Jeder Tag ein Muttertag - Katharina Grabner-Hayden - E-Book

Jeder Tag ein Muttertag E-Book

Katharina Grabner-Hayden

4,7

Beschreibung

Warum ein Liptauer Anlass für einen versteckten Mutter-Tochter-Konflikt ist, sich Großväter oftmals betrinken müssen und die schönsten Weihnachten mit dem Hund in der Badewanne gefeiert werden, beschreibt die Autorin mit viel Witz und einer großen Portion (Selbst)Ironie. Das vielzitierte Mutterglück entlarvt sich als emotionale Hochschaubahn, ein Leben zwischen Beruf, Küche, plärrenden Kindern, genervten Pädagogen und hysterischen Verwandten. Pfiffig gewürzt und zubereitet sind die zwanzig Kurzgeschichten von einer Frau, die es wissen muss. Die Autorin ist Mutter von vier aufgeweckten Kindern. Eines ist gewiss: Nach zwanzig Jahren ist das Schlimmste überstanden. Hoffentlich! Ein Buch für Männer, Frauen, Väter, Großväter, Großmütter, Mütter und all jene, die es nach dieser Lektüre trotzdem noch werden wollen.

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Katharina Grabner-Hayden

Jeder Tag ein Muttertag

Katharina Grabner-Hayden

Jeder Tag ein

Muttertag

Satiren ausdem alltäglichen Familienchaos

Wir danken den kleinen Künstlern der1a, 3a und 4c der Josef-Wondrak-Volksschule Stockerausowie Kristoph und Lucas Fleißnerfür ihre Zeichnungen.

Besuchen Sie uns im Internet unterwww.amalthea.at

© 2012 by Amalthea Signum Verlag, WienAlle Rechte vorbehaltenSchutzumschlaggestaltung: Kurt Hamtil, verlagsbüro wienUmschlagbild: © istockphoto.com/jacekWooLektorat: Elisabeth FleissnerHerstellung: studio e, Josef EmbacherGesetzt aus der 10/13 pt Weidemann bookGedruckt in der EU

ISBN 978-3-85002-790-8eISBN 978-3-90286-229-7

Inhalt

Ein Vorspiel

Das Geheimnis

Eine fast perfekte Familie

Aller guten Dinge sind drei

Jeder Tag ein Muttertag

Berufliche Ambitionen

Babysitter gesucht

Von Socken und anderen Grässlichkeiten

Eine kranke Familie

Beim Gynäkologen

Alle Mütter sind sexy

Lehrer sind auch nur Menschen

SMS oder der Kampf mit dem Konjunktiv

Die kulinarische Therapie

Von der richtigen Zubereitung eines Liptauers

Urlaubsfreuden

Perpetuum mobile

Tierisch gute Weihnachten

Ein ganz »normaler« Adventtag

eBay auf katholisch

Rollentausch

Für meine Kinderund meinen geliebten, geduldigenEhemann

Ein Vorspiel

Nicht schon wieder ein Familienratgeber!

Dieses Buch ist keiner. Versprochen! Nur eines vorweg: Das vorliegende Buch ist gefährlich, denn entweder stürzen Sie sich nach Beendigung dieser Lektüre mit Ihrem Partner ins Bett und zeugen zehn Kinder, oder Sie greifen zitternd zum Telefon und vereinbaren einen Termin bei Ihrem Gynäkologen – zur baldigen Sterilisation.

Bei mir ist es zu spät, ich habe vier Kinder. Und was für welche!

Ich lebe mit der Rasselbande auf dem Lande, aus Liebe zur Natur. Der wahre Grund aber ist, wir wären aus unserer Mietwohnung in Wien schon hundertmal delogiert worden. Nicht aus Geldmangel, sondern wegen der Lärmbelästigung, die meine kleinen Lieben täglich produzieren. Denn das Alter meiner Kinder erstreckt sich von Windelträgern bis pubertierende Jugendliche. Wobei manches Mal nicht klar ist, welche Lebensphase einer Mutter angenehmer erscheint: schreiendes Kleinkind oder jugendlicher Besserwisser.

Uns zu beschreiben fällt mir besonders schwer. Subjektiv gefärbt, als stolze Mutter von vier Söhnen, würde ich sagen: »Es gibt nichts Schöneres!«, obwohl mir schon das erleichterte Aufatmen mancher Gäste beim Verlassen unseres Hauses aufgefallen ist, die einen baldigen Besuch versprachen und dann nie wieder kamen.

Ein Freund des Hauses, von Beruf Priester, hat es einmal trefflich formuliert. Bei jedem noch so kleinen Zweifel an seinem zölibatären Leben würde er uns aufsuchen, bereits nach zwei Tagen sehne er sich wieder ins Kloster zurück.

Schön, dass wir ihm dabei immer wieder helfen können.

Eine Familie ist ein komplexes und kompliziert zu durchschauendes soziales Gewebe, ein Strickpullover mit bunten, teils dünneren, teils dickeren Fäden, mit geraden und ungeraden Maschen, nie fertig und doch immer mit vollem Enthusiasmus gestrickt.

