Jenseits von Afrika - Tania Blixen - E-Book
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Jenseits von Afrika E-Book

Tania Blixen

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Beschreibung

»Ich hatte eine Farm am Fuß der Ngong-Berge.«

Die majestätische Landschaft mit sanften Hügeln, unendlichen Steppen und Savannen zog Tania Blixen augenblicklich in ihren Bann, als sie 1914 nach Nairobi kam, um dort eine Kaffeeplantage zu betreiben. In farbigen Bildern beschreibt sie die märchenhaft-mystische Atmosphäre des Schwarzen Kontinents, erzählt von den Bräuchen der Einheimischen und von so mancher bewegenden Begegnung, etwa mit einem kranken Kikuyujungen, den sie in ihr Herz schließt und zum Koch ausbildet. Mit dieser Liebeserklärung an Natur und Ureinwohner Kenias schuf Tania Blixen große Weltliteratur.

Das Sehnsuchtsbuch aller Afrika-Liebhaber und Sinnsucher – großartig verfilmt mit Meryl Streep und Robert Redford in den Hauptrollen.

PENGUIN EDITION. Zeitlos, kultig, bunt. – Ausgezeichnet mit dem German Brand Award 2022

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Seitenzahl: 637

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Große Emotionen, große Dramen, große Abenteuer – von Austen bis Fitzgerald, von Flaubert bis Zweig. Ein Bücherregal ohne Klassiker ist wie eine Welt ohne Farbe.

Tania Blixen (1885–1962) wanderte nach dem Studium der Malerei in Kopenhagen, Paris und Rom 1914 nach Kenia aus, wo sie den schwedischen Baron Blixen-Finecke heiratete und zu schreiben begann. Mit ihrem autobiografischen Roman, 1937 erschienen, wurde sie weltberühmt.

«Zu Nostalgie und Vornehmheit tritt in Tania Blixens Afrika-Buch die echte Schönheit in Stil, Haltung und Geist.» Peter Urban-Halle, Frankfurter Allgemeine Zeitung

«Ein Buch, um sich einen Sommer lang darin zu verlieren.» Vogue

«Mystische Afrika-Welten und Schicksalsgeschichten – das ist der Stoff, aus dem Tania Blixen ihre Geschichten schöpfte.» 3sat-Kulturzeit

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Tania Blixen

JENSEITS VON AFRIKA

Aus dem Dänischen von Gisela Perlet

Mit einem Nachwort von Ulrike Draesner

Die dänische Originalausgabe erschien 1937 unter dem Titel Den afrikanske Farm bei Gyldendalske Boghandel, Nordisk Forlag A/S, Copenhagen.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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Copyright © 1937 by Karen Blixen & Gyldendalske Boghandel, Nordisk Forlag A/S, Copenhagen

Copyright © 2010/2017 der deutschsprachigen Ausgabe by Manesse Verlag

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Umschlag: Regg Media in Adaption der traditionellen Penguin Classics Triband-Optik aus England

Umsetzung eBook: Greiner & Reichel, Köln

ISBN 978-3-641-26844-2V001

www.penguin-verlag.de

Reiten, Bogenschießen und die Wahrheit sagen1

I

Kamante und Lullu

Die Farm am Ngong

Ich hatte eine Farm in Afrika am Fuß der Ngong-Berge2. Die Äquatorlinie zog sich fünfundzwanzig Meilen weiter nördlich durchs Hochland, doch meine Farm lag zweitausend Meter über dem Meer. Mitten am Tag konnte man diese Höhe und die Nähe der Sonne wohl empfinden, aber nachmittags und abends war es klar und kühl, und die Nächte waren kalt.

Geographische Lage und Höhe über dem Meeresspiegel hatten hier vereint eine Landschaft hervorgebracht, die auf der ganzen Welt nicht ihresgleichen kannte. Sie war herb, ihre Linien waren lang gezogen, nirgendwo gab es Überfluss, weder prächtige Farben noch üppige Vegetation wie in tief gelegenen Tropenländern. Ihre Farben waren trocken und gebrannt wie die von Töpferwaren. Die Bäume trugen zarte, gefiederte Blätter, die anders angeordnet waren als die Blätter der europäischen Bäume, nicht in Kuppeln, sondern in breiten, waagerechten Schichten und Parabeln. Diese besondere Struktur des Laubs verlieh den frei stehenden Bäumen eine palmenähnliche, beschwingte Silhouette oder auch eine romantische, heroische Haltung, wie sie ein Schiff mit vollen Segeln zeigt. Und die langen Waldsäume nahmen sich dadurch so merkwürdig aus, als ob der ganze Wald bebte. In den Savannen standen die alten krummen Dornbäume einzeln und für sich, und das Gras duftete würzig nach Thymian und Porst, manchmal so heftig, dass es in den Nasenlöchern brannte. Die Blumen, die man in der Steppe oder an den Schlingpflanzen der jungfräulichen Wälder fand, waren so winzig wie Dünengewächse, doch wenn die lange Regenzeit begann, erblühten viele verschiedene Arten von üppigen, schweren Lilien und verströmten einen betäubenden Duft. Nach allen Seiten war die Aussicht weit und unendlich. Alles in dieser Natur strebte nach Größe, Freiheit und hohem Adel.

Das wichtigste Element dieser Landschaft und des Lebens hier war die Luft. Blickt man auf einen mehrjährigen Aufenthalt im afrikanischen Hochland zurück, dann überkommt einen überraschend das Gefühl, als hätte man lange Zeit in der Luft gelebt. Der Himmel war niemals tiefblau, sondern zumeist sehr blass und so hell, dass man kaum zu ihm aufschauen konnte, mit einem Reichtum an riesigen, schwerelosen, wechselnden Wolken, die sich am Horizont auftürmten und über ihn hinwegsegelten. Doch eine blaue Kraftquelle lag darin verborgen und verlieh dem Höhenzug ganz in der Nähe eine tiefe, frische, himmelblaue Farbe. In der Mittagshitze wurde die Luft über der Ebene lebendig wie eine brennende Flamme, sie funkelte, wogte und strömte wie Wasser und formte große Phantasmagorien. In dieser hohen Luft fiel das Atmen leicht, und man atmete eine wilde Hoffnung ein, die Flügeln glich. Wenn man im Hochland morgens erwachte, dachte man: Jetzt bin ich da, wo mein Platz ist.

Das Ngong-Gebirge zog sich als langer Höhenzug von Norden nach Süden und wurde von vier edlen Gipfeln gekrönt, die wie erstarrte Wellen aus dunklerem Blau zum Himmel aufragten. Sein höchster Punkt lag zweitausendsiebenhundert Meter über dem Meeresspiegel, und seine Ostseite erhob sich siebenhundert Meter über das angrenzende Land. Doch nach Westen fiel es viel schroffer und steiler ab, die Hänge stürzten sich fast senkrecht in das riesige Tal Rift Valley.

Im Hochland wehte der Wind ständig von Nordnordost. Es war der gleiche Wind, den man an den Küsten Afrikas und Arabiens als Monsun bezeichnet, der Ostwind, das Lieblingspferd König Salomos3. In dieser Höhe empfand man ihn als den leichten Widerstand des Äthers, wenn sich die Erde dem Raum entgegenwarf. Der Wind wanderte direkt auf die Ngong-Berge zu, deren Hänge ein idealer Startplatz für ein Segelflugzeug gewesen wären – die Luftströmung hätte es vom Fuß des Gebirges bis über den Kamm getragen. Die Wolken, die mit dem Wind reisten, stießen gegen die Berge und blieben hängen, oder sie wurden von den Gipfeln aufgespießt und entluden sich in Regenschauern, während jene, die eine größere Höhe erreichten, die Klippe umschifften und unmittelbar westlich davon über den glühenden Wüsten von Rift Valley verdampften. Oft habe ich von meinem Haus den Flug der Wolken übers Gebirge verfolgt und mit Staunen beobachtet, wie sich die stolzen Massen, sowie sie über den Kamm gelangten, in Luft auflösten und verschwanden.

Von der Farm aus betrachtet, änderte das Gebirge mehrmals am Tag sein Aussehen. Es gab Zeiten, da schien es ganz nah zu sein, zu anderen Zeiten war es unendlich fern. Sah man es abends in der Dämmerung, wirkten die Konturen der finsteren Berge wie mit einer zarten, feinen Silberlinie auf den dunkelnden Himmel gemalt, und wenn dann die Nacht hereinbrach, war es, als würden die vier Gipfel flacher und niedriger, als reckte und streckte sich das Gebirge, um sich zur Ruhe zu begeben.

Man hatte von Ngong Hills eine einzigartige Aussicht. Im Südosten sah man die weiten Steppen, die großen Jagdgebiete, die sich bis zum Kilimandscharo erstreckten, im Nordosten die parkähnliche Landschaft der flacheren Hügel und dahinter die Wälder und noch weiter entfernt die wellige Landschaft des Kikuyureservats, das sich hundertundfünfzig Kilometer weit bis zum schneebedeckten Mount Kenya ausdehnte. Das gesamte Kikuyuland glich einem Mosaik, bestehend aus kleinen viereckigen und dreieckigen Maisfeldern, Bananenpflanzungen und Weiden, und mitten darin stieg hier und da blauer Rauch aus einem Negerdorf auf, das an ein Häuflein von kleinen, spitzen grauen Pilzen erinnerte. Im Westen aber, ganz in der Tiefe, lag eine Mondlandschaft, das afrikanische Tiefland. Die braungraue Wüste war mit winzigen Dornbäumen gesprenkelt, die gewundenen Flussläufe wurden von breiten, unregelmäßigen grünen Linien eingefasst, den riesigen, weitverzweigten Mimosenbäumen, deren Dornen so dick wie sechszöllige Nägel waren. Hier wuchsen Kakteen, hier lebten Giraffen und Nashörner.

