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Was ist gutes Design? Der erste Eindruck zählt immer: Das gilt nicht nur generell im Leben, sondern bestimmt unseren Alltag bis ins Detail. Der bekannte Graphiker und gefeierte Buchgestalter Chip Kidd verbringt mit uns einen Tag, an dem er alles, was ihm begegnet, fotografiert und auf den ersten Eidnruck hin überprüft: von der Zeitung über das U-Bahn-Ticket bis zum Smartphone und zum Schokoriegel. Ob gut, schlecht oder absurd gestaltet, Kidd enthüllt die Geheimnisse des Designs, wie es nur jemand mit geschultem Auge vermag. Ein humorvoller und spielerischer Blick auf die immense Bedeutung erster Eindrücke und wie sie unsere Sicht der Welt beeinflussen.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 60
Chip Kidd
Judge This
Warum der erste Eindruck zählt
Aus dem Englischen von Irmengard Gabler
FISCHER digiBook
Für J.D. McClatchy
Sämtliche Fotos stammen von Chip Kidd, der ein iPhone 5s benutzt hat, sofern nicht anders angegeben.
»Frühe Eindrücke sind schwer aus dem Gedächtnis zu tilgen. Ist die Wolle erst purpurn gefärbt, wer vermag ihr das frühere Weiß zurückzugeben?«
Hl. Hieronymus, 331–420 n. Chr.
»Lassen Sie mich eines ganz klar sagen.«
Richard M. Nixon
»Gott wurde erfunden, um das Geheimnisvolle zu erklären.«
Richard P. Feynman
Zumindest sind Sie interessiert.
Erste Eindrücke sind maßgeblich für die Art und Weise, wie wir die Welt um uns wahrnehmen und von ihr wahrgenommen werden. Sie sind unser Erstkontakt zu allem: zu Bekanntschaften, zum Arbeitsplatz, zu Produkten, Erfahrungen, Einzelhandelsgeschäften, zum Internet, zur Unterhaltung, zu Beziehungen, zum Design. Und basierend auf unseren ersten Eindrücken, fällen wir unser Urteil. Wir können nicht anders. Klingt das schrecklich? Wir haben es als Kinder doch alle gehört: »Urteile nie nach dem Äußeren.« Aber wir tun es doch, weil wir in einer visuellen Kultur leben und unser Verstand sofort auf alles reagiert, was wir sehen.
Maßgeblich ist nicht, dass wir urteilen, sondern wie wir es tun. Intelligent? Empathisch? Mitfühlend?
Am Beispiel Design wird klar, dass hier die besagte »Urteile nicht«-Regel überhaupt keinen Sinn ergibt. Design will von Natur aus sofort beurteilt werden, da es ja ein Problem lösen soll. Und tut es das nicht ... ist das ein Problem.
Wie viele Formulare mussten Sie bereits ausfüllen, die unnötig kompliziert waren? Auf wie viele Webseiten wurden Sie schon verwiesen, auf denen Sie sich nicht zurechtfanden? Im Internet geht es ausschließlich um den ersten Eindruck und um die Notwendigkeit, Inhalte auf den ersten Blick zu begreifen.
Für mich als Graphikdesigner, der noch dazu Buchcover gestaltet, ist ein großartiger erster Eindruck nicht nur von Interesse, sondern Inhalt meines Berufs. Egal, ob ein Cover aus Tusche auf Papier oder aus Pixeln auf einem Bildschirm besteht, es ist nicht nur die Fassade des Textes, sondern unser erster Zugang dazu.
Doch um Problemlösungen zu schätzen, braucht man kein Designer zu sein: Jeder Sozialarbeiter, der sich mit Regierungsformularen herumschlagen muss, jeder Arzt, der medizinische Daten auswertet, jeder Programmierer und jeder Barkeeper, der die Espressomaschine zum Laufen bringen will, sie alle merken sofort, ob ein Designstück für sie funktioniert oder nicht.
Ich habe herausgefunden, dass die zwei effektivsten und faszinierendsten Aspekte erster Eindrücke – ob der von mir oder von anderen kreierten – absolute Gegensätze sind: Klarheit und Geheimnis. Nach über dreißig Jahren als Designer bin ich nach wie vor verblüfft, wie diese beiden Komponenten funktionieren, und was passiert, wenn sie vertauscht oder falsch gebraucht werden.
O ja, das kommt vor. Politiker können mit die geheimnisvollsten Menschen auf der ganzen Welt sein, und das ausgerechnet dann, wenn wir uns möglichst klare Aussagen von ihnen wünschen. Und im Zeitalter der Reizüberflutung haben wir alle schon das eine oder andere gesehen, dem ein Hauch mehr Geheimnis gut anstehen würde (ich denke da an diese Familie, deren Name mit einem K beginnt). Fangen wir also mit zwei Fragen an. Erstens:
Dies hängt ganz davon ab, welche Art von Botschaft man übermitteln will. Klarheit ist immer dann angebracht, wenn es unabdingbar ist, dass Sie auf Anhieb verstanden werden. Wann immer Sie notwendige und spezielle Informationen benötigen – technische Anleitungen etwa für den Computer oder das Telefon, oder wenn Sie sich verlaufen haben und jemanden nach dem Weg fragen müssen –, erwarten Sie eindeutige Aussagen. In jedem dieser Fälle ist Klarheit vonnöten. Fehlt sie, können die Ergebnisse, wie wir alle wissen, sehr frustrierend sein. Besonders dann, wenn unser GPS sich ausklinkt.
Ein extremeres, aber nicht unübliches Beispiel sind Mitschnitte von Notrufen in den Nachrichten. Ich denke bei dieser Gelegenheit immer: »Wenn ich den Anruf entgegennehmen müsste, wäre ich dann in der Lage, die Situation zu erfassen?« Die Antwort variiert. Freilich werden solche Notrufe für gewöhnlich in Momenten intensiver Panik getätigt, trotzdem kommt es in diesen Situationen darauf an, dass jemand verstanden wird.
Wenden wir diesen Gedanken auf das Design in unserem Alltag an, werden die Beispiele doch ziemlich klar:
Verkehrsschilder. Bedienungsanleitungen. Weckuhren. Fluchtwege. Ehegelübde.
Wann immer das Drumherum – eine hübsche Fassade, Ornamentik, Ausgestaltung – wirklich überhaupt nicht zählt, ist vor allem Klarheit vonnöten.
Klarheit ist aufrichtig, direkt, vernünftig, grundlegend, ehrlich, absolut lesbar. Ohne Schnickschnack.
Wird sie aber automatisch auf alles angewandt, droht bald gähnende Langeweile.
Nun, dann sehen wir uns das Yin zum Yang an und fragen: