Julia Extra Band 397 - Raye Morgan - E-Book

Julia Extra Band 397 E-Book

Raye Morgan

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Beschreibung

DIE NANNY UND DER MILLIONÄR von MEIER, SUSAN
Einer Frau vertrauen? Niemals! Dafür wurde Millionär Chance Montgomery zu oft betrogen. Jetzt will er seine Zwillinge allein erziehen. Doch die neue Nanny bringt mit ihrer sexy Figur und ihrem bezaubernden Lächeln seine Entscheidung gehörig ins Wanken …

SOMMER, LIEBE, BABYGLÜCK von MACKENZIE, MYRNA
Diese kleine Wildkatze! Holt Calhoun kann nicht fassen, wie hartnäckig Kathryn versucht, ihn für ihr Wohltätigkeitsprojekt einzuspannen … und ist entsetzt, dass ihre vor Wut blitzenden Augen in ihm das Verlangen auslösen, sie leidenschaftlich zu küssen …

WIEDERSEHEN MIT JILL von MORGAN, RAYE
Als Connor die bildhübsche Jill wiedertrifft, ist er noch genauso fasziniert von ihrem Lächeln wie damals ... und ihre Küsse sind sogar noch süßer als ihre köstlichen Kuchen. Aber sie ist die Ex-Frau seines besten Freundes. Hat er diesmal den Mut, um ihre Liebe zu kämpfen?

MEIN HERZ FLÜSTERT: ICH LIEBE DICH von LENNOX, MARION
Ein ausgesetztes Baby, sintflutartiger Regen und ein verwirrender Kuss! Seit der atemberaubende Chirurg Blake Samford ihr Nachbar ist, reiht sich für Maggie eine Katastrophe an die nächste. Kein Wunder, dass sie vor ihm fliehen will - auch wenn sein Charme ihr Herz zum Schmelzen bringt …

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Seitenzahl: 715

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Susan Meier, Myrna Mackenzie, Raye Morgan, Marion Lennox

JULIA EXTRA BAND 397

IMPRESSUM

JULIA EXTRA erscheint in der Harlequin Enterprises GmbH

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: 040/60 09 09-361 Fax: 040/60 09 09-469 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Thomas BeckmannRedaktionsleitung:Claudia Wuttke (v. i. S. d. P.)Produktion:Christel BorgesGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIA EXTRABand 397 - 2015 by Harlequin Enterprises GmbH, Hamburg

© 2012 by Linda Susan Meier Originaltitel: „Nanny for the Millionaire’s Twins“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London in der Reihe: ROMANCE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Katharina Illmer

© 2012 by Harlequin Books S.A. Originaltitel: „The Rancher’s Unexptected Family“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London in der Reihe: ROMANCE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Traudi Perlinger

© 2013 by Helen Conrad Originaltitel: „A Daddy for Her Sons“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London in der Reihe: ROMANCE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Christopher Muth

© 2013 by Marion Lennox Originaltitel: „The Surgeon’s Doorstep Baby“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London in der Reihe: MEDICAL ROMANCE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Lydia Roeder

Fotos: yaruta, starmuc / Thinkstock, alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 04/2015 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733704452

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY, CORA CLASSICS

SUSAN MEIER

Die Nanny und der Millionär

Die Zwillinge von Chance Montgomery sind hinreißend … genauso wie das Lächeln des attraktiven Daddys! Doch Tory nimmt ihren Job als Nanny sehr ernst – und das heißt: Den Boss zu küssen ist verboten!

MYRNA MACKENZIE

Sommer, Liebe, Babyglück

Für kindische Streitereien hat Kathryn keine Zeit! Eher verführt sie den einflussreichen Holt Calhoun, um ihr Ziel zu erreichen. Dass sie sich rettungslos in ihn verliebt, war allerdings nicht vorgesehen.

RAYE MORGAN

Wiedersehen mit Jill

Als Connor sie vor einem peinlichen Blind Date rettet, ist Jill empört – sie kommt prima allein zurecht! Aber bei seinem verführerischen Lächeln ist sie sich da plötzlich gar nicht mehr so sicher …

MARION LENNOX

Mein Herz flüstert: Ich liebe dich

Sommersprossen, ein freches Lächeln und betörende Kurven – Blake ist von seiner Nachbarin Maggie hingerissen. Doch wie soll er ihr seine Liebe beweisen, wenn sie ihm nicht traut?

Die Nanny und der Millionär

1. KAPITEL

Chance Montgomery hielt mit seinem Geländewagen vor dem großen, schwarzen Eisenzaun, der das Anwesen seiner Mutter umgab. Mit dem Zahlencode öffnete er das Tor und folgte dann dem gewundenen Weg.

Die Blätter der hohen Bäume waren herbstlich bunt gefärbt – wie jedes Jahr im Oktober in Pine Ward, Pennsylvania. Auch die große Villa, das Zuhause seiner Kindheit, sah noch genauso aus wie an seinem 18. Geburtstag. An dem Tag war er von zu Hause weggelaufen, weil sein Leben nur aus Verrat und Lügen bestand.

Welche Ironie, dass er nun aus demselben Grund zurückkehrte. Denn seine große Liebe hatte ihn verlassen, als sie erfuhr, dass sie mit seinen Zwillingen schwanger war. Für sie war er nur ein Sprungbrett für ihre Karriere gewesen. Nach der Geburt der Babys schien sie für ungefähr sechs Monate in ihrer Mutterrolle aufzugehen. Aber vor zwei Wochen stand sie plötzlich mit den Kindern vor seiner Tür und wollte sie nicht wiederhaben.

Die meisten Menschen kümmerten sich nur um sich selbst. Das hatte er gelernt, als er herausfand, dass sein Adoptivvater eigentlich sein leiblicher Vater war. Leider hatte er gehofft, seine Ex könnte wenigstens ihre Kinder lieben, selbst wenn sie ihn nicht liebte.

Chance hielt vor den Garagen und schaltete den Motor aus. Als er aus dem Auto stieg, stürmte seine Mutter auf ihn zu, als hätte sie bereits auf ihn gewartet.

„Chance, Liebling!“ Ihr schneeweißes Haar trug sie kurz und elegant frisiert. Mit ihrer schwarzen Hose, dem schwarzen Rollkragenpullover und der Perlenhalskette wirkte sie wie die Dame der feinen Gesellschaft, die sie auch war.

Fest umarmte sie ihn, und als sie sich von ihm löste, standen Tränen in ihren Augen. „Ich bin so froh, dass du zu Hause bist.“

Chance wünschte, er könnte dasselbe sagen, aber er war nicht gerade glücklich darüber, hier zu sein. Jeder Mensch in seinem Leben hatte ihn verletzt, betrogen oder belogen. Nur Gwen Montgomery nicht. Seine Adoptivmutter liebte ihn auch dann noch, als sie herausfand, dass Chance der außereheliche Sohn ihres Mannes war.

„Es ist schön, zu Hause zu sein.“

Gut, das entsprach nicht ganz der Wahrheit, aber wie könnte er dieser glücklichen Frau sagen, dass ihn das Haus an einen Dad erinnerte, dem man nicht vertrauen konnte. Dass sein Leben eine Katastrophe war …

Er konnte es einfach nicht.

Begeistert klatschte sie in die Hände. „Jetzt zeig sie mir!“

In dem Moment, als Chance die Autotür öffnen wollte, kam eine große, rothaarige Frau aus dem Haus. Zu sagen, dass sie ihm nicht auffiel, wäre gelogen. Große, braune Augen, eine kecke Nase und volle Lippen ergaben ein hübsches Äußeres. Allerdings trug sie eine schlichte, weiße Bluse, eine graue Hose und hässliche – wirklich hässliche – schwarze Schuhe.

Seine Mutter stellte sie vor: „Das ist übrigens Victoria Bingham. Sie wird von allen Tory genannt, und ich habe sie als Kindermädchen für dich engagiert.“

Normalerweise hätte er ihre Hand ergriffen und zur Begrüßung geschüttelt, stattdessen wandte er sich an seine Mutter: „Mom, ich habe dir doch gesagt, dass ich die Kinder selbst großziehen möchte. Ich bin hier, weil ich deine Hilfe möchte, nicht die einer Außenstehenden.“

Verletzt sah Gwen ihn an. „Natürlich helfe ich dir, aber du brauchst auch ein Kindermädchen für Sachen wie das Windeln …“

„Das kann ich sehr gut allein, schließlich habe ich das in den letzten zwei Wochen ziemlich oft gemacht. Diese beiden wurden gerade von ihrer Mutter verlassen, ihren Daddy werden sie nicht auch noch verlieren.“

Liebevoll berührte sie seine Wange. „Oh Liebling. Die Kleinen bekommen unsere ganze Liebe, aber du hattest die ersten vier Jahre auch ein Kindermädchen. Und habe ich dich deswegen weniger geliebt?“

Kleinlaut schüttelte Chance den Kopf. Gwen hatte ihre Liebe unzählige Male unter Beweis gestellt, zum Beispiel als sie die Untreue ihres Mannes besser akzeptierte als er.

„Siehst du? Kindermädchen sind eine durchaus angemessene Hilfe.“

„Ich schätze schon“, murmelte er, öffnete die Autotür und präsentierte seinen ganzen Stolz. Sam protestierte empört, weil er in seiner Babyschale festsaß, während sich alle anderen unterhielten. Cindy dagegen brabbelte fröhlich.

„Oh, sie sind entzückend!“

Das sind sie wirklich.

