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Johann Legner

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Beschreibung

Zum 75. Geburtstag des Bundespräsidenten am
24. Januar 2015


Zwischenbilanz für Joachim Gauck: Zum 75. Geburtstag des elften Bundespräsidenten und zur Halbzeit im Amt wagt Johann Legner eine Biografie, die zwischen Nähe und Distanz fein changiert. Dabei gewinnt er seine besondere Perspektive aus den Erfahrungen als langjähriger Vertrauter Gaucks und aus einem genauen Blick auf die geschichtlichen Umbrüche in dessen Leben. Legners zentrale These ist, dass Gauck keineswegs zufällig in sein Amt kam. Er sieht den langjährigen Pastor als unverzichtbaren Botschafter des Gemeinsamen jenseits der Parteipolitik. Mit seinen charismatischen Fähigkeiten gewinnt Gauck den Respekt für ein beschädigtes Amt zurück. Er spricht die Menschen in ihrer Sehnsucht nach Freiheit und Eigenverantwortung glaubwürdig an. Aber seine Botschaft ist nicht frei von der Gefahr pathetischer Überhöhung. Sie bedarf einer stetigen kritischen Reflexion. Der Autor erklärt, warum Gauck nicht all diesen Erwartungen wird genügen können.

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JOHANN LEGNER

Joachim Gauck

Träume vom Paradies

Biografie

C. Bertelsmann

1. Auflage

© 2014 by C. Bertelsmann Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Umschlaggestaltung: buxdesign, München

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-10213-5www.cbertelsmann.de

Inhalt

Einleitung

Teil IROSTOCK UND MECKLENBURG

1 – Wer, wenn nicht ich – wo, wenn nicht hier?

2 – Erbschaften – Mecklenburg, die Gaucks und die Warremanns

3 – Kindheitsidylle im Weltenbrand

4 – Das Unglück kommt nach dem Krieg

5 – Eine unerklärliche Welt – Wenn Falsche das Richtige sagen

6 – Das sperrige Vorbild – Onkel Gerhard

7 – Neue Wege, ein neuer Mentor – Heinrich Rathke

8 – Der Einzelgänger – Gescheitert und verloren

9 – Eine bella figura macht sich auf den Weg

Teil IINACH BERLIN

10 – Einen Winter lang – »Wir sind das Volk!«

11 – Gewählt werden und wählen – Vom Abgeordneten zum Beauftragten

12 – Neuanfang mit Helga Hirsch

13 – In Amt und Würden

14 – Bruder Stolpe – und das Ende der Deutungshoheit

15 – Tragik und Macht – Fuchs und Kohl

16 – Prediger im Kirchenschiff der Nation

17 – Bilanz einer Dienstreise

Teil IIISCHLOSS BELLEVUE

18 – Auf der Suche nach dem späten Glück

19 – Erinnerung – und Angela lässt grüßen

20 – Götterdämmerung im heißen Sommer 2010

21 – Eine Kampagne

22 – Zwischenzeit und wieder Neubeginn

23 – Endlich ganz in Amt und Würden

24 – Leben im Schloss

Ausblick

Dank und ein persönlicher Hinweis

Ausgewählte Literatur

Personenregister

FürBela Marion BerenzJulius WassermannBella Weil

Einleitung

»Sie hatten vom Paradies geträumt und wachten auf in Nordrhein-Westfalen« – dieser Satz von Joachim Gauck in seiner Rede zum zehnjährigen Jahrestag des Mauerfalls am 9. November 1999 klang noch lange nach und blieb vielen in Erinnerung. Mit ihm wollte der Redner das auf den Punkt bringen, was sich an »Bitterkeit auch aus neu erfahrener Hilflosigkeit und Enttäuschung« erklären ließe bei früheren DDR-Bewohnern und vielen seiner einstigen Weggefährten. Wiederholten er oder andere zuweilen diesen prägnanten Satz, wurde aus dem »Sie« aus gutem Grund schon mal ein »Wir«. Gauck selbst teilte sehr wohl die Gefühle seiner ostdeutschen Landsleute bei dem Versuch, einen Platz zu finden in der neuen, größeren Bundesrepublik. Doch die Ernüchterung, die er einst im Reichstag andeutete, hat sich für ihn mit seiner Wahl zum Bundespräsidenten am 18. März 2012 in Momente des Glücks aufgelöst. Ihm war an diesem Tag so ziemlich alles zuteilgeworden, wovon er einmal geträumt hatte. Joachim Gauck ist jetzt nicht nur im Berliner Schloss Bellevue Hausherr, sondern auch in der hochherrschaftlichen Villa Hammerschmidt in Bonn1 – und Bonn liegt bekanntlich in Nordrhein-Westfalen. Das ist ein Zuhause mit allerbester Aussicht – unter ihm zieht der Rhein vorbei –, fast schon paradiesische Zustände.

