Judengasse und christliche Stadt - Wolfgang Treue - E-Book

Judengasse und christliche Stadt E-Book

Wolfgang Treue

0,0

Beschreibung

Reichsstadt, Messestadt, Kaiserwahlstadt und Kaiserkrönungsstadt: Frankfurt am Main zählte in der Frühen Neuzeit zu den zentralen Orten des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation. Darüber hinaus war Frankfurt der Sitz einer jüdischen Gemeinde, die sich im 16. Jahrhundert zur größten und bedeutendsten auf dem Boden des Alten Reichs entwickelte. Das Buch schildert die wechselvollen Beziehungen zwischen Christen und Juden in der Zeit der Frankfurter Judengasse, des gesonderten Wohnbereichs der Juden, der 1462 eingerichtet wurde und bis zum Ende des 18. Jahrhunderts bestand. Neben der politischen Geschichte geht es in den zwölf Kapiteln auch um Alltagsbeziehungen: besonders um alltägliche Kontakte, wie sie sich etwa aus der Tätigkeit der Juden im Geldgeschäft und im Handel, als Ärzte, Lotterieagenten oder Hoflieferanten ergaben. Auch soziale Konfliktfelder, Kriminalität und Konversionen stellt diese »verbundene Geschichte« anschaulich und quellennah dar.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 815

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Cover for EPUB

Wolfgang Treue

Judengasse und christliche Stadt

Religion, Politik und Gesellschaft im frühneuzeitlichen Frankfurt am Main

Campus VerlagFrankfurt/New York

Über das Buch

Reichsstadt, Messestadt, Kaiserwahlstadt und Kaiserkrönungsstadt: Frankfurt am Main zählte in der Frühen Neuzeit zu den zentralen Orten des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation. Darüber hinaus war Frankfurt der Sitz einer jüdischen Gemeinde, die sich im 16. Jahrhundert zur größten und bedeutendsten auf dem Boden des Alten Reichs entwickelte. Das Buch schildert die wechselvollen Beziehungen zwischen Christen und Juden in der Zeit der Frankfurter Judengasse, des gesonderten Wohnbereichs der Juden, der 1462 eingerichtet wurde und bis zum Ende des 18. Jahrhunderts bestand. Neben der politischen Geschichte geht es in den zwölf Kapiteln auch um Alltagsbeziehungen: besonders um alltägliche Kontakte, wie sie sich etwa aus der Tätigkeit der Juden im Geldgeschäft und im Handel, als Ärzte, Lotterieagenten oder Hoflieferanten ergaben. Auch soziale Konfliktfelder, Kriminalität und Konversionen stellt diese »verbundene Geschichte« anschaulich und quellennah dar.

Vita

Wolfgang Treue lehrt Geschichte des Mittelalters und der Frühen Neuzeit an der Universität Duisburg-Essen. Schwerpunkte seiner Forschungen sind die jüdische Geschichte, die Geschichte der christlich-jüdischen Beziehungen, Reisen und Kulturtransfer sowie Tod und Memoria.

Übersicht

Cover

Titel

Über das Buch

Vita

Inhalt

Impressum

Inhalt

Vorwort

1.

Judengasse und christliche Stadt: Anfänge und Grundlagen

2.

Die Frankfurter Judengasse: Mauern, Tore, Schlüsselgewalt

3.

Stadt der Gruppen, Stadt der Religionen

4.

Obrigkeit und öffentliche Ordnung

5.

Kontrolle mit Konsens

6.

Nachteil und Nutzen der jüdischen Präsenz für die Stadt

7.

Miteinander – nebeneinander – gegeneinander: Alltägliche Kontakte

8.

Eine ganz besondere Beziehung: Jüdische Ärzte und christliche Patienten

9.

Grenzüberschreitungen: Konversionen und Konvertiten

10.

Der Geist des Aufruhrs: Soziale Konflikte in der Stadt und in der Judengasse

11.

Anbruch der Moderne

12.

Die Aufklärung und die Frankfurter Judengasse

Fazit: Sic et non. Die Ambivalenz der christlich-jüdischen Beziehungen

Anhang

Tabelle: Die 1613 gedruckte Stättigkeit, Vorläufer und Nachfolger

Abkürzungen

Quellen im Institut für Stadtgeschichte Frankfurt

Andere Archive/Museen

Verkürzt zitierte Literatur/Quelleneditionen/Zeitschriften

Weitere Abkürzungen

Bibliografie

Gedruckte Quellen

Regesten-Editionen

Literatur

Vorwort

Frankfurt am Main – Reichsstadt, Messestadt, Kaiserwahl- und seit Mitte des 16. Jahrhunderts auch Kaiserkrönungsstadt – zählte in der Frühen Neuzeit zweifellos zu den zentralen Orten des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Darüber hinaus war Frankfurt der Sitz der lange Zeit größten und bedeutendsten jüdischen Gemeinde auf dem Bodes dieses Reiches und spielte damit sowohl im allgemeinen historisch-politischen Kontext als auch im spezifischen der europäisch-jüdischen Geschichte eine herausragende Rolle.

