Joe 9/11 - Thomas Antonic - E-Book

Joe 9/11 E-Book

Thomas Antonic

4,3

Beschreibung

Sommer 2001: Der amerikanische Fotograf Peter entdeckt auf einem zufällig in Portugal gefundenen Polaroid den Todessturz eines Menschen ins Meer. Sein Freund Martty macht sich daraufhin nach Portugal auf, um dem ver-meintlichen Verbrechen auf die Spur zu kommen. Was ihn dort erwartet, übertrifft jedoch seine abenteuerlichsten Fantasien. Daheim in San Francisco steht Peter kurz vor seinem Durchbruch auf dem Kunstmarkt, er soll im World Trade Center in New York City ausstellen, am 11. September ... Das skandinavisch-österreichische Autorenduo setzt in seinem spannungsgeladenen Thriller allen Verschwörungs-theorien zu 9/11 ein furioses Ende. Oder setzt es ihnen noch eins drauf?

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Seitenzahl: 165

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THOMAS ANTONIC & JANNE RATIA

JOE 9/11

THRILLER

Mit Grafiken von Tina Raffel

EXKLUSIV:DAS COMPUTERSPIELZUM BUCH

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www.wsb-hurts.com/joe911

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Der Bettler antwortete: »Der Mann hat einen Teig gemacht und meine Augen damit bestrichen und zu mir gesagt: ›Geh zum Teich von Siloah und wasche dich.‹ Ich bin also hingegangen und habe mich gewaschen und konnte sehen.«

Johannes 9,11

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

DAS ENDE

BONUS

NOTIZEN

1

Sagres, Portugal. Ein Ort, der als das »Ende der Welt« bezeichnet wird.

Ein hagerer, älterer Mann spaziert durch die Ruinen einer altertümlichen Festungsanlage. Die Fortaleza de Sagres, oder was davon übrig ist, befindet sich an den Klippen des Atlantiks, dreißig Meter über dem Ozean. Der Wind hat beinahe Stärke sechs. Stürmisches Wetter. Nur wenige Leute befinden sich auf dem Gelände, fast ausschließlich fotografierende Touristen. Und Sturmfänger.

Der Mann nähert sich dem Abgrund. Er zieht eine Polaroidkamera aus seiner Tasche. Der Wind ist so stark, dass sein Mantel wild in die Höhe flattert. Tief unten schlagen die hohen Wellen an die Felsen. Die Luft ist feucht und kalt. Der Mann blickt durch seine Kamera und ist dabei, eine Aufnahme der Klippen auf der anderen Seite der Bucht zu machen. Er versucht, die Wellen einzufangen, die auf den vorgelagerten Fels aufschlagen, und drückt auf den Auslöser. Die Kamera macht ein transzendierendes Geräusch, Di––––––––––katzaaaaaaa––––aaaaaaaaaaaaaa, und spuckt ein Foto aus. Doch der alte Mann ist zu langsam, und der stürmische Wind trägt das Bild mit sich, hoch hinauf in den Himmel.

Das Foto braucht zehn Minuten, um ans Festland zu gelangen. Und als der Wind langsam schwächer wird, landet es direkt auf der Terrasse des Café Mundo.

Am nächsten Morgen, als die Besitzerin des Cafés, eine um die fünfzig Jahre alte Lady, eintrifft, um ihr Lokal aufzusperren, findet sie das Foto direkt neben der Eingangstür. Sie hebt das Polaroid auf und betrachtet es. Eine Schwarz-Weiß-Fotografie der Küste. Sehr hübsch. Sie begibt sich ins Innere des Cafés und befestigt es mit einem Klebestreifen direkt neben der Speisekarte.

2

Ein Jahr später.

Peter Novak, fünfunddreißig Jahre alt, Fotograf, geboren in der Slowakei, wohnhaft in San Francisco, betritt das Café Mundo. Es ist die Zeit der Siesta, und draußen ist es ziemlich heiß. Er setzt sich an die Bar und bestellt ein Bier. Er sieht das Foto an der Wand, steht auf und betrachtet es näher.

»Hey, darf ich Ihnen eine Frage stellen? Wer hat dieses Foto gemacht?«

Die Cafébesitzerin kommt aus der Küche.

