Jugend - Kirchen - Räume - Petra Dais - E-Book

Jugend - Kirchen - Räume E-Book

Petra Dais

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Beschreibung

Jugend - Kirchen - Räume, das Magazin für mehr Jugendkirche in Kirchenräumen bietet Anregung und Unterstützung bei der Einrichtung von Jugendkirchen. Erfahrungen aus der Jugendkirche Stuttgart werden auf die Möglichkeiten und Gegebenheiten mittlerer Städte übersetzt. Zahlreiche Fotos und Praxisbeispiele regen die Fantasie zur Realisierung eigener Jugendkirchen-Projekte an. Die Erfahrung zeigt, wie lustvoll und herausfordernd es sein kann, eine Kirche zu "bespielen", wie ansteckend das wirken kann und wie viel schon allein der Prozess bewirken kann. Dabei geht es nicht nur darum, die vorgestellten Möglichkeiten nachzuahmen, sondern eigene, an den Ort angepasste Möglichkeiten zu finden und gemeinsam mit jungen Leuten umzusetzen. Auch drei Beispiele für temporäre Jugendkirchen geben dazu Impulse.

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Inhalt

EditorialPetra Dais und Robby Höschele

Jugendkirche – Freiheit riskieren und Liebe investierenWerner Baur

Jugendkirchenräume – Magazin für mehr Jugendkirche in KirchenräumenGottfried Heinzmann

1: Warum Jugendkirche?

Kirchen sind öffentliche Orte – Jugendkirchen auchPetra Dais

Die Sprache des KirchenraumesPetra Dais

Gottesdienst, Partizipation und SelbstbestimmungBernd Wildermuth

Mein Zugang zur JugendkircheLara Brandstetter

Atmosphäre – mehr als nur ein MitnahmeeffektRobby Höschele

Mein Zugang zur JugendkircheAnnette Plaz

Denkraum

2: Vernetzungsort Jugendkirche

Ein interdisziplinäres Team eröffnet Impulsfelder im KirchenraumPetra Dais

Kooperation mit Künstler_innenPetra Dais

Mein Zugang zur JugendkircheJulia Hübinger

Kooperation mit dem Architektenteam „Kirchentrojaner“Petra Dais

Eine Kirche als Tarnkappe einer gigantischen Bunkeranlage!Gerald Klahr

Theaterworkshops in der JugendkirchePetra Dais und Frieder Schmitz

Kooperation mit SchulenDorrit Brandstetter

Trendsportarten in der Jugendkirche StuttgartPetra Dais

Mein Zugang zur JugendkircheMatthias Reiter

Wenn die Kirche zum Erzählraum wirdRolf Ahlrichs

Mein Zugang zur JuendkircheArash Hafezi

Liturgie neu entdeckenPetra Dais und Annette Plaz

Jugendkirche als Chance für die KonfiarbeitPetra Dais

KonspirationXRené Böckle

Mein Zugang zur JugendkircheAnnika Geiger

Exkurs Playing ArtsRobby Höschele

Exkurs Partizipation als GrundhaltungPetra Dais

Mein Zugang zur JugendkircheAnnika S.

Mein Zugang zur JugendkircheOlivera Vrabac

Denkraum

3: Formen von Jugendkirche

Zwei Formatmodelle für eine JugendkircheRobby Höschele

RaumbedingungenRobby Höschele

Es werde LUX(us) ?!Dr. Wolfgang Ilg

ChurchNightFriederike Auracher

Konzeptionsentwicklung für eine Jugendkirche in UlmArvo Koha

Denkraum

4: Service

Wo finde ich Partnerschaften zur Kooperation

Wo gibt es schon Jugendkirchen?

Autor_innen

Kontakt & Beratung

Impressum

Petra Dais und Robby Höschele

Editorial

Liebe Leser_innen,

damals, kurz nach Ostern: die Jünger_innen waren im Haus versammelt, die Türen waren verschlossen, Jesus kam und trat in ihre Mitte – durch die Wand?

Leben zwischen Ostern und Pfingsten bedeutet, Wände werden durchlässig, mitten im Wirklichen gewinnt das Mögliche Raum. Jesus und die Propheten haben in Wort und Tat Alternativen entworfen zu scheinbar festgefügten Ordnungen. Das ist auch eine Aufgabe von Kirche und damit auch von Kirchenräumen. Jene, die Kirchen bauten wussten das und viele vermochten es, mit ihrer Architektursprache Räume zu entwerfen, die für Menschen neue Einblicke und Sichtweisen ermöglichen, die neue Möglichkeitsräume fürs Leben eröffnen.

