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Josef und Jesus lebten in einem zeitlichen Abstand von etwa 2000 Jahren. Sie wurden von unterschiedlichen biblischen Verfassern zu unterschiedlichen Zeiten beschrieben. Und doch finden sich frappierende Übereinstimmungen, die nicht aus sich selbst erklärbar sind, die vielmehr auf den »roten Faden« göttlicher Heilsgeschichte schließen lassen. Das Kommen und Wirken von Jesus Christus wurde in langen Zeiträumen vorbereitet.
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Seitenzahl: 212
Veröffentlichungsjahr: 2021
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Gewidmet
Comtesse Sophie d' Herlan
meiner waldensischen Ur-Urgroßmutter im Glauben an den Erlöser Jesus Christus
Widmung
Vorwort
Jakob und Jesus
Eine neue Ära mit Josef und Jesus
Die Beziehung von Vater und Sohn
Gesandt und geschlagen
Treue in der Tiefe
Erhebung aus dem Nichts
Bei Josef geschehen - bei Jesus im Werden
Schluss
Literatur
Liebe Leserin, lieber Leser,
immer wieder finde ich es faszinierend, wie die Botschaft des Neuen Testaments in entscheidenden Grundzügen bereits im Alten Testament vorbereitet und vorgeformt ist. Dabei liegen mitunter über 2000 Jahre dazwischen. Und nicht selten spricht das Alte Testament über Ereignisse, die bis heute noch nicht eingetreten sind und in der Zukunft liegen.
"Was Christum treibet", was zu Christus hinführt, war für Luther der »rote Faden« des Alten Testaments: »solus Christus« - allein Christus zählt, auf ihn läuft alles zu. Jesus selbst hat schon den Faden des Alten Testaments aufgenommen, um sein Leben und Werk aus "der Schrift" abzuleiten und seine Identität zu begründen: "Und er fing an bei Mose und allen Propheten und legte ihnen aus, was in der ganzen Schrift von ihm gesagt war" (Lk 24,27). Sein Leben dient zur Vollendung des Alten Testaments: "so muß die Schrift erfüllt werden" (Mk 14,49). Die Jünger erkannten, dass nur er das "Schloß" des Alten Testaments aufschließen, seinen »Code knacken« kann, so dass dieses uralte Buch brennend aktuell wird: "Brannte nicht unser Herz in uns, als er mit uns redete auf dem Wege und uns die Schrift öffnete?" (Lk 24,32). "Da öffnete er ihnen das Verständnis, so daß sie die Schrift verstanden" (Lk 24,45). Zudem betont Jesus die Vollgültigkeit des Alten Testaments, und nicht nur diejenige ausgewählter Teile, wenn er sagt: "die Schrift kann doch nicht gebrochen werden" (Joh 10,35). Theologischen Irrtum führt er auf Unkenntnis des Alten Testaments zurück: "Ihr irrt, weil ihr weder die Schrift kennt noch die Kraft Gottes" (Mt 22,25; Mk 12,24). Seine Auferstehung diente der schlussendlichen Autorisierung des Alten Testaments: "Als er nun auferstanden war von den Toten, dachten seine Jünger daran, daß er dies gesagt hatte, und glaubten der Schrift und dem Wort, das Jesus gesagt hatte." (Joh 2,22).