In Bonn wie im Schloss Bellevue in Berlin will er mit seinem Leben und seinen Botschaften aber nicht nur von seinem, sondern vom Glück der Deutschen künden. »Das Beste« sei unser Land heute im Vergleich zu all den Zeiten davor, sagt er wieder und wieder. Daraus zieht er politische Forderungen, damit mischt er sich ein in die Debatten um den weiteren Weg der Nation. Uns allen will er nahelegen, dass wir vielleicht nicht in paradiesischen, aber doch in guten Zuständen aufwachen. Dafür müssten wir dankbar sein. Dankbarkeit verlange uns aber auch etwas ab. Und so ist er ein Bundespräsident, der nicht müde wird, an die Pflichten und die Verantwortung der Bürger zu erinnern. »Leviten-Leser«2 wurde er deswegen genannt, nach jenem der jüdischen Stämme, der auf die Einhaltung der Gebote zu achten hatte. Wir Deutschen sollten uns in solch glücklichen Zeiten engagieren. Diese zentrale Botschaft anhand seines Lebens zu erläutern und bewertbar zu machen, ist Zweck des vorliegenden Buchs. Denn sie kommt aus den Lehren, die er aus seinem ganzen Leben gezogen hat.

Inzwischen gibt es drei umfängliche Publikationen zum Leben des Bundespräsidenten – darunter eine, die er selbst geschrieben hat. Seine Autobiografie sowieso, aber auch die beiden anderen Werke, an denen er mitgewirkt hat, reflektieren vor allem seine Sicht auf die Dinge. Dass dabei so manches wegfällt, ist naheliegend. Ganz gleich, ob man selbst erzählt oder erzählen lässt, immer bleibt ein Rest, der als peinlich, unpassend oder schambesetzt empfunden wird. Die ganze Geschichte des Joachim Gauck ist also noch nicht erzählt worden. Wertvoll könnte dieses Buch dann sein, wenn es hilft, Gauck noch ein wenig besser einzuordnen, als er es selbst und seine bisherigen Biografen vermochten.

Und erfahren können wir beim Nachdenken über Gauck tatsächlich einiges über uns selbst und über die Seelenlage unseres Landes. Denn wie noch keiner seiner Vorgänger wurde er von einer großen Anzahl der Bürger in sein Amt gewünscht. Dass er der Präsident der Herzen ist, war keinesfalls nur Propaganda. Dahinter verbarg sich ein bunter Strauß an Wünschen für ein gutes Deutschland. Was aber genau die Menschen der Bundesrepublik mit ihrem Präsidenten in so besonderem Maße verbindet und was sie an ihm über sich selbst lernen können, ist sogar den größten Anhängern Gaucks zumeist ein Geheimnis. Der Mann an der Spitze des Staates, dieser zwar ergraute, aber doch sehr lebendige Traum vom Paradies, wird allzu oft nur in Bruchstücken erkennbar. Uns geht es mit ihm zuweilen so, wie wir ansonsten mit Träumen umgehen: Sie zu beschreiben fällt eher schwer, sie zu deuten ist ein großes Wagnis.

Gauck ist nicht nur der erste Mann im Staat, er ist auch der Älteste unter den aktiven Politikern. Er spricht mit dieser doppelten Autorität, dem Amt wie dem Alter, und das ist insbesondere in einer Zeit von Bedeutung, in der mit einer Fülle von Gedenktagen die Erinnerung an das Vergangene besondere Aufmerksamkeit gewinnt. Die Verwobenheit seiner persönlichen, schon so lange währenden Lebensgeschichte mit dem Schicksal der Nation aufzuspüren, ist damit zugleich ein zeitgeschichtlicher Rückblick.

Gaucks Eltern und Großeltern sind wie so viele der Versuchung des Nationalsozialismus erlegen. So haben wir ein Staatsoberhaupt, das als unschuldiges Kind Hakenkreuzfahne und Panzer zum Spielen erhält und später mit den Erinnerungen daran ein Leben lang zu kämpfen hat. Es kommt aus einer Familie, die unversehrt und ungeschoren die braune Diktatur und den Krieg erlebt und überlebt. Es wächst in glücklicher Unschuld auf, in einer Zeit, die ansonsten von großem Leid, vom Tod geprägt ist. Aber dann, als die Russen da sind und die Kommunisten regieren, nähert sich auch in seinem Leben das Unheil, das die Nation schon die Jahre zuvor geprägt hat. In dieser atypischen Folge der Ereignisse ist Gauck ein Außenseiter – und wird es lange bleiben. Er wird dann Jahrzehnte in einem Staat sein Dasein fristen, den er zutiefst ablehnt und doch nicht verlässt. Gesellschaftlich obdachlos, wird er geprägt von der unerfüllten Sehnsucht nach einem lebenswerten Leben.

Sein Werdegang klingt in manchem wie die Geschichte unseres Landes, das ebenfalls ein Außenseiter unter den Völkern geworden war – verführt, verirrt, gerettet, bestraft und fremdbestimmt und ohne einen festen Platz in der Weltgemeinschaft. Dann aber ändert sich urplötzlich alles, zeigt sich ein Weg ins Glück. Endlich scheinen Gauck wie Deutschland Herren ihres Schicksals zu sein. Und weil nach der Befreiung von den Lasten der Vergangenheit keiner so gut wie er die Botschaft verkünden kann, dass die Deutschen jetzt alle im Glück angekommen sind, wird er folgerichtig ihr Präsident. Das klingt nach einem Märchen vom Paradies. Und Gauck erzählt es auch gern so. Aber leben wir Deutschen wirklich in einem Märchenland?

