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"Abrechnung im Yukon" ist eine fiktive Geschichte, die jedoch in einem historischen Rahmen spielt – jener Zeit, in der der Goldrausch Tausende von Männern und Frauen in die lebensfeindliche Wildnis trieb, getrieben von der Hoffnung auf schnellen Reichtum. Clay Morgan, ein Cowboy aus Montana, verschlägt es in die Weiten des Nordens, in den Yukon. Er ist auf der Spur seines Stiefbruders, der den Tod seines geliebten Stiefvaters und seiner Mutter auf dem Gewissen hat – ein unbarmherziger Mann, der vor nichts zurückschreckt. Auf dem langen Weg nach Dawson begegnet ihm Betty, eine Saloon-Tänzerin mit einer dunklen Vergangenheit, die den tristen Alltag in den Spelunken von Seattle hinter sich lassen will. Zusammen treten sie eine gefährliche Reise an, in der sie nicht nur den Naturgewalten trotzen müssen, sondern auch den Schatten ihrer eigenen Vergangenheit. Ihre Reise wird von positiven, wie auch negativen Überraschungen begleitet, während der Goldrausch ein Land verändert, das ebenso gnadenlos wie faszinierend ist. In einer Welt, in der Mut, Gier und Überlebenswille über Leben und Tod entscheiden, müssen Clay und Betty erkennen, dass der wahre Kampf oft nicht nur gegen äußere Feinde, sondern auch gegen die Dämonen in ihrem eigenen Inneren geführt wird. Der Autor hat die Orte und den Yukon persönlich bereist, was ihm ermöglicht hat, die unbarmherzige Schönheit und die dramatischen Herausforderungen dieser Region authentisch in die Geschichte einzubringen. Begleiten Sie seine Figuren auf ihrer Reise durch ein Land, das ebenso wunderschön, wie auch gefährlich ist – eine Welt, in der Mut, Gier und Überlebenswille über Leben und Tod entscheiden.
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Seitenzahl: 265
Veröffentlichungsjahr: 2025
Ralph Pape
Abrechnung im Yukon
Der lange Weg nach Dawson
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Inhaltsverzeichnis
Titel
1. Kapitel Eine Tragödie
2.Kapitel Betty
3.Kapitel Aufbruch nach Skagway-Alaska
4.Kapitel Skagway, das Tor zum Yukon
5.Kapitel Stadt der Outlaw
6.Kapitel Gesetzlose
7.Kapitel Der Plan
8.Kapitel Der Grizzly
10.Kapitel Knapp Überlebt
11.Kapitel Soapy Smith
12.Kapitel Der Überfall
13.Kapitel Das Grauen am White Pass
14.Kapitel Eine neue Freundschaft
15.Kapitel Im Yukon Territorium
16.Kapitel Gefährliche Gewässer
17.Kapitel Die Whitehorse Rapids
18.Kapitel Derweil in Skagway
19.Kapitel Am Ziel angekommen
20.Kapitel Suche nach Jack
21.Kapitel Der alte Goldsucher
22.Kapitel Eskalation
23.Kapitel Der erste Konflikt
24.Kapitel Die Verhaftung
25.Kapitel Der Showdown
26.Kapitel Eine Goldmiene
27.Kapitel Eine klare Zukunft
28.Kapitel Abschied vom Yukon
29.Kapitel Ein neues Leben beginnt
30.Kapitel Ein neues Zuhause
31.Kapitel Dunkle Wolken am Himmel
32.Kapitel Der Totgeglaubte
33.Kapitel Fremde in der Stadt
34.Kapitel Das Böse lauert überall
35.Kapitel Der Teufel in Person
36.Kapitel In die Falle gelaufen
37.Kapitel Das letzte Gefecht
Impressum neobooks
Ein stürmischer Wind bläst Clay Morgan um die Ohren. Er flucht leise vor sich hin und zieht den Kragen seines schwarzen Reitermantels hoch. Sein breitkrempiger Hut schützt kaum. Der Regen peitscht ihm ins Gesicht. Ausgerechnet in den letzten zwei Tagen muss ihn so ein Sauwetter überraschen, denkt er. Er ist auf dem Heimweg, als ihn das Unwetter überrascht. Doch jetzt im Spätherbst ist das in Montana keine Seltenheit. Das Wetter kündigt den nahen Winter an. Bald wird der Regen in Schnee übergehen und Frost das Land in seinem eiskalten Griff halten. Die Hufe seines Pferdes klatschen bei jedem Schritt in den aufgeweichten, schlammigen Boden. Clay Morgan zieht seinen Mantel noch enger um die Beine und knöpft ihn zu. Wasser trieft aus der Mähne des Pferdes. Die Windböen werden mittlerweile immer stärker, und er sehnt sich danach, endlich in die Stadt zu kommen und sich im Hotel einen Drink zu nehmen. Jetzt fällt ihm ein Satz ein, den ihm mal ein alter Cowboy gesagt hat: «Das Wetter und der Wind in Montana können dich härter machen als das Leben selbst.» Jetzt weiß Clay, dass der Alte recht hat.
