Jules Vernes Kapitän Nemo - Neue Abenteuer 07: Der Tiger von Batavia - Alfred Wallon - E-Book

Jules Vernes Kapitän Nemo - Neue Abenteuer 07: Der Tiger von Batavia E-Book

Alfred Wallon

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Beschreibung

Nach den Ereignissen in der Station unter dem Eis hat die Nautilus wieder Kurs in Richtung Batavia aufgenommen, weil einige Medikamente an Bord ergänzt werden müssen. In Batavia hat sich jedoch viel verändert. Der Chinese Wang Hu hat die Geschäfte des Holländers Pieter de Bruyn übernommen. Als er erfährt, dass Dr. Vandersteen zurück in Batavia ist, lässt er ihn gefangen nehmen. Von ihm will er erfahren, was mit de Bruyn geschehen ist. Kapitän Nemo und seine Mannschaft versuchen, Dr. Vandersteen zu befreien. Der machtgierige Wang Hu muss unbedingt aufgehalten werden. Die Printausgabe des Buches umfasst 204 Seiten. Die Exklusive Sammler-Ausgabe als Taschenbuch ist nur auf der Verlagsseite des Blitz-Verlages erhältlich!!!

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Alfred WallonDER TIGER VON BATAVIA

In dieser Reihe bisher erschienen

1701 Tötet Nemo!

1702 Das Vermächtnis der Eissphinx

1703 Der Gott von Amazonien

1704 Krakatau stirbt

1705 Kurs auf die Kokos-Inseln

1706 Die Station unter dem Eis

1707 Der Tiger von Batavia

Alfred Wallon

Der Tiger von Batavia

Neue Abenteuer der NautilusBand 7

Als Taschenbuch gehört dieser Roman zu unseren exklusiven Sammler-Editionen und ist nur unter www.BLITZ-Verlag.de versandkostenfrei erhältlich.Bei einer automatischen Belieferung gewähren wir Serien-Subskriptionsrabatt.Alle E-Books und Hörbücher sind zudem über alle bekannten Portale zu beziehen.© 2022 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 WindeckRedaktion: Jörg KaegelmannTitelbild: Mario Heyer/123RFUmschlaggestaltung: Mario HeyerLogo: Mark FreierSatz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-95719-967-6

Kapitel 1 – Das Verhör

15. September 1883

In einem Kerkergewölbe in Batavia

Gegen 18.00 Uhr, kurz vor Sonnenuntergang

„Wir müssen doch etwas tun, Kapitän“, murmelte der Matrose Jop und zerrte nun schon zum wiederholten Mal an den Stricken, mit denen man ihn gefesselt und vor wenigen Stunden hierhergebracht hatte. „Die können uns doch nicht einfach …“

„Ich weiß, Jop!“, fiel ihm der Kapitän der ­AMSTERDAM ins Wort. Auch ihn hatte man gefesselt und ohne Angabe von Gründen in diesen Kerker gebracht. Auch einige andere Besatzungsmitglieder harrten in den angrenzenden Räumen einem ungewissen Schicksal entgegen. Die Mauern waren so dick, dass kein Laut bis zu ihnen drang. Was in der Zwischenzeit mit den anderen Männern geschehen war, wusste Simons nicht. Aber er machte sich große Sorgen, weil er und Jop draußen auf dem Gang dumpfe Schritte vernommen hatten. Das war noch nicht lange her. Jemand hatte geflucht, dann war ein lauter gequälter Schrei zu vernehmen gewesen, und seitdem herrschte eine geradezu beängstigende Ruhe.

„Warum sagt man uns nicht, weshalb wir hier sind?“, fragte Jop und spuckte verächtlich aus. „Wir haben doch Rechte als niederländische Staatsbürger. Die können doch nicht einfach mit uns machen, was sie wollen!“

„Ich wünschte, es wäre anders“, erwiderte Kapitän Simons. „Aber es hat sich in der Zwischenzeit einiges getan, wie wir mittlerweile wissen. Vielleicht hätten wir die Zeichen rechtzeitig erkennen können, wenn wir nicht …“ Er brach ab, schüttelte stumm den Kopf und seufzte. „Es bleibt uns nichts anderes übrig, als Geduld zu haben. Man wird uns die Wahrheit sagen, warum wir in diesem Kerker hocken. Schließlich haben wir keine Verbrechen begangen.“