Tory Bingham stand etwas abseits und starrte auf die beiden blonden Babys mit den blauen Augen. Sie hatte diese Stelle nicht gewollt. Nach unzähligen Operationen und Therapien war ihr linkes Bein wiederhergestellt, das bei einem Motorradunfall zertrümmert worden war. Jetzt konnte sie endlich wieder normal laufen und sogar Auto fahren. Darum wollte sie ihre Zeit mit ihrem Verlobten verbringen, der bei dem Unfall nicht so glimpflich davongekommen war wie sie. Leider hatten ihre Eltern andere Vorstellungen.

Sie wollten, dass sie arbeitete. Und was noch schlimmer war, sie sollte ihr Leben weiterleben. Während ihr Verlobter gepflegt werden musste, sollte sie nach vorn schauen. Das war nicht nur lächerlich, es war schrecklich.

Aber mit 25 Jahren besaß Tory weder Geld noch war sie krankenversichert. Ihre medizinischen Ausgaben waren von Jasons Motorradversicherung beglichen worden, aber selbst die hatte sie beinahe ausgeschöpft. Ihre Eltern mochten mit den Montgomerys befreundet sein, aber sie besaßen kein vergleichbares Vermögen. Darum hatte sie keine andere Wahl, als die Arbeit anzunehmen, die Gwen ihr anbot.

Und jetzt wollte der verlorene Sohn sie nicht einmal.

Gut, dann würde sie eine andere Arbeit finden. Nur …

Seine Babys waren wirklich bezaubernd. Die beiden süßen Engel in ihren Babyschalen ließen ihr Herz Purzelbäume schlagen, und sie musste sie einfach anschauen.

Chance beugte sich ins Auto. „Warte, ich hole sie raus.“

„Das ist okay.“ Schon ging Gwen um den Anhänger an dem schwarzen Geländewagen herum – auf dem ein riesiges, schwarzes Motorrad stand. „Kümmere du dich um Sam, ich hole Cindy.“

Sie öffnete die Tür und beugte sich hinein, aber wandte sich dann an Tory. „Kannst du mir bitte mit den Gurten helfen? Ich kann sie nicht lösen.“

Hastig näherte sich Tory dem Anhänger. Aber der Anblick dieses schwarzen Monsters auf dem Anhänger machte ihr Angst. Auch wenn sie sich nur verschwommen an den Unfall erinnerte, der beinahe ihr Bein zerstört und den Mann, den sie liebte, fast das Leben gekostet hatte.

„Beeil dich, Tory!“

Als sie sich in das Auto beugte, blinzelten sie große, blaue Augen an. „Wen haben wir denn da?“

Das Baby brabbelte fröhlich.

„Was bist du denn für eine Süße?“ Sie löste den letzten Gurt und hob das Baby heraus.

Das kleine Mädchen tätschelte ihr Gesicht, und zum ersten Mal seit ihrem Unfall lachte Tory. Aber Gwen wartete ungeduldig darauf, ihre Enkelin zu halten, darum reichte Tory sie ihr.

„Du meine Güte“, flüsterte Gwen. „Hallo, Cindy, ich bin deine Großmutter.“ Dann ging sie wieder um den Anhänger herum. „Kommt, bringen wir sie ins Haus.“

„Mom, eigentlich …“ Chance zuckte zusammen. „So wie ich das rieche, braucht Sam eine neue Windel. Vielleicht sollten wir sie gleich ins Cottage bringen?“

Enttäuscht stockte seine Mom. „Oh.“

„Es war eine lange Fahrt, und nach dem Windelwechsel haben sie bestimmt Hunger.“

Gwen lächelte, als wäre sie so glücklich darüber, ihren Sohn zu Hause zu haben, dass sie mit allem einverstanden wäre. „Gut, dann begleiten wir dich.“

Er sah zu Tory hinüber, und sie erwiderte seinen Blick. Ihr war bereits aufgefallen, dass er groß und schlank war, schwarze Haare und blaue Augen hatte. Das rote Flanellhemd stand ihm gut, und die Jeans betonte seinen Po. Nur seine saphirblauen Augen wirkten skeptisch, als könne er niemandem vertrauen.

Toll. Zwar hatte sie in der Highschool drei Sommer lang auf Kinder aufgepasst, aber noch nie Vollzeit gearbeitet, und jetzt hatte sie ihre erste Stelle als Kindermädchen ausgerechnet bei einem misstrauischen Vater.

Sie würde nicht darum betteln, für ihn zu arbeiten, wenn er so ein Griesgram war. Schließlich wohnten Kindermädchen bei den Leuten, für die sie arbeiteten, was bedeutete, dass sie vierundzwanzig Stunden am Tag mit ihm verbringen musste.

„Denk nur, Chance“, sagte Gwen neckend. „Mit einem Kindermädchen musst du nicht mitten in der Nacht aufstehen – und selbst wenn doch, brauchst du nur ein Baby zu wickeln und zu füttern.“

Müde rieb er sich den Nacken. „Gut, ihr könnt beide mitkommen.“

Nachdem sie die Kinder wieder in ihren Babyschalen angeschnallt hatten, setzte sich Tory zwischen die Zwillinge, damit Gwen vorne bei ihrem Sohn mitfahren konnte.

Auf der Fahrt über den schmalen Ziegelsteinweg, der sich durch den Wald hinter Gwens Villa schlängelte, fiel Tory auf, wie abgeschieden sie wohnen würden. Die Bäume standen so dicht, dass nur vereinzelt ein Lichtstrahl durch das bunte Blätterdach drang.

Sie schluckte schwer. War ihr erstes Bauchgefühl richtig gewesen? Sie wollte bei Jason sein, sich um ihn kümmern, ihm helfen, gesund zu werden. Ganz bestimmt wollte sie nicht in einem abgeschiedenen Cottage festsitzen, zusammen mit einem Mann, den sie nicht kannte.

Schließlich hielten sie vor einem eingeschossigen Haus, das viel zu groß war, um Cottage genannt zu werden.

Dort führte Gwen sie in einen Raum, den sie mit jeweils zwei Kinderbetten aus Eiche, Wickeltischen und Schaukelstühlen als Kinderzimmer eingerichtet hatte.

Chance legte Sam auf den ersten Wickeltisch, während seine Mutter Cindy auf dem anderen ablegte. „Tory, Liebling, könntest du für die Babys etwas Brei machen, während wir die Windeln wechseln?“

„Sicher.“ Erleichtert lief sie nach draußen zum Geländewagen, weil sie hoffte, dort die Babysachen zu finden. Aber im Kofferraum standen nur zwei Taschen, die sie in die Küche trug. Doch als sie sie öffnete, befand sich darin lediglich Kleidung.

„Gefällt Ihnen, was Sie sehen?“

Bei seiner Frage schreckte sie hoch. Seine tiefe, dunkle Stimme und die sexy Art, wie er seine Arme vor der Brust verschränkte und sich gegen die Kücheninsel lehnte, ließen ihren Puls rasen.

Warum bemerkte sie so etwas? Schließlich war sie doch verlobt. Ihr sollte nicht auffallen, wie attraktiv sein Gesicht war oder wie er sich bewegte.

Sie setzte ein, wie sie hoffte, professionelles Lächeln auf und antwortete: „Ich habe den Brei gesucht.“

Chance reichte ihr die Wickeltasche. „Der ist hier drin.“ Damit drehte er sich um und verließ die Küche wieder. Tory atmete erleichtert auf – dabei war ihr gar nicht bewusst gewesen, dass sie die Luft angehalten hatte. Er mochte gut aussehen, aber leider war er äußerst schlecht gelaunt. Selbst wenn ich nicht verlobt wäre, sollte er mich nicht interessieren, dachte sie.

Schnell bereitete sie den Brei zu. Als sie ihn ins Kinderzimmer brachte, saßen Chance und seine Mutter mit den Babys in den Schaukelstühlen. Sie stellte die kleinen Schüsseln auf den runden Tisch zwischen ihnen und trat zurück. Chance fütterte Sam, während sich seine Mom um Cindy kümmerte.

Da sie nichts anderes zu tun hatte, blieb sie an der Tür stehen und schaute ihnen zu. Die Babys sahen sich ähnlich, waren aber unterschiedlich groß, und während Sams Haare kurz und fein waren, fielen Cindy blonde Locken in die Stirn und den Nacken.

Als sie fertig waren, stand Chance auf. „Ich denke, wir sollten sie für ein Nickerchen hinlegen, sie werden müde sein.“

„Also ist das nicht ihre übliche Schlafenszeit?“, fragte Gwen.

Trocken lachte er auf. „Übliche Zeit? Ich schreibe ihnen nicht vor, wann sie essen oder schlafen sollen. Das sagen sie mir schon.“

„Oje“, rutschte es Tory heraus. Was sie sofort bereute, denn seine wunderschönen blauen Augen wurden schmal, und er presste verärgert die Lippen zusammen.

Er klopfte Sam leicht auf den Rücken und legte das schläfrige Kind dann ins Bett. Gwen tat dasselbe mit Cindy. Da die Babys sofort einschliefen, ging Chance zur Tür, seine Mom ihm dicht auf den Fersen.

Am liebsten hätte Tory sich getreten. Er mochte sie so schon nicht, musste sie das mit ihrer großen Klappe noch verschlimmern?

Als sie den Wohnbereich betraten, wandte sich Gwen lächelnd an Chance: „Jetzt, wo die beiden schlafen, müssen wir doch nicht hier bleiben. Außerdem haben wir uns so viel zu erzählen. Warum fahren wir nicht zur Villa zurück und setzen uns ins Arbeitszimmer, wo der gute Brandy steht? Die Köchin könnte uns einen kleinen Imbiss zubereiten.“

Chance zog seinen Schlüssel wieder aus der Hosentasche und sah zu Tory. „Passen Sie auf die Kinder auf.“

Erleichtert nickte sie. So konnte sie überlegen, wie sie am besten kündigte, ohne ihre Mom in Schwierigkeiten zu bringen, die mit Gwen befreundet war. Er wollte sie nicht, und sie wollte nicht für ihn arbeiten. Ganz einfach.