Clay Morgan lenkt sein Pferd mit der linken Hand, die andere tief in die Tasche seines Mantels gesteckt. Er ist ein Mann von 42 Jahren, gekleidet in der typischen Kluft der Cowboys. Nur sein knallgelbes Halstuch fällt aus dem Rahmen des Üblichen. An seinen Beinen trägt er «Chaps», den typischen Beinschutz gegen dorniges Gestrüpp und austretende Hufe. An den Stiefeln blinken silberne Sporen. Sein Gesicht mit den wachen Augen ziert ein Schnauzbart, aus dem jetzt das Wasser tropft.
Vor ihm tauchen jetzt die ersten Häuser auf. Langsam wird es dämmrig. Durch den Regenschleier schimmern die Lichter der Stadt wie Diamanten. Helena, seine Heimat. Hier ist er aufgewachsen. Es ist die Hauptstadt von Montana. Die Anbindung an die Bahnstrecke der Northern Pacific Railway im Jahr 1883 macht sie zu einer florierenden und lebendigen Kleinstadt, die schnell anwächst. Heute leben hier schon um die 8000 Menschen. Die Stadt liegt in einem großen weiten Tal, umgeben von grünen Bergen. Die höchsten von ihnen sind ganzjährig mit Schnee bedeckt. Bergbau und Landwirtschaft sind die Haupteinnahmequellen der Gegend. Aber auch Viehzucht wird in großem Stil betrieben, denn Montana hat fette und nährstoffreiche Böden.
Clay Morgan ist auf dem Weg zur Ranch. Doch die liegt noch zehn Meilen außerhalb der Stadt. Und Clay hat keine Lust, bei diesem Sauwetter noch weiter zu reiten. Da nimmt er sich doch lieber ein Zimmer bei Anny und setzt seinen Weg morgen früh fort. Seine Gedanken schweifen ab. Irgendwie hat er ein ungutes Gefühl. Ist es das Wetter oder eine wie auch immer geartete Vorahnung? Er denkt an Jack, seinen Stiefbruder. Schon wochenlang hat er ihn nicht mehr gesehen. Eigentlich auch besser so. Doch irgendetwas liegt in der Luft. Clay kann es sich nicht erklären. Mit einem Kopfschütteln wischt er die trüben Gedanken fort. Er freut sich jetzt auf Zuhause. Gleich am Ortseingang gibt er Blacky im Mietstall in Obhut. Tom Clayton wird ihn gut versorgen. Dann stapft er missmutig durch den Matsch hinüber zu Annys Hotel.
«Mann, Clay. Was machst du bei dem Dreckwetter da draußen?», fragt Anny erstaunt, als er in die Lobby tritt. «Hör nur auf», seufzt Clay und klopft seinen durchnässten Hut am Mantel ab. «Seit einer Woche bin ich jetzt unterwegs. Und ausgerechnet die letzten zwei Tage schüttet es ununterbrochen. War unten in Bozeman und habe die ausgesonderten Rinder verkauft.» Dann grinst er dünn: «Hast du mein Zimmer noch frei?» «Klar... wie immer. Weißt du doch», erwidert Anny lächelnd und reicht ihm den Schlüssel herüber. «Nicht viel los, was?», lächelt Clay, wobei er die Augenbrauen hochzieht und sich den Mantel auszieht. Anny zuckt mit den Schultern und verdreht die Augen. «Paah. Wer verirrt sich schon bei diesem Wetter hierher? Der Einzige, der sich jetzt freut, ist Bob. Sein Saloon ist rappelvoll!»
Clay: «Yeah. Da haben die Männer eine gute Ausrede, wenn sie morgen zu ihren Frauen nach Hause kommen. Das Wetter war eben schuld!»
Anny: «Ja... hast recht... möchte aber nicht wissen, was sie dann zu hören bekommen! Aber komm erst mal mit rüber. Kannst doch bestimmt einen Drink gebrauchen!» Das lässt sich Clay nicht zweimal sagen. Und so stehen sie noch eine Weile an der Bar und unterhalten sich über allerlei Alltägliches. Bis Clay sich auf sein Zimmer begibt. Das weiche, warme Bett hat er schon seit Tagen vermisst.
Am nächsten Morgen wacht er erschrocken und ruckartig auf. Er blinzelt verschlafen und zieht die Taschenuhr aus der Weste, die am Bettpfosten hängt. Verdammt... so lange hat er noch nie im Bett gelegen. Die Uhr zeigt halb neun. Sich die Augen reibend, erhebt er sich. Als er die Vorhänge öffnet, muss er blinzeln. Kaum eine Wolke am Himmel. Die dunklen Regenwolken sind über Nacht verschwunden. Nur hier und da tropft noch etwas Wasser von den Vordächern, und auf den Straßen steht das Wasser in großen Pfützen, die jetzt in der Morgensonne glitzern.
Clay zieht den Fensterflügel hoch und atmet tief die würzige Morgenluft ein. Die Bewohner des Städtchens sind schon lange bei ihrer Arbeit. Frachtwagen rollen durch die Stadt. Reiter durchqueren die Straßen, und drüben auf der anderen Seite ertönt lautes Hämmern aus Jonathan Millers Möbeltischlerei. Joy und Mike Adams, die Geschwister, unterhalten sich gestikulierend vor ihrem Drugstore. Harry Stanton, der Inhaber eines Hardware-Ladens, winkt kurz zu ihm herauf. Er wirkt sehr ernst. Clay lächelt und nickt ihm freundlich zu. Komisch. Harry war sonst immer so fröhlich. Doch heute scheint ihn etwas zu bedrücken. Clay schüttelt nachdenklich den Kopf, macht sich aber keine weiteren Gedanken darüber. Er ärgert sich nur, dass er verschlafen hat.
