Jules Vernes Kapitän Nemo - Neue Abenteuer 06: Die Station unter dem Eis - Alfred Wallon - E-Book

Jules Vernes Kapitän Nemo - Neue Abenteuer 06: Die Station unter dem Eis E-Book

Alfred Wallon

0,0
3,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Pieter de Bruyn und seine Kumpane sind Gefangene der Lemurer. Sie versuchen zu fliehen, wissen jedoch nicht, dass eine unbekannte Seuche unter den Lemurern ausgebrochen ist, die rasch um sich greift. Die Printausgabe des Buches umfasst 184 Seiten. Die Exklusive Sammler-Ausgabe als Taschenbuch ist nur auf derVerlagsseite des Blitz-Verlages erhältlich!!!

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Alfred WallonDIE STATION UNTER DEM EIS

In dieser Reihe bisher erschienen

1701 Tötet Nemo!

1702 Das Vermächtnis der Eissphinx

1703 Der Gott von Amazonien

1704 Krakatau stirbt

1705 Kurs auf die Kokos-Inseln

1706 Die Station unter dem Eis

Alfred Wallon

Die Station unter dem Eis

Neue Abenteuer der NautilusBand 6

Diese Reihe erscheint als limitierte und exklusive Sammler-Edition!Erhältlich nur beim BLITZ-Verlag in einer automatischen Belieferung ohne ­Versandkosten und einem Serien-Subskriptionsrabatt.Infos unter: www.BLITZ-Verlag.de© 2022 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 WindeckRedaktion: Jörg KaegelmannTitelbild: Mario Heyer/123RFUmschlaggestaltung: Mario HeyerLogo: Mark FreierSatz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-95719-970-6Dieser Roman ist als Taschenbuch in unserem Shop erhältlich!

Prolog

8. September 1883

In der lemurischen Station auf North Keeling

Am frühen Morgen gegen 6.00 Uhr

An der Decke des kahlen Raums ertönte ein leises Geräusch, das Pieter de Bruyn nicht genau identifizieren konnte. Es reichte jedenfalls aus, um ihn aus dem Schlaf zu reißen. Wobei man von Schlaf eigentlich schon seit Tagen nicht mehr reden konnte. Er war innerlich viel zu aufgewühlt über das, was man mit ihm und den anderen Männern gemacht hatte.

Waren es jetzt schon vier Tage, seitdem man sie in dieses Gefängnis gesperrt und einfach ihrem Schicksal überlassen hatte? De Bruyn wusste es nicht genau. In dieser ungewohnten Umgebung verstrich die Zeit so quälend langsam, dass es ihm schon viel länger vorkam. Und währenddessen war sein Gegner Nemo wahrscheinlich schon längst unterwegs zu einer neuen Expedition. Allein dieser Gedanke reichte schon aus, um ihn wieder wütend werden zu lassen. Das bedeutete unkontrollierbare Ausbrüche, lautes Schimpfen und pure Aggression, auch wenn ihm bewusst war, dass dies nichts an seiner augenblicklichen Situation änderte.

Seine Kumpanen schienen damit besser klarzukommen als er selbst. Sie hockten seit ihrer ­Gefangennahme mehr oder weniger apathisch in einer Ecke des Raums, starrten vor sich hin und erwachten aus dieser Starre immer nur dann, wenn man ihnen etwas zu essen brachte. Sie stellten auch keine Fragen, sondern schlangen einfach alles hinunter wie Tiere, die sich ihren Peinigern längst ergeben hatten.

De Bruyn hatte für Budak und die anderen Männer nur noch Verachtung übrig. Er selbst war immer noch weit davon entfernt, dieses Schicksal zu akzeptieren. Alles in ihm bäumte sich auf bei dem Gedanken, dass er alles nur Nemo zu verdanken hatte. Nemo, dieser gerissene Hund, der jeden von de Bruyns Schritten längst erkannt und deshalb am längeren Hebel gesessen hatte. Und was noch schlimmer war, offenbar hatte er einen Pakt mit den Lemurern geschlossen und besaß jetzt das Wissen, was de Bruyn für sich hatte nutzen wollen. Ausgetrickst hatte man ihn, und zwar auf ganz hinterhältige Weise!

