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Feelgood auf Koreanisch: Ein herzerwärmender Roman über die Kraft der Entschleunigung in einer schnelldrehenden Welt und die heilsame Kunst eines zeitlosen Handwerks, das Töpfern.
Jeongmin kann nicht mehr, ihr Job beim Fernsehen hat sie ausgebrannt. Ziellos und erschöpft wandert sie durch die Straßen von Seoul, bis sie auf eine Töpferwerkstatt stößt. Der beruhigende Duft des erdigen Tons und die heimelige Wärme des Brennofens wecken Jeongmins Sinne. Zum ersten Mal seit Monaten fühlt sie sich wieder lebendig. Im Laufe eines Jahres lernt sie die Freuden des alten Handwerks kennen, verwandelt unter ihren Händen den kalten, nassen Lehm in warmes Glück. Topf für Topf, Schale um Schale, kehrt Jeongmin zu sich selbst zurück und schließt Freundschaften mit den anderen Teilnehmern der Keramikwerkstatt. Jeder von ihnen versucht seine eigenen kleinen und großen Lebenskrisen an der Töpferscheibe zu bewältigen. Als Weihnachten näher rückt und sich das Kastanienlaub vor dem Atelierfenster in frischen Schnee verwandelt, entdeckt Jeongmin, dass ihr Geist ruhiger geworden ist und ihr Herz sich öffnet wie nie zuvor.
Yeon Somin wird als aufstrebendes literarisches Talent in Korea gehandelt. Sie arbeitet als freiberufliche Drehbuchautorin für große Fernsehsender in ihrem Land. Seit Beginn ihrer Karriere als Romanautorin wurde sie mehrfach ausgezeichnet.
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Seitenzahl: 325
Veröffentlichungsjahr: 2024
Feelgood auf Koreanisch: ein herzerwärmender Roman über die Kraft der Entschleunigung in einer schnelldrehenden Welt und die heilsame Kunst eines zeitlosen Handwerks, das Töpfern.
Jeongmin kann nicht mehr, ihr Job beim Fernsehen hat sie ausgebrannt. Ziellos und erschöpft wandert sie durch die Straßen von Seoul, bis sie auf eine Töpferwerkstatt stößt. Der beruhigende Duft des erdigen Tons und die heimelige Wärme des Brennofens wecken Jeongmins Sinne. Zum ersten Mal seit Monaten fühlt sie sich wieder lebendig. Im Laufe eines Jahres lernt sie die Freuden des alten Handwerks kennen, verwandelt unter ihren Händen den kalten, nassen Lehm in warmes Glück. Topf für Topf, Schale um Schale kehrt Jeongmin zu sich selbst zurück und schließt Freundschaften mit den anderen Teilnehmern der Keramikwerkstatt. Jeder von ihnen versucht seine eigenen kleinen und großen Lebenskrisen an der Töpferscheibe zu bewältigen. Als Weihnachten näher rückt und sich das Kastanienlaub vor dem Atelierfenster in frischen Schnee verwandelt, entdeckt Jeongmin, dass ihr Geist ruhiger geworden ist und ihr Herz sich öffnet wie nie zuvor.
Yeon Somin wird als aufstrebendes literarisches Talent in Korea gehandelt. Sie arbeitet als freiberufliche Drehbuchautorin für große Fernsehsender in ihrem Land. Seit Beginn ihrer Karriere als Romanautorin wurde sie mehrfach ausgezeichnet. 2022 erhielt sie den renommierten Korea New Writer’s Award für ihren ersten Roman Lazy Kinko. Jeongmin töpfert das Glück ist ihr internationales Debüt, das in Korea sofort ein Bestseller wurde und sich über Nacht in über 20 Länder verkaufte. In ihrer Freizeit findet Yeon Somin Entschleunigung in der Kunst des Töpferns.
Kyong-Hae Flügel, geboren 1972, studierte Germanistik an der Chung-Ang University in Seoul und der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Sie lebt seit 1996 in Deutschland und übersetzt aus dem Koreanischen, u.a. . Jeong Yu-jeong und Han Kang.
www.cbertelsmann.de
Yeon Somin
Jeongmin töpfert das Glück
Roman
Aus dem Koreanischen von Kyong-Hae Flügel
Die Originalausgabe erschien 2023 unter dem Titel
von bei Mojosa, Korea.
Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.
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Copyright © Yeon Somin 2023
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe.2024 C. Bertelsmann in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München
This translated edition is published by arrangement with Mojosa Publishing Co. c/o Shinwon Agency through Peters, Fraser and Dunlop Ltd.
Redaktion: Friederike Arnold
Umschlaggestaltung: Sabine Kwauka
Umschlagmotiv: © shutterstock / Smolnik_draw; © shutterstock / Max_Lockwood; © shutterstock / Leo_RGB; © shutterstock / CreativeUniverse
Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering
ISBN 978-3-641-32077-5V001
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Glühender als der Sommer
Nur 60 Prozent!
Der Keramikmoment des Tons
Eine unvermeidliche Begegnung
Später Monsunregen und eine Katze
Wiederaufnahme des Tageskurses
Die Mitte finden
Die kobaltblaue Vase
Die Keramikerin und ihr Mann, der Florist
Traurige Legende
Die Richtung
Der Weg aus der Höhle
Der erste Schnee
Vom Bedürfnis, zu reden
Der Weihnachtsflohmarkt
Ausgerechnet der Maronenhain
Das türkisfarbene Meer
Nachwort der Autorin
Glühender als der Sommer
Jeongmin spürte, wie sich die Stacheln in ihre Hand bohrten. Diesen Moment im letzten Herbst wird sie nie vergessen.
Überall auf dem Weg lagen die zahllosen Schalen der heruntergefallenen Edelkastanien verstreut. Sie hob eine unversehrte Frucht auf, die glücklicherweise nicht zertreten war, klopfte die Erde ab und öffnete sie. Diese war jedoch leer, als hätte bereits jemand die Maronen herausgenommen. Wie viele hatte sie wohl noch vergeblich aufgehoben? Plötzlich spürte sie, wie sich ein Stachel in die zarte Haut ihrer Handfläche bohrte. Unter den unzähligen weichen Stacheln verbarg sich ein besonders spitzer, der sich nun boshaft bemerkbar machte. Jeongmin umfasste die stachelige Hülle noch fester. Sie wollte ihre Hand bestrafen, die bisher wie selbstverständlich ihre Texte geschrieben hatte, als sei nichts gewesen. Blutstropfen bildeten sich und ein pochender, brennender Schmerz schoss von der Handfläche über die Wirbelsäule bis in die Fußspitzen.