So ist auch meine Familie, ich liebe sie und bei all den Mühseligkeiten und schwierigen Situationen, die die Lieben jeden Tag bereiten, würde ich heute mit Edith Piaf singen: »Non, je ne regrette riens« – Nein, ich bereue nichts.

In keinem noch so teuren Seminar über Organisationsentwicklung, Prozessmanagement, Rhetorik, Gruppenführung oder Motivation kann man so viel lernen und auch effizient umsetzen, wie in einer Familie.

Ein ständiges Auf und Ab, ein Sich-Lieben und Zeitweise-aus-dem-Weg-gehen, ein Aufraffen, ein Diskutieren, ein Streiten und Wiederfinden in einem Meer von ungelösten Problemen, neuen Handlungsperspektiven und Heiterkeiten. Unterschiedliches Alter, unterschiedliche Generationen mit ihren Meinungen und Visionen können blühen oder auch welken, dem ständigen Risiko ausgesetzt, dass das System kippt.

Ich habe in den vorliegenden Geschichten versucht, humorvoll Alltäglichkeiten zu beschreiben, die außerge-wöhnlicher nicht sein können, und doch werden sich viele Frauen, besonders Mütter, darin wiederfinden. Allein, eines steht fest: Frauen leisten Unvorstellbares!

Ich habe Geschichten über dieses bunte, undurchdringliche Gewebe an geraden und ungeraden Maschen geschrieben, das sich Familie nennt. Kurzgeschichten, die auch noch abends gelesen werden können, bevor der Schlaf die ewig müden Glieder übermannt.

Ein kleiner Trost für alle Mütter: In zwanzig Jahren ist das Ärgste überstanden! Hoffentlich!

Ich danke vielen meiner Freundinnen, deren Erfahrungen und Erlebnisse als Mütter in dieses Buch eingeflossen sind, meinen Kindern, die mir die besten Alltagsgeschichten lieferten und meinem geduldigen Ehemann, der, während ich dieses Buch schrieb, die Kinder versorgte, kochte, sich um den Haushalt kümmerte und mich einfach so sein ließ, wie ich bin.

Eine schreibende Mutter.

Das Geheimnis

»Mama, schläfst du schon?«

»Fast.«

Es ist halb elf Uhr in der Nacht. Johannes ist unter meine Bettdecke gekrochen und schmiegt sich zärtlich an meine Seite.

Stille.

»Mama?«

»Ja.«

»Bist du noch gar nicht aufgeregt?«

»Warum sollte ich aufgeregt sein?«

»Na, weil in zwei Tagen Muttertag ist!«

»Warum sollte ich da aufgeregt sein?«

»Weil du so tolle Geschenke bekommst, aber ich darf dir nichts verraten!«

»Dann sag bitte nichts. Es soll ja eine Überraschung werden.«

Stille.

»Mama?«

»Ja?«

»Ich habe dich ganz super lieb!«

»Ich dich auch, mein Schatz. Willst du Wasser trinken oder musst du aufs Klo?«

»Nein, ich muss nicht.«

»Dann schlaf jetzt, mein Kind. Gute Nacht!«

»Gute Nacht, Mama!«

Stille.

»Mama?«

»Johannes, du darfst heute bei mir schlafen, also sei bitte still. Weck die anderen nicht auf und mach die Augen endlich zu.«

»Okay.«

Stille.

»Mama?«

»Pst!«

»Willst du gar nicht wissen, was Papa dir zum Muttertag schenkt?«

»Nein, mein Schatz, es soll ja eine Überraschung werden.«

»Er schenkt dir eine neue Kette, so eine, die du dir immer schon gewünscht hast.«

»Echt?«

»Ja, eine mit Glasperlen, die so schön glitzern, wenn die Sonne drauf scheint.«

»Da freu ich mich aber sehr, mein Schatz! Sei jetzt ganz still und versuche zu schlafen.«

»Okay.«

Stille.

»Mama, die anderen haben auch ganz tolle Geschenke für dich.«

»Das glaube ich dir, aber sag jetzt nichts mehr, sonst verratest du mir ja alles.«

»Wir haben dich aber alle so lieb!«

»Ich euch auch! So, und nun schlaf endlich!«

»Okay.«

Stille.

»Mama?«

»Ja?«

»Meines hab ich so gut versteckt, dass du es nie finden kannst.«

Ich bin schon so müde, dass ich kaum mehr antworten kann. Ich lege mich zur Seite, und wir liegen Körper an Körper gekrümmt im Bett. Ich rieche an seinen Haaren, sie duften wie ein Weizenfeld im Sommer.

»Ich liebe dich«, hauche ich ihm in sein kleines Ohr.

»Ich dich auch.«

Stille.

»Mama, von Ferdinand bekommst du einen selbstbemalten Bilderrahmen.«

Stille.

»Und von Constantin einen Topflappen.«

Stille. Ich schlafe bereits.