Dem Schriftstudium durch seine Nachfolger gibt Jesus den entscheidenden Impuls, wenn er einen Zusammenhang zwischen dem Erforschen des Alten Testamente, dem ewigen Leben und seiner Person herstellt: "Durchforscht die Schrift, denn … sie ist's, die von mir zeugt." (Joh 5,39). - Zweitens sagt Jesus, dass er auf auf ein Zeugnis, das quasi »außerhalb« seiner Person liegt, angewiesen ist: "wenn ich von mir selbst zeuge, so ist mein Zeugnis nicht wahr. Ein anderer ist's, der von mir zeugt; und ich weiß, daß das Zeugnis wahr ist, das er von mir gibt" (Joh 5,31.32). Damit deutet Jesus auf das Alte Testament, zu dem Johannes der Täufer als "wahrhaftiger Zeuge" die Brücke bildet. Der Zeuge ist somit keine losgelöste, individualistische Person, sondern als "neuer Elia" verwurzelt in der Geschichte und Botschaft des Alten Testaments. Dabei geht es Jesus nicht in erster Linie um eine Legitimierung durch einen alttestamentlich autorisierten Zeugen, sondern allein um die soteriologische Perspektive: "damit ihr gerettet werdet" (Joh 5,34). Infolgedessen dient das Alte Testament nicht nur als historischer Vorspann, theologische Einleitung oder homiletische Fundgrube, sondern ist Teil der Heilsgeschichte, Geschehen auf Jesus hin, zum Heil und der Rettung von Menschen aus Sünde, Tod und Teufel. - Drittens: Jesus verweist auf ein noch stärkeres Zeugnis als das des Johannes: Gott selbst ist sein Befürworter. Und zwar mittels zweier Elemente, einmal durch die allenthalben sichtbaren und am Alten Testament verifizierbaren Werke, die er Jesus ermöglicht hat, und sodann durch das schriftliche Zeugnis von Mose: "Wenn ihr Mose glaubtet, so glaubtet ihr auch mir; denn er hat von mir geschrieben" (Joh 5,46). Daraus können wir schließen: Hat Mose über Jesus geschrieben, gehört auch auch die von ihm berichtete Josefsgeschichte zum Zeugnis über Jesus.
Philipp Friedrich Hiller spricht von den "Schattenstücken" im Alten Testament, "welche die Person des Heilands, als eines Erlösers vom Tode, sammt seinen Wohltaten vorstellen."1 William Lincoln sieht in der Parallele von Josef und Jesus, ein "specimen how the substance of each Testament is Jesus"2 (ein Musterbeispiel wie das Wesentliche jedes Testaments Jesus ist). Und Benjamin Berger sieht in der Josefsgeschichte neben der Erzähl- eine Vergleichsebene, die jenen Gleichnissen wie sie Jesus erzählt hat, sehr ähnlich ist. "Diese Gleichnisse sind Erzählungen, durch die wir etwas viel Höheres erkennen können als nur den geschilderten Hergang der Ereignisse. Die Josefsgeschichte ... erzählt uns geschichtliche Begebenheiten, geht aber viel weiter und zeigt uns das größte Geheimnis, das es gibt."3
Dass das Neue Testament von seinen alttestamentlichen Wurzeln nicht zu lösen, nicht als »selbständiges« Testament zu verstehen ist, entspricht einem hermeneutischen Verständnis, das bei den ersten Christen in der frühen Kirche und schon bei den Verfassern des Neuen Testaments selbstverständlich war. Erst in der Neuzeit wurde das Alte Testament abgetrennt, nur noch in Auszügen - meist tendenziös - zitiert, und vielfach abgewertet. Insbesondere der in den letzten Jahrzehnten stark wachsenden jüdisch-messianischen Gemeinde ist es zu verdanken, dass die Zusammenhänge der Testamente neu zur Sprache kamen und zum Mittelpunkt ihrer Theologie und Liturgie geworden sind.
Religionsgeschichtlich betrachtet sind wir mit einem Phänomen konfrontiert, das in keiner anderen Religion auch in nur annähernd vergleichbarer Form auftritt: frappierende personale Übereinstimmungen über fast zwei Jahrtausende hinweg. In der Regel stehen »ewige Wahrheiten« im Mittelpunkt religiösen Denkens, unbeugsame Ideale und Idole, deren Entstehungsgeschichte zweitrangig und deren Zukunft ewige Gegenwart ist. Zentrale Sinngebung ist für sie eine Antwort auf die Frage nach dem Tod, d.h. sie konzentrieren sich in ihren Zukunftsentwürfen auf eine individual verengte Sicht, können jedoch keine validen, aus ihren Begründungszusammenhängen ableitbaren Aussagen zur Zukunft der Welt machen. Nietzsches Gedanke der ewigen Wiederkehr steht stellvertretend für das Zeitkonzept der Religionen. Griechen, Inder und Chinesen sprachen von der Wiederholung der Dinge als der ewigen "Sanduhr des Daseins, die immer wieder umgedreht wird."4 Allenfalls wird, wie im Fall des Islam, in verkürzender Kopie jüdisch-christlichen Gedankenguts eine apokalyptische Endzeit und ein Weltende angenommen, das gleichwohl nicht am Ende eines geschichtlichen Prozesses, sondern für sich allein, historisch isoliert steht.