Seit diesem Tag setzte sie keinen Fuß mehr vor die Tür. Zu diesem Zeitpunkt war gerade mal eine Jahreszeit seit ihrem Umzug in den Maronenhain vergangen.
––––––
Vor einem Jahr hatte sie das Mehrfamilienhaus zum ersten Mal gesehen. Es war damals genauso heiß wie in diesem Sommer. Der Schweiß lief ihr am Hals herunter und sie war von den vielen Wohnungsbesichtigungen völlig erschöpft. Die Umzüge, die sich bei ihr alle zwei Jahre wiederholten, hatten sie so ausgelaugt, dass sie selbst eine schöne Wohnung nicht mehr als reizvoll empfand. Eine Wohnung besaß für sie lediglich einen praktischen Zweck.
»Ist das die letzte für heute?«, fragte Jeongmin matt.
Der Makler machte viel Aufhebens um jede Wohnung und schleppte sie von Adresse zu Adresse. Mit keiner war sie so zufrieden, dass sie einen Mietvertrag abschloss. Sah eine Wohnung ansprechend aus, war die Miete völlig überzogen. Stimmte die Miete einigermaßen, lag die Wohnung weit außerhalb, wodurch das Pendeln zur Arbeit fast unmöglich wurde.
»Nur noch eine Besichtigung bitte«, bat der Makler. »Es gibt ein Mehrfamilienhaus mit einer Wohnung, die perfekt geschnitten ist, um sie allein zu bewohnen. Sie ist wirklich die letzte, versprochen!«
»Okay, die sehe ich mir noch an«, antwortete sie nach kurzem Zögern.
Der Makler wollte unbedingt einen Abschluss machen und Jeongmins unbestimmte Reaktion sorgte für eine unterschwellige Anspannung zwischen den beiden. Jeongmin hatte sich jedoch entschlossen, heute alle Besichtigungen hinter sich zu bringen und eine Entscheidung zu treffen. Sie wollte keine Bedenkzeit übers Wochenende, denn als Autorin für einen Fernsehsender gab es oft keine klare Grenze zwischen Werktagen und den Wochenenden. Umso kostbarer waren diese freien Tage für sie.
»Mögen Sie Maronen?«, fragte der Makler unvermittelt, als sie eine Gasse im Maronenhain betraten.
»Nein, nicht sonderlich.«
»Hier stehen lauter Maronenbäume. Im Herbst tragen sie reichlich Früchte. Angeblich sind die Wege deshalb so schön. Ich habe gehört, dass die Bewohner sie sammeln.«
Jeongmin erwiderte darauf nichts. Die Blätter waren grün und die Äste braun, alle Bäume sahen im Sommer für sie ähnlich aus. Sie konnte die Maronenbäume nicht von anderen Bäumen unterscheiden.
Die Siedlung Vier lag auf einer Anhöhe. Auf dem steilen Weg verstummte der Makler auf einmal und beide konzentrierten sich auf ihre Schritte. Vor dem besagten Mehrfamilienhaus blieb Jeongmin stehen und verliebte sich auf den ersten Blick. An der elfenbeinfarbenen Front war die Farbe zum Teil schon abgeblättert. Aber die außergewöhnlichen Bogenfenster und die Balkone erinnerten sie an Europa. Die orangenen Fensterrahmen sahen einladend aus und passten gut zu den sommerlichen Temperaturen.
In einem der Bogenfenster im zweiten Stock standen in Blumentöpfen kleine Sukkulenten dicht nebeneinander. In der Wohnung im dritten Stock trockneten bunte Socken an einem Wäscheständer und schienen sich über den sommerlichen Sonnenschein zu freuen. Auch ein paar winzige gelbe Babysocken waren zu sehen. In der Nachbarwohnung konnte man Regale mit dicken Büchern erkennen. Ob dort ein fleißiger Uni-Dozent wohnte? Merkwürdigerweise konnte sich Jeongmin gut vorstellen, wie der Alltag in diesem Mehrfamilienhaus aussehen würde.
Wohnung 301. Sie blickte nun aus dem Fenster zu der Stelle, wo sie vorhin gestanden hatte. Der schwüle Wind umspielte arglos ihre langen Haare. Da die Wohnung auf einer Anhöhe lag, hatte man schon aus der zweiten Etage einen guten Blick bis zum Bergkamm, an den sich das nächste Viertel schmiegte. Hier überkam Jeongmin zum ersten Mal der Wunsch, etwas ans Fenster zu stellen. Für eine Weile war sie in Gedanken versunken, und ihr fiel auf, dass sie eine Zeit lang geschwiegen hatte, während der Makler sie zurückhaltend beobachtete. Ohne eine Sekunde zu zögern, teilte sie ihm mit:
»Ich nehme die Wohnung.«
Sie glaubte, dass sie hier lange bleiben könnte, ohne dass sie der Wohnung überdrüssig werden würde. Es schien, ihr Leben könnte so laufen wie ein Fahrrad, das ohne zu treten weiterrollt. Zum ersten Mal schloss sie eine Wohnung als ihr Zuhause ins Herz.
Dieser Traum platzte jedoch bald. Das Rad, auf dem sie saß, fuhr nur noch bergab. Es beschleunigte so sehr, dass sie es nicht mehr halten konnte und stürzte. Als alles zum Stillstand kam, wurde ihr bewusst, wie ausgebrannt sie war. Das war im Herbst, als sich das anfangs so bunte Laub langsam verdunkelte und die Farbe der Ziegelsteine annahm.
Sie kündigte ihren Vertrag für einen Dokumentarbericht bei einem öffentlich-rechtlichen Sender, warf ihren Mitarbeiterausweis weg, packte ihre Sachen und verließ ihr Büro, ohne mit der Wimper zu zucken.
In Wirklichkeit jedoch konnte sie sich nicht genau an die Ereignisse dieser Zeit erinnern. Ein paar Monate später erzählte ihr eine ehemalige Kollegin, was an dem Tag passiert war. Sie beschrieb sogar genau, was Jeongmin an dem Tag angehabt hatte. Wie schrecklich sie sich aufgeführt haben musste. Es war unglaublich, dass sie nach all ihrer Mühe und Leidenschaft in ihrem Job einfach so aus eigenem Antrieb das Gebäude verließ. Nachdem ein paar Monate, eine ganze Jahreszeit, nach der Kündigung vergangen waren, wurde ihr deutlich, dass sich ein unerklärliches Gefühl wie ein Fluch in ihrem Herzen eingenistet hatte.
