aber entschlossen.
«Tu, was du tun musst. Aber versprich mir eins, Jake.»
«Sag’s.»
«Bleib am Leben. Und wenn du stirbst – dann nur mit dem Gedanken an mich.»
Jake nickt. Ein einziges Mal. Keine großen Worte mehr.
Dann nimmt er sie noch einmal in den Arm. Lange.
Denn sie beide wissen: Vielleicht ist es das letzte Mal.
Das erste Licht des Tages schleicht sich über die Hügel – bleich und kalt. Jake steht längst auf. Kein Wort mehr – was bliebe auch noch zu sagen?
Schweigend verstaut er seine Habseligkeiten in die Satteltaschen: Ersatzmunition, ein frisches Hemd, das alte Taschenmesser seines Vaters. Dinge, die ein Mann mitnimmt, wenn er nicht weiß, ob er zurückkehrt. Die Henry Rifle steckt im Scabbard.
Mae steht im Türrahmen. Die Tasse in ihrer Hand ist leer. Ihre Augen auch.
Jake zieht den Gurt fest, zäumt sein Pferd. Es schnaubt leise, spürt seine Unruhe.
«Pass auf dich auf», sagt sie schließlich – leise, hart.
Jake hebt den Blick. «Ich tu, was ich kann.»
Dann sitzt er auf, gibt dem Pferd die Zügel – und reitet los. Kein Zurückschauen.
Der Staub verweht im Morgenwind.
Sie sagt nichts mehr, aber ihr Blick folgt ihm, bis er hinter der Kuppe verschwindet.
Und während der Tag anbricht, bleibt ihr nur das dumpfe Dröhnen im Herzen – wie der Nachhall eines Schusses.
Sie steht da, die Arme eng um den Körper geschlungen, als wolle sie sich selbst festhalten. Kein Wort. Kein Ruf. Nur der Wind im hohen Gras – ein Flüstern der Ahnung.
Dann ist er fort.
Wenige Tage später trifft Jake in Fort Smith ein. Er ist gespannt, welche Informationen Richter Parker für ihn bereithält.
Parker sitzt an seinem Schreibtisch, eine Zigarre in der Hand, der Blick finster. Vor ihm liegen Karten, Berichte, gefaltete Depeschen.
«Jake», beginnt er, ohne aufzusehen. «Kommen Sie herein. Setzen Sie sich.»
Jake tut es, schweigend. Er wartet, bis Parker die Zigarre ausdrückt.
Dann erhebt der Richter die Stimme – rau und schwer:
«Ich bin froh, dass Sie es sich überlegt haben. Was ich Ihnen jetzt sage, verlässt diesen Raum nicht. Verstanden?»
Jake nickt ernst.
Parker lehnt sich vor.
«Es ist größer, als wir dachten. Viel größer. Es geht nicht nur um ein paar versprengte Rebellen. Wir haben es mit einer ausgewachsenen Verschwörung zu tun.»
Er schiebt Jake ein vergilbtes Blatt Papier über den Tisch. Eine Liste von Namen. Einige davon kennt Jake – ehemalige Offiziere der Konföderation, Männer, die den Frieden nie akzeptiert haben.
«Sie nennen sich selbst ‹The New Confederacy›», sagt Parker. «Ihr Ziel ist nichts Geringeres als ein neuer Aufstand. Sie wollen Staaten abspalten. Diesmal endgültig. Und sie schrecken vor nichts zurück.»
«Wo soll ich anfangen, Sir?», fragt Jake.
Parker überlegt kurz. Dann:
«Am besten, Sie machen dort weiter, wo Ihre Kollegen gescheitert sind. Besuchen Sie Richter Davis in Huntsville. Ich habe ihm telegrafiert, dass ich einen neuen Mann auf die Sache ansetze – jemanden, der sich in solchen Dingen auskennt.
Davis ist informiert. Und erschüttert über das Scheitern von Marshal Witherspoon. Ich sage es Ihnen gleich: Er ist der Einzige, dem Sie trauen können. Seien Sie vorsichtig, Jake. Auch bei den örtlichen Polizeikräften. Ich kenne Clark Davis seit unserer Studienzeit. Ein Mann mit Rückgrat.»
«Kann ich auf irgendeine Hilfe hoffen?», fragt Jake.
Parker wiegt den Kopf. Dann:
«Zuerst müssen Sie sich ein Bild machen. Lernen Sie die Gegend kennen. Finden Sie heraus, wo Sie ansetzen können.