„Das sehen die Wärter aber ganz anders, Kapitän“, meinte Jop. „Wenn Blicke hätten töten können, dann wären wir schon lange nicht mehr am Leben. Woher kommen eigentlich all diese Chinesen?“

Kapitän Simons wünschte, er hätte eine Antwort darauf gewusst. Er hatte jedoch schon gemerkt, dass sich seit der Rückkehr des Frachtschiffes ­AMSTERDAM im Hafen von Sangiang einiges verändert hatte. Claas van Leuwen, der Hafenmeister, war von einem Chinesen namens Chang abgelöst worden, und der hatte sich dem Kapitän gegenüber als sehr abweisend verhalten. Bei der Kontrolle der Fracht hatte Chang darauf bestanden, alles doppelt zu überprüfen, und als er endlich seine Arbeit beendet hatte, waren kurz darauf mehrere bewaffnete Männer aufgetaucht. Es waren Chinesen, und sie hatten unter Androhung von Gewalt die gesamte Besatzung einfach mitgenommen. Das war vor zwei Tagen gewesen, und seitdem harrten Simons und seine Besatzung hier unverrichteter Dinge aus.

Die bedrohliche Situation und das Wissen, dass sie jemandem ausgeliefert waren, den sie noch gar nicht zu Gesicht bekommen hatten, bereitete ihnen große Sorgen. Jemand musste doch hinter dieser gewalt­samen Entführung stecken. Etwas anderes war das für Kapitän Simons nämlich nicht.

„Es kann nichts mit dem Massaker zu tun haben, das vor über hundert Jahren stattfand“, meinte Jop. „Das ist doch viel zu lange her. Und doch …“

„… könnte der Gedanke gar nicht so abwegig sein“, vollendete Simons die Gedankengänge seines Matrosen. „So etwas wird für immer mit der Geschichte von Batavia und Niederländisch-Indien verbunden sein.“

Simons hatte darüber viel gelesen und wusste deshalb Bescheid. Im Jahr 1740 war es zu Unruhen in der chinesischen Bevölkerung gekommen, die sich von der niederländischen Kolonial­verwaltung unterdrückt fühlte. Zudem war der Zuckerpreis deutlich gesunken, und das führte zu weiteren Problemen auf ganz Java. Der Generalgouverneur Adriaan ­Valckenier hatte damals entschieden, dass jeder Aufstand mit tödlicher Gewalt beantwortet werden würde. Am 7. Oktober hatten ­niederländische Truppen schließlich das Chinesenviertel von Batavia gestürmt, sämtliche Waffen konfisziert und schließlich eine Ausgangssperre für den gesamten Bezirk verhängt. Dabei war es zu Zusammenstößen mit mehreren hundert Chinesen und dem Tod von 50 Soldaten gekommen. Zwei Tage später führten Gerüchte über chinesische Grausamkeiten dazu, dass andere Bevölkerungsgruppen Batavias chinesische Häuser angriffen und viele von ihnen entlang des Flusses Besar niederbrannten. ­Niederländische Soldaten begannen darüber hinaus damit, die Chinesen­viertel aus Kanonen zu beschießen.

Die Gewalt breitete sich schnell über ganz Batavia aus. Obwohl Valckenier am 11. Oktober eine General­amnestie für alle bisher begangenen Gewaltverbrechen aussprach, hielt diese innerhalb der Stadt bis zum 22. Oktober an, als der Generalgouverneur die gewaltsame Niederschlagung jeglicher Unruhen durch die eigenen Truppen anordnete. Außerhalb der Stadt kam es weiterhin zu gewaltsamen Konflikten zwischen niederländischen Soldaten und den Arbeitern chinesischer Zuckerfabriken, die nach einigen Wochen noch einen letzten Höhepunkt fanden, als die Soldaten chinesische Widerstandsnester angriffen.