Mit der Nachbarin, die so leidenschaftlich ihre Wohnung mit Pflanzen schmückte, sprach Jeongmin nun nicht mehr. Sie interessierte sich auch nicht mehr dafür, wie groß der süße Wonneproppen aus dem dritten Stock inzwischen war. Auch von dem Bücherwurm, dem Studenten aus der Wohnung nebenan, borgte sie sich keinen Roman mehr. In dieser kleinen Siedlung, in der sich die Farbe der Gebäude je nach Sonnenschein veränderte, konnte sie einfach nicht mehr glücklich sein. Das Fenster, das sie aufgrund des geschwungenen Bogens an Europa erinnerte und sie bisher immer zum Lächeln gebracht hatte, verlor seine Bedeutung und diente nur noch zum Lüften. An klaren Herbsttagen hatte sie den Eindruck, dass der blaue Himmel plötzlich zusammensacken und das Mehrfamilienhaus überdecken würde. Ab November, als es kühler wurde, zog sie nicht einmal mehr die Rollläden hoch, damit sie den winterlichen Himmel nicht sehen musste. Wenn die Temperatur in der Wohnung sank und es besonders ruhig wurde, nahm sie an, dass es geschneit haben musste. Als es im neuen Jahr regnete, schien die Siedlung den grauen, wolkenverhangenen Himmel zu berühren. So ließ sie die Zeit ohne Höhen und Tiefen verstreichen, ohne zu wissen, ob gestern heute war oder heute morgen. Das dreißigste Jahr ihres Lebens glich für sie einem Labyrinth. Und sie fühlte sich darin nicht einmal eingeengt. Vielleicht weil sie es längst aufgegeben hatte, ihm zu entfliehen. Das Gefühl, dass sie friedlich in dieser Wohnung leben könnte, ließ sie grandios im Stich.
––––––
Von Selbstvorwürfen geplagt, hatte Jeongmin so drei Jahreszeiten verstreichen lassen, und jetzt ist schon Hochsommer. Die Erinnerung an die Schmerzen in der rechten Hand im vergangenen Herbst ist inzwischen verblasst. Doch eines Morgens springt sie plötzlich mit einem Schrei vom Bett auf. Es ist nicht einmal ein Wort, geschweige denn ein Satz – nur ein Schrei ohne bestimmte Absicht oder Aussage. Und doch verbirgt sich dahinter ein unglaublich starker Druck, etwas tun zu müssen. Seit dem Frühling spürt sie diesen Druck. Das Gefühl, dass sie dahinsiecht und keinen Schritt zurück unter Menschen schaffen wird, wenn sie weiterhin wie eine Einsiedlerin lebt, quält sie schon lange. Außerdem wird jeden Monat eine Menge Geld von ihrem Konto abgebucht, obwohl sie eigentlich nur atmet. Es fühlt sich an, als müsste sie allein für ihr Dasein zahlen. Dann sollte sie wenigstens so viel tun, dass es dieses Geld auch wert ist.
In ihrer fast leeren Zweiraumwohnung hallt der Schrei wie ein Echo von den Wänden wider. Erst als sie ihn hört, wird ihr bewusst, dass sie ihre Stimme schon lange nicht mehr benutzt hat. Als das Echo verstummt, versucht Jeongmin, den süßen Geschmack in ihrem Mund mit Wasser auszuspülen. Ungeachtet der sommerlichen Temperaturen verlässt sie die Wohnung mit langärmeligem Oberteil und langer Hose.
Die Augustsonne brennt kräftig. Sie knallt direkt auf ihren Hinterkopf, sodass Jeongmin in der sengenden Hitze zu schwanken beginnt. Als wäre sie aus einer sterilen Einrichtung ausgebrochen, scheint sie alle Abwehrkräfte gegen die Sonne verloren zu haben. Der Schweiß läuft ihr in Strömen aus allen Poren, was sie selbst verschuldet hat, da sie ein schwarzes Langarmshirt und eine Jeans trägt. Seit dem letzten Mal, als sie draußen war, muss sie noch mehr abgenommen haben, denn die Kleidung hängt locker an ihr herab, und darunter fühlen sich ihr Hintern und die Waden äußerst weich an. Schon früher hatte sie wenig Muskeln, aber selbst die scheint sie verloren zu haben.
Nach einer knappen halben Stunde will Jeongmin in ein Café flüchten. Die typischen gelben Schilder weisen auf einige Café-Ketten hin. Nach so langer Zeit in ihrer Wohnung hat Jeongmin Lust auf einen guten Kaffee. Es soll kein Massenkaffee XL sein, der ihr den Schlaf nimmt, sondern ein mit Sorgfalt gebrühter. In der Hoffnung, ein kleineres Café zu finden, biegt sie in eine schmale Gasse ein. Ihr fällt ein Laden auf, der zwar wie ein Café aussieht, an dem jedoch kein Schild angebracht ist. In dem bodentiefen Fenster stehen zahlreiche Pflanzen und verhindern den Blick ins Innere. Es erinnert sie an ein Hexenhaus aus den Märchen ihrer Kindheit. In den meisten Töpfen wachsen Kakteen mit spitzen Stacheln. Den Laden hat sie bisher nie wahrgenommen. Sie nimmt es als Herausforderung und beschließt hineinzugehen.
»Guten Tag, ist das hier ein Café?«
Sie hält inne, bemerkt den lehmigen Geruch, der ihr entgegenweht, und erkennt die Töpferwaren, die dicht an dicht auf einem Regal stehen. Zwei Frauen mit erdverschmierten Schürzen sitzen vor ihr im Laden. Die eine, Mitte zwanzig, müht sich mit dem Ton auf einer Töpferscheibe ab. Und die andere, Anfang vierzig, schaut geistesabwesend aus dem Fenster. Eine Leere scheint sie zu umgeben.
»Entschuldigung, ich dachte, das hier wäre ein Café«, sagt Jeongmin etwas verlegen, aber die beiden Frauen wirken nicht überrascht. Es kommt ihr so vor, als hätte sie sich mit ihnen verabredet.
»Das vermuten manche«, antwortet die ältere Frau, wohl die Inhaberin. »Weil man nicht gut hineinsehen kann und das Schild so klein ist. Ich bedauere, aber wir sind eine Töpferei. Oh, Sie schwitzen ja ganz schön.«
»Ich habe einen Spaziergang gemacht.« Jeongmin wedelt peinlich berührt mit den Händen. Unauffällig blickt sie an sich herunter und stellt fest, dass ihre Kleidung zum Glück nicht durchnässt ist.
