Jetzt kann man nur abwarten - David Erlay - E-Book

Jetzt kann man nur abwarten E-Book

David Erlay

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Beschreibung

Liebeserfahrungen gibt es so viele wie es Menschen gibt. Jeder hat seine, und sei es, dass er nur sich selber liebt. Das muss gar nicht verwerflich sein, ruft doch Gott, wie die Bibel sagt, jeden bei seinem Namen, will heißen: er ist, wie er ist, und so ist es gut. Im vorliegenden Buch ist es Bea, die es schafft, sich voll und ganz zu akzeptieren, obwohl ihr Leben und Tun vielen anrüchig erscheinen mag (und Model, siehe da, kann sie auch). Rita dagegen, Heldin der dritten Geschichte, hat es schwer, sehr schwer, durchs Dasein zu kommen, hat doch die Mutter ihres Liebsten einen grausamen Strich durch die Lebensrechnung gemacht. Um eine Mutter geht es auch in der Erzählung Family, Mitte. Was sie von der Tochter erfährt, wirft sie aus der Bahn. Nur im Moment oder für immer?

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David Erlay

Jetzt kann man nur abwarten

Drei Frauen, drei Geschichten

Zum Buch

Liebeserfahrungen gibt es so viele wie es Menschen gibt. Jeder hat seine, und sei es, dass er nur sich selber liebt. Das muss gar nicht verwerflich sein, ruft doch Gott, wie die Bibel sagt, jeden bei seinem Namen, will heißen: er ist, wie er ist, und so ist es gut. Im vorliegenden Buch ist es Bea, die es schafft, sich voll und ganz zu akzeptieren, obwohl ihr Leben und Tun vielen anrüchig erscheinen mag (und Model, siehe da, kann sie auch). Rita dagegen, Heldin der dritten Geschichte, hat es schwer, sehr schwer, durchs Dasein zu kommen, hat doch die Mutter ihres Liebsten einen grausamen Strich durch die Lebensrechnung gemacht. Um eine Mutter geht es auch in der Erzählung „Family“, Mitte. Was sie von der Tochter erfährt, wirft sie aus der Bahn. Nur im Moment oder für immer?

Besuch von Bea

Ich erkannte sie sofort, aber kenne ich sie?

So war es ja von Anfang an: Ich glaubte, Bea zu kennen, weil ich ihr glaubte. Aber das konnte ich nur sehr bedingt, denn vieles von dem, was sie sagte, stimmte nicht. Das stellte sich natürlich erst hinterher heraus, und oft hatte es sogar etwas Charmantes, wir konnten, wenn die Wahrheit ans Licht kam, darüber lachen, in manchen Fällen jedenfalls. Es gehörte zu ihr, und das Wesentliche berührte es ja auch gar nicht, dachte ich.

Auch das ein Irrtum.

Bei ihr vielleicht eine Liebe von lediglich beschränkter Dauer. Wie sprach schon Salomon? „Alles hat seine Zeit.“

Dabei hatte sie immer wieder von mir hören wollen, dass ich sie nie verlassen würde: „Schwör’s!“

So fragte eine, die mich dann selbst in die Wüste schickte.

Gemessen an dem Schmerz, den sie mir dadurch bereitete, habe zumindest ich sie wohl geliebt, unwiderruflich. Ein wahnsinniger Schmerz, letztlich aber kein tödlicher. Immerhin stehe ich vor ihr. Zunächst, durch Schaden klug geworden, hatte ich mich sogar noch vergewissert: „Es ist diesmal die pure Wahrheit: Du willst mich verlassen?“

„Ich will es nicht, ich habe es schon“, stellte sie klar. „Nur noch äußerlich wohnst du bei mir.“

Die Angst, dass dem so sei, sie waberte schon seit längerem in mir, ich hatte jedoch eine klärende Aussprache nicht gewagt – so nach dem Motto: Aus Gedanken werden Taten. Von Bea selbst kam ja auch nichts. (Dem war oft so: warten, bis der Ballon platzte.)

Gar keine Rolle spielte der Altersunterschied. Neunzehn Jahre, immerhin.

In ihre Wohnung in Barmbek Süd war ich mit kratzigem Gewissen vor nicht allzu langer Zeit eingezogen, mit einem Kernbestand von Kleidung, Wäsche, einigen Utensilien. Die Unterbringungsmöglichkeit hatte ich geschaffen durch den Kauf eines breiten Schranks. Hinzu kamen ein Bett und eine ebenfalls ausladende Kommode, welche die müllreife bisherige endlich ersetzte (so wie das Bett anstelle der fleckigen Matratze sich angenehmst breitmachte). Was die neue Kommode betraf: auch sie total ansehnlich, von Bea natürlich sogleich und total in Beschlag genommen. Mir blieb ein Schrank-Rest mit großmütig überlassener Schublade. Geduldet, statt geliebt, so hätte man boshaft meine Position ausdrücken können. Die neuen Teile waren Teile aus Italien, genau: aus Udine, ganz im Nordosten. Zu einem dortigen Möbelhersteller unterhielt ein Worpsweder Bekannter von mir eine enge Geschäftsbeziehung, Über ihn konnte ich besagte Stücke günstig beziehen. Bea ließ nicht erkennen, ein weiteres Mal nicht, dass sie sich an den Kosten beteiligen würde. Wütend machte es mich damals nicht, erst hinterher. Etwa, als ich sie vor mir sah und mir einiges durchs Hirn schoss – unterlegt von der häufig vertretenen Meinung, dass dem Menschen im prämortalen Zustand blitzartig das vergangene Leben begegnet. Stand auch bei mir eine Art Tod vor der Tür, indem Beas jetziges Auftauchen gleichzeitig das endgültige Abtauchen in die Vergangenheit ankündigte, wenigstens für mich? Hatte ich doch ihr und mir bis jetzt immer wieder versichert, unsere Beziehung lebe, wenn auch zugeschüttet.

Oder hatte sie nur beschlossen, mich zu lieben, beziehungsweise so zu tun, und damit den Anfang gemacht? Sehr wahrscheinlich erst ein unbewusster Beschluss, der sich in den nächsten Wochen aber zum bewussten spiralte. Zunächst waren da eben nur unsere Blicke, ihre zu mir, meine zu ihr. Schauplatz: die Agentur. Eine gemeinsame Linie mit noch verstecktem Inhalt, wobei der bei mir ein echter, bei ihr ein egoistischer war, nehme ich mal an. Die spielerische Erziehung zum Ritter, der ihr den Weg zu Thronen ebnete – das dürfte bei ihr der geheime Motor gewesen sein. Machte es erotisch Spaß: umso besser.

Ein Wirbel von Einfällen und Gedanken, in den ich durch ihr Erscheinen geraten war, wahrhaftig war mir leicht schwindlig zumute, sodass ich mich an den Türrahmen lehnte. Eine Spur blass vielleicht auch.

„Wenn du mich hereinbittest, könntest du dich setzen.“

Wiederholte mir den Satz noch einmal (tue das öfter), winkte sie dann herein. Das hellblaue Feincordsofa – nicht besonders lang, an sich mehr Schmuck- als Nutzmöbel – war es, welches sie sofort als ihr Ziel erwählte, sie zog ihre Kostümjacke aus, behielt sie aber bei sich, ließ sich auf dem Sofa nieder, schwenkte die Füße Richtung Lehne, wo sie sie ablegte, diesmal ohne Schuhe, die nun abgestreift den Boden zierten. Eines der beiden (in Marokko erworbenen) Kissen war der oberen Lehne als weitere Kopfstütze aufgestülpt.

Bea so in Rock und Bluse und quer über sich gelegter Jacke auf dem Sofa: ungewohnt. Um nicht zu sagen: fremd.

„Hätte noch eine Fleecedecke“, bot ich an.

„Oh ja.“

Streifte sie ihr über – mit Blick auf ihre schimmernden Beine. Kann das nie, ohne an meine westfälische Geburtsstadt zu denken, wo ein genialer Kopf in der Gräue des Jahres 1947 den Perlon-Strumpf erfand und – immerhin in Kooperation mit Dior – produzierte. Hatte doch tatsächlich in Lippstadt eine weibliche Revolution stattgefunden, durch einen Mann auch noch. Nicht zu fassen.