Allein im Haus entspannte sich Tory und erkundete neugierig das Cottage. Im hinteren Bereich lagen drei Schlafzimmer, aber der Rest war nicht extra unterteilt. Aus der gelben Küche mit Ahornschränken, beigefarbenen Bodenfliesen und beigebraunen Granitarbeitsflächen konnte sie den gesamten Wohnbereich und die kleine Bibliothek dahinter sehen. Links von der Küche gab es eine Glasveranda mit Tisch und Stühlen.

Das perfekte Zuhause für eine junge Familie – oder Frischverheiratete. Vorsichtig strich sie über die Granitarbeitsfläche. Eigentlich sollte sie jetzt verheiratet sein, in so einem schönen Haus wohnen und ihre eigenen Babys großziehen. Aber ein Tag … nein, eine einzige Minute hatte alles verändert. Statt verheiratet und Mutter zu sein oder einen Beruf zu haben, verbrachte sie endlose Stunden in einem Krankenhauszimmer und sprach mit einem Verlobten, der ihr nicht antworten konnte.

Sie war nicht einmal sicher, ob er sie hörte.

Energisch schüttelte sie ihre schlechte Stimmung ab und betrat den Wohnbereich mit dem übergroßen Ledersofa, Sesseln und dem Großbildfernseher und drehte sich langsam im Kreis. Für ein „Cottage“ war das unglaublich.

„Jetzt tanzen Sie?“

Erschrocken drehte sie sich zu Chance um. „Ich habe mich nur etwas umgesehen.“ Sie presste ihre Hand auf ihr rasendes Herz und versuchte, sich zu beruhigen. „Ich dachte, Sie unterhalten sich noch mit Ihrer Mutter.“

„Ich lasse meine Babys nicht für längere Zeit bei einer Fremden.“

„Ich bin keine Fremde. Unsere Mütter sind befreundet, außerdem habe ich die letzte Woche mit den Hausangestellten Ihrer Mutter gearbeitet.“

„Da würde man doch denken, dass Sie Ihren Platz kennen.“

Tory holte scharf Luft. Der Moment der Wahrheit. Warf er sie jetzt raus?

Er bedeutete ihr, auf dem Sofa Platz zu nehmen. „Wir müssen uns unterhalten.“

Resigniert setzte sie sich.

Chance ließ sich in einen Sessel fallen. „Sie haben eine Grenze überschritten, als Sie mich wegen der Schlafenszeiten der Kinder kritisiert haben.“

Sie zuckte zusammen. „Eigentlich habe ich das nicht. Ich habe ‚Oje‘ gesagt.“

„Da hätten Sie auch gleich sagen können: ‚Hey Chance, Sie machen alles falsch.‘“

„Es tut mir leid.“

„Das sind meine Kinder. Ich habe mich zwei Wochen lang allein um sie gekümmert, und auch wenn ich nicht perfekt bin, möchte ich nicht ständig daran erinnert werden. Ich habe kein Kindermädchen eingestellt, weil ich meine Kinder allein erziehen will, aber ich bin bereit, es mit Ihnen zu versuchen, weil ich wirklich etwas Hilfe brauche. Außerdem bleibe ich nicht lange hier, nur für einen Besuch.“

Nur für einen Besuch? Dann wäre diese Stelle nur vorübergehend! Erleichterung machte sich in ihr breit.

„Aber wenn Sie mich kritisieren, bringt das nichts.“

Interessiert musterte Tory ihn. Gwen hatte ihr erzählt, dass die Mutter die Zwillinge bei ihm abgeladen hatte und nicht zurückhaben wollte – das erklärte seine Vertrauensprobleme. Es war bewundernswert, dass er seine Kinder allein erziehen wollte. Nur wusste er nicht, wie, und war deshalb überempfindlich.

Plötzlich schien er nicht mehr ganz so schrecklich zu sein.

„Ist das klar?“

Glasklar. „Ja.“

„Gut.“ In dem Moment begann eines der Babys zu schreien, und Chance stand auf.

Unsicher folgte Tory ihm. Wie sollte sie ihm Ratschläge geben, ohne ihn zu beleidigen?

Als er das Kinderzimmer betrat, sagte er: „Nur aus diesem Grund habe ich vielleicht – und ich betone vielleicht – nichts dagegen, dass Sie hier sind. Ich kann Sam und Cindy nicht dazu bringen, länger als 20 Minuten zu schlafen, und wenn sie wach sind, klettern sie wie kleine Katzen auf mir herum. Ich habe keine Minute Ruhe.“

„Sie haben sich zwei Wochen lang allein um sie gekümmert? Und Ihre Arbeit?“

„Mir gehört eine Baufirma, darum konnte ich in der ersten Woche eigentlich machen, was ich wollte. Aber sobald ich gemerkt habe, wie ausgelastet ich mit den Kindern bin, habe ich alles meinem Geschäftsführer übergeben.“

Vorsichtig begegnete sie seinem Blick. Jetzt wirkten seine blauen Augen nicht mehr verärgert, sondern unsicher. „So können Sie nicht ewig weitermachen.“

Er schnaubte ironisch. „Ach, wirklich.“

„Aber Sie wollen kein Kindermädchen.“

„Ich möchte nicht wie mein Dad sein.“

„Hatte er nie Zeit für Sie?“

Seufzend fuhr er mit den Händen durch seine kurzen, schwarzen Haare. „Die beiden gewöhnen sich gerade daran, dass sie ihre Mom verloren haben, da kann ich sie nicht auch noch allein lassen.“

Attraktiv oder nicht, schlecht gelaunt oder nicht, eigentlich war Chance Montgomery ein netter Mensch, der seine Kinder liebte. Sicherlich konnte sie ihre eigenen Probleme aufschieben und ihm helfen. Schließlich musste sie etwas Geld verdienen, und er brauchte Unterstützung bei den Kindern.

Vorsichtig fragte sie: „Möchten Sie ein paar Vorschläge hören?“

Chance seufzte. „Ja.“

„Ich habe keine Babywippe oder Lauflernhilfe in Ihrem Auto gesehen …“

„Eine Lauflernhilfe?“ Er runzelte die Stirn und sah sie an, als wäre sie verrückt. „Wie für alte Menschen?“

Wäre er nicht so ernst gewesen, hätte Tory vielleicht gelacht, stattdessen erklärte sie vorsichtig: „Das ist ein Sitz mit Rädern. Dort setzt man das Baby hinein, und es lernt so laufen oder kann sich beschäftigen.“

„Sie meinen, die beiden müssen nicht in jeder wachen Minute auf mir herumkrabbeln?“

Sein hoffnungsvoller Blick gab ihr einen Stich. „Genau.“

„Und ich vermute, die Wippe ist auch nützlich?“

Sie nickte langsam. „Mich wundert, dass Ihre Exfrau Ihnen die Sachen nicht mitgegeben hat, als sie die Kinder bei Ihnen ließ.“

„Liliah war nicht meine Frau, sie wird niemandes Frau werden. Und wie Sie sehen können, hat sie ihr Muttersein fantastisch angenommen.“ Abrupt drehte er sich um und ging ins Kinderzimmer, während Tory entsetzt die Augen zukniff.

Gerade als es so aussah, als könnten sie miteinander auskommen, musste sie etwas Dummes sagen.

Das würde nie funktionieren.

Aufgewühlt beugte sich Chance über das Kinderbett und hob Sam heraus. Es sollte ihn nicht wundern, dass Liliah ihm nicht alles gegeben hatte, was die Kinder brauchten. Aber jetzt schien nicht der beste Moment, um auf sie wütend zu sein.

„Was denken Sie, warum sie aufgewacht sind?“

Tory ging zu Cindys Bett hinüber. Das schluchzende, kleine Mädchen streckte ihr die Arme entgegen und wollte hochgenommen werden. „Haben sie auf der Fahrt hierher geschlafen?“

„Ja.“

„Dann sind sie vorhin wahrscheinlich nur eingenickt, weil sie satt waren. Sie müssen jetzt nicht schlafen.“ Sie hob Cindy aus ihrem Bett. „Hallo, Süße.“ Sofort hörte das Kind auf zu schluchzen.

Erstaunt beobachtete Chance, wie sich Torys Gesichtsausdruck veränderte. Ihre braunen Augen strahlten vor Freude, und zum ersten Mal seit Wochen entspannte er sich. Sie wusste, was sie tat, und schien Babys wirklich zu lieben. Vielleicht war ein Kindermädchen doch keine schlechte Idee?

„Dann wollen sie spielen?“

Tory rieb ihre Wange an Cindys. „Wahrscheinlich. Aber vielleicht sollten wir die Gelegenheit nutzen und in die Stadt fahren, um einiges zu besorgen.“

„Wie diese Lauflernhilfe?“

„Und einen Laufstall und Babywippen.“

Neue Schuldgefühle stiegen in ihm auf. Warum war ihm das nicht eingefallen?

„Wenn wir alles Nötige besorgen und noch ein paar Spielsachen, können wir sie gut beschäftigen, dann schlafen sie auch länger.“ Tory lächelte zaghaft. „Sie sind alt genug, um die Nacht durchzuschlafen.“

„Wirklich?“, fragte er sehnsüchtig.

Als sie lachte, traf ihn der weiche Klang mitten in die Magengrube. Er versuchte sich einzureden, dass es nur daran lag, weil er selbst gern mal wieder lachen wollte. Aber sie war schöner als alle Frauen, mit denen er jemals zusammen gewesen war. Und dabei schien sie noch nicht einmal Make-up zu tragen.