Wie solche Möglichkeitsräume in einer Jugendkirche frei werden können, möchte dieses Magazin zeigen. Wir sind davon überzeugt, dass Kirchenräume das Potential dazu haben. Reale Möglichkeitsräume werden in unserer Zeit so dringend gebraucht. Die Erfahrung zeigt, wie lustvoll und herausfordernd es sein kann, eine Kirche zu „bespielen“ und wie ansteckend das wirken kann.

Dieses Magazin für mehr Jugendkirche in Kirchenräumen erscheint in einer Zeit, in der es vereinzelt schon Pläne gibt, Kirchen dauerhaft abzureißen oder durch multifunktionale Gebäude zu ersetzen. Verschiedentlich hört oder liest man auch davon, dass es nach den Erfahrungen der letzten zehn Jahre zu aufwendig wäre, Jugendkirchen zu betreiben, zumal in kostspieligen Kirchengebäuden. Ebenfalls gibt es Meldungen, dass nach zum Teil langjährigen Überlegungen, eine Jugendkirche einzurichten, aus finanziellen Gründen die Pläne völlig aufgegeben wurde.

Aber fast jede Kirchengemeinde verfügt über einen mehr oder weniger starken Kirchenraum, über eine mehr oder weniger attraktive (im Sinne von „anziehende“) Kirche.

Ist es die falsche Zeit, um noch stärker über Kirchenraumkonzepte, über Formen nachzudenken, Kirchen auch in ungewohnter Weise zur Verkündigung des Evangeliums und zur Feier des Lebens mit all seinen Licht- und Schattenseiten zu bespielen?

Es ist nicht die falsche Zeit!

Kirchenräume sind oft starke Räume, aber sollen sie, dürfen sie so einfach in Experimentierräume, in Atelierräume, in Spielräume verwandelt werden – speziell (wenn auch nicht ausschließlich) für jungen Menschen? Wer will das? Wer findet das gut?

Wir haben den Auftrag der Landessynode und des Oberkirchenrats der Evang. Landeskirche in Württemberg übernommen, die Erfahrungen mit dem Stuttgarter Jugendkirchenfestival zu übersetzen und verfügbar zu machen für Jugendkirchen-Projekte in mittelgroßen Städten. Tatsächlich sind in diesem Magazin sehr viele Erfahrungen aus den letzten sieben Jahren versammelt, die wir in der temporären Jugendkirche in der evangelischen Martinskirche der Stuttgarter Nordgemeinde sammeln konnten. „Temporär“ heißt hier: Jugendkirche in der Zeit von Palmsonntag bis Pfingsten.

Magazin nennen wir dieses Anregungsmaterial – wir hoffen auf anregende Wirkung – weil vielleicht in ein paar Jahren die Erfahrungen aus anderen Städten in einer weiteren Ausgabe veröffentlicht werden. Bei einem „Magazin“ wird erwartet, dass einmal wieder eine Ausgabe erscheint. Erheiternd und doch passend ist dabei, dass ein „Magazin“ auch als „Speicherraum“, als „Schatzkammer“, gar als Ort „zur Lagerung von Explosivstoffen“ verstanden werden kann. Wir verstehen dieses Buch auch so.

In diesem Magazin wird vor allem beschrieben und reflektiert, was auch in mittleren Städten funktionieren kann. Die zahlreichen Fotos gehören zum Inhalt, zum „Text“ des Magazins. Sie erzählen in ihrer Sprache von den raumgreifenden Aktivitäten, von der Farbigkeit und von der Lust an Lebendigkeit und Bewegung, die diese Kirchen ermöglichen. Wenn die Fotos auch von Aufwand (an Ideen, an Material und Vorbereitung) erzählen, dann trifft das zu. Kirchenräume in Spielräume zu verwandeln ist manchmal schon deshalb aufwendig, weil man sie bis auf das Wesentliche leer räumen muss, bevor man etwas einträgt. Leidenschaft und Verausgabung sind dabei häufig anzutreffen, manchmal auch eine frei machende Art der Verschwendung.

Wenn dabei gängige und oft enge Vorstellungen davon aufgebrochen werden, was in einer Kirche möglich ist, kommt es auch zu Konflikten und zu Empörung. Aber nicht selten kommt es zu Kettenreaktionen der Lebendigkeit.