Demgegenüber vertritt die biblische Offenbarung einen zusammenhängenden Geschichtsverlauf, der nicht nur einen Anfang und ein Ziel hat, sondern vor allem in seiner progressiven, zunehmend ausreifenden Entwicklung allezeit gegenwärtig ist. Anfang und Ende der Geschichte sind damit gleichermaßen Bedingungs- und Beweggrund der Gegenwart, die sich ergo ständig im Prozess des Werdens befindet: "es ist noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden." (1Joh 3,2). Ein solcher Entwurf, der sich namentlich in Entsprechungen wie zwischen Josef und Jesus als eine zusammenhängende, von der personalen Präsenz Gottes geprägten Geschichte erweist, ist unter allen »Religionen« einzigartig.
In dieser Linie liegen auch die Toledot, die biblischen Geschlechtsregister, die man zwar gerne ob der fremden Namen überliest, auf die der Verfasser aber offensichtlich großen Wert legt, sind sie doch ein höchst signifikantes Indiz für Geschichte als durchgängige Zusammengehörigkeit. So gesehen ist Geschichte nicht eine Ansammlung von Geschichten, sondern eine ständige Verlinkung mittels Querverbindungen, die den Geschichten erst einen Sinn geben. M.a.W. die Geschichten konstituieren nicht Geschichte, sondern sind Teil von ihr, »verkörpern« und »verzeitlichen« sie. Nicht umsonst achtet etwa das Lukasevangelium sorgsam darauf, dass die Jesusgeschichte nicht isoliert in einem historisch leeren Raum steht, sondern vielmehr eingebunden ist sowohl in die Geschichte Israels als auch die Geschichte der Welt, - wenn die politischen Umstände des römischen Reiches einen zeitgeschichtlichen Bezugsrahmen bilden, oder in Kapitel 3,23-38 ein Stammbaum Jesu aufgeführt wird, der bis Adam zurückreicht. Insbesondere der letzte Satz verweist auf den Ursprung und damit Geber der Geschichte: "... der war ein Sohn Sets, der war ein Sohn Adams, der war Gottes." Ist die Geschichte von Gott gegeben, bildet ihr Autor zugleich das Kontinuum, das zum einen ihren Zusammenhang, dann aber auch ihr Fortschreiten gewährleistet. Insbesondere der Josef-Jesus-Vergleich bildet ein typisches Beispiel für Geschichte als ausgedehnter zeitlicher Spannungsbogen, der sowohl aus den Vergleichsmomenten der beiden biblischen Gestalten besteht, als auch zwischen ihnen einen Entwicklungsprozess erkennbar werden lässt. Beide Geschichten legen sich gegenseitig aus und zeigen zugleich in ihren Unterschieden eine von Gottes Fürsorge geprägte heilsgeschichtliche Reifung.
Die Verlässlichkeit Gottes besteht demnach in einer zeitlichen Bewegung, in der er sich wortgetreu erweist und zum Heil einer unheilen Welt offenbart. Sie zeigt sich aber auch darin, dass er die Geschichte nicht in einer »Endlosschleife« laufen lässt, sondern zu einem Ziel führt. "Wir wissen aber: wenn es offenbar wird, werden wir ihm gleich sein; denn wir werden ihn sehen, wie er ist." (1Joh 3,2). Aus Hörweite wird Blickkontakt.
Wie im Verhältnis zwischen Jakob und Josef zu zeigen sein wird, will Gott seinem Sohn Jesus Ehre und Herrlichkeit zukommen lassen, um zugleich die Menschheit darauf hinzuweisen, dass sie allein in ihm ihr Heil findet. "Und in keinem andern ist das Heil, auch ist kein andrer Name unter dem Himmel den Menschen gegeben, durch den wir sollen gerettet werden." (Apg 4,12). "Die Typen des Alten Testaments, seien es Personen, Örtlichkeiten oder Dinge, zeigen auf Jesus. Sie sagen: unsere Existenz ist ein Schatten, aber die Substanz ist Christus."5 Gott setzt ihn zum Mittelpunkt, keinen und keine anderen. Seine Präsenz beginnt nicht erst mit dem Neuen Testament, sie reicht durch das Alte Testament hindurch und sogar »hinter« dieses zurück. Als Paulus ihn im fernen Rom verkündet, »verschont« er seine Zuhörer nicht mit dem Alten Testament, sondern "erklärte und bezeugte ihnen das Reich Gottes und predigte ihnen von Jesus aus dem Gesetz des Mose und aus den Propheten vom frühen Morgen bis zum Abend." (Apg 28,23). Auf Jesus verweisen die Propheten: "Von diesem bezeugen alle Propheten, daß durch seinen Namen alle, die an ihn glauben, Vergebung der Sünden empfangen sollen" (Apg 10,43), er ist der "Geist der Weissagung" (Offb 19,10). Jesaja sah seine Herrlichkeit und redete von ihm (Joh 12,41). Die Evangelien bilden einen mehrstimmigen, aber doch stimmigen Vierklang, wenn sie sagen: Siehe auf das Lamm! Die apostolischen Briefe haben nichts anderes im Sinn als "aufsehen zu Jesus, den Anfänger und Vollender" (Hebr 12,2).