Der Weg zum Staatsoberhaupt wird für Joachim Gauck frei, nachdem zwei Männer mit einem völlig anderen lebensgeschichtlichen Hintergrund vorzeitig zurücktreten. Ausgerechnet der ältere Herr Gauck verkörpert einen Neuanfang nach dem Scheitern der Jüngeren. Ist er auch darin die Verkörperung unseres Landes? Eines Landes, das das Scheitern braucht, um den richtigen Weg zu finden? Speist sich letztlich sogar daraus das Füllhorn an Erwartungen, das mit seinem Amtsantritt verbunden ist? Das Buch sucht nach Antworten auf diese Fragen im bisherigen Leben von Joachim Gauck. Über sieben Jahrzehnte währt es – das ist genug Zeit für ein vorläufiges Urteil.

Wer zu diesen gut sieben Jahrzehnten Informationen sammelt, Gespräche führt und Dokumente studiert, stößt beim Ordnen des Gefundenen zwangsläufig auf ein Problem, das bei Joachim Gauck so wenig wie bei anderen Altersgenossen zu lösen ist. Es gibt bei solch einer Lebensspanne, zumal in unserem von Gewaltherrschaft, Krieg, Teilung und Neubeginn bestimmten Land, keine rote Linie, die sich durchzieht und alles begreiflich macht. Es gibt für nichts einfache Erklärungen, weil solch ein Dreivierteljahrhundert Leben vielschichtig und reich an unterschiedlichsten und widersprüchlichen Facetten ist. In besonderem Maße tritt das bei einem Menschen zutage, der überhaupt erst mit zweiundsiebzig das erlebt, was man den Gipfelpunkt seines Aufstiegs nennen könnte.

Wollte man diese Vielfältigkeit vollständig wiedergeben, so würde daraus ein nur schwer zu konsumierendes Mammutwerk werden. So muss so manches wegfallen, was durchaus von Interesse sein könnte. Das allerdings kann hingenommen werden. Gauck, der Außenseiter, hat zwar gern sein Bild einer unabhängigen Person gepflegt. Tatsächlich aber ist er wie wir alle ein Kind seiner Zeit. Wenn er jedoch weit mehr, als er vorgibt, bestimmt ist und weit weniger selbstbestimmt, braucht es nicht unbedingt für alles eine auf seine Person bezogene Begründung. Deswegen nimmt die Schilderung dessen, was ihn umgab, einigen Raum ein. Deswegen ist dieses Buch jedoch auch eine schwierige Herausforderung. Die Zeitspanne, über die es sich erstreckt, kann nur unzureichend abgebildet werden, und den meisten Zeitgenossen ist sie schon wegen ihres Alters nicht selbst erinnerlich.

Bei diesem Streifzug durch die deutsche Nachkriegsgeschichte habe ich mich auf die Aspekte konzentriert, die aus meiner Sicht von Bedeutung sind für das Wirken unseres Bundespräsidenten. Verkörpert werden diese Aspekte zumeist von Personen, die für Joachim Gauck entscheidend wurden. Sie nehmen in meiner Schilderung deswegen einen breiten Raum ein. Ich habe die Hoffnung, dass dort, wo Irritationen, auch Widersprüche auftauchen, die Leser aus eigener Initiative das Bild ergänzen – am besten durch das Gespräch mit anderen, zumal den Älteren. Die vornehmste Pflicht unseres Staatsoberhaupts ist ja, dass es einen Beitrag leistet zur Selbstfindung der Nation. Wenn also ein Buch über ihn anregt zu einem Dialog darüber, dann wäre nicht nur der Autor, dann müsste auch Joachim Gauck ein wenig glücklicher sein.

1Der Bundespräsident verfügt über zwei Amtssitze – einen in der Bundeshauptstadt Berlin und einen in der Bundesstadt Bonn. Auch die Kanzlerin hat übrigens mit dem Palais Schaumburg einen Bonner Amtssitz.

2 »Der Leviten-Leser. Wie Joachim Gauck das Land verändern will« war eine Titelgeschichte des Spiegel: 12/2012

Teil IROSTOCK UND MECKLENBURG

1Wer, wenn nicht ich – wo, wenn nicht hier?

Der Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen lässt sich gern ohne Mitreisende in seinem Dienst-Mercedes durch die Lande fahren. Joachim Gauck liebt diese einsamen Momente, in denen er ungestört liest oder sich ein Nickerchen gönnt. Mal kurz für eine halbe Stunde vollkommen abschalten – das kann er auf solchen Reisen ganz ausgezeichnet. Da tankt er wieder auf und gewinnt Kraft für den nächsten Auftritt. Und wenn es die Zeit zulässt, bittet er den Fahrer auch um einen kleinen Ausflug auf Landstraßen – dort rüttelt es so schön und döst es sich noch etwas besser. Wenn aber so einer wie beispielsweise der bekannte britische Historiker Timothy Garton Ash anfragt, ob er mitreisen kann, wird eine Ausnahme gemacht. So einer wie Ash darf mit. Und so fahren die beiden im Frühling 1999 ein gutes Jahr vor dem Ende der Amtszeit des Bundesbeauftragten gemeinsam nach Rostock.