„Ja. Schnappen Sie sich Ihren Geldbeutel, ich hole die Wickeltasche, und dann fahren wir schnell einkaufen.“

Weil es so verführerisch war, endlich wieder eine Nacht durchzuschlafen, schnallte Chance die Zwillinge in ihren Babyschalen auf dem Rücksitz fest und fuhr zu dem großen Einkaufscenter am Stadtrand.

Als er auf den Parkplatz abbiegen wollte, deutete Tory auf einen Discounter. „Fahren wir dorthin. Die Qualität ist gut, und so geben Sie nicht so viel Geld aus.“

Chance folgte ihrem Vorschlag, aber als sie die Kinder aus dem Auto hoben, musterte er Tory verstohlen. Normalerweise flirteten Frauen heftig mit ihm und waren von seinem Geld beeindruckt. Diese hier tolerierte ihn gerade so und zeigte ihm eine Möglichkeit, um Geld zu sparen.

Aber als Angestellte war sie vermutlich nicht an ihm als Mann interessiert.

Das versetzte ihm einen Stich, den er nicht ganz zuordnen konnte. Vermutlich war es Enttäuschung. Aber im Moment hatte er lieber jemanden, der gut mit seinen Kindern umgehen konnte, als eine Frau zum Flirten.

Beinahe hätte Chance gelacht. Sich um zwei Babys kümmern zu müssen, verschob bei einem Mann eindeutig die Prioritäten.

Die automatischen Türen öffneten sich, und sie betraten das Geschäft. Dann setzten sie die Kinder in die Kindersitze der Einkaufswagen und schlenderten vorbei an unzähligen Gängen mit Kleidung, Unterwäsche, Haushalts- und Gartengeräten zur Kinderabteilung.

Tory hielt an. „Im Moment sind zwei Lauflernhilfen, Babywippen, ein Kinderwagen für Zwillinge und ein robuster Laufstall das Wichtigste. Dann können die Kinder spielen, ohne durch die Gegend zu krabbeln und Dummheiten anzustellen.“

„Ah.“ Er sah zu, wie sie einen Karton in seinen Einkaufswagen stellte. „Das muss vermutlich aufgebaut werden.“

Tory zuckte zusammen. „Vielleicht können wir Robert darum bitten?“, fragte sie und meinte den Gärtner.

Ungläubig starrte Chance sie an. „Ich habe zehn Jahre lang auf dem Bau gearbeitet, bevor ich meine eigene Firma gegründet habe, da werde ich wohl einen Laufstall zusammenbauen können.“

„Gut“, erwiderte sie lediglich, als sie einen weiteren Karton in seinen Wagen stellte.

Plötzlich ließ das beklemmende Gefühl in seiner Brust nach. Er würde die Nacht durchschlafen können, weil er sich darauf verlassen konnte, dass sie sich gut um die Kinder kümmerte.

Er bezahlte und lud ihren Einkauf ins Auto, während Tory die Kinder anschnallte. Auf der Heimfahrt erklärte sie ihm die Lauflernhilfen genauer. Zu Hause angekommen, ließ sie ihn die Wippen aufbauen, während sie die Kinder in der Küche in die Hochstühle setzte und fütterte.

Als sie damit fertig waren, setzte Tory die beiden hinein. Sie zog eine Spieluhr auf, und plötzlich wippten beide Kinder fröhlich.

„Wow!“, entfuhr es ihm.

Tory lächelte.

Plötzlich wich seine Freude einer gewissen Anspannung. Er mochte sie.

Schnell unterdrückte er ein Seufzen. Natürlich mochte er sie! Schließlich half sie ihm mit den Kindern. Außerdem war sie schön, und er war seit Liliah mit keiner Frau mehr zusammen gewesen …

Aber im Moment wollte er in seinem Leben nur eine Frau, mit der er Spaß haben konnte. Keinen Kummer oder Streit. Nur … Spaß. Und ein kluger Mann ließ sich dazu nicht mit seinem Kindermädchen ein, das er so dringend brauchte.

„Wie lange sind sie jetzt beschäftigt? Zwanzig Minuten?“

„Oder auch länger.“ Tory bückte sich und hob einige Plastikspielzeuge auf. „Danach setzt man sie damit in den Laufstall. Oft beschäftigen sich Babys selbst, wenn man sie lässt.“

Befreit atmete Chance durch und sprach dann das Wort aus, das ihn schon den ganzen Nachmittag beinahe erstickte. „Danke.“

Lächelnd sah sie auf. „Gern geschehen.“

Aber ihr Lächeln verblasste schnell. Genau wie seins. Sie war so schön. Und jetzt, wo er nicht jede Sekunde nach den Babys sehen musste, fühlte er sich wieder wie er selbst – wie ein Mann. Sie fühlte sich offenbar zu ihm hingezogen, da wäre es nur natürlich zu flirten …

Abrupt unterbrach er seine Gedanken und wich zurück.

Auf keinen Fall würde er eine andere Frau so nah an sich heranlassen, dass sie ihn verletzen konnte – oder die Zwillinge.

„Es hat noch niemand Ihr Abendessen gebracht.“

Sie trat ebenfalls einen Schritt zurück. „Ich weiß.“ Dann räusperte sie sich. „Kommen Sie zurecht, während ich nachsehe?“

Chance nickte. „Gehen Sie ruhig essen.“

„Okay.“ Schnell drehte sich Tory um und rannte beinahe zur Tür.

Müde rieb er sich über das Gesicht. Wenn er sich in der Gegenwart seines Kindermädchens zusammenreißen wollte, musste er sich nur daran erinnern, wie schlecht seine letzte Beziehung gelaufen war. Wie schmerzhaft es gewesen war, benutzt zu werden, zu erfahren, dass Liliah nichts mit seinen Babys zu tun haben wollte.

Er runzelte die Stirn. Wahrscheinlich war Tory deshalb so anziehend für ihn, weil sie das genaue Gegenteil von Liliah war; nett, süß und freundlich zu seinen Babys.

Aber selbst wenn sie seine Seelenverwandte wäre, sich mit dem Kindermädchen einzulassen, brachte nur Ärger.

Und davon hatte er bereits genug gehabt.

Am nächsten Morgen brachte Tory die Zwillinge in die Küche und setzte sie in ihre Hochstühle, während sie den Brei zubereitete. „Ich nehme an, ihr habt gut geschlafen.“

Cindy kicherte, und Sam kreischte.

„Ist ja gut, Sammy! Du hast Hunger, ich auch. Aber mich gibt es nur einmal, also musst du dich gedulden.“

Sie stellte die zwei Schüsseln auf den Tisch und zog sich einen Stuhl zwischen die Hochstühle. „Okay. Wir sind jetzt allein, also zeigt sich jeder von seiner besten Seite.“

Empört patschte Sam mit den Händen auf die Ablage des Hochstuhls.

„Hast du nicht gehört, was ich eben gesagt habe? Dein Dad ist erschöpft, darum lassen wir ihn ausschlafen.“

Dann fütterte sie ihm einen Löffel Brei, und er schmatzte begeistert.

Lachend fütterte Tory seine Schwester. „Außerdem will ich ihn bei Laune halten, weil wir noch nicht über freie Tage gesprochen haben, und das ist wichtig, weil …“

Sie stockte. Warum konnte sie nicht mit zwei Babys, die kein Wort verstanden, über Jason sprechen?

Vielleicht weil es so traurig war. Wie konnte sie ihnen etwas so Tragisches erzählen, wenn sie so fröhlich waren?

Aber Chance konnte sie es nicht verschweigen. Sie brauchte die freien Tage.

Träge streckte sich Chance. Er fühlte sich gut und energiegeladen.

Dann schreckte er hoch, und sein Blick fiel auf den Wecker. Beinahe neun Uhr!

Warum waren die Kinder so still?

Hastig schob er das dünne Laken beiseite, mit dem er sich zugedeckt hatte. In dem Moment sah er die blauen Vorhänge vor dem großen Fenster.

Das war nicht sein Haus, sondern das Gästehaus seiner Mom.

Und er hatte die Nacht durchschlafen können, weil sie jetzt ein Kindermädchen hatten.

Ein Geschenk des Himmels.

Zumindest wäre sie das, wenn sie nicht so gut aussehen würde.

Er rieb sich über das Gesicht, erinnerte sich daran, dass er Tory als Angestellte behalten wollte, und ging ins Bad. Weil er kein Weinen hörte und am Vormittag einen Termin hatte, trat er unter die Dusche und seifte sich ein – ganz in Ruhe.

Ohne dass die Kinder weinend in ihren Babyschalen vor der Glastür saßen, während er die kürzeste Dusche der Geschichte nahm.

Allein dafür konnte er seine Hormone unter Kontrolle halten. Das sollte nicht schwer sein. Schließlich hatte er während der letzten fünfzehn Monate alle Frauen ignoriert.

Bevor er in die Küche ging, zog Chance eine Hose und ein weißes Hemd an und band sich eine Krawatte um. Dort fütterte Tory abwechselnd die Babys in ihren Hochstühlen. Ihr rotbraunes Haar hatte sie zu einem Pferdeschwanz zusammengenommen. So wirkte sie sehr jung, denn die weite Jeans und ihre Bluse verhüllten ihre Kurven komplett.

Trotzdem flatterten in seinem Bauch Schmetterlinge, als er sie sah.

„Guten Morgen“, begrüßte sie ihn fröhlich. Dann musterte sie ihn von Kopf bis Fuß und lächelte anerkennend. „Na hallo.“

Sein Mund wurde trocken.