Eilig macht er sich fertig und geht nach unten. Schon auf der Treppe hört er, dass sich jemand aufgeregt unterhält. Anny steht mit Chris Madson, dem Bankangestellten, zusammen. Als sie Clay die Treppe herunterkommen sehen, verstummen sie. Anny blickt Clay sorgenvoll entgegen. Dem schwant nichts Gutes.
« Was ist los ? », fragt er ernst. « Hat es irgendwo gebrannt ? »
Anny: « Sag du es ihm. »
Madson windet sich, stottert herum. Weiß nicht, wie er es Clay beibringen soll. Dann fängt er zögernd an zu erzählen.
Heute früh, die Bank hatte gerade geöffnet, kam Jack herein. Clays Stiefbruder, ein Taugenichts und Herumtreiber. Er wollte Geld abheben. Chris Madson machte ihn darauf aufmerksam, dass sein Konto kein Guthaben mehr aufwies und er ihm nichts auszahlen konnte. Daraufhin wurde Jack ausfallend, schrie herum und zwang Madson mit der Waffe, das gesamte Geld seines Vaters herauszurücken. Notgedrungen musste er der Aufforderung nachkommen. 2.000 Dollar, alles, was auf dem Konto war, räumte Jack ab. Dann rannte er nach draußen und jagte auf seinem Pferd aus der Stadt. Selbst der Sheriff mit ein paar Männern konnte ihn danach nicht mehr auffinden.
Chris Madson ist noch ganz aufgeregt von dem Ereignis. Er schluckt und sieht Clay hilflos an. Der steht wie versteinert da. Seine Gesichtszüge verhärten sich, Fassungslosigkeit und Wut spiegeln sich darin. Er spürt, wie sich sein Magen verkrampft. Jack, wieder mal Jack. Kannte dieser Halunke denn gar keine Grenzen ? Schweigend und mit zusammengepressten Lippen hört er Madson zu. Er blickt beide nur böse an.
« Wieso habt ihr mich nicht sofort geweckt, verdammt noch mal ? So eine Nachricht ist doch keine Lappalie ! » Doch bevor Anny antworten kann, eilt er schnellen Schrittes nach draußen. Ernst und sorgenvoll blicken ihm die beiden hinterher.
« Na, das kann ja heiter werden », murmelt Anny düster.
Clay sattelt in aller Eile sein Pferd und reitet im wilden Galopp in Richtung Ranch. Wieder einmal hatte Jack, sein Stiefbruder, gezeigt, was für ein Mensch er war.
Er, Clay Morgan, ist der Ältere von beiden. Aufgewachsen sind sie hier, in der Nähe von Helena. Clays Vater war an der Schwindsucht verstorben. Als seine Mutter wieder heiratete, brachte ihr neuer Mann einen Sohn mit in die Ehe, und sie nahm dessen Namen an. Jack war das genaue Gegenteil von Clay. Drei Jahre jünger, jähzornig, ein Angeber und Maulheld. Oft genug prahlte er mit seinen Schießkünsten und damit, dass er jedes Problem mit der Waffe aus dem Weg räumen könne. Er war unberechenbar, besonders wenn er getrunken hatte. Mit der Ranch-Arbeit konnte er sich nicht anfreunden, lebte lieber auf leichtem Fuß und trieb sich mit zwielichtigen Gestalten herum. Clays Stiefvater hatte seine liebe Not mit dem missratenen Sohn. Alle Erziehungsversuche und Ermahnungen halfen nichts.
Jack ließ sich leicht beeinflussen – besonders von windigen Gestalten, die schnelles und leichtes Geld versprachen. Und jetzt das hier. War Jack jetzt vollkommen irre geworden ? Doch Clay traute ihm mittlerweile alles zu. Er mochte seinen Stiefvater, und dieser mochte Clay. Er war genau der Sohn, den er sich gewünscht hätte.
Nach der Heirat kaufte die Familie eine kleine Rinder- und Pferderanch. Montana hat saftige Weiden, gut für die Viehzucht. Oh ja, sie hatten ein gutes Auskommen. Zeitweise beschäftigten sie sogar zwei Cowboys. Doch dann kam 1896 die Wirtschaftskrise. Auch deshalb hielt der Stiefvater sein Geld zusammen. Die Zeiten waren schlecht, und jeder musste sehen, wie er über die Runden kam. Jack hatte oft Streit mit seinem Vater, weil er meinte, dass ihm ein Teil des Geldes zustand.
Im vollen Galopp prescht Clay jetzt auf die Ranch. Hart zügelt er das Pferd und springt aus dem Sattel. Mit klirrenden Sporen rennt er über die Veranda und stößt die Tür auf. Da kommt auch schon seine Mutter auf ihn zugestürzt.
« Mein Gott, Clay ! Jack hat wieder mit seinem Dad gestritten. Es war furchtbar ! So habe ich Jack noch nie gesehen ! »
Von Weinkrämpfen geschüttelt, erzählt sie Clay, was geschehen war.
Jack hatte wieder einmal Geld von seinem Vater verlangt. Wie üblich kam es zu einem erbitterten Streit. Jack wollte mit zwei zwielichtigen Gestalten zum Yukon aufbrechen, um eine Goldmine auszubeuten. Doch dafür brauchte er Geld. Dort oben im Norden, so behaupteten sie, läge das Gold auf blankem Erdboden. Man müsse es nur auflesen. Doch zuerst sei eine hohe Investition nötig. Eine glatte Lüge. Einen Goldclaim musste man lediglich anmelden und abstecken. Außer einer kleinen Gebühr fielen keine Kosten an. Und dieser Schwachkopf Jack fiel auf das Geschwätz herein.
Als sein Vater ihm das Geld verweigerte, rastete Jack aus. Er schlug seinen Vater im Wutrausch ins Gesicht und ritt in die Stadt, um sich volllaufen zu lassen. Betrunken kehrte er früh morgens zurück. Der Streit eskalierte. Im Jähzorn zog Jack seine Waffe und verletzte seinen Vater schwer. Clays Mutter konnte es nicht verhindern. Jack verschwand und ritt in die Stadt.
Jetzt wurde Clay klar, warum Jack die Bank überfallen hatte. Seine Mutter kann das Ganze kaum ertragen. Sie kränkelt ohnehin schon, und dieses Drama wird sie kaum verkraften.
Clay stürmt ins Zimmer. Seine Mutter folgt ihm, völlig aufgelöst. Der Stiefvater liegt ohne Bewusstsein im Bett, ein dicker Verband um die Brust. Der Schuss ging nur knapp am Herzen vorbei. Keiner weiß, ob er je wieder gesund wird. Zwei Wochen später stirbt Clays Stiefvater an seiner Verletzung.
Dieses Ereignis verändert Clay Morgan. Er ist verbittert. Schon lange nagt es an ihm. Mit Rücksicht auf seine Mutter und den Stiefvater hat er sich immer wieder zurückgehalten. Doch diese Tat bringt das Fass zum Überlaufen. Seine Geduld hat ein Ende.
Mittlerweile hat der Winter in Montana Einzug gehalten. Das Land liegt unter einer dicken Schneedecke. Die Temperaturen fallen auf eisige minus 25 Grad. Winterliche Stille breitet sich aus. Clay will höchstens bis zum Frühjahr warten. Doch dann wird ihn nichts mehr zurückhalten.
Er wird Jack schnappen.
Und jetzt befindet er sich in Seattle, in einem der billigen, heruntergekommenen ‹Hotels›. Seit einer Woche ist er nun schon unterwegs – auf dem langen Weg nach Norden.
Verschlafen und mit einem Brummschädel wacht Clay Morgan auf. ‹Wieder so ein Abend, den man besser vergisst›, denkt er.
Er hatte sich vorgenommen, bis auf Weiteres keinen Saloon mehr zu betreten. Doch alle guten Vorsätze gerieten ins Wanken, als ihm die schöne Betty über den Weg lief. Sie trafen sich zufällig bei einem Händler, bei dem Clay einige Dinge einkaufte. Ihre Blicke begegneten sich – und plötzlich verspürte Clay ein Kribbeln. Er konnte den Blick kaum von ihr abwenden. Ihr Lächeln, ihre dunklen Augen faszinierten ihn. Und auch sie sah ihn auf eine Weise an, die jeden Mann dahinschmelzen ließ. Doch ihre Begegnung war nur kurz.
Wie es der Zufall wollte, trafen sie sich wieder. Clay brauchte Informationen – und die besten Auskünfte bekam man nun mal in den Saloons und Kneipen einer Stadt wie Seattle. Also betrat er den ‹White Hall Saloon›. Er staunte nicht schlecht, als er Betty dort auf der Bühne sah, wo sie mit einer Gruppe Mädchen tanzte. Erfreut und interessiert schaute er den Tänzerinnen zu, doch sein Blick galt nur Betty. Ihr schönes Gesicht mit den mandelförmigen Augen, ihre langen schwarzen Haare, ihre schlanke Gestalt in dem roten Rüschenrock – und ihr Temperament beim Tanzen ließen ihn für eine Weile alle Sorgen vergessen. Ein schöner Anblick in dieser von Männern dominierten Stadt.
Es war nun fast ein halbes Jahr her, dass Jack, sein Stiefbruder, verschwunden war. In dieser Zeit war auch Clays Mutter gestorben – an ihrer Krankheit und all den Aufregungen. Nun war er allein, ohne Familie. Der frühe Tod seiner Mutter und seines Stiefvaters hatte ihn schwer getroffen. Er hatte an beiden gehangen, und sie in so kurzer Zeit hintereinander zu verlieren, veränderte ihn. Er war traurig, aber zugleich voller Zorn und dunkler Gedanken. Auch daran hatte Jack eine Mitschuld.
