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Der Zimmermann Josef und seine hochschwangere Frau Maria stehen in Bethlehem vor verschlossenen Herbergstoren. Wer hilft ihnen schließlich? Doch die Reise geht weiter, wird zur Flucht. Die antisemitische Bürokratie lässt sie auch in Ägypten nicht zur Ruhe kommen. Sollen sie zurück in die Heimat? Und was geschieht mit ihrem Erstgeborenen, der sich ganz anders entwickelt, als es sein irdischer Vater gerne hätte? Eine Geschichte von Menschen und ihrem Gottvertrauen. Vielleicht könnte es so gewesen sein.
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Seitenzahl: 99
Veröffentlichungsjahr: 2024
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Vorwort
Kapitel I
Kapitel II
Kapitel III
Kapitel IV
Kapitel V
Kapitel VI
Kapitel VII
Kapitel VIII
Kapitel IX
Kapitel X
Kapitel XI
Kapitel XII
Kapitel XIII
Kapitel XIV
Kapitel XV
Kapitel XVI
Kein Nachwort
Josef aus Nazareth
In der Heiligen Schrift steht über einen Menschen dieses Namens nicht recht viel. Es gibt Hinweise auf seine Herkunft aus der Linie Davids, seinen Wohn- und Geburtsort, seine Rolle als „Nährvater“ – heute würde man vielleicht „Leihvater“ sagen. Zur Zeit des Wirkens Jesu gibt es keine Erwähnung seiner Person mehr.
Diese spärlichen Angaben haben schon in urchristlicher Zeit Anlass zu Spekulationen und Deutungen gegeben, vom biederen Handwerker mit Familie bis hin zum enthaltsamen Tempeldiener, nach dem bis heute die Josefsehe benannt ist.
Die vorliegende Geschichte ist kein weiterer Versuch einer Deutung der Gestalt des Josef aus Nazareth. Sie ist einfach eine Geschichte von Menschen in einer bewegten Zeit, an die Bibel angelehnt, aber nicht historisierend oder gar theologisierend.
Es ist die Geschichte von Menschen und ihrem Gottvertrauen.
Vielleicht könnte es so gewesen sein.
„Nein“, seufzte Maria, „es geht nicht. Auch mit bestem Willen nicht.“
Josef nickte und betrachtete sie nachdenklich. Sie sah umwerfend aus in dem blauen Mantel mit dem hellbraunen Fuchskragen. Aber er war für ein junges, schlankes Mädchen gefertigt worden, nicht für eine Hochschwangere.
„Und wenn du ihn eben offen lässt...“, begann Josef vorsichtig.
„...damit sich das Kind im Bauch verkühlt?“, fiel ihm Maria ins Wort. „Nein, mein Lieber, sowas kann auch nur ein ahnungsloser Mann vorschlagen.“
„Verzeih, meine Liebe“, meinte Josef zerknirscht, „schade.“
„Schon gut. Nehm ich halt doch den Mantel meiner Mutter. Er ist sowieso viel wärmer jetzt im Winter. Siehst du, Kinderl, wird sie sagen, ist ja doch gut, wenn man nicht gleich alles wegwirft.“
Die beiden lachten ein wenig bei dem Gedanken an die alte Mutter Anna, die, wie alle alten Mütter, einen ungemein ausgeprägten Sinn für das Nützliche und Sparsame hatte.
Josef schaute bekümmert, und Maria erriet, was ihn bedrückte.
„Aber, mein Lieber“, sagte sie zärtlich, „mach dir keine Gedanken darüber. Zieh deinen neuen Mantel ruhig an. Ich weiß ja, wie gern du ihn hast.“
„Danke, meine Liebe.“ Und Josef gab ihr einen innigen Kuss.
Die Vorbereitungen für die lange Reise nach Bethlehem waren damit abgeschlossen. Was hätten sie sonst auch noch mitnehmen sollen? Die Wasserflaschen waren gefüllt, ein wenig Proviant bereitgelegt. Im Morgengrauen wollten sie aufbrechen.
Dem kleinen Esel im Stall draußen war die Aufregung im Hause nicht verborgen geblieben. Er wusste aus langjähriger Erfahrung, was nun folgen würde: Eine Periode härtester Fron. Wie oft hatte er sich schon vorgenommen, einfach einmal in den Streik zu treten, die Füße in den Boden zu stemmen, wie es seine Mutter so oft gemacht hatte, und sich nicht von der Stelle zu rühren. Er hatte sie dafür anfangs bewundert, aber dann gemerkt, dass es eigentlich nichts nützte, bockig zu sein. Die Menschen waren am Ende doch immer die Stärkeren.