»Mama?«

Stille.

»Mama!!!«

»Ja, mein Schatz.«

Ich bin nun munter, der Kleine hat es endlich geschafft.

»Mein Geschenk habe ich so gut in der Speisekammer hinter dem Mehl versteckt, darauf wärst du nie gekommen!«

»Spann mich nicht mehr auf die Folter!«

»Nein, das kann ich dir nicht sagen, ist ja eine Überraschung!«

»Sag schon!«

»Nein!«

»Sei nicht so, bitte!«

»Schlaf jetzt endlich, Mama!«

»Nein, jetzt kann ich nicht mehr!«

»Pst, du weckst ja alle anderen auf!«

»Sag schon, was ist es?«

Johannes hat mich nun wirklich neugierig gemacht.

»Nein, kann ich nicht, das soll ja eine Überraschung werden!«

Stille.

»Johannes?«

»Mmhh?«

»Johannes!!«

»Mama, lass mich endlich schlafen!«

»Du hast mich ganz aufgeregt gemacht! Sag schon, was ist es denn?«

»Das darf ich dir nicht sagen. Aber sei jetzt endlich ruhig, zwei Mal noch schlafen und dann ist eh Muttertag, gute Nacht!«

»Gute Nacht!«

Eine fast perfekte Familie

Wir sind eigentlich eine ganz normale Familie. Vater, Mutter und vier aufgeweckte Buben.

Ein Mittelding aus bekannten amerikanischen Erfolgsserien, die bei uns in Europa im Vorabendprogramm laufen und bei denen man sich immer denkt: Gott sei Dank, das gibt’s nur im Fernsehen!

Stimmt nicht ganz, meine Familie ist ein Verschnitt aus Malcom mitten drin und der Addams Family.

Wobei mir als Mutter der Teil der keifenden, schreienden Horrormutter zukommt, die Kinder immer arm sind und der Vater zwischen beruflicher und persönlicher Überforderung hin und her pendelt.

Eltern sind immer im Unrecht, Kinder immer im Recht. Und zwischen diesen Welten leben und lieben wir uns.

Vielleicht sind wir am besten über unseren Kühlschrank zu beschreiben.

Als eines Tages ein lieber Freund zum Abendessen erschien, wollte er sich in der Küche etwas nützlich machen. Er fragte, wie er mir helfen könne.

Ein Gläschen Prosecco wäre nun das Richtige für mich. Den fragenden Augen meines Freundes antwortete ich kurz: »Im Kühlschrank«.

Zum besseren Verständnis ist zu erwähnen, dass er unverheiratet und kinderlos ist.

Andreas machte unbekümmert den Kühlschrank auf und erstarrte zur Salzsäule.

Neun Liter Milch, zwölf Joghurts, vier Packungen Butter, ein halber Kilo Käse, sechs Flaschen Bier, drei Stangen Wurst, Gläser mit Gurken und Mais. Vierundzwanzig Eier, zwei Hühnchen und eineinhalb Kilo Schweinskarree für den nächsten Tag.

»Um Gottes willen, was ist denn das?«, konnte ich ihn nach Luft ringend noch stöhnen hören.

»Das ist der Vorrat unserer Familie für die kommenden zwei Tage.«

Für eine Woche ergibt das eine Rechnung von vierzehn Litern Milch, vier Kilo Brot, fünfzig Dekagramm Schinken, einem halben Kilo Käse. Umgelegt auf ein Jahr, wenn wir nur bei Wurst, Käse und Milchprodukten bleiben, 728 Liter Milch, 208 Kilo Brot, 26 Kilogramm Schinken, 26 Kilo Käse und tausende Joghurts.

Da soll mir nun ein Wirtschaftswissenschafter erzählen, Familien würden eine Volkswirtschaft belasten, ganz im Gegenteil! Je kinderreicher ein Haushalt, desto mehr wird das Bruttoinlandsprodukt angekurbelt.

Kindergartenpädagogen, Lehrer, Ärzte, Bekleidungs- und Sportfachgeschäfte, Beamte der Sozialversicherung, Physiotherapeuten und – für Mütter im späteren Alter – Psychotherapeuten. Viele Wirtschaftszweige leben von solchen Großfamilien, wie wir eine sind.

Sah man mich vor wenigen Jahren mit meinen Liebsten in Großmärkten und Billigstores einkaufen, so war ich die Mutter, die mit zwei Wägen bewaffnet durch die kilometerlangen Flure fuhr. In einem Einkaufswagen saß bequem mein Jüngster, wie ein König thronend, daneben Windeln, Öltücher, zwei Kisten Mineralwasser und Bier, Fleisch, Nudeln, Kartoffeln, Salat und kiloweise Karotten, Mehl im Zehnerpack und für die übermüdete Mutter sieben Dosen Energydrinks, für jeden Tag eine, gleich zum Frühstück.

