Goldrausch im Blut - Ralph Pape - E-Book

Goldrausch im Blut E-Book

Ralph Pape

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Beschreibung

Kanada – Wildnis, Freiheit und ein Hauch Abenteuerlust. In dieser persönlichen Reiseerzählung nehme ich meine Leser mit in das Herz der kanadischen Wildnis. Zu Pferd durch die Coast Mountains. Mit dem Kanu auf dem Yukon, zu Fuß durch endlose Wälder, immer begleitet von der Faszination für ein Land, das rau, ehrlich und atemberaubend ist. Es geht um mehr als nur um Touren und Ausrüstung – es geht um Respekt vor der Natur, um das richtige Verhalten in der Einsamkeit und um Begegnungen mit Bären, Wetter und der eigenen Belastbarkeit. Erzählt mit einem Augenzwinkern, aber immer geerdet – wie man es von mir erwartet, der weiß, wie sich ein frostiger Morgen im Zelt wirklich anfühlt. Kein Reiseführer, sondern ein Erlebnisbericht – voller Erfahrung, Respekt und Leidenschaft für ein Land, das süchtig machen kann. Für alle, die Kanada lieben – oder es nach der Lektüre tun werden.

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Seitenzahl: 254

Veröffentlichungsjahr: 2025

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1.Kapitel Vorwort

Als begeisterter Outdoor-Fan war ich schon immer gerne draußen in der freien Natur. Schon als Jugendlicher machte mir das Campen großen Spaß – am liebsten natürlich ganz wild, irgendwo auf einer Wiese oder mitten im Wald. Dass das hierzulande nicht überall erlaubt ist, tat der Freude keinen Abbruch.

Später engagierte ich mich in Westernvereinen und war im Reitsport aktiv. Bis mich ein Freund schließlich überredete, auch mal das Kanufahren auszuprobieren. Naja – bis dahin hatte ich mit Wasser wenig am Hut. Schon gar nicht mit dem Gedanken, darin herumzupaddeln. Aber was soll's? »Man muss alles mal probiert haben«, sagte ich mir.

Und so begann meine erste Kanutour auf einem Flüsschen in Nordhessen. Und siehe da – es ging doch! Es machte sogar richtig Spaß. In den folgenden Jahren unternahmen wir immer öfter solche Wasserwanderungen. Die Touren wurden länger, und so mancher Urlaub führte meinen Freund und mich auf Seen und Flüsse hinaus.

Die Mecklenburgische Seenplatte wurde uns ebenso vertraut wie der Spreewald und viele andere schöne Orte. Hauptsache draußen – das war mir wichtig. Zwischendurch machten wir auch ausgedehnte Wanderungen.

Bis zu jenem Tag, an dem uns das Schicksal nach Kanada verschlug. Dort erlebten wir zum ersten Mal wirkliche Wildnis. Da wir gemeinsame Freunde hatten, die nach British Columbia ausgewandert waren, hatten wir auch gleich einen Anlaufpunkt für unsere Exkursionen.

Bald nach dem ersten längeren Urlaub folgten weitere Reisen, die uns bis in den Yukon und nach Südost-Alaska führten. Diese Erlebnisse beeindruckten mich so sehr, dass Kanada zu meinem ganz persönlichen Traumland wurde.

Und so habe ich mich entschlossen, diese Reiseerzählung zu veröffentlichen – um anderen Menschen dieses herrliche Land, seine Menschen und die grandiose Natur näherzubringen.

2.Kapitel Auf nach Kanada

Ein langer Flug bis Calgary, in der Provinz Alberta. Müde und erschöpft, aber doch irgendwie glücklich, gingen wir zu Hertz, um unseren Leihwagen abzuholen.

Unsere erste Reise durch Kanada konnte beginnen.

Zu dritt fuhren wir erst mal in die Innenstadt von Calgary, um uns ein wenig umzusehen und unseren Durst zu stillen. Drei Freunde auf dem Weg, das Abenteuer zu suchen. Noch wussten wir nicht, dass wir wenige Tage später nur noch zu zweit sein würden.

Wir saßen in einem Pub und ließen uns das kühle Bier schmecken. Anschließend schlenderten wir ein wenig durch die Stadt und wollten auch auf den Calgary Tower. Doch der hatte geschlossen – aus welchen Gründen auch immer. Na ja, lange wollten wir ohnehin nicht in der Stadt bleiben. Wir suchten ja die Einsamkeit und die Natur.

Also fuhren wir los – in Richtung der Rockys. Unser Ziel war es, in ein paar Tagen nach British Columbia zu unseren Freunden Manfred und Brigitte zu kommen, die in der Nähe von Tatla Lake eine Guestranch betrieben.

Bei Cochrane, ein paar Kilometer westlich von Calgary, suchten wir uns den ersten Campground und bauten unsere Zelte auf, bevor es langsam Abend wurde. Müde lagen wir bald in unseren Schlafsäcken und schnarchten unserer ersten Nacht auf kanadischem Boden entgegen.