Im folgenden Jahr lösten die sich über ganz Java ausbreitenden Übergriffe auf Chinesen einen zweijährigen Krieg aus, in dem ethnische Chinesen und Javanesen gegen die niederländische Kolonialmacht und mit ihnen verbündete Bevölkerungsteile kämpften. Valckenier wurde im Nachgang der Massaker in die Niederlande zurückbeordert und dort wegen Verbrechen in Zusammenhang mit den Ausschreitungen vor Gericht gestellt.

„Glauben Sie, dass der Wunsch nach Rache bei den Chinesen über 140 Jahre anhält, Kapitän?“, fragte Jop, der diesen dunklen Punkt in der niederländischen Kolonie natürlich auch kannte. „Und vor allen Dingen, Was haben wir damit zu tun?“

Simons wollte gerade etwas dazu sagen, brach dann aber mitten im Satz ab, als er Schritte hörte, die sich der Tür des Kerkers näherten. Wenige Augenblicke später wurde die massive Eisentür geöffnet, und mehrere Männer traten ein. Sie sagten kein einziges Wort, sondern gingen sofort zu den beiden Gefangenen und lösten ihre Fesseln. Der winzige Hoffnungsschimmer, der Jop und den Kapitän erfasst hatte, war nicht von langer Dauer, als sie spürten, wie brutal die Männer mit ihnen umgingen. Sie rissen sie unsanft hoch und schlugen sie sofort, wenn sie nicht gehorchten.

„Ich möchte mit jemanden sprechen, der hier das Kommando hat!“, richtete Simons das Wort an einen der Männer, von dem er glaubte, dass er der Anführer war. Derjenige lächelte aber nur grimmig und spuckte verächtlich aus.

„Du hast hier nichts zu sagen“, war seine knappe, aber sehr deutliche Antwort. „Schweig, bis man dir erlaubt, zu sprechen!“

„Aber ich …“

Ein Schlag ins Gesicht ließ Kapitän Simons verstummten. Seine Oberlippe war aufgesprungen, und Blut trat hervor. Da wusste Simons, dass er und Jop diesen Männern vollkommen ausgeliefert waren. Er murmelte einen leisen Fluch und ließ es geschehen, dass man ihn und Jop einfach mitnahm. Der Weg führte über einen langen Gang und eine gewundene Treppe noch tiefer nach unten und endete schließlich in einem Raum, der von mehreren Fackeln erhellt war. Das flackernde Licht warf bizarre Schatten an die gewölbte Decke, während Simons und Jop weiter zu einer bestimmten Stelle gedrängt wurden, wo zwei breite Bänke standen. Man zwang sie, sich darauf­zulegen und fesselte sie sofort wieder. So fest, dass sie Arme und Beine nicht mehr bewegen konnten.

Währenddessen betrat ein Mann den Raum, dem man sofort ansehen konnte, dass er für alles verantwortlich war, was man mit Simons und der Mannschaft der AMSTERDAM während der letzten Stunden gemacht hatte. Das Alter des Chinesen ließ sich nur schwer schätzen. Er konnte fünfzig Jahre alt sein, aber vielleicht auch schon sechzig. Er war groß und schlank. Seine Haare trug er in einem ­geflochtenen Zopf, und der Kinnbart verlieh seinem ohnehin schon sehr strengen Gesichtsausdruck noch einen zusätzlichen brutalen Ausdruck. Mit dem Mann war nicht zu spaßen, das ahnte Simons bereits, bevor der Mann überhaupt ein einziges Wort von sich gegeben hatte.

„Sie sind hier, um Fragen zu beantworten“, sagte der Mann mit einer dunklen Stimme. „Ich bin sicher, dass wir schnell von Ihnen eine Antwort bekommen werden, Kapitän. Ihre Leute waren zwar geständig, aber es sind noch einige Fragen offengeblieben. Fragen, die eine Antwort erfordern.“

„Wer sind Sie?“, wagte es Simons zu fragen, obwohl er wusste, wie riskant das war. Einer der Männer trat sofort auf ihn zu und wollte ihm mit der Faust einen Schlag ins Gesicht versetzen, aber die strenge Stimme des Chinesen ließ ihn sofort innehalten. Der Mann befolgte diesen Befehl unverzüglich, verbeugte sich kurz und trat sofort wieder einen Schritt zurück.