Aus der Nähe gesehen, war das Gebirge Ngong Hills riesig, abwechslungsreich und geheimnisvoll, mit langen Tälern, Dickicht und Gebüsch, grünen Hängen und steinigen Klüften. Hoch oben unter einem der Gipfel wuchs sogar ein Bambuswald. In den Bergen gab es Quellen und Wasserläufe, ich hatte mein Zelt neben ihnen aufgeschlagen.

Zu meiner Zeit lebten in den Ngong-Bergen Büffel, Elenantilopen und Nashörner; sehr alte Eingeborene erinnerten sich noch daran, dass es dort Elefanten gegeben hatte, und ich bedauerte, dass nicht das gesamte Gebirge zum Wildreservat erklärt worden war. Nur in einem kleinen Bereich war das Wild geschützt, der Steinhaufen auf dem südlichen Gipfel markierte die Grenze. Wenn sich die Kolonie Kenia weiterentwickelt und die Hauptstadt Nairobi zur Großstadt heranwächst, könnte man hier einen Wildpark haben, der in der Welt einmalig wäre. Doch in den letzten Jahren meines Afrikaaufenthalts fuhren die jungen Geschäftsleute und Büroangestellten aus Nairobi mit ihren Motorrädern sonntags in die Berge und schossen auf alles, was ihnen unter die Augen kam, und ich glaube, das Großwild hat das Gebirge verlassen und sich nach Süden in den dichteren Wald und in die Felsengegenden verzogen.

Das Gebirge war rau und unwegsam, wenn man jedoch den Kamm erreicht hatte, ging es sich leicht dort. Das Gras war kurz und wie geschoren, hier und da brach durch die Grünfläche das graue Gestein. Auf dem schmalen Grat, der wie eine meilenlange, geräuschlose Achterbahn über die vier Gipfel führte, verlief ein Wildwechsel. Als ich einmal mein Lager in den Bergen aufgeschlagen hatte, kletterte ich eines Morgens zu diesem Pfad hinauf und folgte ihm, und da fand ich frische Spuren und Losung einer Herde von Elenantilopen. Die großen, anmutigen, friedlichen Tiere hatten gewiss bei Sonnenaufgang den Gipfel besucht und waren dann in einer langen Reihe, eins hinter dem andern, auf dem Pfad gewandert, sie waren hergekommen, um zu beiden Seiten auf das Land hinabzuschauen – aus welchem Grund sonst?

Wir bauten auf meiner Farm Kaffee an. Tatsächlich lag die Gegend für Kaffee etwas zu hoch, und die Bewirtschaftung machte große Mühe. Wir waren niemals reich. Doch eine Kaffeeplantage ist ein Unternehmen, das die Leute packt, die sich damit befassen, und sie nicht wieder loslässt. Da gibt es stets viel zu tun, ja fast immer sitzt einem die Zeit im Nacken.

Inmitten der wilden Landschaft nimmt sich ein ebenmäßiges und bepflanztes Stück Land gut aus. Später, als ich über Afrika flog und meine Farm aus der Luft kennenlernte, erfüllte mich der Anblick meiner eigenen Plantage, die so ordentlich und frisch grün dalag, umgeben von Wildnis, Steppe und Urwald, immer wieder mit Bewunderung, und mir ging auf, wie sehr das menschliche Herz geometrische Figuren liebt und sich nach ihnen sehnt. Die gesamte Umgebung Nairobis, vor allem im Norden, war in der gleichen Weise bebaut; hier wohnten Leute, deren Gedanken ständig um Kaffee kreisten – wie man ihn pflanzt, beschneidet und pflückt – und die nachts nicht schlafen konnten, weil sie über Verbesserungen für ihre Kaffeeanlagen grübelten.

Kaffeeanbau ist eine langwierige Arbeit. Sie ist schwieriger, als man sich vorstellt, wenn man im strömenden Regen seine Setzkästen mit glänzenden jungen Pflanzen aus der Baumschule holt und alle Arbeitskräfte der Farm auf dem Feld sind. Man achtet darauf, dass die Löcher in der feuchten Erde, in denen sie wachsen sollen, tief und gleichmäßig sind, im dichten Schatten abgebrochener Zweige aus dem Unterholz – denn Verborgenheit ist ja das Privileg junger Wesen –, doch die Hoffnungen, die man damit verbindet, erfüllen sich nicht. Es dauert drei oder vier Jahre, bis die kleinen Bäume tragen, und in der Zwischenzeit kommt Dürre über das Land, oder Pflanzenkrankheiten brechen aus, und zwischen den Kaffeebäumchen sprießt das freche einheimische Unkraut, Macdonaldia und Black-Jack, dessen lange, scharfe Samenhülsen sich in die Strümpfe bohren und wie Feuer brennen. Einige Bäumchen wurden zu nachlässig gepflanzt, sodass sich ihre Hauptwurzel verkrümmte, sie gehen kurz vor der Blüte ein.

Man pflanzt auf einem Acre4 Land etwas mehr als sechshundert Bäume, und ich hatte sechshundert Acres mit Kaffee auf meiner Farm. Meine Ochsen zogen die Kultivatoren5 geduldig viele tausend Meilen zwischen den Baumreihen hin und her, und wir warteten auf die großen Erträge.

Oft war es in der Kaffeeplantage wunderbar. Es sah prachtvoll aus, wenn zu Beginn der langen Regenzeit die Pflanzen blühten und über meinen sechshundert Acres in Nebel und Nieselregen gleichsam eine Wolke aus Kreide schwebte. Kaffeeblüten duften fein und bitter wie Schlehenblüten. Wenn das Feld überall von reifen Kaffeekirschen errötete, riefen wir Frauen und Kinder, die in der Negersprache Totos heißen, um zusammen mit den Männern die Früchte von den Bäumen zu pflücken. Wagen und Karren fuhren die Kaffeekirschen zur Aufbereitung in die Mühle am Fluss. Unsere Maschinerie war nie ganz so, wie sie sein sollte, doch wir hatten die Anlage selbst entworfen und gebaut und waren auf sie stolz. Einmal brannte sie völlig ab und musste wieder aufgebaut werden. Die große Trockentrommel drehte sich unablässig und rüttelte und schüttelte den Kaffee in ihrem schweren Eisenbauch, mit einem Geräusch, als spülten Wellen Kies und Geröll ans Ufer. Es kam vor, dass der Kaffee mitten in der Nacht fertig wurde und die Trommel geleert werden musste. Das war ein malerischer Augenblick: Stalllaternen in den großen dunklen Räumen, wo Spinnweben und Kaffeeschalen wie Festons an Decke und Wänden saßen, und im Laternenschein rund um die Trockentrommel viele glühende, eifrige Gesichter. Man hatte ein Gefühl, als hinge die Kaffeeanlage in der riesigen Tropennacht wie ein Juwel im Ohr eines Negermädchens.

Danach wurde der Kaffee geschält, sortiert und in Säcke gepackt – zwölf Säcke ergaben eine Tonne –, die mit einer Sattlernadel zugenäht wurden.

Endlich hörte ich in aller Herrgottsfrühe – es war noch dunkel, und ich lag im Bett –, wie sich unsere schweren Wagen, jeder mit sechzehn Ochsen bespannt und jetzt haushoch mit Kaffeesäcken beladen, pro Wagen fünf Tonnen, zum Bahnhof von Nairobi in Bewegung setzten. Rasselnd, krachend und unter dem Peitschenknallen und Rufen der Kutscher, die nebenherliefen, verließen sie die Kaffeeanlage und fuhren den langen Hügel hinauf. Ich war bei dem Gedanken froh, dass dies der einzige Hügel war, den sie auf ihrem Weg in die Stadt überwinden mussten, denn die Farm lag vierhundert Meter höher als Nairobi. Am Abend ging ich hinaus, um den zurückkehrenden Zug zu empfangen. Die müden Ochsen trotteten ganz langsam mit hängenden Köpfen vor den leeren Wagen, die müden kleinen Totos, die sie führten, waren vollkommen stumm, und die erschöpften Kutscher ließen ihre langen Peitschen im Staub des Weges schleifen. Nun hatten wir getan, was wir tun konnten. In ein paar Tagen würde der Kaffee unsrer Farm auf See sein, und dann mussten wir auf gute Preise auf den großen Londoner Märkten hoffen.

Meine Farm umfasste sechstausend Acres, ich besaß also neben der Kaffeeplantage noch weit mehr Land. Ein Teil davon war Urwald, und etwa tausend Acres wurden von meinen Squattern genutzt und ihre Shambas6 genannt. Squatter sind Eingeborene, die mit ihren Familien auf dem Grundstück eines weißen Mannes einige wenige Acres für sich bewirtschaften dürfen und als Entgelt eine bestimmte Anzahl von Tagen im Jahr für ihn arbeiten müssen. Vielleicht sahen meine Squatter diese Beziehung in einem andern Licht, denn viele von ihnen, und vor ihnen ihre Väter, waren auf der Farm geboren, und es ist möglich, dass ich in ihren Augen nur ein sehr mächtiger Squatter auf ihrem eigenen Grundstück war.