Am nächsten Morgen standen wir früh auf, denn wir wollten noch ein gutes Stück fahren an diesem Tag.

Staunend genossen wir unterwegs die grandiose Landschaft. Der endlose Highway führte uns direkt durch die Rocky Mountains.

Der Lake Louise beeindruckte uns genauso wie die unbeschreiblichen Landschaften der Yoho- und Jasper-Nationalparks.

Am späten Nachmittag schlugen wir unsere Zelte am Mosquito Lake auf. Besser gesagt – wir schlugen gar keine Zelte auf, sondern machten es uns in der Gemeinschaftshütte des Campingplatzes gemütlich. Es nieselte nämlich vor sich hin, und wir hatten keine Lust, unsere Zelte aufzubauen, nur um sie am nächsten Morgen wieder nass einpacken zu müssen.

Jürgen und ich störten uns nicht daran. Wir hatten schon oft – nur mit Schlafsack – draußen in der Natur übernachtet. Doch unser Freund Bernd fand das alles nicht besonders spaßig. Er fing schon langsam an zu nörgeln. Wir amüsierten uns darüber und dachten, das würde sich schon legen. Bernd war einfach kein Typ, der sich schnell auf neue Situationen einstellen konnte – und wahrscheinlich auch nicht unbedingt wollte.

Also feuerten wir den Yukon-Ofen an und machten uns erst einmal über unsere Steaks her.

Hunger hatten wir ständig. Das merkten wir in den kommenden Wochen immer wieder. Draußen in der Natur, bei frischer Luft und ständiger Bewegung, braucht der Körper eben viele Kalorien.

Das Wetter besserte sich keinen Deut, also verbrachten wir den Abend in guter Laune – mit den mitgebrachten geistigen Wässerchen – und wurden dabei immer fröhlicher.

Nur unser Bernd nicht. Der knurrte und nörgelte vor sich hin. Ihm passte das Wetter nicht, er konnte nicht schlafen – und hatte augenscheinlich auch Heimweh.

Na dann Prost! Das konnte ja heiter werden, wenn er jetzt schon Weib und Kind vermisste. Dabei waren wir noch nicht mal annähernd in der wirklichen Wildnis.

Jürgen und ich jedenfalls genossen den Abend und die herrliche Landschaft, die zwar in Regenwolken gehüllt war – doch es war kanadischer Regen und kanadische Wolken. Und auch die Berge waren kanadisch. Was wollten wir denn mehr?

Den nächsten Tag vergesse ich bis heute nicht. Wir fuhren fröhlich in Richtung Jasper. Ich saß vorne neben Jürgen, der diesmal den Wagen fuhr, und filmte mit der Videokamera die unbeschreibliche Landschaft.

Da hörte ich von hinten ein leises Schluchzen. Erst dachte ich, Bernd schnäuzt sich die Nase. Als ich mich umdrehte, sah ich, dass er wahrhaftig Tränen in den Augen hatte.

Verwundert sah ich Jürgen an. Der blickte betroffen, denn auch er hatte es bemerkt. Wir fragten Bernd, was denn los sei.

Seufzend antwortete er, er habe sich wohl zu viel vorgenommen. Er sei einfach nicht der Kerl für so etwas wie Wildnis und Einsamkeit – und außerdem habe er furchtbares Heimweh. Und Zahnschmerzen plagten ihn auch.

So etwas war mir noch nicht untergekommen: Ein gestandener Mann saß da wie ein Häufchen Elend – und weinte.

Ich gestehe ja, dass auch ich schon geweint hatte. Das war, als wir endlich in Kanada landeten und mir bewusst wurde, dass wir tatsächlich hier waren. Diese Erkenntnis ließ meine Gefühle überschäumen und trieb mir Tränen in die Augen.

Na ja – jedenfalls fuhren wir langsam Jasper entgegen. Zwar etwas bedrückt wegen Bernds Gejammer, doch ich war überglücklich, hier zu sein. Und das wollte ich mir auch nicht kaputtmachen lassen.

Also trösteten wir unseren Freund und meinten, wenn wir erst auf der Guest Ranch bei unseren Freunden wären, sehe die Welt schon ganz anders aus.

Doch Bernd ließ sich nicht beruhigen – und wollte unter allen Umständen wieder heim.

Aber wie? Er konnte sich ja nicht einfach ins Auto setzen und mal eben schnell nach Hause fahren. Wir waren 9000 Kilometer von der Heimat entfernt!

Doch da kannten wir unseren Bernd schlecht. Wenn der etwas wollte, dann tat er es auch – auf Teufel komm raus.

Und all unsere Überredungskünste halfen nichts. Also hielten wir vor einer Polizeistation der RCMP – der Royal Canadian Mounted Police – in Jasper. Und Bernd verschwand darin.

Grinsend und kopfschüttelnd sahen Jürgen und ich uns an. Wir konnten kaum glauben, was gerade geschah.