„Mein Name ist Wang Hu“, sagte der Chinese in solch einem Ton, als würde sich ein Herrscher vorstellen. „Sie kennen mich nicht, aber ich weiß alles über Pieter de Bruyn und dessen Geschäfte. Sein unerklärliches Verschwinden machte es erforderlich, dass eine vorhandene Lücke wieder geschlossen werden musste. Ich habe diese Zeit genutzt, um die Geschäfte de Bruyns zu übernehmen.“

„Und was hat das mit uns zu tun?“, wollte Simons wissen. „Wenn Sie jetzt hier etwas zu sagen haben, dann müssten Sie doch wissen, dass wir ebenfalls für die Schiffslinie arbeiten, die de Bruyn gehörte. Behandelt man so die Leute, die für ihn gearbeitet haben?“

„Die Behandlung wird erst noch beginnen, Kapitän Simons“, erwiderte Wang Hu. „Und ich bin sicher, dass Sie danach reden werden. Aber es wäre in Ihrem Interesse, dass Sie und Ihr Matrose sich das ersparen. Sie halten das nicht durch, glauben Sie mir!“

Die Art und Weise, wie er das sagte, ließ Simons aufhorchen und hätte ihn eigentlich vor weiteren Konsequenzen warnen müssen. Aber Simons war innerlich viel zu aufgewühlt und nahm diese versteckte Drohung nicht so ernst, wie er es besser hätte tun sollen.

„Ich wüsste nicht, was ich Ihnen noch sagen sollte, was Sie nicht längst schon in Erfahrung gebracht haben“, sagte Simons mit gepresster Stimme.

Wang Hu erwiderte nichts darauf, sondern schaute zu seinen Leuten und vollzog dabei eine Geste. Daraufhin gingen zwei von ihnen in den hinteren Teil des Raums und holten etwas hervor, das weder Simons noch Jop sehen konnten, denn ihr Blickfeld war aufgrund der Fesseln sehr eingeschränkt. Dies verschlechterte sich noch, als die Männer daran gingen, auch die Köpfe der beiden Gefangenen mit einem Lederband mit der Bank so zu verbinden, dass weder Simons noch Jop sich bewegen konnten. Gleichzeitig wurde eine Vorrichtung direkt hinter ihren Köpfen aufgestellt, an der sich ein Gefäß befand.

„Ich frage Sie jetzt noch einmal, Kapitän“, richtete Wang Hu das Wort an ihn. „Was ist mit de Bruyn geschehen? Reden Sie jetzt, bevor Sie es bereuen!“

„Er hat mit einer Handvoll Männer die ­AMSTERDAM verlassen“, lautete die Antwort des Kapitäns. „Ich nehme an, das hat man Ihnen doch schon gesagt, oder?“

„Im Großen und Ganzen schon“, antwortete Wang Hu mit völlig gleichgültig klingender Stimme. „Aber ich will die Hintergründe wissen, warum er ausgerechnet zu diesem Atoll wollte. Und das noch zusammen mit einer Truppe von gedungenen Mördern. Wenn es jemand weiß, dann sicher Sie. Ich werde Ihnen helfen, dass Ihre Gedanken wieder klar werden.“

Während er das sagte, klatschte er kurz beide Hände zusammen, und seine Leute fassten das als Zeichen auf, den Prozess in Gang zu setzen. Sie öffneten den Verschluss des Behälters, und ganz langsam löste sich ein Tropfen Wasser aus dem Gefäß und tropfte Simons und Jop auf die Stirn. Im ersten Augenblick waren die beiden sehr überrascht, aber dann konnte sich der Matrose ein abfälliges Lachen nicht verkneifen. Auch Simons wusste nicht, was das zu bedeuten hatte, und sein Gesichtsausdruck war dementsprechend.

„Sie werden bald verstehen, was ich meine“, sagte Wang Hu. „Ich lasse Sie jetzt für zwei Stunden allein. Sie unterschätzen vermutlich die Wirkung eines einzigen Wassertropfens und was er auslösen kann, wenn er immer auf dieselbe Stelle Ihrer Stirn trifft, Kapitän. Wenn Sie Ihre Entscheidung revidieren, dann lassen Sie nach mir rufen. Meine Männer werden Ihre Schreie gewiss nicht überhören.“

Er wartete nicht ab, ob Simons und Jop darauf etwas erwidern wollten, sondern wandte sich einfach ab und verließ das Gewölbe wieder. Seine Männer folgten ihm wenige Augenblicke später, und dann waren die beiden Gefangenen allein.