Ash hat sich zu dieser Zeit bereits als vorausschauender Beobachter der Entwicklungen in Mittel- und Osteuropa einen Namen gemacht. Er verknüpft vorzugsweise persönliche Erlebnisse und den großen Gang der Weltgeschichte miteinander. So kann er aus eigener Erfahrung mitreden, wenn es um die Aktivitäten der kommunistischen Geheimpolizei geht. Ashs Schilderungen der ostdeutschen Staatssicherheit speisen sich aus dem Studium der Stasi-Akten, die einst über ihn angelegt wurden. Das hat er zu einem Buch verarbeitet – Die Akte Romeo.3 Gauck überreicht er ein Exemplar samt Widmung.

Als Student konnte Ash, wie so mancher junge Brite, zu Beginn der Achtzigerjahre einige Monate in der DDR verbringen und wurde, wie alle westlichen Gäste dort, sehr genau von der Staatssicherheit beobachtet. Dem zukünftigen Historiker Ash begegnete die Geheimpolizei der DDR von Anfang an mit tiefem Misstrauen und vermutete in ihm zunächst einen Agenten Ihrer Britischen Majestät. Auch deswegen kümmerte sich die Stasi-Hauptabteilung II, die Spionageabwehr, um ihn. »Romeo«, der von der Stasi für Ash gewählte Deckname, hat aber nichts mit den von ihm andeutungsweise geschilderten amourösen Abenteuern in der DDR zu tun. Der Name auf seinen Überwachungsakten bezieht sich auf ein neu erworbenes Automobil der Marke Alfa Romeo, das der Brite nach Berlin mitgebracht hatte.

Dieses Mal, 1999 mit Gauck, ist Ash allerdings tatsächlich mit einem Auftrag aus London unterwegs. Zum 10. Jahrestag des Falls der Berliner Mauer wird er für die BBC eine Filmreihe produzieren, die überall auf dem Globus die Menschen noch einmal an die Ereignisse erinnern soll. Joachim Gauck hat er darin eine herausragende Rolle zugedacht.

Gauck und Ash verbindet auf der Fahrt von Berlin nach Rostock eine eigenartige Komplizenschaft. Sie wollen der Welt etwas beweisen, was in jenen Tagen nicht jedem einleuchten mag. Ash wird als Zeugen und Akteure jenes Wendepunkts der Weltgeschichte drei Persönlichkeiten porträtieren. Dass er Gauck in dieses Trio einordnet, ist keinesfalls eine selbstverständliche Sache, und Gauck wie Ash wissen das nur zu gut. Die beiden anderen Protagonisten sind der Pole Lech Wałęsa und der Tscheche Václav Havel. Gauck schmeichelt dieses Vorhaben, es macht ihn aber auch verlegen. Es steht ja die Frage im Raum, ob sich die zwei Reisenden nach Rostock mit diesem Trio – Havel, Wałęsa, Gauck – nicht etwas anmaßen.

Wałęsa und Havel kennt jeder politisch interessierte Mensch in ganz Europa und weit darüber hinaus. Havel wie Wałęsa stiegen nach 1989 von einst Verfolgten zu den Staatsoberhäuptern ihrer Vaterländer auf. In ihren Taten sahen sich ihre Nationen verkörpert. Sie sind mit Ehrungen überschüttet worden – Wałęsa hat sogar den Friedensnobelpreis überreicht bekommen.

Es ist das beredte Schweigen über die Personenwahl des britischen Wissenschaftlers, das die Fahrt nach Rostock bestimmt, im gemeinsamen Wissen darum, dass hier eine fragliche Verbindung zwischen zwei herausragenden Symbolfiguren des europäischen Umbruchs einerseits und Joachim Gauck andererseits hergestellt wird. Denn wer ist dieser Joachim Gauck des Jahres 1999 schon? Was ist er mehr als ein in Deutschland viel beachteter, aber über die Landesgrenzen hinaus weitgehend unbekannter Behördenleiter? Er mag in seiner Heimatstadt Rostock einen Beitrag zum Ende des Kommunismus in Mitteleuropa geleistet haben. Aber sein Wirken dort und später in Berlin lässt sich keinesfalls vergleichen mit jenen Anstrengungen und Gefahren für Leib und Leben, denen sich Havel und Wałęsa aussetzten. Der Pole war 1981/1982 für elf Monate inhaftiert, der Tscheche verbrachte insgesamt fünf Jahre im Gefängnis. Gauck dagegen hat nicht eine Stunde in einem Kerker der Kommunisten gesessen.

Doch wenn andere das kritisieren mögen – Gauck ist mit sich im Reinen, als er von Ash zur Symbolfigur des Umbruchs in Deutschland auserkoren wird. Stellte man ihn dafür zur Rede, so würde die Antwort jener gleichen, die er zuvor schon und danach wieder und wieder gegeben hat, wenn ihm Selbstüberschätzung und Legendenbildung vorgeworfen wurde. Er stehe stellvertretend für einen großartigen Moment der deutschen Geschichte. Es gehe ja im Grunde gar nicht um ihn. Es gehe um die friedliche Revolution von Hunderttausenden seiner Landsleute. Die Revolution, die im Herbst 1989 den Sturz der diktatorisch regierenden SED herbeiführt habe. Es müsse ja jemanden geben, der glaubwürdig die Botschaft von der Selbstbefreiung der Ostdeutschen vertreten kann. Wer, wenn nicht er, könne dies denn insbesondere im Ausland wirklich besser? Ash habe also einen Platz für ihn gefunden, der ihm nicht zustehen mag, den aber einer auszufüllen hat und den er gut auszufüllen weiß.

