Julia - Michael Speaker - E-Book

Julia E-Book

Michael Speaker

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Beschreibung

Julia und die Stille Revolution des Bewusstseins ist ein Roman, den ich nach meiner Pilgerreise durch Südfrankreich im September 2018 angefangen habe zu schreiben. In dem Buch geht es um spirituelle und weltliche Themen. Die Herausforderungen unserer Zeit häufen sich und manchmal fühlt es sich für uns an, als würden wir keinen Ausweg mehr sehen. Doch es gibt einen Weg abseits von richtig und falsch. Ich nenne es den Weg des Herzens oder der göttlichen, universellen Führung. Es gibt Gesetze, auf denen unsere gesamte Existenz aufbaut. Sie sind multidimensional und physikalischer Natur - genauso wie wir. Somit können wir unsere Grenzen sprengen und in tiefere Ebenen des Seins eindringen. Die für mich wesentlichen Themen habe ich in einen hübschen Roman gepackt: Es geht um Louis, einen jungen Studenten, der einen Ausweg aus seinem Leben sucht. Unverhofft trifft er auf Julia, eine merkwürdige junge Frau und erfährt sich in dieser Begegnung ganz neu.

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EPUB
MOBI

Seitenzahl: 354

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Julia

& die stille Revolution des Bewusst-seins.

Inhalt

Cover

Titelblatt

Warum schreibe ich?

Tag I – Montag

Tag II – Die Begegnung

Tag III – Leben

Tag IV – Glück

Tag V – Bewusst-sein

Tag VI – Liebe

Tag VII – Erwachen

Montag

Schlusswort

Notizen

Julia

Cover

Titelblatt

Warum schreibe ich?

Notizen

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Warum schreibe ich?

Ja, warum schreibe ich eigentlich? So ganz genau weiß ich es selbst nicht. Aber um es kurz zu fassen, ich habe genug Zeichen erhalten, die mir zu verstehen gaben, dass ich meine Gedanken auf Papier bringen soll. Nun sitze ich da und schreibe und versuche in Worte zu fassen, was nur schwer zu fassen ist.

Ich befinde mich auf dem Weg, wie jede*r von uns. Einige wissen es, viele auch nicht. Ein Teil des großen kosmischen Spiels. Ich tanze und schufte, lache und weine und tue immer das, was sich für mein Herz richtig anfühlt. Wie so viele befinde ich mich auf der Suche, auf der Suche nach dem, was dahinter liegt.

Krabbelnd ging es in den Garten des Nachbars und ich wuchs heran. Ich beendete meine Schulzeit und nahm mir eine lange Auszeit auf den Philippinen. Als ich verstand, dass die Antwort nicht in der Ferne, sondern in mir selbst liegt, widmete ich mich der Ekstase, der Meditation und meinem Bewusstsein. Somit kam ich mir selbst immer ein kleines Stückchen näher. Immer näher zu dem, was ich bin. Im Sommer 2018 fügten sich die Fäden zusammen und es machte ‚Klick‘. Ein Gefühl in mir sagte, ich sollte pilgern gehen. Zuerst hörte ich nicht darauf. Doch dann haben mir die unterschiedlichsten Menschen dies geraten. Daraufhin pilgerte ich im Spät-Sommer durch Südfrankreich. Das Pilgern hat mir geholfen, dass so einiges von meinem Kopf in mein Herz rutschen konnte und ich machte Erfahrungen, die meine unvorhandenen Erwartungen um weites übertrafen. Sonne & Mond kamen und gingen, ebenso wie meine Gedanken und Gefühle. Eine ungewohnte Präsenz und Bewusstheit machte sich in mir breit und auf einmal hatte ich diesen Moment: „Ich werde mein Leben der Liebe hingeben und mein ganzes Sein, meine ganze Energie daraufhin ausrichten, auch wenn dies den physischen Tod bedeutet.“ Ich weinte, ich weinte so sehr, weil ich wusste, dass dies meine Bestimmung ist. Ich habe mein Licht gefunden und es führt mich bis heute durch mein Leben. Es kommen ständig neue Impulse, Bekanntschaften und Erfahrungen. Alles strotzt nur so vor Magie und Bedeutung. Mein Leben fühlt sich erfüllt und beseelt an. Mit offenen Augen und einem offenen Herzen spaziere ich durch die Welt. Gut verbunden mit unserer Mutter, dem Kosmos und allem was ist lasse ich mich treiben. Wie jede*r von uns trage auch ich mein Licht im Herzen und mein Urvertrauen an das Leben und die Liebe treibt mich voran. Wohin es mich auch treiben mag, ich weiß, dort werde ich immer richtig sein.

Ich weiß nicht für wen ich dieses Buch schreibe und manchmal auch nicht warum. Aber ich weiß, dass ich schreibe, um das in Worte zu fassen, was in mir ist. Einfach nur, weil ich es gerade für das Richtige halte.

Tag I – Montag

Ich renne durch einen dicht bewachsenen Wald, winde mich um einige in den Himmel empor ragende Bäume und versuche zu fliehen. Einfach nur weg, weg vor dem was hinter mir her ist. Schnell, bevor es mich verschlingt. – Stopp! Vor welchem Grauen renne ich eigentlich davon? Ich drehe mich gespannt um. Doch was ich sehe, überrascht mich. Ein weißes Licht kommt auf mich zu und hüllt mich komplett ein. Dann sehe ich eine weibliche, einnehmende, unbekannte Frauengestalt. Sie bewegt sich langsam auf mich zu, in behutsamen Schritten. Ihre Weiblichkeit zieht mich förmlich an. Sie schaut mir mit ihrem klaren Blick direkt in meine Augen und kommt mir stetig näher. Ihr Gesicht ist nun genau vor meinem und ich erkenne die unbekannte Frau nun besser. Einige Falten zieren ihr hübsches Gesicht. Sie ist alt und dennoch auf eine ganz eigene Art und Weise anziehend. Ich sehe all ihre markanten Konturen, die Nase, die Lippen, das spitze Kinn und die zarten Wangen. Doch etwas ist merkwürdig. Ich kenne diese Frau nicht, sie ist mir unbekannt und doch so vertraut. Sie schaut mir weiter tief in die Augen und es fühlt sich keineswegs beklemmend an. Mit grenzenloser Liebe schaut sie auf mich herab, so wie eine Mutter ihr Kind ansehen würde. Sie streicht mir mit ihren weichen Händen über das Gesicht. Es fühlt sich an wie ein zarter Windhauch. Ein kurzer Moment der vollkommenen Erfüllung und des Wohlbefindens. Doch etwas stört die Harmonie. Das wohlige Gefühl wird von einem nervenaufreibenden Piepen unterbrochen. Ein fürchterlicher Ton, wie aus den Abgründen des Alls. Der Ton verzerrt sich und das Gesicht der Frau löst sich in winzig kleine Partikel auf und verbindet sich mit dem hellen Licht und dem satten Grün des Waldes. Ein drehend bunter Farbkreis mit den unterschiedlichsten Facetten ist zu sehen und ich werde wie in einem Abfluss nach unten gespült. Nein! Der Ton zieht sich auseinander, genau wie die Farben um mich herum. Nein, ich möchte hier bleiben. Doch nichts hilft, die Dunkelheit hat mich bereits verschlungen.