Jugendkirchen können einen Imagewandel unterstützen: Kirche ist nicht nur verstaubt, langweilig, starr und altmodisch. Aus diesem Bruch mit dem Kirchenklischee entstehen Irritationen und Differenz-Erfahrungen, die eine kreative Kraft entfalten (Experimentierlust und Entwicklungsneugier): Auseinandersetzung mit religiösen Traditionen und die Frage nach deren Relevanz für die Lebensthemen der jungen Menschen. Der Imagewandel findet in den ästhetischen Dimensionen statt (Zustände des Raumes, Formen des Feierns, Gestalt der Bildungsaktivitäten) und ebenso in den Inhalten und den zu diskutierenden Themen.

Wir wünschen uns, dass die Texte und die Fotos anregend wirken, dass sie die Phantasie beflügeln und einen Geschmack davon geben, wie Kirche auch sein kann. Es braucht nicht darum zu gehen, die Erfahrungen des Stuttgarter Jugendkirchenfestivals zu kopieren (obwohl respektvolle Imitation auch eine wertvolle Entwicklungsstufe sein kann). Es geht mehr darum, die eigenen regionalen Verhältnisse und Bedingungen als den Möglichkeitsraum zu begreifen oder in einen Möglichkeitsraum zu entwickeln, zu verwandeln. Die drei Beispiele Junge Kirche LUX in Nürnberg, ChurchNight als eine Art temporärer Jugendkirche von ganz kurzer Dauer und das Jukival in Ulm zeigen das.

Am Ende eines jeden Kapitels gibt es eine „Denkraum“-Doppelseite. Nicht mehr als ein Notizblatt will das sein, auf dem jemand vorher schon etwas skizziert, gekritzelt oder notiert hat. Vielleicht ergeben sich daraus Fragen, Anregungen oder Impulse für eigene Gedanken. Und vielleicht braucht es fünf weitere große Notizblätter, um den eigenen Denkraum zu erweitern oder vielleicht speichern andere ihre Ideen, ihre Skizzen und Notizen lieber digital in virtuellen Clouds. Wie auch immer: es geht darum, „chemische Reaktionen“ zu riskieren in einer Kirche, die sich kontinuierlich verändern will und die vielleicht mehr denn je herausgefordert ist, am Brückenbau mitzuwirken, weil unnötige Barrieren so verbreitet sind.

Etwas über ein Jahr hat es nun gedauert, bis diese Magazin-Ausgabe erscheint. Ganz herzlich bedanken wir uns bei allen, die dazu beigetragen haben. Besonders bedanken wir uns bei allen Autorinnen und Autoren und bei allen Fotografinnen und Fotografen und vor allem bedanken wir uns bei Alexandra Schlierf für ihr pfiffiges und ansprechendes Layout und bei Annette Plaz für ihre Ausdauer und ihren zuverlässigen Überblick während der gesamten Redaktionsarbeit.

Wir wünschen eine anregende Lektüre!

Werner Baur

Jugendkirche – Freiheit riskieren und Liebe investieren

Man muss viel Liebe investieren, wenn Glaube sich entfalten soll, und man muss viel Freiheit riskieren, wenn die Kirche lebendig bleiben soll. (Otto Dibelius, ehemaliger Bischof von Berlin und EKD-Ratsvorsitzender)

Riskieren und investieren – ist das angemessen, angesichts der unsicheren Zeiten? Noch mehr Vielfalt und Konkurrenz – ist das zu befürworten, angesichts der schon belastenden Komplexitäten in Kirchen und Gesellschaft? Noch mehr zielgruppenspezifische Angebote und in der Folge eine immer höhere Ausdifferenzierung und Zersplitterung von Kirche – ist das zu fördern, angesichts des drohenden Verlustes an Einheit?

Das Engagement für Jugendkirche und in den Jugendkirchen sowie Jugendgemeinden unserer Landeskirche begeistert mich und begrüße ich ausdrücklich. Es ist ein erfrischendes und leidenschaftliches Engagement für junge Menschen und das Evangelium. Neue Wege der Gottesdienstgestaltung und Verkündigung werden beschritten und erprobt. Erfahrungsbezogene Zugänge bringen die Lebenswelten und kulturellen Lebenskontexte junger Menschen mit den biblischen Texten zusammen. Experimentelle Ausdrucks- und Gestaltungsformen erschließen Möglichkeiten der Annäherung und Gemeinschaftserfahrung. Die Aktualität, Lebendigkeit und Lebensrelevanz der biblischen Botschaft wird greifbar. Gemeinsam mit Jugendlichen werden mit viel Liebe und Phantasie Räume und liturgische Elemente gestaltet und in ihren inhaltlichen Dimensionen wieder neu oder erstmalig erschlossen.