Irgendwann war Manuel unter den Bergen an Klopapier und Nudelsäcken verschwunden. Er liebte dieses Versteckspiel, konnte er doch unbemerkt die Reissäckchen öffnen und seinen Brüdern, die irgendwo im Geschäft zwischen beladenen Einkaufswägen anderer genervter Mütter ihre Späßchen trieben, mittels einer Reis- oder Semmelwürfelspur zeigen, wo wir uns gerade befanden. Hätte ich ihm doch nie die Geschichte von Hänsel und Gretel erzählt!

Von einem Einkaufserlebnis konnte da keine Rede mehr sein.

Wenn die Kassen klingelten, störte es auch niemanden, dass sich Ferdinand, Johannes und Constantin ständig an den Regalen vergriffen, da mussten noch Fruchtzwerge oder tonnenweise Chips in den Wagen.

Mühselige Verhandlungen und Dispute folgten. Chips seien reine Chemie und machen nur dick, Mami würde so etwas nie essen, versuchte ich ihnen zu erklären.

»Warum bist du dann so dick?«, konterte unschuldig Johannes. Das tat weh.

»Weil Mamis starke Frauen sein müssen, damit sie das alles schleppen und heben können«, antwortete ich in sein unschuldiges Gesicht.

»Dazu brauchst du nur Muskeln, aber keinen so großen Hintern«, grinste mich Ferdinand an, während er sieben Stangen Schokolade in den Einkaufswagen legte.

Ferdinand ist der Älteste und zugleich der Wortgewandteste der Rasselbande.

Was anfänglich entzückend auf die Erwachsenenwelt wirkte, stellte sich im späteren Alter immer mehr als verbaler Bumerang heraus, der uns Eltern traf und uns zur Weißglut trieb. Von klein auf haben wir uns intensiv um ihn gekümmert, er stellte tausend Fragen, die wir als junge, naive Eltern sehr gewissenhaft und ehrlich beantworteten.

So war Ferdinand ein Kind, das man wahrscheinlich als frühreif bezeichnen konnte. Seine Rhetorik war beeindruckend. Nicht so sein Verhalten.

Denn als er sauber werden sollte, der Kindergarten stand vor der Türe und man nahm nur Kinder, die keine Windeln mehr trugen, sahen wir uns veranlasst, den ganzen Sommer an seinem Zwang, eine »Windel haben« zu müssen, zu arbeiten. Der eigentliche Grund seiner Vorliebe für Windeln war die Eifersucht auf seinen jüngeren Bruder Johannes, aber das verstanden wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht, denn wir dachten, wir würden liebevolle Eltern für beide sein. Ferdinand strafte uns daher mit dem Tragen von Windeln. Oft erklärte ich ihm die Zusammenhänge, so viel Plastik sei schlecht für die Umwelt, er könnte in seinem Alter auch schon einen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Er verstand, aber seine Geschäfte musste er trotzdem in das warme kleine Ding verrichten.

Wie es in pädagogischen Lehrbüchern über Kindererziehung steht, belohnten wir ihn und versprachen ihm hunderte Dinge. Nichts half.

Bis die beste Schwiegermutter eines Tages mit einer liebreizenden Plastikschildkröte auf Besuch kam. Man konnte ihren braunen Panzer heben und das kleine Ding als Klo benutzen. Stolz präsentierte sie mir ihre neue Idee, die ich zweifelnd Ferdinand vorstellte. Dieser war sichtlich entzückt und uns glänzten die Augen vor Freude, jetzt hatten wir ihn überlistet. Plötzlich stand er auf, holte sich eine Windel, zog sie sich fachmännisch selbst an, wie er es gewohnt war, und versteckte sich wie üblich hinter dem Vorhang.

Auf meine Aufforderung, er bräuchte keine Windel mehr, weil er nun einen kleinen Plastikfreund hätte, der mit ihm seine Intimitäten teilen könnte, meinte er lapidar: »Mama, das ist ja reizend von Omi, mir dieses Geschenk zu machen, aber ich kann doch nicht in so eine liebe Schildkröte scheißen, da ist mir die Windel lieber und auch hygienischer!«

Ich hatte verloren. Irgendwann löst sich aber bekanntlich jedes Problem, wenn man nur nicht so verbissen daran arbeitet.

Nun wieder zurück in den ganz normalen Einkaufswahnsinn.

»Ferdinand, du bist aber heute wieder rasend charmant, gewöhn dir das bitte ab, das kommt nicht gut bei Frauen an!«

Er hatte ja Recht, so wie Kinder in ihrer unbekümmerten Art meist die Wahrheit herausplappern. Meine Kleidergrößen wuchsen überproportional zu den Jahren. Mayer-, Müller- und Montagsdiäten hielten nicht lange. Abends, wenn ich erschöpft am Sofa saß und angenehme Ruhe im Haus herrschte, konnte ich kulinarischen Versuchungen aus dem Kühlschrank oder irgendwelchen halb geöffneten Chipspackungen aus dem Kinderzimmer nicht widerstehen.

Ich war schwach und leicht verführbar. Wie wäre ich sonst zu so vielen Kindern gekommen?