Mit verschlafenen Augen orientiere ich mich kurz – alles nur ein Traum? Graues Licht schimmert durch das hohe rechteckige Fenster und ich liege in meinem wärmenden Bett. Immer noch dieser Ton. Es ist ein nervendes gleichmäßiges Piepen, ein altbekannter Ton. Ich greife mit meiner rechten Hand nach dem Wecker, doch kann ihn nicht fassen. Das Piepen wird lauter und schneller. Ich drehe mich in die Richtung meines klingelnden Weckers und beende das nervenaufreibende Geräusch mit einem Schlag auf den Ausschalter. Ruhe. Ein lauter Seufzer kommt aus meinem Inneren heraus. Uahhh… Ich reibe meine Augen und bleibe noch einen Moment in meinem kuscheligen Bett liegen. Nach einer kurzen Weile der Wonne und der Stille richte ich mich auf und ziehe den langen dunkelblauen Vorhang meines Fensters zur Seite.

Kühles Licht strömt in das Zimmer und ich kneife meine Augen leicht zusammen. Ich blinzle kurz und blicke nach draußen, eine Wolkendecke überzieht den Himmel. Ein ernüchterndes Gefühl breitet sich in mir aus. Sitzend blicke ich noch eine Weile aus meinem Fenster, bevor ich missmutig aus meinem Bett steige. Leicht verschlafen und mit wackeligen Füßen begebe ich mich in die eisige Küche. Es ist kalt. Ich schalte den Wasserkocher an, richte mir eine Tasse mit Kaffee und Filter zurecht und nutze die Zeit, die das Wasser zum Kochen benötigt, um auf die Toilette zu gehen. Wieder in der Küche angekommen, nehme ich zwei Löffel von dem Kaffeepulver und gebe es in den vorgefertigten Kaffeefilter, der über meiner Keramiktasse steht und überbrühe das braune Pulver mit dem heißen Wasser des Wasserkochers. Ein wohltuender Geruch steigt in meine Nase und das erste leichte Lächeln an diesem Montagmorgen breitet sich in meinem Gesicht aus. Der Filterkaffee ist fertig und ich schütte einen Schuss Milch in das dunkle Gebräu. Ich blicke in die Kaffeetasse und sehe, wie die Milch langsam von unten nach oben aufsteigt. Ein kurzes Farbspiel des schwarzen Kaffees und der weißen Milch ist zu sehen, bevor sich der Kaffee zu einem einheitlichen Braun verfärbt. Genüsslich trinke ich meinen Kaffee. Die Tasse ist ausgetrunken und ich wende meinen Blick von der Kaffeetasse zur Uhr, die über dem Küchentisch tickt. Somit war die kurze Freude an diesem Montagmorgen auch schon wieder verflogen. In Eile putze ich meine Zähne, packe meine Schreibsachen zusammen und stecke mir einen Apfel in meinen Jutebeutel. Dann ziehe ich die Wohnungstür hinter mir zu.

Als ich die Haustüre des Altbaus verlasse, sehe ich, wie eine etwa dreißigjährige Frau zwei Kinder an ihren Händen hinter sich herzieht. Ihre Mine ist entnervt und sie blickt geradeaus auf den langen Gehweg. Die Kinder können dem schnellen Gang der Mutter kaum mithalten. Ich höre nur, wie der kleine Junge seine Mutter fragt: „Warum haben Autos vier Räder?“ Die Mutter scheint seine Frage gar nicht wahrzunehmen und blickt weiter geradeaus auf den grau gepflasterten Gehweg. Das Mädchen an ihrer rechten Hand schweigt, ganz nach dem Vorbild ihrer Mutter und läuft ihr eifrig hinterher. Der Blick des Mädchens wandert von dem Gehweg zu dem Gesicht ihrer Mutter und zurück. Ich lasse die Frau mit ihren Kindern links an mir vorbeiziehen und schlage die entgegengesetzte Richtung ein. Nach einigen Metern überquere ich die Straßenseite. Kaum habe ich die geteerte Straße betreten, rauscht ein weißes Auto um die Ecke, es fährt mit Beschleunigung auf mich zu und jagt mich von der Fahrbahn. Ich drehe mich nach dem Sportwagen um und würde ihm am liebsten etwas hinterherbrüllen. Doch das ist die Mühe nicht wert, ich schüttle leicht meinen Kopf und setze meinen Weg zur Bushaltestelle fort. Viele Menschen mit eintöniger Bürokleidung kommen mir entgegen. Die unzufriedenen Gesichter sind auf ihre Smartphones gerichtet, nur wenige schauen auf ihren Weg, andere hören mit ihren Kopfhörern Musik. Der Gesichtsausdruck scheint bei jedem der Gleiche zu sein. Ich schaue in jedes einzelne Gesicht und probiere, die Gemütslage der Personen genauer einzuordnen. Ich sehe genervte junge Menschen, geschäftstüchtige Frauen und alte Männer mit vereinzelten Haaren auf dem Kopf. Obwohl ich jeden dieser Menschen einige Sekunden mustere und meinen Blick anschließend zur nächsten Person wende, werde ich dabei kaum wahrgenommen. Ich fühle mich wie ein Geist, der an den arbeitseifrigen und gestressten Menschen vorbeizieht und von ihnen keinerlei Beachtung erfährt. Jeder Mensch eingeschränkt in seiner eigenen kleinen subjektiven Wahrnehmung. Das Smartphone als treuen Begleiter immer griffbereit, um sich im Ernstfall aus der Realität in die digitale Welt zu retten. Um sich an den Bildern und Videos anderer zu vergnügen oder, um alle noch so wichtigen Chatverläufe zu beantworten. Jeder Mensch ein Individuum, mit einer persönlichen Geschichte und doch fühlen alle gleich. Mein Blick wendet sich zu jener jungen Blondine, die gerade die Treppe der Unterführung hinaufsteigt. Ihre Haare sind zusammengebunden, die Augenbrauen etwa einen Zentimeter dick touchiert und ihr Makeup überdeckt die zahlreichen kleinen Pickel und Poren. Dazu trägt sie eine elegante Brille mit einem schwarzen rechteckigen Rahmen. An ihrem Ohr hält sie ihren smarten Begleiter. Ich schaue ihr kurz in die Augen und bevor ich meinen Blick zurück auf den Weg richten kann, starrt mich die Frau mit einem kurzen herabwürdigenden Blick an. Als wolle sie mir sagen, ich solle sie nicht so angaffen.