Besonders Josef beherrschte einige Tricks, auf die der kleine Esel immer wieder hereinfiel. Meistens waren es kulinarische Verführungen, die den Esel jedes Mal so sehr ablenkten, dass er erst merkte, was los war, wenn ihm der Sattel bereits aufgelegt war und Josef die schweren Packtaschen aufhängte, um seine Tischlereiprodukte auszuliefern. Da nützte kein Protestgeschrei mehr, denn man ließ ihn dann einfach stehen, bis er sich beruhigt hatte, und das war in der sengenden Sommerhitze oder der eisigen Morgenluft gleichermaßen unangenehm. So hatte sich der kleine Esel weise in sein Schicksal ergeben, ja die junge Maria trug er sogar voller Stolz, wenn sie am Sabbat die Synagoge besuchte. Allerdings kam dem Esel vor, als wäre sie in letzter Zeit um einiges schwerer geworden, und das gefiel ihm nicht besonders.
So war der kleine Esel zwar ein wenig verwundert, als ihm Josef in aller Früh die Wasserschläuche umschnallte und Maria vorsichtig in den Sattel half, denn gemeinsam waren die beiden noch nie mit ihm verreist, aber er ahnte, dass es ein längeres Unternehmen sein würde. Dass es ihn aber letztlich bis nach Ägypten führen würde, hätte er sich nie träumen lassen. Er hatte ja von Ägypten noch nie etwas gehört.
Seufzend trabte der kleine Esel los, hoffend, dass Josef wieder ein Stück Zuckerrohr in seiner Manteltasche hätte. Seufzend dachte Maria an ihr Kind im Leibe, wie es die mühsame Reise wohl überstehen würde. Und Josef seufzte, weil sie nur seinetwegen den weiten Weg nach Bethlehem machen mussten. Und wegen des Kaisers natürlich, der das so befohlen hatte.
Es ging besser als gedacht. Der Sandsturm in der Wüste war seitlich vorüber gezogen, das Gewitter im Gebirge jenseits des Kammes niedergegangen. Es hatte noch nirgends geschneit, und es waren so viele Menschen nach allen Richtungen unterwegs, dass man vor Räubern auch keine Angst haben musste. Josef wäre es um seinen schönen Mantel sehr leid gewesen; den hätten sie ihm sicher weggenommen. Sonst hatten sie ja nichts mit, was Räuber interessieren könnte.
Jetzt näherten sie sich dem Ort Bethlehem, der sich großartig Stadt nannte, nur weil er beim Propheten Isaias erwähnt wurde! Dabei war es nur ein größeres Bauerndorf, in dem es nicht einmal einen richtigen römischen Verwaltungsposten gab. Die paar Soldaten saßen die meiste Zeit herum, tagsüber unter einem Baum, abends im einzigen Gasthaus unter den Handwerkern und Bauern. Heute freilich war die Stube gesteckt voll mit Menschen, denn die Zeit der Zählung war da und jeder beeilte sich heimzukommen. Alle wunderten sich, wie viele Menschen nicht mehr in ihrem Heimatort lebten, ja es schien, als wären die wenigsten daheim geblieben. Und diese wenigen saßen verschreckt und verstockt in einer Ecke ihres Gasthauses, verwünschten alle Fremden und hofften, der lärmende Spuk möge so bald als möglich vorüber sein.
Gerade als eine Schar Bauern heimgehen wollte, trafen sie auf Josef, der Maria vom Esel herab hob. „Lass sie oben“, brummte ein Bauer, „da drin ist sowieso kein Platz mehr.“
„Ihr habt doch gerade welchen gemacht“, meinte Josef betont heiter, denn er wollte Maria nicht erschrecken.
„Aber nicht zum Übernachten“, knurrte ein anderer.
Maria seufzte. Ihr war heute schon den ganzen Tag nicht recht gut gewesen, das Kreuz tat ihr weh und das Gesäß sowieso. „Hoffentlich ist Platz“, hauchte sie, „nach drei Nächten auf einer harten Wirtshausbank brauch ich wieder einmal einen Strohsack...“
Da knarrte hinter ihnen die Tür des Gasthauses, ein Schlüssel wurde rasselnd ins Loch gesteckt. „Voll, ausverkauft“, rief eine rundliche Gestalt aus der halb geöffneten Tür, „und Sperrstund ist auch“. Die Tür rumpelte zu, das Schloss quietschte. Die Bauern schlichen schweigend davon, Josef fluchte und Maria weinte und zitterte vor Kälte. Der kleine Esel stand einfach da und schlief im Stehen. Auf der Straße war es ganz still, nur aus dem Wirtshaus drang fernes Gemurmel und Gelache. Josef wollte vor Wut losbrüllen, zuckte aber schließlich nur resigniert die Schultern und seufzte tief.
Da wandte sich einer der Bauern um und deutete ihnen. „Ich glaub, der will was von uns“, sagte Maria leise, „gehen wir hin.“
„Wenn das nur kein blöder Schmäh ist“, knurrte Josef misstrauisch. „Warum sollten sie?“, fragte Maria, „Nur vorwärts!“
Josef zog am Zügel und warf damit fast den schlafenden Esel um. „Hoppla“, rief Maria entsetzt, als sie ihr Gleichgewicht endlich wieder gefunden hatte, „bin ich jetzt erschrocken.“
Und ich erst, dachte der Esel. Was denkt ihr euch dabei? Aber dann sah er auch die winkende Gestalt und trabte auf der Stelle los, dass Josef vor Schreck die Zügel ausließ.