Beide Geschichten, die der Stadt und der jüdischen Gemeinde, sind untrennbar miteinander verbunden, und es erscheint naheliegend, sie hier in genau dieser Dimension, als verbundene oder verflochtene Geschichte (connected history, histoire croisée), zu behandeln. Im Zentrum der Untersuchung steht dabei der Zeitraum von der Einrichtung der Judengasse als separatem Wohngebiet der Juden 1462 bis zu ihrem Ende im späten 18. Jahrhundert, eine Zeit also, in der die Lebensbereiche von Christen und Juden zumindest teilweise deutlich getrennt waren, was jedoch keinesfalls einen Mangel an Kommunikation und Interaktion zur Folge hatte.

Die wesentliche Quellengrundlage für diese Arbeit bilden die Bestände des Instituts für Stadtgeschichte Frankfurt, die trotz mancher Kriegsverluste noch überaus reiches Material zu fast allen Aspekten des spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Lebens enthalten. Neben der umfangreichen Aktenüberlieferung sind v.a. die seriellen Quellen hervorzuheben, die es ermöglichen, wesentliche Entwicklungen über Jahrhunderte hinweg zu verfolgen und auch Vorgänge zu erfassen, die keinen Niederschlag in der Aktenproduktion gefunden haben. Dies gilt im besonderen für die Ratsprotokolle, die in Frankfurt den irreführenden Namen Bürgermeisterbücher trugen und für den gesamten behandelten Zeitraum lückenlos erhalten sind.1 Nicht erhalten sind dagegen die Rechneibücher, was jedoch kaum ins Gewicht fällt, da ihre Vorstufen, die Diurnalia des Rechneiamts, vorliegen, die dieselben Informationen, wenn auch in weniger übersichtlicher Form und mit vielen Streichungen, enthalten.2 Sie gewähren entscheidende Einblicke in die städtischen Finanzen und geben damit auch Auskunft über die Frage, welche Rolle Juden zu unterschiedlichen Zeiten in diesem Zusammenhang spielten.

Das Bewusstsein für die Bedeutung dieser seriellen Überlieferung verdanke ich maßgeblich dem verstorbenen Frankfurter Stadtarchivar Dietrich Andernacht (1921–1996), der mit seinen Regesten einen Pionierbeitrag zur Erforschung der Geschichte der Juden (und damit auch von Christen und Juden) in Frankfurt für die Zeit von 1400 bis 1616 geleistet hat, der in weiten Teilen auf der Auswertung der Bürgermeisterbücher und Ratsprotokolle beruht.3 Im Kontakt mit ihm und später mit seiner Witwe, Helga Andernacht (1925–2014), der Herausgeberin des zweiten Teils der Regesten, erfolgte der Entschluss, diese zeitaufwändige Verfahren für die spätere Zeit fortzusetzen, was natürlich nicht bedeutet, dass deshalb andere Quellen wie die zahlreichen Aktenbestände ausgeblendet oder nur am Rande berücksichtigt worden sind.

Weitere wichtige Quellen – Akten, Druckgrafik, Gemälde und »Realia« – konnte ich während meiner Zeit als Mitarbeiter am Jüdischen Museum Frankfurt sowohl dort als auch im Historischen Museum sichten und auswerten. Durch die langjährige Tätigkeit in dem deutsch-israelischen Gemeinschaftsprojekt Germania Judaica IV hatte ich zuvor Gelegenheit, auch in hessischen Archiven außerhalb Frankfurts – neben den Staatsarchiven Marburg und Darmstadt etwa in mehreren Stadtarchiven – umfangreiches Material zu erheben, das Auskunft über die Beziehungen zwischen der Stadt Frankfurt und ihrem weiteren Umland gibt. Eine letzte und besonders intensive Arbeitsphase wurde mir schließlich durch ein Forschungsstipendium der Gerda Henkel Stiftung in den Jahren 2017 bis 2019 ermöglicht, der ich an dieser Stelle ganz ausdrücklich für ihre Förderung danken möchte.

Wie es bei einem Projekt, dessen Konzeption sich über einen langen Zeitraum und aus einer ganzen Reihe von Vorarbeiten entwickelt hat, nicht anders sein kann, ist die Zahl derjenigen, denen ich für ihre Unterstützung zu danken habe, unendlich lang, und es erscheint unmöglich, sie hier alle zu nennen. Daher möchte ich an dieser Stelle besonders an einige von ihnen erinnern, die leider bereits verstorben sind. Neben Dietrich und Helga Andernacht gilt dies etwa für meinen Doktorvater Alfred Haverkamp (1937–2021) sowie für Mordechai Breuer (1918–2007) und Stefi Jersch-Wenzel (1937–2013), die das Projekt Germania Judaica IV in einer wichtigen Phase geleitet haben. Was die Lebenden betrifft, möchte ich mich – neben den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen der genannten Archive und Museen – hier auf den Dank an meine Frau, Ulrike Eichweber, beschränken, die die Entstehung dieses Buches mit unendlicher Geduld begleitet und es schließlich auch noch gründlich redigiert hat.