Jetzt musste ich nur mehr die Hürde mit den Süßigkeiten an der Kasse nervlich überstehen. Klein Manuel war nun der Kopf der Bande, während ich zentnerschwer die Großpackungen auf das Laufband legte, versorgte er stillschweigend seine Brüder mit Schleckereien, die auch sofort geöffnet wurden.

Wenn ich nervlich stark war und ausgiebig geschlafen hatte, war ich Meisterin im dualen Arbeiten.

Eine Hand legte die Waren auf das Laufband, die andere nahm Manuel die Dinge wieder weg und steckte sie in die höheren Regale, währenddessen erklärte ich den Kindern den Zusammenhang von Diabetes, Leberfunktionsstörungen und Gallenproblemen im Alter.

War ich unausgeschlafen, also nervlich am Ende, besorgte der Kleine den süßen Einkauf. Und schwach war ich oft, weil leider immer unausgeschlafen.

Liegt es an Hormonumstellungen nach den Schwangerschaften, meinem Beruf, den ich nur mehr marginal ausüben kann oder wirklich nur am Schlafmangel? Ich bin immer müde.

Im Laufe der Zeit aber habe ich nach unzähligen durchwachten Nächten bei verschnupften Kleinkindern oder pubertätsgeschwängerten Gesprächen mit meinem ältesten Sohn den Sekundenschlaf als Notlösung gelernt.

Ich stehe in der Küche beim Herd – wo sonst – und schließe für ein paar Minuten die Augen. Tief falle ich in einen todesähnlichen Schlaf, aus dem ich nach ein paar Sekunden unsanft durch die aufsteigenden Gerüche verbrannter Zwiebel oder lautes Geschrei aus dem Kinderzimmer erwache. Schlafen ist eine äußerst wichtige Tätigkeit für Mütter. Es dient nicht nur der Entspannung und Erholung, sondern ist Hingabe an einen Zustand unbeschwerten Träumens. Ein kurzes Abtauchen in eine andere Wirklichkeit.

Johannes zwickte mich spürbar in meinen Oberschenkel. Weg waren sie, die Träume.

Er war hochrot im Gesicht und schrie mich vorwurfsvoll an, er fühle sich von seinen Brüdern bedroht, er gäbe seine Ordnung für solche Armleuchter nicht auf. Er verborge keine Radiergummis, keine Bleistifte und keine Lineale mehr.

Ich versuchte ihn zu trösten, schob die Zwiebel von der Herdplatte und folgte ihm ins Kinderzimmer, das einem Schlachtfeld glich.

Je müder, umso tiefer der Kurzschlaf und das intensive Träumen, desto heftiger aber Streit und Desaster im Kinderzimmer.

Ich musste kurz Luft holen. »Was habt ihr euch dabei gedacht? Ihr seid ja von Sinnen!«, schrie ich geschockt in die aggressive Runde. Sie hörten meine Kritik nicht. Der Kampf um Radiergummi und Lineal war wichtiger. Ich verstand Johannes, der seine Ordnung gegen seine chaotischen Brüder ständig verteidigen musste, gut.

»Lösungsorientiert handeln!«, schoss es mir durch den Kopf, ein Relikt aus vergangenen beruflichen Tagen.

Ich rannte in den Keller, dort hatte ich mir bereits zu Schulbeginn ein geheimes Versteck an Schulutensilien angelegt. Stolz präsentierte ich meinen Schatz in der Hoffnung, dass nun endlich Ruhe für ein angeregtes Studium von Kreissegmenten und den dazugehörigen Radien eintrat.

Meine Verwunderung war groß, Lineale und Bleistifte waren vergessen, es ging nun im Kampf, der mit Kissen, Decken und Büchern ausgetragen wurde, um die Ehre und ums Prinzip, eine schrecklich genetische Ausrichtung, die nur Männer haben. Wie konnte ich das nur vergessen haben!

Nun wurde geschlichtet und der gordische Knoten entwickelt. Jeder sollte sagen dürfen, wie es dazu gekommen war und die anderen sollten zuhören.

Diese Strategie funktioniert aber nur in pädagogischen Büchern, nach dem ersten Satz brüllte Ferdinand bereits ein feindseliges Statement in die Runde und der Kampf ging weiter.

In solchen Momenten denke ich mir oft, dass Therapeuten oder Pädagogen, die über Kindererziehung schreiben, keine Kinder haben können, oder zumindest nicht solche wie meine.

Ich hielt das nicht mehr aus, Pädagogik hin, Pädagogik her, und brüllte in die Runde: »SCHLUUUUSS!«

Plötzlich war es still. Natürlich war dieser Urschrei kein probates erzieherisches Mittel, aber immerhin effektiv, denn es herrschte endlich Ruhe.

Meine Methoden, Kinder zu erziehen, sind simpel: Ablenkung und Erpressung. Eiskalt!