Auf dem Squatterland ging es viel munterer, lebendiger und bewegter zu als auf der übrigen Farm. Hier veränderte sich die ganze Landschaft mit den wechselnden Jahreszeiten. Der Mais wuchs empor – wuchs einem über den Kopf, sodass man auf den schmalen Pfaden zwischen raschelnden grünen Wänden wie eine Ameise im hohen Gras7 ging – und wurde danach geerntet. Die Bohnen wurden von den Frauen gepflückt und mit Flegeln gedroschen, Stängel und Hülsen wurden zusammengelesen und verbrannt, und zu manchen Zeiten des Jahres stiegen überall von den Feldern dünne blaue Rauchsäulen auf. Die Kikuyu bauten auch Süßkartoffeln an, deren weinlaubähnliche Blätter den Boden wie eine dicke, verfilzte Matte bedeckten, dazu verschiedene Arten von großen gelb- und grüngesprenkelten Kürbissen. Wo immer man durch die Shambas ging, erblickte man als Erstes das Hinterteil einer kleinen alten Frau, die in der Erde kratzte und stocherte, wie ein Strauß, der den Kopf in den Sand steckt. Jede Kikuyufamilie verfügte über mehrere spitze Grashütten und ein paar kleine Vorratshütten auf Pfählen. Der Platz zwischen den Hütten war ein belebter Sammelpunkt für die ganze Familie und so hart wie Zement. Hier wurde der Mais gemahlen, die Ziegen wurden gemolken, und überall liefen Kinder und Hühner herum. Am blauen Spätnachmittag ging ich oft in die Kartoffelfelder, die sich um die Häuser der Squatter erstreckten, um Rebhühner zu schießen. Zu dieser Tageszeit gurrten die Waldtauben himmelhoch in den großen zerzausten Bäumen, die an manchen Stellen noch von jenem Urwald übrig geblieben waren, der einst das ganze Land bedeckt hatte.

Ich besaß auf meiner Farm auch ein paar tausend Acres Weideland. Hier lief und floh das hohe Gras in Wellen vor dem Wind, und die kleinen Kikuyujungen hüteten die Kühe ihrer Väter. Während der kalten Jahreszeit nahmen sie von zu Hause glühende Holzkohle in Drahtkörben mit und entfachten häufig schlimme Steppenbrände, die für den Weidebetrieb der Farm verhängnisvoll waren. In jenen Jahren, als Dürre im Land herrschte, kamen große Scharen von Zebras und Gnus auf unsere Weiden.

Nairobi, unsere Hauptstadt, lag zwanzig Kilometer entfernt auf einem flachen Landstrich zwischen den Bergen. Hier befanden sich das Haus des Gouverneurs und die wichtigen Regierungsämter. Von hier aus wurde das Land verwaltet.

Die Nähe einer Stadt ist für unser Leben zwangsläufig von Einfluss. Dabei spielt es nicht einmal eine Rolle, ob einem diese Stadt gefällt oder nicht, sie zieht die Gedanken nach einem geistigen Gravitationsgesetz an. Der Lichternebel, der nachts am Himmel über Nairobi stand und den ich von den Wegen der Farm sehen konnte, versetzte mein Gemüt in heftige Bewegung und rief Bilder von den großen Städten Europas wach.

Zu Beginn meines Aufenthalts gab es in Afrika noch keine Automobile. Wenn wir nach Nairobi wollten, ritten wir oder fuhren mit einem Wagen, vor den sechs Maultiere gespannt waren, und stellten unsere Tiere im Stall für Reisende von «The Highland Transport»8 unter. Nairobi war, solange ich es kannte, eine verworrene Stadt voller Widersprüche, mit einzelnen stattlichen Gebäuden aus behauenen Steinen und ausgedehnten Vierteln mit Wellblechbuden, Büros, Lagern und Wohnhäusern, alles aus Blech. An die langen, staubigen Straßen hatte man Eukalyptusbäume gepflanzt. Das Oberste Gericht, das Landdepartement, das Departement für die Angelegenheiten der Eingeborenen und das Veterinärdepartement waren allesamt jämmerlich untergebracht, und wenn ich die Beamten dort besuchte, flößte es mir Respekt ein, dass sie in diesen kleinen, glühend heißen Blechbuden überhaupt einen Gedanken fassen und irgendwie arbeiten konnten.

Trotz alledem war Nairobi eine Stadt. Hier konnte man einkaufen, Neuigkeiten hören, im Restaurant essen und im Club tanzen. Und es war ein Ort voller Leben, beweglich wie ein Fluss, der sich von Jahr zu Jahr veränderte, und sich entwickelnd wie ein Kind, ja schon in der kurzen Zeit, die man auf einer Jagdexpedition verbrachte. Das neue Regierungsgebäude wurde gebaut, stolz erhob es sich über der Stadt, war geräumig und kühl, mit einem großen, prächtigen Ballsaal und einem hübsch angelegten Garten. Neue geräuschvolle Hotels wuchsen empor, große, bedeutende Tier- und Gartenausstellungen fanden statt. Die Pseudoschickeria der Kolonie erheiterte uns von Zeit zu Zeit mit einer Reihe von kurzen, stürmischen Melodramen. Nairobi sagte einem: Mach aus der Zeit und aus mir das Beste! Wir kommen nicht wieder so jung – so lebenslustig und unbesiegt – zusammen.9 Es gab auch eine Zeit, da fuhr ich durch seine Straßen und dachte: Die Welt ist nirgends außerhalb Nairobis.10

In Nairobi dehnten sich die Wohnviertel der Eingeborenen und der farbigen Einwanderer viel weiter aus als die der Europäer.

Die Swahilisiedlung, die an der Straße zum «Muthaiga Club»11 lag, hatte in jeder Hinsicht einen schlechten Ruf und war doch eine Vorstadt voller Leben und Bewegung, in der zu allen Tages- und Nachtzeiten viele Dinge geschahen. Zum größten Teil aus alten flachgeklopften Benzinkanistern errichtet, die mehr oder weniger verrostet waren, stellte sie ein natürliches Denkmal dar, ähnlich wie Korallenriffe: die verlassenen, leeren Hüllen einer vorwärtsschreitenden Zivilisation.

Die Somalistadt lag weit außerhalb des Zentrums, vermutlich weil die mohammedanischen Somali ihre Frauen von der Umwelt unbehelligt wünschten. Zu meiner Zeit gab es in Nairobi eine oder zwei schöne junge Somalifrauen, namentlich bekannt in der ganzen Stadt, die sich auf dem Basar niederließen und die Polizei lustig an der Nase herumführten. Es waren aufgeweckte, prächtige Mädchen und außerdem stolz, wie es die Somali in jeder Beziehung sind. Doch die achtbaren Somalifrauen gingen nicht auf die Straße. Die Somalistadt war allen Winden ausgesetzt, nackt, schattenlos und staubig, und muss die Bewohner an die Wüsten ihres Heimatlands erinnert haben. Europäer, die lange Zeit oder seit mehreren Generationen an ein und demselben Ort ansässig sind, gewöhnen sich nur schwer daran, wie vollkommen gleichgültig den Nomadenvölkern die nähere Umgebung ihrer Wohnung ist. Die Häuser der Somali lagen wahllos über die bloße Erde verstreut und sahen aus, als wären sie mit einem Paket vierzölliger Nägel zusammengezimmert, um eine Woche lang zu halten. Wenn man jedoch eins der Häuser betrat, überraschte es einen, wie ordentlich und fein es eingerichtet war, duftend nach arabischem Weihrauch, mit herrlichen alten Teppichen und Wandbehängen, Schalen und Gefäßen aus Messing und Silber und Schwertern mit Elfenbeinknauf und schöner Klinge. Die Somalifrauen treten mit Anstand und Würde auf, sie sind gastfrei und heiter, und ihr Gelächter klingt wie ein ganzes Glockenspiel aus purem Silber. Durch meinen Somalidiener Farah Aden, der während meines gesamten Afrikaaufenthalts in meinem Dienst stand, war ich in der Somalistadt gut bekannt und nahm dort im Laufe der Zeit an vielen ihrer Feste teil. Eine vornehme Somalihochzeit ist eine prunkvolle, ehrwürdige Festlichkeit. Ich wurde sogar in die Brautkammer geführt, deren Wände ebenso wie das Bett prächtig mit alten verblassten, zart leuchtenden Stoffen und Stickereien geschmückt waren, und die junge dunkeläugige Braut selbst war vor lauter Gold und Silber, dicker Seide und Bernstein so steif wie ein Marschallstab.

Die Somali waren Viehhändler und Kaufleute und machten Geschäfte im ganzen Land. Für den Transport ihrer Waren hielten sie eine Menge kleiner grauer Esel, die, wenn sie nicht unterwegs waren, frei zwischen den Häusern herumliefen. Auch Kamele habe ich in der Somalistadt gesehen, hochmütige, abgehärtete Wüstenprodukte, die über alle irdischen Dinge erhaben waren, wie Kakteen und wie Somali.