2.Die Frankfurter Judengasse: Mauern, Tore, Schlüsselgewalt

Betrachtet man die Schilderungen der Frankfurter Judengasse in den Reiseberichten der Aufklärungszeit, so stößt man einerseits auf manche Widersprüche und andererseits auf eine zunehmende Tendenz, die Lebensverhältnisse ihrer Bewohner zu problematisieren.37 Dies zeigt sich mit besonderer Deutlichkeit im Hinblick auf die Abschließung der Gasse gegenüber der christlichen Stadt. Hatte noch der französische Reisende Jean Du Mont die Unterbringung der Juden in einem von Mauern umgrenzten und mit Toren versehenen Areal 1699 als eine weise Maßnahme des Rates zu ihrem Schutz vor Ausschreitungen gelobt38, so stellt sein Landsmann Blainville sechs Jahre später den angeblichen Zwangscharakter in den Vordergrund, indem er behauptet, dass die Schlüssel allabendlich nach Schließung der Tore der Obrigkeit ausgehändigt würden.39 Die Schlüsselgewalt lag seiner Meinung nach also allein beim Rat. Andere Autoren sind hier weniger explizit, doch erwecken auch sie häufig einen ähnlichen Eindruck. So berichtet etwa ein deutschsprachiger Anonymus 1783, die Judengasse werde wie ein Gefängnis verschlossen und sonntags sei das Judengeschlecht den ganzen Tag daselbst eingesperrt.40 Der Pädagoge Joachim Heinrich Campe schreibt zwei Jahre später, sonn- und feiertags würden die Juden wie Missethäter, eingesperrt; zu welchem Ende man diesen Judenkerker mit einem [!] Thore versehen hat.41 Der Niederländer Steven Jan van Geuns, der Frankfurt 1789 auf einer Reise gemeinsam mit Alexander von Humboldt besuchte, berichtet gar, dass die Juden en de helft van den tijd geheel ingesloten seien, nämlich nachts sowie an sämtlichen Sonn- und Feiertagen.42 Der russische Schriftsteller Nikolai Karamsin, der sich im selben Jahr in Frankfurt aufhielt, äußert sich zwar etwas differenzierter, indem er angibt, dass die Judengasse an den Sonntagen nur während des christlichen Gottesdienstes geschlossen werde, doch setzt er hinzu: die armen Juden sitzen wie Gefangene in ihrem Käfig bis nach Endigung des Gottesdienstes und auch nachts würden sie eingeschlossen.43

Diese Berichte sind zweifellos eindrucksvolle Zeugnisse der wachsenden Anteilnahme am Schicksal der Juden in Teilen der aufgeklärten europäischen Öffentlichkeit, aber auch der subjektiven Wahrnehmung ihrer Lebensverhältnisse seitens der Autoren. Wie bereits die unterschiedlichen Angaben hinsichtlich der Bewegungsfreiheit an Sonn- und Feiertagen erkennen lassen, entsprechen sie jedoch nicht immer ganz der Wahrheit, und es erscheint daher geboten, hier zunächst die Verhältnisse in ihrer historischen Entwicklung – nicht zuletzt im Hinblick auf die wichtige Frage der Schlüsselgewalt – genauer zu untersuchen.

Unmittelbar nach Einrichtung der neuen Judengasse 1462 war es zweifellos die Absicht des Rates, den Juden keine Schlüssel zu ihren Toren zu überlassen. Da im Sommer dieses Jahres noch nicht alle ihre Umsiedlung vollzogen hatten, ersuchte die Judenschaft im Juli darum, ihr anlässlich des Laubhüttenfestes (Sukkoth) den Schlüssel zu einer der neben den beiden Toren befindlichen kleinen Pforten auszuhändigen, damit die noch außerhalb Wohnenden rechtzeitig zum Gottesdienst in der neuen Synagoge gelangen könnten.44 Der Rat entsprach dieser Bitte, ordnete jedoch im Oktober an, den Schlüssel von den Juden zurückzufordern.45 Im folgenden Jahr verfügte er außerdem, dass die Juden die Personen entlohnen sollten, die sie nachts in der Gasse einzuschließen hätten.46 In einigen Fällen nutzte der Rat die Situation sogar, um die Judenschaft durch Einschließung bzw. deren Androhung zu disziplinieren oder zu finanziellen Zugeständnissen zu zwingen.47

Schon recht bald wurde jedoch klar, dass das Konzept des ausschließlich obrigkeitlichen Schlüsselbesitzes unter humanitären Gesichtspunkten problematisch war. 1474 entschloss sich der Rat daher, einem angesehenen Juden, Joselin von Köln, die Schlüssel zu einer der besagten kleinen Pforten zu überlassen.48 Dass es sich dabei um eine längerfristige Regelung handelte, zeigt die Tatsache, dass derselbe Joselin sich vier Jahre später anlässlich eines Rechtsstreits ausdrücklich als denjenigen bezeichnete, dem die Schlüssel zu der Pforte anvertraut seien.49 Zwischenzeitlich wurde ihm dieses Privileg offenbar noch einmal entzogen, da er es 1500 erneut erhielt.50 Als er jedoch zwei Jahre später verstarb, entschied der Rat schon nach wenigen Tagen, die Schlüssel einem anderen Gemeindevorsteher zu übertragen51, und diese Regelung wurde anscheinend beibehalten.