„Ich habe Kaffee gekocht.“

„Wunderbar.“ Als er zu ihnen kam, schimpfte er in Gedanken mit sich, weil er sich so lächerlich aufführte. Ja, sie war schön, und es war schon lange her, seit er eine Frau wirklich angesehen hatte – und von einer gemustert worden war. Aber sie wollte ganz offensichtlich nicht attraktiv für ihn sein.

Er musste sich wirklich zusammenreißen, schließlich brauchte er sie – als Kindermädchen.

Um sich zu beruhigen, holte er eine Tasse aus dem Schrank, schenkte sich Kaffee ein und trank einen Schluck. „Kommen Sie mit den Kindern heute Morgen allein klar?“

Torys braune Augen funkelten amüsiert. „Das ist irgendwie mein Job.“

Wieder meldeten sich seine Hormone. Mit jeder Faser wollte er mit ihr flirten, aber sie war lediglich freundlich. Jedes Interesse ihrerseits bildete er sich nur ein.

Chance holte tief Luft. „Gut, weil ich mich mit meinem Bruder treffe.“

„Ah, das erklärt die Krawatte.“

Nervös zupfte er daran herum. „Ein verräterisches Zeichen, oder?“

Nachdem er seinen Kaffee ausgetrunken hatte, zog er seine Jacke an und ging zur Tür. „Ich bin ein paar Stunden unterwegs.“

„Okay.“ Sie wandte sich an Sam und Cindy. „Sagt Tschüs zu eurem Daddy.“

Die beiden kreischten fröhlich.

Insgeheim stöhnte Chance auf. Sie brachte ihn so durcheinander, dass er völlig vergaß, sich von seinen Kindern zu verabschieden.

Schnell küsste er die Zwillinge auf die Stirn und verließ das Cottage. Als er ins Auto stieg, atmete er auf.

Dann startete er den Motor und fuhr los. Kurze Zeit später stand er vor dem gelben Backsteingebäude, das Montgomery Development beherbergte. Ruhig und würdevoll stand es zwischen Häusern, die älter und höher waren, und trotzdem schüchterte es ihn ein. Wie konnten vier mickrige Etagen so viel Macht ausstrahlen?

Kein Wunder, dass er keine Lust mehr auf Dramen hatte. Mit Ausnahme von Gwen war seine Familie genauso schlimm gewesen wie Liliah. Er hatte gedacht, mit dem Tod seines Dads wäre das alles vorbei. Nur war ihm sein Bruder über die letzten Jahre hartnäckig gefolgt, um ihn dazu zu bewegen, nach Hause zu kommen. Bis letzte Woche konnte er ihm immer entwischen, aber mit den Babys konnte er nicht einfach weglaufen.

Nach Max’ Anruf hatte Chance mit seiner Mutter telefoniert und war nach Hause gefahren. Nicht um seinen Bruder zu beschwichtigen und ganz bestimmt nicht für immer. Gwen war und blieb seine Mom, trotz der Lügen seines Dads. Sein Bruder hatte allerdings das Geheimnis ihres Vaters bewahrt.

Seufzend ging er auf den Eingang zu. Sollte sein Bruder sagen, was er zu sagen hatte. Er würde keinen Ärger machen oder alte Wunden aufreißen. Es musste keinen Streit geben. Ruhig würde er seinen Bruder darum bitten, ihn in Ruhe zu lassen – diesmal für immer – und die ganze Angelegenheit wäre erledigt.

Chance öffnete die Glastüren und betrat das Gebäude, dann blieb er erstaunt stehen. Sonnenlicht strömte durch Oberlichter herein und beschien die Pflanzen, die neben den zwei gelben Sofas im Empfangsbereich standen. Ein auf Hochglanz polierter, gelber Empfangstresen bildete den Mittelpunkt.

Wow. Seine Mutter hatte erzählt, dass Max einiges verändert hatte, aber der Umfang überraschte ihn doch.

Dunkelbraune Travertinfliesen führten zum Empfangstresen, wo ihn eine hübsche, junge Brünette lächelnd begrüßte. „Kann ich Ihnen helfen?“

„Ja, ich habe einen Termin mit Mr Montgomery.“

Sie sah auf ihren kleinen Computerbildschirm. „Wie war der Name?“

„Chance.“ Er stockte. „Montgomery.“

Mit hochgezogenen Augenbrauen sah die junge Frau zu ihm auf. Mürrisch erwiderte er ihren Blick. Wenn Max dachte, er würde sich verbiegen, um ihn zu sehen, täuschte er sich.

„Wenn es zu viel Aufwand ist, meinen großen Bruder auch mit Termin zu sehen, gehe ich wieder.“

Beschwichtigend hob die Empfangsdame eine Hand, um ihn aufzuhalten. „Nein! Es tut mir leid. Geben Sie mir nur eine Sekunde, um Sie anzukündigen.“ Schnell drückte sie zwei Tasten auf ihrem Telefon und wandte sich ab.

Chance hörte, wie sie seinen Namen nannte und ihn beschrieb.

Ärger stieg in ihm auf.

Dann wandte sie sich wieder an ihn. „Es tut mir leid, Mr Montgomery. Sie können nach oben.“

„Vielen Dank!“

Offensichtlich bemerkte sie, wie beleidigt er war, denn sie verzog reumütig das Gesicht. „Nehmen Sie den dritten Aufzug am Ende des Flurs.“ Sie deutete nach links. „Ein Wachmann wird den Zahlencode für Sie eingeben.“

Er schlenderte zu den Aufzügen, obwohl die Versuchung groß war, einfach zu gehen.

Schneller als gedacht, stand er vor dem Aufzug. Der Wachmann begrüßte ihn: „Guten Morgen, Mr Montgomery.“ Dann drückte er einige Zahlen auf einem Tastenfeld, öffnete den Aufzug und trat zurück, als sich die Türen wieder schlossen.

Die Fahrt in die vierte Etage dauerte nur Sekunden, dann öffneten sich die Aufzugstüren wieder, und er betrat einen offenen, hellen Raum. Pflanzen betonten ein niedriges, modernes, grünes Sofa und einen Sessel. Ein grüner Teppich bedeckte einen Teil des gelben Hartholzbodens.

Max, der an dem Schreibtisch vor der breiten Fensterfront saß, sah auf und stand sofort auf.

In ihrer Kindheit hatten sie oft gehört, wie niedlich es doch war, dass sie beide schwarze Haare und blaue Augen hatten, obwohl Chance adoptiert war. Jetzt wussten alle, woran das lag.

„Chance. Es tut mir leid, dass es unten so einen Aufruhr gab. Dabei hatte ich dich angekündigt und ihnen gesagt, dass sie dir den Code für den Aufzug geben sollen.“

Er ließ sich auf das Sofa fallen. „Nun, das haben sie nicht.“

„Und du bist wütend.“

„Nein, eigentlich hat es mir nur bestätigt, warum ich nicht hier arbeiten will. Dad wäre stolz.“

„Dad hat mit dem, was hier passiert, nichts zu tun. Ich habe einiges verändert. Wir machen keine krummen Geschäfte mehr mit Gewerkschaften und bringen auch keine Angestellten um Prämien. Und ich werde dich nicht aus einer Firma ausschließen, die dir genauso gehört wie mir.“

„Mom hat schon gesagt, dass du dich verändert hast.“

Max setzte sich ihm gegenüber in den Sessel. „Wenn man seine Frau verliert, eingestehen muss, dass man Alkoholiker ist und die Hilfe der Anonymen Alkoholiker braucht, bleibt das nicht aus.“

Verblüfft setzte Chance sich auf. Dass Kate ihn verlassen hatte, schockierte ihn so sehr, dass er direkt vergaß, wie wütend er war. Bevor er weggelaufen war, waren die drei unzertrennlich zusammen gewesen, obwohl Max und Kate älter waren. Für ihn war Kate wie eine Schwester. „Du und Kate, ihr habt euch getrennt?“

„Vor acht Jahren. Sie ist einfach gegangen und hat mir nicht einmal gesagt, dass sie schwanger ist. Das habe ich erst später von Trisha erfahren.“

„Himmel!“

„Es hat eine Weile gedauert, aber wir haben uns wieder zusammengerauft.“

„Und die Alkoholsache? War das, weil sie gegangen ist?“

Max schüttelte den Kopf. „Weil du gegangen bist, Chance.“

Er erstarrte. „Ich?“

„Ich liebe dich, Mann, du bist schließlich mein Bruder. Mir hat alles, was passiert ist, so leid getan, und durch die Schuldgefühle habe ich angefangen zu trinken. Aber nachdem Kate mich verlassen hat, musste ich mir eingestehen, dass das nicht hilft. Sobald ich wieder nüchtern war, habe ich begriffen, wie schlecht Dad wirklich war. Danach habe ich in jedem Bereich der Firma gearbeitet, jeden Vertrag gelesen, mit jedem Auftraggeber und jedem Verkäufer gesprochen. Und irgendwann habe ich die Firma übernommen.“

Überrascht starrte Chance ihn an. „Du hast Dad rausgeworfen?“

„Er ist freiwillig gegangen – eigentlich war er sogar froh darüber. In seinen letzten zwei Jahren sind er und Mom viel gereist.“ Max zuckte die Schultern. „Ich meine das wirklich ernst, wenn ich sage, dass sich die Dinge geändert haben. Die Firma hat sich verändert, genauso wie ich. Du kannst mir vertrauen.“ Er stand auf. „Aber eh ich dir das alles erzähle, zeige ich es dir lieber. Dann kannst du selbst sehen, dass ich eine andere Art von Chef bin als Dad.“

Chance stand ebenfalls auf, allerdings ohne große Begeisterung. Vielleicht hatte er Mitgefühl für seinen Bruder, aber das bedeutete noch nicht, dass er für ihn arbeiten wollte. „Ich weiß nicht, Max.“

„Komm schon. Anschauen kostet nichts.“

Er schüttelte den Kopf. „Ich habe mich von dir und der Firma distanziert.“

„Du hasst mich?“

„Nicht mehr als du mich.“

Sein Bruder runzelte die Stirn. „Warum sollte ich dich hassen?“

„Weil du als der Lieblingssohn aufgewachsen bist. Der ‚echte‘ Montgomery, während ich nur adoptiert war. Dann haben alle herausgefunden, dass ich genauso ein Montgomery bin wie du. Das muss wehgetan haben.“

„Nicht wirklich.“ Max seufzte. „Schau, ich lasse nicht zu, dass diese Sache unsere Familie zerstört. Mom wünscht sich so sehr, dass wir uns vertragen.“

Als er ihre Mom erwähnte, durchströmte ihn ein warmes Gefühl. Diese Frau hatte ihn geliebt, obwohl er das Produkt einer Affäre ihres Mannes war. Also schuldete er ihr etwas.