Dass diese Männer in den glänzenden Anzügen keine normalen Menschen waren, hatte de Bruyn längst begriffen. Ebenso die Tatsache, dass sie wohl zu einer weiteren Station gehörten, die sich hier befinden musste. Genauer gesagt unterhalb des North Keeling Atolls. Also stimmten die Vermutungen, die er bereits gehabt hatte, nachdem er sich mit dem Kartenmaterial schon vorher ausführlich beschäftigt hatte. Zu einer Zeit, als er noch nichts von der Existenz der Nautilus gewusst hatte.

Jetzt hatte er nicht nur seine ganzen Aufzeichnungen und Karten verloren, sondern musste nach Lage der Dinge davon ausgehen, dass es Nemo in der Zwischenzeit gelungen war, weitere Erkenntnisse zu gewinnen. Wie es diesem verfluchten Hund gelungen war, ein Bündnis mit dem Lemurern zu schließen, wusste er nicht. Und selbst wenn er das gewusst hätte, dann hätte das nichts an der Lage geändert, in der er sich jetzt befand.

Wenn es etwas gab, das de Bruyn niemals akzeptieren konnte, dann war es eine Niederlage, mit der er nicht gerechnet hatte. So kurz vor dem Ziel war er gewesen, und dann hatte Nemo alle Pläne und Hoffnungen zerstört. Das war mehr, als de Bruyn ertragen konnte, und deshalb wurde er mit jedem Tag und jeder weiteren Stunde immer verbitterter, bis irgendwann der Zeitpunkt kam, an dem er wahnsinnig wurde. Aber soweit war es noch nicht, und de Bruyn war dankbar dafür, dass er trotz aller Wutanfälle noch immer klar denken konnte. Was nicht unbedingt auf Budak und die anderen Männer zutraf.

Einer von ihnen hatte es nicht geschafft. Bereits nach zwei Tagen hatte er aufgegeben und sich selbst schwere Verletzungen zugefügt, indem er mit dem Kopf immer wieder gegen eine der Wände gerannt war. Dabei hatte er geschrien wie ein Tier, und ­niemand hatte ihn davon abgehalten. Budak und die anderen Männer hatten nur teilnahmslos zugesehen, und de Bruyn selbst war es egal, was mit dem Mann geschah, denn er hatte längst begriffen, dass er trotz seiner Mitgefangenen völlig auf sich allein gestellt war.

Erst eine Stunde, nachdem der blutende Mann seine Selbstverstümmelung beendet hatte, waren zwei Lemurer aufgetaucht. Sie hatten den Stöhnenden gepackt und mitgenommen, und seitdem hatten weder de Bruyn noch einer der anderen Männer jemals wieder etwas von ihm gehört. Wahrscheinlich lebte er schon längst nicht mehr, und er hatte nur die Entscheidung über seinen Tod selbst bestimmt. Vielleicht würden ihm alle anderen auch schon bald folgen.

„Nein“, murmelte de Bruyn. „So weit wird es nicht kommen.“

Er schaute dabei hinüber zu Budak. Täuschte er sich, oder hatte er gerade bemerkt, dass Budaks Blick ihm etwas signalisieren wollte?

„Ich bringe diese Bastarde alle um“, murmelte Budak mit krächzender Stimme. Auch wenn das nur eine bloße Wunschvorstellung war, so signalisierte das de Bruyn dennoch, dass Budak wohl noch nicht aufgegeben hatte. Dabei wirkte er immer noch sehr schwach, denn er hatte noch Schmerzen wegen der Wunde in seiner Schulter. Einer von Nemos ­Männern hatte auf ihn geschossen und so verhindert, dass Budak sein Gewehr benutzen konnte. Aber jetzt schien es ihm wieder etwas besser zu gehen, nachdem sich die Lemurer um ihn gekümmert und seine Verletzung behandelt hatten.

„Das will ich auch“, erwiderte de Bruyn. „Wir müssen auf jeden Fall hier raus. Egal wie.“

„Wie soll das denn möglich sein?“, antwortete Budak mit gepresster Stimme. „Wir haben weder Waffen, noch wissen wir überhaupt etwas darüber, wo wir eigentlich genau sind.“

„In einem Gefängnis“, sagte de Bruyn. „Wo denn sonst? Es spielt keine Rolle, wie gut es gesichert ist, aber es muss irgendwo eine Schwachstelle geben. Und die müssen wir finden. Sonst werden wir hier alle sterben.“

„Ich verstehe immer noch nicht, was das alles zu bedeuten hat“, sagte Budak. „Diese Männer in ihren glänzenden Anzügen … woher kommen sie? Das sind doch keine Menschen.“

De Bruyn wollte Budak gerade sagen, dass er das ohnehin nicht verstehen würde, weil er nur ein schlichter Mensch mit einem begrenzten Auffassungsvermögen war, aber dann verkniff er sich diese Bemerkung wieder. Vielleicht war er noch auf Budak und seine Kumpane angewiesen, um von hier zu entkommen. Denn genau das hatte de Bruyn vor, auch wenn dieser Gedanke bis jetzt nur ein frommer Wunsch geblieben war.