Selbst platzierte ich mich vorn, ihr schräg gegenüber, etwa in Höhe der Füße, konnte ihr aber gut ins Gesicht schauen.

„Ich bei dir auf der Couch, du auf dem Stuhl – Psychoanalyse wollen wir hoffentlich nicht spielen.“

„Irgendetwas spielst du doch immer.“

„Bist du auf Krawall gebürstet?“

Ganz falsch lag sie nicht. Besser, ich entschärfte die Situation: „Aber um bei der Analyse zu bleiben …“

„Da habe ich ja schön was angezettelt.“ Sie seufzte gekonnt: „Okay, was ist mit der?“

„Hier und jetzt können wir uns beide in die Augen sehen, in der Analyse dagegen ist Augenkontakt zwischen Klient und Therapeut untersagt, Freud hat es vorgemacht. Um deine Bekenntnisse entgegenzunehmen, müsste ich also hinter dir sitzen oder …“

„… oder ich mich in die umgekehrte Lage begeben mit Aussicht auf deine altrosa Wand, nicht wahr?“

„Wechseln wir das Thema, sprachst ja gerade selbst davon, keine psychoanalytischen Spiele betreiben zu wollen.“

„Und du sprachst von Bekenntnissen, meinen. Welche, bitte schön, schweben dir da vor?“

„Du bist doch nicht ohne Grund hergekommen.“

„Mit Geständnissen muss das nichts zu tun haben.“

„Von solchen war bei mir auch nicht die Rede.“

„Einigen wir uns auf Erklärungen.“

„Okay.“

„Zu erklären gibt es allerdings ebenfalls nichts.“

„Engagieren wir schnell einen Mediator.“

„Scherzbold.“

„Lass schlichtweg deinen Worten freien Lauf.“

„Damit du was zum Zuhören hast. Danach giertest du schon früher.“

„Bin Journalist.“

„Ich Journalistin.“

„Gehe jedenfalls davon aus, und dafür spricht alles, in deiner Herztasche steckt etwas zum Hervorholen.“

„Schön ausgedrückt, aber man kann sich doch einfach nur besuchen.“

„Soll ich noch rasch Kuchen besorgen? Mit Schlagsahne?“

Sie lachte nicht, blickte mich unruhig an.

Blicke auch, mit denen es begann, vor vielen, vielen Jahrzehnten. Sie saß, von mir aus gesehen, rechts hinten, leicht gekrümmt, Status Volontärin, mithin jung, in diesem Fall sehr jung, beim Haar fiel mir Carnaby Street ein, etwas gegensätzlich zu der schüchternen Haltung, die sie an den Tag legte. Befangen war ich selbst. Neben mir, am oberen Ende des Tisches und leicht gebeugt auch er, der hagere Inhaber der Agentur, die nicht nur für mich, sondern auch für Matthes Neuland war, galt dieser doch eigentlich als Hengst in der Werbebranche, einer, der es schaffte, Konkurrenten Zügel anzulegen, zog von Göttingen aus fette Aufträge an Land, hatte sich aber kürzlich diesen nördlichen Ableger gegönnt. Hatte wohl einfach nur zugegriffen, da Interpress finanziell nicht gerade als Mediendiamant galt, mithin günstig zu haben war. Nun waren alle im Sitzungszimmer versammelt, Matthes und ich, die frische Spitze, die Mannschaft, welche sich von uns mustern lassen musste (wie auch umgekehrt), es herrschte eine etwas beklommene Stimmung, die Matthes auch nicht in Schwung bringen konnte, am wenigstens mit Hilfe des gerade begonnenen Monats Mai, also mit dem Spruch „Alles neu machtder Mai“. Kurz, es quälte sich dahin, der Bericht zur Lage, wie es um die Agentur bestellt sei, was seinerseits erwartet werde, meine Person wurde angehängt: dass ich bisher Lokalchef beim Weser-Kurier in Bremen und immer wieder hervorgetreten sei mit flotten Ideen. Ich gab meinen Senf dazu, gab aber schnell Feuer frei für den Auftritt der Besatzung. Jeder stellte sich vor, der eine länger, der andere kürzer, doch erstaunte mich, dass einige doch ziemlich ausholten. Aber da alles ein Ende hat, so auch diese Prozedur. Frau Westermann, die Sekretärin, nahm den riesigen gemusterten Teller, vorher mit Gebäck bestückt, nicht lange freilich, nahm ihn, wie gesagt, an sich, verschwand mit ihm Richtung Küche. Ihr nach die sichtbar junge Frau Vischer, bestimmt froh, sich absetzen zu können, sie war ein Zugang vom Rhein. Wie ich am nächsten Tag erfuhr, der Vater entfernt bekannt mit unserem Matthes, in Bonn Geschäftsführer eines Interpress ähnlichen Anbieters. Mir war er sogar bekannt, weil ich mal in Bremen Beiträge von denen angenommen hatte, für die Reise-Seiten des Weser-Kurier, ja, für die war ich eine Zeitlang verantwortlich, weil ich im Zuge einer Umstrukturierung einmal für ein knappes halbes Jahr Leiter des Vermischten war, und dort hatte man sich auch um den Reise- und Urlaubsteil zu kümmern.