Durch ihre entsetzlichen Stammesstreitigkeiten brachten die Somali über sich selbst und andere Völker Unglück. In dieser Beziehung fühlten und dachten sie nicht wie andere Menschen. Farah gehörte zu einem Stamm, der Habr Yunis hieß, also pflegte ich für diesen Stamm Partei zu ergreifen. Einmal gab es in der Somalistadt einen großen, ernsthaften Krieg zwischen den beiden Stämmen Dulba Hantis – dem Stamm von «The mad Mullah»12 – und Habr Chaolo, mit Gewehrschüssen, Brandschatzung und vielen Toten auf beiden Seiten, bis sich die Regierung zum Eingreifen genötigt sah. Farah hatte zu jener Zeit einen Freund aus seinem eigenen Stamm, der Sayid hieß und ihn häufig auf der Farm besuchte. Es war ein kecker, klaräugiger junger Mann, und als ich von meinen Leuten die traurige Geschichte hörte, dass ihm während eines zufälligen Besuchs bei einer Familie des Stammes Habr Chaolo ein wütender Dulba Hantis, der gerade vorbeikam und aufs Geratewohl zwei Schüsse auf das Haus abgab, die Beine zerschmettert hatte, war ich sehr betroffen. Ich sagte Farah, dass mir das Unglück seines Freundes leidtue. «Was, Sayid?», rief er ärgerlich aus. «Das ist ihm ganz recht geschehen. Warum musste er auch im Haus eines Habr Chaolo Tee trinken!»

In dem großen Geschäftsviertel der Eingeborenen, das Basar genannt wurde, regierten die Inder, und die wohlhabendsten dieser indischen Kaufleute, Jevanjee, Suleiman Virjee, Allidina Visram, wohnten in kleinen Villen gleich vor der Stadt. Sie hatten allesamt eine ausgesprochene Vorliebe für Steinmetzarbeiten, die Gärten ihrer Villen waren mit Treppen, Balustraden und Vasen aus weichem afrikanischen Gestein geschmückt – höchst mittelmäßigen Werken und den Bauten ähnlich, die Kinder aus hellroten, verzierten Steinbauklötzen errichten. Sie veranstalteten in ihren Gärten Teegesellschaften mit indischem Gebäck im Stil ihrer Villen und erwiesen sich als scharfsinnige, weitgereiste und ausnehmend höfliche Menschen. Doch als Geschäftsleute waren die Inder in Afrika derart gerissen, dass man bei ihnen nie wusste, ob man eine menschliche Persönlichkeit oder den Chef einer Firma vor sich hatte. Ich war bei Allidina Visram zum Tee gewesen, und als ich eines Tages die Fahne über dem ausgedehnten Komplex seiner Warenhäuser auf halbmast sah, fragte ich Farah: «Ist Allidina Visram gestorben?»

«Halb gestorben», sagte Farah.

«Flaggt man dort halbmast, weil er halb tot ist?», fragte ich.

«Allidina ist tot», entgegnete Farah, «Visram lebt.»

Bevor ich selbst die Leitung der Farm übernahm, hatte ich eifrig gejagt und die meiste Zeit auf Safaris verbracht, doch als ich dann Farmerin wurde, stellte ich meine Flinten in die Ecke.

Die Massai, die Nomaden und Viehzüchter waren und als meine Nachbarn am anderen Flussufer wohnten, kamen von Zeit zu Zeit an mein Haus, um sich über einen Löwen zu beklagen, der ihre großen Herden verfolgte und ihre Kühe riss, und baten mich, ihn zu erlegen, und wenn ich konnte, tat ich es. Manchmal ging ich samstags auch auf die Orungi-Ebene, um für meine Leute ein oder zwei Zebras als Sonntagsmahl zu schießen, und ein ganzer Schwanz von munteren, erwartungsfrohen jungen Kikuyu folgte mir. Auf der Farm schoss ich Geflügel: Rebhühner, Wachteln und weiße Perlhühner, die sehr schmackhaft waren. Jagdexpeditionen konnte ich viele Jahre lang nicht unternehmen.

Dennoch sprachen wir auf der Farm oft von unseren früheren Safaris. Lagerplätze prägen sich einem auf besondere Art ins Gedächtnis ein, als hätte man große Zeiträume dort verbracht, und manchmal denkt man noch lange an eine einzige Kurve der Wagenspur im Steppengras zurück, wie an ein Zeichen, das für das eigene Leben bedeutungsvoll war.

Während einer Safari habe ich gesehen, wie eine Herde von hundertneunundzwanzig Büffeln unter einem kupferfarbenen Himmel aus dem Morgennebel auftauchte, und es kam mir vor, als würden die dunklen, massigen, eisenfarbenen Tiere mit den riesigen seitwärts gebogenen Hörnern nicht heranziehen, sondern vor meinen Augen erst erschaffen und dann eins nach dem andern hinaus in die Welt gesandt. Ich habe eine Elefantenherde durch den dichten Urwald wandern sehen, wo das Sonnenlicht zwischen dicken Zweigen und Schlingpflanzen nur in kleinen Flecken und Sprenkeln hindurchsickerte, sie schritten aus, als wollten sie zu einem Stelldichein am Ende der Welt. Es war, vergrößert ins Riesenhafte, die Borte eines uralten, unermesslich kostbaren persischen Teppichs mit grünen, goldenen und schwarzbraunen Farben. Ich habe viele Male beobachtet, wie sich die Giraffen mit ihrer eigentümlichen, unvergleichlichen vegetativen Anmut über die Steppe bewegten, als wären sie nicht eine Schar von Tieren, sondern eine Familie seltener langstieliger, gefleckter Riesenblumen. Ich bin zwei Nashörnern bei ihrem Morgenspaziergang gefolgt, sie schnauften und prusteten in der klaren, kalten Luft und glichen zwei kantigen, zum Leben erwachten Felsblöcken, die sich gemeinsam im hohen Gras des Tals vergnügten. Ich habe den königlichen Löwen gesehen, wie er von seiner halb verzehrten Beute kam und unter einem kleinen abnehmenden Mond vor Sonnenaufgang über die graue Steppe heimwärts zog. Er ließ im silberglänzenden Gras einen dunklen Streifen Kielwasser hinter sich zurück, sein Gesicht war bis zu den Ohren noch rot von Blut. Und ich habe ihn auch angetroffen, als er im Schoß der Familie auf dem kurzen Gras und im zarten, frühlingshaften Schatten der Akazien, mitten in seinem eigenen afrikanischen Lustpark, Mittagsruhe hielt.

An alles dies dachte ich gern zurück und fand Trost darin, wenn die Zeiten auf der Farm schwierig waren. Das Großwild war noch in seinem eigenen Land, und wenn ich nur wollte, konnte ich ausziehen und es wieder besuchen. Farah, der im Laufe der Zeit an allen Angelegenheiten der Farm immer mehr Anteil nahm, und meine übrige alte eingeborene Mannschaft lebten in ständiger Hoffnung auf neue, künftige Safaris.

In dieser Wildnis habe ich gelernt, plötzliche Bewegungen zu vermeiden. Alle Lebewesen, mit denen man hier zu tun hat, sind ungemein scheu und auf der Hut, sie besitzen eine besondere Fähigkeit, uns zu entkommen und zu entschwinden, wenn wir es am wenigsten erwarten. Kein zahmes Tier kann sich so vollkommen still verhalten wie ein wildes. Wir zivilisierten Völker haben diese Begabung eingebüßt und müssen uns von der Wildnis im Schweigen unterrichten lassen, bevor sie bereit ist, uns in sich aufzunehmen. Die Kunst, leise zu gehen, ohne schroffe Bewegungen und ohne Lärm, muss sich der Jäger, und vor allem der Jäger mit der Kamera, zuerst aneignen. Jäger dürfen nicht eigenmächtig handeln, sondern müssen Farben, Geruch und Wind einer Landschaft kennenlernen und sich dem Tempo des großen Orchesters anpassen. Manchmal spielt es einen Takt immer wieder, und darin muss man ihm dann folgen.

Hat man während der Jagd den Rhythmus Afrikas in sich aufgenommen, dann erkennt man, dass er in jeder Form des Lebens hier draußen wiederkehrt. Was ich vom Wild gelernt hatte, konnte ich im Umgang mit den Eingeborenen anwenden.

Liebe zu Frauen und Weiblichkeit ist eine männliche Eigenschaft, Liebe zu Männern und Männlichkeit ist eine weibliche Eigenschaft, und es gibt eine Verliebtheit in den Süden und in die südlichen Völkerschaften, die für die Nordländer kennzeichnend ist. Die Normannen müssen sich in die fremden Länder verliebt haben, zuerst in Frankreich und später in England. Die alten Mylords, die in Geschichte und Romanliteratur des achtzehnten Jahrhunderts auftreten – ewig auf Reisen in Italien, Griechenland und Spanien –, besaßen in ihrer Persönlichkeit nicht einen einzigen südländischen Zug, sondern wurden von einer Natur angezogen und verzaubert, die von ihrer eigenen in jeder Hinsicht wesensverschieden war. Als die Maler, Philosophen und Dichter aus Deutschland und Skandinavien zum ersten Mal Florenz und Rom erblickten, fielen sie in Anbetung des Südens geradezu auf die Knie.

In dieser Beziehung bewiesen die ungeduldigen Nordländer eine besondere Geduld. So wie es einer Frau fast unmöglich ist, einen richtigen Mann wirklich zu ärgern, und wie ein Mann für die Frauen nie ganz verachtenswert, niemals ganz unbrauchbar wird, solange er Mann bleibt, so wurden die harten, herrschsüchtigen, leicht aufbrausenden nordischen Männer von Sanftmut erfüllt, als sie der Natur des Südens und der Südländer gegenüberstanden. Was ihr eigenes Klima und ihre eigene Familie betraf, waren sie barsch und rau, doch afrikanische Dürre, gefährliche, quälende Sonnenstiche, Rinderpest bei ihren Herden und die Unerfahrenheit ihrer eingeborenen Diener ertrugen sie mit Demut und Resignation. Sogar ihr Gefühl von Individualität ging verloren, weil sie die unendlichen Möglichkeiten im Zusammenspiel von Menschen verstanden, die gerade durch ihre Wesensunterschiede eins werden können. Den südlichen Völkern und ebenso Menschen mit sehr gemischtem Blut geht diese Eigenschaft ab. Sie tadeln oder verspotten sie, wo sie ihr begegnen, so wie Männer, die sich in besonderem Grad für Männlichkeit begeistern und selbst ein wenig zum Exhibitionismus neigen, einen schmachtenden Liebhaber verspotten, und wie sich die vernünftigen Frauen, die keine Geduld mit ihren Männern hatten, über die geduldige Griselda13 empörten.