In der Stringenz der Testamente liegt eine Spur, die Gott in die Geschichte der Menschheit eingezeichnet hat, bewegt von seiner Einzigartigkeit und Treue. Er ist der Eine, der nicht nur viele Male in den Gang der Geschichte eingreift, sondern der diese Geschichte umgreift und ihren einzig relevanten Inhalt bildet. Er handelt als der Identische und Identität stiftende, der mit sich selbst Konforme und Menschen »Informierende«, zu seiner Formung Rufende und in Form Bringende.
Diese Treue-Spur Gottes kennt keine Unterbrechung und kein Ende, sie setzt sich nahtlos im Leben der mit Jesus lebenden und ihm folgenden Gemeinde fort. Was Gott über die Jahrtausende getan, findet seine Entsprechung in der Lebensgeschichte des Glaubenden, vorabgebildet in den Entsprechungen der Bibel. Nicht im Abseits, ausgeliefert an jeweilige Zeiten und ihre Geister, sondern eingebunden in Gottes Zeit als seiner Weltzeit findet der Glaubende Raum zum Leben. Als Geführte und Getragene bewegen wir uns auf einer tief eingegrabenen und niemals endenden Spur. Diese Spur verbindet den Alten und Neuen Bund Gottes.
Das biblisch-hebräische Verständnis von Geschichte ist immer ein prophetisches, weshalb alle Geschichte über sich hinaus, in die Vergangenheit und die Zukunft weist. Dazu gehören selbstredend die Geschichten von Glaubenszeugen, deren Verlauf christusähnliche Züge trägt, von denen wiederum kaum eine andere Gestalt Jesus so getreulich abbildet, wie dies bei Josef der Fall ist.
Heilsgeschichtliche Brücken zwischen Altem und Neuem Bund sind vielfach in der kirchlichen Liturgie, Musik und Malerei vertreten. Als Beispiel greife ich die dem gesamtbiblischen Geschehen besonders eng verbundene Malerei der sog. Nazarener6 - leider zu unrecht vielfach als »biblizistisch« abgewertet - heraus. Ihnen war es ein ernsthaftes Anliegen, in bildnerischen Kompositionen zugleich Heilsgeschichte verständlich zu machen. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurde die Geschichte des ägyptischen Josef von Malern wie Christian Georg Schütz d.Ä. (1718-1791) und Johann Georg Trautmann (1713-1769) in Bildzyklen umgesetzt7. Auch der junge Goethe wuchs ganz unbefangen mit alttestamentlichen Stoffen auf: „Ich erinnere mich noch, daß ich einen umständlichen Aufsatz verfertigte, worin ich zwölf Bilder beschrieb, welche die Geschichte Josefs darstellen sollten; einige davon wurden ausgeführt.“8 Den Nazarenern ging es darum, "die christliche Wahrheit aus der Geschichte zu beweisen".9 In seiner Darstellung der Theologie Friedrich Leopold Graf zu Stolbergs beschreibt Friedrich Schlegel treffend:
"Der Zweck ist, ... die Offenbarung und heilige Tradition der göttlichen Liebe unter dem Menschengeschlechte von Anbeginn darzustellen; daher enthalten denn diese ersten Theile des Werkes auch eine Auswahl der biblischen Geschichten und Vorbilder des alten Testaments. ... Das alte Testament hat einen geheimen Sinn, den das, woran die meisten einzig sich halten, nur wie die harte Schaale umschließt. ... Sind das Geheimniß des Opfers und die Idee einer unmittelbaren Gemeinschaft und Verbindung mit Gott die eigentlichen Mittelpunkte, worauf alles in den heiligen Schriften der Hebräer bald ganz klar, bald entfernter, aber doch sichtbar hindeutet? ... So glauben wir denn allerdings, daß ... das Christentum allein den Schlüssel zur Auslegung des alten Testaments enthalten, allein den Geist und den Zweck des Ganzen erklären könne."10
Von der alten israelischen Geschichte empfingen die Nazarener mehr Anregungen für ihr Schaffen als von jeder anderen. Am Eckhaus des Basler Rathauses malte der junge Franz Pforr (1788-1812) einen Bilderzyklus des ägyptischen Josef: "Verkauf Josephs durch seine Brüder" - "Joseph widersteht der Versuchung durch Potiphars Weib" - "Joseph deutet im Gefängnis die Träume des Bäckers und des Mundschenken" - "Joseph deutet den Traum Pharaos und wird in das Amt des Vizekönigs von Ägypten eingesetzt" und schließlich "Joseph gibt sich seinen Brüdern zu erkennen" (er umarmt gerade den vor ihm knienden Benjamin). Ein Grund Basel zu besuchen?