»Entschuldigung, mein Englisch ist nicht gut …«

»Kein Problem. Ich wollte nur wissen, wer dieses Foto gemacht hat.«

Peter nimmt das Foto von der Wand.

»Oh, ja, das Foto ist schon lange hier. Ich weiß nichts darüber.«

»Mein Name ist Peter. Ich bin Fotograf aus San Francisco. Darf ich mir das Foto ansehen?«

»Ja, Sie können es haben.«

»Nein, nein, ich möchte es nur ansehen.«

»Ja, Sie können das Foto haben.«

Die Frau geht zurück in die Küche. Peter setzt sich wieder an die Bar, nimmt einen Schluck von seinem Bier und betrachtet das Foto. Es wurde vermutlich mit einer Polaroid 909 gemacht. Auf der Rückseite ist das Datum aufgedruckt: 12.06.2000. Ziemlich genau vor einem Jahr. Es handelt sich um einen raren Polaroid-Instant-Film. Peter kennt sich damit aus. Er hat so ziemlich alles über Polaroidkameras und -filme studiert. Er trinkt sein Bier und wirft immer wieder einen Blick auf das Foto. Eigentlich kein großartiges Bild. Peter ist auf Urlaub hier. Er steckt das Foto in seine Tasche und verlässt das Café.

3

San Francisco.

Peter hatte einen furchtbaren Streit mit seiner Freundin. Dieses Mal dürfte es wohl endgültig aus sein. Die Tür wird zugeschlagen, und das Mädchen ist fort. Peter öffnet eine Flasche Rotwein und nimmt einen kräftigen Zug direkt aus der Flasche. Er lässt sich auf das Sofa fallen. Der Monat in Portugal war wohl etwas zu lange gewesen. Er stellt seine Tasche auf den Couchtisch und beginnt, sie auszuleeren. Filme, Filme, Filme. Sein ganzes Leben ist ein einziger Film. Dann zieht er das Polaroid aus der Tasche. Peter betrachtet es erneut und trinkt Wein. Erst jetzt fällt ihm ein winziger schwarzer Punkt auf, ein Schatten, der irgendwie nicht so recht mit der Struktur der Felswand übereinstimmen will, aber auch zu groß für einen Vogel ist. Er geht in den Arbeitsraum und legt das Foto in sein Vergrößerungsgerät, das es ihm durch eine besondere Vorrichtung gestattet, auch Positive zu vergrößern. Er hat sich das Gerät für seine letzte Ausstellung angeschafft, die bereits vor über einem Jahr über die Bühne gegangen ist. Er hatte damals enorm vergrößerte Fotografien ausgestellt. Bis zu zwei mal drei Meter. Die Ausstellung war nicht erfolglos, aber danach war nichts mehr geschehen.

Er vergrößert das Polaroid auf das Zehnfache, dann auf das Zwanzigfache, dann das Dreißigfache, das Vierzigfache …

Er schwenkt den Vergrößererkopf in die Waagerechte, projiziert das Foto auf eine Wand und lehnt sich zurück. Es sieht aus, als ob da ein Mensch an den Klippen stehen würde. Peter trinkt von seinem Wein. Und dann sieht es so aus, als ob da eine zweite Person auf dem Bild zu sehen wäre, die gerade von den Klippen stürzt. Er geht zurück zum Gerät und vergrößert nun den konkreten Ausschnitt abermals. Es sieht aus, als ob …

Es sieht aus, als ob da ein Mann am Rande der Klippen steht und nach unten schaut. Und er beobachtet, wie diese zweite Person in die Tiefe stürzt. Peter ist betrunken und verwirrt, und er ist wütend auf seine Freundin – oder auf seine Exfreundin. Er schläft ein. Das Bild bleibt auf die Wand projiziert.

4

»Willst du mich verarschen?«

»Nein, verdammt noch mal! Schau dir doch das Foto an!«

Peter hat am folgenden Morgen seinen Freund Martty angerufen und ihn gebeten, vorbeizuschauen. Martty hat sich das vergrößerte Bild einige Minuten angesehen.

»Kennst du Blow Up?«, fragt Martty schließlich.