Gauck hatte zunächst etwas gezögert, als Ash ihn bat mitzumachen, sich auch umgesehen unter seinen Mitstreitern des Jahres 1989. Aber es zeigte sich, dass nirgendwo nur eine oder einer von damals bereit war, eine herausragende Rolle im wiedervereinigten Deutschland zu beanspruchen. Von den Aktivisten des Umbruchs ist er im Jahr 1999 tatsächlich der Profilierteste in der Bundesrepublik. Angela Merkel, die zu diesem Zeitpunkt gerade in den engen Führungskreis der CDU vorgedrungen ist, taugt dafür nicht. Sie war nicht dabei – genauso wie der Sozialdemokrat Wolfgang Thierse, der inzwischen Bundestagspräsident geworden ist. Im Vergleich insbesondere mit der zur Parteivorsitzenden und dann zur Bundeskanzlerin aufsteigenden Angela Merkel ist Gauck allemal so etwas wie ein Revolutionär. Zwar wird ihm zuweilen der Vorwurf gemacht, dass er auch erst spät dazugekommen und gar kein wirklicher »Bürgerrechtler« sei. Unzweifelhaft aber stand er nicht ohne Grund über Jahre hinweg unter strenger Beobachtung der Staatssicherheit, und völlig unumstritten ist, dass er ab Oktober 1989 entscheidend mithalf, die Bevölkerung von Rostock zu mobilisieren.

Und so mag Gauck 1999 nicht zu Unrecht denken, dass es nicht nur beim Blick zurück, sondern ebenso in der Zukunft noch eine besondere Rolle geben müsste für ihn – selbst wenn zu diesem Zeitpunkt unklar ist, wie die wohl aussehen könnte. Jedenfalls hat er sich endgültig entschieden, nicht ein weiteres Mal als Bundesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen zu kandidieren. Denkbar wäre das bei einer wohlwollenden Auslegung des Gesetzes, das nur eine Wiederwahl in dieses Amt vorsieht. Denn tatsächlich gewählt worden ist er bislang nur ein einziges Mal vom Bundestag – davor nur von der Volkskammer als Sonderbeauftragter bestimmt worden. Aber solch eine spitzfindige Interpretation des Verbots einer zweiten Wiederwahl will er sich nicht zumuten.4

Es hat in dieser Zeit das eine oder andere Geraune und Gerede um die weitere Rolle von Joachim Gauck in der deutschen Politik gegeben, aber Konkretes ist daraus nichts geworden. Die FDP hatte den Bundestagsabgeordneten Hermann Otto Solms geschickt, mit der Idee, ob Gauck sich vorstellen könne, für den Bundestag zu kandidieren oder ein Amt in einer Landesregierung für die Partei zu übernehmen. Aber weiterverfolgt wurde dieser Vorschlag nur halbherzig. Die Liberalen waren wie so oft vor allem mit sich selbst beschäftigt und hatten in der Folgezeit das Werben um Gauck schlichtweg vergessen. Und der hatte seinerseits erhebliche Zweifel daran, ob ihm eine solche politische Karriere angemessen wäre.

Auch bei der Union war der Gedanke aufgekommen, Gauck nach dem Ausscheiden aus dem Amt des Bundesbeauftragten einen Neuanfang anzubieten. Insbesondere einige sächsische und thüringische Abgeordnete, aber ebenso namhafte Vertreter der bayerischen CSU dachten daran, dass Gauck ein guter Vertreter ihrer Interessen wäre. Sie wollten mit ihm hoch hinaus. Sollte es im vereinten Deutschland nicht an höchster Stelle einen Vertreter des Ostens geben? Gauck als Präsident, auf den Spuren von Havel und Wałęsa, das könnte doch 1999 Geschichte schreiben.

Aber dann gewinnen die Sozialdemokraten 1998 nicht nur die Bundestagswahl, auch in der Bundesversammlung, die den Präsidenten wählt, verschieben sich die Gewichte gewaltig. SPD und Grünen fehlen nur sieben Stimmen zu einer absoluten Mehrheit. Das sollte ausreichen, um 1999 ihrem früheren Spitzenkandidaten und langjährigem Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen, Johannes Rau, einen Herzenswunsch zu erfüllen und den Einzug in das Schloss Bellevue zu ermöglichen. Die von der CDU nominierte Gegenkandidatin, die damals noch parteilose Dagmar Schipanski, eine Frau der Wissenschaft und aus dem Osten5, wies zwar von ihrem Werdegang und Profil her durchaus Ähnlichkeiten mit Gauck auf – aber es war 1999 völlig klar, dass sie eine Zählkandidatin bleiben würde. Rau machte im Mai 1999 das Rennen.

Ein paar Monate später, als Gauck bei der Gedenkveranstaltung des Bundestags zum zehnjährigen Mauerfall-Jubiläum am 9. November redet, sagt er jenen einen, danach viel zitierten Satz: »Wir träumten vom Paradies und wachten auf in Nordrhein-Westfalen.« So mancher hat sich darüber gewundert, dass er ausgerechnet dieses Bundesland nannte. Aber man kann hinter der Bemerkung von Gauck auch eine zumindest unbewusste Anspielung auf sein eigenes Schicksal sehen: Die Träume vom höchsten Staatsamt waren wegen des Mannes aus Nordrhein-Westfalen zunächst ausgeträumt.