Es ist das Jahr 1897. Der große Goldrausch im Yukon ist in vollem Gange. Alle reisen nach Norden. Cowboys verlassen die Ranches, Händler schließen ihre Läden, Polizisten lassen ihre Posten im Stich. Väter verlassen Hals über Kopf ihre Familien, und selbst der Bürgermeister von Seattle besteigt das nächste Schiff in die noch kleine Goldgräberstadt Skagway in Alaska. Deutsche, Norweger, Holländer, Italiener, Chinesen und Japaner – hunderttausend Männer folgen dem Lockruf des Goldes am Klondike. Clay weiß nur zu gut, dass die schlechtesten Eigenschaften eines Menschen zum Vorschein kommen, wenn ihn das Goldfieber einmal gepackt hat.
Tja, und jetzt sitzt er hier in Seattle und wartet auf den Dampfer, der ihn nach Skagway bringen soll. Früher hatte er nie Rachegefühle verspürt. Doch jetzt kann er an nichts anderes mehr denken, als seinen verdammten Stiefbruder zu fassen. So sehr er sich auch bemüht, diese Gedanken loszuwerden – sie nagen an ihm wie ein böser Dämon.
Stöhnend wälzt sich Clay aus dem Bett und blickt sich um. ‹Wieder so ein billiger Schuppen›, denkt er mürrisch. Ein wackliger Schrank, ein ebenso instabiler Tisch, ein Stuhl – und neben dem Bett eine alte Kommode. Darauf stehen ein Krug Wasser und eine Schüssel, in die er jetzt missmutig das Wasser schüttet. Das kühle Nass weckt wenigstens ein wenig seine Lebensgeister. Ansonsten ist das Zimmer nur noch ‹geschmückt› mit schmutzigen Gardinen, die kaum Tageslicht hindurchlassen.
Er zieht die Vorhänge zurück und schaut auf die Straße. Es ist früh am Morgen, der Betrieb noch spärlich. Von hier aus kann man gut den Hafen erkennen. Einige kleine Schiffe liegen an der Pier, doch von den großen Dampfern ist nichts zu sehen.
Er überlegt krampfhaft, was ihm Betty gestern Abend noch alles erzählt hatte. Sollte der Dampfer heute Morgen, am Nachmittag oder irgendwann später eintreffen? Er weiß es nicht mehr. Sein Kopf ist leer. Er hat einen kleinen Blackout. Nur eines weiß er sicher: Er muss nach Skagway – und von dort weiter nach Dawson City.
Stöhnend und fluchend lässt er sich wieder auf das knarrende Bett fallen und versucht, seine Gedanken zu ordnen.
Dann erhebt er sich, leise stöhnend, und beginnt, sich anzuziehen. Wütend über sich selbst und die durchzechte Nacht steigt er seufzend in seine Stiefel, streift sich das Hemd über und zieht die mit Schaffell gefütterte Weste an – das Einzige, was er von einem Schaf an sich heranlässt. Er mag diese Viecher einfach nicht. Dann knotet er sich sein gelbes Halstuch um, über das sein Bruder immer so gelacht hat. Ja, es ist tatsächlich knallgelb. Schon von Weitem erkennt man, wer da geritten kommt. Doch Clay liebt diese Farbe und hatte lange gesucht, bis er ein solches Exemplar gefunden hat.
Anschließend setzt er sich den schwarzen Hut auf, verziert mit einem Band aus Pferdehaar, und legt zu guter Letzt seinen Revolvergurt an. Auf diesen legt er besonderen Wert: aus punziertem, schwarzem Rindsleder und von ihm selbst angefertigt. Der .45er-Colt Single Action, der im Holster steckt, ist mit Hirschhorngriffen versehen, und kleine Motive sind in den Rahmen eingraviert – ein Prachtstück für damalige Verhältnisse. Schließlich greift er noch seine Winchester und macht sich auf den Weg nach unten.
In der Stadt ist mittlerweile das Leben erwacht. Immer mehr Männer und sogar Frauen drängen zum Hafen. Abenteuerlich aussehende Gestalten, die alles Mögliche mit sich herumschleppen. Einer hat sogar ein großes hölzernes Schild auf seinem Packen festgeschnallt. ‹Yukon Saloon›, liest Clay darauf. Er muss grinsen und schüttelt den Kopf. ‹Wo in aller Welt will der Kerl einen Saloon bauen?›, denkt er.
Clay hat sich vorsorglich informiert und weiß in etwa, was auf die ‹Stampeders› zukommt – und auf ihn. Stampeders nennt man die Abenteurer, die zu Abertausenden in den Yukon strömen. Getrieben von Gier, blind vor Hoffnung auf Reichtum und Glück – was immer dieses Glück auch sein mag.
Die Nachricht von sagenhaften Goldfunden verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Fast jeder in dem rauen, dünn besiedelten Land hatte davon gehört, und viele hatten sich bereits ein großes Stück vom Kuchen gesichert. Alle wissen: Sobald das Frühjahr den Weg über die Berge und auf dem Fluss passierbar macht, werden Tausende nach Dawson City strömen – Goldsucher, Glücksritter und Abenteurer aus aller Welt. Der Goldboom hatte schon ein Jahr zuvor begonnen, jetzt ist er in vollem Gange.
Langsam schlendert Clay durch die Straßen zum Hafen, als er plötzlich seinen Namen rufen hört. Er dreht sich um. In der Menge der wie Ameisen umherziehenden Menschen entdeckt er Betty – das Mädchen aus dem Saloon. Sie winkt ihm zu und kämpft sich durch die Massen. Geduldig wartet Clay, bis sie mit rotem Gesicht und fast außer Atem bei ihm ankommt.