Wenig später kam Bernd aus dem Polizeigebäude zurück und erklärte, dass es dort eine Autovermietung gäbe. Er wolle sich einen Wagen mieten und nach Edmonton, der Hauptstadt Albertas, fahren. Die Polizei habe mit der deutschen Botschaft Kontakt aufgenommen, die ihm einen Heimflug ermöglicht habe. Eilig mietete er den Leihwagen, nahm nur das Nötigste aus unserem Fahrzeug heraus und entschuldigte sich unzählige Male bei uns, dass er wegen seiner Probleme den Urlaub nicht verderben wolle. Dann gab es ein kurzes Händeschütteln, ein letztes Schulterklopfen — und in einer Staubwolke verschwand er aus unserem erstaunten Blickfeld. Es war wie eine Flucht.

Tja — drei Tage Kanada-Urlaub, das hat schon was! Auf unserem weiteren Weg dachten Jürgen und ich schweigend über die Ereignisse nach. Wir waren total überrascht von Bernds Entscheidung. Meine Gefühle waren durcheinander.

Vielleicht war es besser so. Das, was uns noch bevorstand, hätte er auf keinen Fall durchgestanden.

Solche Abenteuer sind nicht für jeden. Ein fernes, fremdes Land, Einsamkeit und Wildnis — das verlangt eine gehörige Portion Abenteuerlust und die Bereitschaft, Risiken einzuschätzen und anzunehmen.

Jürgen und ich waren damals eingefleischte Junggesellen, was das Reisen deutlich erleichterte. Wir mussten keine Rücksicht nehmen, waren frei und ungebunden. So leid es uns tat: Theorie und Praxis sind zwei verschiedene Dinge. Bernd war nun mal kein Mensch, der lange in der Einsamkeit aushielt — ohne Dusche, ohne fließendes Wasser, ohne Strom und ohne Telefon.

Aber wir mussten darüber hinwegkommen. Für uns beide wartete das Abenteuer. So ging es für uns weiter in Richtung British Columbia, immer entlang des Highway 24 in Richtung Clearwater.

Vorbei an eindrucksvollen Landschaften, die uns immer wieder ein „Aah“ und „Wow“ entlockten.

Tief beeindruckt ließen wir Bernds Verschwinden hinter uns.

Schon bald verließen wir die Rocky Mountains und erreichten das Gebiet des Wells Gray Provincial Park.

Hier in Clearwater mieteten wir uns eine kleine Cabin – ein typisch kanadisches Blockhaus, das man mit zwei, vier oder auch sechs Personen bewohnen konnte. Es war gemütlich, aber einfach ausgestattet. Zwei Etagenbetten, eine Dusche und eine Kochgelegenheit reichten uns vollkommen aus, um zwei Nächte hier zu verbringen.

Denn wir wollten am nächsten Tag in den Wells Gray Park, um einen der schönsten Wasserfälle der Region zu besuchen: den Helmcken Fall. Er ist ein Wasserfall des Murtle River im Wells Gray Provincial Park. Kurz bevor der Fluss in den Clearwater River mündet, stürzt er vom Murtle-Plateau 141 Meter in die Tiefe. Damit ist er der vierthöchste Wasserfall Kanadas – gelegen im südöstlichen British Columbia.

Unterwegs begegneten uns auch die ersten Tiere. Es waren Wapitis, eine Hirschart, ähnlich unserem Rotwild. Friedlich grasten sie am Straßenrand und ließen sich von den vielen Neugierigen kaum stören. Prächtige Tiere – nur um einiges größer als ihre europäischen Vettern.

Wir zählten bei einem der Bullen vierzehn Enden. Was für ein gewaltiges Geweih! Nur Elche konnten da noch mithalten, mit ihren mächtigen Schaufeln.

Doch wir mussten weiter, wollten wir gegen Abend endlich bei unseren Freunden sein. Unser Ziel: die Nuit Mountain Guestranch.

Diese Guestranch unserer Freunde Brigitte und Manfred liegt mitten in der Wildnis – nahe den Coast Mountains im Westen von British Columbia. Etwa 23 Kilometer südlich von Tatla Lake, an der Route von Williams Lake nach Bella Coola an der Pazifikküste.

Die Guestranch hatte zwei Cabins – eine für zwei Personen und eine für vier. Von dort aus hatte man einen fantastischen Blick auf die Nuit Mountains im Westen. Das Panorama war wirklich traumhaft.

Unsere Freunde waren schon oft durch Kanada gereist und hatten dort viele Urlaube verbracht. Später entschlossen sie sich dann sogar, ganz dorthin auszuwandern. Im Jahr 1993 begannen sie mit dem Aufbau ihrer eigenen Gastranch. Am Anfang lebten sie selbst in einer kleinen Cabin – einem Blockhaus, das sie später an Gäste vermieten wollten. Zwei dieser Blockhäuser wurden als Erstes fertiggestellt.

Manfred arbeitete derweil am großen Wohnhaus. Die Möbel und das ganze Inventar, das sie aus Deutschland mitgebracht hatten, waren zunächst in einem großen Zelt untergebracht.

Die Blockhäuser und das Wohnhaus sind ganz nach deutschem Standard eingerichtet. Das Wohnhaus hat sogar ein Basement, also einen Keller – was in Kanada eher unüblich ist.