Was mich betrifft, so habe ich die Eingeborenen, die ich in Afrika antraf, vom ersten Tage an geliebt. Es war ein starkes, unbezwingbares Gefühl, das beiden Geschlechtern und jedem Alter galt. Die Begegnung mit den dunklen Leuten war für mich ein Erlebnis wie für Kolumbus die Entdeckung Amerikas und in gleicher Weise eine Erweiterung meiner gesamten Welt. Wenn man sich vorstellt, dass ein Mensch mit einem angeborenen Gefühl für Tiere in einer Umgebung ohne jedes Tier aufwächst und erst nach vielen Jahren ihre Bekanntschaft macht oder dass jemand im Alter von zwanzig Jahren zum allerersten Mal einen Wald betritt oder dass ein musikalisch veranlagter Mensch durch einen Zufall Musik erst als Erwachsener hört – dann wäre das meiner eigenen Situation vergleichbar. Als ich den Eingeborenen Afrikas begegnete, richtete ich meinen gewohnten Arbeitsablauf – was man als das tägliche Einerlei bezeichnet – für Orchester ein.

Mein Vater, der als Offizier in der dänischen und der französischen Armee diente,14 schrieb als junger Leutnant nach Hause:

«Von Graasten bis Dybbøl war ich schließender Offizier einer langen Kolonne; das war nicht leicht, das war schwer; und doch: wie verlockend, wie herrlich! Die Lust am Krieg ist eine Lust wie jede andere, man liebt Soldaten, wie man junge Frauenzimmer liebt: blind, unbändig – und das eine schließt das andere nicht aus, was die Mädchen wohl wissen. Aber die Liebe zu den Mädchen hat jeweils nur Platz für eine, die zu den Soldaten umfasst die ganze Schar, die man sich immer noch größer wünscht.»

Die gleiche Beziehung bestand zwischen den Eingeborenen und mir.

Es war nicht leicht, die Eingeborenen kennenzulernen. Sie waren sehr hellhörig und scheu. Wenn man sie erschreckte, konnten sie sich blitzschnell in ihre eigene Welt zurückziehen, wie das Wild verschwunden und ganz einfach nicht mehr da ist, sobald wir eine plötzliche Bewegung machen. Bevor man einen Eingeborenen nicht genauer kannte, war er kaum zu einer direkten Antwort zu bewegen. Selbst auf so simple Fragen wie die, wie viele Kühe er besitze, antwortete er nur ausweichend: «So viele, wie ich dir gestern gesagt habe.» Eine solche Antwort missfiel den Europäern im höchsten Grad, vielleicht missfiel es den Eingeborenen genauso sehr, auf solche Art gefragt zu werden. Wenn wir nachhakten und sie bedrängten, um eine Erklärung aus ihnen herauszubekommen, zogen sie sich zurück, so weit wie möglich, und bedienten sich einer barocken, lustigen Phantasie, um uns in die Irre zu führen. Selbst ganz kleine Kinder verhielten sich in einer entsprechenden Situation wie alte ausgebuffte Pokerspieler, denen es ziemlich egal ist, ob der Gegenspieler ihre Karten über- oder unterschätzt, solange es ihnen nur gelingt, ihren genauen Wert vor ihm zu verbergen. Dort, wo wir tatsächlich in das Dasein der Eingeborenen einbrachen, führten sie sich wie Ameisen auf, wenn man in ihrem Haufen herumstochert. Sie besserten den Schaden mit unverdrossenem, rastlosem Eifer und vollkommen schweigend wieder aus, als müssten sie eine unschickliche Handlung auslöschen und vertuschen.

Welche Gefahren es waren, die sie im Umgang mit uns befürchteten, das konnten wir nicht wissen und uns sicher nicht vorstellen. Persönlich glaube ich, dass ihre Angst vor uns eher der vor einem plötzlichen, entsetzlichen Lärm entsprach und nicht der Furcht vor Leiden, Unrecht oder Tod. Und doch – das war schwer zu entscheiden, denn die Eingeborenen waren Meister in der Kunst der Verstellung. In den Shambas oder in der Steppe sah man manchmal frühmorgens ein Rebhuhn, das plötzlich vor dem Pferd herumlief, als wären seine Flügel gebrochen oder als hätte es tödliche Angst vor den Hunden. Aber es hatte sich nichts gebrochen und fürchtete sich auch nicht vor den Hunden, es konnte direkt vor ihrer Nase aufflattern, wann immer es wollte. In Wirklichkeit verhielt es sich so, dass der Vogel irgendwo in der Nähe seine kleinen Küken hatte und mit aller Kraft versuchte, die Aufmerksamkeit von ihnen abzulenken. Auf die gleiche Art wie das Rebhuhn spielte vielleicht der Eingeborene erschrocken, doch das Wesen seiner Furcht, die viel tiefer lag, war uns unbegreiflich. Es ist aber auch möglich, dass dieses Benehmen uns gegenüber so etwas wie einen besonderen, unerklärlichen Spaß, eine Parodie, eine Extravaganz darstellte und dass diese scheuen Menschen letztendlich nicht die geringste Furcht vor uns hatten. Bei den Eingeborenen ist das Gefühl für die Risiken des Lebens viel weniger ausgeprägt als bei Weißen. Ich habe einige Male in einem besonders kritischen Moment, während einer Safari oder auf der Farm, meinen eingeborenen Leuten in die Augen geschaut und dabei gespürt, wie groß die Entfernung zwischen uns war und dass sie sich darüber wunderten, wie ernst ich die Situation einschätzte. Das hat mir einiges zu denken gegeben. Vielleicht hatten sie wirklich in einer Weise, die uns unverständlich bleiben muss und die wir nicht nachvollziehen können, im Leben selbst ihr eigentliches Element, wie Tiefseefische, die sich unsere Angst vor dem Ertrinken nicht erklären könnten. Diese existenzielle Sicherheit, diese Schwimmkunst, dachte ich mir, besitzen sie deshalb, weil sie sich ein Wissen erhalten haben, das uns durch die Schuld unsrer frühesten Vorfahren verloren ging und das uns, mehr als die anderen Kontinente, vor allem Afrika vermitteln kann: dass Gott und der Teufel eins sind, dass ihre Herrlichkeit gleich groß, ihre Majestät gleich ewig ist, dass es nicht zwei gibt, die unerschaffen und ewig sind, sondern nur ein Unerschaffenes, nicht zwei, die unermesslich sind, sondern ein Unermessliches – und die afrikanischen Eingeborenen ehren die Doppelheit in der Einheit und die Einheit in der Doppelheit.

Bei unseren Jagdexpeditionen und auf der Farm entwickelte sich aus meiner Bekanntschaft mit den Eingeborenen allmählich eine gewohnheitsmäßige, persönliche Beziehung. Wir wurden gute Freunde. Ich fand mich mit der Tatsache ab, dass ich sie nie wirklich erkennen könnte, während sie alle meine Gedanken kannten und von meinen Entscheidungen wussten, noch bevor ich sie traf. Ich hatte einmal eine kleine Farm in Gilgil, etwas weiter nördlich an der Eisenbahnlinie, wo ich kein Haus besaß, sondern in einem Zelt wohnte, und ich reiste nun zwischen Gilgil und Ngong hin und her. Manchmal, wenn es in Gilgil zu regnen begann, entschloss ich mich ganz plötzlich, nach Hause zurückzukehren. Doch langte ich dann in Kikuyu an, unserer örtlichen Bahnstation, zwölf Kilometer von der Farm entfernt, so war stets einer von meinen Leuten da und hielt ein Maultier, auf dem ich heimreiten konnte. Fragte ich meine Leute dann, woher sie gewusst hätten, dass ich heimkehren wollte, wandten sie sich von mir ab, verlegen oder betrübt oder als langweilten sie sich zu Tode – wie wir selbst uns verhalten würden, wollte uns ein stocktauber Mensch mit der Bitte bedrängen, ihm den Inhalt einer Symphonie zu erklären.

Wenn sich die Eingeborenen vor jähen Bewegungen und plötzlichem Lärm von uns sicher fühlten, dann sprachen sie mit uns viel offener als Europäer untereinander. Zuverlässig waren sie nie, aber sie waren auf großartige Weise aufrichtig. Ein guter Name, was man als Prestige bezeichnet, bedeutete viel in ihrer Welt. Vielleicht hatten sie uns irgendwann gemeinsam einer Wertung unterzogen, die seitdem Gültigkeit für sie besaß.

Zu manchen Zeiten war das Leben auf der Farm sehr einsam, und wenn in tiefer Abendstille Minute für Minute von meiner großen Uhr vertropfte, schien das Leben selbst darin zu tropfen, und ich glaubte, vor Sehnsucht nach einem Gespräch mit anderen Weißen verrückt zu werden. Doch immer spürte ich das stumme, verschattete Dasein des eingeborenen Volkes parallel zu meinem eigenen verlaufen, wenn auch auf einer anderen Ebene. Ein großes Echo tönte von Ufer zu Ufer, zusammen waren wir die Farm.