Ich erschrecke, werde nervös und rege mich gleichzeitig auf. Mit gesenktem Kopf gehe ich weiter. Was ist nur los mit diesen Menschen? Sie benehmen sich, als wollten sie bloß nichts von ihrer Umwelt mitbekommen und wehe jemand wagt es, einem in die Augen zu schauen. Der Blick in die Augen ist ein Blick in die Seele und so wie es aussieht, muss jeder sein Inneres vor seinen Mitmenschen verbergen. Dieser Gedanke führt nun dazu, dass sich eine tiefe Unzufriedenheit in mir ausbreitet. Eine Unzufriedenheit gegenüber der Welt und dessen misslungenen Geschöpf, den Menschen. Die Unzufriedenheit und Wut gegen das Leben ist jedoch ein altbekanntes Gefühl, welches ich nur zu gut kenne. Ich befinde mich mittlerweile in der Unterführung der Bahnstation und das Bild ist geprägt von einem armselig bekleideten Bettler und einem musizierenden Straßenmusikanten. Im Hintergrund ist noch ein schlafender Obdachloser auf einigen Pappkartons zu sehen, umgeben von seinen wenigen Habseligkeiten. Der Bettler wird von den eilig vorbeihuschenden Menschen nur wenig beachtet. Abgesehen von denjenigen, die von ihrem Gewissen geplagt werden und sich für eine Münze ein Gefühl von Barmherzigkeit und Gutmütigkeit zu kaufen versuchen.

Als ich die linke Treppe der Bahnunterführung nach oben husche, weht mir der Geruch von frischen Backwaren entgegen. Der Brezel Corner, ein Bäcker in der S-Bahnstation, der frisch gebackene Brezeln, belegte Brötchen und andere Leckereien verkauft. Ich kann dem Geruch nicht widerstehen und da sich mein Frühstück auf eine Tasse Kaffee beschränkte, nehme ich mir noch eine Brezel für den Weg mit. Die Verkäuferin hat zahlreiche Kunden gleichzeitig zu bedienen und für überflüssige Freundlichkeit ist kein Platz. Ich gebe ihr das passende Kleingeld, nehme meine Brezeltüte und gehe durch die Schwenktüren des Bahnhofes nach draußen. Mein Blick richtet sich zur Bushaltestelle und dort erkenne ich, wie mein Bus schon abfahrtsbereit an der Haltestelle steht. Eilend renne ich in Richtung des Busses. An den parkenden Autos und den umherlaufenden Menschen vorbei. Doch es nützt nichts. Kaum bin ich an dem Bus angekommen, fährt er vor meiner Nase davon. Nun stehe ich da, mit tiefem Atem und meiner Brezeltüte in der Hand. Für einen Moment bleibe ich so stehen. Dann laufe ich ein Stück vor der Bushaltestelle mit kleinen Schritten hin und her und ordne meine Gedanken. Na toll, wenn ich mir keine Brezel geholt hätte, hätte ich den Bus mit Leichtigkeit noch bekommen.

– Hätte, hätte Fahrradkette.

Mein Atem wird ruhiger und ich setze mich auf die Bank der Bushaltestelle. Mein Gesicht ist auf die Straße gerichtet. Im Hintergrund sehe ich einige mit Graffiti besprühte Betonpfeiler, welche die Bahngleise in einigen Metern Höhe schweben lassen. Darunter einige metallene Mülltonnen und parkende Autos. Alles erscheint in einem tristen grauen Licht, der Himmel dicht bewölkt. Die Bäume haben kaum Blätter und sehen aus, wie karge Skulpturen der städtischen Landschaft. Einige Tauben irren umher und suchen nach etwas Essbarem. Ich packe mein Laugengebäck aus der Tüte und reiße mir ein kleines Stück davon ab. Die Brezel ist noch warm.

Eine Weile sitze ich so da, meine Brezel bereits aufgegessen. Dann kommt schon der nächste Bus und hält vor mir an der Haltestelle. Ich richte mich auf. Um mich herum haben sich bereits einige Menschen versammelt. Sie bewegen sich alle zu den noch geschlossenen Türen des Gelenkbusses. Die Türen öffnen sich und die Fahrgäste verlassen das Fahrzeug. Endhaltestelle. Die wartenden Menschen weichen nur ein kleines Stück zur Seite, um die aussteigenden Fahrgäste vorbeizulassen. Denn jeder hat es eilig in den Bus zu kommen. Ich betrachte das Gedränge von einiger Entfernung und werfe meine Papiertüte in den Abfalleimer. Als letztes kommt noch eine junge Mutter mit ihrem Kinderwagen aus dem Bus gestiegen. Sie hat Schwierigkeiten den Kinderwagen samt Kleinkind aus dem Fahrzeug zu hieven. Vielleicht denken gerade einige der wartenden Personen, ob sie der Frau behilflich sein können. Dann schaue ich mir die wartende Meute genauer an – wohl eher nicht. Nun überlege ich mir ihr zu helfen und trete einen Schritt näher. Bevor der Kinderwagen mit zwei Rädern den Gehweg berührt, drängt sich der erste Jüngling an der Frau vorbei und versucht sich einen Platz im hinteren Abteil zu sichern. Ich nehme eine Männerstimme wahr. „Die Jugend von heute hat kein benehmen mehr!“ Ich bin mir nicht sicher, ob er zu sich selbst oder zu den Menschen um sich herum spricht. Jedenfalls hält es niemand für angebracht auf seine Aussage zu reagieren. Die Frau mit dem Kinderwagen fährt davon und die letzten Wartenden betreten den Bus. Nun steige auch ich ein.