Alles in allem bieten die Cabins einen angenehmen Komfort – mit Dusche, fließend warmem und kaltem Wasser – und erlauben den Urlaubern, sich wirklich zu erholen und zu entspannen.

Das einmal vorneweg.

Wir aber waren zu diesem Zeitpunkt erst unterwegs dorthin. Noch befanden wir uns in Clearwater und genossen die Nacht in einem bequemen Bett. Durch das kleine Fenster fiel am Morgen Sonnenlicht und weckte mich – gemeinsam mit dem Geräusch der Dusche.

Mein Freund Jürgen war – wie fast immer – schon aufgestanden und machte sich frisch. Nach der langen Fahrt von Jasper bis hierher hatten wir beide eine Dusche auch dringend nötig.

Schlaftrunken schälte ich mich aus meiner Decke und sah auf die Uhr. Wow – erst halb sieben.

Na ja, ich kannte das schon von unseren früheren Touren. Wenn wir unterwegs waren – zum Campen oder auf einer Kanutour – schliefen wir nie besonders lang. Außer vielleicht, wir saßen am Vorabend noch länger am Lagerfeuer. Bei Bier und geistigen Wässerchen konnte das schon mal vorkommen. Doch gestern hatten wir keine Lust mehr, noch herumzulaufen oder uns irgendwo einen Schlummertrunk zu genehmigen. Und auf dem Campingplatz, nahe der Stadt, gab es ohnehin keinen Alkohol zu kaufen.

In Kanada ist das ganz anders als bei uns in Deutschland. Wo man hierzulande an jeder Ecke – ob Kiosk, Tankstelle oder Supermarkt – Bier, Wein und Schnaps bekommt, darf in Kanada nur derjenige Alkohol verkaufen, der eine staatliche Lizenz dafür besitzt. Und die bekommt nicht jeder. Ein «Liquor Store», also ein Spirituosenladen, ist keine Selbstverständlichkeit – und schon gar nicht an jeder Straßenecke zu finden.

Zum Thema Alkohol in Kanada muss ich grundsätzlich noch etwas sagen: Nach landläufiger Meinung – und nicht nur nach der Auffassung der Gesetzgeber – übersteigen die potenziellen Gefahren von Alkohol jene von Schusswaffen oder Automobilen um mehrere Größenordnungen.

Deshalb ist der Erwerb und Konsum in manchen Provinzen auch erst gereiften Persönlichkeiten über 21 Jahren gestattet.

In dem Alter hat man bei uns in Europa unter Umständen schon eine legale Säuferkarriere hinter sich.

Offenbar drohen auch strenge Strafen, wenn sich ein Verkäufer nicht an die Vorschriften hält. Er kann seine Lizenz verlieren – und damit unter Umständen seine gesamte wirtschaftliche Existenz.

Vielleicht wäre das mal ein Denkanstoß für unsere Politik, um dem Komasaufen im eigenen Land Einhalt zu gebieten.

Auch das Trinken in der Öffentlichkeit ist in Kanada verboten. Sich also mit einem Bier auf eine Parkbank zu setzen und sich langsam wegzuschütten – Fehlanzeige.

In manchen Provinzen bekommt man am Wochenende sogar überhaupt keinen Alkohol zu kaufen.

Und so mussten wir auf unseren Reisen durchs Land immer rechtzeitig an unsere Versorgung denken – besonders, wenn wir etwa auf eine mehrtägige Kanu-Tour gingen. Aber das sei nur am Rande erwähnt.

Froh gelaunt kam Jürgen aus der Dusche, sah mein verschlafenes Gesicht – und grinste breit.

«Na, auch schon munter?», rief er.

«Ich bin schon fast eine Stunde auf den Beinen. Es ist ein herrlicher Tag. Wir wollen doch heute zum Helmcken Fall.»

«Jo joo», murrte ich. «Ich will auch erst mal duschen.»

Ich brauchte von Haus aus eine Weile, bis meine Lebensgeister geweckt wurden. Eigentlich bin ich ein Morgenmuffel – und frühes Aufstehen widerspricht meiner Natur.

Beim Duschen hörte ich schon das Klappern von Geschirr. Jürgen war bereits damit beschäftigt, uns ein kräftiges Frühstück zu machen. Danach waren wir fit – und der Tag konnte uns neue Abenteuer bescheren.

Wieder einmal waren wir beeindruckt von der herrlichen Landschaft, als wir durch den Wells Gray Park fuhren.

Dunkle Nadelwälder wechselten sich ab mit bunten Inseln aus Laubbäumen – hinter jeder Kurve eröffnete sich ein neues Bild.

Die Berge mit ihren lichtdurchfluteten Birken- und Ahornwäldern boten ein Schauspiel, das uns immer wieder den Atem nahm.

Es war noch früh am Morgen, gegen neun Uhr.

Die Sonne schien zwischen den Bäumen hindurch, und ihre Strahlen brachen sich tausendfach in den feinen Tautropfen.