Solch ein Prophet ist selbst Timothy Garton Ash in jenen Tagen des Jahres 1998 nicht, dass er wissen kann, wie es weitergeht mit Gauck, und dass dieser – nach Havel und Wałęsa – eben doch noch Staatspräsident seines Landes werden wird. Erst gut ein Jahrzehnt später entpuppt sich sein BBC-Beitrag als eine geglückte Vorausschau in die Zukunft. Zunächst aber erscheint das Filmprojekt wie eine verwegene Wette – wobei allen Beteiligten klar war, dass Gauck bereits damals mit dem Gedanken kokettierte, Staatsoberhaupt zu werden. Er hatte als Bundesbeauftragter ein Amt inne, das so neu wie einzigartig war. Er würde, wenn überhaupt, wohl wieder von sich reden machen können als singuläre Gestalt in der politischen Landschaft. Manche hofften dies, andere warnten davor. Der Schriftsteller Jürgen Fuchs, in der DDR eingesperrt und später mit Joachim Gauck in tief sitzender Abneigung verbunden, war damals einer der Wenigen, der ganz offen die Ambitionen des Rostockers auf das höchste Staatsamt ansprach. Und er zitierte Gauck auch mit jenem typischen Satz aus dieser Zeit: »Ich kenne meine Grenzen.«6

Bei aller vagen Hoffnung, die da unbesprochen im Auto mitfährt – Gauck wie Ash sind jedenfalls bestens geübt in gefälliger Selbstdarstellung, und so sind sie zuversichtlich, der Öffentlichkeit für die geplante Geschichte genau die richtigen Bilder liefern zu können. Die finden sich schnell und wie von selbst. Gauck geht zusammen mit Ash durch das Plattenbauviertel von Rostock-Evershagen, einer immer noch unwirtlichen Großsiedlung, in der Gauck eine Pfarrgemeinde aufbaute. Da eilt plötzlich eine Friseuse aus ihrem Laden auf den Bundesbeauftragten zu und schüttelt ihm die Hand. »Herr Pastor, dass Sie mal wieder vorbeikommen«, sagt sie tief bewegt. Und dann gesellt sich schnell ein halbes Dutzend anderer Bewohner dazu. Viele der Rostocker haben ihn in allerbester Erinnerung behalten. Sie begegnen ihm mit einer eigenwilligen Mischung aus Respekt und Zuneigung. Kaum ein anderer deutscher Politiker würde solche Gefühle mobilisieren können. Etwas an diesem Joachim Gauck, an seiner Befähigung, auf Menschen zuzugehen, scheint einzigartig zu sein. Gauck – da hat der britische Wissenschaftler eine gute Witterung – symbolisiert deutsche Geschichte auf solch eine Art und Weise, dass die Menschen sich darin wiederfinden können. Die deutsche Nachkriegsgeschichte kennt keine Heldengestalten, deswegen fallen sie auch als denkbare Staatschefs aus. Was die Deutschen wohl eher brauchen, sind Seelsorger. Gauck ist zwar schon lange nicht mehr Pastor, aber ihm würden viele gern die Sorgen um die Seele des Landes anvertrauen. So offenbart die Fahrt in seine Geburtsstadt eines der wesentlichen Geheimnisse seiner Popularität.

Und Gauck selbst ist sich des Anklangs, den er bei seinen Landsleuten findet, wohl bewusst. Er weiß, woher diese Mischung aus Respekt und Zuneigung kommt.

Laut beginnt er über sein Rostock nachzudenken, ganz emotional, ganz persönlich. Er redet dabei so, wie ältere Herrschaften über eine wunderbare Jugendliebe schwärmen. Seine Geburtsstadt ist dann nicht etwa eine unansehnliche Hafen- und Industriestadt der DDR und ebenso wenig die Stadt, in der 1989 zwar etwas zögerlich, dann aber doch mit Konsequenz die Herrschaft der kommunistischen SED beendet wurde. Nein, Gauck beschreibt vielmehr eine verlorene, in mancherlei Hinsicht auch für ihn nur imaginäre, eine vielleicht irgendwann einmal wirkliche, aber längst untergegangene Stätte – eine Traumstadt. Sein Rostock, sein Mecklenburg, sein Deutschland ist vor allem eine Annäherung an das Wünschenswerte. Und etwas, was Fremde immer wieder aufs Neue überrascht, aber für Deutsche unverzichtbar scheint – Rostock ist Heimat. Etwas, in dem die ganze Sehnsucht eines Lebens steckt und das viel mehr mit der Vergangenheit als mit der Zukunft verbunden wird.

Gauck erzählt mit Hingabe. Er spricht von den vier großen Kirchen, die einst mit ihren weithin erkennbaren Türmen den Horizont beherrscht haben sollen. Immerhin, drei davon sind inzwischen wieder sichtbar, aber Gauck weist ganz besonders auf die im Bombenhagel gänzlich verschwundene Jakobikirche hin, deren Ruine von der DDR abgetragen worden war. Er redet von etwas, was man heute noch sehen könnte, wenn die Zeiten gnädiger gewesen wären.