Ich habe schon lange aufgehört, pädagogische Schriften zu lesen, sie frustrieren zu sehr. Weil einfach nicht klappen will, was statistisch, analytisch und psychologisch hinlänglich bewiesen ist, aber immer nur in anderen Familien.

Bei jüngeren Raufbolden kann man durch Sport oder das Versprechen, in den nächst gelegenen Eissalon zu fahren, ausweglose Situationen retten. Pubertierende Kinder erpresst man am besten mit den Worten: »Beim nächsten Nicht genügend zahlst du dir deinen Nachhilfelehrer von deinem Taschengeld!« Das funktioniert immer.

Manches Mal aber kann man einen gordischen Knoten nur noch durchschneiden!

Während ich die Unterhosen und Leibchen vom Boden wieder zusammengelegt in die Kastenfächer schlichtete, trafen die Befehle meine Liebsten wie Pfeile.

So saßen wir teilweise am Boden, sortierten die Fußballerkarten vom Rest der ausgeschütteten Memory-Karten, wuschen vorsichtig das Coca Cola von der Wand – Johannes hatte in dieser Weise versucht, seine Wut zur Geltung zu bringen – und besprachen das Vorgefallene.

Die Wogen glätteten sich langsam und Johannes zeigte sich sogar bereit, seinem Bruder aus freiem Willen Radiergummi und Lineal zu überlassen.

Kann es etwas Schöneres geben als den Zustand intensiver Versöhnung?

Oh ja! Schlaf.

Es war kurz nach Mittag und Manuel brauchte seine Nachmittagsbanane. Ich schleppte mich in die Küche und bereitete sein Mahl, nachdem ich ihn schon sehnsuchtsvoll vor Hunger jammernd in seinem Zimmer hörte.

Sechs Stunden noch und dann konnte ich endlich ins Bett. Das würde ich schaffen!

Johannes kam unbemerkt und sichtlich erleichtert zu mir in die Küche, drückte mich, er merkte meine Erschöpfung und meinte: »Schau Mama, was würdest du ohne uns Kinder machen?«

Ich umarmte ihn zärtlich. Mein Gott, was ich ohne euch machen würde?

Ich wäre um zwanzig Kilo leichter, müsste mich nicht bei den XXL-Kleiderständern in diversen Billigkaufhäusern herumtreiben und wäre nicht gezwungen, etwas vom Ständer für Umstandsmode zu nehmen.

Ich käme zum Lesen! Bücher, die sich meterhoch neben meinem Bett stapelten, und deren Gedanken ich einsaugen würde wie ein hungriger Wolf.

Ich würde in der Früh aufstehen und duschen, mich in Ruhe schminken können, ohne dass mir ständig Cremes oder Accessoires fehlten, und ich müsste nicht stundenlang nach Nagelfeile und Schere suchen.

Ich könnte ruhig meine Arbeit im Büro erledigen, meine Projekte entwickeln und erhobenen Hauptes als Chefin meinen Verhandlungspartnern sagen: »Den Rest erledigen meine Anwälte.«

Ohne lästige Anrufe eines aufgewühlten Babysitters könnte ich meinen Nachmittagskaffee trinken und vorzeitig meine Arbeitsstätte verlassen. Ich würde shoppen gehen, ohne an sieben Liter Milch, zehn Semmeln und Toastschinken denken zu müssen.

Mir bliebe Zeit, interessante Seminare zu besuchen, die meine Persönlichkeit entwickeln und meine Phantasie anregen, und ich müsste nicht mit meinen lieben Kleinen Mathematik üben oder Lateinvokabeln lernen. Ich könnte endlich ganze deutsche Sätze formulieren, ohne ständig durch ein Zwicken oder Maulen darauf aufmerksam gemacht zu werden, dass eine Windel notwendig wäre oder wieder Hunger die kleinen Mägen plagte.

Mit Freundinnen ein Gläschen Sekt trinken und danach schlafen. Schlafen, wann immer ich Lust dazu hätte. Das wäre herrlich!

»Mama, hast du gehört, was ich gerade zu dir gesagt habe?«

»Natürlich, mein kleiner Liebling. Es wäre nicht auszuhalten ohne euch, schrecklich langweilig! Ich liebe dich.«

Johannes konnte es so gut. Umarmen.

Verflogen waren Schlaf und Müdigkeit, ich brauchte kein Red Bull und keinen Kaffee mehr, küsste ihn, roch an seinen struppigen Haaren und widmete mich wieder Klein Manuel und seiner Banane.

Man wächst nicht nur in Körpermaßen, man wächst auch mit den Herausforderungen, die die kleinen Bälger jeden Tag von Kindergarten, Schule oder Freunden mitbringen. Die Art, wie ich sie begeistern, wie ich ihre Aufmerksamkeit lenken, wie ich täglich Geduld und Ausdauer an ihnen erproben kann, hilft mir oft in schwierigen beruflichen und privaten Situationen.

Es ist ein ständiges Wachsen und Lernen.