»Blow Up? Den Film? Natürlich kenne ich den. Jeder Fotograf kennt ihn.«

»Du weißt schon, wo der Typ dieses Foto von der Frau und dem Mann macht, und dann geht er in sein Studio und vergrößert das Foto, und darauf sieht er eine Leiche, die im Gras hinter dem Gebüsch liegt.«

»Klar kenne ich den Film. Aber das ist ja was anderes. Oder willst du damit sagen, dass ich dieses Foto gemacht habe?«

»Natürlich nicht, du brauchst nicht gleich verrückt werden.«

Beide betrachten jetzt das Foto für eine Weile, ohne miteinander zu sprechen.

Martty: »Und was willst du jetzt machen?«

Peter: »Keine Ahnung.«

Martty: »Das ist ein völlig irres Foto. Aber es ist nicht deines.«

Peter: »Es ist found footage.«

Martty: »Du solltest es ausstellen.«

Peter: »Glaubst du?«

Martty: »Unbedingt. Also, wer kann schon von sich behaupten, ein Foto von einem Mord gemacht zu haben?«

Peter: »Ich habe das Foto nicht geschossen. Und vielleicht war es ein Unfall. Vielleicht hat der Typ überlebt. Vielleicht war das so eine Art Acapulco-Springer.«

Martty: »Andererseits müsstest du dich rechtfertigen, warum du nicht die Polizei verständigt hast.«

Peter: »Meine Güte, ich hab das Foto nicht gemacht! Ich hab es geschenkt bekommen, ein Jahr, nachdem es gemacht wurde! Derjenige, der das Foto gemacht hat, wusste vermutlich nicht einmal, was er da eigentlich fotografiert hat. Vielleicht wollte er die Klippen fotografieren und hat diese beiden Leute gar nicht gesehen. Du siehst sie nicht, wenn du dir das Foto in Originalgröße ansiehst. Du kannst sie nur sehen, nachdem du es vergrößert hast.«

Martty: »Es muss doch eine Ermittlung gegeben haben, drüben in Portugal. Wenn der Typ da gestorben ist, muss die Leiche an die Küste gespült worden sein. Oder es muss zumindest einen Vermissten in Portugal gegeben haben. Und was ist mit der Kamera? Du sagtest, es handelt sich um ein rares Modell?«

Peter starrt Martty an und nimmt einen Schluck Kaffee.

Peter: »Jesus, du solltest Privatdetektiv werden.«

Martty lacht.

Martty: »Du wirst es nicht glauben, aber als Kind wollte ich das wirklich.« (Kurze Pause, Martty lächelt.)

Peter: »Ja, also dieses Foto wurde ziemlich sicher mit einer Polaroid 909 gemacht, limitiert auf zweihundert Exemplare. Sogar der Film ist selten. Polaroid produziert keine ISO-1200-SchwarzWeiß-Filme mehr.«

Martty: »Du glaubst also, dass es möglich ist, den Besitzer der Kamera ausfindig zu machen?«

Peter: »Keine Ahnung. Wie denn? Jeder kann so eine Kamera kaufen, wenn er Glück hat. Anonym. Auf der ganzen Welt.«

Martty: »Aber es ist doch gut möglich, dass dieser Fotograf aus Sagres ist. Wir sollten mit unserer Suche dort drüben beginnen.«

Peter: »Suche? Wir? Ich bin gestern erst aus Portugal zurückgekommen! Ich werde da sicher nicht morgen wieder hinfliegen! Und was hätte es überhaupt für einen Sinn, diesen Typ ausfindig zu machen? Du bist mir ein verrückter Kerl.«

Martty: »Schau dir die Klippen an, Peter. Niemand kann dort runter. Möglicherweise liegt der Leichnam noch immer irgendwo dort unten.«

5

Am nächsten Morgen, 8 Uhr.

Peter liegt noch im Bett.

Piep. Piep.

– – – SMS von David Sherlock:

Grüße aus Kairo von deinem Manager, falls du vergessen hast, wer ich bin! Wie war Portugal? Gute Aufnahmen gemacht? Ich habe eine GROSSE ÜBERRASCHUNG für dich. Falls es dich interessiert …

– – – SMS an David:

Okay, Alter, du hast meine volle Aufmerksamkeit.

– – – SMS von David:

Sicher?