*

„Die sind alle verrückt!“, keuchte Jop. „Soll das etwa eine Folter sein? Da lache ich nur drüber.“

Kapitän Simons dachte das eigentlich auch, aber seine Gedanken beschäftigten sich bereits damit, dass er gleich einen weiteren Tropfen Wasser abbekommen würde. Noch war die Kälte angenehm und zu Beginn sogar erfrischend, aber tief in seinem Verstand meldete sich etwas, was ihm Sorgen bereitete. Dieses Gefühl signalisierte ihm allmählich, dass das Aufprallen des kleinen Wassertropfens auf seiner Stirn ungewöhnlich laut war und ihn zu stören begann.

Er wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, seitdem man ihn und Jop hier festgebunden hatte. Er ertappte sich dabei, wie er versuchte, den Kopf wenigstens ein bisschen zu bewegen, damit das Wasser nicht immer dieselbe Stelle traf. Auch Jop schien ähnliche Gedanken zu haben, denn er murmelte mittlerweile einen leisen Fluch, den Simons trotzdem nicht überhört hatte.

„Bleib ruhig, Jop!“, redete Simons auf den Matro­sen ein. „Nicht durchdrehen. Darauf warten diese Schweine doch nur!“

„Mir … mir gefällt das nicht, Kapitän“, sagte Jop. „Es fängt an, unangenehm zu werden. Dabei ist es doch nur Wasser.“

„Es gibt keine Verletzungen durch Wasser“, erwiderte Simons. „Alles andere spielt sich nur in unseren Köpfen ab. Denk einfach nicht daran, dass Wasser auf deine Stirn tropft. Denk einfach an etwas anderes. Hast du verstanden, Jop?“

„Ja“, antwortete Jop. Simons konnte seinen Kopf nicht drehen, sonst wäre ihm sicherlich der verbissene Gesichtsausdruck des Matrosen aufgefallen. Im Gegensatz zu seinem Kapitän schien er diese Gelassen­heit nicht zu besitzen, auch wenn er ­äußerlich ein kräftiger und entschlossener Seemann war. Jetzt hatten diese Chinesen jedoch seine Achilles­ferse entdeckt, und das machte Jop zu schaffen. Mehr, als er zu Beginn gedacht hätte.

Simons wusste nicht, seit wann man sie schon im Gewölbe zurückgelassen hatte. Aber auch er wurde allmählich immer nervöser und begann zu fluchen. Nur eine weitere Stunde später wurde aus den Flüchen ein lauter Schrei, und Jop brüllte ebenfalls. Die beiden Männer reagierten voller Panik und bettelten förmlich darum, dass man endlich kam und sie von dieser Folter erlöste.

Trotzdem verging noch eine gefühlte Ewigkeit, bis sich schließlich jemand draußen vor der schweren Eisentür des Gewölbes bemerkbar machte und sie öffnete. Zuerst traten wieder vier schweigende und hasserfüllt dreinblickende Chinesen ein, dann folgte Wang Hu.

„Nehmt das Wasser weg!“, keuchte Jop. „Bitte!“

Wang Hu reagierte nicht auf die Bitte des Matrosen. Stattdessen richtete er seinen Blick auf Kapitän Simons.

„Wollen Sie das auch, Kapitän? Dann sagen Sie es. Ich höre!“

Die letzten Worte klangen wie ein Befehl, den man besser nicht missachtete. Deshalb war die Antwort des Kapitäns auch eindeutig und kam sofort.

„Ja“, fügte er mit krächzender Stimme hinzu. „Bitte tun Sie das.“

Zum ersten Mal schlich sich ein Lächeln in die bärtigen Gesichtszüge des Chinesen, als er diese Worte vernahm. Dann deutete er seinen Männern an, die Wassergefäße wegzunehmen. Erst dann wagten Jop und sein Kapitän aufzuatmen. Aber für wie lange?