Der Einstieg in Hamburg also. Nach der offiziellen Nummer rasches, doch einigermaßen lockeres, beinah aufgeräumtes Auseinandergehen, kriegte richtig gute Laune, freute mich wieder auf den Job, allein schon deswegen, weil der Standort ein für mich höchst interessanter war, nämlich am Rand von St. Georg. Das wiederum ließ an jenem Morgen in meinem Chefredakteurs-Büro einer Fantasie freien Lauf, nicht lange natürlich, doch durchrieselte es mich höchst verheißungsvoll: ich und meine junge Schwarzhaarige dem dortigen Milieu anheimgegeben. Nein, der Start hätte besser nicht sein können.

Der Preis für die neue Position: Ich würde jeden Tag hin- und herfahren müssen, kam noch hinzu: wohnte ja in Worpswede, was hieß, dass ich morgens von dort aus starten, dann auf der Bürgerweide in Bremen meinen Citroën abstellen und ein paar Schritte eilen musste, um auf meinen Bahnsteig zu gelangen. Das sanfte Sausen des ICE ermöglichte dann ein Auf- und Durchatmen, in der Ersten sowieso. Vom Hauptbahnhof in Hamburg war’s dann nur ein Katzensprung bis zum Spadenteich, wo die Agentur in einem etwas heruntergekommenen Haus untergebracht war. Kleiner Laden, schon kurz nach dem Krieg gegründet und inzwischen in etwas prekärem Zustand, weil mächtige Konkurrenz wie dpa ihm das Leben zunehmend sauermachte. Das in den Fünfzigern erworbene Ansehen indes war erhalten geblieben, Nischenprodukt der Sonderklasse, als das galt es nach wie vor. Der finanzielle Boden indes war ein zunehmend schwankender, dringend notwendig daher ein frischer Wind, um in der Zeitungs- und Zeitschriftenlandschaft neu Fuß zu fassen: „Trauen Sie sich das zu?“ Matthes hatte die Frage eindringlich gestellt, ein Beispiel verlangt. Ich lieferte ihm das mit der Verlagsumfrage, und er akzeptierte.

War nicht der Einzige, der täglich zwischen Bremen und Hamburg pendelte. Stets mit mir im Großraumwagen sogar zwei Kollegen; einer, der bei G + J, eine, die bei einem Lebensmittelblatt arbeitete. Oft saßen wir zusammen, redeten, um dann aber einzunicken, eine schöne Gemeinsamkeit. Wachte regelmäßig auf in Harburg und regelmäßig mit den Bildern des Vorabends, die nun selten schön waren. Meine Frau war krank, schon ihr starres Gesicht verriet es. Schizophrenie. Wusste nicht, weshalb ich sie geheiratet hatte und nicht ihre Schwester, obwohl auch diese durchdrungen von skurrilen Zügen, aber doch normaler war als Katharina. Alles so vertrackt. Wenn ich dagegen Tanja sah, die Kollegin. Ein blondes Wesen, blond wie Tippi Hedren, in jeder Beziehung dem Leben angemessen, wie mir schien. Deshalb auch eine Phase der Verliebtheit in sie, die über abendliche Küsse auf der Bürgerweide jedoch nicht hinauskam. Katharinas Schizophrenie dagegen hatte auch mich in ihren Saugarmen, dunkelte alles bei mir ein. Bis auf Hamburg, das war mein Gesundbrunnen.

