Jotunheimen - Klaus Heyne - E-Book

Jotunheimen E-Book

Klaus Heyne

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Beschreibung

Jotunheimen, die Heimat der Riesen, ist kein jahrhundertealter Name für diese einzigartige Gebirgsregion in Norwegen. Der Name Jotunheimen wurde erst im späten 19. Jahrhundert geprägt von dem Dichter Aasmund O. Vinje, der dabei von der nordischen Mythologie und der wilden Landschaft inspiriert wurde. In der Tat versammeln sich hier auf relativ kleinem Raum die höchsten Berge Nordeuropas überhaupt, von denen der Glittertind der bekannteste sein dürfte. Jotunheimen ist der höchste Teil der Skanden und liegt zwischen dem Sognefjord im Westen und Valdres im Osten. Das Gebiet umfasst insgesamt eine Fläche von rund 3.500 km², wovon ca. 1.200 km² auf den darin befindlichen Nationalpark Jotunheimen entfallen.   In diesem Gebiet habe ich mit Dagi, Eva und Rolf eine Gebirgswanderung mit einer Wegstrecke von etwa 180 km unternommen. Der Rundkurs begann in Eidsbugarden am See Tyin, führte über Memurubu, Besseggen, Gjendesheim vorbei an Glittertind und Spiterstulen und schließlich durchs Fleskedalen zurück zum Ausgangspunkt. Der harte letzte Winter und der spät einsetzende Sommer sorgten für reichlich Schnee und Eis im Juli 1987, was der 18 Tage währenden Trekking-Tour schon eine pikante Note gab. Die tagebuchartigen Aufzeichnungen aus der Sicht eines der Protagonisten sollen dem Leser ein vergnügliches Bild der Ereignisse vermitteln.

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Seitenzahl: 93

Veröffentlichungsjahr: 2014

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Inhalt

Map1

Vorwort

Map2

Dienstag, 31.6.87

Mittwoch, 1.7.87

Donnerstag, 2.7.1987

Freitag, 3.7.1987

Samstag, 4.7.1987

Sonntag, 5.7.1987

Montag, 6.7.1987

Dienstag, 7.7.87

Mittwoch, 8.7.87

Donnerstag, 9.7.87

Freitag, 10.7.87

Samstag, 11.7.87

Sonntag, 12.7.87

Montag, 13.7.87

Dienstag, 14.7.87

Mittwoch, 15.7.87

Donnerstag, 16.7.87

Vorwort

Wieder sind zwei Jahre seit dem Ende der letzten Wanderung vergangen. Seit Monaten schon freue ich mich auf die bevorstehende Tour durch Jotunheimen, übersetzt etwa: die „Heimat der Bergriesen“, im Herzen Norwegens.

Der Name wurde erst im späten 19. Jahrhundert von dem Dichter Aasmund Olavsson Vinje geprägt, der dabei von der nordischen Mythologie und der wilden Landschaft inspiriert wurde. Jotunheimen ist der höchste Teil des Skandinavischen Gebirges (auch Skanden genannt), das das Land auf 1.700 km Länge und bis zu 320 km Breite vom Skagerrak im Süden bis zum Nordkapp durchzieht. Der Berg Galdhöpiggen innerhalb Jotunheimens stellt mit 2.469 m den höchsten Punkt Nordeuropas dar. Während der Eiszeit waren die Skanden nahezu komplett unter einer 1.500 m dicken Eisschicht begraben. In den eiszeitlichen Nachwehen entstanden auf der Westseite des Gebirges, das dort durch einen steilen Abfall ins Meer gekennzeichnet ist, zahlreiche Fjorde. Nach Osten hin fällt es hingegen in Stufen ab.

Teile der Skanden sind von Plateaugletschern bedeckt, von denen der Jostedalsbreen mit knapp 500 qkm der größte europäische Festlandgletscher ist. Zahlreiche Gletscherzungen schieben sich in diverse Täler vor. Eine der bekanntesten und von den „Kreuzfahrern“ während des Landgangs regelmäßig als Ausflugsziel angesteuerte ist der Briksdalsbreen.

Die Landschaft ist geprägt von schroffen Gipfeln, Gletschern, Moränen und vielen Trogtälern.

Insgesamt sind über 250 Gipfel höher als 1.900 m und 20 davon sogar höher als 2.300 m. In den Hurrungane, einer Bergkette im südwestlichen Bereich Jotunheimens, finden sich einige der wildesten Gipfel Norwegens.

Etwa 18 Tage lang werden wir uns zwischen den höchsten Gipfeln Norwegens hindurch schlängeln, vielleicht die höchsten Berge Norwegens Glittertind (2.464 m) und Galdhöpiggen (2.469 m) besteigen und vor und bei allem die klare Nordlandluft genießen.

Es bedeutet für mich eine Premiere, eine große Wanderung nicht nur zu zweit zu machen. Trotzdem ist kein befremdlicher Gedanke dabei, mich mit Dagi, Rolf und Eva zusammenzutun, was ich auf die große Seelenverwandtschaft zurückführe.

Andererseits muss man sich nun mit neuartigen Problemen auseinandersetzen wie z.B. Dagis unheilbare Angstgefühle bei Anblick eines zu kreuzenden Schneefeldes oder die Entdeckung dicht beieinander liegender Höhenlinien auf der Karte und deren vermeintlich unheilschwangere Bedeutung. Oder aber Evas spätpubertär prophetisch angekündigten Missmut bei anhaltend ungutem Wetter. Und Rolfs Überschwang der Begeisterung, den ich allerdings teile, wenn es um die Hurrungane geht, das wildere und weniger begangene (und begehbare) Gebiet innerhalb Jotunheimens.

Doch ich denke, dass wir uns gut vertragen werden.

v.r.n.l.: Rolf, Tochter Eva, Dagi und ich

„Keine Probleme überhaupt!“, meint Rolf abschließend zu der Diskussion über den schwierigen (?) Hurrungane-Weg und zitiert damit den ersten Satz aus der Kurzmitteilung des norwegischen Wandervereins DNT über die derzeitigen witterungsbedingten Zustände in unserem Wandergebiet Jotunheimen.

Keine Probleme überhaupt!

Dagi lässt sich nur scheinbar beruhigen. Zu gegebener Zeit wird sie ihre Zweifel über die Begehbarkeit einzelner Streckenabschnitte sicher wieder anmelden.

***

Ruhig durchpflügt die „Peter Wessel“ das Skagerrak zwischen dem dänischen Frederikshaven und dem norwegischen Larvik. Die dänische Küste quält sich hinter uns langsam aus dem Morgendunst. Es ist keine zwei Stunden her, dass wir die Zelte in Frederikshaven abgebrochen haben. Dementsprechend lauern wir mit Heißhunger darauf, dass die Cafeteria an Bord ihre Pforten öffnet. Sie wird natürlich einem Vergleich mit Oma Stöckheims reichhaltigem Menü vom Sonnabend nicht standhalten können. Da hatten wir uns die Bäuche noch einmal so richtig voll geschlagen bis nur noch ein gequältes ‘Papp’ zu hören war. Dagegen erwarten uns jetzt nur Kaffee, Kniften und Klümpkes.

Während ich meinen Kaffee schlürfe, habe ich das Bild eines gemäßigten Chaos im Hausflur von Dagi und Rolf vor meinem geistigen Auge, hervorgerufen durch den langwierigen Versuch, das gesamte Marschgepäck in angemessener Weise auf alle Beteiligten zu verteilen. Schließlich hatte jeder sein Päckchen zu tragen und später wurden die vier Rucksäcke, Liegematten, Schlafsäcke, Zeltstangen, eine kaum übersehbare Zahl von Wanderschuhen, Steigeisen (…) und lieblos, aber gezielt gequetschte Grundnahrungsmittel derart in das Fassungsvermögen des Kofferraums integriert, dass der Deckel nur unter gemeinsamer Kraftanstrengung geschlossen werden konnte.

Es ist jedes Mal das gleiche Theater beim erstmaligen Packen des Rucksacks vor einer Tour. Nach den ersten beiden Tagen unterwegs stellt sich die nötige Routine dann von selbst ein. Darum mache ich mir über Gepäckfragen jetzt keine weiteren Gedanken.

Zwischen zwei Tassen Kaffee selig Schokolade lutschend, beobachte ich Dagi aus halbgeschlossenen Augen heraus, die mit der Lupe an meinem Kompass auf der ausgebreiteten Karte immer wieder die Höhenlinien im Hurrungane-Gebiet untersucht. Doch jedesmal, wenn sie ansetzt, uns die Hurrungane ausreden zu wollen, greift Rolf in die linke Brusttasche seiner Hunterjacke und hält ihr süffisant lächelnd den Brief des DNT wedelnd unter die Nase.

„Keine Probleme überhaupt, Dagmar! Wir haben es schwarz auf weiß!“

***

Die Wolkendecke hängt greifbar tief - Abbild unserer Stimmung. Selbst die wunderschöne Wanderstation in Eidsbugarden am Ufer des Bygdin-Sees trägt nur unwesentlich dazu bei, unsere Mienen aufzuhellen. Während der letzten ca. 20 Kilometer Autofahrt hatte sich Dagis Ahnung in furchtbare Gewissheit verwandelt: die Witterungsbedingungen sind in diesem Sommer, der auch im weiteren Jahresverlauf in diesem Gebiet keiner mehr werden wird, höchst ungünstig. Entlang der Straße sind über große Strecken beiderseits noch Schneekanten und dort, wo es abseits der Straße zwar nicht mehr weiß ist, lässt der rotbraune Boden vermuten, dass er erst kürzlich noch vollends unter Schnee begraben war. Wir hatten die Station in Eidsbugarden noch nicht erreicht, da galt die geplante Hurrungane-Tour bereits als verworfen.

So viel Schnee! Dabei haben wir Juli! Es ist unfassbar!

Eine Zeit lang schauen wir alle stumm aus dem Fenster, hinter dem sich eine graue Welt auftut. Grau die Wolken, grau das Wasser des Bygdin und selbst Schnee und Fels erscheinen grau in grau. Der Gedanke an Schnee und Eis mitten im Juli ist stark gewöhnungsbedürftig. So dauert es eine Weile bis wir der unerwarteten Situation nüchterner begegnen können. Wir müssen um planen! Die ursprüngliche Vorstellung eines Rundkurses wird beibehalten, jedoch wird er nunmehr statt mit ihm gegen den Uhrzeigersinn verlaufen. Außerdem werden kilometermäßig einige Abstriche gemacht, sodass nach eingehender Beratung die Planung wie folgt aussieht:

Zunächst durchs Mjölkedalen Richtung Olavsbu, von dort nach Gjendebu am westlichen Ende des schmalen, langgestreckten Gjende-Sees, von dort nach einem kurzen Schlenker durchs Storadalen nach Memurubu (ebenfalls am Gjende-See), anschließend Besseggen, Gjendesheim, Russvatnet, Glitterheim (evtl. Tagestour auf den Glittertind), Spiterstulen, Leirvassbu, Skogadalsboen, von dort vorbei am östlichen Rand der Hurrungane und schließlich durchs Fleskedalen über Tyinholmen zurück nach Eidsbugarden.

Bei dem dicken Wirt von Eidsbugarden wollen wir Auskunft einholen über die Beschaffenheit des Mjölkedalen, d.h. darüber, ob und wenn ja, wieviel Schnee dort zu erwarten ist. Dem Umfang seines Bauches nach zu urteilen muss der Wirt schon seit Jahrzehnten nicht mehr auf Schusters Rappen unterwegs gewesen sein, und so verlassen wir uns mehr auf die Meinung seines trainiert aussehenden Sohnes. Dieser bestätigt unsere Befürchtungen hinsichtlich großer Schneemengen und auf unsere Frage, ob es überhaupt möglich sei, durchs Mjölkedalen nach Olavsbu zu gelangen, antwortet er in typisch norwegischer Manier mit einem präzisen und eindeutigen: „If you are in good condition…!“

Auf dem Parkplatz von Eidsbugarden

Teufel noch eins, natürlich sind wir „in good condition“! Eingedenk dieser zweifelsfreien Feststellung, die jeder für sich getroffen hat, werden nur wenig später die Rucksäcke ohne unnötige Hast marschbereit gemacht. Es nieselt leicht. Wahrlich, der Start hätte etwas freundlicher ausfallen können.

Das Auto, Symbol für alle zivilisatorischen Annehmlichkeiten, bleibt einsam und verlassen auf dem relativ großen und leeren Parkplatz von Eidsbugarden zurück. In knapp drei Wochen wird es uns wiedersehen.

Dienstag, 31.6.87

Erste Etappe: Eidsbugarden - Schneefeld

Vier Paar leuchtend rote Gamaschen bewegen sich voller Elan auf den letzten Metern eines Schotterweges dahin bis dieser plötzlich in weglosem Gelände endet. Die Wegmarkierungen führen uns stetig bergan. Der Boden ist arg feucht, an einigen Stellen bachähnlich. Der Regen lässt bald nach, kehrt nur in Form vereinzelter kurzer Nieselschauer zurück. Jetzt weiß ich definitiv, dass ich wieder „zu Hause“ bin! Ich bin froh darüber, der Enge des Autos entronnen zu sein und mich nun aus eigener Kraft durch diese herrliche Landschaft bewegen zu können.

Linker Hand, etwas abseits der Route, nimmt ein jahrtausendealtes Bachbett bereitwillig kaltgraues Schmelzwasser auf und leitet es in den Bygdinsee. Weiter voraus beschreibt der Bach einen Bogen hin zu einem steilen Berghang und Rolf hat Schwierigkeiten, in den gischtenden und sprudelnden Wassermassen das kleine Rinnsal des Vorjahres wiederzuerkennen.

Die Markierungen und Rolfs und Dagis Erinnerungen führen uns am linken Ufer des Sturzbaches höher hinauf. Verzweifelt suchen wir eine Möglichkeit, das über alle Maßen angeschwollene Bächlein sicher zu überqueren. Die Suche führt uns immer höher hinauf bis wir, von Zweifeln geplagt, ob weiter flussaufwärts doch noch ein Übergang möglich sein wird, die Rucksäcke absetzen und Rolf und ich das überspülte steinerne Bachbett intensiver in Augenschein nehmen.

Gletscherbach

Einige verworfene Alternativen später scheint sich nur eine einzige, etwa 5-7 m breite Stelle als Furt anzubieten. Während die erste Hälfte relativ problemlos zu begehen wäre, warten in der zweiten Hälfte starke Strömung und verhältnismäßig tiefes Wasser.

Situationen wie diese sind es, die den Reiz einer derartigen Wanderung zum großen Teil ausmachen. Selbst wenn man im Nachhinein auf die widrigen Umstände schimpft, so möchte man sie doch nicht wirklich missen. Schließlich würde sich eine Wanderung in einer durch zahllose Stiegen und Steige gezähmten Naturlandschaft kaum noch von einem Spaziergang um den Kemnader Stausee in Bochum unterscheiden. Was mich betrifft, so wäre ich enttäuscht von einer Wanderung, die nicht wenigstens ab und zu Forderungen an den Wanderer stellt.

Wir stehen noch immer unschlüssig vor dem Bach, und Rolf und ich planen schon eine kunstvolle Überquerung mit einem Seil als Handlauf und allem Drum und Dran. Skepsis und Missfallen spricht aus den Gesichtern der Damen. Bei dem Versuch, Eva und insbesondere der bei solchen Gelegenheiten zögernden Dagi die abenteuerliche Bachüberquerung schmackhaft zu machen, schweift mein unsteter Blick durchs Tal. Plötzlich nehme ich bewusst einen schwarzen, länglichen Schatten wahr, der nicht so recht zu den natürlichen Formationen seiner Umgebung passen will. Dieses längliche Etwas befindet sich weit unten im Tal, wo der Bach seine Wildheit verliert und sich in mehrere Arme aufspaltet. Das Teleobjektiv der Kamera als Feldstecher missbrauchend, identifizieren wir den länglichen Schatten als eine Notbrücke. Da wir nicht ganz sicher sind, opfert sich Rolf zu einem Erkundungsgang, kehrt später mit positiver Nachricht zurück und so machen wir uns allesamt daran, den bisher so beschwerlich erklommenen Höhenunterschied wieder hinabzusteigen, nur um am jenseitigen Ufer das gleiche Stück erneut hinaufzukraxeln.