Max drehte ihn zu seiner Bürotür um. „Ich zwinge dich nicht, für mich zu arbeiten. Wir können Mom auch so glücklich machen. Himmel, selbst wenn du wieder nach Tennessee ziehst, wären wir trotzdem eine Familie. Aber wenn dir gefällt, was du siehst, warum solltest du nicht hier arbeiten wollen?“

„Weil ich eine eigene Firma habe?“, entgegnete Chance schmunzelnd.

„Wer leitet sie, während du weg bist?“

„Mein Geschäftsführer.“

„Der sich bestimmt auch gern weiterhin darum kümmert.“ Sein Bruder klopfte ihm auf den Rücken. „Warte, bis du siehst, was wir hier tun, kleiner Bruder. Du wirst dabei sein wollen.“

2. KAPITEL

Am Nachmittag stürmte Chance in das Cottage, als käme er zu spät zu seiner eigenen Hochzeit. Tory war sich nicht sicher, ob das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen war, aber eigentlich war es auch egal. Heute Morgen hatte sie nicht mit ihm über freie Tage gesprochen, weil er so nervös gewirkt hatte, aber jetzt konnte sie es nicht länger aufschieben. Sie musste ihm von Jason erzählen, damit sie ihn wenigstens zweimal die Woche besuchen konnte.

Sie nahm Sam hoch. „Immer langsam! Wo brennt’s denn?“

„Es tut mir leid, dass ich Sie bis jetzt allein gelassen habe! Ich hatte nicht damit gerechnet, dass ich so lange bei meinem Bruder sein würde.“ Verwirrt schüttelte er den Kopf.

Tory deutete auf sich. „Kindermädchen.“ Dann deutete sie auf ihn. „Chef. Sie haben das Sagen. Ich kümmere mich um die Kinder, während Sie tun, was Sie tun müssen.“ Liebevoll drückte sie Sam einen Kuss auf die Stirn. „Außerdem sind die beiden so süß, dass man das kaum Arbeit nennen kann.“

„Aber nur, weil sie bei Ihnen so brav sind.“ Chance warf seine Schlüssel auf den Tisch hinter dem Sofa. „Ich lerne sie gerade von einer ganz neuen Seite kennen.“ Er beugte sich vor, hob Cindy aus dem Laufstall und küsste ihre Wange. „Wie geht es Daddys bravem Mädchen heute?“

Sie lachte, und er küsste sie erneut.

Tory ging das Herz auf. In den Jahren, in denen sie sich durch Operationen und Therapien kämpfte, hatte sie nie an Kinder gedacht. Ihr Leben drehte sich nur darum, Jason zu besuchen und ihr kaputtes Bein zu reparieren. Aber diese beiden – der temperamentvolle Sam und die süße Cindy – weckten Sehnsüchte, die sie nicht unterdrücken konnte. Sie befürchtete, ihre Zeit mit ihnen könnte vorbei sein, wenn sie nach freien Tagen fragte, aber sie hatte auch eine Verpflichtung Jason gegenüber.

„Möchten Sie zum Mittagessen zur Villa hochgehen? Es tut mir leid, dass es so spät geworden ist.“

Tory schlenderte zum Sofa. „Die Köchin hat Robert heute mein Essen bringen lassen. Aber ich würde gern mit Ihnen über etwas anderes sprechen.“

Panik war auf seinem Gesicht zu sehen. „Gut.“

Sie deutete auf einen der beiden Sessel neben dem Sofa. „Keine Sorge, es ist nichts Schlimmes.“

Langsam setzte er sich und nahm Cindy auf den Schoß.

„Ich brauche jede Woche ein oder zwei freie Tage.“

„Das ist alles?“, fragte Chance erleichtert.

„Ich brauche zwei freie Tage, weil ich normalerweise …“ Sie räusperte sich. „Ich muss …“ Wie sollte sie ihre Situation erklären? Es fühlte sich seltsam an, etwas so Persönliches mit einem Mann zu teilen, den sie kaum kannte.

„Es gibt einen Ort, wo ich zweimal die Woche hingehen möchte.“

„Ach?“

Sie setzte Sam auf ihren Schoß, der fröhlich gluckste. „Eine Frauensache.“

Kurz musterte er ihr Gesicht. „Ich habe zwar noch nie ein Kindermädchen beschäftigt, Tory, aber ich weiß, dass jeder ab und zu einen freien Tag verdient hat. Wenn Sie zwei Tage möchten, sagen Sie mir einfach, welche es sind, dann komme ich schon zurecht.“

„Ich frage wirklich ungern, weil die Stelle ja nur kurzfristig ist …“

Cindy wurde unruhig, und Chance unterbrach sie: „Warten Sie, wann hatten sie die letzte Flasche?“

Tory stand auf. „Eigentlich ist jetzt Schlafenszeit.“

„Tatsächlich?“

„Ja. Ich habe heute Morgen beschlossen, sie an einen Zeitplan zu gewöhnen.“ Sie seufzte leise. „Das hätte ich wahrscheinlich mit Ihnen absprechen sollen.“

„Nein, das ist in Ordnung. Sie wissen mehr über Babys als ich. Ändern Sie, was geändert werden muss.“

„Gut.“ Sie ging in die Küche, holte zwei Fläschchen und folgte ihm ins Kinderzimmer.

„Sie trinken die kalt?“

„Das habe ich heute Morgen ausprobiert. Die kalte Milch schien sie nicht zu stören. Außerdem spart es Zeit und ist einfacher, wenn man gerade kein Fläschchen warm machen kann.“

„Okay.“

Sie setzten sich in die Schaukelstühle und fütterten die Babys, bis sie einschliefen, dann legten sie sie vorsichtig in ihre Betten und schlichen aus dem Zimmer.

Zum ersten Mal seit ihrem Streit gestern war Tory mit Chance allein. Unsicher blieb sie an der Schwelle zum Wohnbereich stehen, aber sie mussten ihr Gespräch noch beenden.

Währenddessen schlenderte er in die Küche und nahm eine Flasche Saft aus dem Kühlschrank, bevor er sich in den Sessel fallen ließ. In seinem weißen Hemd mit den aufgerollten Ärmeln sah er so sexy zerzaust aus.

Himmel, woher kam das denn?

Aber sie wusste es. Sie fühlte sich zu ihm hingezogen. Nicht nur, weil er gut aussah, sondern auch, weil er der Vater dieser beiden hinreißenden Babys war. Das war einfach nicht richtig, darum sollte sie ihre freien Tage absprechen, damit sie ihren Verlobten besuchen konnte. Dann würde sie vielleicht aufhören, Chance anzusehen, als hätte sie das Recht dazu.

„Also sind zwei freie Tage in Ordnung?“

Er trank die halbe Flasche Saft aus, bevor er antwortete: „Sagen Sie nur, welche genau.“

„Darüber muss ich nachdenken, aber ich gebe Ihnen Bescheid.“

„Gut.“

Stille machte sich breit.

Nervös sah sie sich um. Was nun? Am liebsten würde sie weglaufen, aber sie musste eine Weile mit diesem Mann zusammenleben, darum sollte sie sich an seine Gegenwart gewöhnen.

Tory räusperte sich. „Wie ist es mit Ihrem Bruder gelaufen?“

„Ganz gut. Er möchte, dass ich für Montgomery Development arbeite.“

„Und Sie möchten das nicht?“ Erleichtert ging sie zum Sofa. Es störte ihn nicht, dass sie fragte, und es interessierte sie wirklich, weil es sich auch auf ihr Leben auswirkte.

„Ich habe bereits eine eigene Firma, erinnern Sie sich? Ich brauche keinen Job.“

„Sie haben gesagt, dass sich im Moment ein Geschäftsführer darum kümmert.“

„Hm. Max ist der Meinung, dabei sollte ich es belassen, damit ich ihm bei Montgomery Development helfen kann.“ Er seufzte leise. „Es ist eine tolle Firma.“ Chance wirkte nachdenklich. „Als ich wegging, war das anders. Mein Dad war ein richtiger Halunke und hat viele Leute betrogen. Damals hätte ich auf keinen Fall dort arbeiten wollen, aber mein Bruder hat in den letzten Jahren viel verändert. Jetzt ist die Firma seriöser, und sie wächst. Einige Sachen, die Max tut, sind unglaublich. Ich wäre gern ein Teil davon.“

Tory runzelte die Stirn. „Also bleiben Sie hier?“

Chance verzog das Gesicht. „Ich glaube, ich überzeuge mich gerade selbst davon. Außerdem möchte meine Mutter gern, dass ich bleibe.“

„Das ist schön.“

Unsicher zuckte er die Schultern und wich ihrem Blick aus. „Sie könnten die Stelle als Kindermädchen dauerhaft haben … wenn Sie wollen.“

Ihr stockte der Atem. Es war erst ihr zweiter Tag hier, aber bereits jetzt gefiel es ihr sehr. Diese bezaubernden Babys füllten das schmerzliche Loch in ihrem Herzen, von dem sie nicht einmal geahnt hatte, dass es da war, bis sie die Kinder im Arm gehalten hatte.

Ihr Chef war ebenfalls nett, und sie konnte sich gut mit ihm unterhalten. Jahrelang hatte sie nur mit Therapeuten, Krankenschwestern und ihren Eltern gesprochen – und mit Jason, der nicht antwortete.

Ihr einziges Problem war, dass sie ihren Chef anziehend fand – aber das konnte sie bestimmt unter Kontrolle halten. Schließlich war sie verlobt.

Nervös befeuchtete sie ihre Lippen. „Dann müsste ich meine freien Tage am Wochenende nehmen.“

Er sah sie direkt an. „Oder ich spreche das mit meiner Mutter ab.“

„Sie müssen sich nicht nach mir richten.“

„Ich mag Sie.“

Vor Freude geriet ihr Herz aus dem Rhythmus. Sie redete sich ein, dass es daran lag, weil sie diese Arbeit mochte. Aber ein Blick in seine blauen Augen sagte ihr, dass das nicht die ganze Wahrheit war. Sie mochte ihn, weil er interessant, lustig und sexy war. Dank ihm fühlte sie sich gebraucht, nützlich. Und schön. Dazu musste er nicht einmal etwas sagen. Das zeigte ihr die Art, wie er sie ansah.

„Und ich möchte Sie gern als Kindermädchen behalten.“

„Natürlich.“ Idiotin. Dachte sie wirklich, dass er sie nach so kurzer Zeit auf diese Art mochte? Das waren Hirngespinste. Außerdem war es einfach falsch, sich zu ihm hingezogen zu fühlen. „Aber ich möchte auch fair sein.“

Er stand auf. „Warum versuchen wir es nicht? Wenn Samstag und Sonntag als freie Tage für Sie ungünstig sind, treffen wir andere Vorkehrungen.“

Bei seinem Lächeln geriet Torys Herz erneut ins Stolpern, und ihr wurde schwindelig. Stumm nickte sie.

„Wenn es Ihnen nichts ausmacht, möchte ich jetzt gern aus diesen Klamotten raus und etwas spazieren gehen, bevor die Kinder aufwachen.“

„Das wäre toll. Ich meine … gut … ich bin hier.“

Lachend verließ er das Zimmer, während Tory auf dem Sofa zusammenrutschte. Was war nur los mit ihr? Gut, er war attraktiv, aber er spielte in einer völlig anderen Liga. Außerdem war er ihr Chef, und sie hatte eine Verpflichtung Jason gegenüber!

Chance verließ das Haus, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Aber nach nicht einmal drei Schritten blieb er abrupt stehen.

Tory hatte ein Geheimnis.

Deswegen konnte sie nicht genau sagen, wohin sie an ihren freien Tagen gehen wollte. Es gab etwas in ihrem Leben, das sie ihm nicht erzählen wollte.

Nicht, dass sie ihr Privatleben nicht privat halten könnte, aber …

Sein Leben war auf Geheimnissen und Lügen gebaut. Nach seinem Dad und Liliah brauchte er Ehrlichkeit von den Menschen um ihn herum. Heute Morgen hatte Max viel von seinem Vertrauen zurückgewonnen, weil er offen gewesen war, aber sein ansonsten perfektes Kindermädchen hielt etwas zurück.

Wollte er seine Kinder wirklich jemandem anvertrauen, der etwas vor ihm verheimlichte?

Beunruhigt lief er schnell zurück. Als er das Haus betrat, hörte er, dass die Kinder unruhig waren. Schnell ging er ins Kinderzimmer, wo Tory Cindy die Windel wechselte, während Sam in seinem Bettchen weinte. Chance wechselte Sam die Windel, dann spielten sie mit den Zwillingen, bevor Tory zum Abendessen zur Villa hinaufging.

Sie hatte weder nervös noch aufgeregt gewirkt, also musste ihr Geheimnis etwas Persönliches sein. Vielleicht ein Freund, den sie zweimal die Woche traf.

Das war gut. Eine heimliche Liebe würde ihm dabei helfen, Abstand zu ihr zu halten.

Als sie zurückkam, hatte Chance die Babys auf den Boden gesetzt, damit sie Krabbeln üben konnten.

Tory stürmte zu ihnen und setzte sich zu ihnen. „Ihr lernt ja Krabbeln!“ Begeistert klatschte sie in die Hände, und Chance lächelte sie an, wurde aber schnell wieder ernst.

Sie hat einen Freund. Vor Enttäuschung zog sich sein Magen zusammen.

„Wie wäre es mit einem kleinen Imbiss und danach mit einem Bad?“, fragte sie und nahm Cindy mit, als sie aufstand.

„Klingt gut.“ Während Chance ihr folgte, rief er sich ins Gedächtnis, dass sie ein Recht auf ein Privatleben hatte – einen Freund. Er musste sich zusammenreißen.

Dann fütterten sie die Kinder, bevor sie mit ihnen ins Bad gingen. Dort holte Tory zwei Plastikbabywannen aus dem Schrank und füllte sie mit Wasser.

Sam liebte das Wasser und klatschte begeistert mit seinen kleinen Händen darauf.

Lächelnd sah Tory ihm zu. „Bald wird er da nicht mehr reinpassen. Dann müssen wir ihn in der großen Badewanne baden.“

„Ist das nicht gefährlich?“

„Wir dürfen ihn nur nicht allein lassen“, erklärte sie amüsiert. „Kinderbetreuung ist eine Mischung aus Wissen und gesundem Menschenverstand.“

Er erinnerte sich an all die Dinge, die sie ihm schon beigebracht hatte. Wehmut erfüllte ihn. Sie war süß und lustig. Die Art Frau, die er nach Liliah brauchte.

Liliah. Wenn er nur an ihren Namen dachte, wurde er wütend, weil er ihn an die Demütigung erinnerte, dass sie nur mit ihm ausgegangen war, um ihn zu benutzen. War es da nicht dumm, sich so schnell in Tory zu verlieben? Eine Frau, die er nicht einmal richtig kannte? Mit einem Geheimnis und wahrscheinlich einem Freund?

Vorsichtig drückte Tory einen Waschlappen über Cindys Kopf aus und brachte sie zum Kichern. Liebevoll wusch sie das kleine Mädchen, während Chance sich um Sam kümmerte. Danach wickelten sie die beiden nassen, zappelnden Babys in dicke, flauschige Handtücher und trugen sie ins Kinderzimmer, um ihnen ihre Schlafanzüge anzuziehen. Als die Kleinen eingeschlafen waren, verließen Chance und Tory den Raum.

Allein im Wohnbereich hatte sich Chance wieder vollkommen unter Kontrolle. Er nahm die Fernbedienung vom Couchtisch und ließ sich auf das Sofa fallen.

Direkt neben Tory.

Weil er dachte, sie wäre in ihr Zimmer gegangen, hatte er nicht darauf geachtet, und jetzt saßen sie plötzlich dicht nebeneinander.

Erschrocken sah er zu ihr, eine Entschuldigung bereits auf den Lippen. Aber sie sah ihn so sehnsüchtig an, dass er kein Wort herausbrachte.

Wärme breitete sich in ihm aus. Wenn er die Hand ausstreckte, könnte er in ihr dichtes, rotbraunes Haar greifen, ihr Kinn anheben und sie küssen.

Könnte den Hunger stillen, der in ihm wütete, wenn er sie nur ansah.

Als ahnte sie seine Gedanken, holte Tory scharf Luft. Das lenkte seinen Blick auf ihre Brust und schürte sein Verlangen.

Hastig sprang er auf. „Wissen Sie was? Ich bin doch müder, als ich dachte. Ich werde ins Bett gehen.“

Mitten in der Nacht wurde Tory vom Schreien der Babys geweckt. Schnell stand sie auf, zog sich ihren Morgenmantel über und humpelte ins Kinderzimmer. Nach langem Sitzen oder morgens nach dem Aufstehen machte ihr Bein ihr immer zu schaffen. Gerade als sie die Tür öffnete, die von ihrem Zimmer ins Kinderzimmer führte, öffnete Chance seine Tür.

Seine kurzen, schwarzen Haare standen wüst vom Kopf ab, und er blinzelte verschlafen gegen das Licht, das sie eingeschaltet hatte. Er trug nur eine schwarze Jogginghose, die ihm tief auf den schmalen Hüften saß, und zeigte seine muskulöse, behaarte Brust. Sogar seine Füße waren nackt.

Tory stockte der Atem, und vor Verlangen wurde ihr heiß. So etwas hatte sie noch nie bei einem Mann gefühlt. Nicht einmal bei Jason. Und gerade deshalb war es so falsch.

Schnell ging sie zu Cindys Bettchen. „Ich dachte, es ist meine Aufgabe aufzustehen, wenn die Babys weinen?“

Irgendwie musste sie überspielen, wie sie ihn gerade gemustert hatte. Er mochte attraktiv sein mit seinem sexy Körper, aber das war nicht seine Schuld – das hatte Mutter Natur ihm eingebrockt. Nachdem sie ihn auf dem Sofa so sehnsüchtig angesehen hatte, musste sie jetzt beweisen, dass sie sich in seiner Gegenwart professionell verhalten konnte.