Ein herrliches Farbenspiel lag über dem Land.

Es war nicht mehr weit bis zum Wasserfall, und doch kamen uns schon zu dieser Zeit einige Autos und Wohnwagen entgegen.

Dann sahen wir auch schon die Hinweisschilder – wir hatten unser Ziel erreicht.

Wir stellten unseren Mietwagen auf dem Parkplatz ab und gingen die letzten hundert Meter bis zum Aussichtspunkt zu Fuß.

Schon von Weitem hörten wir das dumpfe Rauschen des Wasserfalls. Dann traten wir aus dem Wald heraus – und da lag er vor uns: der Helmcken Fall.

Was für ein Anblick!

Ich, als begeisterter Videofilmer, holte sofort meine Kamera aus der Tasche – und legte los.

Der Schutz dieses Wasserfalls war einer der Hauptgründe für die Entstehung des weitgehend bewaldeten und von Bären bewohnten Naturparks. Ein weiterer Grund für die Ausweisung des Gebiets als Schutzraum – und gegen die Besiedlung – waren die vulkanischen Aktivitäten in dieser etwa 5000 Quadratkilometer großen Wildnis des Wells Gray-Clearwater-Vulkanfeldes.

Benannt wurde der Wasserfall nach dem deutschstämmigen Arzt John Sebastian Helmcken, der im Auftrag der Hudson’s Bay Company in British Columbia tätig war und mit dazu beitrug, das Land der Kanadischen Konföderation anzugliedern. Ironischerweise bekam Helmcken den Wasserfall selbst nie zu Gesicht.

Staunend und beeindruckt standen wir vor diesem herrlichen Naturwunder. Das dumpfe Rauschen unterdrückte jeden unserer Begeisterungsrufe. Und so erging es auch einigen anderen Besuchern, die sich zu dieser Stunde hier eingefunden hatten.

Nach etwa einer Stunde rissen wir uns schließlich von dem großartigen Schauspiel los und fuhren zurück nach Clearwater.

Den Rest des Tages verbrachten wir mit Spaziergängen in der Umgebung und besuchten dabei auch das Visitor Center, um uns genauere Infos über die Gegend zu holen.

3.Kapitel Auf der Gastranch

Am folgenden Morgen machten wir uns fertig.

Wir wollten die restliche Strecke zu unseren Freunden in einem Rutsch zurücklegen – immer auf dem Highway 24 und dann weiter auf dem 97er, bis nach Williams Lake. Von dort aus gab es nur noch eine Straße, die nach Westen führte: den Highway 20.

Teilweise auf einer sogenannten Gravel Route, also einer Schotterpiste, fuhren wir mit Tempo 90 – der erlaubten Höchstgeschwindigkeit – unserem Ziel entgegen.

Unterwegs bekamen wir mächtig Kohldampf.

Und da weit und breit nichts zu sehen war, das auch nur annähernd nach einem Imbiss oder Restaurant aussah, hielten wir schließlich in der kleinen Siedlung Chilanko Forks an. Hier boten Indianer den Durchreisenden Fast Food an. Nicht gerade mein Ding – ich hasse Fast Food –, aber der Hunger musste gestillt werden.

Mampfend saßen wir im Auto, und Jürgen grunzte zwischen zwei Bissen, dass er noch nie so einen guten Burger gegessen hätte.

Ich sah meinen handtaschengroßen Cheeseburger misstrauisch an und bekam Zweifel, ob ich meine Kiefer überhaupt so weit auseinanderbringen konnte, um hineinzubeißen. Doch es klappte – und obwohl der Ketchup samt allem anderen an den Seiten herausquoll, stillte ich mit diesem Ding meinen ersten Hunger.

Einigermaßen gesättigt machten wir uns auf zur letzten Etappe.

Endlich erreichten wir die kleine Ortschaft Tatla Lake, wo wir abbiegen mussten. Jetzt waren es nur noch ein paar Kilometer – dann hatten wir es geschafft.

Diese letzten Kilometer waren eine reine Freude.

Mit einer riesigen Staubwolke hinter uns tobten wir ausgelassen über die Schotterpiste. Immer wieder rollten wir dabei über sogenannte Rinderraster – breite Metallgitter im Boden, die verhindern sollen, dass das überall frei herumlaufende Vieh die Straße überquert.

Jürgen grinste: «Bis zum Manfred Esser wird der Weg nicht besser.» Lachend über diese trockene Bemerkung pflichtete ich ihm bei.

Unser Freund hatte uns zwar eine Wegbeschreibung geschickt. Wir sollten bei einem Telefonhäuschen abbiegen und dann etwa drei Kilometer einem Waldweg folgen, bis wir sein Grundstück erreichten. Aber wir sahen kein Telefonhäuschen.

Wo zum Teufel sollte in dieser Einöde so ein technisches Relikt herumstehen?

Wir fuhren und fuhren, dachten schon, wir hätten uns verfahren, als plötzlich am linken Straßenrand etwas auftauchte, das ganz und gar nicht zur Wildnis ringsum passte. Wir wurden langsamer – und erkannten tatsächlich eine einsame Telefonzelle.