»Wissen Sie was, es ist so heiß, trinken Sie doch trotzdem hier einen Kaffee. Wir sind kein Fachgeschäft, aber wir haben mehrere Sorten. Auch süßen Kaffee.«
Die andere Frau lässt die Töpferscheibe ausdrehen und pflichtet ihr bei: »Wir wollten sowieso gerade eine Kaffeepause machen.« Sie wäscht sich die Hände.
»Aber …« Jeongmin ist sich nicht ganz sicher, ob sie den Vorschlag als Aufdringlichkeit oder Freundlichkeit auffassen soll.
»Kein Problem, bitte nehmen Sie doch Platz«, sagt die Jüngere lächelnd und holt schnell einen Stuhl herbei. Jeongmin betrachtet dieses unbeschwerte Lächeln mit Skepsis, aber sie ist auch nicht abgeneigt. Vielleicht sind es aber auch die weißen und grünlichen Töpferwaren, die den Farben der Natur ähneln, von denen sie angetan ist. Es ist wirklich erstaunlich, dass von Menschen geformter Ton die Farben der Natur so genau wiedergeben kann. Sie erinnert sich an ein Interview, das sie vor einigen Jahren gab, weil eine jüngere Kommilitonin sie eindringlich darum bat. Das Thema lautete: Wir befragen die berufstätigen Absolventinnen der Universität. Auf die schematische Frage »Woher holen Sie sich die Inspiration für Ihre Texte?« antwortete sie ebenso schematisch: »Aus der Natur.« Gelogen war das nicht. Jeongmin ließ sich tatsächlich von der Natur inspirieren, zum Beispiel von den Farben des Meeres, welches in unglaublichen Blau- und Grüntönen schillern kann.
Wenn es nicht das geheimnisvoll schimmernde Grün der Keramik ist, dann liegt es vielleicht daran, dass Jeongmin die rundliche Hand der jüngeren Frau, die den Stuhl gebracht hat, niedlich findet. Nein, sie kann auch deshalb nicht das Angebot ablehnen, weil sie den Eindruck hat, dass sich die Ladeninhaberin wirklich über ihren Besuch freut. Kurz zuvor saß sie noch völlig abwesend da und starrte ins Leere. Jetzt hat sie Farbe im Gesicht. Jeongmin kann diese Veränderung nicht ganz nachvollziehen, aber irgendwie hebt sie ihre Stimmung. Wie verzaubert lässt sie sich auf den Stuhl sinken.
»Süß oder schwarz?«
»Schwarz bitte.«
»Geht auch ein Kaffee mit einer Nussnote? Der mit der Säure ist mir ausgegangen. Aber wir haben ein Geheimrezept für unseren Kaffee, jeder schmeckt, ganz gleich, was Ihre persönlichen Vorlieben sind. Übrigens, das nächste Mal sollten Sie unbedingt einen süßen probieren. Das ist nämlich meine Spezialität.«
Das nächste Mal? Meint sie damit, dass sie wiederkommen soll? Aus Höflichkeit lächelt Jeongmin und nimmt die Einladung mit einem kurzen Ja an. Die jüngere Frau stellt keine Fragen, und genau das gefällt ihr. Sie mag undurchsichtige Gespräche nicht, bei denen man seine Fühler übermäßig ausstreckt, um den anderen kennenzulernen.
Dank der Klimaanlage ist ihr Schweiß schnell getrocknet. Nur der Wasserkocher stößt Laute mit starkem Dampf aus, so als wollte er auf sich aufmerksam machen. Während des Aufbrühens verbreitet sich das Kaffeearoma in der Werkstatt. Der ganze Raum wird von einem Duft erfüllt, der sich nicht mit einem einzigen Wort definieren lässt. Ein Wohlklang aus lehmigem Geruch und Kaffeearoma. So eine Mischung hat sie sich bisher noch nie vorgestellt, aber sie findet sie angenehm. Das emotionale Urteil unschädlich geht dem analytischen Urteil der biologischen Nase voraus, die Noten von süß, bitter und fischig vernimmt. Jeongmin besitzt einen empfindlichen Geruchssinn, und es kommt nicht oft vor, dass sie für das emotionale Urteil Partei ergreift.
»Ich habe einen Iced Coffee zubereitet.«
Mit diesen Worten bringt die Inhaberin einen heißen und zwei kalte Tassen Kaffee. Die Tassen sind anscheinend hier getöpfert worden, ihr Design ähnelt den ausgestellten Stücken. Die jüngere Frau trinkt den kalten Kaffee wie ein erfrischendes Bier mit großen Schlucken. Wahrscheinlich weil sie sich an der Drehscheibe abgemüht hat. Für Jeongmin sieht der dunkle Kaffee einladend aus, nachdem sie so geschwitzt hat. Sie kann es nicht leugnen, er ist genauso köstlich, wie die Ladeninhaberin stolz behauptet hat.
Es scheint kein besonderer Kaffee zu sein, und dennoch besitzt er einen sehr speziellen Geschmack, der die Zunge umspielt. Während Jeongmin den Duft wahrnimmt, kommt sie zu der Schlussfolgerung, dass die Bohnen nicht von irgendwoher stammen können. Da sie in den vergangenen Jahren beim Fernsehen oft nachts arbeiten musste, kann sie den Geschmack jeder der großen bekannten Marke herausschmecken. Sie bewegt den Kaffee eine Weile im Mund und überlegt angestrengt, aber ihr fällt nichts Passendes ein. Kein Wunder, denn seit ihrer Kündigung hat sie monatelang Schlaf nachgeholt und keinen Kaffee mehr gebraucht. Wahrscheinlich ist ihr Geschmackssinn deshalb etwas abgestumpft.
»Köstlich. Der ist wirklich fein. Würden Sie mir verraten, woher die Bohnen kommen?«
»Ich weiß es auch nicht genau, da ich sie geschenkt bekommen habe. Ich vermute mal, aus Yirgacheffe.«
Gespannt, das Geheimnis dieses besonderen Geschmacks zu erfahren, legt Jeongmin den Kopf etwas schräg. Da fährt die Inhaberin fort:
»Dass der Kaffee bei uns auch mit normalen Bohnen so gut schmeckt, liegt an unseren Tassen. Sie sind aus solider Keramik, die bei 1.250 Grad gebrannt wird. Schwarzer Kaffee schmeckt in der seladongrünen Keramik einfach besser. Und süßen Kaffee sollte man unbedingt aus weißem, glänzendem Porzellan trinken. Das verbessert noch den guten Geschmack. Vielleicht erinnert das weiße Porzellan an die Kristalle des Zuckers.«
Die jüngere Frau stimmt zu.