„Sie wollten mir etwas erzählen, Kapitän“, sagte Wang Hu zu dem holländischen Seemann. „Ich höre Ihnen mit großem Interesse zu.“

Simons wusste, dass er nur diese eine Chance hatte. Und deshalb erzählte er dem Chinesen alles, was vor dem North Keeling-Atoll geschehen war. Er berichtete davon, wie die beiden Boote, in denen de Bruyn mit seinen Männern sich der Lagune genähert hatte, plötzlich zu wanken begannen und dann gekentert waren. Die Männer hatten sich zwar schwimmend an Land retten können, aber was dann geschehen war, hatten weder Kapitän Simons noch seine Leute erkannt.

„Und Sie wollten de Bruyn nicht retten?“, fragte Wang Hu. „Den Mann, der Sie und die gesamte Mannschaft bezahlt?“

„Ich wollte es ja, aber …“ Simons hielt einen Moment inne, weil er selbst die richtigen Worte finden musste. „Irgendetwas griff die AMSTERDAM von unter Wasser aus an“, erzählte er weiter. „Wir wussten nicht, was es war. Die Männer gehorchten nicht mehr. Ich wurde gezwungen, so schnell wie möglich die Rückfahrt anzutreten.“

„Ein unsichtbarer Angreifer und eine meuternde Mannschaft“, fasste Wang Hu das zusammen, was ihm Simons gerade erzählt hatte. „Und das soll ich Ihnen wirklich glauben?“

„Es ist aber die Wahrheit!“, rief Jop mit verzweifelter Stimme. „Ja, wir haben dem Kapitän nicht gehorcht. Aber wir hatten alle Angst um unser Leben. Das, was das Schiff gerammt hat, besaß eine gewaltige Kraft. Sie hätten es sehen müssen!“

„Interessant“, sagte Wang Hu und strich sich dabei über seinen Kinnbart. „Es sieht tatsächlich so aus, als wenn mit der Rückkehr de Bruyns wohl nicht mehr zu rechnen ist. Nun gut, das sind Fakten, über die ich mich sehr freue. Selbst wenn er wieder zurückkäme, würde er sofort erkennen, dass hier kein Platz mehr für ihn ist. Weder für ihn noch für die meisten anderen seiner Leute.“

„Und was bedeutet das?“, fragte Simons.

„Im Gegensatz zu den meisten Menschen habe ich das Massaker nicht vergessen, dem viele meiner Landsleute zum Opfer fielen. Sie wissen, wovon ich spreche?“

„Ja“, sagte Simons. „Aber was haben meine Leute und ich damit zu tun? Wollen Sie uns etwa für das verantwortlich machen, was vor über 140 Jahren geschah?“

„Sie sind Teil des Kolonialsystems. Jeder Einzelne von Ihnen“, sagte Wang Hu. „Alles läuft auf ­Unterdrückung und Ausbeutung hinaus. Darunter haben viele Menschen leiden müssen, und aus lauter Macht- und Profitgier wurden Menschen dafür grausam getötet. Glauben Sie wirklich, dass das jemals ein Chinese vergessen hat?“ Er lachte abfällig bei den letzten Worten und sprach dann weiter. „Rache ist immer gerecht, auch wenn sie manchmal erst sehr spät beginnt. Ihre Kolonialmacht wird das zu spüren bekommen, und zwar dort, wo es am empfindlichsten ist.“

„Sie wollen uns aus Batavia vertreiben?“ Simons wollte nicht glauben, was er gerade hörte. „Das wird Ihnen nicht gelingen. Das Einzige, was Sie damit erreichen, ist ein zweiter Krieg, und den werden zweifelsohne wir gewinnen.“

„Der Drache lebte schon, als Ihre Welt noch nicht existierte“, antwortete Wang Hu. „Unser Volk hat die Zeit genutzt, um alles für eine Rache vorzubereiten. Wir haben ja schon die Geschäfte von de Bruyn übernommen, ohne dass das überhaupt jemand bemerkt hat. An den entscheidenden Stellen sitzen Leute von uns. Und es gibt immer noch zwei Zauberworte, für die manche Menschen sehr empfänglich sind. Sie lauten Geld und Macht. Der eine oder andere Ihrer Landsleute hat dieses Angebot schon angenommen. Wir werden diese Kolonie mit jedem Tag immer ein weiteres Stück übernehmen. Und wer nicht gehorcht, der wird von hier verschwinden. Genau wie Sie!“

Er wartete einen kurzen Moment ab, um zu sehen, welche Wirkung seine Worte auf die beiden Gefangenen hatte. Wang Hu genoss es zu sehen, wie erschrocken Simons und Jop nun dreinblickten.