Staunend sagte ich: «Das kann doch nicht wahr sein. Mitten im Nirgendwo steht hier ein Telefonhäuschen.»

Das ist ja so, als würde bei uns im tiefsten Harz mitten an einem Waldweg so etwas stehen.

Lachend und immer noch ungläubig bogen wir – wie beschrieben – ab. Nach etwa drei Kilometern sahen wir tatsächlich ein hölzernes Gatter vor uns. Es stand offen.

Wir hielten an, stiegen aus – und ein Schild bestätigte uns, dass wir richtig waren.

Nuit Mountain Guest Ranch stand in verschnörkelter Schrift darauf geschrieben. Darüber wehte sanft die rot-weiße Kanada-Flagge im Wind.

Wir hatten es geschafft.

Jetzt nur noch die Zufahrt hoch – und nach ein paar hundert Metern standen wir vor dem großen Haupthaus.

Manfred kam uns entgegen.

Mit großem Hallo, Umarmungen und Schulterklopfen begrüßten wir uns. Gemeinsam gingen wir die paar Meter zu einer der Cabins – dem kleinen Blockhaus, in dem Manfred und seine Frau wohnten, bis das Haupthaus fertiggestellt war.

Stöhnend ließen wir uns auf die Sessel auf der Veranda fallen. Die Fahrt hatte uns doch etwas geschlaucht.

Dann kam auch Brigitte heraus, und die Begrüßung von vorhin wiederholte sich mit derselben Herzlichkeit.

Anschließend wurde erst einmal erzählt – über den Flug, über all die Überraschungen unterwegs und natürlich über unseren Start in Deutschland. Wir packten unsere Geschenke aus, und ein freudiger Manfred probierte sofort die kleine Maschine aus, mit der man ganz einfach Zigaretten drehen konnte.

Bei einem kühlen kanadischen Bier rief Manfred in unverkennbarem Kasseler Dialekt: «Ich dachte, ihr wolltet zu dritt hierherkommen. Wo iss dann der annere?» Der andere – damit meinte er Bernd.

Wir erzählten ihm die unglaubliche Story, und seine Augen wurden immer größer. Auch Brigitte wollte es kaum glauben.

«Was hot der dann vor 'ne Macke?», rief Manfred. «Do iss der einfach widder abgehauen? Das kann doch alles nit wohr sinn!»

Und dabei lachte er – bis ihm fast die Tränen kamen. «Do haut der einfach us Kanada widder ab, der Blödmann!» Er konnte sich kaum beruhigen.

Naja – auch wir hatten so etwas noch nie erlebt.

Noch lange saßen wir an diesem Abend mit kühlem Bier auf der Veranda. Wohlweislich hatten wir unser Zelt schon vorher auf der großen Wiese vorm Haus aufgebaut, sodass wir später nur noch müde, aber glücklich in unsere Schlafsäcke krochen.

Ich schlief tief und traumlos in dieser ersten Nacht.

Am nächsten Tag sahen wir uns erst einmal das riesige Grundstück unserer Freunde an. Sogar ein kleiner, kristallklarer Bach floss oberhalb des Geländes durch ein kleines Wäldchen.

Das große Haupthaus und eine der Cabins waren noch im Bau.

Manfred machte vieles selbst. Ein paar Freunde kamen ab und an vorbei und halfen ihm.

Haus und Cabins waren ganz aus massiven Zedernstämmen gefertigt. Es roch nach Harz, Holz und Natur – eine würzige Duftmischung, die ich so liebte.

Unser Freund führte uns herum, und wir staunten über die gemütliche Atmosphäre, die man jetzt schon erahnen konnte.

Aus beiden Cabins und von der umlaufenden Veranda des Haupthauses hatte man einen wunderbaren Blick – auf die Nuit Mountains, bis hinunter zu dem kleinen See, der etwa drei Kilometer entfernt lag.

Dazwischen erstreckte sich dichter Nadelwald, durchzogen von einzelnen Laubbäumen.

Einige hundert Meter hinter dem Anwesen lebte ein Nachbar. Ein Künstler hatte dort sein Domizil errichtet. Aus Hölzern und Baumwurzeln fertigte er einzigartige, kunstvolle Wohnmöbel.

Heute, am ersten Tag, wollten wir die nähere Umgebung erkunden. Manfred erzählte uns, dass wir – mit etwas Glück – Elche beobachten könnten. Dafür müssten wir allerdings ein paar Kilometer den Berg hinauf. Oben gäbe es einen großen Kahlschlag – dort hatte er schon öfter welche gesehen.

Also machten wir uns auf den Weg.

Ohne zu ahnen, dass gleich das erste Abenteuer auf uns wartete.

4.Kapitel Verirrt im Wald

Hinter dem Haus, über den Bach und in Richtung Osten den Berg hinauf – so beschrieb unser Freund uns den Weg.

Da es sehr warm zu werden schien, hatten wir nur unsere kleineren Rucksäcke umgeschnallt, in denen sich gekühltes Bier in Dosen befand. (Wasser gibt es nur in Notfällen – lach!)