Als ich mit circa dreißig Minuten Verspätung an der Haltestelle des Unicampus ankomme, mache ich mich gleich auf den Weg zu Gebäude Acht. Der Campus ist modern und großflächig angelegt. Ein Vorzeigesymbol der florierenden Wirtschafts- und Bankenmetropole. Majestätische, rechteckige Sandsteingebäude mit eleganten Glasfassaden. Ganz im Stil des digitalen Zeitalters. Zwischen den Gebäuden sind Rasenflächen und jahrzehntealte urige Laubbäume. Vor dem Hauptgebäude ist ein weitläufiger mit Steinplatten bedeckter Platz. Eine komische unästhetische Statue steht inmitten dieses Platzes, deren Bedeutung ich auch nach sechs Semester noch nicht erkannt habe. Wahrscheinlich wurde sie von einem bekannten Künstler für eine große Summe Geld entworfen. Weiter hinten auf dem steinernen Platz ist ein Brunnen zu sehen. Das Wasser fließt in Flachen Becken langsam nach unten. Im Einklang mit der brachen Ödnis des endlos scheinenden Vorplatzes.

Ich wende meinen Blick nach links. Gebäude Acht, PEG. In gold-eiserner Schrift steht über dem Eingang des steinernen Kolosses die Worte: Psychologie, Erziehungswissenschaften und Gesellschaftswissenschaften. Mit großen Schritten bewege ich mich auf den Eingangsbereich zu und suche nach meinem Terminkalender, in welchem meine Kurse mit den jeweiligen Räumen eingetragen sind. Ich wühle in meinem Jutebeutel und ertaste allerlei Sachen, doch mein Kalender, mein Herzstück des Studiums und der Organisation, finde ich nicht. Ich gehe durch die gläserne Drehtüre und stehe nun im Inneren des Gebäudes. Woche zwei des angebrochenen Sommersemesters. In welchem Raum war doch gleich noch Mal der Kurs zur klinischen Psychologie? Ich wusste, dass es ein Gruppenarbeitsraum für circa vierzig Personen war, wie die meisten Räume des Gebäudes. Mhhh… Der Raum war irgendwo im hinteren Teil des Gebäudes mit Aussicht auf die Hochhauskulisse der Stadt. Ich begebe mich in Richtung des Seminarraumes. Der Saal hinter dem Eingangsbereich erstrahlt in hellem Licht. Der Boden besteht aus hellen Natursteinfließen. Die Wände des Erdgeschosses sind mit dunkelbraunem Holz verkleidet und die Bodenleuchten lassen diese in einem schönen Licht erstrahlen. Einige viereckige Sitzmöglichkeiten aus demselben edlen Holz zieren den Saal. Auch, wenn es einige Aufzüge gibt, entscheide ich mich für die Treppe. Ich nehme zwei Treppenstufen auf einmal und ziehe mich an der hölzernen Grifffläche des eisernen Geländers nach oben. Am ersten Stock vorbei, gleich in den zweiten. Wenige Studierende kommen mir auf der Treppe entgegen.

Die meisten nehmen den Aufzug. Im zweiten Stock angekommen gehe ich um die Ecke in den vermeintlich richtigen Gebäudeflur. Ich erinnere mich, es war Raum …14 oder etwas mit 16? Ich stehe vor Raum G 216. Ich bin mir unschlüssig, ich gehe zwei Räume weiter zu Raum G 214. Der könnte es sein. Ich probiere die Türe zu öffnen – Verschlossen. Dann kann es nur Raum G 216 sein. Ich stehe vor dem hölzernen Eingang und werde etwas nervös. Ich atme noch einmal tief ein und aus, bevor ich die Türklinke nach unten drücke und den Raum betrete. Die Tische sind in einer U-Form angeordnet. Ich richte meinen Blick nach dem nächstfreien Platz und erblicke einen leeren Stuhl am anderen Ende des Raumes. Viele Blicke sind auf mich gerichtet. Leicht aufgeregt kämpfe ich mich an den Stühlen und den umherliegenden Taschen vorbei. Ein weibliches Kichern ist zu hören. Hoffentlich gilt es nicht mir. Als ich den Stuhl erreiche ist mein Blick auf den Boden gerichtet. Ich nehme Platz und atme gleichzeitig die angestaute Luft in meiner Lunge aus. Pfhhh. Eine kurze Erleichterung. Ich blicke mich um und erkenne nur unbekannte Gesichter. Doch das ist nichts Ungewöhnliches, das Semester hat gerade erst begonnen und ich bin mit den meisten Kommilitonen nicht sehr vertraut. Ich packe einen Kugelschreiber und etwas zum Schreiben aus und lehne meine Stofftasche gegen das Tischbein. Mein Blick wandert zum zweiten Mal durch den Raum. Viele Studentinnen sitzen in diesem Kurs. Zumindest mehr, als ich es in Erinnerung hatte. Schon wieder dieses Kichern. Nun erkenne ich auch einige bekannte Gesichter aus den vergangenen Semestern. Die meisten Studenten machen einen hippen, aber irgendwie auch einen spießigen Eindruck. Ich richte meinen Blick nun zu der referierenden Stimme, die dem Professor im vorderen Teil des Raumes gilt. Er erwidert meinen Blick und sagt verwundert:

„Wir haben wohl noch einen Neuzugang in unserem Kurs. Möchten sie sich vorstellen?“ „Neuzugang? Nein ich war letzte Woche schon hier.“