So hatten sie die kleine Bauernschar bald eingeholt und sahen, was der eine gemeint hatte. In der Leiten hinter der Häuserzeile entlang der Straße war eine kleine Grotte, vorne mit Astwerk verschlossen. Soviel war im Schein der Sterne zu erkennen. Darin flackerte ein kleines Feuer, ein Hund schlief dabei.
„Dahin sollen wir?“, fragte Josef erstaunt, aber die Bauern waren schon verschwunden. „Bitte“, flüsterte Maria, „ich kann nicht mehr.“
„Gut“, meinte Josef, streichelte ihr übers Haar und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. „Besser als nichts ist es ja.“
Die Grotte war nicht hoch und nicht tief, aber der Boden war eben und trocken. In einer Ecke lag etwas Stroh, daneben einige Stücke Holz. Der Hund knurrte leise, als er den Esel vor sich sah, stand auf und schlich davon. Josef verteilte das Stroh auf dem Boden und half Maria beim Absteigen. Er erschrak über ihr schmerzverzerrtes Gesicht. „Keine Angst“, lächelte sie mühsam, „das sind nur die Wehen...“
Josef überlief es siedend heiß: „Nur jetzt nicht!“, rief er entsetzt, „wir brauchen doch eine Hebamme!“ Mit einem leisen Schrei ließ sich Maria auf das Stroh fallen. „Du musst mir jetzt helfen“, keuchte sie, „sei stark... Ich muss es auch sein...“
„Aber...“ Josef schwieg. Eine plötzliche Ruhe überkam ihn. Er bettete die Frau so gut es ging auf den Rücken, legte Holz auf die Glut und fand weiter hinten einen Kupferkessel mit etwas Wasser darin, den er aufs Feuer stellte.
Der Esel schaute schläfrig, Maria rang nach Luft, Josef streichelte ihr die Hand und gähnte ein ums andere Mal. Das Feuer knisterte, in der Ferne heulte ein Hund, dann bellte eine ganze Schar.
So verging eine lange Weile. Doch plötzlich überschlugen sich die Ereignisse, und ehe Josef zum Denken kam, hatte er schon das Kindlein abgenabelt und mit dem noch lauwarmen Wasser abgewaschen. Vorsichtig legte er es der strahlenden Maria auf den Bauch, deckte beide mit ihrem Mantel zu und begann das Stroh zu wechseln, weil er vor lauter Glück nicht wusste, was er sonst tun sollte.
Da raschelte es in der Astwand, und etliche aufgerissene Augenpaare starrten verwundert ins Licht. Endlich erschien ein graubärtiges Gesicht. „Ist das hier...äh...?“ Eine schwarze Hand deutete auf das Kind.
„Ja“, rief Maria, „Gott sei Lob und Dank!“
„Gott sei Lob und Dank“, murmelte es vielstimmig von draußen herein, dann noch einmal, lauter: „Gott sei Lob und Dank!“
Scheu blickten die Hirten durch die Äste. Nur der kleine Hund drängte sich herein, stellte sich mitten hin und schaute erst den Esel, dann Josef und schließlich Maria mit dem kleinen Kindlein aufmerksam an. Niemand rührte sich. Schließlich gab der Hund einen leisen, zufriedenen Ton von sich und legte sich neben Maria, wie um sie zu bewachen. Da legte sich auch der Esel nieder und Josef merkte mit einem Male, dass er zum Umfallen müde war. Und als er noch ein wenig Holz nachlegen wollte, damit ja niemandem kalt wird, fand er neben dem Kessel ein Stück Käse und einige Fladen Brot. Die Gesichter hinter den Blättern aber waren verschwunden.
„Ja“, rief jetzt auch Josef, „es ist wirklich ein Wunder! Gott sei Lob und Dank!“
Als Josef am nächsten Morgen aufwachte, fühlte er sich wie zerschlagen. Es war auch kein Wunder, denn der kalte Lehmboden der Grotte war rissig und hart, von dem Feuer war nur ein Häuflein grauer Asche übrig geblieben und an dem Blätterverschlag rüttelte ein eisiger Wind. Mühsam richtete er sich auf, und plötzlich erschrak er zutiefst: Ein dünnes Stimmchen durchdrang das niedrige Gemach, hallte von den kahlen Wänden zurück und erfüllte den Raum schließlich bis in den letzten Winkel.
„Na, na...“, hörte er Marias schlaftrunkene Stimme beruhigend unter dem Mantel hervormurmeln, mit dem sie sich zugedeckt hatte.
Ich bin Vater, dachte Josef, ich habe jetzt wahrhaftig eine ganze Familie. Und ich muss für sie sorgen.