Constantin, unser Dritter, hat eine ausgeprägte Liebe zur Natur. Wir hatten, nachdem wir aus der Großstadt aufs Land gezogen waren, die Möglichkeit, nicht nur Tiere im, sondern auch außerhalb unseres Hauses großzuziehen. Er hatte sich schon in jungen Jahren für das liebe Federvieh interessiert und so war es nur noch eine Frage der Zeit, dass wir die ersten Hühner in einem kleinen Stall hatten. Zum Leidwesen unserer Nachbarn, denn zu einer Schar von Hühnern gab es natürlich auch einen Hahn, der ab fünf Uhr in der Früh lautstark seine Existenz bekundete.

Niemand konnte Constantin böse sein, denn samstags ging er von Haus zu Haus und verschenkte seine Bioeier. Gegen freiwillige Spenden, die man ihm auch großzügig gab.

Nach einiger Zeit hatten wir nicht nur Hühner, sondern auch Laufenten, französische Barbarieenten und Gänse. Irgendwann waren die vielen Zweibeiner nicht mehr in ihrem Stall unterzubringen, so musste ein neues Grundstück für Constantins Hobby angekauft werden. Langsam, fast unmerklich, entwickelte sich der kleine, niedliche Hühnerstall zu einem Großgrundbesitz.

Lange hatte ich mich dagegen gewehrt, doch mit der Zeit liebte ich diese kleine Kolchose, die mir in gestressten Zeiten idyllische Ruhe und Harmonie gewährte.

So wurde ich – ob ich wollte oder nicht – zu einer Hühnerbäuerin, die intensiven Kontakt zu anderen Bauern und Züchtern pflegte.

Und weil es egal war, ob sich ein oder mehrere Wollschweine auf dem Grund tummelten, Kühe auf der Weide grasten und Ziegen frohlockend die Zweige der Obstbäume fraßen, entstand ein mittelgroßer landwirtschaftlicher Betrieb, der bald als Schaubauernhof in jedem Tourismusführer als besondere Attraktion unserer Gegend angepriesen war. Vielleicht wollte man auch nur eine schwitzende Biobäuerin bei der Arbeit beobachten.

Schulklassen konnten mich und meinen Mann – wir hatten uns für dieses Lebensexperiment extra ein Jahr Auszeit von jeglicher beruflicher Verpflichtung genommen – beim Schafe Scheren und Wolle Spinnen beobachten. Milch konnte frisch getrunken werden, und die Kinder aus der Stadt durften endlich eine echte Kuh sehen, die zu ihrem Erstaunen nicht violett war.

Im Bioladen, den Constantin betreute, konnte man selbstgekochte Marmeladen und eigenfüßig gestampftes Sauerkraut um überhöhte, weil Biopreise, kaufen. Nachdem der Andrang immer größer wurde, und wir das angrenzende Grundstück nicht für Tiere, sondern für einen neuen Parkplatz ankaufen mussten, weil wir Busse und Privatautos nicht mehr unterbringen konnten, räumten wir unser Haus, das zu einem strahlenden Seminarzentrum umgebaut wurde. Die Kinder mussten zur Großmutter übersiedeln, wir benötigten ihre Zimmer für Tai-Chi, Qigong und sonstige Selbstfindungsseminare.

Das Geschäft lief blendend, anfänglich lebten wir von den neugierigen Gästen benachbarter Heurigenbetriebe, später profitierten alle von den viel umjubelten Synergien, ein Betrieb für den anderen, und zum Schluss, als wir schon eine eigene Gaststätten- und Beherbergungs-GesmbH. gegründet hatten, zogen wir uns leider den Neid und die Missgunst unserer Nachbarn zu.

Wir waren aus unserem harmonischen Gleichgewicht gebracht worden.

So beschlossen wir, wieder zu leben wie vorher, lösten unsere Geschäfte, bauten unser Haus wieder kindergerecht um, verkauften den Großteil unserer Tiere und holten unsere Kinder, die mittlerweile in unterschiedlichen Heimen wohnten, zurück in den trauten Schoß der Familie.

Wir sind nun als etwas schrullige Familie verschrien, aber immerhin geachtet und auch geschätzt, weil es im Dorf wahrscheinlich niemanden gibt, der immer Freunde bei sich zu Besuch und immer ein volles Haus hat.

Sogar mein unverheirateter, kinderloser Freund Andreas schätzt uns. Trotz 728 Litern Milch, 208 Kilo Brot, 26 Kilo Schinken, 26 Kilo Käse und tausenden Joghurts.

Mit genügend Prosecco, versteht sich.

Aller guten Dinge sind drei

oder

Wie man durchs Fußballspielenzum Schreiben kommt

Schon lange hege ich den Wunsch, ein Buch über meine Best(i)en zu schreiben.

Die Kinder würden sich über eine entspannte Mutter freuen, die, mit der Krone des Erfolges für ihre Entbehrungen belohnt, Geld in Strömen fließen lassen würde, das sie sofort in iPhones oder Flachbildschirme investieren könnten.

Mein geliebter Ehemann hoffte, er könnte endlich seine beruflichen Verpflichtungen reduzieren und mehr seinem geliebten Hobby frönen, nicht mir, nicht den Kindern, nicht irgendwelchen Reparaturarbeiten im Haus, der Jagd.

Dabei verabscheute ich eigentlich immer Jäger. Diese armen Tiere! Nun war mein Mann selbst zu einem dieser weidmännischen Mörder geworden. Das Argument meiner liebsten Schwiegermutter war aber auch nicht ganz von der Hand zu weisen, denn sie meinte pragmatisch, die Jagd sei zwar ein zeit- und kapitalintensives Hobby, käme aber immer noch günstiger als eine versteckte Liebschaft. Ihr Argument war plausibel. Sie sprach wohl aus Erfahrung, doch war darin schon ein wahrer Ansatz hochkomplexer Beziehungsprobleme zu sehen, den sie lebensnah und vor allem simpel zu erklären verstand.

Und ich, ich hätte fünf Babysitter an jeder Hand, könnte mich in mein Büro zurückziehen und endlich meine Geschichten über das Leben und Überleben in einer Großfamilie einer interessierten Leserschaft zum Besten geben.

Allein, ich hatte zwei nicht unbedeutende Probleme.

Ich war am deutschsprachigen Buchmarkt weder bekannt, noch berühmt, wer sollte in einem von Neuerscheinungen überschwemmten Buchhandel reüssieren, und wer wollte gerade mein Buch kaufen?

Das zweite Problem war mein pathologischer Zeitmangel.

Da half kein Klagen und kein Jammern. Meine Freundin Fiona hatte wie immer einen guten Ratschlag parat.

»Du musst dich bekannt machen, damit du berühmt wirst!«

»Kannst du mir bitte sagen, wie das gehen soll? Wenn ich es wüsste, wäre ich schon längst Bestsellerautorin, auf einer einsamen Insel in der Karibik und würde an meinem nächsten Buch arbeiten.«

»Ganz einfach, du brauchst einen handfesten Skandal!«

»Wie bitte?«

»Ja, wirklich! Schau dir doch die Zeitungen an! Sie sind voll damit. Das verkauft sich! Das ist Lifestyle, den die Menschen mögen! Schau dich doch an, du bist so schrecklich normal! Du musst in unserem Land nur irgendetwas außergewöhnlich Blödes tun, dann wirst du berühmt.«

»Ich kann das nicht. Ich bin weder Exministerin, weder Ex-Inhaftierte, noch will ich meine Sexpraktiken irgendjemandem erzählen.«

»Dann fang dir einfach ein skandalöses Verhältnis mit einem katholischen Pfarrer an und schreib darüber, dann wird dich die österreichische Presse lieben!«

»Unser Pfarrer hat schon eines, das haut doch heute niemanden mehr aus den Schuhen! Trotzdem muss ich erst einmal mein Buch schreiben, dann kann ich mir immer noch eine Marketingstrategie ausdenken«, antwortete ich trotzig.

Fiona meinte bei diesen Diskussionen immer wieder, es müsste in meinem Leben erst etwas Schlimmes passieren, damit ich endlich Zeit fände und zu schreiben begänne, für eine skandalöse Schlagzeile würde sie danach schon sorgen.

Sogar die liebste Schwiegermutter bat mich, das Erlebte endlich zu Papier zu bringen. Viele Frauen fänden Trost und Zuversicht in meinen Worten.

Aus ihrer katholischen Tradition heraus fing sie an, Kerzen dem heiligen Ivo zu opfern. Je länger sich mein schriftstellerisches Ansinnen in zukünftige Sphären bewegte – ich musste meine diesbezüglichen Ambitionen aufgrund grippaler Infekte oder gebrochener Beine immer wieder verschieben – desto mehr Kerzen spendete sie in unterschiedlichen Kirchen. Ganze Ordenshäuser hatten dabei ihr Auslangen, sogar eine kleine Waldkapelle konnte mit dem Kerzengeld renoviert werden.

Für schwierige Situationen wäre der heilige Judas Thaddäus und für aussichtslose der heilige Ivo zuständig.

Und mein Fall war aussichtslos. Scheinbar musste sie viele Kerzen angezündet haben, denn das Schicksal ereilte mich schneller, als mir lieb war.

Da sich sogar Gott über die Untätigkeit seiner Heiligen zu mokieren begann, schickte er mir ein Wunder.

Es war das wildeste Frühjahr, das ich je erlebt hatte. Denn nach einem Gesundheitscheck, bei dem mir ein Alter von einhundertzwölf Jahren vorausgesagt wurde, teilte mir mein Hausarzt mit, dass ich vielleicht etwas für meinen Körper, vor allem für meine Gelenke tun sollte, sie könnten bei aller Liebe das Gewicht, das ich trug, keine siebzig Jahre mehr aushalten. Übersetzt hieß das: Abnehmen und Ausdauertraining – als ob ich das nicht mental ohnehin dauernd tat.