"Seit den Anfängen frühchristlicher Kunst war der aegyptische Joseph bekanntlich als ein Typus Christi aufgefaßt worden: so wie Joseph von seinen Brüdern verkauft und durch Potiphar ins Gefängnis geworfen wurde, dann aber durch die Traumdeutung wieder zu Ehren kam, über Aegypten herrschte und sich schließlich mit seinen Brüdern vereinte, so wurde Christus von Judas verraten, nach der Kreuzigung begraben, um alsbald von den Toten aufzuerstehen, herrschend zur Seite seines Vaters zu thronen und mit seiner Kirche vereint zu sein. Diese innerbiblische Typologie konnte während des Mittelalters in eine weltliche Herrschertypologie umgedeutet werden: die Josephsgeschichte im Genesisfenster der Pariser Sainte Chapelle, der Palastkapelle Ludwigs des Heiligen, spielte auf die Weisheit, die Frömmigkeit, die Gerechtigkeit und die Großzügigkeit des königlichen Auftraggebers an."11
Wenngleich die Josef-Jesus-Typologie ein in der christlichen Kirche von Anfang an vertretendes Deutungsmuster des Heilsgeschehens abgab, sagt die Bibel allerdings an keiner Stelle ausdrücklich, Josef sei ein Abbild bzw. Vorbild Christi. In seiner "Bibelkunde des Alten Testaments" widmet Otto Weber den 13 Kapiteln der Josefsgeschichte gerade mal einige Zeilen, um mit der Bemerkung zu schließen: "Es ist nicht erforderlich, hier näher darauf einzugehen."12 "Some may object to me the fact, that no inspired writer has ever claimed Joseph as a type of Christ"13 (manche mögen gegen mich einwenden, dass kein inspirierter Verfasser jemals behauptet hat Joseph sei ein Typus von Christus), bemerkt auch William Lincoln. Doch sieht er die im Neuen Testament genannten Christus-Vergleiche wie Adam, Mose, Aaron, David, Jona und andere als eine Ermutigung, nach weiteren Vorbildern zu suchen. Wie auch der Verfasser des Hebräerbriefs nicht jedes Ritual aus dem Buch Leviticus aufgegriffen und gedeutet habe, ohne dass die von ihm nicht aufgenommenen dadurch abgewertet würden. Dann darf nicht übersehen werden, dass auch nicht alle alttestamentlichen Hinweise auf das Leiden Christi von den Evangelisten herangezogen wurden. Ein prominentes Beispiel dafür ist der Gang Abrahams zum Berg Moria, um Isaak zu opfern: obwohl das Opfer Jesu Christi augenfällig konform mit dieser alttestamentlichen Geschichte verläuft, wird dieser Vergleich nirgends im Neuen Testament angestellt. Allenfalls Hebr 11,17 betont den gehorsamen Glauben Abrahams im Zusammenhang der Glaubenswege im alten Bund, ohne jedoch die Isaak-Geschichte oder das Kreuz Christi auch nur anzudeuten. Solche Anspielungen ohne ausdrückliche Nennung des Bezugs finden sich auch im Neuen Testament. Z.B. enthalten die Speisungswunder oder die Emmausgeschichte eindeutige, teils wörtliche Andeutungen des Abendmahls, ohne dass auch nur an einer Stelle ausdrücklich darauf Bezug genommen würde. Wir haben es mit einer Art »schweigenden Übereinkunft« zu tun, deren Evidenz nicht der verbalen Verlautbarung bedarf. Aufgrund eines Reichtums an stillen und doch plausiblen Querverbindungen auf der »Josef-Jesus-Achse« mag ein heilsgeschichtlich-strukturaler Vergleich erhellend sein.