Die Eingeborenen, das war Afrika in Fleisch und Blut. Der hohe erloschene Vulkan Longonot, der sich steil und einsam über Rift Valley erhob, die Mimosenbäume am Fluss, die Elefanten und die Giraffen, das alles war nicht so sehr Afrika, wie es die Eingeborenen waren – kleine Gestalten in einer riesigen Landschaft. Alles das war Ausdruck derselben Idee, Variationen über das eine Thema, keine gleichartige Anhäufung ungleichartiger Atome, sondern eine ungleichartige Anhäufung gleichartiger Atome, wie man es von einem Eichenblatt, einer Eichel und einem Sarg aus Eichenholz kennt. In diese Landschaft brachten wir Weißen, mit unseren schweren Stiefeln und fast immer in Eile, ständig einen schrillen Misston. Die Eingeborenen waren mit ihr in Einklang, und wenn ihre hohen, schmalen, dunklen und dunkeläugigen Gestalten sie durchwanderten – stets einzeln nacheinander, sodass sogar ihre wichtigen Verkehrsadern nur wie schmale Fußpfade aussahen – oder wenn sie den Boden bearbeiteten, ihre Kühe hüteten oder ihre großen Tänze tanzten und mir eine Geschichte erzählten, dann war es Afrika selbst, das da wanderte, lachte, seine Herden zählte, tanzte und von alten Tagen berichtete. Im Hochland erinnerte ich mich an die Worte des Dichters:

«Edel fand ich

immer den Eingeborenen

und arm den Einwanderer.»15

Die Kolonie verändert sich, wie man mir sagt, von Jahr zu Jahr, sie hat sich seit jener Zeit, als ich dort wohnte, wohl schon verwandelt. Wenn ich hier meine Erfahrungen auf der Farm und mit einigen der wilden Bewohner von Steppe und Wald so genau wie möglich niederschreibe, so kann dies vielleicht später und vielleicht jetzt schon von historischem Interesse sein.

Ein Kikuyukind

Kamante war ein kleiner Kikuyujunge, sein Vater, einer meiner Squatter, war gestorben. Die meisten Squatterkinder waren mir gut bekannt, in der arbeitsreichen Zeit pflückten sie für mich Kaffee, und wenn sie konnten, hielten sie sich das ganze Jahr in der Nähe meines Hauses auf und hüteten auf dem Rasen ihre Ziegen, denn sie fanden, dass hier mehr Dinge von Bedeutung geschahen als anderswo. Doch Kamante musste schon einige Jahre auf der Farm gelebt haben, ohne dass ich ihm je begegnet war. Ich glaube, er hatte sich wie ein krankes Tier in die Einsamkeit zurückgezogen.

Ich sah Kamante zum ersten Mal, als ich eines Tages über die Steppe ritt, wo er die Schafe und Ziegen seiner Familie hütete. Er bot einen jämmerlichen Anblick. Er hatte einen großen Kopf, einen entsetzlich kleinen, mageren Körper, seine Ellbogen und Knie glichen Knorren an einem Stock, und seine Beine waren von oben bis unten mit tiefen, nässenden Wunden bedeckt. In der weiten Steppe nahm er sich so winzig aus, dass man sich wundern musste, wie so viel Schmerz und eine so lange Leidensgeschichte in einem einzigen kleinen Punkt zusammengepfercht sein konnten. Als ich haltmachte und ihn ansprach, gab er mir keine Antwort und tat, als bemerke er mich kaum. Die Augen in seinem flachen, kantigen, zerquälten und unendlich geduldigen Gesicht waren blicklos und halb erloschen. Er sah aus, als ginge es mit ihm bald zu Ende, und fast glaubte ich in der bleichen, glühenden Luft hoch über seinem Kopf schon die Geier zu erkennen, die nie weit entfernt sind, wenn ein Leben in der Steppe verlischt. Ich befahl ihm, am nächsten Morgen zu meinem Haus zu kommen, damit ich versuchen könnte, ihn zu heilen.

In der Regel hielt ich morgens von neun bis zehn Uhr für die Leute der Farm eine ärztliche Sprechstunde ab, und wie es bei Quacksalbern zu sein pflegt, hatte ich großen Zulauf. Zumeist saßen um diese Zeit zwei oder drei, manchmal bis zu einem Dutzend Patienten vor meinem Haus und warteten auf mich.

Die Kikuyu sind auf das Unvorhergesehene eingestellt und an das Unerwartete gewöhnt. Darin unterscheiden sie sich von den Europäern, die sich am liebsten gegen das Schicksal versichern wollen. Der Neger steht mit dem Schicksal auf freundschaftlichem und vertrautem Fuß, denn er fühlt sich sein Leben lang in seiner Hand, es ist gewissermaßen sein Zuhause, das wohlbekannte Dämmerlicht der Hütte, das tiefe Erdreich seiner Wurzeln. Er begegnet den Wechselfällen des Lebens mit großer Gelassenheit und Ruhe.

Auf der Liste der Eigenschaften, die er bei seinem Herrn oder Arzt oder bei Gott sucht und erwartet, rangiert ganz oben die Phantasie. Vielleicht ist es dieser Eigenart der Schwarzen zu verdanken, dass es Kalif Harun al-Raschid16 gelang, im Herzen Afrikas und Arabiens die Position eines idealen Regenten zu behaupten. Bei ihm konnte niemand wissen, was er als Nächstes tun würde, man wusste eben nicht, wo man ihn hatte. Wenn die Afrikaner vom Wesen Gottes sprechen, dann hat es ihnen, wie es uns mit dem Hiob ergeht, vor allem seine ungeheure Einbildungskraft angetan.

Vermutlich war das der Grund, weshalb ich als Ärztin gut angesehen war. Als ich das erste Mal nach Afrika reiste, traf ich an Bord des Schiffs einen berühmten deutschen Wissenschaftler, der zum neunzehnten Mal nach Deutsch-Ostafrika fuhr, um die Schlafkrankheit zu erforschen und zu bekämpfen, und deshalb mehrere Hundert Ratten und Meerschweinchen auf dem obersten Deck mitführte. Wie er mir erzählte, hatte er sich nie über fehlenden Mut bei den Eingeborenen beklagen können, sie erduldeten Schmerzen, ohne zu jammern, und ertrugen eine schwere Operation mit Fassung. Was aber seine Arbeit sehr behinderte, das war ihre tiefe Abneigung gegen jede Regelmäßigkeit, gegen eine Wiederholung oder Fortsetzung der Behandlung und überhaupt gegen jedes System. Das konnte der große deutsche Doktor nicht begreifen, er hielt die Schwarzen irgendwie für verrückt. Doch als ich die Neger selbst kennenlernte, gehörte dies zu den Eigenschaften, die mich von Anfang an zu ihrem Freund machten. Sie hatten wirklich Mut, jene unverfälschte Liebe zur Gefahr, welche die Antwort der Schöpfung auf die Verkündigung ihres Schicksals ist, das Echo der Erde, wenn der Himmel gesprochen hat. Während meiner ärztlichen Tätigkeit dachte ich manchmal, was die dunklen Leute in der Tiefe ihrer Herzen bei uns Weißen fürchten, sei Pedanterie. In den Händen eines Pedanten sterben sie vor Gram.

Meine Patienten erwarteten mich auf der gepflasterten Terrasse vor dem Haus. Hier kauerten sie, die bis zum Skelett abgemagerten Männer mit keuchendem Husten und triefenden Augen, die schlanken, glatthäutigen jungen Raufbolde mit verschwollenen blauen Augen und zerschlagenen Lippen und die Mütter mit ihren fieberheißen Kindern, die ihnen wie welke Blümchen am Hals hingen. Oft hatte ich Brandwunden zu behandeln, denn die Kikuyu legten sich abends in ihren Hütten direkt neben dem Feuer schlafen und wurden im Lauf der Nacht oft von Stücken der glühenden Holzkohle getroffen. Ein paarmal gingen mir die Medikamente aus, und da machte ich die Erfahrung, dass Honig eine gute Brandsalbe ist. Die Stimmung auf der Terrasse war äußerst lebhaft und mit Spannung geladen, wie die Luft in einem Kasino. Wenn ich hinausging, hörte der leise, muntere Redestrom unvermittelt auf, und die folgende Stille war von Möglichkeiten geschwängert: Jetzt war der Augenblick da, wo alles passieren konnte. Doch immer warteten sie in tiefem Schweigen ab, dass ich den ersten Patienten selbst auswählte, schließlich hatte alles seine Grenzen.

In Wirklichkeit verstand ich von Medizin sehr wenig, nur das, was man bei einem Sanitäterkursus lernt. Nachdem mir jedoch ein paar mirakulöse Kuren gelungen waren, stand mein Ruf als Ärztin fest und litt unter den folgenschweren Irrtümern, die mir unterliefen, nicht im Geringsten. Wer weiß, ob die Zahl meiner Patienten vor dem Haus nicht kleiner geworden wäre, hätte ich jedem die sichere Heilung garantieren können? Das hätte mir zwar eine hohe berufliche Anerkennung eingebracht – und diesbezüglich hatte man an einem gelernten Doktor aus «Volaia»17schon genug –, aber hätte man sich dann noch darauf verlassen können, dass Gott wirklich mit mir wäre? Denn ihn kannten sie aus den großen Dürre- und Hungerjahren, von den Löwen der Steppe und den Leoparden, die um ihre Häuser und auf den Waldlichtungen herumschlichen, wo ihre Kinder die Ziegen hüteten, von den Heuschreckenschwärmen, die über das Land wie eine schwarze Wolke kamen – niemand wusste, woher und warum – und keinen Grashalm zurückließen. Sie kannten ihn auch von den unfassbar glücklichen Stunden, wenn die Heuschrecken über die Maisfelder der Farm hinwegzogen, ohne sich niederzulassen, oder wenn der Regen im Frühjahr zeitiger und reichlicher als erwartet fiel und alle Felder ergrünten und doppelte Erträge brachten. Und dieser ausgebildete, tüchtige Doktor aus Europa, der konnte vielleicht doch nicht recht mitreden, wenn es um die wirklich großen und bedeutungsvollen Dinge des Lebens ging.

Zu meiner Überraschung fand sich Kamante am Tag nach unsrer ersten Begegnung vor meinem Haus ein. Er stand ein wenig abseits von den anderen Kranken, sehr gerade, mit halb totem Gesicht und erloschenem Blick, als hätte er sich, weil doch noch etwas Liebe zum Leben in ihm war, zu diesem letzten Versuch entschlossen, es zu erhalten.

Er wurde ein mustergültiger Patient. Er hielt die Termine, die ich ihm gab, mit größter Pünktlichkeit ein, und wenn ich ihm den Auftrag gab, jeden zweiten oder dritten Tag zu kommen, konnte er die Tage genau zählen, was bei Eingeborenen eine ungewöhnliche Eigenschaft ist. Er ertrug die schmerzhafte Behandlung seiner erbarmungswürdigen Beine mit einem Stoizismus, wie ich es bei keinem anderen erlebt habe. Aus all diesen Gründen hätte ich ihn meinen anderen Kranken als Vorbild hinstellen können. Aber das tat ich nicht, denn gleichzeitig hatte er etwas an sich, was mir unangenehm war, ja was mir Angst einflößte.

Selten, kaum jemals habe ich ein Wesen von einer solchen Wildheit gekannt, einen Menschen, der so ganz und gar einsam in seinem Dasein war und sich durch eine totale, tödliche Resignation so vollkommen von seiner gesamten Umgebung abgesondert hatte. Wenn ich ihn etwas fragte, konnte ich ihn zwar zu einer Antwort bewegen, doch nie sprach er ein Wort aus freiem Willen, und nie sah er mich an. Er war ohne jedes Mitleid und lachte nur kurz und spöttisch, verächtlich und besserwisserisch, wenn die anderen kranken Kinder beim Waschen oder Verbinden weinten, aber auch sie sah er niemals an. Er hatte nicht das geringste Bedürfnis, mit seiner Umwelt in Berührung zu kommen, denn die Berührung, die er erfahren hatte, war zu brutal gewesen. Die Seelenstärke, mit der er große Schmerzen ertrug, war die Stärke und Tapferkeit eines alten Soldaten. Nichts konnte schlimm genug sein, um ihn zu überraschen, er war durch Erfahrung und Lebensanschauung auf das Schlimmste gefasst.

All das hatte großen Stil und erinnerte an das Glaubensbekenntnis des Prometheus:

«Schmerz ist mein Element, wie Hass das eure,

jetzt schon zerreißt ihr mich: Was kümmerts mich»,

und:

«Ja, tu dein Schlimmstes. Du hast Allgewalt.»18

Doch bei einer Person seiner Größe war es unheimlich und machte mir das Herz schwer. Und was muss Gott empfinden, dachte ich, angesichts einer solchen Haltung eines so winzigen Menschen?

Ich erinnere mich noch gut, wie er mich zum ersten Mal aus eigenem Antrieb ansah und den Mund öffnete. Da müssen wir uns schon eine Weile gekannt haben, denn ich hatte meine erste Behandlungsmethode aufgegeben und probierte eine neue aus: einen warmen Umschlag, von dem ich in einem meiner ärztlichen Ratgeber gelesen hatte. In meinem Eifer, möglichst gründlich zu Werke zu gehen, war er mir zu heiß geraten, und als ich ihn dem Jungen auf die Beine legte und mit einem Verband umwickelte, begann Kamante zu reden. «Msabu»,19 sagte er und sah mich mit großen Augen an. Die Neger verwenden dieses indische Wort als Anrede für weiße Frauen, sprechen es jedoch anders als die Inder aus und verwandeln es in ein afrikanisches Wort mit einem neuen Klang. Aus Kamantes Mund war es in diesem Moment ein Hilferuf und zugleich eine Warnung, wie vielleicht von einem guten Freund, um mich von einer Handlung abzuhalten, die meiner nicht würdig war. Als ich abends daran dachte, erfüllte mich Hoffnung. Es tat mir leid, dass ich ihn verbrannt hatte, trotzdem war ich froh, denn dies war der erste Schimmer einer Verständigung zwischen mir und dem wilden Kind gewesen. Erprobt im Leiden, erwartete es nichts anderes als Leiden, doch nicht von mir.

Was die Art meiner Behandlung betraf, so wurde sie immer aussichtsloser. Lange Zeit hatte ich seine Beine gewaschen und verbunden, aber Kamantes Krankheit ging über meinen Verstand. Von Zeit zu Zeit besserte sich sein Befinden ein wenig, dann brachen neue Wunden auf. Endlich entschloss ich mich, ihn ins Hospital der schottischen Mission zu schicken.

Dieser Entschluss war nun von so großer Tragweite und enthielt so viele Unwägbarkeiten, dass Kamante davon beeindruckt war – er wollte nicht gern ins Krankenhaus. Mit seiner Vergangenheit und seiner Lebensauffassung war ihm kein Widerstand möglich, als ich ihn jedoch zur Missionsstation fuhr und in dem langen Hospitalgebäude, in einer ihm völlig fremden und unerklärlichen Umgebung ablieferte, da zitterte er.

In meiner Nachbarschaft gab es die schottische und die katholische französische Mission, die eine zwölf Meilen nordwestlich und zweihundert Meter höher als die Farm, die andere zehn Meilen östlich und einhundert Meter tiefer im Flachland gelegen. Obwohl ich ansonsten keine Sympathien für Missionen hegte, stand ich mit den Missionaren beider Stationen auf freundschaftlichem Fuß und bedauerte es, dass sie untereinander ständig zerstritten waren.

Die französischen Patres waren meine besten Freunde. Oft ritt ich sonntagmorgens mit Farah zu ihrer Frühmesse, einerseits um wieder einmal französisch zu sprechen, andererseits weil der Weg dorthin wunderschön war. Er führte fünf Kilometer durch die alte Akazienplantage der Forstverwaltung, wo es so kühl war und wo der kräftige, herbe Duft der Bäume, der dem von Fichtennadeln ähnelte, am frühen Morgen frisch und belebend wirkte.

Wie überall, wo sie Fuß fasst, hatte die katholische Kirche ihre eigene Atmosphäre mitgebracht – das war ein seltsamer Anblick. Die Patres hatten ihre gesamte Kirche selbst entworfen und mit Hilfe ihrer eingeborenen Gemeinde gebaut und waren zu Recht auf sie stolz. Das große graue, von einem Glockenturm gekrönte Gebäude erhob sich mitten in der vorzüglich gepflegten Kaffeeplantage der Missionare, der ältesten der Kolonie, auf einem breiten gepflasterten Platz über zahlreichen Treppen und Terrassen. Zwei weitere Seiten des Hofplatzes wurden vom Refektorium mit Säulen und Bogengängen und vom Kloster begrenzt, und unten am Fluss stand ihr großes graues Fabrikgebäude. Eine Steinbrücke wölbte sich über den Fluss und führte zum Kirchweg. Alles hier war aus grauem Stein, und wenn man sich dem großen Komplex zu Pferde näherte, lag er so hübsch und sauber in der Landschaft, dass er ohne die kleinste Veränderung auch in einem südlichen Kanton der Schweiz oder in Norditalien vorstellbar gewesen wäre.

Nach der Messe erwarteten mich die freundlichen Patres an der Kirchentür, um mich in dem geräumigen, kühlen Refektorium zu einem petit verre de vin20 einzuladen. Es war höchst erstaunlich, wie gut sie über alles Bescheid wussten, was in der Kolonie geschah, selbst in deren abgelegensten Gebieten. Unter dem Vorwand einer lebhaften, freundlichen Konversation saugten sie auch aus ihrem Gast sämtliche Neuigkeiten heraus, von denen dieser überhaupt wissen konnte, und glichen dabei einem kleinen eifrigen Schwarm behaarter brauner Bienen – denn alle hatten sie lange dichte Bärte –, die sich an eine Blüte hängen, um Honig zu sammeln. Doch während sie sich für sämtliche Ereignisse in der Kolonie brennend interessierten, waren sie auf ihre besondere französische Art gleichzeitig Exilanten und Verbannte, die ihre Verbannung mit Geduld und Heiterkeit ertrugen, nach einem höheren Befehl, dessen Natur ich nicht kannte. Man hatte das Gefühl, dass sie ohne diese unbekannte Macht gar nicht hier wären, und auch die Kirche mit dem Glockenturm, die Bogengänge oder die hübsche Plantage und die Brücke wären keinen Augenblick länger hier. Und sowie der Befehl zur Ablösung käme, würden die Patres die Kolonie ihrem Schicksal überlassen und allesamt auf kürzestem Weg nach Paris verschwinden.