« Hallo Betty ....wohin willst du denn? »
Betty: « Willst du einfach so heimlich verschwinden? Weißt du nicht mehr, was du mir gestern Abend versprochen hast? »
Clay kneift die Augen zu schmalen Schlitzen und denkt angestrengt nach.
« Hmm, nöö, keine Ahnung. Was soll ich dir schon versprochen haben? Wir kennen uns doch erst seit gestern. Und außerdem muss ich sagen, dass du mich ganz schön abgefüllt hast …! » Dabei verzieht er ärgerlich das Gesicht.
Betty aufgebracht:
« Ich dich abgefüllt? Bist du wohl von allen guten Geistern verlassen? Wer hat denn nach immer mehr Tequila gerufen? Ich wollte dir schon nichts mehr geben! Und dann trittst du einem der Männer in den Hintern, nur weil er mich angegrinst hat! Fast wäre es zu einer Schlägerei gekommen! »
Ungläubig starrt Clay sie an, kratzt sich verlegen am Kinn und weiß nichts zu entgegnen. Doch er braucht auch nichts zu sagen – Betty ist jetzt in ihrem Element. Die kleine wilde Katze.
Alle Männer im Saloon starrten nur sie an, wenn sie oben auf der kleinen Bühne ihre Beine schwang oder durch den Raum schwebte. Doch sie erteilte jedem eine Abfuhr, der ihr zu nahe kam. Sie schien unnahbar. Deshalb war Clay umso erstaunter gewesen, als sie später von sich aus an seinen Tisch kam.
Er war beileibe kein Adonis. Mit seinen etwa 1,75 Metern eher unscheinbar, mit blaugrauen Augen und einem Schnauzbart. Schlank und muskulös, aber nicht unbedingt der Typ, dem Frauen hinterher schmachten. Und bis jetzt hatte er auch noch keine Beziehung gehabt, die ihm ernsthaft etwas bedeutete.
Oh ja, sie hatten sich prächtig unterhalten an diesem Abend. Wie zwei alte Kumpel, die sich nach langer Zeit wiedersahen. Und nach und nach erzählte Clay ihr aus seinem Leben – allerdings kein Wort über das, was ihn wirklich in den Norden trieb. Er war nicht in der Stimmung für eine Beziehung. Dafür hatte er im Moment zu viele Probleme.
Doch irgendetwas hielt ihn davon ab, einfach zu gehen. Sie war eine gute Zuhörerin. Seine offene und ehrliche Art schien sie zu beeindrucken, und sein herzliches Lachen steckte sie an. Auch er fand längst Gefallen an ihr – obwohl sich sein Verstand dagegen sträubte.
Clay bekam im Laufe des Abends gar nicht mehr mit, dass sie ihn immer interessierter anblickte und mit ihm flirtete.
Und jetzt steht er hier, verlegen wie ein kleiner Junge, den man bei einem Streich erwischt hat.
Betty aber legt jetzt erst richtig los.
« Du warst so betrunken, dass du mich auf den Arm genommen und mit mir durch den gesamten Saloon getanzt hast. Wir wären fast hingefallen! Den ganzen Laden hast du unterhalten. Und dann hast du plötzlich gesagt, dass du mich mit in den Yukon nehmen willst – weg von hier. Na, da war ich aber sprachlos! Ich habe die Arbeit in dieser Spelunke sowieso satt. Diese Kerle und die stinkende Kneipe widern mich schon lange an. Ich will nur noch weg. Und dann hast du mich in den Arm genommen und versprochen, mich da rauszuholen! »
Herausfordernd blickt sie ihm ins Gesicht, die Arme immer noch energisch in die Hüften gestemmt.
Clay verzieht das Gesicht und windet sich wie ein Regenwurm. Was hatte er nur wieder angestellt? Hatte er dem Mädchen tatsächlich versprochen, sie mitzunehmen? Musste wohl so sein. Warum sollte sie lügen?
Aber bei dem, was er vorhat, kann er unmöglich eine Frau gebrauchen. Sie wäre nur ein Klotz am Bein. Außerdem – so schnell hatte er noch nie ein Versprechen gegeben. Was war nur in ihn gefahren? Er muss dieses Dilemma unbedingt noch abwenden.
« Ich war betrunken », knurrt er unwirsch und winkt ab. « Ich wusste doch gar nicht, was ich da sagte. Außerdem ... Was will so ein hübsches Girl mit einem wie mir? Du findest doch etwas Besseres. Du hast dir den falschen Kerl ausgesucht. Weißt du überhaupt, was mich da oben im Norden erwartet? Es wird gefährlich – verdammt gefährlich. Da kann ich niemanden wie dich gebrauchen. Außerdem kennen wir uns doch kaum. »
Betty schnauft tief durch, blickt ihn langsam von unten herauf an und stößt ihn mit ihrer kleinen Faust gegen die Brust.