Sage ich und betrachte das Gesicht des grauhaarigen Professors genauer und in diesem Moment schießt eine unangenehme Erkenntnis durch meinen Kopf. – Ich sitze im falschen Raum. Das Kichern aus dem Hintergrund wird lauter und es wird von mehreren Lachern begleitet. Nun sind alle Blicke auf mich gerichtet. Zum ersten Mal an diesem Montagmorgen bin ich hellwach. Nun wird mir ganz schön warm und meine Stirn wird etwas feucht. Ich versuche nach den richtigen Worten zu ringen, doch es kommt nichts aus meinem Mund heraus. Schnell packe ich meine Sachen zusammen und bahne meinen Weg über die Taschen zurück zur Tür. Einige rücken mit ihrem Stuhl etwas nach vorne. Ich greife nach der Türklinke und ziehe sie hinter mir zu. Ich hole etwas Luft und ziehe meinen Pullover aus. Geradewegs mach ich mich auf in den dritten Stock. Wieder stehe ich vor den Räumen G 314 und G 316. Sie sehen genauso aus, wie die Räume aus dem zweiten Stock, nur das Schild an der Tür verweist auf eine andere Zahl.

Raum G 314 fühlt sich richtig an. Ich hole noch einmal kurz Luft und drücke erneut die Türklinke nach unten. Die referierende Professorin lässt sich von mir nicht aus der Ruhe bringen und hält ihren Vortrag über klinische Psychologie. Die Kommilitonen schenken mir keinerlei Beachtung. Aus dem Fenster sind die grauen Hochhäuser der Banken zu erkennen. Es regnet. Ich schließe die Türe hinter mir und nehme Platz.

Nach dem Seminar zur klinischen Psychologie mache ich mich auf den Weg zur Mensa. Ich verlasse das Gebäude Acht und bin froh, das PEG-Gebäude für heute nicht mehr betreten zu müssen. Auf dem Campus verteilt gibt es drei Mensen und mehrere Cafés. Ich bewege mich in Richtung der kleinen Mensa im westlichen Teil der großflächig angelegten Universitätsanlage. Sie gefällt mir am besten, denn der Speisesaal liegt abseits der großen Studentenströme und von der Terrasse aus hatte ich immer eine schöne Sicht auf den Grünewaldpark. Ich schlendere über den Campus und betrachte das Treiben. Vereinzelte Gruppen von Studenten laufen umher und dazwischen bahnen sich einige Fahrradfahrer ihren Weg durch das Gemenge. Viele der umherwandernden Menschen haben ihren Blick auf ihre Smartphones gerichtet. Dem teuer angelegten Campus und den großen Bäumen wird dabei nur wenig Beachtung geschenkt. Die Grünflächen sind zu nass, um darauf zu verweilen. Die Studenten, die sich auf dem Campus befinden, wollen lediglich von einem Gebäude zum anderen gelangen. Der Himmel ist bewölkt und wie es scheint, wird sich daran heute auch nicht mehr viel ändern. Mittlerweile bin ich an der kleinen, feinen Mensa angekommen. Hier gibt es immer ein relativ günstiges vegetarisches Gericht mit einer Beilage für etwa zwei Euro. Ich gehe durch die große Glastüre und richte meinen Blick auf den überdimensionalen Flachbildschirm, der mir die heutigen Gerichte verrät. Rindergulasch mit Kartoffelknödel, Gemüsepfanne mit Huhn, Vollkornspaghetti mit Tofu-Bolognese. Jeweils mit einer Beilage. Ich wende meinen Blick von dem hell leuchtenden Bildschirm und nehme mir ein Essenstablett mit dem dazugehörigen Besteck. Es gibt drei Essensausgaben für die unterschiedlichen Gerichte. In der Mitte steht eine Salattheke, daneben eine Desserttheke und auf der anderen Seite gibt es Getränke, Kaffee und sonstigen Krimskrams, den normalerweise niemand benötigt. Ich gehe zur Essensausgabe und reihe mich ein:

„Einmal Vollkornspaghetti mit Tofu- Bolognese bitte.“

Die in Schürze bekleidete Dame hinter der Essensausgabe gibt mir eine gute Portion Spaghetti und darauf eine Kelle von dem roten Tofueintopf. Dann höre ich ihr Stimme:

„Der nächste bitte.“

Ich blicke etwas skeptisch auf meinen Teller. Besser als nichts. Ich stelle das Gericht auf mein Tablett und wende mich der Salattheke zu. In die eine Hälfte der kleinen runden Salatschale gebe ich etwas von dem Couscoussalt, daneben noch etwas von dem Gurkensalat. Eine Seite ist noch frei. Ich entscheide mich für den Tomatensalat. Aber der Paprikasalat sieht auch nicht schlecht aus. Auf den eigentlich schon vollgepackten Salatteller gebe ich noch eine Portion von dem Paprikasalat und drücke alles mit meinem Löffel gut zusammen, damit nichts herunterfällt. Mit meinem Essen reihe ich mich in der Schlange vor der Kasse ein. Zügig geht es voran.

„Ein Euro Neunzig bitte".

Sagt der Mann an der Kasse und ich halte meinen Studentenausweis an das elektronische Kartenlesegerät, lege anschließend den Ausweis neben den Teller und gehe weiter. Vor mir stehen einige Tische. Zwischen den essenden Studenten und Dozenten ist ab und zu ein freier Platz zu erkennen. Es gibt zudem die Möglichkeit in der zweiten Etage oder draußen zu essen. Die Tische auf der Terrasse sind alle vom Regen nass geworden. Eine Treppe im Speisesaal führt in den zweiten Stock. Mit meinem Tablett in der Hand gehe ich mit Bedacht die Stufen nach oben. Oben angelangt schaue ich mich kurz um und setzte mich an einen Tisch mit Blick auf den Grünewaldpark. Mein Magen sehnt sich nach etwas Essbarem. Einen kurzen Moment schaue ich auf die Spaghetti mit Tofubolognese, dann beginne ich zu essen.