Dann ging es los.

Frohgemut und lachend durchbrachen wir das Unterholz. Es sollte zwar irgendwo auch einen Waldweg geben, der auf den Berg führte – doch den fanden wir erst einmal nicht. Irgendwann würden wir schon auf ihn stoßen … dachten wir!

Manfred erzählte uns, dass es hier einige Schwarzbären gebe, und ab und zu werde auch mal ein Puma gesichtet.

Na also – was sollte uns jetzt noch passieren?

Krachend arbeiteten wir uns durchs Dickicht. Mit glänzenden Augen immer vorwärts. Ja, das war es doch, was wir suchten: Wildnis pur!

Wir waren ja eigentlich erfahrene Wanderer und Kanuten. Doch bei uns zu Hause gab es nichts Vergleichbares. Gegen diese Wildnis hier sahen unsere Wälder aus wie aufgeräumt und sauber gefegt.

Langsam fingen wir an zu schwitzen – und weit und breit kein Waldweg in Sicht. Ab und zu, an einem Baum, ein blaues Bändchen. Wir nahmen an, es handele sich vielleicht um Markierungen von Waldarbeitern.

Dann – nach etwa zwei Stunden, in denen wir uns durchs Unterholz gekämpft hatten – mussten wir einsehen, dass wir uns verlaufen hatten.

Na dann: Prost!

Wir sahen buchstäblich den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr. Schnaufend setzten wir uns erst einmal hin und nahmen einen Schluck vom schon langsam warm werdenden Bier.

Dann sahen wir uns um.

So viel Dickicht und Unterholz hatte ich bisher nur in Filmen gesehen. Manchmal kam es einem vor, als stünde zwischen den Bäumen eine Hütte – doch das waren die Strukturen der Bäume, die übereinandergefallen waren und diesen Eindruck erweckten.

Auch Jürgen sah sich lachend um und meinte:

«Wir wollten Wildnis – jetzt haben wir Wildnis.»

Wir orientierten uns am Sonnenstand und an der Uhrzeit und beschlossen, zurückzugehen. Wenn wir den Weg auf den Berg nicht finden, war es sinnlos weiterzugehen.

Durch dieses fast undurchdringliche Dickicht würde es Tage dauern, bis wir vielleicht mal am Ziel ankamen. Und es war auch zu gefährlich.

Wir mussten auf jeden Fall bis zum Einbruch der Dunkelheit zurück sein. Und so machten wir uns auf den Heimweg.

Der war genauso mühselig. Über umgestürzte Bäume, durch Gestrüpp und dichtes Unterholz quälten wir uns Richtung Westen.

Ich nahm das ganze Geschehen auf Video auf und fluchte leise, weil ich dauernd stolperte und einmal fast auf meine Kamera gefallen wäre.

Nach ein paar Stunden hatten wir es geschafft – und erkannten an der Umgebung, dass wir «zuhause» waren.

Manfred sah uns schon von Weitem kommen. Wir müssen ziemlich ramponiert ausgesehen haben, denn er lachte uns entgegen: «Na, seid ihr vom Weg abgekommen oder habt ihr den Mount Everest bezwungen?» Ich winkte nur ab und schnaufte: «Du und deine Wegbeschreibung! Über den Bach, den Berg hinauf – das klang einfacher, als es war.» Brigitte kam aus dem Haus, blieb kurz stehen, musterte uns und verschwand kichernd wieder in der Küche.

Wir schälten uns aus unseren verschwitzten T-Shirts und kippten erst mal kaltes Wasser aus der Regentonne über die Köpfe. Herrlich! Dieses Gluckern auf der Haut nach Stunden im Dickicht – unbezahlbar.

Später saßen wir wieder auf der Veranda, mit einer Flasche Bier in der Hand und den Füßen hochgelegt.

«Ihr habt also keine Elche gesehen?», fragte Manfred. «Elche?», meinte Jürgen trocken, «Wir hätten nicht mal einen Dinosaurier bemerkt, so wie wir durchs Unterholz gestolpert sind.»

Dann zeigten wir Manfred das Video, das ich aufgenommen hatte. Verwackelte Aufnahmen, viel Geäst im Bild, dazu meine geflüsterten Flüche – und Jürgen, wie er sich über eine Wurzel legte.

Manfred lachte Tränen. «Das ist besser als Fernsehen!», prustete er. «Dokumentarfilm mit Actioneinlage», ergänzte Brigitte trocken.

Trotz allem – es war genau das, was wir gesucht hatten. Kein Touristenpfad, kein Hinweisschild. Nur wir, der Wald, und das Gefühl, wirklich draußen zu sein. Abends, als die Sonne sich hinter den Bergen verabschiedete, beschlossen wir, es morgen wieder zu versuchen

Wir mussten uns eingestehen, dass es gar nicht so einfach war, sich in der Wildnis zurechtzufinden. Man kann ganz in der Nähe einer Siedlung sein – und sich trotzdem nach ein paar hundert Metern verlaufen.

Doch da wir in Sachen Navigation keine Anfänger waren, ging alles gut. Ich kann Neulingen nur raten, sich nicht allzu weit von bewohnten Gebieten zu entfernen. Ohne einen ortskundigen Führer ist man schnell auf dem falschen Weg.

Sogar wenn man sich bloß aus einer Stadt oder einem kleinen Ort entfernt, kann es passieren, dass man plötzlich mitten in der Wildnis steht – und sich verirrt hat. So nahe liegen Zivilisation und Wildnis in Kanada beisammen.

Als Manfred erfuhr, was wir erlebt hatten, musste er herzlich lachen. Er erklärte uns den Weg noch einmal ganz genau – und ein paar Tage später fanden wir dann auch ohne Mühe das angegebene Ziel.

Oben auf dem Berg angekommen, staunten wir über einen riesigen Kahlschlag.

In Kanada ist es leider so, dass immer noch große Teile der ursprünglichen Wildnis abgeholzt werden. Gerade in British Columbia ist die Holzwirtschaft stark vertreten. Es wird zwar wieder aufgeforstet, doch der Baumbestand braucht lange, um seine ursprüngliche Größe wieder zu erreichen.

Aus der Luft sehen die Kahlschläge aus wie große braune Inseln inmitten der sonst grünen Vegetation.

Ich zog mein Fernglas aus der Tasche und suchte die Umgebung ab – doch weit und breit war kein Elch zu sehen.

Nur einige Adler kreisten über unseren Köpfen – leider zu hoch zum Filmen.

Am Waldesrand entdeckte ich eine verfallene Blockhütte. Und wie ich nun mal bin, musste ich sie untersuchen. Doch außer ein paar leeren Flaschen, alten Stiefeln und einem rostigen Ofen war nichts mehr zu finden.

Es war wohl schon eine ganze Weile her, dass hier Holzfäller geschuftet hatten. Das merkte man auch an dem ersten zarten Grün, das sich zwischen den Wurzeln und dem Totholz breitmachte.

Einige kleine Sträucher, Farne und Wildblumen wuchsen bereits wieder – und in ein paar Jahren wird der Waldboden wohl von jungen Bäumen zurückerobert worden sein.

Die gerodete Fläche hatte bestimmt einen Durchmesser von zwei Kilometern.

Wir durchquerten das Gebiet – in der Hoffnung, vielleicht doch noch Elche zu entdecken. Doch leider ließ sich keines der Tiere blicken.

Also machten wir uns wieder auf den Heimweg.

Nachmittags wollten wir uns von der Wanderung erholen und zu dem kleinen See in der Nähe fahren.

Manfred hatte dort sein Boot liegen, und vielleicht fingen wir ja sogar einen Fisch fürs Abendbrot.

Das Wetter war herrlich: blauer Himmel mit ein paar weißen Wolkenfetzen und eine Sonne, die uns bis spät am Nachmittag begleitete.

Am See wohnten einige Leute. Man sah ihre weit verstreuten Hütten zwischen den Bäumen und hörte Lachen und Gesprächsfetzen.

Darunter waren auch einige Aussteiger, die das Leben in der Stadt und die Zivilisation satt hatten – und sich hier, mitten in der Natur, ein Zuhause aufgebaut hatten.

Doch auf dem See waren wir zu dieser Zeit die Einzigen.

Ich setzte mich nach hinten, übernahm das Ruder und steuerte das Motorboot, während Jürgen die Angel klar machte und den Köder anbrachte. Dann fuhr ich langsam auf das andere Ende des Sees zu.

Das Brummen des Motors und das leise Glucksen der Bugwelle waren die einzigen Geräusche, die zu hören waren, als ich auf die Mitte des Sees zusteuerte. Dann stellte ich den Motor ab, und Jürgen befestigte die Angel an der Bordwand. Ich lehnte mich zurück und machte ein Nickerchen.

Was für eine Wohltat. Diese Stille, die ich aus Deutschland kaum kannte. Selbst in unseren heimischen Wäldern hört man immer irgendetwas – sei es ein naher Ort, Spaziergänger oder Autos.

Hier in Kanada kann man die Stille förmlich hören.

Ab und zu öffnete ich die Augen und sah, dass auch mein Freund ein Nickerchen machte.

Einige Zeit später wurde ich durch ein Poltern geweckt. Jürgen hatte die Angel in der Hand und warf die Leine ein paar Meter weiter ins Wasser. Er grinste und sagte: «Bis jetzt hat noch keiner angebissen. Lass uns fahren, es ist schon später Nachmittag!»

Ich warf den Motor wieder an, und langsam fuhren wir zurück. Jürgen machte die Angel fest und ließ den Haken hinter dem Boot durchs Wasser ziehen. Vielleicht klappte es ja noch auf dem Rückweg.

Ich wollte allerdings mal sehen, was das Boot so hergab – und gab Gas. Mit schäumender Bugwelle zogen wir übers Wasser.

Es ging ganz schön ab, und Jürgen lachte: «