Jugendkirche kommt jungen Menschen entgegen. Jugendkirche bringt jungen Menschen nicht nur Kirche näher. Jugendkirche eröffnet Zugänge und Räume für Begegnung mit dem dreieinigen Gott und den Mitmenschen. Jugendkirche geht auf Jugendliche mit ihrem Wunsch nach gottesdienstlichen Feiern ein. Jugendkirche bietet Raum für das gemeinsame Feiern des christlichen Glaubens.

Jugendkirche ist nicht nur eine zeitgemäße Form, um jungen Menschen Räume, Begegnungs- und Erprobungsformen für die Auseinandersetzung mit existenziellen Fragen, Fragen des Glaubens und der Gestaltung christlichen Glaubens zu eröffnen.

Die Zeit ist reif für Jugendkirchen. Jugendkirche verkörpert nicht nur den Zeitgeist. Jugendkirche will dem Geist Gottes in unserer Zeit und der Lebenswelt junger Menschen Raum geben und mit seinem Wirken rechnen. Jugendkirche bietet Freiraum und braucht diesen Freiraum. Jugendkirchen brauchen Eigenständigkeit und bleiben zugleich Teil unserer Landeskirche. Vielleicht können uns die ermutigenden Erfahrungen beflügeln, die anstehenden Veränderungsprozesse in unserer Kirche gelassener und mutiger anzugehen.

Jugendkirche ist nicht nur eine Formsache. Jugendkirchen verstehen sich als „geistliche Zentren“ (Prof. Ulrich Schwab) und als solche haben sie eine Mitte: Jesus Christus. Er eint und hält.

Ich wünsche mir für Jugendliche in unserem Land und in unserer Kirche mehr von solchen besonderen Orten wie den Jugendkirchen und Jugendgemeinden. Für allen Einsatz der Haupt- und Ehrenamtlichen, für alle Begleitung und Unterstützung dieses Anliegens danke ich.

Gottfried Heinzmann

Jugendkirchenräume – Magazin für mehr Jugendkirche in Kirchenräumen

Eine Einführung aus Sicht der Jugendarbeit

Die Zielsetzung wird schon im Titel benannt: Mehr Jugendkirche in Kirchenräumen. Da stellt sich die Frage: Von wem kommt dieser Wunsch? Oder ist es gar eine Forderung? Und an wen sind Wunsch oder Forderung adressiert? Wollen sich Jugendliche in der Kirche treffen? Braucht die Jugendarbeit Kirchenräume? Sollen im Zuge eines neuen Raumkonzepts mit Einsparpotential die klassischen Jugendkeller und Jugendräume vom Gemeindehaus in die Kirche verlagert werden? Je nachdem, mit welchen Ohren man hört oder liest, nähert man sich diesem Thema mit anderen Erwartungen oder Befürchtungen. Einige Anmerkungen aus Sicht der Jugendarbeit sollen den Hintergrund aus Sicht der Jugendarbeit beschreiben und die Zielsetzung dieses Jugendkirchenmagazins unterstützen.

Jugendarbeit und Kirchenraum – zwei Welten begegnen sich

Wenn man einen Blick in die Geschichte der Jugendarbeit wirft und überlegt, welche Orte und Räume wichtig waren, stellt man fest: Der Kirchenraum kommt nicht vor. Fahrten und Freizeiten, Zeltlager und Reisen beziehen ihren Reiz daraus, dass sie nicht am Heimatort, sondern in der Ferne stattfinden. Wichtige und prägende Orte waren die Lagerplätze und Freizeithäuser, die mit großem Einsatz erschlossen und aufgebaut wurden. Am Heimatort lag die Konzentration darauf, in Gemeindehäusern und eigenen Vereinshäusern geeignete Räume für die Versammlungen und Treffen der Mädchenarbeit und Jungmännerarbeit zu erschließen. Diese Räume sollten möglichst gute Rahmenbedingungen für eine Jugendarbeit bieten, die Kinder und Jugendliche ganzheitlich (Leib, Seele, Geist) anspricht. Zusammenfassend kann man sagen: Der Kirchenraum wurde von der Jugendarbeit in den Anfängen nicht wahrgenommen und nicht in Anspruch genommen.