Diese Leute operieren im Verborgenen. Wenn Sie Zugang bekommen wollen, brauchen Sie eine glaubhafte Tarnung. Geben Sie sich als enttäuschter Südstaatler aus – einer, der mit der Union hadert. Und bleiben Sie wachsam. Diese Männer sind keine gewöhnlichen Gesetzlosen. Sie haben Geld, Einfluss – und sie glauben an ihre Sache. Das macht sie gefährlich.»
Jake verzieht das Gesicht. Skepsis liegt in seinem Blick.
«Ich werde trotzdem Hilfe brauchen», knurrt er. «Allein in so einen Sumpf aus Korruption zu steigen, ohne Rückendeckung? Das ist Wahnsinn.»
Parker hält dem Blick stand. Dann sagt er ruhig:
«Es gibt Männer, die hinter Ihnen stehen. Pinkerton-Agenten. Informanten. Alles Weitere klärt Davis.»
Jake atmet durch.
«Das wird eine verdammt heikle Sache. Ich bin kein Spion, Sir. Ich handle lieber offen – nicht aus dem Schatten.»
Parker nickt langsam.
«Ich weiß. Aber Sie sind der Einzige, dem ich es zutraue. Sie bringen mit, was die anderen nicht hatten: Erfahrung – und den Willen, auch durch dunkles Gelände zu gehen.»
Er lehnt sich zurück. Dann, beinahe beiläufig:
«Und ehe ich es vergesse: Hier ist eine Vollmacht. Sie sind nicht offiziell im Dienst, deshalb habe ich sie unterschrieben. Lassen Sie auch Davis unterzeichnen. Das Papier ist nur für den Notfall. Damit Sie zeigen können, dass Sie im Auftrag der Justiz handeln – in Arkansas wie in Texas.
Verstecken Sie es gut. Nähen Sie es in Ihre Jacke ein. Oder in den Sattel. Hauptsache, niemand findet es.»
Er reicht Jake das Dokument.
Jake überfliegt den Text, nickt. Dann drückt Parker ihm ein Bündel Dollar in die Hand.
«Für Ihre Spesen. Sie werden’s brauchen.»
Jake bedankt sich knapp – und verlässt das Büro.
Jake sitzt in einem der hölzernen Waggons, die von Fort Smith nach Huntsville rumpeln. Die Bänke sind hart, der Wagen voll. Das Quietschen der Räder mischt sich mit dem Murmeln der Fahrgäste zu einem eintönigen Klangteppich.
Er lehnt sich zurück, zieht den Hut tiefer in die Stirn und beobachtet unauffällig die Leute um sich.
Ein braungebrannter Mann mittleren Alters lässt sich auf der Bank gegenüber nieder. Schwarze Kleidung, gepflegt, flachkroniger Hut – ein Geschäftsmann, wie man ihn kennt. Er nickt Jake freundlich zu, zündet sich eine Zigarre an und beugt sich leicht vor.
«Auch unterwegs nach Huntsville?», fragt er beiläufig.
Jake nickt knapp.
«Ich auch. Geschäfte...», sagt der Mann. Dann, fast wie nebenbei: «Viele gute Männer finden sich dort wieder. Männer, die alte Werte nicht vergessen haben.»
Er lacht trocken, als wäre es nur ein Scherz.
Jake sagt nichts. Sein Blick bleibt unter dem Hut verborgen.
Der Mann spricht weiter, die Stimme gedämpft.
«Manchmal denke ich, der Krieg ist nie ganz vorbei. Die richtige Seite hat nicht verloren – nur eine Schlacht. Verstehen Sie?»
Jake hebt langsam den Blick. «Ich bin nur auf Reisen», antwortet er ruhig. «Solche Dinge interessieren mich kaum.»
Innerlich ist er hellwach. Solche Sätze wirft kein gewöhnlicher Fahrgast einfach so in den Raum.
Der Fremde lächelt schmal, als hätte er genau das erwartet.
«Huntsville… das wird ein neuer Anfang. Wir brauchen Männer, die wissen, wo sie stehen. Die nicht vergessen haben, wie man kämpft.»
Etwas an seiner Art lässt Jake aufhorchen. Der Akzent – eindeutig Südstaaten.
«Ein guter Ort für Patrioten», fügt der Mann hinzu. «Wenn Sie verstehen, was ich meine.»
Jake sieht ihn an. «Patrioten?», fragt er kühl.
Der Fremde beugt sich vor, blickt sich kurz um, als wolle er sicher sein, dass niemand mithört.
«Nicht jeder hat vergessen, was der Süden einst war. Manche glauben noch an die alte Sache.»
Misstrauen steigt in Jake auf.
Das ist kein belangloses Gespräch. Ist es eine Falle? Ein Test?
Er nickt vage, lehnt sich zurück, als sei das Thema erledigt. Doch sein Verstand arbeitet. Eine falsche Antwort kann alles verraten.
«Ich habe gehört, in Huntsville sollen bald Unionssoldaten stationiert werden», wirft er beiläufig ein. «Ein ganzer Zug, heißt es.»
Der Mann hebt die Brauen. «Truppen? Das wäre… geschäftlich ungünstig.»
Jake nickt langsam. «Viele hier draußen wünschen sich Ordnung. Egal, woher sie kommt.»
Das Lächeln des Mannes wird schmaler. Es erreicht die Augen nicht.
Jake rutscht näher ans Fenster, als würde er bald aussteigen.
«Ich bleibe nicht lang in Huntsville. Muss weiter nach Süden. Gonzales», sagt er beiläufig.
Ein kurzes Zucken um die Nasenflügel des anderen. Jake sieht es.
«Da unten sollen sich alte Kameraden treffen. Manche nennen’s ein Wiedersehen.»
Der Mann nickt langsam. «Sagt man so.»
Jake sagt nichts mehr. Er hat genug gehört. Die Reaktion des Mannes reicht ihm.
Kurz darauf rollt der Zug in den Bahnhof. Jake zieht den Hut tiefer ins Gesicht, greift nach seiner Tasche und tritt hinaus auf den Bahnsteig.
Die Sonne steht grell über den Dächern. Der Wind trägt Hitze durch die Gassen.
Keine drei Blocks vom Bahnhof lehnt ein Mann in einer Seitengasse an der Wand. Coltgriff sichtbar, Jacke offen, der Blick halb im Schatten des Hutes. Kein Mann, der Blumen pflanzt.
Er dreht sich um – nicht hastig, aber bewusst.
Jake geht weiter, den Blick geradeaus. Doch seine Sinne tasten die Umgebung ab wie Spürhunde.
Huntsville wirkt verändert. Die Straßen sind zu belebt. Männer sitzen auf Bänken, lehnen an Pfeilern, stehen an Ecken. Fast alle tragen Staubmäntel – unpassend bei der Hitze. Manche rauchen, andere spucken Kautabak. Doch niemand spricht.
Ein Flüstern im Wind, ein leises Klirren von Sporen – wie ein Rudel, das wartet.
Jake weiß: Diese Männer sind nicht zufällig hier.
Einer kommt ihm entgegen, scheinbar abgelenkt.
«He, pass doch auf!», knurrt Jake, als sie fast zusammenstoßen.
Der Mann murmelt eine Entschuldigung, weicht aus und verschwindet in einem Hausflur.
Jake geht weiter, als sei nichts geschehen, greift jedoch in die Manteltasche. Ein gefaltetes Papier ist ihm zugesteckt worden. Hastig, schräg geschrieben steht dort:
Vertraue niemandem. Davis steht unter Beobachtung.
Was hat das zu bedeuten? Warnt man ihn jetzt schon, bevor er überhaupt involv iert ist?
Jake faltet den Zettel zusammen, steckt ihn in die Innentasche und blickt nicht zurück.
Der County Courthouse liegt am Ende der Main Street. Weißer Putz, Backsteinsockel, ein klassischer Portikus mit vier Säulen – gebaut, um Respekt zu erzwingen.
Jake bleibt neben einem Gun Shop stehen. Dreißig Schritte bis zur Tür. Keine Deckung.
Er tritt einen Schritt zur Seite, zieht tief Luft – und geht los.
Drinnen ist es kühl. Aus Nebenzimmern dringt gedämpftes Murmeln.
Jake schreitet durch den Flur, zügig, aber leise. Die Treppe nimmt er in gleichmäßigen Schritten. Dann steht er vor der Tür von Richter Davis. Ein poliertes Messingschild trägt den Namen.
Er atmet tief durch und klopft dreimal. Kurz, bestimmt.
Ein Moment Stille.
Dann: «Herein.»
Jake drückt die Klinke herunter und tritt ein.
Der Raum ist schlicht, doch aufgeräumt. Hinter dem Schreibtisch sitzt Richter Davis. Zwei Männer in dunklen Gehröcken stehen an der Seite, vertieft in Akten. Als Jake eintritt, unterbrechen sie ihr Gespräch.
«Was wollen Sie?», fragt Davis. Die Stimme ruhig, doch scharf. Unerwünschte Gäste gibt es hier nicht.
Jake macht einen Schritt näher. Tasche über der Schulter, Haltung aufrecht, Blick wachsam.
Davis versteht.
«Warten Sie draußen, Gentlemen.»
Die Männer zögern kurz, greifen nach ihren Papieren und verlassen den Raum. Die Tür fällt ins Schloss.