Genealogisch gesehen besteht gleichermaßen keine Verbindung zwischen Josef und Jesus, da er nicht von den Nachkommen Josefs, Efraim und Manasse, sondern von Juda abstammt. Dass, wie bei Josef geschehen, nicht der älteste Sohn das Erstgeburtsrecht erhält, ist nicht so außergewöhnlich wie oft angenommen: bei Jakob, David und Salomo war es ebenso. Eigentlich war Ruben der älteste Sohn Jakobs, er verlor jedoch wegen einer Affäre mit Jakobs Nebenfrau Bilha (Gen 35,22) seine Stellung als Erster (Gen 49,4). Zwar beging auch Juda in Gen 38 einen ähnlichen Fehltritt und hat heimlich mit seiner Schwiegertochter Tamar geschlafen, jedoch mit der Folge, dass er daraus gelernt und sich gewandelt hatte, - was bei Ruben nicht zu beobachten war. "Juda war mächtig unter seinen Brüdern, und einem aus seinem Stamm wurde das Fürstentum gegeben, Josef aber erhielt das Erstgeburtsrecht" (1Chr 5,2). Der Stammbaum in Mt 1 fokussiert die Judalinie, aus der König David und der Messiaskönig Jesus kommen sollten. Was den Lebenslauf und die Persönlichkeit Jesu betrifft, wird dieser jedoch eindeutiger im Erstgeborenen Josef vorabgebildet, d.h. zwischen Abstammung und Lebensgeschichte ist zu unterscheiden. Bezieht man die aus den Jakobssöhnen hervorgegangenen Stämme in die Überlegungen ein, so sind die Stämme Juda und Benjamin, das Haus Juda, übriggeblieben und bilden das spätere Judentum, während die von den Josefssöhnen Efraim und Manasse gebildeten Stämme mit dem Nordreich untergingen. Über die Segnung und Einsetzung seiner beiden Söhne durch seinen Vater Jakob ist Josef geradezu aus der Genealogie herausgefallen. "In dieser Perspektive wird aber auch verständlich, warum der Vorrang unter den Jakobssöhnen letztlich nicht Josef, sondern (in Gen 49) Juda zukommt, wobei sich für Juda bereits in Gen 49,10 nicht nur eine davidische, sondern auch eine messianische Linie andeutet."14 Es scheint sich gewissermaßen um eine Unterscheidung zu handeln, die derjenigen zwischen Heiden- und Judenapostel im Neuen Testament vergleichbar ist.
Unabhängig von diesen internen Unterscheidungen bewegt sich indes ganz Israel, also auch die Nordstämme, auf die Erfüllung des Gesetzes als finale Gestaltwerdung Israels, d.h. auf Jesus Christus, zu. Wenn auch nicht unmittelbar kanonisch begründet, fällt dennoch das Nebeneinander jüdischer Messiasvorstellungen im Talmud auf: die Erwartungen richten sich nicht allein auf einen Messias aus dem Hause Davids, Maschiach ben David, sondern auch auf den daneben oder zuvor kommenden Maschiach ben Josef bzw. Efraim aus dem Hause Josef. Die Rabbinen stützen diese zweifache Erwartung auf eine Stelle im Talmud Bavli (Sukka 52a) von Rabbi Dosa und sehen gleichermaßen die verwandtschaftliche Abstammung des Messias wie auch sein Lebensprogramm bei unterschiedlichen Vorbildern im Tanach angelegt.