In der jüngeren Geschichte von Jugendarbeit und Kirchenraum spielen die Jugendgottesdienste eine wichtige Rolle. Ganz selbstverständlich fanden die Jugendgottesdienste von Anfang an in Kirchenräumen statt, weil man eben Gottesdienst in der Kirche feiert. Doch bis heute wirkt die Kirche in einem Jugendgottesdienst eher als ein etwas fremder Veranstaltungsraum, der für Musik und Videos mit Technik ausgestattet werden muss. Die Chancen des Kirchenraumes werden ingesamt gesehen nur selten in die Gestaltung von Jugendgottesdiensten einbezogen.

Zum Weiterdenken

Auf dem Hintergrund dieser in groben Strichen skizzierten Geschichte von Jugendarbeit und Kirchenraum wird deutlich, dass hier noch großes Entwicklungspotential liegt. Der Kirchenraum muss für weite Teile der Jugendarbeit erst noch erschlossen werden. Durch die Erfahrungen und Ideen, die im Rahmen des Stuttgarter Jugendkirchenfestivals und in anderen Jugendkirchen gemacht wurden, können sich andere inspirieren lassen, einen Kirchenraum für Jugendliche auf eine andere Art und Weise erlebbar zu machen. Kleine Schritte könnten gegangen werden, indem der Kirchenraum bei der Gestaltung von Jugendgottesdiensten konzeptionell einbezogen wird.

Freiräume zum Experimentieren

Ein weiterer Meilenstein in der Geschichte der Annäherung von Jugendarbeit an den Kirchenraum kann in den 10 Zumutungen gesehen werden, die von der 12. Württembergischen Landessynode am 26. März 1999 verabschiedet wurden. Zumutung drei lautet: „Wir nehmen wahr, daß junge Menschen ein besonderes Verhältnis zum Heiligen und eine spirituelle Sehnsucht haben, die unsere kirchliche Praxis in Frage stellt und zugleich bereichert. Dabei haben Räume, Zeiten, Körper, Symbole und Rituale besondere Bedeutung. Wir ermutigen dazu, sich gemeinsam mit jungen Menschen christlicher Spiritualität zu öffnen, dafür Formen zu entwickeln und sie zu praktizieren. Nötig sind dazu Freiräume zum Experimentieren.“

Wie sich diese Zumutungen konkret umsetzen lassen, darüber wurde in den Folgejahren durchaus kontrovers diskutiert. Nach verschiedenen Anläufen wurde das Projekt „Jugendkirche in Württemberg“ mit der Evangelischen Landeskirche in Württemberg als Auftraggeber und dem Evangelischen Jugendwerk in Württemberg als Projektträger genehmigt. Innerhalb des Projekts wurde eine begriffliche Unterscheidung zwischen Jugendkirche und Jugendgemeinde getroffen. Die Jugendkirche setze stärker auf niederschwellige Angebote, biete punktuelle und zeitlich beschränkte Beteiligungsformen. Die Jugendgemeinde dränge stärker auf eine verbindliche Gemeinschaftsform unter Jugendlichen, zu der eine feste Organisations- und Beziehungsstruktur gehöre.1

Im weiteren Verlauf der Entwicklung von Jugendkirchen und Jugendgemeinden hat sich gezeigt, dass diese Begriffsklärung in der Praxis vor Ort kaum eine Rolle spielt und nur dann zwischen „Jugendgemeinde“ und „Jugendkirche“ unterschieden werden kann, wenn die dahinterstehende inhaltliche Konzeption beschrieben wird. Folgende Grundunterscheidungen haben sich herauskristallisiert, die helfen, die situationsspezifischen Ausprägungen zu unterscheiden.2

Zum Weiterdenken

Das vorliegende Magazin legt den Schwerpunkt auf die konzeptionelle Einbeziehung des sakralen Raumes. Dadurch kann der Sehnsucht Jugendlicher nach etwas Heiligem und nach spirituellen Erfahrungen Raum gegeben werden. Bis einzelne Kirchen zu einem Freiraum werden, in dem Jugendliche experimentieren können, muss aber jeweils ein intensiver Prozess stattfinden. Ideen der Jugendarbeit, Erwartungen der Gemeinde, äußere Notwendigkeiten, pädagogische und theologische Fragestellungen müssen miteinander bedacht und in Beziehung gesetzt werden, damit Freiraum zum Experimentieren entstehen kann.

Jugendkirche: Konzeptionelle Ausrichtung auf den sakralen Raum.

Jugendgemeinde: Ursprung in einem Jugendgottesdienst. Ausgehend von der regelmäßigen Gestaltung eines Gottesdienstes bilden sich Formen der Gemeinschaft und der Mitarbeit.

Jugendgemeindepflanzung: Evangelistisch-missionarische Gemeindegründung in einer bestimmten Jugendszene.

Jugendkirche auf Zeit

Eine Anfrage, die immer wieder an die Jugendkirchen herangetragen wird, lautet: Das sei doch nur in einer Stadt mit mehreren Kirchen denkbar, dass eine Kirche dauerhaft als Jugendkirche zur Verfügung gestellt wird. Die herausragenden und oft beschriebenen Jugendkirchen-Projekte wie LUX, die evangelische Junge Kirche Nürnberg, oder JONA, die katholische Jugendkirche Frankfurt, legen diese Folgerung nahe.

Doch die Entwicklung der Stuttgarter Jugendkirche hin zum Stuttgarter Jugendfestival gibt eine Richtung an, die auch für kleinere Städte oder Distriktgemeinden eingeschlagen werden könnte. Beim Stuttgarter Jugendkirchenfestival wird die Martinskirche zeitlich begrenzt für 8 Wochen zwischen Palmsonntag und Pfingsten zur Jugendkirche umgestaltet. Wenn man diese zeitliche Flexibilisierung konsequent weiterdenkt, kann man auch zu weiteren flexiblen Lösungen kommen.

Hans Hobelsberger beschreibt bei den katholischen Jugendkirchenmodellen folgende Schwerpunktsetzung und trifft eine Unterscheidung zwischen drei Modellen: „Die sichtbarste Ausprägung des Raumkonzepts erfährt Jugendkirche in architektonisch erkennbaren Kirchen, die ‚Kirche‘ im klassischen Sinn sind. […] Wir können hier wiederum unterscheiden zwischen:

Jugendkirchen, die eine Kirche als dauerhaften und stabilen Ort haben, der entweder ganz Jugendkirche ist oder mit einer Gemeinde geteilt wird.

Jugendkirchen, die einen stabilen Ort haben, die diese Kirche aber nur zeitlich begrenzt (Projektzeitraum) als Jugendkirche gestalten.

Jugendkirchenprojekte, die Kirchen örtlich und zeitlich flexibel für die Arbeit mit jungen Menschen nutzen.“3

Erste Anfänge einer zeitlich begrenzten Nutzung von Kirchen durch die Jugendarbeit sind im Umfeld von „ChurchNight“, der Kampagne des ejw zur Feier des Reformationstages, zu beobachten. Was hier am Abend und in der Nacht des 31. Oktober gelingt, könnte ausgeweitet und auf andere kirchliche Festtage übertragen werden. Das Stuttgarter Jugendkirchenfestival findet seinen Höhepunkt in der Feier der Pfingstnacht. Auch dadurch wird ein kirchliches Fest, das in der Öffentlichkeit immer mehr an Bedeutung verliert, in den Mittelpunkt gerückt.

Zum Weiterdenken

Von einer Jugendkirche auf Zeit könnten verschiedene inhaltliche Impulse für die Jugendarbeit ausgehen. Das Kirchenjahr und die damit verbundenen Inhalte spielen in der Jugendarbeit aktuell kaum eine Rolle. Die Verbindung von Kirchenraum und Kirchenjahr wie sie am Reformationstag und in der Pfingstnacht schon erprobt wurden, könnte auch auf andere kirchliche Festtage übertragen werden. Wenn eine Jugendkirche z.B. in der Passionswoche beginnt und mit der Feier der Osternacht endet, könnte das dazu beitragen, dass zentrale Inhalte der christlichen Verkündigung, die durch das Kirchenjahr mit kirchlichen Feiertagen verbunden sind, für Jugendliche zugänglich werden.

Wünsche

Ich entdecke in diesem Magazin vor allem eines: Die Lust daran, Kirchenräume anders zu bespielen, biblische Worte überraschend ins Gespräch zu bringen und dadurch neue Sichtweisen und Glaubenserfahrungen zu ermöglichen.