»Zuerst habe ich es auch nicht geglaubt, ich hielt es für einen Placebo-Effekt, wie bei der Legende von der Erleuchtung des buddhistischen Mönchs Wonhyo, der erkannte, dass alle Empfindungen von den Dingen in uns selbst entspringen. Jedenfalls ist es eher das Aroma als der Geschmack, das alchimistisch anders ist. Da ich Chemie studiert habe, habe ich aus Neugier nachgeforscht und glaube, dass die Oberfläche des Porzellans und die Inhaltsstoffe des Kaffees chemisch miteinander reagieren. Man sagt ja, Porzellan atmet.«
»Wie interessant.«
Für Jeongmin klingen die Worte der beiden merkwürdigerweise einleuchtend. Gut möglich, dass das Geheimnis nicht in den Bohnen, sondern tatsächlich im Porzellan liegt. Mit diesem Gedanken umfasst sie die Tasse fest mit beiden Händen. Trotz der vielen Eiswürfel, die sich darin befinden, hat sie das Gefühl, noch immer die Temperatur von 1.250 Grad spüren zu können. Zum ersten Mal versucht sie, sich eine so hohe Temperatur vorzustellen. Sie spürt, wie sich die Wärme von den Blutgefäßen der Handfläche in den Rest des Körpers ausbreitet. Durch die Klimaanlage hatte sie sich schnell erfrischt gefühlt. Aber jetzt scheint die Wärme tief in ihre Knochen eingedrungen zu sein und sie kann sich entspannen. Sie schmilzt hoffnungslos dahin. Die Kälte kann gegen die Wärme nichts ausrichten, und ihr wird bewusst, dass sie diesen Kaffeegeschmack vermissen wird. Genauer gesagt, nicht den Geschmack, sondern das Aroma, wie es die jüngere Frau formuliert hat.
»Kann man die Tassen, die da hinten stehen, vielleicht kaufen?«
»Klar, schauen Sie sich ruhig um. Da links stehen ganz viele solcher Becher und Tassen.«
Im Gegensatz zu dem überteuerten Porzellan, das im Kaufhaus ordentlich aufgereiht steht, sehen sie eher grob aus. Die hier stehen viel zu dicht beieinander, manche sind sogar übereinandergestapelt. Jeongmin befürchtet, dass sie in diesem Zustand einen Sprung bekommen könnten. Doch der Anblick ist so lebensecht wie der Inhalt eines Küchenschranks. Die reinweißen Tassen erinnern sie an einen Karamell-Macchiato. Eine Tasse mit türkis-weißem Farbverlauf lässt sie an Milchtee denken. Es gibt auch eine schwarze Tasse, bei der sie sofort das Gefühl bekommt, sie müsse sich Vanilleeis für einen Affogato besorgen. All das liegt sicher an der Wirkung der Tassen, von der die Inhaberin vorhin gesprochen hat. Als Autorin hat Jeongmin ein gutes Vorstellungsvermögen. Behutsam nimmt sie jede Tasse in die Hand, umfasst sie und erfühlt mit der ganzen Handfläche die Temperatur. Obwohl sie bis eben noch schwitzend auf den Sommer geschimpft hat, ist sie neugierig, wie heiß es wohl im Brennofen gewesen ist, in dem diese Tassen bis vor Kurzem gestanden haben. Sie findet ihr paradoxes Verlangen nach etwas noch Heißerem als dem Wetter draußen ziemlich witzig.
»Ich mag Kaffee sehr. Früher brauchte ich ihn, weil ich wegen meines Berufs oft die ganze Nacht durcharbeiten musste. So eine Tasse hätte ich schon gern.«
»Was halten Sie davon, selbst welche zu töpfern und brennen zu lassen, anstatt eine zu kaufen?«
Die Inhaberin macht den Vorschlag in demselben ruhigen Ton wie vorhin, als sie fragte, ob sie hier Kaffee trinken wolle. Sie scheint sich gut damit auszukennen, wie sie ihr Gegenüber nicht unter Druck setzt.
»Mit den Händen bin ich total ungeschickt, eine Null in der Kunst. Das schaffe ich nie.«
»Machen Sie sich da mal keine Sorgen. Die Dame hier hat auch als blutige Anfängerin im Kunsthandwerk begonnen. Aber jetzt kann sie so wunderbare Dinge erschaffen, dass sie ihre Arbeiten sogar auf der Messe verkaufen kann. Wenn man etwas hat, das man in ein Gefäß füllen möchte, dann ist das schon Grund genug, mit dem Töpfern zu beginnen.«
Bei etwas, das man in ein Gefäß füllen möchte, denkt Jeongmin an Karamell-Macchiato, Milchtee und Affogato. In die Töpferwaren, die bei 1.250 Grad heiß und hart aus dem Ofen kommen, ließe sich sicher noch viel mehr füllen, denkt sie. Sie fragt sich, ob man nicht auch etwas Formloses ohne Geruch und Gewicht hineinfüllen könnte.
»Wohnen Sie hier in der Nähe?«, fragt die Inhaberin und nippt an ihrem Kaffee.
»Ja, am Maronenhain in der Siedlung Vier, seit etwa einem Jahr.«
Die Frau reißt die Augen auf und entgegnet freudig:
»Das ist ja ganz in der Nähe. Wir sind uns bestimmt auch schon irgendwo begegnet.«
»Das glaube ich nicht, denn ich bin eigentlich immer nur in der Wohnung.« Jeongmin lächelt matt.
»Bei mir ist es auch noch nicht lange her, dass ich aus meiner Höhle herausgeholt wurde«, erwidert die Frau.
Jeongmin presst die Lippen fest zusammen. Früher sagte eine Freundin mal zu ihr: »Ich hole dich aus deiner Höhle heraus«. Der Tonfall enthielt ein Ich meine es gut mit dir, was Jeongmin unangenehm war. Die Freundin hielt sich für gütig, für Jeongmin kam dies jedoch einer Drohung gleich, die Freundin an sich heranlassen zu müssen, was für sie völlig unmöglich war.
»Aber eine Höhle an sich ist doch gar nicht so schlecht, oder?«, wirft die Inhaberin unerwartet ein. Aus unerklärlichen Gründen fühlt sich Jeongmin bei ihr sicher und nickt leicht, die Tasse immer noch fest in ihren beiden Händen haltend.