Katharinas Schwester hieß Ingrid und war ständig beim Springen und Lodern. Knappe zwei Jahre jünger und nie ohne Pfeil und Bogen. Was zählte, war der Treffer, weniger der Getroffene. Auf mich legte sie auch an, hätte mich sogar gern als Beute ausgewiesen, bekam mich jedoch nicht los von Katharina, unbegreiflicherweise. Erotische Anziehung: Fehlanzeige. Welche dann? Mir bis heute ein Rätsel, weshalb ich so klammerte. Konnte natürlich an meiner Mutter liegen, Stichwort unbewältigte Vergangenheit. Irgendwann führte ich es auf eine vorauseilende ritterliche Eigenschaft zurück, die des Schutzherrn. Obwohl seinerzeit noch nicht krankenhausreif krank, konnte ich an ihrem Gesicht, ihrer Haltung erkennen: Ihr Zug fuhr abwärts, und es musste jemand neben ihr sein, um eine plötzlich dramatische Situation zu verhindern. Stimmen hörte sie ja auch und nicht zu knapp – oder war das erst später? Und dann ihre taktilen Halluzinationen. Eines war auf jeden Fall klar: keine Kinder. Also: Gefahr im Verzug.

Vermutlich also heiratete ich sie, um für sie da zu sein, per Eheschließung bekundet. Sie selbst sträubte sich lange, sie meinte, sie sei nicht schön genug, für mich nicht und überhaupt. In der Tat: Verglichen mit ihrer Schwester war sie im Nachteil, körperlich, besonders, was die Nase betraf, aber Katharina umgab eine geheimnisvolle Aura, wie ich es wahrnahm, wahrzunehmen vermeinte. Am Ende gab sie ihren Widerstand gegen die Heirat auf, begründete den Wandel damit, sie gehöre zu den letzten Frauen auf der Erde, die sich führen lassen müssten. Alles in allem: ein Fiasko, ein Beziehungsdrama. Als Kollateralschaden war ich zuletzt selbst am Boden, seelisch wie körperlich.

Dann jedoch die Erlösung, märchenhaft: Bea. Die indes – ich wurde den Fluch nicht los – hin und wieder auch die Rolle der Hexe übernahm. Ihre Hände an meinem Hals etwa, nachts, als ich im Schlaf lag, den Druck spüre ich noch heute, auch die würgende Angst schwappt nach. Zwar tausendmal hinterfragt, doch nie aufgeklärt, diese Attacke aus dem Nichts (wirklich aus dem Nichts?). Vergangenheit. Genauso, wie Bea und Katharina, inmitten der vom Frost geküssten Hammewiesen, bestes Einvernehmen demonstrierten: zwei Schwestern im Geiste, irgendwie. Gleich der einsamen Weide, an der ich lehnte, fühlte ich mich alleingelassen, ins Abseits versetzt, obwohl der gespensterhafte Baum meine ureigenste Wahl war. Merkwürdig. Wurde besser, als ich hörte, eine innige Hausgemeinschaft stehe bevor.

„Werner ist tot, schon seit längerer Zeit“, begann sie.

„Also derjenige welcher.“

Sie nickte. „Offene Lungentuberkulose. So gemein und tückisch. Nichts, was ihn hätte retten können, ich schon gar nicht.“

„Wie solltest du das auch fertigbringen.“

„Manche sind dazu in der Lage.“

„Den Tod abzuwehren?“

„Genau.“

„Hier existierte bestimmt keinerlei Möglichkeit.“

„Weiß man‘s?“

„Du hast es selbst eingestanden.“

„Hätte alles getan für ihn.“

Stich und nochmals Stich.

Sie selbst war immer gerne krank gewesen, in der Vorstellung. „Stellt euch vor, der Arzt hat die Stirn hochgezogen und überhaupt nicht ausgeschlossen …“ Konnte sie gut, mit ihrer dramatischen Ader punkten, Hauptsache, man nahm sie daraufhin auf den Schoß. Nun also hatte es den Menschen neben ihr wirklich getroffen. Letzte Ausfahrt. Bin ihm nie begegnet, ihrem Freund, Geliebten, Ehemann, Ex-Zuhälter, einmal beinahe, als ich Bea in Baden-Baden an einem sommerlichen Nachmittag aufsuchte, von Frankfurt aus. Hatte aber wieder das Gefühl, dass sie höchst unfreundlich auf meinen Vorstoß reagieren würde, und als sie mich unten im Verlag erblickte – ich hatte die Dame am Empfang gebeten, Bea von einem Besucher namens Schroeter zu unterrichten, der komme aus Kiel. Wie erwartet fauchte sie mich an, als sie mich dann erblickte, wurde indes sofort friedlich, schlug vor, sich zu einem Café zu begeben, eines, das frische Luft inklusive serviere, telefonierte mit ihrem Freund, regte an, draußen dazuzustoßen, was der auch wollte, aber aus irgendeinem Grund dann wohl nicht konnte. Bea und ich blieben also für uns, ohne über uns Worte zu verlieren, über die von ihr weggeworfene Beziehung. Sicher, ich war ihre neue, trotzdem dünkte mir, es gebe da noch eine Art Erdriss, der Bea in die Flucht getrieben habe, und dieser Werner, ja ebenfalls im Journalismus zu Hause, habe lediglich als Auffangbecken gedient. So eine attraktive Frau bekommt man nicht alle Tage und für alle Tage, und er wird alles getan haben, um das Verhältnis endgültig zu zementieren. Die Heirat dann das krönende Ergebnis. In derartiger Weise rumorte es lange in mir. Regina, zu guten Zeiten unsere gemeinsame Freundin, hielt sich zu meiner Enttäuschung bedeckt, rückte mit nichts, mit gar nichts heraus, was Teil 2 betraf, nur einmal eine knappe Äußerung, aus der sich der Plan einer Ehe herauslesen ließ. Zusammengefasst: null Ahnung, um was für einen Typ es sich bei meinem Nachfolger handelte, mein Hass auf ihn so an der untersten Grenze, weil: irgendwann, irgendwie wird sie gewaltig mit ihm stolpern, injizierte ich mir. Stattdessen der Schicksalsschlag, wie ich nun vernahm. Ein Bedauern hätte ich bei dem, was geschehen, als unangebracht empfunden, eine Floskel erst recht, etwa „Die Dinge geschehen, wie sie geschehen“. Die ganze Zeit ein herrlich leiser Wind aus Frankreich. „Wir sind ja sozusagen dort“, meinte sie. Hatte ich richtig gehört? Das Wort „wir“ war gefallen. (Oder hatte sie, zuckte es in mir auf der Rückfahrt, von sich und ihrem Werner geplaudert?)

Bea rauchte jetzt, hatte nicht gefragt, ob sie dürfe. Immer schon griff sie zur Schachtel, hatte meine Marke übernommen: Cartier. Die wiederum hatte ich wegen des edlen Namens gewählt. Und wie der Name, so die Verpackung, kam es mir vor. Zu Weihnachten schenkte ich Bea einmal ein superelegantes Feuerzeug, rot, hoch, golden eingefasst, wie eine mediterrane Säule (meine Erfindung, der Vergleich). Es sollte nur ihres sein, für mich selbst verzichtete ich, schweren Herzens. Nun war ich auch lediglich Gelegenheitsraucher, bin es bis heute, während Bea Fließbandinhaliererin war. Wie auch immer, Zigarette, Schachtel und Feuerzeug besaßen einfach das gewisse Etwas. Als Bea jetzt wieder zu Letzterem langte, bemerkte sie meinen andächtigen Blick. „Alte Liebe rostet nicht, nicht wahr?“