Nachdem ich mit dem Löffel die letzten Stückchen aus meinem Salat hole, lehne ich mich zurück und blicke mit vollgefuttertem Magen durch die Glasfassade in den Grünewaldpark. Der Park erscheint in einem kalten Licht und die meisten Bäume sind noch sehr kahl. Nieselregen prasselt gegen die gläserne Front. Ich nehme mein Tablett und stehe auf. Auf dem Weg nach unten kommen mir einige Studenten entgegen und es wird eng auf der Treppe. Vorsichtig balanciere ich mein Tablett in der linken Hand und halte mich am Geländer mit der rechten Hand. Ich probiere möglichst weit auf der rechten Seite der Treppe zu laufen, um mögliche Zusammenstöße zu vermeiden, doch dann kommt mir ein etwa ein Meter Neunzig großer junger Mann mit breiten Schultern und zurückgekämmten Haar entgegen. Es wird eng auf der schmalen Treppe und mit seinem linken Ellenbogen stößt er gegen mein Tablett und ich kann meine Teller gerade noch auf dem Essenstablett halten, ohne dass alles in einem großen Scherbenhaufen endet. Mein Löffel rutscht mir während des Balanceaktes nach vorne herunter. Es hilft nichts. Klirrend springt und hüpft der eiserne Löffel die Treppenstufen nach unten. „Pass besser auf, wo du hintrittst!“ sagt derselbe Mann mit aggressiver Stimme zu mir.

Ich wende meinen Blick zu der Stimme und sehe nur, wie der breite Rücken seinen Weg die Treppe weiter nach oben bahnt. Dann drehe ich mich wieder um und sehe meinen Löffel bereits auf dem Fußboden der Mensa liegen. Ich gehe nach unten, hebe ihn auf und lege ihn neben den Teller. Mein benutztes Geschirr stelle ich auf das Fließband der Geschirrabgabe. Ich drehe mich um und bleibe einen Moment im Speisesaal stehen. Meine Emotionen gleichen dem Nullpunkt. Es ist ein Gefühl der Leere und der Fassungslosigkeit. Ich gehe nach draußen und es regnet weiter. In der Ferne erblicke ich ein Café und spiele mit dem Gedanken dort hinzugehen. Nur um dann da zu sitzen und wieder aus dem Fenster zu schauen? Mir ist nicht danach. Langsam bewege ich mich in Richtung der Bibliothek. Wieder dasselbe triste Bild von dem Campus und seinen Bewohnern. Hoffentlich bin ich hier bald weg. Doch wo will ich hin? In mein Zimmer? Dort ist es auch nicht besser. Eigentlich ist es egal, wo ich bin. Überall das gleiche triste Bild… Missmutig öffne ich die Schwenktüre der Bibliothek. Der gleiche Anblick, wie in fast jedem dieser Gebäude. Weise Natursteinfließen und Fenster, die von der Decke bis zum Boden ragen. Dieses Semester muss ich mehrere Hausarbeiten schreiben. Am besten ich fange gleich an und mache mir Gedanken über interessante Themen. Mit dem Aufzug fahre ich in den vierten Stock. Pädagogik, Soziologie, Psychologie. Auf direktem Wege gehe ich in die Abteilung für Psychologie. Etliche Bücherregale sind geordnet hintereinander aufgereiht. An den Fenstern gibt es Tischreihen mit Sitzplätzen. Die unterschiedlichen Bücher sind nach dem Kürzel des Faches, einer Zahl und einem weiteren Kürzel des Autors geordnet. PSY 73 HU. Ich wühle mich durch die hohen Bücherregale und setze mich anschließend mit fünf interessant klingenden Büchern an einen der vielen einsamen Plätze am Fenster. Eine graue Wolkendecke bedeckt den Himmel. Manche heller, andere dunkler. Die Bibliothek ist erstaunlich leer. Liegt womöglich am Semesterbeginn. Niemand fängt jetzt schon mit seinen Aufgaben an. Gemächlich beginne ich in dem Buch Psychoaktive Substanzen in der klinischen Forschung zu lesen. Die Zeit zieht so an mir vorbei und ich lese etwas über LSD im Einsatz bei krebskranken Menschen im Endstadium und wie es ihnen dabei hilft, besser mit ihrem Tod umgehen zu können. Ich blicke aus dem Fenster und der Gedanke an den Tod hat mich wieder fest in seinem Griff. Zu oft und zu lange habe ich schon über dieses Thema nachgedacht. Das Ende alles Seins, die schwarze Leere. Ich fürchte mich davor und doch sehne ich mich manchmal danach. Das Leben hat keinen Sinn, dessen bin ich mir schon längst bewusst. Arbeiten, Studieren, Kinder in die Welt setzen. Nur, damit dieser endlos scheinende Kreislauf weiter geht. Ein Kreislauf der Sorgen, Schmerzen und der kurzen Freuden. Die Entwicklung und der vermeintliche Fortschritt schreitet immer weiter voran. Immer rasanter, immer höher, immer schneller. Wir vermehren uns wie Kakerlaken. Wir dominieren und unterjochen diesen Planeten. Wie Ungeziefer sich über die Nahrungsreste der Mülltonnen her machen, krallen wir uns die letzten Ressourcen unseres Planeten. Jeder für sich der Erste. Einfach nur hoffen, dass es einem selbst gut geht, während alles in sich zusammenbricht. Was mache ich hier? Soll ich einfach mitspielen und versuchen, das Beste für mich rauszuholen? – Nein! Ich habe keine Lust diese ganze Absurdität durch meine Existenz nur noch weiter zu unterstützen. Essen, Trinken, Konsumieren. Es würde dieser Welt besser gehen, wenn ich nicht hier wäre. Ich sacke in mich zusammen und fange an zu weinen. Mein Kopf liegt gebeugt in meinen Armen, Tränen rinnen mir über die Wangen und ich schnappe leise nach Luft. Ich weine über mich und meine Gedanken, über dieses traurige Leben und diesen sinnlosen Kampf. Jammernd und heulend sitze ich da, ich hoffnungsloses Geschöpf. Um mich herum die leeren Stühle und das Geräusch des prasselnden Regens gegen die Fensterscheibe.

Ich weiß nicht, wie viel Zeit ich in der Bibliothek verbracht habe. Sitzend, denkend, lesend, weinend. Es wird langsam dunkel. Ich stelle die Bücher zurück und nehme die Treppe nach unten. Während ich die Schwenktüre nach draußen öffne, weht mir ein eisiger Wind ins Gesicht. Die frische kühle Luft tut gut und gerade regnet es nicht. Ich ziehe meine Jacke bis zum Hals hin zu und gehe zur Bushaltestelle. Auf dem Campus sind nur noch vereinzelnd Studenten unterwegs. Kein Vergleich zu dem Trubel am Mittag. Die Sonne geht hinter den grauen Wolken unter. Langsam trotte ich vor mich hin. Einige Krähen sitzen auf den großen kargen Bäumen. Andere fliegen durch die Luft. Die Hochschullandschaft geprägt von großen rechteckigen Sandsteinkolossen.