Schon früher finden sich aber auch Beispiele, dass einzelne Juden belangt wurden, weil sie die Gasse nachts oder sonntags unerlaubt verlassen hatten, was also durchaus möglich war. 1476 betraf dies den Schulklopfer, der nachts aus der Gasse gegangen war, um Mazzot zu backen, 1497 eine Jüdin, die an einem Sonntag Milch für ihr Kind holen wollte.52

Im Sommer 1500 beschloss der Rat den Erlass einer neuen Judenordnung, in Frankfurt Stättigkeit genannt.53 Solche Ordnungen wurden im 15. Jahrhundert mehrfach erlassen und umfassten oft nur wenige Paragrafen, in denen es um Themen wie die Kreditvergabe sowie andere geschäftliche Tätigkeiten der Juden, Gebühren für die Aufnahme in den städtischen Schutz (ebenfalls Stättigkeit genannt), das Verbot, christliche Dienstboten zu halten, oder die Versorgung mit koscherem Fleisch ging. Im konkreten Fall standen erstmals Aspekte im Mittelpunkt, die die Bewegungsfreiheit der Juden betrafen. Der Rat ging dabei jedoch nicht autokratisch vor, indem er einfach neue Verordnungen dekretierte, sondern beteiligte die Judenschaft an der Entscheidungsfindung. Die Pläne wurden den Gemeindevorstehern in detaillierter Form mitgeteilt, worauf diese am 16. Juni 1500 einen eigenen Entwurf vorlegten, der an die Ratschlagung, ein beratendes juristisches Gremium, gewiesen und von dieser mit Ausnahme von zwei Punkten, die für das vorliegende Thema ohne Bedeutung sind, angenommen wurde.54 Entscheidend sind hier v.a. die Paragrafen vier und fünf, die bestimmten, dass die Juden an Sonntagen und hohen Feiertagen in der Gasse bleiben und nur, wenn dringend erforderlich, ausgehen sollten (4.). Bei Aufeinanderfolge von mehr als zwei Feiertagen wurde ihnen zugestanden, den letzten zur Erledigung wichtiger Einkäufe und Geschäfte zu nutzen (5.). Das Konzept der umfassenden Einschließung war damit definitiv ad acta gelegt, und die Bewegungsfreiheit der Frankfurter Juden wurde auch in den späteren Stättigkeiten nicht wieder stärker eingeschränkt.55 Sie galt allerdings nicht für Fremde, Studenten der Jeshiva und Bewohner des Hospitals (Hekdesch), die man möglichst aus der Stadt fernzuhalten suchte (6. und 7.). Auch beim Einzug von Fürsten und Herren, die besonders zur Kaiserwahl und -krönung in großer Zahl nach Frankfurt strömten, wurden die Juden angewiesen, in der Gasse zu bleiben und sich ruhig zu verhalten (8.), eine durchaus sinnvolle Anordnung zum Schutz vor Übergriffen durch deren Gefolge. 1504, anlässlich eines Durchzugs hessischer Truppen wurden die Juden sogar angewiesen, sich mit Waffen und Rüstung zu versehen und ihre Pforten zu verrammeln.56 Als 1557 ein Fürstentag in Frankfurt stattfand, empfahl die Ratschlagung, die Juden zu warnen und auf ihre Kosten Wachen vor der Gasse aufzustellen.57 Fünf Jahre später beim Kaiserwahl- und Krönungstag bat die Judenschaft selbst um eine solche Maßnahme.58

So wichtig die Frage des offiziellen Ausgangs aus der Judengasse zweifellos war, zeigt sich doch bei verschiedenen Gelegenheiten, dass es nicht besonders schwierig war, sie auch ohne Benutzung von Tür oder Tor zu betreten oder zu verlassen. 1539 wurde dem Rat eine Klage über etliche Juden vorgetragen, die nachts über die Mauer in die Stadt stiegen, worauf er die Bestrafung der Schuldigen sowie eine Ortsbesichtigung durch die Schöffen anordnete.59 Man entschied in Absprache mit der Judenschaft und unter ihrer Heranziehung zu den Kosten, einen neuen Mauerabschnitt zu errichten, der die Judengasse zum Wollgraben und den dort gelegenen Gärten hin abschließen sollte.60 Dies verhinderte jedoch nicht, dass 1540 wieder geklagt wurde, dass Juden nachts ein- und ausgingen und ein christlicher Bäcker ihnen sogar Wecken in die Gasse liefere.61 Der Rat ließ sich in diesem Fall mehr als ein Jahr Zeit, belegte dann die Judenschaft mit einer Geldbuße und drohte auch Bürgern eine Strafe an, die sich anscheinend nicht selten zu jüdischen Festen wie Hochzeiten und Purim (Fassnacht) in der Judengasse einfanden. Außerdem wurde dem Pförtner an der Judenpforte eingeschärft, niemanden unberechtigterweise ein- oder auszulassen.62

Wie die geschilderten Ereignisse erkennen lassen, interessierte sich der Rat meist erst in dem Moment für den Zustand der Mauern der Judengasse oder die Regulierung von Ein- und Auslass, in dem konkrete Klagen laut wurden, und ergriff dann punktuelle Maßnahmen, die v.a. die Stadtkasse nicht belasten sollten. Dies zeigte sich auch 1571, als im Rahmen eines Prozesses plötzlich deutlich wurde, dass die Mauer beim Haus zum Goldenen Löwen so niedrig war, dass man sie ohne Schwierigkeiten übersteigen konnte. Der Besitzer wurde daraufhin angewiesen, sie höher aufzuführen, und kam dieser Weisung auch wirklich nach63, doch war der Versuch, die Verantwortung für die Mauer an die jüdischen Anwohner zu delegieren, im allgemeinen wenig erfolgreich, da diese die Aufgabe schon aus Kostengründen oft nicht besonders eifrig wahrnahmen.64 So ist es auch erklärlich, dass 1604 ein Schneider, der häufig für jüdische Kunden arbeitete, seinen Heimweg längere Zeit über die Mauer zur Allerheiligengasse nehmen konnte, wenn ihn seine Aufträge bis in die Nacht in der Judengasse festgehalten hatten.65

Im Übrigen gab es am südlichen Ende der Gasse zum Wollgraben hin auf beiden Seiten auch Häuser, die vor dem dortigen Tor lagen und teilweise – mit obrigkeitlicher Billigung – Türen zur Stadt besaßen. Nur wenige davon sind in den Akten aufgeführt, doch lässt ein Blick auf den Plan der Judengasse von Daniel Merian (1711) vermuten, dass es noch weitere gab. 1573 wird z.B. in einer Liste ein neu errichtetes Haus vor der Judengasse auf dem Graben genannt und dabei ganz selbstverständlich erwähnt, dass es nach vorn eine Tür zum Wollgraben habe.66 1596 erhielten die Besitzer des Hauses zur Eule die Erlaubnis, ihre alte Haustür auf den Wollgraben durch eine neue zu ersetzen.67 Erst 1694, im Zusammenhang mit einem Kriminalprozess, in den der derzeitige Besitzer, Löw Böhl (oder Bohlg) zur Eule, involviert war, wurde beschlossen, die Tür zumauern zu lassen.68 Als derselbe Böhl acht Jahre später erneut in einem Prozess wegen Diebstahls vor Gericht stand, wurde der Beschluss erneuert, doch ob er je in die Tat umgesetzt wurde, ist nicht bekannt.69

Im 16. Jahrhundert wurde Juden in einigen Fällen auch der Erwerb von Liegenschaften außerhalb der Judengasse gestattet. So erhielt etwa Simon von Schwabach, für dessen Aufnahme in den städtischen Schutz sich die Pfalzgrafen bei Rhein eingesetzt hatten, 1536 die Erlaubnis, da in der Gasse gerade keine Wohnung frei war, das Haus eines Bäckers vor ihrem Tor zu kaufen, wofür er versprach, es dem Rat später zu einem ermäßigten Preis zu überlassen.70 1554 ersuchte Josef zum Goldenen Schwan um die Genehmigung, sich einen Pferdestall außerhalb der Gasse zu errichten, die unter der Voraussetzung erteilt wurde, dass er sein Pferd nicht auf dem jüdischen Friedhof unterbringen könne.71 Nun war dieser Josef zweifellos ein sehr einflussreicher Mann, der u.a. diplomatische Missionen in Diensten der Stadt wahrnahm, weshalb die Haltung von Pferden und vielleicht auch deren Unterbringung außerhalb der Gasse in seinem Fall leicht zu begründen war.72 Einem anderen Juden, Josef zum Pfau, wurde im selben Jahr der Bescheid erteilt, er solle sich für seinen geplanten Stall ein Grundstück in der Judengasse suchen.73 Wenige Jahre später wiederholte sich derselbe Vorgang: 1556 erhielt der prominente Schmuel zum Ochsen die Genehmigung zur Errichtung eines Pferdestalls außerhalb der Gasse, während Israel zur Engel zwei Jahre später verweigert wurde, neben diesem ebenfalls einen Stall anzulegen.74 Josef zum Goldenen Schwan besaß darüber hinaus eine Scheuer außerhalb der Gasse, die ein Christ in seinem Namen gekauft hatte, was allerdings erst aus einem Rechtsstreit nach dessen Tod 1568 hervorgeht.75

Dass diese Praxis der Ausnahmegenehmigungen bald darauf ein Ende fand, ging auf eine Initiative der jüdischen Gemeindevorsteher zurück, die 1579 darum baten, künftig keinem Juden mehr zu gestatten, außerhalb der Judengasse Gebäude, gleich welcher Art, zu errichten. Begründet wurde dies mit der Belastung der Vorsteher, die angeblich mit derartigen Anträgen überhäuft würden, doch mag dabei auch die Sorge vor einem Kontrollverlust über Teile der Judenschaft eine Rolle gespielt haben. Das Verbot wurde jedenfalls erlassen und findet sich unter dem Datum des 2. Juli 1579 sogar an zwei Stellen der 1613 gedruckten Stättigkeit.76 Wie es scheint, erneuerten die Vorsteher ihren Antrag später noch einmal, da derselbe Vorgang im Baubuch der Judengasse, datiert auf den 18. Dezember 1590, verzeichnet ist.77

Ungeachtet solcher Beschränkungen trügt jedoch der Eindruck, dass die Judengasse während der gesamten Zeit ihres Bestehens ein fest umgrenzter Raum ohne Expansionsmöglichkeiten gewesen sei. Die Erweiterungen durch Zukauf von Gebäuden und Grundstücken durch die Judenschaft oder einzelne ihrer Mitglieder waren für die räumliche Gesamtsituation sicher von begrenzter Bedeutung, doch zeigen sie immerhin, dass gewisse Handlungsspielräume bestanden und dass sich nicht nur der städtische Raum außerhalb, sondern auch die Judengasse selbst veränderte. Solche Geländegewinne wurden zunächst durch die Pacht von die Gasse begrenzenden Gräben oder deren Rändern (Rainen) an verschiedenen Stellen erzielt, deren genaue Lokalisierung nach den oft recht lapidaren Angaben in den Diurnalia des Rechneiamts nicht immer möglich ist.78 Wie jedoch auch in diesem Kontext deutlich wird, war die Abschließung der Judengasse gegenüber der Stadt längst nicht so vollständig, wie es die normativen Quellen gelegentlich suggerieren. Bei der Verpachtung des Schießgartens 1557 etwa ist von einem Zaun die Rede, der das Gelände zur Stadt abgrenzen und zu dessen Errichtung die Judenschaft die Hälfte der Kosten beitragen sollte.79 Die gepachteten Gräben waren bereits oder wurden in der Folge überwölbt, was ihre Bebauung ermöglichte. Nur so ist es etwa erklärlich, dass dem Juden Israel zum Engel 1564 erlaubt wurde, wie sein Nachbar Samuel zur Krone im Graben zu bauen.80

War der Verlauf der Judengasse zur Altstadt hin durch die alte Stadtmauer zumindest bis zu den großen Bränden von 1711 und 1721 eindeutig festgelegt, so galt dies nicht im gleichen Maße für die gegenüberliegende Mauer zur Allerheiligengasse. 1588 und 1604 gelang es der Judenschaft, die Genehmigung zum Ankauf von zwei Häusern in dieser Gasse zu erhalten und dadurch das Terrain hinter der Synagoge um einiges zu erweitern (sh. Abb. 1). Sie wurde allerdings verpflichtet, die Grundstücke zu ummauern bzw. Fenster und Türen zur Allerheiligengasse zumauern zu lassen.81 Im zweiten Fall erhielt sie jedoch die Erlaubnis, eine kleine Tür zu dieser Gasse zur Benutzung im Brandfall durchzubrechen, zu der sowohl die Juden als auch das Rechneiamt einen Schlüssel besitzen sollten.82

Abb. 1:Schematische Darstellung der Judengasse im 15. Jahrhundert

Quelle: Jüdisches Museum Frankfurt

Auch an ihrem südlichen Ende zum Wollgraben war die Begrenzung der Judengasse weniger eindeutig. 1605 überließen die Rechenmeister den Bewohnern der Häuser zur Eule und zur Goldenen Ente einen Platz am Wollgraben hinter ihren Häusern, und zwar offensichtlich, um ihn zu bebauen.83 Drei Jahre später erklärten jedoch dieselben Beamten ihre Entscheidung für widerrechtlich, da sie gegen den Ratsbeschluss vom 2. Juli 1579 verstoße, der jegliches Bauen außerhalb der Judengasse verbot. In einem Vergleich übernahm die Judenschaft den Platz und entschädigte die Voreigentümer für ihre Unkosten.84 Hier entstanden später das neue jüdische Schlachthaus und die Schirne, in denen das Fleisch verkauft wurde. 20 Jahre danach stand noch einmal ein Grundstück am Wollgraben zur Debatte. In einem Prozess um die Rückkehr des Konvertiten Johann Daniel Lichtenstein zum Judentum hatte der Rat einige Juden zu erheblichen Geldstrafen verurteilt, wogegen diese sich an das Reichskammergericht wandten, das das Frankfurter Vorgehen scharf kritisierte.85 Um zu einer einvernehmlichen Beilegung des Prozesses zu gelangen, schlug die Judenschaft 1626 vor, ihr für die bereits gezahlten Strafgelder in Höhe von 9.000 Gulden einen 100 Schuh langen Platz am Wollgraben zur Bebauung zu überlassen, doch konnte der Rat sich nicht zu dieser Lösung entschließen.86

1694 gelang es der Judenschaft dann, ein Grundstück außerhalb der Gasse neben dem jüdischen Friedhof zu erwerben. Vorausgegangen war ein Rechtstreit mit den Besitzern, den Völcker›schen Erben. Durch wiederholte Aufschüttungen hatte sich das Bodenniveau des Friedhofs stark erhöht, und die Trennmauer zwischen dem Friedhof und dem Völcker'schen Bleichgarten, der wegen seiner Nähe zum Friedhof auch Judenbleichgarten genannt wurde, war durch den Druck der Erdmassen so stark beschädigt, dass sie kein ernstliches Hindernis mehr darstellte. Die Erben verlangten die Wiederherstellung und Erhöhung der Mauer sowie den Abbruch des Contagionshauses auf dem Friedhof, das zur Isolierung von Patienten mit ansteckenden Krankheiten diente, und der Rat entschied in beiden Punkten zu ihren Gunsten.87 Kurz darauf einigten sich die Parteien jedoch auf eine andere Lösung, nämlich den Verkauf des Bleichgartens an die Judenschaft für 9.000 Gulden. Der Kaufvertrag wurde am 4. Juni 1694 aufgesetzt und am folgenden Tag durch den Rat bestätigt.88 Wie Lersner in seiner Chronik vermerkt, sei die Juden-Gaß durch den damals neu-gekaufften Bleichgarten vergrössert worden.89 Diese Vergrößerung war sogar recht erheblich, da das Grundstück nach der Berechnung Kracauers immerhin 65.401 Frankfurter Quadratfuß umfasste90, doch blieb es zunächst unbebaut und diente auch den Juden lediglich als Bleichgarten. Der Grund hierfür war offenbar nicht so sehr die im Kaufvertrag festgelegte Bestimmung des Geländes zur Erweiterung des Friedhofs, sondern v.a. der Widerstand aus Kreisen der Bürgerschaft gegen diese in der Stättigkeit eigentlich ausgeschlossene Expansion der Judengasse.91 Die Judenschaft wandte sich in dieser Situation an den Kaiser, der in einem am 27. Juli 1717 im Rat verlesenen Reskript ausdrücklich die Bebauung des Grundstücks nach den Plänen der Judenschaft mit einem neuen Hospital sowie Gemeindebacköfen und Garküchen genehmigte.92 Nach einigen Diskussionen und Gutachten stimmte der Rat der Bebauung in der gewünschten Form im Oktober des Jahres schließlich zu.93 1781 wurde nochmals die Erlaubnis zur Errichtung von drei (weiteren?) Garküchen erteilt.94

Die geschilderten Ereignisse fielen in eine denkbar ungünstige Zeit, da sich weite Teile der Bürgerschaft Anfang des 18. Jahrhunderts im Aufruhr gegen den Rat befanden, dem sie – wie schon 100 Jahre zuvor – u.a. eine Begünstigung der Juden unterstellten.95 Die Gemüter erregten sich umso mehr, als 1710 noch der Verkauf eines weiteren Bleichgartens an einen Juden anstand. In diesem Jahr erwarb der kaiserliche Oberhoffaktor Samson Wertheimer, der enge Beziehungen nach Frankfurt unterhielt und auch ein Haus in der Judengasse besaß, von der Pfarrerswitwe Rebekka Dietz den Dietz‘schen Bleichgarten, der nördlich des Friedhofs lag, von diesem durch die Gasse Hinter der Judenmauer und von der Judengasse durch den so genannten Langen Gang getrennt wurde.96 Der Rat reagierte in diesem Fall rigoros, indem er den Verkauf als unstatthaft verwarf. Die Verkäuferin reiste darauf eigens nach Wien, um die kaiserliche Bestätigung des Vertrags zu erreichen, hatte aber zunächst keinen Erfolg, weshalb sie den Garten nach ihrer Rückkehr an einen anderen Interessenten verkaufte, obwohl sie von Wertheimer bereits eine Anzahlung empfangen hatte. Erst 1716 erging auch in diesem Fall ein kaiserliches Machtwort, dem sich der Rat schließlich beugte, worauf Wertheimers Schwiegersohn, der kurmainzische Rabbiner Bernhard Gabriel, den Garten im folgenden Jahr in seinem Namen offiziell in Besitz nehmen konnte.97 Allerdings hatte Wertheimer zuvor zugesagt, das Grundstück weder zu bebauen, noch in die Judengasse zu integrieren, was in Anbetracht der Lage auch schwierig gewesen wäre. Unter dem Eindruck des verheerenden Brandes von 1711 war es vielmehr seine Absicht, es als Zufluchtsort für die Judenschaft bei künftigen Brandfällen offen zu halten.98

Zur selben Zeit oder nur wenig später fand offenbar noch ein weiteres Immobiliengeschäft zwischen denselben Beteiligten – Rebekka Dietz und Samson Wertheimer – statt, das aber erstaunlicherweise von den Zeitgenossen, einschließlich der bürgerlichen Kollegien, nicht zur Kenntnis genommen wurde und daher auch von späteren Historikern unbeachtet geblieben ist.99 Erst Jahrzehnte danach, im Juni 1772, kam der Vorgang plötzlich zur Sprache, nachdem der Bürgerkapitän des zweiten Quartiers, Schott, dem Kriegszeugamt gemeldet hatte, dass die Juden vor gut einem Jahr drei in seinem Viertel gelegene Häuser nebst Gärten in der Gasse Hinter der Judenmauer Nr. 17–19, gekauft, auf dem Gelände etwa 20 Wohnungen errichtet und diese an Juden vergeben hätten.100 Es ging ihm dabei weniger um die Tatsache selbst, als um die von diesen Häusern zugunsten des Quartiers zu entrichtenden Abgaben. Der Rat war von der Mitteilung völlig überrascht und entschied, die jüdischen Gemeindevorsteher darüber zu befragen. Auch diese reagierten zunächst irritiert auf die Nachricht von dem angeblichen Verkauf, erklärten aber schließlich, dass es sich nach den Angaben Schotts nur um den Hinter der Judenmauer gelegenen Hof zum Roten Tor handeln könne, auf dem die beschriebenen Baumaßnahmen aber schon vor etlichen Jahren erfolgt seien. Dieser Hof sei auch bereits vor mehr als 50 Jahren in den Besitz Samson Wertheimers gelangt und von diesem an seinen damals in Paris befindlichen Enkel Wolf Isaac Arnsteiner vererbt worden, der die Verwaltung seinem Schwiegervater Süßel Meir Juda übertragen habe. Wertheimer habe den Ankauf seinerzeit mit kaiserlicher Genehmigung getätigt und der jüngste Umbau sei mit Wissen des Bauamts geschehen.101 Auf diese Mitteilung hin ruhte der Vorgang für mehr als ein Jahr. Erst im August 1773 wurden die Vorsteher erneut vorgeladen, die ihre früheren Aussagen wiederholten, jedoch hinzufügten, dass die Verwaltung des Hofes nicht nur dem Schwiegervater Arnsteiners, sondern auch den Kastenmeistern der Gemeinde wegen dessen rückständiger Gemeindeabgaben übertragen worden sei102, was auch die Nutzung durch die Gemeinde erklären würde. Der Rat beschloss, weitere Nachforschungen beim Bauamt, beim Schatzungsamt (wegen der Abwesenheit Arnsteiners) sowie im Stadtarchiv durchführen zu lassen. Über das Ergebnis ist nichts bekannt, doch sprechen ebenso der sachliche Ton der Debatte wie das Fehlen weiterer Einträge in den Ratsprotokollen dafür, dass der Rat den alten, offenbar nie in Frage gestellten Besitzanspruch akzeptierte und auf Maßnahmen gegen die jüdische Wohnsiedlung außerhalb der Gasse verzichtete.103 Dass sie in späteren Dokumenten nicht mehr ausdrücklich erwähnt wird, steht möglicherweise im Zusammenhang mit den einschneidenden Veränderungen in den folgenden Jahrzehnten, die schließlich zum Ende der Judengasse als abgeschlossenem Wohnbereich führten.104

Wie viele der hier dargestellten Vorfälle erkennen lassen, war die äußerliche Abgrenzung zwischen Judengasse und christlicher Stadt aber auch in früherer Zeit längst nicht so strikt, wie man auf Grund der zahlreichen Erwähnungen von Mauern und Toren erwarten würde. Ein deutliches Beispiel in dieser Hinsicht sind auch die langjährigen Streitigkeiten zwischen mehreren Nachbarn an der Bornheimer Pforte. Der erste Konflikt entzündete sich 1580 an der Absicht des Juden Seligmann zur Weißen Rose, auf dem Platz hinter seinem Haus ein weiteres Gebäude zu errichten, wogegen der Schreiner Peter Trinkaus protestierte, weil ihm dadurch Licht- und Traufrecht entzogen würden. Mehrere jüdische Nachbarn, die Besitzer des Hauses zur Goldenen Scheuer, der Arzt Mosche Lucerna und die Jüdin Simlin von Emden, schlossen sich dem Protest an, und nach einer Ortsbesichtigung wurde Seligmann angewiesen, den Bau einzustellen.105 1587 klagte Trinkaus erneut, wobei es diesmal um eine Trennmauer ging, an deren Errichtung ihn die Erben des inzwischen verstorbenen Seligmann zur Weißen Rose angeblich hinderten, doch berief er sich dabei auf den Ratsentscheid von 1580. Der Rat wies die Klage als unberechtigt ab und genehmigte das Bauvorhaben seiner Nachbarn zur Weißen Rose, das also wohl den eigentlichen Streitpunkt bildete.106