Da keiner der alttestamentlichen Vorläufer Jesu Christi den vollkommenen Gesetzesgehorsam, die unbedingte Treue, Gerechtigkeit und Sündlosigkeit lebte, setzt sich die zu Jesus hinführende Linie aus mehreren Einzelsträngen zusammen, die jeweils für sich gesehen nur einen Teil des Gesamtbildes abgeben. M.a.W. die Persönlichkeit und das Werk des Messias ist derart umfassend qualifiziert, dass mehrere alttestamentliche Vorläufer erforderlich waren, ihm einigermaßen gerecht zu werden. Hinzu kommen die messianischen Perspektiven bei den Propheten und in der Weisheitsliteratur, die weitere »Puzzlesteine« zum Messiasbild zusammentragen. Erst durch Jesus selbst werden diese »Fäden« aus dem Alten Bund schließlich zu einem »Knoten« zusammengeknüpft, nicht vorher. Er bildet das abschließende und weiterführende »Ganze« des Alten Testaments, - das nach dem bekannten Wort des Aristoteles noch einmal mehr ist als die Summe der Teile.
Philipp Friedrich Hiller hat sich anfangs daran gestört, dass Josef nicht durch ein ausdrückliches Berufungswort Gottes nach Ägypten und den dortigen Ereignissen kam.15 Dennoch sieht Josef selbst seinen Verkauf durch die Brüder und die schwierigen Begleitumstände als Gottes Führung, wenn er sie wissen lässt: "So habt nicht ihr mich hierher gesandt, sondern Gott. Er hat mich zum Vater für den Pharao gemacht und zum Herrn über sein ganzes Haus und zum Herrscher über das ganze Land Ägypten." (Gen 45,8). D.h. der Wille Gottes wurde klar erkannt, auch wenn er im voraus nicht ausdrücklich Josef mitgeteilt wurde. Dafür wurde er später gegenüber Jakob, dem immer noch verantwortlichen Familienoberhaupt, eindeutig ausgesprochen: "Ich bin Gott, der Gott deines Vaters; fürchte dich nicht, nach Ägypten hinabzuziehen; denn daselbst will ich dich zum großen Volk machen. Ich will mit dir hinab nach Ägypten ziehen und will dich auch wieder heraufführen, und Josef soll dir mit seinen Händen die Augen zudrücken." (Gen 46,3-4).
Unabhängig von ihrer formalen Begründung sind die Ähnlichkeiten zwischen Josef und Jesus derart offenkundig, mitunter verblüffend, dass sich ein Vergleich geradezu aufdrängt. Es kann darum auch nicht überraschen, wenn Josef im Ersten Mosebuch einen breiteren Raum einnimmt als jede andere Person. Wieder einmal zeigt sich, dass das Neue Testament die Grundlinien des Heils bis in die eschatologische Vollendung auszieht, das Alte Testament jedoch dazu die genaueren Einzelheiten bereit stellt. Hiller beschreibt es in feiner Weise: "Weil aber Gott den Herrn Jesus vorbilden wollte, so dürfen wir nun doch nach dem neuen Testament solche zarte Züge der ewigen Weisheit Gottes an diesem Gemälde wohl bewundern, wenn auch Jene in ihrer Dämmerung sie nicht gesehen hätten. ... obschon die Umstände nach den Zeiten und der Beschaffenheit des Vorbilds gar unterschieden sind, und nicht können ohne Zwang auf Jesum ganz ausgelegt werden."16
Der antiochenisch orthodoxe Archipriester Patrick Henry Reardon hebt auf die Einzigartigkeit der Josefsgeschichte ab, die letztendlich im hermeneutischen Kontext des Geheimnisses Christi und des kirchlichen Lebens in Christus verstanden werden müsse. Josef sei nicht nur Prophet, sondern eine Prophetie.17 Tertullian bezeichnet Josef als eine "Figur" für Christus, auch "Präfiguration" genannt, und Cyprian als einen "Typus" von Christus, - Sichtweisen, in denen die Kirchenväter des Ostens wie auch des Westens übereinstimmen18. Die Ostkirche las die Josefsgeschichte in der Karwoche, um die Ähnlichkeiten von Josef und Jesus hervorzuheben: der Geliebte seines Vaters, gegen Geld von seinen Brüdern verkauft, zu Unrecht angeklagt und durch Falschaussagen gefangen gesetzt, sein Leiden in Geduld, wohlwollend gegenüber seinen Unterdrückern, ein Leben voller dramatischer Tage, - die in Jesus ihre Zuspitzung auf Golgatha fanden.