– – – SMS an David:

Hör auf mit dem Scheiß und erzähl’.

– – – SMS von David:

Ich hab eine Galerie für dich. Eine Gruppenausstellung, aber nette Gesellschaft.

– – – SMS an David:

Gruppenausstellung? Welche Gesellschaft? Wo?

– – – SMS von David:

Vergiss die Gesellschaft. BURROUGHS GALLERY!

– – – SMS an David:

Im Ernst?

– – – SMS von David:

Naja, der alte Homo meint es immer ernst, wenn’s ums Geschäft geht. Und das ist ein Riesengeschäft. Weißt du, was das für dich bedeutet? Du kommst in die erste Liga!!

– – – SMS an David:

Scheiße, Mann. Scheiße! Okay, Wann?

– – – SMS von David:

Ja, das ist die Sache: in zwei Monaten. Pan Jax hat abgesagt. Also hab ich dich reingebracht. Das ist eine Jahrhundertchance. Es wär besser, du würdest da mit etwas verdammt Großartigem antanzen. Das wird eine riesengroße Sache. Du brauchst nur ein sehr großes Foto, so wie diese von deiner letzten Show. Oder zwei kleinere. Die Vernissage ist am 11. September. Wie immer dort, bei diesen Exzentrikern, vormittags. Und du kennst die Galerie. Manhattan. NYC.

Peter versucht sich zu sammeln.

– – – SMS an David:

OKAY!

– – – SMS an Martty:

Sir, es ist Zeit für eine wirklich ernsthafte Unterhaltung. Zieh dir deine Hosen an, und wir treffen uns in einer halben Stunde bei Mel’s. Ich wiederhole: IN EINER HALBEN STUNDE!!!

6

Martty quatscht mit Sue, der Kellnerin, die immer hier Frühschicht hat. Und sie ist immer guter Laune. Martty sagt irgendwas zu ihr und beide lachen, während Peter den Diner betritt. Er sieht abgekämpft aus, wie nach einer schlaflosen Nacht.

Peter: »Hallo allerseits.«

Sue: »Hey, Pete, Kaffee?«

Peter: »Sicher! Schwarz, wie immer. Und ich könnte Eggs Benedict zum Frühstück vertragen.«

Sue holt eine Kaffeekanne und einen frischen Becher und füllt ihn fast randvoll. Dann geht sie nach hinten, um dem Koch die Bestellung zu übermitteln. Martty hat bisher kein einziges Wort gesagt und grinst nur.

Peter: »Was?«

Martty: »Ich hab grad den San Francisco Chronicle durchgeblättert, während ich auf dich wartete. Und rate mal. Dein lieber Freund Pan Jax wird seit drei Tagen vermisst.«

Peter schaut überrascht.

Peter: »Ist nicht wahr!«

Martty: »Doch. Steht in der Zeitung. Wie war das noch mal? Ihr wart beide an der Kunsthochschule und du hast diese eine, diese einzige wichtige Gruppenausstellung verpasst, weil du grad Liebeskummer hattest?«

Peter: »Liebeskummer … Ich war nahe am Selbstmord. Nur wegen diesem Gör, Amylou … Und ich hab mich nicht um diese Ausstellung gekümmert, weil die Szene sowieso Gruppenausstellungen von Studenten ignoriert. Aber just zu dieser kam Herr von und zu Starfotograf Bokelberg und entdeckte Pan Jax, der jetzt berühmt ist, während ich immer noch hier herumlungere. Und dieser Arsch ist noch dazu zwei Jahre jünger als ich.«

Martty: »Amylou, was? Alles ihre Schuld, ja?«

Peter: »Nein, es war meine Schuld. Einzig und allein meine Schuld.«

Martty: »Was ist überhaupt aus Amylou geworden?«

Peter: »Ist mir egal. Das tut jetzt auch nichts zur Sache. Ich hab große Neuigkeiten für dich, und deshalb sind wir eigentlich hier. Hör zu: Mein Agent, Sherlock, hat mir heute eine SMS geschickt. Ich kann bei einer Ausstellung in der Burroughs Gallery, Manhattan, mitmachen.«

Martty: »Scheiße, Mann! Gratuliere!! Ha! Jetzt brauchst du also nicht mehr auf Jax eifersüchtig zu sein, was?«

Peter: »Naja, die Sache ist die, dass ich quasi der Ersatz für Jax bin.«

(Kurze Pause.)