« Du dummer Kerl », zischt sie. « Hast du gar nicht bemerkt, dass ich dich mag? Du bist der Einzige, der mich bis jetzt anständig behandelt und mir zugehört hat – ohne gleich mehr zu wollen. Und zudem hast du ganz schön mit mir geflirtet! Und ich mit dir », fügt sie schnippisch hinzu. « Was sagst du dazu, hmm? Außerdem bin ich einiges gewohnt … Ich bin keine Zuckerpuppe. Gefährliche Situationen habe ich schon oft genug erlebt. Dass ihr Männer immer glaubt, wir Frauen wären Weicheier! Das kannst du vergessen! Und glaub mir, mein Lieber – ich kann sehr wohl mit einer Waffe umgehen. » Dabei stößt sie ihm wieder mit dem Zeigefinger gegen die Brust. « Ich bin eine Texas-Tochter. Und ich werde dir bestimmt nicht im Weg stehen. Ich kann auf mich selbst aufpassen! »
Dann atmet sie tief durch und sieht Clay mit herausforderndem Blick aus ihren dunklen, blitzenden Augen an.
Er räuspert sich mehrmals, kratzt sich mit heruntergezogenen Mundwinkeln am Kinn, sichtlich beeindruckt von ihrem Redeschwall. Er weiß nicht, was er tun soll. Dieses Girl mag ihn wirklich? Das irritiert ihn fast mehr als die Tatsache, dass sie solche Strapazen auf sich nehmen und mit ihm fortziehen will. Innerlich jedoch schmeichelt es ihm. Bis jetzt hat ihm noch kein Mädchen so offen ihre Zuneigung gestanden.
Tja, was soll man schon dagegen tun? Eine verzwickte Sache. Er kann mit so einer Situation einfach nicht gut umgehen. Wäre es ein Mann, hätte er längst die richtigen Worte gefunden.
Aber bei so einem Girl …?
Offen gestanden gefällt sie ihm ja auch sehr. Und er möchte sie nicht verlieren. Nach langem Nachdenken entscheidet er sich endlich. Ein Versprechen sollte man schließlich halten.
« Also gut », knurrt er und blickt sie streng an. « Aber ich spiele kein Kindermädchen. Wenn du mir ein Klotz am Bein wirst, lasse ich dich irgendwo in der Wildnis zurück. Dann kannst du versuchen, mit Bären und Wölfen klarzukommen. Mir gefällt die Sache ganz und gar nicht. »
Betty lächelt schelmisch, wippt dabei vor Clay auf und ab und sieht ihn mit ihren schönen Augen an – Augen, die jedes Eis zum Schmelzen bringen.
« OK», meint Clay und windet sich innerlich. « Als Erstes brauchst du andere Klamotten. Mit diesem Fummel kommst du nicht weit. Besorg dir strapazierfähige Hosen, Hemden und anständige Stiefel. Und komm bloß nicht auf die Idee, deinen ganzen Schmink- und Parfüm-Krempel mitzuschleppen. Überflüssiger Kram. Ich sehe mich inzwischen am Hafen um. In einer Stunde bin ich wieder im Saloon, dann besprechen wir alles Weitere. »
Betty wirft ihm einen verführerischen Blick zu, blinzelt spielerisch und flötet unwiderstehlich:
« Jaa, Daddy. Wie du befiehlst, Daddy. Alles, was du willst. »
Dann schwebt sie mit keckem Hüftschwung davon, nicht ohne sich noch einmal umzusehen und ihm einen frechen Blick zuzuwerfen.
Clay kann sich ein leichtes Grinsen nicht verkneifen, während er ihr hinterherblickt. Er schüttelt den Kopf. Was ist das nur für ein kleines, wildes Biest? Auf was habe ich mich da bloß eingelassen? Das kann ja heiter werden. Mit wirren Gedanken macht er sich auf den Weg zum Hafen.
Dort haben sich bereits Hunderte von Menschen versammelt. Überall liegen Fracht und Ausrüstung, geschäftiges Treiben erfüllt die Luft. Stimmengewirr schallt über das Wasser, irgendwo kläffen und jaulen Huskys. Kleine Boote tummeln sich scheinbar ziellos auf den Wellen. Doch von den großen Dampfschiffen, die regelmäßig zwischen Skagway und Seattle verkehren, fehlt jede Spur.
Clay spricht einen alten Seebären an, der aussieht, als hätte er Ahnung. Der Mann hat eine Pfeife zwischen den Zähnen und nuckelt genüsslich daran. Seine wachsamen blauen Augen mustern Clay belustigt.
« Na, mein Junge? Hat dich das Fieber auch erwischt? Treibt es dich nach da oben, in die Trostlosigkeit? »
Clay schüttelt den Kopf und lächelt geringschätzig.
« Nee, alter Mann. Damit habe ich nichts am Hut. Ich muss aus anderen Gründen in den Norden. Sag mir, wann hier der nächste Dampfer nach Skagway anlegt. »
Der Alte mustert ihn lange und erwidert dann langsam:
« Naja, du siehst nicht gerade aus wie einer von den Verrückten. » Er deutet mit einer knochigen Hand auf die Menschenmassen. « Eher wie ein Cowboy. Doch hier gibt’s weit und breit kein Viehzeug. Und mit einem Pferd kommst du auch schlecht übers Wasser. »
Er kichert über seinen eigenen Witz, Clay grinst breit.
« Ich habe nicht vor, über das Wasser zu reiten, alter Mann. »
Dann erzählt er dem Seebären von seinem Vorhaben – ohne jedoch den wahren Grund seiner Reise zu verraten. Der Alte lacht glucksend.