Die Kirchenväter waren von Josef nicht so weit, geschichtlich und in ihrem Denken, entfernt, wie das vielfach heute der Fall ist. Sein Grab in Sichem war bis ins dritte Jahrhundert bekannt und wurde von den dort lebenden Samaritanern verehrt (vgl. Jakobsbrunnen). "Die Gebeine Josefs, die die Israeliten aus Ägypten gebracht hatten, begruben sie zu Sichem auf dem Stück Feld, das Jakob von den Söhnen Hamors, des Vaters von Sichem, für hundert Goldstücke gekauft hatte und das das Erbteil der Söhne Josef ward." (Jos 24,32). Das Josefsgrab war das Kennzeichen Sichems, des historischen Zentrums des Stammes Manasse und Ort der Bundeserneuerung Israels unter Josua. Der Jakob und Josef prognostizierte Auszug der Kinder Israel aus Ägypten schloss, als er unversehens wahr wurde, auch die Mitnahme der Gebeine Josefs ein: "Und Mose nahm mit sich die Gebeine Josefs; denn dieser hatte den Söhnen Israels einen Eid abgenommen und gesprochen: Gott wird sich gewiß euer annehmen; dann führt meine Gebeine von hier mit euch fort." (Ex 13,19; s.a. Hebr 11,22). Obwohl nicht mehr erwähnt, mussten die sterblichen Überreste Josefs über die 40 Jahre der Wüstenwanderung sorgsam von Ort zu Ort mitgenommen worden sein, - womit zugleich eine gedankliche Verbindung zu den Erzvätern wie auch zur Zukunft im verheißenen Land aufrecht erhalten wurde. In der Mischna wird die Sorge des Mose um die Gebeine Josefs zur Begründung, dass niemand größer ist in Israel als Josef: "Wer ist größer als Josef, wenn Mose sich mit ihm befasste und um seine Gebeine verdient machte, niemand in Israel ist größer als er."19
Der typologischen Deutung der Josefsgeschichte in der früh- und altkirchlichen Literatur folgt der Reformator Martin Luther gleichermaßen: "Est igitur exemplum Joseph vera et illustris imago resurrectionis Christi"20: Also ist das Beispiel Josefs ein wahrhaftiges und klares Bild der Auferstehung Christi. Auch die Passage aus einer Osterpredigt Luthers veranschaulicht beispielhaft, wie eine Typologie als hermeneutische Methode verstanden werden kann:
"Joseph in Ägypten, wie Gen. am 41. geschrieben stehet, ist auch gewesen eine figur Christi. Denn Joseph wird von seinen eigenen brüdern verkauft, dornach durch die Hure, des Putiphars, des Hoffmeisters Weib, als er ihr nicht folgen wil, so belogen, das er ins gefengnis geworffen wirdt. Dornach als Joseph lang im gefengnis gelegen, kompt gott und bringet ihn zw solchen ehren, das er mus Herr und fürst werden über ganz Egyptenland. - Also ist es auch gegeangen unserem Herren Christo, der wird auch von seinen Brüdern, das ist, von Abrahams fleisch und blut, den Jüden vorkaufft. Darnach do er mit der Jüdischen Synagoga nichts huren will und ihre gottlose Teuffelische lere, zu Hierusalem helffen bestetigen und loben, da werden sie zornig, fangen und töden ihn, und meinen, es sey nu gar mit ihm aus, Aber ehe drey tage umb sein, bringet ihn got zu solchen ehren, das er durch den todt zu seiner herligkeit eingehet, erstehet vom tode, wird ein Herre uber Himel, erden, helle und alle Creaturen, das alles mus ihm under seinen füssen ligen und ihn für einen Herren erkennen und halten."21
Desweiteren das Motiv der Völkermission spielt bei Luther bereits eine wichtige Rolle, wenn er davon spricht, dass Christus im jüdischen Land nur ein kleines Volk bekehren konnte, während er einige Tausend Menschen, wie Joseph in Ägypten, geistlich und körperlich mit seinem Brot nähren konnte. Luther kann sogar Josef als "salvator orbis terrarum", als "Heiland des Erdkreises", bezeichnen22. Dass Gott Heiden in den göttlichen Offenbarungsweg einbezieht, sogar noch deren Herrscher, die an und für sich Protagonisten des Götzentums sind, wird am ägyptischen Pharao augenscheinlich. Der von ihm empfangene Doppeltraum diente einmal zur Erhellung der unmittelbaren Zukunft seines Landes, aber letztlich um Joseph aus dem