„Louis“

Höre ich jemanden hinter mir rufen. Ich bin mir nicht sicher, ob der Ruf mir gilt.

„Louis!“

Nun erkenne ich die Stimme. Ich drehe mich langsam um und sehe, wie Nick mit großen Schritten auf mich zu kommt. Einer meiner wenigen guten Freunde in dieser Stadt. Eigentlich sogar mein einziger Freund. Ich laufe ihm langsam entgegen. Mit einer kurzen und kräftigen Umarmung begrüßt er mich. Meine Hände berühren dabei nur leicht seinen Rücken. Die Berührung tut gut. Dann fragt er mich:

„Wie geht es dir Louis? Wolltest du am Wochenende nicht zur Semester Opening Party kommen?“

Die Party habe ich schon wieder ganz vergessen und ich brauche einen Augenblick, um eine plausible Antwort auf seine Fragen zu finden:

„Ja stimmt, letzten Samstag war die Opening Party. Wir unterhielten uns letzte Woche noch darüber und ich meinte zu dir, dass ich mitkommen wollte. Aber irgendwie war mir am Samstagabend dann nicht danach. Ich wollte mich nicht betrinken und auch keine Gespräche über Politik, den Klassenkampf oder vegane Ernährung führen. Also bin ich lieber Zuhause geblieben.“

Nick gibt einen leisen Seufzer von sich und schaut mir tief in die Augen und sagt:

„Was soll ich nur mit dir machen, Louis? So lernst du nie jemanden kennen, weder Freunde noch die passende Frau. Am Samstag waren viele hübsche, junge Studentinnen aus dem ersten Semester da. Sie haben doch nur darauf gewartet, etwas zu erleben und was machst du? Du sitzt Zuhause.“

Schon wieder geht es nur um Frauen. Als gäbe es nichts Wichtigeres in dieser Welt und ich gebe ihm zu verstehen:

„Ja, ich weiß Nick, wir hatten dieses Gespräch schon öfter und mir ist gerade absolut nicht danach, darüber zu sprechen. Ich hoffe, du hattest deinen Spaß.“

„Jaja, ich sehe, du bist mal wieder beschäftigt mit dir selbst. Was auch immer du tust, es sieht nicht so aus, als würde es dir gut tun. Dein Gesicht ist ganz bleich und du hast völlig rote Augen“, sagt er deutlich und bestimmt hat er gemerkt, dass ich geweint habe.

„Mir geht es gut ich bin bestimmt nur etwas erkältet“, erkläre ich ihm.

„Erkältet genau. Louis, du gräbst dich nur immer weiter in dein Loch ein und bemitleidest dich selbst. Den ganzen Winter hast du schon alleine in deinem Zimmer verbracht. Lasse den Sommer nicht genauso werden. Ich probiere dich immer mitzunehmen, aber ich kann dir nicht ständig hinterherrennen. Wenn du mal Lust hast was zu machen, dann melde dich bei mir. Ich muss jetzt weiter, meine U-Bahn fährt gleich.“

Wir geben uns eine kurze obligatorische Umarmung zum Abschied und Nick läuft in schnellen, großen Schritten davon. Ich blicke ihm noch eine Weile hinterher und beginne dann, in dieselbe Richtung zu laufen. Irgendwie hat er ja auch recht. Wenn ich nur Zuhause sitze, dann wird sich bestimmt nichts ändern. Mein Blick geht nach oben und ich sehe den grauen immer dunkler werdenden Himmel über mir. Wo sollte ich bitte hingehen? Mich etwa noch länger auf diesem tristen Campus herumtreiben? Missmutig trotte ich zur Haltestelle, mit dem Wunsch nach Veränderung.

An der Bushaltestelle angekommen blicke ich auf die stark befahrene Straße. Ich schaue mich um. Rechts von mir ist eine große Verkehrskreuzung. Die Straße nach unten führt zur Universität, nach oben geht es in die nördlichen Bezirke der Stadt. Vor mir der Radweg und dahinter die vierspurige mit Teer bedeckte Straße, welche von West nach Ost führt. Einige Passanten warten auf den Bus. Neben mir stehen drei Studenten, die sich gerade über ihr Studium unterhalten. Auf einer Bank sitzt eine alte Frau mit Rollator und daneben einige jüngere Gestalten. Andere stehen herum und blicken auf ihren digitalen Begleiter. Meine Aufmerksamkeit richtet sich auf die vorbeirauschenden Autos, bis schließlich der Bus herangefahren kommt und sich seine mechanischen Türen langsam öffnen.

Ich setze mich auf einen freien Sitzplatz, platziere meinen Jutebeutel auf den Platz daneben und schaue aus dem Fenster. Es ist sehr schnell dunkel geworden. Kramend hole ich mein altes Tastenhandy heraus, keinen Anruf und keine Nachricht. Ich schließe meine Kopfhörer an das Handy an und höre etwas Musik. Piano. Mein Blick wendet sich dem Fenster zu und nun betrachte ich die vorüberziehenden Lichter in der Dunkelheit. Mit der Musik in meinem Ohr fühlt sich die Fahrt an, wie eine Reise. Eine Reise durch die Großstadt, an modernen Gebäuden und prächtigen Altbauten vorbei. Über die breite, stark befahrene Straßen mit vielen Autos, bis hin zu kleinen Straßen mit Geschäften auf der linken und der rechten Straßenseite. Dönerbuden, Restaurants, Kioske und viele weitere kleine Läden mit den verschiedensten Leuchtreklamen. Einige Menschen laufen umher und stehen vor den Etablissements. Fahrradfahrer rasen an den umherlaufenden Menschen vorbei. Alles zieht an mir vorbei. Ein sich ständig wechselndes Bild, mit den verschiedensten Kulissen. Ich betrachte das Treiben von sicherer Entfernung aus dem inneren des Busses. Die Klänge des Pianos in meinem Ohr.