Jake stellt die Tasche ab, lehnt die Winchester an den Tisch.
«Jake Rawlins, Sir. Ich nehme an, Richter Parker hat Sie unterrichtet.»
Davis verzieht kaum eine Miene. Nur ein leichtes Zucken um die Augen.
«Parker, ja. Dann bringen Sie wohl Informationen.»
Jake reicht die gefaltete Vollmacht. Davis überfliegt sie und legt das Papier mit Bedacht auf den Tisch. Dann tritt er langsam hinter den Schreibtisch hervor.
«Jetzt können wir offen reden», sagt er leise. «Ich freue mich, Sie zu sehen, Mister Rawlins. Es gibt Dinge, die nicht jeder hören sollte. Mein Freund Isaac hat von Ihnen erzählt. Sie sollen der Mann sein, der gewisse Kreise durchdringt. Und ich habe gehört, was mit Ihren Männern geschehen ist. Traurig. Sehr traurig.»
Jake nickt. «Ja. Das war es.»
Davis zieht einen Stuhl zurück, setzt sich und deutet auf den freien Platz.
«Setzen Sie sich, Mister Rawlins. Wir haben einiges zu besprechen.»
Jake setzt sich, die Tasche griffbereit neben sich. Sein Blick ruht ruhig auf Davis.
Der Richter spricht bedächtig.
«Was Sie hier erwartet, ist größer, als Sie vielleicht ahnen. Es geht nicht um ein paar Einzelne. Sondern um eine Verschwörung, tief verwurzelt im Süden. Die Männer, denen Sie folgen, sind keine gewöhnlichen Verbrecher. Sie haben einen Plan – einen Umsturz, der das Land verändern soll.»
Jake hört aufmerksam zu. Seine Miene bleibt unbewegt.
«Was genau planen sie?», fragt er.
Davis blickt ihm direkt ins Gesicht. Prüfend.
Jake bleibt stehen. Davis’ Stimme wird härter, fast wie ein Bekenntnis:
«Sie glauben an die alte Sache. Sie träumen vom Wiedererstarken des Südens. Von einem neuen Krieg. Ihre Netzwerke reichen weit – politische Kontakte, militärische Verbindungen. Und sie agieren mit äußerster Vorsicht. Jeder Fehler wäre ihr Ende.»
Jake schüttelt leicht den Kopf.
«Und wo passe ich da hinein?»
«Sie sind hier, um Informationen zu sammeln. Doch was Sie noch nicht wissen: Diese Bewegung hat längst Wurzeln geschlagen – auch im Justizsystem. Richter Parker glaubt das, und ich ebenso. Und glauben Sie mir: Es gibt Leute, die Ihnen nicht die Wahrheit sagen. Auch unter denen, die sich als Verbündete ausgeben.»
Jake bleibt ruhig.
«Ich will wissen, wer dahintersteckt. Und ich will verhindern, dass sie Erfolg haben.»
Davis nickt langsam.
«Dann müssen Sie vorsichtig sein. Vertrauen Sie niemandem blind. Diese Männer operieren im Verborgenen. Und sie haben lange geübt, ihre Spuren zu verwischen.»
Er zieht eine Schublade auf, holt eine schlichte Mappe hervor und legt sie auf den Tisch.
«Das hier ist alles, was ich habe. Namen. Orte. Treffpunkte. Geheime Botschaften. Alles handschriftlich, nichts offiziell. Sie müssen die Puzzlestücke selbst zusammensetzen.»
Jake öffnet die Mappe, überfliegt die Seiten. Ortsnamen, Lagerhäuser, Koordinaten, Symbole. Einige Namen kommen ihm bekannt vor, andere sind ihm fremd. Doch eines ist klar: Er ist der Sache dicht auf den Fersen.
Dann hebt er den Blick.
«Und Sie, Sir? Wo stehen Sie?»
Davis’ Gesicht wird hart – für einen Moment. Dann weicht der Ausdruck einem Anflug von Müdigkeit.
«Ich bin Richter. Meine Aufgabe ist das Gesetz. Doch manchmal steht das Gesetz im Schatten der Macht. Und glauben Sie mir: Diese Männer sind mächtig.»
Jake steht auf, klemmt sich die Mappe unter den Arm.
«Danke. Ich werde tun, was ich kann.»
Davis nickt.
«Tun Sie das. Und passen Sie auf sich auf. Niemand, der diesen Leuten in die Quere kommt, bleibt unbehelligt.»
Jake zögert, bevor er sich umdreht.
«Noch eine Frage. Unten in der Stadt – mir sind Männer aufgefallen. Keine Einheimischen. Wissen Sie, wer das ist?»
Davis’ Blick verengt sich.