Um eine Zeit für einen Töpferkurs zu vereinbaren, fragt die Inhaberin Jeongmin nach ihrem Terminplan. Sie antwortet, dass sie im Moment viel Freizeit hat, da sie eine Auszeit nimmt. Beschönigt ausgedrückt ist es zwar eine Auszeit, aber in Wirklichkeit ist sie arbeitslos. Wenn sie dies offen ausspricht, werden ihr üblicherweise die sechs W-Fragen gestellt. Es beginnt meist mit der Frage, was sie denn gearbeitet hat. Und es endet in der Regel mit der Bemerkung: »Oje, Sie haben sicher viel Kummer.« Sie geben vor, sich zu sorgen, und schließen daraus willkürlich, dass sie eine ungewisse Zukunft vor sich habe oder ihr eine sinnvolle Integration in die Gesellschaft nicht gelungen sei. Doch die Inhaberin erwidert nur knapp: »Schön, dass Sie so viel Muße haben.« Jeongmin merkt, dass sie sich vor ihr nicht angespannt fühlen muss, denn sie fragt sie nicht aus.
»Wir fangen mit zweimal die Woche an, dienstags und donnerstags, wie wär’s damit? In den ersten zwei Wochen ist es das Ziel, dass Sie sich damit anfreunden, mit den Händen Ton zu bearbeiten. Später können wir einen Tag aufs Wochenende verlegen und Sie nehmen am Kurs für die Berufstätigen am Samstag teil. Mein Name ist Johee. Das hier ist Jihye, sie ist schon länger dabei.«
Nach diesen Worten reißt Johee unvermittelt die August-Seite vom Tischkalender ab. Sie markiert die Daten, an denen Jeongmin zur Töpferei kommen soll, und reicht ihr das Blatt. Anhand der vielen Zahlen wird Jeongmin bewusst, wie lang ein Monat sein kann.
Nur 60 Prozent!
Dienstags und donnerstags, wie wär’s damit?
Diese Worte von Johee schwirren in Jeongmins Kopf herum, wie das Nachbild einer Neonröhre, die nach dem Ausschalten noch vor den Augen glimmt. Als Jeongmin gestern vor dem Zubettgehen ihren Wecker stellte, sah sie, dass sie ihn in der Vergangenheit zwischen 7 und 9 Uhr alle fünf Minuten hatte klingeln lassen. Da wurde ihr bewusst, wie hart und stressig sie gelebt hatte. Gleichzeitig fühlte sie sich erleichtert, nicht mehr so leben zu müssen, auch wenn sie jetzt in Lethargie versunken war. Das Gefühl, sich eine Auszeit verdient zu haben, kehrte zurück.
Nach dem morgendlichen Klingeln des Weckers denkt sie sofort an Johees Worte, sie solle gut essen, bevor sie in die Töpferei komme. Also isst sie nach langer Zeit mal wieder richtig zu Mittag und macht sich erst dann auf den Weg. Niemals hätte sie sich träumen lassen, dass der Gedanke, etwas Neues zu lernen, sie so beschwingen würde. Diese Lebendigkeit, die für sie grellgelb leuchtet, ist ihr fremd. So etwas hat sie bisher noch nie erlebt.
Zwischen den Siedlungen Eins bis Vier am Maronenhain befinden sich kleine Geschäftsgebäude. Normalerweise sind im Erdgeschoss Gaststätten, Mini-Supermärkte oder Cafés und darüber Wohnungen. Das Viertel ist nicht sehr belebt und das Durchschnittsalter so hoch, dass es jungen Leuten langweilig vorkommen mag.
Die Töpferei liegt in der hintersten Gasse gegenüber einer Grundschule und der Siedlung Zwei. Jeongmin hat sich heute für die Jahreszeit passend gekleidet, damit sie nicht wieder so schwitzen muss. Diesmal betrachtet sie die Fassade der Töpferei genau und erkennt das von Efeu verdeckte Schild.
SOYO
ceramic art &
Das Schild ist weiß wie die Fassade des Gebäudes, die Schrift schwarz und schnörkellos. Jeongmin öffnet die Tür und folgt dem Geruch des gebrannten Tons. Sie sieht ein Kind, das mit Ton spielt, und einen Schüler der Oberstufe sowie Jihye, mit der sie das letzte Mal gemeinsam Kaffee getrunken hat. Jihye kommt freundlich auf sie zu und stellt ihr die anderen vor.
»Das ist Hansol aus der Grundschulgruppe. Ihre Freundin, die sonst mitkommt, ist heute nicht mit dabei. Na ja, sie kommt eigentlich nur, wenn sie will. Beim nächsten Mal mache ich euch miteinander bekannt. Und das ist Jun mit dem einsilbigen Vornamen, die Zukunft unserer Töpferei.«
Etwas durcheinander sagt Hansol »Guten Tag« und Jun wirft schweigend einen flüchtigen Blick zu Jeongmin hinüber.
Jihye fragt sie, ob sie sich gleich duzen wollen. Beim zweiten, nein, anderthalbmaligen Treffen schon duzen? Jeongmin hat in ihrem Beruf früher selbst die Einsteiger-Autoren mit frischem Uni-Abschluss höflich gesiezt. Sie hat darauf bestanden. Aber jetzt ist sie ja hier nicht auf Arbeit, also will sie nicht allzu sehr darüber nachdenken und nickt bereitwillig. Sie findet Jihyes lächelnde Augen schön. Irgendwie hat sie es immer geschafft, sich von fröhlichen Menschen zu entfremden, die in ihrer Kindheit so viel Liebe erfahren haben. Andererseits kann sie nichts dagegen tun, dass sie sich zu solchen Leuten hingezogen fühlt.
Johee ist erstaunt, weil Jeongmin um 13:30 Uhr eintrifft, und scherzt, dass sie so perfekte Menschen nicht besonders möge. Aber es klingt, als ob sie es ein bisschen ernst meint. Als Erstes kocht sie Kaffee, als wäre das schon Routine. Der süße Haselnuss-Latte zeichnet sich auch ohne guten Milchschaum durch eine unverfälschte, angenehme Würze aus.