Zwei Stationen vor der Endhaltestelle sitzen nur noch vereinzelt Menschen um mich herum. Jeder versunken in seiner eigenen kleinen Welt. Ich stehe auf und steige aus, um noch etwas zum Abendessen zu kaufen. Zielgerichtet mache ich mich auf den Weg zum Discounter meines Vertrauens. Die Musik ist schön, doch es ist Zeit, die Kopfhörer abzunehmen. Die Straßenlaternen beleuchten die dunklen Straßen. Häuserwände auf der rechten Seite, parkende Autos links von mir. Der Gehweg ist fast menschenleer. Ich komme an einem düsteren Park vorbei. Vereinzelt sitzen Menschen auf den Bänken und bis auf wenige Stimmen ist nur das Plätschern des Brunnens zu vernehmen. Als ich die Grünanlage hinter mir gelassen habe, komme ich dem Parkplatz des Discounters näher und begegne nun auch wieder mehr Menschen. Einige beladen ihre Autos mit den frischen Konsumgütern, andere bringen ihr Leergut zum Pfandautomaten. Angelehnt an einem weiß gestrichenen Betonpfeiler vor dem gläsernen Eingang sitzt eine alte Frau mit einem Pappschild und bettelt um Kleingeld und Essen. Die gläsernen Türen öffnen sich mir und ich betrete den auf Effizienz ausgerichteten Markt. Die Obst- und Gemüseabteilung sticht mir gleich ins Auge. Angebot! Avocado für 99ct und Hokkaidokürbis für 1,29 € das Kilo. Ich nehme mir eine Avocado und gehe weiter. Kurz überlege ich, was ich kochen könnte und entschließe mich dafür, eine Gemüsepfanne zu machen. Das meiste Gemüse ist unnötig in Plastik verpackt. Ich nehme mir eine Packung braune Champions, Fenchel, Aubergine, Zucchini und abgepackte Biotomaten und gehe weiter. Einige Bananen nehme ich mir auch noch mit. Danach hole ich einen Tetrapack Milch und das gewohnte Früchtemüsli. Meine Hände sind vollgepackt und mehr kann ich wirklich nicht tragen und das wichtigste sollte ich auch haben. An der Kasse angekommen reihe ich mich ein. Zwei Kassen sind geöffnet, einige beladen das Fließband mit ihrem Einkauf, andere stehen teilnahmslos da, niemand spricht. Die meisten Einkäufer kommen vermutlich gerade von der Arbeit. Langsam geht es voran. Ich lege meine Sachen auf das Fließband. Stehend und wartend betrachte ich die Menschen um mich herum. Die Zeit vergeht langsam. Das Piepen der Kasse ist im Sekundentakt zu hören. Die Verkäuferin muss schnell ihre Waren über das Fließband ziehen, um ihre vorgegebene Quote zu erfüllen. Denn der Kassencomputer misst, wie schnell die Verkäuferin ihre Waren über den Scanner zieht. Was für ein banales Konzept der Effizienz und Gewinnsteigerung. Dieser ständige Kontrollwahn führt die Menschen doch geradeswegs in die Paranoia. Ich bin an der Reihe. Die Verkäuferin schaut mich kurz an und los geht’s. So schnell, wie sie die Waren über die Kasse zieht, kann ich alles gar nicht in meinen Beutel packen. Die Waren sind bereits alle über die Kasse gezogen und die Verkäuferin sagt:

„Neun Euro Sechsundachtzig bitte.“

Ich schaue die Dame hinter der Kasse an und blicke dann auf meinen Berg von Gemüse. Schnell packe ich noch zwei Sachen in meinen Beutel und krame dann meinen Geldbeutel heraus. Ich strecke ihr einen Zehneuroschein entgegen und widme mich wieder meinem Einkauf. Sie gibt mir das Wechselgeld und ich stecke es in meine Hosentasche.

„Hallo.“

Sagt die Verkäuferin und die nächsten Waren rasen bereits über die Kasse. Ich nehme meinen Einkauf und bewege mich langsam von der Kasse weg, um dem Kunden hinter mir Platz zum Einpacken zu machen. Vor mir eine Wand mit einer Ablage. Vorerst lege ich alles darauf ab und beginne meine Sachen zu ordnen. So viel wie möglich packe ich in meinen Stoffbeutel, in welchem noch allerlei Dinge sind. Den Geldbeutel stecke ich irgendwo zwischen das Gemüse und meine Schreibsachen. Den Beutel ziehe ich mir über die Schultern, nehme den Rest in die Hand und gehe geradewegs zum Ausgang. Vor mir hockt wieder die alte Frau mit ihrem Schild, darauf steht mit Handschrift geschrieben. Ich habe Hunger, Bitte etwas Kleingeld! Sie schaut mich mit einem bettelnden Blick an und sagt:

„Ein Euro bitte!“

Sie hat gemerkt, dass ich auf ihr Schild geschaut habe. Ich wende meinen Blick von ihr, krame ein paar Münzen aus meiner Tasche, werfe sie ihr in den Pappbecher und gehe weiter.

Einen Fußgängerüberweg gibt es hier nicht, also überquere ich so die breite, stark befahrene Straße, auf welcher zudem noch zwei Straßenbahngleise verlaufen. Vollgepackt und mit viel Bedacht komme ich auf der anderen Straßenseite an und laufe in Richtung der S-Bahnstation. Einige Menschen haben sich um ein Kiosk versammelt und trinken Bier. Langsam gehe ich daran vorbei und biege an der nächsten Kreuzung links ab. Ich komme an der Bushaltestelle von heute Morgen vorbei. Ein Bus steht und wartet auf seine Abfahrt. Vor mir die S-Bahnstation. Wieder gehe ich durch die Schwenktüre. Der Brezel Corner rechts von mir ist bereits geschlossen. Das Licht brennt noch und die Bäckereiverkäuferin räumt die letzten Backwaren in die Kisten. Menschen huschen umher. Einige versuchen noch ihre Bahn zu bekommen. Ich nehme die Stufen nach unten und nehme Musik wahr. Ein Mann spielt mit seiner Gitarre und die rhythmischen Klänge hallen in der Unterführung. Der Musik lauschend ziehe ich daran vorbei.