In diesem nostalgischen Verweis spielt die tradierte Sicht seiner Vorfahren eine wichtige Rolle. Die einst stolze Hansestadt Rostock wird zum Schauplatz für den Blick zurück in die bessere Zeit – vordergründig die Epoche vor jenen verheerenden britischen Bombenangriffen in den Nächten des Aprils 1942, die in einer einzigen Nacht aus der Hafenstadt ein Trümmermeer werden ließ.7 Doch diese Bombennächte erwähnt Gauck eher beiläufig. Die Zerstörung seiner Traumstadt scheint für ihn vielmehr ein langer, sich über Jahrzehnte hinziehender Prozess zu sein, der erst jetzt, mit dem allmählichen Wiederaufbau der Stadt, gestoppt worden sein könnte. Erst seit dem Ende der DDR hat Rostock für Gauck endlich wieder auf den Weg zurück zur Heimat gefunden.

Wenn Gauck in seine Heimat einlädt, steht nach Möglichkeit immer ein Abstecher in den nahe gelegenen Küstenort Wustrow auf dem Programm. Denn dort ist die Rückkehr in die heile Welt vor dem Zweiten Weltkrieg tatsächlich schon wieder vollständig vollzogen. Dort stehen ihm die Türen jenes Hauses, das einst die Großmutter errichtete, wieder weit offen. In Wustrow, direkt am Ostseestrand, hat Gauck einige seiner ersten Lebensjahre verbracht. Dort siedelt er seine ersten Erinnerungen an. Und dorthin wird er auch später mit Familienmitgliedern, mit Freunden, mit Gästen stets zurückkehren – als größerer Junge, als Erwachsener, schließlich als Staatsoberhaupt.

Wustrow ist »frühes Glück«8, wie er sagt, und bleibt der »Zufluchtsort«, obwohl die Familie nach Kriegsende nach Rostock zieht. Wustrow ist das Bindeglied zwischen dem Guten der Kindheit und des Alters – ein beständiger Quell ursprünglicher Freude. In seiner Autobiografie Winter im Sommer – Frühling im Herbst widmet Gauck keinem anderen Erdflecken so viel Zuwendung wie dieser auf der Halbinsel Fischland gelegenen Siedlung mit ihren gut tausend Einwohnern. Das Haus der Großmutter bildet dabei einen ganz besonderen Fluchtpunkt. Es ist Symbol für familiären Aufstieg, Fall und Wiederaufstieg. In seinem Schicksal spiegelt sich das des Bundesbeauftragten. Zunächst, in den Jahren der Kindheit, ist das Haus der Großmutter das Schloss, das für Geborgenheit wie Sehnsucht gleichermaßen steht. Dann geht es scheinbar unwiederbringlich verloren, um schließlich nach dem Ende der faktischen Zwangsenteignung durch die Kommunisten gegen alle Erwartungen wieder an die Familie zurückzufallen.9

Das Rostock der Vorkriegszeit und mehr noch das wiedergefundene, wiedererlangte Wustrow der Großmutter stehen gleichermaßen für die Verortung einer besseren Welt. Sie liefern für den BBC-Beitrag die Bilder, die der Bundesbeauftragte schätzt. Gauck lässt beim Strandspaziergang die Kiesel in der Brandung der Ostsee hüpfen.10 Er steht ehrfürchtig in der wuchtigen Rostocker Marienkirche, in der seine Predigten im Oktober 1989 die Menschen bewegten. Mit dem Leben des Joachim Gauck haben diese Orte zumeist nur am Rande zu tun – selbst die Kinderjahre in Wustrow waren unterbrochen durch viele Kriegsmonate, in denen die Familie am Stationierungsort des Vaters im besetzten Polen lebte. Aber die Momentaufnahmen einer guten alten Zeit sind das, was Gauck vorzeigen will, wenn er anderen sein Leben nahebringen will. Sie sind immer auch Hinweise auf die Suche nach dem verlorenen Glück, die Gaucks Leben bestimmt hat und bis heute bestimmt. Seine Landsleute lieben solche Aufnahmen – sie sind so etwas wie Orte der Vergewisserung der deutschen Seele. In dieser Suche ist er ganz und gar einer von ihnen – der Mann der deutschen Sehnsucht nach dem hoffentlich endlich wiedergefundenen Glück.

1999, vierzehn Jahre vor der Wahl zum deutschen Staatsoberhaupt, ist all das, was Joachim Gauck dann zum scheinbar selbstverständlichen Kandidaten und unvermeidbaren Wahlsieger machen wird, bereits zu erkennen: sein eigener unbändiger Wille, sich nicht abzufinden mit einer zu kurz bemessenen und beschränkten Rolle im öffentlichen Leben, wie auch die Empfänglichkeit seiner Landsleute für einen, der ihnen näher zu sein scheint als die in langen Anläufen allmählich nach oben gerückten Berufspolitiker.

3 Timothy Garton Ash: Die Akte »Romeo«. Persönliche Geschichte. München 1997

4 Im September 1990 war Gauck von einer großen Mehrheit der Volkskammer als »Sonderbeauftragter« gewählt worden, 1995 wurde er erstmals vom Bundestag auf Vorschlag der damaligen Bundesregierung gewählt. Streng genommen war also eine zweite Wahl durch das gemeinsame deutsche Parlament nicht ausgeschlossen.