»Vorhin habe ich ein Schild entdeckt. Die Töpferei hier heißt Soyo.«
»Erstaunlich, denn es ist völlig zugewachsen, und du hast es trotzdem entdeckt. Ich habe es absichtlich versteckt, damit nur Leute mit einer guten Beobachtungsgabe es sehen können. Nicht, dass du denkst, ich wäre zu faul, um es zu pflegen.«
Auch wenn hier mit Ton gearbeitet wird, ist der Innenraum ziemlich sauber. Jeongmin glaubt deswegen Johee sofort, dass sie nicht faul ist.
»Die Pflanzen draußen sind schon üppig. Ich wusste letztes Mal gar nicht, dass das hier eine Töpferei ist. Habt ihr diesen Namen genommen, weil man Zeit braucht, um Porzellan herzustellen?«
»Falsch! ›So‹ kommt aus dem Chinesischen ›die Erde formen‹ und ›Yo‹ bedeutet ›Ofen‹ . Man formt die Erde und brennt sie im Ofen. Die Bedeutung ist intuitiv. Und ich habe soeben beschlossen, dass ›die Zeit wird gebraucht‹ eine Konnotation ist. Gleiche Laute mit zwei Bedeutungen. Das ist doch eine gute Idee!«
»Ich finde den Namen schön. Auch die Aussprache ist leicht.«
»Nun haben wir die Selbstdefinition der Töpferei geklärt. Wollen wir jetzt loslegen?«
Mit diesen Worten führt Johee Jeongmin nach hinten. Neben dem Spind hängen mehrere Arbeitsschürzen. Johee ist heute viel gesprächiger als bei der ersten Begegnung, als wäre sie aufgeregt.
»Wenn du reinkommst, solltest du dir hier als Erstes eine Schürze nehmen. Oh Gott, ich Dussel! Ich habe total vergessen, für dich eine zu bestellen. Heute borgen wir uns eine von jemand anderem. Das bleibt aber unser Geheimnis. Er kommt sowieso nur am Wochenende, also weiß er nicht genau, wie es unter der Woche läuft. Aber selbst wenn er davon erfährt, würde er nichts sagen. Er ist nämlich wie ein Bär.«
Jeongmin nimmt eine große, grüne, mit Ton beschmierte Schürze entgegen. Darauf sind die Buchstaben GS mit Rückstich etwas unbeholfen aufgestickt, wohl die Initialen des Mannes, dem die Schürze gehört. Ein süßlicher Parfümduft umgibt Jeongmin, während sie sie umbindet. Als sie ihr Handy in die Tasche steckt, ertastet sie einen kalten Ring. Ein dünner Silberring ohne Gravur. Auf den ersten Blick erkennt sie, dass es ein Ring für Pärchen ist. Er hat hier und da kleinere Kratzer, deshalb ist der Mann wohl schon lange mit seiner Freundin zusammen. Bei diesem Gedanken bekommt sie ein schlechtes Gewissen. Mit dem Gefühl, heimlich in die Liebesgeschichte zweier Unbekannter eingedrungen zu sein, steckt sie den Ring wieder tief in die Schürzentasche.
Allein schon das Tragen der Arbeitsschürze erfüllt sie mit Aufregung, als wäre sie bereits eine Keramikkünstlerin. Eigentlich vermeidet sie es, freudige Erwartungen zu haben, aber jetzt will sie das Gefühl auf einmal richtig genießen. Sie nimmt einen kleinen Wassereimer, zwei Schwämme und eine Töpferscheibe. Dann geht sie zu dem großen Arbeitstisch, an dem Hansol bereits Platz genommen hat. Johee setzt sich zu ihr und fragt:
»Wir sollten uns zuerst entscheiden, was wir machen wollen. Hast du Lust auf etwas Bestimmtes?«
»Ich möchte so einen Becher machen, in dem du mir letztes Mal den Kaffee serviert hast.«
»Aha, das ist aber schwer, weil Becher einen Henkel haben. Normalerweise fängt man mit einem einfachen Teller an.«
Jeongmin findet es sehr schade, nicht gleich mit einem Kaffeebecher loslegen zu können. Sie betrachtet die ausgestellten Teller und weiß nicht so recht, welchen sie töpfern soll. Alles sieht nach kunstvoller Technik aus, die einer Anfängerin wie ihr zu schwierig erscheint.
»Hm, sollen wir so einen gelben Teller nehmen?«, will Jeongmin wissen und hebt einen Teller hoch, der ihr wegen der Farbe ins Auge sticht. Das neutrale Design gefällt ihr.
»Das ist ein Meisterstück mit einer Kunstfertigkeit, die 5 Millionen Won wert ist. Er war von Anfang an nicht für den Verkauf gedacht, sondern nur für die Ausstellung. Du hast ja einen Kennerblick.«
Erschrocken stellt Jeongmin den Teller schnell wieder zurück. Sie fühlt sich erneut entmutigt.
»Normalerweise denkt man bei einem Teller zuerst an die Funktion. Beim Töpfern ist die Nützlichkeit wichtiger als die Schönheit. Für dich sehen die Teller hier alle gleich rund aus, nur die Größe ist unterschiedlich«, beginnt Johee vor dem Regal zu erklären und nimmt dabei einzelne Teller in die Hand. »Dieser ist groß und eignet sich für herzhafte Pajeon-Pfannkuchen mit Frühlingszwiebeln an einem regnerischen Tag. Auf diesem kann man sich mit Freunden ein Dessert teilen, vor allem Kekse oder kleines Gebäck wie Madeleines. Und der ist etwas tief, also eignet er sich gut für Spezialitäten wie Rettich-Wasser-Kimchi-Dongchimi. Jetzt denk mal an deine Küche, Jeongmin, welchen Teller brauchst du?«
»Hm … meine Küche ist völlig leer. Ehrlich gesagt, ich benutze selten Teller. Die Beilagen nehme ich aus der Packung. Nachtisch esse ich auch selten. Vor allem … koche ich nicht.«
»Das heißt, du musst jetzt viele Teller töpfern, nicht wahr? Es wird dir Spaß machen, einen nach dem anderen fertigzustellen und den Küchenschrank damit zu füllen. Wie wäre es, wenn wir heute mit einem Allzweckteller anfangen? Er sollte etwas größer als deine Hand sein. Kein Design, einfach rund. Simple is the best. Verstehst du? Wenn die Größe nicht klar zuzuordnen ist, kann man ihn für alles Mögliche verwenden.«
»Mir ist alles recht.«
»Zum ersten Mal Ton anzufassen, bringt meist ein unangenehmes Gefühl mit sich. Du solltest nicht versuchen, alles perfekt zu machen, sondern nur 60 Prozent geben. Nicht mehr, nicht weniger, nur 60 Prozent.«
Johee holt den weißen Ton. Aus diesem Tonklumpen soll ein runder Teller werden?, fragt sich Jeongmin. Der Ton fühlt sich in ihren Händen weich an und viel kälter, als sie es sich vorgestellt hat. Sie rollt den Boden des Tellers in 8 mm Stärke aus und legt ihn auf die Töpferscheibe. Bis jetzt ist es leicht.