« Lieber Himmel, Junge. Dann wünsche ich dir viel Vergnügen – und noch mehr Glück! Weißt du überhaupt, was da oben im Yukon los ist? Das sind nicht nur ein paar Irre, das sind Abertausende von Verrückten! Versuch da mal, eine Mücke in einem Haufen Ameisen zu finden. »
Er lacht wieder, kriegt sich kaum noch ein, wird dann aber wieder ernst.
« Ich rate dir, Junge – lass den Unfug. Da oben am Klondike ist die Hölle los. Wenn du wirklich nicht so verrückt bist wie all die anderen, dann bleib hier. Ich habe von vielen gehört, dass das der reinste Irrsinn ist. Bist du allein unterwegs? »
Clay schüttelt den Kopf. « Nicht ganz. Ein Mädchen will mit mir. Ich konnte sie nicht davon abhalten. War nicht meine Idee. »
Der Alte reißt erschrocken die Augen auf.
« Ach du heiliger Neptun! Bist du wahnsinnig? Es ist schon für einen Mann die Hölle, da hochzugehen – und du hast ein Weib im Schlepptau? Glaubst du, ihr könnt einfach so dahinspazieren? Mit Wanderstock und einem fröhlichen Liedchen auf den Lippen? Mein Junge, das sind Strapazen, die du dir nicht mal vorstellen kannst! Ihr müsst entweder über den Chilkoot- oder den White-Pass. Der eine ist genauso gefährlich wie der andere. Und dann auch noch im Winter! Daran sind schon die stärksten Männer zerbrochen. Außerdem müsst ihr eine ganze Tonne Proviant mitschleppen! Seit einer Hungersnot in Dawson City lassen die Mounties niemanden mehr nach Kanada durch, der nicht genug Lebensmittel für ein Jahr dabei hat! »
Er schüttelt den Kopf und lacht wieder glucksend.
Clay nimmt die Worte schweigend auf. Er weiß, dass die Reise verdammt hart werden wird – aber das, was der Alte erzählt, ist harter Tobak. Eine Tonne Lebensmittel schleppen? Und dann noch über einen dieser verfluchten Pässe?
Selbst Ochsen hätten daran zu knabbern.
Zum ersten Mal überlegt er ernsthaft, ob er sich das wirklich antun will. Noch dazu mit Betty.
Aber sein Stolz und sein Eigensinn lassen ihn nicht umkehren. Was er anfängt, bringt er auch zu Ende. So schlimm kann es schon nicht werden. Bei solchen Geschichten wird doch immer übertrieben.
Und dann sind da noch seine Rachegelüste. Sie nagen an ihm. Er kann sie nicht loswerden.
Der Alte verrät ihm, dass am nächsten Tag die « Portland » ablegt – jener Dampfer, der am 17. Juli 1897 in Seattle ankam und die erste Tonne Gold mit sich brachte.
Clay macht sich mit diesen Informationen wieder auf den Weg zu Betty. Der Alte blickt ihm kopfschüttelnd und kichernd hinterher.
Nachdenklich betritt Clay den White Hall Saloon. Obwohl es erst Mittag ist, ist die Kneipe rappelvoll. Viele wollen sich wohl noch Mut antrinken, ehe sie den strapaziösen Weg zu den Goldfeldern antreten. Clays Frage nach Betty beantwortet der Barkeeper mit einem kurzen Nicken zur Treppe – sie sei oben in ihrem Zimmer.
Dort ist Betty gerade dabei, ihre Sachen zu packen, und stopft alles in eine große Stofftasche. Clay bemerkt einen alten, großen Perkussionsrevolver, den sie ebenfalls verstaut. Unwillkürlich muss er grinsen.
«Was willst du denn mit diesem alten Ding?», fragt er spöttisch. «Willst du das wirklich mal abfeuern? Da brauchst du ja einen Baumstamm zum Auflegen. Und eine Mauer hinter dir zum Abstützen.»
«Den habe ich von Grandpa», erwidert Betty lakonisch. «Er hat ihn aus dem Bürgerkrieg mitgebracht. Ein Walker Colt. Ich kann ihn nur mit beiden Händen bedienen.» Dabei grinst sie breit.
Clay mustert sie von unten nach oben und kann sich ein spöttisches Lächeln nicht verkneifen. In ihren weiten, derben Männerhosen mit den breiten Hosenträgern sieht sie ziemlich komisch aus. Die Hosenbeine hat sie umgekrempelt, weil sie zu lang sind, und das rote Holzfällerhemd betont ihre weiblichen Formen kein bisschen. An den Füßen trägt sie halbhohe, gefütterte Stiefel, auf dem Kopf einen zerfledderten, abgetragenen Hut. Alles in allem ein seltsamer Anblick.
Betty bemerkt sein verhaltenes Grinsen, stemmt die Hände in die Hüften und ruft gespielt empört: «Grins nicht so dumm! Was Besseres war nicht aufzutreiben. Außerdem wolltest du doch, dass ich mich so kleide.»
Clay verkneift sich das Lachen. «Schon gut, schon gut. Wenigstens muss ich mir keine Sorgen machen, dass dich jeder Kerl dumm anmacht. In diesen Klamotten wird dich kaum jemand für eine Frau halten!»