Martty (holt tief Luft): »Uuuuuhhh!!! Scheiße, Mann! Junge, Junge …«

Peter: »Aber ich hab nicht gewusst, dass er vermisst wird. Sherlock hat mir das nicht gesagt … Egal. Weißt du, was das bedeutet? Das könnte die große Chance sein! Vielleicht die einzige große Chance in meinem Leben, um an die Spitze zu gelangen! Und Sherlock hat gesagt, dass ich nur ein einziges großes Foto brauchen würde …«

Martty: »… das du seit vorgestern besitzt.«

Peter: »Meinst du wirklich, dass ich das Polaroid ausstellen sollte?«

Martty: »Yeah, Mann, das ist das Bild des Jahrhunderts!«

Peter: »Aber was ist mit dem, der das Foto gemacht hat? Wenn ich dieses Foto bei Burroughs ausstelle, kann es sein, dass das in jedem zweiten Kunstmagazin auf der ganzen Welt abgedruckt wird. Der Typ könnte also dahinterkommen.«

Martty: »Könnte … Hätte … vielleicht, vielleicht … Hör mal, das ist ein Polaroid. So was kann man innerhalb einer Sekunde machen, ohne darüber nachzudenken. So wie eine Lomografie oder irgend so ein Scheiß. Polaroids haben außerdem kein Negativ. Es existiert nur dieses eine Positiv.«

Sue bringt Eggs Benedict an die Theke und Pommes Frites.

Peter: »Danke.«

Martty (während Peter isst): »Weißt du, ich hab über dieses Foto nachgedacht. Du hast diese Lady in dem Café nicht gefragt, wer ihr das gegeben hat, richtig?«

Peter: »Das ist richtig.«

Martty: »Jetzt sag ich dir, was wir unternehmen können.«

Peter: »Was?«

Martty: »Wir fragen sie. Sie wird sich an den Typen erinnern. Vielleicht ist es ein Freund von ihr. Wer weiß! Wir werden also dort hinfliegen und sie fragen. Es ist bestimmt kein Ding der Unmöglichkeit, diesen Typen ausfindig zu machen. Ich bin mir zu hundert Prozent sicher, dass ich ihn finden kann.«

Peter: »Aber ich hab dir doch schon gesagt, dass ich jetzt nicht nach Portugal fliegen werde. Ich bin gerade erst von dort zurückgekommen!«

Martty: »Ich werde alleine fliegen.«

7

Sagres, Portugal

Ein hagerer, älterer Mann betritt das Café Mundo. Er nimmt an einem Tisch am Fenster Platz.

»Cerveja!«

Er legt eine Schachtel Zigaretten und ein Zippo-Feuerzeug auf den Tisch und nimmt eine Polaroidkamera aus seiner Tasche, gibt einen Film in die Kassette. Die Besitzerin, Maria, bringt ein kühles Sagres-Bier. Der Mann nickt. Sein Gesicht ist von einem Sonnenbrand gezeichnet. Er hat einen perlweißen Schnurrbart. Maria verschwindet in der Küche. Der Mann ist der einzige Gast.

»Hey, Lady, kommen Sie doch mal her für einen Augenblick.«

Maria kommt wieder aus der Küche und geht zum Tisch.

»Ja?«

»Verstehen Sie Englisch?«

»Ja, ein wenig.«

»Darf ich Sie fotografieren?«

Maria wird rot und lächelt.

»Warum wollen Sie mich fotografieren?«

»Sagen wir, ich finde Sie bezaubernd und es wäre mir eine Ehre.«

Maria läuft noch mehr an und lächelt umso mehr. Aber das Lächeln versteinert sich in ihrem Gesicht. Der Mann hat etwas Gefährliches an sich und in seiner Stimme liegt etwas Mysteriöses. Immerhin hat sie hier ihr ganzes Leben verbracht. In diesem kleinen Städtchen mit 1878 Einwohnern. Marias Mann starb vor fünfzehn Jahren und das Einzige, das sie in ihrem Leben hat, ist dieses kleine Café, das sie zusammen mit ihrem Mann gegründet hatte. Und eine derartige Frage wurde ihr in ihrem ganzen Leben noch nicht gestellt.