„Freue mich noch heute, dass ich es damals entdeckt habe, ausgerechnet im rußigen Wanne-Eickel. Habe es nie anderswo gesehen.“

„Passt perfekt zur Marke, ja. Könnte mich auch nie von ihm trennen.“

„Von dem Feuerzeug vielleicht nicht, aber mich hast du ausgedrückt.“

Sie kapierte sofort: „Gut gesagt.“

„Mir wäre lieber gewesen, ich hätte es gar nicht zu sagen brauchen.“

„Was hältst du davon, willst du das Feuerzeug nicht selbst mal wieder benutzen?“ Sie reichte es sogar zu mir hinüber.

„Das würde ich nur, hätten wir was zu feiern.“

Keine Nachfrage ihrerseits, ihr war klar, von welchem Fest ich redete.

In dem einsetzenden Schweigen konnte jeder den Atem des Andern hören. Bea beendete es, indem sie, bildlich gesprochen, erneut an das Grab ihres heiligen Werner trat, eigentlich Marcel, denn so hätte sie ihn am liebsten genannt, wie sie ihm beim Abschied noch habe zuflüstern können, Marcel, wegen ihrer beider Zuneigung zu Frankreich.

Danke für die Mitteilung. Dankte natürlich nicht, ließ das Seil einfach so baumeln, und siehe da, Bea schaffte den Sprung zu uns: „Hamburg war toll, in jeder Hinsicht.“

„Der Beginn im langweiligen Hamm wohl weniger.“

„Habe mir sagen lassen, einst ein bevorzugter Villenvorort.“

„Den Eindruck hatte ich bei dir nicht. Armselig, deine Unterkunft.“

„Dann kam Glanz in meine Hütte, durch dich.“

„Durch uns.“

„Besonders an dem Nachmittag, als ich aus Griechenland zurückgekommen war.“

„Ja, deine Rückkehr. Hatte mich vor der Landung etwas abseits postiert, weil du mich nicht sofort sehen, dann überrascht sein solltest.“

„Und wie ich das war, obwohl: hatte so ganz zaghaft gehofft, dich vorzufinden.“

„Wie eine Eselin bist du zuerst getrottet.“

„Tun das Eselinnen? Stell dir vor, bin auf Kreta in den ganzen zwei Wochen keinem einzigen Grautier begegnet.“

„Du warst ja auch mit anderem beschäftigt.“

„Das hat sich bei dir eingebrannt, richtig?“

„Keineswegs als Wunde, überhaupt nicht. Du warst eine Frau.“

„Hoffe, ich bin es noch.“

„Jedenfalls fand ich es gut, sehr gut, dass du mir davon berichtet hast.“

„Stand schon auf Kreta für mich fest.“

Griff nach einer weiteren Zigarette. „Kann nur wiederholen: Hamburg war fantastisch, ein Komet.“

„Sieh an, gleich ein Komet.“

„Nun lass mich doch.“

„Komet vielleicht, weil so weit entfernt vom Gewöhnlichen.“

„Interpress doch nicht.“

„Ein bisschen schon. Hamm aber stecke ich in den Sack. Abfall. Bis auf die Stunden mit dir.“

„St. Georg hat deiner Meinung nach einen besseren Klang?“

„Aber ja.“ Ganz neutral.

„Damals wurde ich von dir noch angehimmelt.“

„Wie das Frauen in der Verliebtheit so tun.“

„Unsere Zeit war wunderbar, einmalig.“

„Jede Liebe ist das.“

„Nur, dass unsere es besonders war.“

„Besonders einmalig.“

„Ja.“

„Hört sich nicht mehr so gut an.“

„Bei diesem Ende –“

„Ein Geschenk war es auf jeden Fall, ein bleibendes.“

„Bleibend, weil gewesen?“

„Nun übergieß es doch nicht mit schwarzem Teer.“ Sie beugte sich vor, mit halb ausgestreckten Händen, sodass ich dachte, sie wollte mich an sich ziehen und mich küssen.

An diesem Kuss lag mir aber nichts.

„Vergangene Woche ist mir Matthes über den Weg gelaufen.“