Plötzlich gerieten die Dinge wieder in Bewegung. Die Tür öffnete sich wie von Geisterhand, als wenn irgendjemand von außen einen verborgenen Mechanismus betätigt haben musste und damit die Öffnung auslöste. Es war auch keine Tür im herkömmlichen Sinne, sondern eher ein Teil in der Wand, der jetzt einen Zugang freigab.

Keiner der Gefangenen hatte bisher begriffen, wo so etwas möglich sein konnte, denn diese Tür war so gut wie unsichtbar. Erst wenn man direkt vor der betreffenden Stelle stand und mit seinen Fingern danach tastete, konnte man die winzige Unebenheit in der ansonsten völlig glatten Wand finden. Aber das war nur ein Rätsel von vielen anderen, die die Männer mit jedem weiteren Tag immer mehr verunsicherten, denn die neue Umgebung erschien ihnen wie eine völlig neue Welt, deren Regeln und Gesetze sie noch immer nicht begriffen hatten. Sie wussten nur eins, wenn sie nicht endlich etwas unternahmen, dann würden sie bis zum Ende ihrer Tage hier ausharren müssen. In völliger Isolation und auf Gedeih und Verderb den Launen ihrer Bewacher ausgeliefert!

Nur wenige Sekunden später betraten wieder zwei Männer den Raum. In ihren Händen hielten sie die Waffen, die de Bruyn und seine Helfershelfer schachmatt gesetzt hatten. Und in den Mienen dieser Männer war eine eindeutige Drohung zu erkennen. Sie würden von diesen Waffen sofort Gebrauch machen, wenn ihre Gefangenen auch nur versuchten, Widerstand zu leisten.

Budak und die anderen Männer blieben in der Ecke hocken. Sie hatten Angst, das konnte man ihnen ansehen. De Bruyn jedoch nahm sich zusammen und versuchte, ruhig zu bleiben, obwohl ihm in diesem Augenblick natürlich ebenfalls alle möglichen Gedanken durch den Kopf gingen.

Die beiden bewaffneten Wächter verharrten auf der Stelle und hielten ihre Waffen auf die Gefangenen gerichtet. Dann kam ein dritter Mann in den Raum. Er war ebenfalls bewaffnet, blieb aber auf Abstand und musterte de Bruyn und dessen Leute mit einer Mischung aus Abscheu und Verachtung. Auch er schwieg, während ein weiteres Geräusch an die Ohren der Gefangenen drang. Es war de Bruyn mittlerweile vertraut, auch wenn er nicht begriff, wie das funktionierte.

In der Decke des Raums öffnete sich eine Luke, und kurz darauf senkte sich etwas herab. Es war eine kleine quadratische Plattform, auf der sich Lebensmittel und etwas zu trinken befanden. Das war die tägliche Versorgung der Gefangenen. Einmal am Tag geschah das, ansonsten ließ man sie völlig allein. Für ihre natürlichen Bedürfnisse gab es eine verwinkelte Ecke am anderen Ende des Raums. Ansonsten gab es aber keinen Blick nach draußen oder geschweige denn in angrenzende Räume. Es blieb nur das Verweilen in dem großen kahlen Raum, verbunden mit dem Wissen, dass es von hier kein Entkommen mehr gab.

„Was habt ihr mit uns vor?“, wagte de Bruyn dennoch zu fragen. Er schaute dabei den dritten Lemurer an. „Wollt ihr uns hier bis zu unserem Tod festhalten?“

Der Lemurer schaute de Bruyn direkt an. In seinen Augen funkelte es kurz auf, bevor er das Wort an ihn richtete, und jeder seiner Sätze schien vorher genau überlegt zu sein. Seine Stimme klang ganz monoton, völlig ohne Emotionen, als wenn er nicht mit Menschen sprach, die auf seiner Entwicklungsstufe standen. Wenn man es genau nahm, dann stimmte das ja auch, aber de Bruyns Verstand weigerte sich dennoch, diese Betrachtungsweise zu akzeptieren.