Farah, der beide Reitpferde gehalten hatte, während ich in der Kirche und im Refektorium gewesen war, bemerkte auf dem Heimweg meine gehobene Stimmung. Er selbst war strenggläubiger Mohammedaner und trank niemals Alkohol, doch er hielt die Messe und den Wein für zusammengehörende Rituale meiner Religion.

Ab und zu kamen die französischen Patres per Motorrad auf die Farm, um bei mir einen Lunch einzunehmen. Sie zitierten Fabeln von Lafontaine und erteilten mir nützliche Ratschläge zur Bekämpfung von Krankheiten der Kaffeepflanzen.

Die schottische Missionsstation kannte ich dagegen nicht so gut. Sie war hoch gelegen, mit einer prachtvollen Aussicht auf das gesamte umliegende Kikuyuland, doch die Missionare machten auf mich den Eindruck, als wären sie blind und könnten nichts davon sehen. Die Kirche hielt es für äußerst wichtig, dass die Eingeborenen europäische Kleidung trugen, und arbeitete daran viele Jahre unermüdlich, in keiner Hinsicht zum Nutzen der Leute, wie ich fand. Die Missionsstation hatte jedoch ein gutes Hospital, solange ich es kannte geleitet von dem menschenfreundlichen, klugen und tüchtigen Arzt Doktor Arthur. Dort hat man vielen meiner Leute das Leben gerettet.

Kamante wurde über drei Monate in diesem Hospital behandelt. Während der ganzen Zeit sah ich ihn nur einmal. Ich wollte zur Bahnstation Kikuyu und ritt die Straße entlang, die ein Stück am Hospitalgelände vorbeiführte. Da entdeckte ich Kamante, er stand allein, von den verstreuten Grüppchen der anderen Rekonvaleszenten etwas entfernt. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich sein Zustand schon so weit gebessert, dass er wieder auf den Beinen war. Als er mich sah, kam er an die Umzäunung und lief, solange sie an die Straße grenzte, neben mir her. Er trabte auf seiner Seite des Zauns, wie ein Fohlen auf der Koppel, den Blick auf mein Pferd geheftet, sagte jedoch nichts. An der Ecke des Grundstücks kam er nicht weiter, und als ich mich kurz darauf umschaute, stand er reglos da und starrte mir mit hocherhobenem Kopf nach, wie ein Fohlen, das man auf seiner Koppel verlässt. Ich winkte ihm ein paarmal zu, was ihn erst gar nicht beeindruckte, dann fuhr plötzlich einer seiner Arme empor wie ein Pumpenschwengel, doch nur ein einziges Mal.

Am Ostermorgen kehrte Kamante in mein Haus zurück und überreichte mir einen Brief des Hospitals, in dem geschrieben stand, dass es ihm jetzt viel besser gehe und dass man glaube, er sei völlig geheilt. Er muss den Inhalt des Briefs gekannt haben, denn er behielt mich beim Lesen im Auge, fand jedoch keine Veranlassung, darüber zu diskutieren – er hatte Größeres vor. Kamante trat immer mit einer sehr gemessenen und schlichten Würde auf, diesmal aber leuchtete er auch noch vor verhaltenem Triumph.

Alle Eingeborenen haben Sinn für dramatische Effekte. Um mir eine echte Überraschung zu bereiten, hatte Kamante seine Beine von den Fersen bis zu den Knien sorgsam mit alten Bandagen umwickelt. Offenbar lag die große Bedeutung des Augenblicks für ihn nicht in seiner eigenen Heilung, sondern, auf großartige, selbstlose Weise, in der Freude, die er mir damit machen würde. Gewiss erinnerte er sich auch an meine Verärgerung und Enttäuschung in früheren Zeiten, als meine Kuren immer wieder fehlgeschlagen waren, und wusste durchaus, dass man im Hospital erstaunliche Erfolge erreicht hatte. Während er ganz langsam die Bandagen abwickelte, wobei ein Paar vollkommen glatter, nur von einigen grauen Narben gezeichneter Beine zum Vorschein kam, strahlte mich sein Gesicht mit einer seltsamen Wildheit und Strenge an.

Nachdem Kamante meine Verwunderung und Freude in dem ihm eigenen großen Stil gründlich ausgekostet hatte, beeindruckte er mich ein zweites Mal, indem er mir in ernstem Ton mitteilte, er sei Christ geworden. «Ich bin wie du», sagte er und fügte hinzu, dass ich ihm an diesem Tag, an dem Christus zu unser beider Freude auferstanden sei, wohl eine Rupie21 geben könnte.

Kurz darauf verließ er mich, um seine Familie zu besuchen. Seine Mutter war Witwe, hatte jedoch wieder geheiratet und wohnte in einem entlegenen Teil der Farm. Wie ich später von ihr hörte, ging er bei dieser Gelegenheit ausnahmsweise aus sich heraus und erleichterte sein Herz von den zahlreichen Eindrücken, die merkwürdige Menschen und Verhältnisse des Hospitals bei ihm hinterlassen hatten. Doch er hielt sich nicht lange in der Hütte seiner Mutter auf, sondern kehrte bald in mein Haus zurück, als wäre es für ihn selbstverständlich, dass er jetzt dorthin gehörte. Von da an blieb er in meinem Dienst, bis ich Afrika verließ, insgesamt etwa zwölf Jahre.

Bei unserer ersten Begegnung sah Kamante aus, als wäre er vielleicht sechs Jahre alt, er hatte jedoch einen Bruder, der etwas größer war, etwa wie ein Siebenjähriger, und beide versicherten mir, dass Kamante der ältere von ihnen sei. Ich vermute daher, dass die lange Krankheit sein Wachstum verzögert hatte und dass er damals durchaus neun gewesen sein könnte. Obwohl er nach seiner Genesung wuchs, wirkte er sein Leben lang wie ein Zwerg oder ein Krüppel, ohne dass man ihm eine besondere Missbildung ansehen konnte. Sein kantiges Gesicht wurde allmählich runder, er bewegte sich mit der Zeit geschmeidiger, obwohl er immer etwas Steifes behielt, und ich für mein Teil fand ihn recht gut aussehend, doch vielleicht betrachtete ich ihn mit den Augen eines Schöpfers. Seine Beine wurden niemals dicker und blieben dünn wie Stöckchen. Er war sein ganzes Leben eine phantastische Figur, lächerlich und dämonisch zugleich, und hätte, mit nur geringfügigen Veränderungen, als Schimäre hoch oben in der Kathedrale Notre-Dame sitzen und auf die Straße hinabschauen können. Ihm wohnte etwas ungewöhnlich Lebendiges und Leuchtendes inne, und auf einem Gemälde hätte er einen klaren, grellen Farbtupfer dargestellt. Mein gesamter Haushalt wurde durch ihn pittoresker. Nie war er, was man als ganz richtig im Kopf bezeichnet, zumindest blieb er in all den Jahren, die ich ihn kannte, was man bei einem Weißen im höchsten Grad exzentrisch nennt.

Er war ein nachdenklicher Mensch. Vielleicht hatten seine jahrelangen, frühen Leiden eine Neigung in ihm geweckt, über die Dinge zu reflektieren und aus allem, was er sah, seine eigenen Schlüsse zu ziehen. Er war sein ganzes Leben auf eine besondere Weise isoliert. Selbst wenn er die gleichen Dinge tat wie andere Menschen, tat er sie doch auf eine andere Art.

Ich hatte auf der Farm eine Abendschule für meine Leute und ließ sie von einem eingeborenen Lehrer unterrichten. Solche Schulmeister stellten die Missionen zur Verfügung, und im Laufe der Zeit bekamen wir Lehrer von der französischen, der englischen und der schottischen Mission. Jeglicher Unterricht für die Eingeborenen der Kolonie war nämlich religiöser Art, und soweit ich weiß, gab es außer Bibel und Gesangbuch keine anderen Bücher in ihrer Sprache. All die Jahre, die ich in Afrika verbrachte, trug ich mich mit dem Plan, den Eingeborenen zur Freude die Fabeln des Äsop zu übersetzen, doch ich fand niemals die Zeit dafür. Trotzdem besaß meine Schule, wie sie nun einmal war, für mich einen großen Wert, denn sie bildete gleichsam den Mittelpunkt des geistigen Lebens auf der Farm. Ich habe in dem langen Wellblechschuppen, in dem sie untergebracht war, viele interessante und unterhaltsame Stunden verbracht.

Kamante begleitete mich zwar abends dorthin, ließ sich jedoch niemals dazu überreden, selbst auf einer Schulbank Platz zu nehmen. Er stand von den andern Schulkindern etwas entfernt, als wollte er seine Ohren absichtlich vor der Stimme der Gelehrsamkeit verschließen und sich im Stillen über die Einfältigen lustig machen, die sich zum Zuhören verleiten ließen. Doch heimlich, in meiner Küche, schrieb er langsam und mühevoll die Buchstaben und Zahlen aus dem Gedächtnis auf, die er auf der schwarzen Schultafel gesehen hatte. Ich bezweifle, dass es ihm möglich gewesen wäre, mit den andern Kindern Schritt zu halten, selbst wenn er gewollt hätte. Zu einem sehr frühen Zeitpunkt seines Lebens war etwas in ihm verdreht oder überdreht worden, und nun empfand er es gewissermaßen als normal, dass er zu den Ausnahmen gehörte. Er war sich seiner Isolation wohl bewusst und besaß die hochmütige Seelengröße von Zwergen, die zwar begreifen, dass sie sich von der übrigen Welt unterscheiden, jedoch der Meinung sind, nicht sie selbst, sondern die Welt sei verwachsen.