Chance rieb sich über das Gesicht. „Letzte Nacht durchzuschlafen, war fantastisch, aber sie sind nun mal zu zweit, da geht es schneller, wenn wir zusammenarbeiten.“

Seine tiefe, maskuline Stimme ließ Schmetterlinge in ihrem Magen flattern. Was war nur los mit ihr? Sie musste das ignorieren.

Schweigend kümmerten sie sich um die Windeln. Hinterher bedeutete Chance ihr, Cindy in seinen freien Arm zu legen. „Ich halte die beiden, während Sie die Fläschchen holen.“

Vorsichtig reichte Tory ihm das Baby, um ihn nicht zu berühren. Dann verließ sie hastig das Zimmer und holte zwei Fläschchen aus der Küche. Als sie ins Kinderzimmer zurückkam, sah sie Chance, der mit zwei schreienden Babys zu kämpfen hatte.

Schnell gab sie ihm eine Flasche und nahm ihm Cindy ab. „Jetzt verstehe ich, was Sie damit gemeint haben, dass sie wie Katzen auf Ihnen herumkrabbeln.“

Dann herrschte bis auf das gierige Saugen der hungrigen Babys Stille.

Leider schien so alles noch viel intimer.

In Gedanken lachte Tory auf. Das bildete sie sich nur ein. Er war ihr Chef, sie das Kindermädchen, das er brauchte. Und das gefiel ihr. Sie war gern mit den Kindern zusammen.

Sam war zuerst fertig. Nach einem Bäuerchen legte Chance ihn mit einem Gute-Nacht-Kuss in sein Bettchen. Dann verließ er ohne ein weiteres Wort das Kinderzimmer und bestätigte ihr nur, dass sie sich das alles einbildete.

Langsam schlief auch Cindy ein.

„Hey“, flüsterte Tory. „Du kannst doch nicht einfach beim Essen einschlafen.“

Das kleine Mädchen blinzelte sie an, als wollte sie sagen, dass ihr das half, wach zu bleiben. Tory musste lächeln. „Du magst also ein bisschen Unterhaltung?“ Sie streichelte die Stirn des Babys. „Dann müssen wir deinem Daddy beibringen, dass er mit dir spricht, wenn er dich füttert.“

Als Cindy die Augen wieder zufielen, war die Flasche leer. Schnell ließ sie das Mädchen noch ein Bäuerchen machen und legte es dann in sein Bettchen.

An der Tür drehte sie sich noch einmal um. Wenn Chance die Stelle in der Firma seiner Familie annahm und sie als Kindermädchen behielt, könnte sie die beiden aufwachsen sehen.

Das waren gefährliche Träume. Sehr gefährliche Träume.

Allerdings wussten die Ärzte nicht, wie lange Jason im Koma liegen würde. Und als Kindermädchen bekam sie etwas, auf das sie sonst verzichten müsste – Kinder.

Bis auf diese verdammte Anziehung wäre das perfekt.

Nein, sie konnte hier nicht ewig bleiben. Maximal sechs Jahre. Aber wenn sie sich anstrengte, reichte die Zeit, um ihren Abschluss zu machen.

Vielleicht sollte sie sich besser darum kümmern, statt sich in Tagträumen über fremde Kinder zu verlieren.

Am nächsten Morgen wollte sich Chance erneut mit seinem Bruder treffen. Wieder stürmte er in Anzug und Krawatte aus dem Haus – allerdings dachte er diesmal daran, sich von seinen Kindern zu verabschieden.

Im Auto erinnerte er sich an den Augenblick am Abend zuvor, bevor er aufgesprungen war. Frustriert ließ er den Kopf auf das Lenkrad sinken. Wie konnte er daran denken, Tory zu küssen, wenn sie vielleicht einen Freund hatte – auf jeden Fall aber ein Geheimnis.

Er holte tief Luft. Das ging ihn wahrscheinlich nichts an. Tory war eine Angestellte, und vielleicht verschwanden diese Gefühle, wenn er das im Hinterkopf behielt.

Chance schob den Schlüssel ins Zündschloss. „Was sie in ihrer freien Zeit tut, geht mich nichts an.“

Aber gestern Nacht im Kinderzimmer hatte sie ihn angestarrt, als hätte sie ewig keinen Mann gesehen, und dann ihr Stottern, als sie ihm erklären wollte, warum sie die freien Tage brauchte …

Nach seiner Beziehung zu Liliah würde er kein weiteres Drama in seinem Leben dulden, und sollte ihr Geheimnis so etwas verursachen, würde er sie feuern.

Punkt.

Eigentlich sollte er sich jetzt besser fühlen, stattdessen wurde er noch unruhiger, wütend und nervös. Er wollte sie weder rauswerfen noch gegen diese Anziehung ankämpfen, sondern sich darauf einlassen.

Was ihn nur noch mehr verärgerte.

Warum konnte er nicht aufhören, an sie zu denken?

Chance hielt auf dem Parkplatz der Geschäftsführung für Montgomery Development, stieg aus dem Auto und fuhr mit dem privaten Aufzug in Max’ Büro. Als sich die Aufzugtüren öffneten, sah er sich unzähligen Männern und Frauen in grauen, schwarzen und blauen Anzügen gegenüber.

Erleichtert atmete er auf. Mit Geschäftlichem kannte er sich aus. Und so konnte er sich von Tory ablenken, ihren Geheimnissen und ihren sanften, braunen Augen.

Als er das Büro betrat, stellte Max ihn stolz vor: „Das ist mein Bruder Chance.“

Während Max Namen nannte und Chance unzählige Hände schüttelte, fühlte er sich als Teil der Firma, weil sein Bruder ihn vorstellte, als wäre klar, dass er in Pine Ward blieb. Aber langsam kam ihm Max’ Verhalten genauso seltsam vor wie das seines Kindermädchens.

Warum gab er sich solche Mühe, ihn einzubeziehen?

Als das Meeting endlich vorüber war, nahm er vor Max’ Schreibtisch Platz, sein Bruder dahinter. „Also, was denkst du? Ist Montgomery Development eine Firma in der du dir vorstellen kannst, die nächsten 20 Jahre oder so zu arbeiten?“

Chance lachte leise. „Gleich auf den Punkt, hm?“

„Hey, ich weiß nicht, wie lange du hier bist. Also bleibt mir nichts anderes übrig.“

„Gut. Du willst wissen, was ich denke? Ich denke, du wirst wie Dad Versprechungen machen und sie dann brechen, wenn du mich hier hast.“

Sprachlos starrte Max ihn an. „Haben dir die letzten zwei Tage gar nichts bedeutet?“

„Max, du warst wie Dad, ein Charmeur. Und da soll ich glauben, dass du dich verändert hast?“

Der Stuhl knarrte, als sich sein Bruder zurücklehnte. „Sprich weiter.“

„Ehrlich gesagt gehe ich lieber, bevor du mich betrügst, belügst oder mir wichtige Informationen vorenthältst.“

Sein Bruder lachte. „Ich verstehe. Du willst, dass ich wie Dad bin, damit du Mom sagen kannst, du hättest es versucht, aber könntest unmöglich mit mir arbeiten.“ Er stand auf und beugte sich über den Tisch. „Aber dir muss klar sein, kleiner Bruder, dass dir ein Drittel der Firma gehört. Wenn Mom stirbt, gehört uns beiden die Hälfte. Du wirst mich nicht los, und ich will nicht die ganze Arbeit allein machen. Also klären wir das jetzt.“

Wie Max beugte sich Chance über den Tisch. „Gut, warum hast du mir nicht gesagt, dass Dad mein leiblicher Vater war?“

Max lehnte sich noch näher zu ihm. „Weil ich nur Büroklatsch gehört hatte! Ich wollte dir keine Gerüchte erzählen. Jetzt bin ich dran. Wenn du so toll bist und Mom so sehr liebst, warum hast du die letzten fünfzehn Jahre nicht einmal eine Weihnachtskarte geschickt?“

„Ich war wütend.“

„Oh, der kleine Chance war böse“, sagte Max mit hoher Stimme.

Chance musste gegen seinen Willen lachen.

Max ließ sich wieder auf seinen Stuhl fallen. „Du hast also Angst davor, mit mir zu arbeiten?“

Er nahm ebenfalls wieder Platz. Das war sein Moment der Wahrheit – kein Ausweichen, keine Beschuldigungen, nur die Wahrheit. Denn so gern er auch wollte, er konnte hier nicht arbeiten. „Ich kann dir nicht vertrauen, Max.“

„Weil ich vierundzwanzig Stunden lang etwas wusste und dir nicht erzählt habe?“

„Vielleicht. Aber es geht mehr um Dad und Verbindungen zu diesem Ort, die ich nicht abschütteln kann. Ich habe fünfzehn Jahre damit verbracht, dich nicht zu mögen, das verschwindet nicht einfach wieder.“

„Das ist in Ordnung.“

Überrascht sah Chance auf. „Was?“

„Du brauchst Zeit, und die gebe ich dir gern.“ Er lehnte sich wieder in seinem Stuhl zurück. „Chance, ich bin ein Alkoholiker, der bei gut der Hälfte der Einwohner der Stadt Wiedergutmachung leisten musste. Ich musste geduldig sein, bis sich beinahe jeder, den ich kannte, an mein neues Ich gewöhnt hat. Es wäre doch schlimm, wenn ich da nicht warten könnte, bis sich mein Bruder daran gewöhnt hat.“

Chance schwieg. So ehrliche Worte hatte er von niemandem bisher gehört. Wie gern wollte er Max eine zweite Chance geben. Schließlich war er der große Bruder, den er einmal abgöttisch geliebt hatte.