5 Dagmar Schipanski ist 1943 in Thüringen geboren, Physikerin, die 1985 eine Professur an der TH Ilmenau erhält. Nach ihrer Nominierung und der Niederlage in der Bundesversammlung wird sie Landesministerin in Thüringen, dann Landtagspräsidentin. 2010 unterstützt sie Joachim Gauck.

6 Jürgen Fuchs: Magdalena. MfS – Memfisblues – Stasi – Die Firma – VEB Horch & Gauck – ein Roman. Berlin 1998, S. 503

7 Rostock war ein bedeutendes Zentrum der deutschen Rüstungsindustrie und deswegen während des ganzen Zweiten Weltkriegs immer wieder Ziel von Bombenangriffen. Die Briten hatten allerdings die Stadt im Jahr 1942 ausgesucht, um einen ihrer ersten Angriffe auch auf Wohnviertel von Städten zu fliegen. Ziel war dabei nicht in erster Linie die Zerstörung von Produktionsanlagen oder der Verkehrsinfrastruktur, sondern die Demoralisierung der Bevölkerung.

8 Joachim Gauck: Winter im Sommer – Frühling im Herbst. Erinnerungen. In Zusammenarbeit mit Helga Hirsch. München 2009, S. 9. Im Folgenden erwähnt unter: Erinnerungen.

9 Gauck geht in seinen Erinnerungenausführlich auf die Geschichte des Hauses ein. Er beschreibt die gescheiterten Versuche seines Vaters, das Gebäude zu verkaufen – unter anderem mithilfe des Rechtsanwalts Wolfgang Schnur, der sich nach 1989 als Stasi-Spitzel entpuppen sollte.

10 Siehe dazu auch Dieter Bub: Begegnungen mit Joachim Gauck. Der Mensch. Sein Leben. Seine Überzeugungen. Halle 2012; die Bilder dazu sind auf S. 108.

2Erbschaften – Mecklenburg, die Gaucks und die Warremanns

Woher kommt er aber tatsächlich, dieser so heimatverbundene Mann? Manchmal tut er sich doch schwer damit, das klar zu benennen. Wenige Tage nach seiner Wahl zum Bundespräsidenten beginnt er die Reihe seiner Antrittsbesuche in den Bundesländern in Stuttgart. Dort jährt sich der 60. Jahrestag des Zusammenschlusses von Baden und Württemberg. Vor allem Baden und ein wenig auch Württemberg sind ja so etwas wie die Brutkästen der deutschen Demokratie. Da kann Gauck gar nicht anders, als die Unterschiede in der Geschichte der deutschen Regionen anzusprechen. »Ich selbst komme – wie Sie ja wissen – aus dem Nordosten des wiedervereinigten Deutschland«, sagt er.11 Aus einer Himmelsrichtung kommt er – der Name Mecklenburg fällt nicht. Er kennt nur zu gut die Schattenseiten dieser Region entlang der Ostsee, ihre Rückständigkeit. Er konterkariert diese dann durch eine liebevolle Beschreibung der angeblich mit ihr verbundenen Tugenden ihrer Bewohner – Verlässlichkeit und Beharrlichkeit – und der landschaftlichen Schönheit insbesondere der Küsten. Gauck ist stolz auf seine Beherrschung des Dialekts, des Plattdeutschen. Wenn er sich verstanden fühlt, spricht er auch darin – etwa beim Antrittsbesuch in Kiel. Er ist stolz auf seine Kenntnisse der heimatlichen Dichtung, insbesondere der des in Mecklenburg hochgeschätzten Mundartpoeten Fritz Reuter.12

Der Lübecker Björn Engholm, ein Nachbar also, einst Vorsitzender der SPD, hat Mecklenburgs Bewohner so beschrieben: »… eher wortkarg und zurückhaltend, ein wenig rau und äußerlich anscheinend kühl, gelegentlich dickschädlig und widerborstig, aber immer zuverlässig, ein einmal gegebenes Wort haltend, den Begriffen Anstand und Treue auf eine sehr natürliche Art verbunden, heimatbewusst und sesshaft«.13 Das klingt gut und lenkt doch ab.

Tatsächlich hat Mecklenburg in der deutschen Geschichte bis weit ins 20. Jahrhundert hinein nur eine traurige Nebenrolle gespielt. Das Land an der Ostsee – aufgeteilt in zwei dynastisch miteinander verbundene Herzogtümer – bringt es bis zum Ende des Ersten Weltkriegs zu keiner Verfassung. Mit der Weimarer Republik springt Mecklenburg von einem ständisch geprägten, mittelalterlichen Feudalismus übergangslos in die Demokratie. Unbedeutend sind seine Beiträge zur Geschichte Deutschlands – in Mecklenburg fand nichts statt, worüber es zu berichten gab. Während in Süddeutschland, aber ebenso in Preußen oder Sachsen und erst recht in Stadtstaaten wie Hamburg oder Bremen Ansätze einer Beteiligung des Bürgertums an der Landesherrschaft erkennbar wurden, blieb Mecklenburg verhaftet in einer ständischen Gesellschaftsordnung, die die Einwohnerschaft vom politischen Geschehen ausschloss. War in Deutschland der Ruf nach Freiheit verbunden mit der Notwenigkeit radikaler Veränderung, dann in Gaucks mecklenburgischer Heimat. So wenig Freiheit wie dort gab es nirgendwo sonst.

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