„Ja“, sagte der Lemurer. „Ihr würdet nie unser Geheimnis wahren. Deshalb bleibt ihr hier. Wir werden euch versorgen. Wenn ihr euch fügt und unseren Befehlen gehorcht, dann werden wir euch den Zugang in die nächsten beiden Räume erlauben. Aber nicht weiter. Akzeptiert es, es gibt keinen anderen Weg.“

„Ihr glaubt also wirklich, dass euer Geheimnis gewahrt bleibt?“ De Bruyns Stimme klang bitter. „Das wird euch auf Dauer nicht gelingen. Jemand anderes wird herausfinden, dass es euer Volk noch gibt. Vielleicht nicht heute oder morgen. Aber die Welt da draußen entwickelt sich weiter.“

„Wir wissen das“, lautete die Antwort des Lemurers. Er ließ sich nicht anmerken, was er von de Bruyns Worten hielt oder ob sie ihn womöglich verunsichert hatten. „Aber ihr bleibt trotzdem hier. Das hat Callis befohlen. Und sein Befehl ist Gesetz.“

„Wer ist Callis?“, wollte de Bruyn wissen. „Ich will mit ihm sprechen. Sofort!“

Die letzten Worte hatte er etwas heftiger formuliert als er das eigentlich geplant hatte. Aber sie erreichten nicht ihre Wirkung, sondern eher das Gegenteil war der Fall. Der Lemurer, der hier das Sagen hatte, trat nun einen Schritt auf de Bruyn zu, zog seine Waffe und zielte damit auf ihn.

„Du hast keine Forderungen zu stellen!“, sagte er mit einer Schärfe in der Stimme, die de Bruyn zusammenzucken ließ. „Callis ist nicht hier. Es wird lange dauern, bis er wieder zurückkommt. Und mindestens genauso lange werdet ihr hierbleiben müssen, bis die endgültige Entscheidung gefallen ist.“

De Bruyn überlegte einen kurzen Moment, bevor er wieder etwas sagte. Innerhalb von wenigen Sekunden gingen ihm alle möglichen Gedanken durch den Kopf. Gedanken, die sich ausschließlich um Nemo und die Nautilus drehten. Weil er jetzt glaubte, den Grund dafür zu kennen, dass dieser Callis nicht anwesend war.

„Er ist bei Nemo auf der Nautilus, nicht wahr?“, fragte de Bruyn. „Ist es das, was ihr Geheimnis wahren nennt?“ Er spuckte wütend aus. „Uns sperrt ihr hier ein, und mit Nemo schließt ihr einen Pakt. Wer sagt euch denn, dass er euch nicht auch hintergeht? So wie er es auch mit mir und meinen Leuten gemacht hat? Ich habe ihm das Leben gerettet, als er beim Vulkanausbruch in tödliche Gefahr geriet. Ich möchte wetten, dass er das nicht gesagt hat, oder?“

Täuschte er sich, oder glaubte er tatsächlich, gerade ein nervöses Flackern in den Augen des Lemurers erkannt zu haben? Mehr brauchte de Bruyn nicht zu wissen, um daraus die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen.

„Er hat uns als Diebe und Verbrecher bezeichnet, nicht wahr?“, fuhr er ungerührt fort. „Ich weiß nicht, wie ihr über Menschen urteilt, die ihr nicht kennt. Aber ich glaube, dass es wichtig ist, beide Seiten zu hören, bevor man sich eine Meinung bildet. Ich bin Pieter de Bruyn. Ich betreibe in Batavia mehrere Geschäfte und besitze auch eine Schiffslinie. Ich wusste lange vor Nemo, dass es Hinweise auf eure Existenz gibt, und ich wollte mehr darüber wissen.“

Der Lemurer hörte ihm zu, ließ aber nicht erkennen, was er davon hielt.

„Ich bin kein Verbrecher“, fuhr er fort. „Ich wollte mir nur zurückholen, was mir gehört. Nicht ich bin der Dieb, sondern Nemo ist es. Oder wie ­bezeichnet ihr einen Mann, der einem anderen etwas wegnimmt, was sehr wertvoll ist?“

„Callis wird darüber ein Urteil fällen, wenn er wieder zurück ist“, sagte der Lemurer und deutete de Bruyn mit einer kurzen Handbewegung an, dass er nicht mehr länger gewillt war, sich diese Beschuldigungen anzuhören. „So lange werdet ihr hierbleiben.“

„Wie lange?“, versuchte es de Bruyn nochmals. „Tage, Wochen oder gar Monate?“

„Bis Callis wieder zurück ist“, lautete die Antwort des Lemurers. „Es liegt nun an euch. Findet euch damit ab, und es wird keine Schwierigkeiten geben. Und was denjenigen angeht, der sich selbst verletzt hat, er ist tot.“

„Ihr habt ihn auf den Gewissen!“, schnaufte de Bruyn und ballte wütend beide Fäuste zusammen. Auch Budak blickte zornig drein. Seine Kumpane dagegen nahmen das nur beiläufig wahr. Sie wirkten völlig apathisch.

Falls de Bruyn darauf gehofft hatte, dass der Lemurer dazu etwas sagte, dann war es eine vergebliche Hoffnung. Der Lemurer wandte sich einfach ab und verließ den Raum wieder. Die anderen beiden Bewaffneten folgten ihm Sekunden später, und hinter ihnen schloss sich die Öffnung wieder.

Erst jetzt regten sich Budaks Kumpane. Zwei von ihnen näherten sich der Plattform, auf der sich die Lebensmittel befanden, griffen hastig zu und schlangen das Essen so rasch hinunter, als handele es sich um ihre eigene Henkersmahlzeit. Da begriffen die übrigen Männer wieder, dass sie sich beeilen mussten, um auch noch etwas abzubekommen. Für kurze Zeit entstand Unruhe im Raum. Bis zu dem Moment, als de Bruyn sich einmischte und den Gierigsten zwei Fußtritte verpasste, die sie erschrocken aufschreien ließen.

„Hirnlose Idioten seid ihr!“, fuhr er sie an und hob drohend die rechte Faust. „Ihr benehmt euch noch schlimmer als Tiere. Habt ihr denn immer noch nicht begriffen, dass wir alle aufeinander angewiesen sind?“

Die beiden Halunken, die sich zuerst auf das Essen gestützt hatten, blickten ihn verständnislos an. Erst Budak musste sich einmischen, um seine Kumpane zur Vernunft zu bringen.

„Er hat recht“, sagte er zu ihnen. „Wenn wir von hier wegkommen wollen, dann schaffen wir das nur gemeinsam. Versteht ihr das? Wir teilen jetzt die Lebensmittel vernünftig auf. Jeder bekommt den gleichen Anteil. Und wenn einer von euch noch ein einziges Mal versucht, das zu ändern, dann bekommt er es mit mir zu tun!“ Sein Blick richtete sich dabei auf die beiden Männer, die sich als erste auf das Essen gestützt hatten. „Denkt noch nicht einmal daran!“, fuhr er mit warnendem Ton fort. „Ihr ­werdet sonst keinen ruhigen Schlaf mehr finden. Glaubt ja nicht, dass ich so schwach bin, wie es aussieht. Im Schlaf kann ich immer noch einen von euch erwürgen.“

Budak genoss unter seinen Kumpanen offensichtlich einen besonders rücksichtslosen Ruf, und so hatte seine Drohung auch eine entsprechende Wirkung. Die Männer verhielten sich auf einmal ganz zahm.

„Na also“, murmelte Budak und schaute dabei zu de Bruyn. „Warum denn nicht gleich so?“

„Ich muss mit dir reden, Budak“, sagte de Bruyn zu ihm und winkte ihm zu. Der Malaie nickte nur und gesellte sich dann zu ihm. „Ich sehe, dass du nachzudenken beginnst. Wir sollten planen, wie wir aus dieser Falle so schnell wie möglich rauskommen.“

„Aber wie soll das denn …?“, wollte Budak sagen, aber de Bruyn gebot ihm mit einer kurzen Geste zu schweigen und ergriff stattdessen wieder das Wort.

„Das muss alles sorgfältig geplant werden, Budak“, sagte de Bruyn. „Ich weiß zwar noch nicht, wie sie das überhaupt machen. Aber ich spüre irgendwie, dass sie uns rund um die Uhr von irgendwoher beobachten und alles mitbekommen, was wir hier machen. Also sprechen wir am besten ganz leise. Ich will auf Nummer Sicher gehen.“ Er senkte seine Stimme, sodass nur Budak hören konnte, was er sagte. „Sprich mit den anderen, aber so, dass es nicht auffällt. Sie sollen sich bereithalten. Wir werden einen Ausbruch versuchen. Du hast doch gesehen, dass sie gekommen sind, um diesen Idioten zu holen, der sich selbst den Schädel eingeschlagen hat. Das werden sie sicher auch tun, wenn sich einer von uns ganz plötzlich ganz übel fühlt. Derjenige wirst du sein, Budak.“

„Aber wie … wie soll das denn gehen?“, fragte dieser.

„Habe ich dich doch überschätzt?“, brummte de Bruyn. „Deine Schulterwunde schmerzt doch noch ein wenig, oder?“ Er sah, wie Budak nickte. „Na also. Dann wirst du in der kommenden Nacht Fieber bekommen. Einen schlimmen Rückfall, wenn man so will. Deshalb müssen sie kommen, um nach dem Rechten zu schauen. Und wenn sie dann soweit abgelenkt sind, dann schlagen wir zu. Wir müssen sie überwältigen, um an ihre Waffen zu kommen. Und anschließend schießen wir uns den Weg frei.“

De Bruyn bemerkte, dass Budak zögerte. Er schien wohl gewaltige Angst vor den unheimlichen Waffen zu haben. Und das konnte man ihm ansehen.

„Willst du, dass wir hier alle langsam verrecken?“, fragte de Bruyn bewusst provokant. „Ich jedenfalls nicht. Was ist jetzt? Kann ich auf dich und deine Leute zählen?“

„Ja“, murmelte Budak schließlich nickend.

„Gut“, sagte de Bruyn. „Dann startet die Sache also in dieser Nacht.“

Kapitel 1 – Der große Graben

8. September 1883

Im Pazifischen Ozean

Hundert Meilen nordöstlich der Philippinen

Am Nachmittag gegen 16.00 Uhr

Callis runzelte die Stirn, als er einen Blick auf die alten Karten warf, die Nemo vor ihm auf dem Tisch seines Quartiers ausgebreitet hatte. Er beobachtete den Lemurer, wie er die Karte schon zum wiederholten Mal studierte und dabei die Stirn runzelte. Bis jetzt hatte Callis immer noch darüber geschwiegen, welche Funktion die geheimnisvolle Station unter dem Eis eigentlich hatte. Er hatte stattdessen nur vage Andeutungen gemacht, aus denen der Kapitän der Nautilus nicht schlau wurde. Aber es gab ihm schon zu denken, dass Callis mit der Wahrheit und weiteren Informationen immer noch zögerte. Nemo schloss daraus, dass es wirklich ein ernsthaftes Pro­blem gegeben haben musste und dass Callis mit jedem weiteren Tag immer unruhiger wurde und diese Nervosität vor ihm und den anderen Besatzungs­mitgliedern des Unterseebootes nur noch schwer verbergen konnte.

Vier Tage waren jetzt vergangen, seit die Nautilus die Kokos-Inseln verlassen hatte. Allmählich hatte sich das Misstrauen der anderen Männer an Bord gelegt. Sie hatten die neue Situation akzeptiert und arbeiteten auch mit den Lemurern zusammen. Auch ein Mann wie Nemo, der als einziger an Bord eine wissenschaftliche Ausbildung absolviert hatte, befand sich noch weit entfernt von dem Wissensstand, den Callis und seine Leute besaßen. Trotzdem hatte sich Nemo in dieser Zeit bemüht, die Funktionsweise der Geräte zu verstehen, die die Lemurer mit an Bord gebracht hatten, und seitdem war er aus dem Staunen nicht mehr herausgekommen. Das Wissen, das dieses Volk besaß, war immens hoch im Vergleich zu den übrigen Menschen dieser Welt.

Aber nach wie vor war das Rätsel immer noch nicht gelöst, warum der Kontakt zu den einzelnen Stationen untereinander abgebrochen war. Auf diese Frage hatte auch Callis bisher noch keine Antwort gewusst, und das gefiel Nemo nicht. Wie groß war die Gefahr eigentlich, auf die sie jetzt blind zusteuerten? Befand sich hoch im Norden unter Umständen eine Bedrohung, die die gesamte menschliche Welt in Gefahr brachte? Nemo wünschte, er hätte jetzt und hier schon eine Antwort darauf gewusst, dann wäre ihm wohler gewesen.

---ENDE DER LESEPROBE---