„Zucker war schon immer ein großer und bedeutender Faktor auf Java und den umliegenden Inseln“, sprach Wang Hu weiter. „Hunderte meiner Landsleute haben sich der Macht der Kolonie gebeugt und jahrelang für einen Hungerlohn von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang geschuftet. Nun werden Sie das für das chinesische Reich tun, und zwar unter schlimmeren Bedingungen als vor über 140 Jahren. Dann werden Sie begreifen, was es bedeutet, ein ganzes Volk zu unterdrücken. Bis man am anderen Ende der Welt von diesen Veränderungen erfährt, haben wir längst unsere Macht in Batavia und in der gesamten Kolonie ausgebaut. Es wird dann keine niederländische Kolonie mehr sein, sondern eine Provinz des chinesischen Reiches.“

„Sie sind wahnsinnig!“, stieß Simons mit gepresster Stimme hervor. „Es wird niemals funktionieren, was Sie vorhaben.“

„Ich befürchte, Sie werden das nicht mehr miterleben, Kapitän!“, sagte Wang Hu. „Sie werden morgen erst einmal von hier weggebracht. Sie und Ihre Leute werden dann sehr bald lernen müssen, was es bedeutet, von früh bis spät auf den Zuckerrohrfeldern zu arbeiten. Dann werden Sie begreifen, was es bedeutet, Sklavenarbeit zu leisten. Lange werden Sie das zwar nicht durchstehen, aber es gibt ja noch genügend andere Menschen in dieser Kolonie, die wir dafür einsetzen können.“

Mit diesen Worten wendete er sich einfach ab und verließ das Gewölbe wieder. Seine Leute folgten ihm wenige Augenblicke später, nachdem man die Arretierung am Kopf und auch die Fesseln wieder gelöst hatte. Schließlich waren Simons und Jop wieder allein, und sie konnten sich zum Glück wieder frei bewegen. Aber was nützte das in diesem tiefen Gewölbe, aus dem sie mit eigener Kraft niemals wieder entkommen konnten?

„Wir sind diesem Teufel mit Haut und Haaren ausgeliefert, Kapitän“, sagte Jop und ließ in seiner Stimme eine gehörige Portion Verzweiflung anklingen. „Verdammt, jemand muss doch etwas unternehmen, damit …“

„Sei still, Jop!“, fiel ihm Simons ins Wort. „Jammern macht die ganze Sache auch nicht besser. Hauptsache, wir leben noch. Für einen winzigen Augenblick hatte ich gedacht, dass man uns gleich umbringen würde.“

„Ich frage mich, ob das nicht vielleicht sogar besser gewesen wäre“, entgegnete Jop. „Wir werden uns auf den Zuckerrohrfeldern zu Tode ­schuften müssen. Und wir können nichts dagegen tun.“

„Solange wir noch am Leben sind, gibt es immer eine Chance“, sagte Simons und dachte dabei an den Moment, wo die AMSTERDAM unter Wasser einen heftigen Stoß abbekommen hatte. Nach wie vor war er der festen Überzeugung, dass all dies von jemandem verursacht worden war, der auch für das Schicksal von Pieter de Bruyn und dessen Leuten verantwortlich war. Dieser Jemand verfügte über Mittel, die de Bruyns Macht beendet hatte. Er wünschte sich insgeheim, dass dies auch mit Wang Hus Macht­streben geschehen würde. Aber wahrscheinlich war das nur ein Traum, der aus Verzweiflung angesichts dieser desolaten Lage geboren wurde.

Die Realität sah dagegen ganz anders aus. Kapitän Simons und seine Mannschaft waren nichtsahnend ins Netz einer Spinne geraten und zappelten darin, ohne jede Chance, sich mit herkömmlichen Mitteln daraus befreien zu können.

Kapitel 2 – In der Falle

25.

---ENDE DER LESEPROBE---