»Ab jetzt muss man sich konzentrieren.« Johee holt ein kleines Messer.
Sie stößt die Drehscheibe an und zeichnet vorsichtig einen Kreis in der Größe eines Tellers in den ausgerollten Ton. Dann reicht sie Jeongmin das Messer. Mit dem Werkzeug in der zitternden Hand macht sie ihren ersten Versuch. Der Kreis ist perfekt (!) unförmig. Hilfesuchend schaut sie Johee an.
»Alles gut, versuch es noch einmal.«
Jeongmin bringt die Scheibe wieder zum Drehen, aber der Kreis ist noch unförmiger. Der vierte Versuch sieht einigermaßen brauchbar aus, aber die Tonplatte ist mit den vielen Linien unansehnlich geworden.
»Soll ich sie noch einmal ausrollen?«, fragt sie Johee unsicher.
»Nein, Ton ist ein weiches Material, anders als Holz, Leder oder Metall. Das heißt, man kann es jederzeit korrigieren.«
Johee reibt mit dem Finger über die misslungenen Linien, als hätte sie heilende Hände, mit denen man Wunden auswischen und verschwinden lassen kann.
»Ton kann man korrigieren«, murmelt Jeongmin leise.
»Weißt du, warum deine Kreise immer krumm sind? Weil du nicht entschlossen genug bist. Deine Hand mit dem Messer geht mit der Drehscheibe mit. Du musst die Hand anspannen und die Position halten. Und jetzt darfst du so viel verpatzen, wie du möchtest.«
Johee wischt sogar den letzten passablen Kreis weg und ermuntert sie zu einem neuen Versuch. Die Scheibe dreht sich so schnell, als würde sie Jeongmin antreiben wollen. Sie spannt ihre Hand an und lässt sie in der Drei-Uhr-Position sinken. Der Umriss ist etwas oval, aber diesmal geht die Hand nicht mit der Scheibe mit. Sie hebt ihr Messer wieder und bemerkt, dass ihre Hand sich noch immer in der Drei-Uhr-Position befindet. Dann wischt sie die Linie wieder weg, als wäre sie nie da gewesen. Noch ein Versuch. Und endlich ist der Kreis perfekt.
Das Gefühl, wie sie den Ton entlang der Linie abschneidet, ist neu. Es hat den Anschein, als würde man einen gut aufgegangenen Hefeteig teilen. Mit dem feuchten Schwamm den Ton zu verwischen, ist wie einen glatten Reiskuchen mit reichlich Sesamöl zu bestreichen.
»Jetzt ist die Wulsttechnik dran«, erklärt Johee. »Man formt lange dünne Tonrollen und schichtet sie übereinander.«
Jeongmin befeuchtet ihre Hände mit reichlich Wasser und zieht den Ton in die Länge. Der kalte Ton wird in ihren Händen schnell warm.
»Wenn der Ton warm wird«, fährt Johee fort, »ist das ein Zeichen, dass er trocknet. Je mehr Körperwärme der Ton aufnimmt, desto mehr Wasser brauchst du. Du musst mit dem Ton kommunizieren.«
Nachdem sie Jeongmin erklärt hat, wie man die Wülste aufeinandersetzt, geht sie Hansol helfen. Da Jeongmin jetzt weiß, dass man Fehler im Ton auch ausbessern kann, hat sie keine Angst mehr, allein zu arbeiten. Schließlich ist sie keine ausgebildete Keramikkünstlerin, die großartige Werke schaffen muss. Sie stellt für ihre Arbeit mit dem Ton keine Ansprüche auf schöpferisch und kunstvoll erschaffene Werke. Praktisches Geschirr, das man zum Essen verwenden kann, reicht ihr vollkommen.
Jeongmin legt zwei Wülste aufeinander und glättet die Oberfläche. Den Rand formt sie so, dass er etwa 120 Grad nach außen steht. Damit sieht es einigermaßen wie ein Gefäß aus. Dann richtet sie sich auf und dehnt ihre Schultern. Sie muss recht verkrampft gewesen sein, jedenfalls spürt sie nun starke Verspannungen. Während sie sich dehnt, schaut sie sich in der Werkstatt um. Ihre Nase hat sich wohl an den nussigen, erdigen Geruch des Tons gewöhnt. Erst jetzt nimmt sie die Musik aus dem Radio wahr. Schneller und irgendwie dekadenter Britpop. Die Beatles, Blur, Oasis und Coldplay – wahllose Musik aus allen Jahrzehnten. Da Jeongmin so konzentriert war, hat sie die Musik vorher gar nicht bemerkt. Jihye und Jun sitzen noch vor ihren Drehscheiben. Beide haben AirPods in den Ohren und jeder ist auf sein eigenes Werk konzentriert. Jeongmin empfindet es als wunderbar, sich in diesem absolut individualistischen und doch erstaunlich ausgewogenen Raum zu befinden.
Die wohltuenden Umgebungsgeräusche haben genau den richtigen Pegel, danach hat sie immer gesucht. Als sie neu in ihre Wohnung eingezogen war, hörte sie überhaupt keine Musik und entsorgte sogar den Fernseher. Sie hatte Angst, beim Herumzappen zufällig auf das Programm zu stoßen, an dem sie mitgewirkt hatte. Wie ihr stumm geschaltetes Handy versetzte sie auch ihre Wohnung in einen Zustand der Stille. Jedes Geräusch, das aus der Welt zu ihr drang, empfand sie als Lärm.
Aber die Geräusche in der SOYO-Töpferei sind anders. Wie Zahnräder, die reibungslos ineinandergreifen, tanzt nichts aus der Reihe. Hansols ulkige Fragen an Johee und ihre spaßigen Erwiderungen darauf, das regelmäßige Drehen von Töpferscheiben, Jihyes komische Ausrufe oder ihre gereizte Stimme, Semi-Heavy-Metal aus den AirPods von Jun, die dumpf klingenden Worte der Passanten durch die Frontscheibe, die schäbigen Witze des Radiomoderators, all dies scheint am richtigen Platz zu sein. Wenn auch nur eins davon verschwinden würde, könnte man die Leere fühlen.