»Natürlich dürfen Sie mich fotografieren.«

»Gut, vielleicht gehen Sie hinter die Theke und lehnen sich auf den Tresen, wenn das okay für Sie ist.«

»Sicher.«

Als Maria hinter die Theke geht, schließt der Mann behutsam die Eingangstür.

»Ist das okay?«

»Ein bisschen mehr nach links, bitte.«

Maria bewegt sich, und ihrer Erscheinung haftet nun ein gewisser Sex-Appeal an.

»Das ist gut. Sehr gut. Halten Sie still für ein paar Sekunden.«

Di––––––––katzaaaaaaa–––––––––aaaaaaaaaaaaaa. Die Polaroid spuckt ein Foto aus. Der Mann nimmt es und legt es mit der Vorderseite nach unten auf den Tresen.

»Darf ich es sehen?«

»Noch nicht, Darling. Es braucht ein paar Minuten, bis es voll entwickelt ist.«

»Okay, möchten Sie vielleicht noch etwas trinken? Einen Kaffee?«

»Oh ja, das ist eine hervorragende Idee.«

Maria nimmt zwei Becher und stellt sie auf den Tresen. Sie gießt Kaffee in die Becher. Während Maria noch einschenkt, nimmt der Mann eine Bratpfanne, die über dem Ofen hängt, und schlägt sie ihr mit voller Kraft ins Gesicht. Das Geräusch, das dabei verursacht wird, ist alles andere als angenehm. Die Kaffeekanne fliegt an die Wand hinter dem Tresen und zerspringt in tausend Teile. Maria geht in die Knie und fällt danach wie ein nasser Fetzen auf den Boden. Dann ist es völlig still. Der Mann betrachtet die Pfanne in seiner Hand. Blut klebt daran, und Knochenstücke. Maria liegt am Boden, mit dem Gesicht im eigenen Blut. Sie rührt sich nicht. Der Mann hebt Maria hoch und lehnt sie wieder auf den Tresen. Er blickt zur Tür hin. Niemand. Perfektes Timing. Wie immer. Er geht zurück und stellt sich wieder vor den Tresen, nimmt die Polaroid wieder in seine Hand.

Di–––––katzaaaaaaaaaaaaaa–––––aaaaaaaaaaaaaa.

Er legt das neue Foto direkt neben das andere und zündet sich eine Zigarette an.

8

Sagres, drei Wochen später.

E-Mail von: Martty Bruce <[email protected]>

an: Peter Novak <[email protected]>

Datum: 25.07.2001, 12.23 Uhr WEZ

Mein lieber Freund! Ich bin heute mit dem Bus nach Lagos gefahren, das etwa zwanzig Meilen von Sagres entfernt liegt, und sitze gerade in einem Internet-Café. In Sagres gibt es so etwas ja nicht. Das ist wirklich ein ausgesprochenes Nest, das du dir da ausgesucht hast. Würde mich nicht wundern, wenn dort überhaupt niemand einen Internetanschluss hat. Aber ansonsten ist Sagres wirklich ausgesprochen nett. So was findet man bei uns die ganze Pazifikküste entlang nicht. Vielleicht kann man Sagres am ehesten noch mit Big Sur vergleichen, aber hier ist es viel wärmer. Wie in Mexiko. Warum hast du mich nicht mitgenommen beim letzten Mal? Du wolltest wohl nicht all die hübschen portugiesischen Mädchen mit mir teilen, stimmt’s? Aber dank dir bin ich nun auch hier. Und du bist in San Francisco. Also hab ich die ganzen hübschen portugiesischen Mädchen für mich allein, BUAHAHAHAAAAA!!!!

Abgesehen von den hübschen Mädchen, Sommer, Sonne, Strand und Meer, ist das hier aber auch ein ziemlich seltsames Nest. Ist dir das aufgefallen, als du hier warst? Ich weiß zwar nicht genau, was es ist, aber irgendetwas Seltsames geht vor sich. Ich spüre das an der Atmosphäre. Aber ich habe auch Fakten anzubieten. Hier also die wahrhaftig abgefahrene Scheiße: